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@@ -693,10 +693,10 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<line type="break"/>den 1. des Herbstmonats. 1774.
<line type="break"/><align pos="right"><aq>Johann Caspar Lavater.</aq></align>
<line type="empty" />
<line type="break" /><hand ref="10">
<line type="break" /><note>Lavaters Hand</note>
<line tab="1"/>Nur ein Zeichelchen, daß ich an Dich, und Röderer, als liebe Brüder denke! Ich kann, ich kann nicht schreiben! Nicht danken! Ich habe nicht einmal Zeit, Arbeiten zusammen zu suchen, dich ich Euch auftragen möchte, für mich zu thun. Verzeihet mir, glaubet an meine Liebe, obgleich Ihr wenig oder nichts sehet. Schreibet mir viel, aber erwartet keine Antwort. Macht Ihr physiognomische Beobachtungen; theilt sie mir <aq>Sans ápropos</aq> halb, quart, <aq>octav</aq> wie Ihr sie macht nur auf <aq>octav</aq>blätchen mit. Auch Monatgedanken hab ich keine mehr gemacht. Liebet einander Brüder, und mich, und grüßt alle und entschuldigt mich bey allen, daß ich Ruhe suche, nicht die Ruhe der Trägheit.
<line type="empty" />
<line type="break" /><address>An Herrn Lenze im Finkweiler, in <it>Straßburg.</it></address></hand>
<line type="break" /><address>An Herrn Lenze im Finkweiler, in <it>Straßburg.</it></address>
</letterText>
<letterText letter="40"><page index="1" />
@@ -704,33 +704,23 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Konnt ich mein edler Bruder! einen bessern Gebrauch von Deinem Briefe (den ich erst im August erhielt) machen, als daß ich ihn einem zweyten Du, durch die Bande der Freundschaft näher mit mir verbunden als durch die Bande des Bluts, meinem Bruder Goethe<fn index="5"><anchor>#</anchor></fn> in Frankfurt zuschickte und Dein Glück mit ihm theilte. Wie ich denn nichts geheimes für den haben kann. Dafür ward aber auch Deine Verbindung von zwey gleich warm theilnehmenden Seelen hier doppelt gefeyert. Was soll ich Dir viel drüber sagen? Glückwünsche zeigen von einer armen Seele, deren Leerheit der Witz und strafbare Gefälligkeit zu bepappen sucht, aber das wahre Gefühl bindet die Zunge, kehrt die Augen gen Himmel und läßt Tränen reden. Verstehst Du diese Sprache mein Brüderchen! Einziger aus meiner Familie der mich versteht. Der Himmel belohnt Dich dafür. Er gab Dir ein Weib und ich beneide Dich nicht. Ich segne ihn, daß er Dich vorzüglichen Glücks würdigt da Du es vorzüglich verdienst. Kein wildes Zielen nach einem ungewissen Zweck, edles starkes Bestreben einen kleinen glücklichen Zirkel um dich her zu machen und von ihm wiederbeglückt zu werden. Dein vorjähriger Brief mit diesem zusammengehalten welch ein Gemählde von Deinem Herzen stellt es mir auf! Dein letzter Wunsch, <ul>„eine eigene Hütte mit einer Freundin die die Mühseeligkeiten dieses Lebens“</ul> p. er ist erfüllt, Du bist
<page index="2"/>belohnt, edler Freund! kleiner großer Mann in Deiner Genügsamkeit. Du wirst nach Deinem Herzen gewählt haben, also glücklich täglich neue Vorzüge werdt Ihr aneinander entdecken, täglich neuer Beruf zu lieben und geliebt zu werden. Und so unsterblich, noch übers Grab hinaus o ich muß mich wegwenden von Eurem Glück, wem zu essen versagt ist steht mit Verzweiflung vor dem Gemähld eines Banquets.
<line type="empty" />
<line type="break" />
<sidenote pos="left" page="1" annotation=" am linken Rand der ersten Seite, vertikal"> <fn index="5"><anchor>#</anchor></fn> Verfasser des Goetz v. Berlichingen, Clavigo, Leiden des jungen Werthers und einiger Kleinigkeiten.
<line type="empty" />
<line type="break" /></sidenote>
<line tab="1"/>Du willst mein Schicksal wissen. Liebe Seele! was ist Dirs gedient damit. Daß ich Dich liebe weist du, darum hätt ich immer noch länger schweigen können.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin jetzt frey, athme das erstemal dreist aus. Der älteste Kleist ist nach Kurland gereist, um wiederzukommen, woran ich doch schon itzt zu zweifeln anfange. Sein jüngster Bruder aus Frankfurt Oder kam grad an als der andre abgieng und ich mußte ein viertel Jahr bey ihm bleiben. Jetzt bewohn ich ein klein Zimmer allein, speise täglich an einem Tisch wo einige meiner Freunde mitessen (die einzigen die in Straßb. Liebhaber der ächten Wissenschaften zu sein sich nicht schämen) und unterhalte mich ein wenig mühseelig von Lektionen die ich meinen Landsleuten in der deutschen Sprache und in der Geschichte ihres Vaterlands
<page index="3"/>ich meine Pohlen Curland Rußland gebe, da hier sehr theuer zu leben ist.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein Herz geht nicht müßig. Ich hab einige vorzügliche Freunde und Freundinnen und denk auch oft an Euch. Wiewohl mir Papa und der Tarwaster das zum Verbrechen machen wollen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Grüße Papa! Sag ihm nur daß es mir ein wenig fremd vorkam, da ich nichts von ihm foderte nichts von ihm erwartete, als Erwiederung meiner warhaftig zärtlichen Gesinnungen für ihn und meine Blutsfreunde, mich dafür von ihm und Fritzen mit Ruten abpeitschen zu sehen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich will Dir hier ein klein Verzeichniß meiner Schriften anhenken, damit Du sie Dir anschaffest und mich und meinen Lebenslauf daraus beurtheilest. Auf Kosten der Sozietät wurden gedruckt: Lustspiele <del>des</del> <insertion pos="top">nach dem</insertion> Plautus. Auf Kosten der Weygandschen Buchhandlung: Der Hofmeister, oder Vortheile der Privaterziehung, eine Komödie. Darnach, der neue Menoza oder Geschichte des Cumbanischen Prinzen Tandi, eine Komödie. Darnach Anmerkungen über Theater, nebst angehängtem Shakespearischem Stück. Diese drey könntest Du Dir zusammen binden lassen. Ostern kommt mein letztes Stück heraus: der Poet, Weg zum Ehemann, das meinem Herzen am nächsten ist .
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Auch werden herauskommen Meynungen eines Layen zum
<page index="4"/>Besten der Geistlichen: und Stimmen eines Layen auf dem letzten theologischen Reichstage. Die Du Dir anschaffen sollst. wovon aber der Verfasser unbekannt bleiben will.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Laß Dir die drey Komödien zusammen binden, den Hofmeister, den Menoza und den Poeten und schenk sie Deiner lieben Frauen auf den Nachtisch als ob sie von mir kämen. Schreib ihr hinein von meinetwegen
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="center">
<line tab="5"/>Fühl alle Lust, fühl alle Pein
<line tab="5"/>Zu lieben und geliebt zu seyn
<line tab="5"/>So kannst du hier auf Erden
<line tab="5"/>Schon ewig seelig werden. </align>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und nun lebt wohl lieben Kinder! und laßt mich euch um den Hals fallen und mein Gesicht zwischen euren verbergen. Laßt mich eure Küsse euch zubringen und indem ich so euch beyde zwischen meine Arme an mein Herz drücke und Gott um Unsterblichkeit bitte für euch so schickt eure warmen brüderlichen Seufzer auch für mich empor, daß auch mir es so gut werde oder wenn ich dies Glück nicht verdiene daß ich müd von des Tages Hitze einst am Abend <insertion pos="left">meines Lebens</insertion> in euren Armen ausruhe und sterbe. Ich behalte mir den Platz aus mein Bruder! willigen Sie drin meine Schwester? So seegne sie Gott für den guten Willen Amen.
<line type="break"/><align pos="right">Jakob Michael Reinhold Lenz.</align>
</letterText>