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Einpflegung von Brief 115.
This commit is contained in:
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>Die Wolken bitte ich mir doch zurück. Vielleicht komm ich noch dieses Jahr in Ihre Gegenden. Mein
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Name wird nicht genannt.</sidenote></letterText>
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<letterText letter="115"><line tab="1"/>Daß mich Ihr gütiges, mehr als mütterlich herablassendes Zutrauen, gnädige Frau! bis zu Thränen
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gerührt hat, – warum muß ich es Ihnen so spät sagen? Anstatt meine fürwitzigen Erkundigungen mit
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dem Ernst der Weisheit abzuweisen, geben Sie Ihnen mütterlich gütig nach, und beschämen auf die
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Art meine Dreistigkeit bis zum Verstummen. Indessen war mir alles auf der Welt an diesen Nachrichten gelegen, und
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ich bedaure nichts weiter, als daß ich mit Einziehung derselben bisher so saumselig gewesen. Die geringste
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Kleinigkeit von Ihnen und Ihrer würdigen Familie Umständen, ist mir von jeher äußerst wichtig gewesen; nur
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waren die Nachrichten, die ich, als ein in diesen Gegenden völlig fremder, halber Lapländer, bisher davon hatte
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einsammlen können, alle so mangelhaft, so wiedersprechend, in einem so hohen Grade wiedersprechend gewesen, daß
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dieses Bedürfniß meines Herzens auf keine andre Art befriediget werden konnte, als von Ihnen selbst. Wollte
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Gott, ich hätte eher so glücklich seyn können! Werden Sie es einem Kopf, der von hundert nothwendigen, und zehn
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Tausend unwichtigen Dingen gezerrt wird, verzeihen, daß ich mit meinem Dank so spät komme? Und dennoch Keckheit
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genug habe, so viel es möglich, und so weit eine solche Bitte von mir, ohne unbescheiden zu werden, geschehen
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kann, Sie um nähere Aufhellungen einiger Stellen Ihres lezten Briefes anzuflehen? Wer war der Hohepriester, der
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bey dem Schicksal der liebenswürdigsten Person Ihres Geschlechts eine so unliebenswürdige Rolle spielte? Und war
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die Leidenschaft des Andern edel, die, wie ich aus allem ahne, unglückliche Folgen hatte? Ich las alle diese
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Worte, wie die Passionsgeschichte unsers Heilandes. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wie entzückt bin ich über die Familienportraite, die Sie mir aufgestellt haben. Noch oft spaziere ich in
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Gedanken in dieser Gallerie herum, und freue mich über die mannigfaltigen, und doch einartigen Abdrücke des treflichsten
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Vaters, (den ich zwar nur von der Seite seiner Erholungen und Vergnügungen, ich meyne die Briefe über das Mönchswesen,
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kenne, dessen ganzen Werth ich aber, nach Maaßgabe dieser, mit einem angenehmen Schaudern ahne,) und der fühlbarsten,
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weisesten und aller Verehrung würdigsten Mutter. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Könnte ich Ihnen doch alles sagen, was mir auf dem Herzen liegt. So viel müssen Sie wissen, daß Ihre
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Nachrichten mir in einem Augenblicke kamen, wo sie mich fast zu Boden schlugen. Ich wußte nie, daß
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Sie einen Sohn hatten, geschweige einen würdigen Sohn, der bey Wieland im Hause gewesen, und
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also auch ihm manches zu danken hat. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mein Wiederwillen gegen W., schrieb sich bloß aus einigen seiner Schriften her; seine
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Privatverhältnisse habe ich nie gewußt, mich freilich mit großen Unrecht zu wenig darum
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bekümmert. Erst jezt geht mir über viele Stellen in Ihrer unsterblichen Sternheim ein Licht auf, das
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mich in einen wunderbaren Zustand versetzt, den ich Ihnen lieber, vielleicht sehr dunkel und unvollkommen,
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zu ahnen überlassen, als beschreiben will. Auch wären vielleicht noch viel fatalere Sachen erfolgt,
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wenn ich nicht, (ich denke, aus Fügung der Providenz,) noch im kritischen Augenblicke, diese Winke erhalten,
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die mir nun, von Ihnen, um so viel heiliger sind. Nehmen Sie mehr als wörtlichen Dank, würdige Frau! <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich hoffe, daß auch ich Wieland kennen lernen, und mit ihm, zwar zu seinem Vorteil, werde
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ausgesöhnt werden. Indessen hat doch alles das zu manchem gut seyn müssen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Gegenwärtig gehe ich mit einer kleinen Reise nach Deutschland um, die die nach Italien wohl noch
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vorher kreuzen, vielleicht ganz auf eine andre Zeit aussetzen könnte. Ich bin nicht so ganz Dichter
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allein, als Sie wohl glauben werden, und fühle es wenigstens sehr lebhaft, daß zum gut und artig
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seyn, auch nothwendig das <ul>seyn</ul> gehöre. <line type="empty"/>
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</letterText>
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@@ -1725,6 +1725,22 @@
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<isDraft value="false" />
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<letterDesc letter="115">
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<date value="Straßburg, Ende Februar 1776" />
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<sort value="1776-02-25" />
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<letterTradition letter="115">
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Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 56/I,6,1, Bl. 6r–7r; zg. Abschrift
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