Einpflegung von Brief 38.

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GregorMichalski
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<line tab="5"/>Ihn zu ihrem Bilde machen. <line tab="5"/>Ihn zu ihrem Bilde machen.
<line tab="5"/>Oder kanns nicht seyn, so mache <line tab="5"/>Oder kanns nicht seyn, so mache
<line tab="5"/>Mich nur nicht zu seinem Freunde!</hand></letterText> <line tab="5"/>Mich nur nicht zu seinem Freunde!</hand></letterText>
<letterText letter="38">Zürich, Mittw. den 31. Augstm. 1774. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe Deinen Brief vom 12. Aug. den ich so gern weitläufig beantwortete; meine Umstände
wollens nicht und ich muß mit Ernst nach einer laconischen Kürze ringen, sonst muß ich mir manche
dergleichen Freuden, wie z. B. Briefe an Dich, versagen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von meinen Vorlesungen nichts mehr; sie sind gewiß nüzlich: aber ich sollte mehr wißen, vor mich
und das Publikum, denn <aq>mundus vult decipi</aq>. O hätt ich Gelehrsamkeit genug, um mit mehr Ansehen
zu zeigen, daß man ohne Gelehrsamkeit Philosoph Christ Kenner des Geistes der Götti.
Offenbarungen glückselig seyn kann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Raisonnir mir, mein Liebster, über den Menschen so viel Du willst; nur vergiß künftig nie: daß, wenn
der Mensch, das Menschengeschlecht allenfalls in einem Zustande des Verfalls, der Krankheit ist,
und aus diesem Gesichtspunkte angesehen wer· den muß, daß dieß alsdann in manches Urtheil
vom Menschen gewaltigen Einfluß hat. So, wenn der Mensch <aq>krank</aq> ist, so darf man ihm Diätregeln
vorschreiben, über die er sich nicht als eine grausame Einschränkung seiner Freyheit zu beschweren
hat. Nimm, Lieber! den Begriff der menschlichen Freyheit aus dem Reich der Idealen herunter ins
Reich unserer schlecht und rechten Wirklichkeiten! so wirst finden: Ohne Befehle und Verbote kannst
kein Kind auferziehen; also Einschränkung der Freyheit. Es werde nur Liebe und Zutrauen zum Vater
zum Grundtrieb gemacht. Wär nun Analogie zwischen Vater und Kind, und Gott und Menschen (und
ich glaube es ist größer als man denkt) so muß <aq>geboten</aq> und <aq>verboten</aq> sein; nur liege auch da Liebe
und Zutrauen zum Grund, sonst ists Sclaverey (und doch auch so wäre nur noch die wenigste,
erträglichste und unumgänglichste Sclaverey wovon die Schuld nur <aq>einseitig</aq> ist). <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aber freylich hat Gott nicht so eingeschränkt, als der Eremit und die Nonne es wähnen; darüber,
Liebster, sind wir ganz einig. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Weinen mögt ich mit Dir, wie die Mönchstugend tausend gute Samen in der Menschennatur erstickt.
Ich irrte ehedem hierin auch sehr. Gott zog zurück. „Christus hat nichts ausrotten wollen, was Kraft
und Anlage im Menschen ist!“ Goldene bestäubte verkannte Wahrheit! Aber, Liebster! wie manches
Scrüpelchen, das Dir vielleicht doch mehr als recht ist, im Wege steht, müßt wegfallen, wenn wir uns
nur einige Zeit sähen. Von d. Apocalypse izt nichts. Aber „draußen sind die Hunde <aq>etc.</aq>“ das ärgert
dich? Gibts einst eine Sammlung der Guten die sich einen Himmel machen, willst Du denn die
Hunde wider drinnen haben, und die Ehebrecher? u. die Bösewichter? In den Spital mit ihnen, und
sie curirt mit scharfen Mitteln, wenns so seyn muß. pppp. <line type="empty"/>
Donnerstag morgen um 7 Uhr.
So eben empfang ich Deinen Brief an mich und <aq>Paß</aq>. und <aq>Clavigo</aq>. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Bin ich nicht ein gerechter Mensch, daß ich Clavigo liegen lasse und erst gehe den Brief an Dich zu
vollenden?
<line tab="1"/>Noch eins auf den vorletzten. Man hats in unseren Tagen besonders sehr schwierig machen, wie
Jesus und daß er nicht buchstäblich zu verstehen sey pp. und ist die Sache so simpel! so schlecht
und recht, so buchstäblich wie möglich, nur ohne Eulenspiegel-Chicane, alles in der Bahn des
gemeinen <aq>bon sens</aq> wie Kinder einen Vater verstehen. (Ausgenommen was seiner Natur nach
räthselhaft seyn mußte, prophetisches und was er genirt war herauszusagen.) <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Z.B., wenn ich Dir sagte, ich hab <aq>Deinen Hofmeister</aq> neulich gelesen ich rathe Dir, schreib nichts
mehr!“ (was ich aber weder in der gegenwärtigen, noch zukünftigen Welt nie zu Dir sagen werde).
Nun sieh, wie simpel buchstäblich das zu verstehen wär. Wie gefiel uns nun folgendes Raisonnement
(der neumodischen Theologen) darüber: „das könne unmöglich im eigentlichsten Wortverstande
genommen werden, daß Du keine Feder mehr anrühren, keinen Brief u.s.w. <aq>schreiben dörfest u.s.w.</aq>
also, weils nicht buchstäblich zu verstehen sey, so werde es sagen wollen, Du sollest eben keine
Folianten mehr in Druck geben, bisweilen ein Drama habe just nichts zu sagen, es sey ja nicht
buchstäblich zu verstehen das nichts“ <aq>etc.</aq><line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lav. ist höchst vergnügt von seiner Reise zurückgekommen, hatte herrliche Seelen angetroffen
Engelseelen in weiblicher und männlicher Gestalt die Dich, Bruder, mit der Welt aussöhnen würden.
pp. Aber des Wiedersehens Wonne, o mein Lenz! hättst Du auch einen Lavater, von dem Du Dich 10
Wochen trennen könntest, und ihn wiedersehen! Sonst hast Du Lavatern, so sehr Du ihn haben
kannst. Er spricht mit Enthuasiasmus von Lenzen. Und wir werden uns alle noch recht nahe kommen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Studierst Theologie? predigest? bist ordinirt? <aq>etc.</aq> Sag mir was hievon. Schick mir auch Deine und
Röderers <aq>Silhouettes</aq>. Grüß mir ihn brüderlichst. <aq>Paß</aq>. wird selbst schreiben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie verstehst das „Was Gott an Goethe getan –“? Doch versteh ichs vielleicht, wenn ich <aq>Clavigo</aq>
gelesen habe. <line type="empty"/>
Verzeih mein Sudeln. Mein Kopf und Herz und Hand sudeln bisweilen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Siehst meine offenen Arme? Komm ich drücke Deine Brust an meine, und küsse Dich! Kannst beten,
so bitt auch für mich. <line type="empty"/>
Conr. Pfenninger. <line type="empty"/>
Deine Schriften erwart ich mit Verlangen. Es ist kein Zürcher so verliebt darein, wie ich. <line type="empty"/>
<note>Adresse</note>
Herrn <aq>Lenz</aq> durch Herrn <aq>Candid. Röderer</aq>, neben der Neu Kirch in Straßburg.</letterText>
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<date value="Zürich, 31. August 1774" />
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Freye/Stammler I, S. 7881
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