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<opus>
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<letterText letter="1">
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<page index="1" /> Hoch Edelgeborner Hochgelahrter Herr <aq>Secretair</aq> <line type="break"
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tab="7" /> Verehrungswürdigster Gönner! <line tab="7" />
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<line type="empty" /> Ew.
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HochEdelgebh: haben mich durch die neue Probe von Dero schätzbaren Gewogenheit ausserorndtlich
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beschämt. Meine Feder ist zu schwach, Denenselben die regen Empfindungen meines Herzens
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darüber zu schildern. Ich weiß Ew. HochEdelgebh: meine Dankbegierde auf keine andere Art an
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den Tag zu legen, als daß ich meine gestrigen Wünsche für Dero Wohlseyn wiederhole, und die
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gütige Vorsicht um die Erhörung derselben anflehe. Der Herr überschütte Dieselben und Dero
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wertes Haus im künftigen Jahr mit tausend Seegen und Heil. Er erhalte Ew. Hoch Edelgebh: bis
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zu den spätesten Zeiten im ersprießlichsten Wohlergehen. Er bewahre Ew. HochEdelgebh: für alle
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widrige Zufälle in den künftigen Jahren, und <page index="2" />lasse mich noch lange das Glück
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genießen, Dieselben in dem blühendsten Wohlstande zu sehen, und mich mit dem erkenntlichsten
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Herzen nennen zu dürfen <line type="empty" /> Hoch Edelgeborner Hochgelahrter Herr <aq>
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Secretair</aq> <line type="break" tab="7" /> Verehrungswürdigster Gönner <line type="break"
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tab="7" /> Ew. Hoch Edelgebh: <line tab="7" />
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<line type="empty" /> gehorsamsten Diener <line
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type="break" tab="7" /> JLandau, den 7. September.
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So wenig Zeit mir auch übrig ist, so muß ich Ihnen doch sagen, daß ich Sie in Landau noch eben so hoch schätze, ebenso liebe, als in Fort-Louis. Unser Marsch war angenehm genug: vor Tage zu Pferde, und vom Mittag, bis in die Nacht gerastet. Ich möchte so durch die Welt reisen. Weißenburg hat mir gefallen, die dortige Schweizergarnison glich den Priestern der Cybele, so erfreute sie die Ankunft eines deutschen Regiments. Landau kann in der That das Schlüsselloch von Frankreich heißen, da es nur zween Thore hat, eins nach vorne, das andere nach hinten. Unsern Ausgang segne Gott, unsern Eingang – – Ich wohne bei einem Herrn Schuch, der ein naher Verwandter vom Herrn Türkheim seyn will. Seine Frau und er spielen mir alle Abende Komödie, wobei mein Herz mehr lacht, als bei allen Farcen des Herrn Montval und Ribou. Er ist ein gutwilliger Schwätzer, gegen seine Frau, ein rechter Adventsesel und auch gegen die Füllen bei ihr. Sie trägt Hosen und Zepter, eine Teintüre von Andacht und koketter Prüderie – in der That, meinen kleinen Plautus hinterdrein gelesen und ich brauche kein Theater. Melden Sie mir doch, was das Ihrige in Straßburg macht und ob dort kein deutsches zu erwarten sei. Beim Herrn Senior, der fast die alleinige Materie des Gesprächs meiner Wirthsleute ist (ausgenommen den gestrigen vortrefflichen Abend, wo wir lauter Haupt- und Staatsaktionen ausmachten) bin ich noch nicht gewesen. Der Bürgermeister Schademann soll schon seit geraumer Zeit todt seyn. Vielleicht erlange ich die Bekanntschaft seines Sohnes, der sehr reich sein soll. Ein Rektor bei der hiesigen Schule, der im Kloster einen Sohn hat, der schon Magister ist (wo mir recht ist, hab ich ihn dort gesehen) soll eine gute Bibliothek haben: da muß ich suchen unterzukommen. Seyen Sie doch so gütig und schreiben mir in Ihrem nächsten Briefe den Namen des Churfürsten von der Pfalz; wie auch den Charakter und die Adresse des Herrn Lamey, ein Name, den ich in Straßburg oft gehört. Sie lachen – wozu das? Nun, nun, es hat nichts zu bedeuten, ein guter Freund hat mich um beide in einem Briefe ersucht. Einen Nachmittagsprediger habe ich hier gehört, der keine Pfeife Toback werth vorgebracht. Ich ging nach Hause und las Spalding, vom Werth der Gefühle im Christentum. Welch ein Kontrast! Dieses Buch müssen Sie auch lesen, mein Sokrates! es macht wenigstens Vergnügen zu finden, daß Andere mit uns nach demselben Punkt visiren. Ich freue mich, daß man in einem Tage von hier nach Straßburg kommen kann, wer weiß wenn ich Sie überrasche. Fahren Sie fort mit Ihrer Gewohnheit für mich. –
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Lenz.
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acob Michael Reinhold Lenz <line tab="7" />
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<line type="empty" />
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Von Hause, d. 2 Jenner, 1765. </letterText>
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<letterText letter="2">
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<page index="1" /> Bester Bruder! <line tab="2" /> Wie kann ich einen Augenblick anstehn, Dir
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bey der freudigsten Begebenheit Deines Lebens ein Bruderherz auszuschütten, das von Seufzern
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und Tränen wallet! Ich preise die Vorsicht mit Dir, die Dir die liebenswürdigste Gattin
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zuführt und unsere Familie in einem Jahre mit sovielem Glück überhäuft, daß wir für gar zu
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großer Freude wie betäubt sind und nichts als jauchzen und stammeln können. So sind denn nun
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Deine Wünsche erfüllt: so schmeckest Du nun zum erstenmal alles Süße, alles Entzückende einer
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Liebe, die keine Angst, kein Kummer, keine Träne verbittert. So belohnt denn die ächte, die
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reine, die wahre Zärtlichkeit endlich einmal ein Herz, das nur für sie geschaffen war und das
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schon von Jugend auf sich heimlich nach einem Gegenstande hat sehnen müssen, dem es sich ganz
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überlassen könnte. 0 gütige Vorsicht! so erhöre denn alle unsere Wünsche, alle unsere Tränen,
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für dies Paar, das du selbst durch wunderbare Wege geknüpft hast. Lebe, liebster Bruder! lebe
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lange, lebe glücklich in den Armen Deiner Cristinchen: seyd ein Muster der schönsten Ehe, ein
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Trost Eurer für Freude weinenden Eltern, eine Freude Eurer Geschwister: jeder Eurer Tage müsse
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mit neuem Entzücken für Euch geschmückt seyn, jedes Eurer Jahre müsse so heiter hinfließen,
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wie ein Bach, der durch Rosen fließt. Nie müsse ein Gram Eure Seele umwölken, nie müsse ein
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Elend euch niederschlagen, da es euch nicht mehr allein, sondern verbunden, von der Hand
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Gottes verbunden, trifft, da eure Zärtlichkeit und eure Küsse euch trösten und selbst im
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Unglück beglücken werden. Eure Liebe sey so feurig, so rein, aber auch so unauslöschlich, wie
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das Feuer der Vesta: sey so dauerhaft, als ein Felsen, auf den das Meer vergeblich loßstürmt:
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eure Liebe lebe mit euch, sie leide mit euch: ihr werdet zwar sterben, aber eure Liebe wird so
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wie eure abgeschiedenen Seelen ewig währen, sie wird um euer Grab wachsen, und so wie eure
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Seelen dereinst wieder mit euren Körpern vereinigt werden; alsdann kann kein Tod sie mehr
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aufhalten, alsdann dauert sie bis in undenkbare Aeonen. <line type="empty" /> Ich seh euch
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schon im Geist, ihr liebenswerthen Beyde, <line tab="5" /> Ihr wandelt Hand in Hand durch
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Tarwasts frohe Flur. <line tab="5" /> Aus euren Mienen lacht nur Freude, <line tab="5" /> Und
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reine Lust und Lieb und Unschuld nur. <line tab="5" /> Euch wird der Lenz sich jetzo schöner
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schmüken, <line tab="5" /> Ihr findt ihn auf der Flur, findt ihn in euren Bliken. <line
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tab="5" /> Euch wird der Bach jetzt mit mehr Anmuth rauschen, <line tab="5" /> Mit froherm
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Ohr werdt ihr aufs Lied der Wälder lauschen, <line tab="5" /> <page index="2" /> Und mit
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entzükterm Blick, werdt ihr von goldnen Höhn, <line tab="5" /> Die Morgensonn zur Erde lächeln
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sehn. <line tab="5" /> Und weht der stürmsche Herbst und tobt der kalte Winter <line tab="5" />
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So wird nur euer Herz und eure Lieb entzündter; <line tab="5" /> Im ländlich stillen Sitz
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werdt ihr, auch ganz allein, <line tab="5" /> Auch unter Schnee und Sturm, euch durch euch
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selbst erfreun: <line tab="5" /> Und wird denn in der Stadt der Tag zu trübe seyn, <line
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tab="5" /> Dringt ihm die Nacht zu früh herein, <line tab="5" /> Wird er des Abends Länge
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scheun: <line tab="5" /> Dann werdet ihr bei sanftem Lampenschein <line tab="5" /> Euch selbst
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Gesellschaft, Lust und Scherz und Frühling seyn. <line tab="5" /> Wird euch ins künftige ein
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neues Glüke lachen, <line tab="5" /> So werdet ihr vereint, es euch noch süßer machen: <line
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tab="5" /> Und naht ein Unglückssturm euch zärtlichen Erschroknen, <line tab="5" /> So wird
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des einen Trän des andern Tränen troknen. <line tab="5" /> Und einst wenn Jahre euch, wie Tage
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hingeflossen, <line tab="5" /> Und ein unschuldig Kind hält eure Knie umschlossen <line
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tab="5" /> Und stammelt seinen Segen euch: <line tab="5" /> Dann ist nicht Ehr und Gold,
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dann ist nicht Thron und Reich <line tab="5" /> Dann ist kein Glük dem euren gleich. <line
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tab="5" /> Dann soll sich eur Geschlecht dem unsrigen begegnen <line tab="5" /> Und unsre
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grauen Eltern seegnen: <line tab="5" /> Dann wollen wir uns freun, wie sich ein Engel freut, <line
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tab="5" /> Voll Wehmut und voll Zärtlichkeit, <line tab="5" /> Voll Wonne und voll
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Dankbarkeit. – <line tab="5" /> Und werden einst … Gedank voll Bitterkeit! <line tab="5" />
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Und werden einst sich eure Augen schließen, <line tab="5" /> (Doch dann erst, Gott! wenn sie
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das Alter halb schon schließt) <line tab="5" /> Dann drükt mit traurigen und doch noch traurig
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süßen, <line tab="5" /> Und euch im Tod noch angenehmen Küssen <line tab="5" /> Euch eure
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Augen zu. – O Bild voll Schmerz! Dann fließt! <line tab="5" /> Ihr Tränen meiner Wang, fließt
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um sie! Dann begießt <line tab="5" /> Ihr mir geliebtes Grab, aus seiner Erde schießt <line
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tab="5" /> Dann eine Ros herfür, die traurig reizend blühet, <line tab="5" /> In der mein
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Aug das Bild von ihrer Ehe siehet. <line tab="5" /> Dann sag ich – – – doch mein Lied, zu
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traurig Lied! halt ein! <line tab="5" /> Sonst muß ich dieses Blatt mit Tränen überstreun. <line
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tab="5" />
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<line type="empty" />
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<note>vertikal am linken Rand</note> Ich umarme Dich und
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küsse Dich 1000mahl als Dein <line type="break" /> allergetreuester Bruder <line type="break" />
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Jacob Michael Reinhold Lenz.<line type="break" /> Dorpat den 11ten October 1767. </letterText>
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<letterText letter="3">
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<page index="1" />
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<align pos="center">Verehrungswürdigste Eltern! </align>
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<line type="empty" />
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<line
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type="empty" />
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<line type="empty" /> Nach einer langsamen und ziemlich beschwerlichen Reise
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sind wir endlich am verwichenen Mittwochen Nachmittags um zwey Uhr glüklich und gesund zu
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Tarvast angekommen. Der Weg ist fast <aq>inpassabel</aq>, und die ersten Tage hatten wir
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ungemein starke Stürme und Regen. Wir wurden von der Wittwe recht artig aufgenommen und
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speiseten den ersten Abend mit dem Lieutenant Krüdner von Arrohoff und seiner Gemahlin, die
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sich Ihnen empfehlen ließen und mit dem Rittmeister Pietsch und der Fräulein Krüdner. Wir
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werden auch noch immer zum vor und nachmittäglichen Kaffee und zur Mahlzeit herein gebethen,
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weil der älteste Bruder mit seiner Wirtschaft noch nicht völlig im Stande ist und wir erst mit
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dem Anfange der künftigen Woche unsre eigne <aq>Menage</aq> <page index="2" />anfangen wollen.
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Die Wittwe ist eine <aq>simple</aq> Frau mit der der Umgang ziemlich langweilig wird: aber die
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Kinder sind rechte Unholde, und ich habe sie noch in meinem Leben so ungezogen nicht gesehen.
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Die jüngere Tochter strich ohne uns zu grüßen mir wie ein Wirbelwind vorbey und nahm ihren Weg
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gerade nach dem Tisch zu, auf den sie mit einem Satz sich heraufschwung und die Älteste machte
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es eben so, nur mit dem Unterschied daß sie bei jedem Schritt eine Art von Kniks machte, wie
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ihn ihr die Natur gelehrt hatte. Bey Tisch schreyt alles so untereinander, daß wir stumm seyn
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müssen, weil wir unser Wort nicht hören können. Der Bruder läßt sich recht sehr entschuldigen,
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daß er nicht mitgeschrieben: er ist von Morgen bis Abend zu mit Arbeiten und Bräutigammen und
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Lehrlingen überhäufft, überdem auch mit seiner Wirthschaft beschäftigt, mit der es noch nicht
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in<page index="3" /> den Gang kommen will, weil die alte Jungfer noch immer Rasttage hält und
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überhaupt ein bisgen unlustig ist, weil sie, wie sie sagt und sich einbildt, unter lauter
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Feinden hier leben muß. Er befindet sich aber sonst nach der Reise, so wie auch ich und die
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Jungfer, Gottlob recht gesund und läßt Sie, das junge Paar und alle Geschwister aufs
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ehrerbietigste und zärtlichste grüßen. Ich bitte gleichfalls den Neuverbundnen und allen
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Geschwistern meinen zärtlichsten Gruß zu vermelden und küsse Ihnen die Hand als <line
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type="empty" /> Meiner verehrungswürdigsten Eltern <line type="empty" />
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<line type="empty" />
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gehorsamster Sohn <line type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz Tarwast den 9ten November
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1767. <note>am linken Rand, vertikal</note> Der Frau Obristin und ihrem würdigsten Hause, wie
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auch dem Herrn Pastor Oldekopp bitte unser beyder gehorsamste Empfehlung zu machen und
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letzterem zu seinem Namenstage zu gratuliren. Ich werde meine Kur erst mit der künftigen Woche
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anfangen und mache mir deswegen in der jetzigen bisweilen eine <aq>Motion</aq>, mit Reiten und
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Spazierengehen. Auf den Sonntag wird der Bruder teutsch predigen. <page index="4" />
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<note>
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Adresse</note> Dorpat. <line type="empty" />
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<line type="empty" />
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<line type="empty" />
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<aq>A
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Monsieur Monsieur <ul>Lenz</ul> Prevot ecclisiastique et Ministre du St. Evangile a l’eglise
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de St. Jean </aq>
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</letterText>
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<letterText letter="4">
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<page index="1" />
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<align pos="center">Verehrungswürdigster Herr Papa!</align>
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<line
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type="empty" />
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<line
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type="empty" />
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<line type="empty" /> Ich weiß nicht, ob der Bruder bey seinen
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Amtsgeschäften, Catechisiren etc. Zeit haben wird, an Sie zu schreiben: ich nehme mir also die
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Freyheit, Ihnen abermals von dem was uns angeht, gehorsamst Nachricht zu geben. Der Bruder ist
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wie gesagt, sehr beschäftigt, befindet sich aber bey seinen Arbeiten noch immer Gottlob! recht
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gesund und vergnügt. Auch mir bekommt meine Kur recht gut und außer der kleinen
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Unbequemlichkeit, die mir der <aq>Diät</aq>, das Warmhalten, das Laxieren u. dgl. <page
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||
index="2" />machen, bin ich hier so vergnügt, wie man es in der Einsamkeit sein kann. Ich
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lese, oder schreibe, oder studire, oder tapeziere oder purgiere, nachdem es die Noth erfodert.
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||
Uebrigens hoffen und wünschen wir beyde von ganzem Herzen, daß dieser Brief sowohl Sie, als
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meine hochzuehrende Frau Mamma recht gesund, vergnügt und zufrieden antreffen möge. <line
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tab="1" /> Doch! eine Bitte, gütigster Herr Papa! zu der mich die Noth und Dero väterliche
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Gewogenheit berechtigen. Ich habe bey der neulichen Herreise empfunden, wie wenig ein bloßer
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||
Roquelor bey Reisen in kühler und windiger Witterung vorschlage. Ich kann mir also leicht
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vorstellen, wie es anziehen muß, wenn man im Winter im bloßen Mantelrock reiset. Ich weiß
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wirklich nicht, wie ich einmal nach Derpt zurückkommen oder falls des Bruders Hochzeit im
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Janauar seyn sollte, zu der er mit seiner Equipage mich mitnehmen will, wie ich die Reise
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dorthin werde thun können. Ueberdem ist mir ein Pelz allezeit nöthig: ich nehme mir also die
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Freyheit, Sie ganz gehorsamst zu bitten, ob sie mir nicht könnten für 3 Rubel das Futter dazu,
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nämlich einen Sak <insertion>schwarzen</insertion> Schmaßchen aus den Russischen Buden
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ausnehmen lassen. Das Oberzeug darf nur Etemin seyn: und da Sie in dieser Zeit sich <page
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index="3" />ohnedem ausgegeben haben, <insertion>so</insertion> daß ich mich billig gescheut
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haben würde, mir von Denenseiben was gehorsamst auszubitten, wenn mich nicht die Noth zwänge:
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so könnte es ja solange in Peukers Bude auf Conto gesetzt werden, bis es Ihnen weniger
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beschwerlich fiele, das Geld dafür zu bezahlen. Ich überlasse dies übrigens ganz Ihrer eigenen
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gütigen Disposition und werde mich auch alsdenn zufrieden geben, wenn die Umstände es für
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diesmal nicht erlauben sollten. <line tab="1" /> Uebrigens küsse ich Ihnen und meiner besten
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Mamma ganz gehorsamst die Hand und bin nach 1000 Grüßen an allen meine Geschwister und nach
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gehorsamen Empfehl an die Frau Obristin Albedille nebst Ihrem ganzen würdigsten Hause, an den
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||
Herrn Pastor Oldekopp und alle übrige Gönner und Freunde <align pos="right">Meines
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verehrungswürdigsten Herrn Papas</align>
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<line type="empty" />
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||
<line type="empty" />
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||
<align
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pos="right">gehorsamster Sohn <line type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz. </align>
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||
Tarwasts Pastorath den 24ten November 1767 <page
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index="4" /> P. S. Der Bruder läßt sich nochmals gehorsamst entschuldigen, daß er diesmal
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nicht mit geschrieben. Er hat gestern den ganzen Tag mit Brautsleuten und Lehrlingen zu thun
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gehabt, gestern abend um 12 Uhr in aller möglichen Eile noch nach Reval geschrieben, welchen
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Brief er gehorsamst zu bestellen bittet und ist heut früh schon bey dem scharfen Frost den wir
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seit einiger Zeit gehabt haben und bey dem Schnee und Sturm der verwichenen Nacht,
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catechisiren mit Schlitten gefahren. Er läßt unterdessen Ihnen und seiner würdigsten Frau Mama
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||
seinen kindlichen Handkuß und allen seinen Geschwistern besonders dem jungen Paar, wie auch
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allen guten Freunden seinen zärtlichsten Gruß versichern. <line tab="1" />
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||
<note>Friedrich
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David Lenz’ Hand</note>
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<hand ref="3">P. S. Theurester Papa. Diesen Augenblick komme von der
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Catechesation. Von 8 Uhr heute Morgen bis 4 Uhr Nachmittag habe ich in der Kälte zugebracht,
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||
und bin vom Frost und Ungestüm so durchgenommen, daß ich kaum die Fingern rühren kann. Ich bin
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||
sonst Gottlob gesund, und werde mich innigst freuen, wenn Sie und meine geliebteste Frau Mama
|
||
es auch sind. Sie haben doch meiner gehorsamsten Bitte gemäß schon nach Reval an meine
|
||
Schwieger-Eltern geschrieben, und für mich eine Vorbitte in puncto der Hochzeit im Januario
|
||
eingelegt? 100000 Grüße und Küße an <insertion>Sie beyde verehrungswürdigten</insertion> alle
|
||
Geschwister Freunde und Gönner von Ihrem gehorsamsten Sohn. F. D. Lenz. Mit steifen Fingern </hand>
|
||
</letterText>
|
||
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||
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||
<letterText letter="5">
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||
<page index="1" />
|
||
<align pos="center">Mein liebstes junges Paar!</align>
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||
<line type="empty" />
|
||
<line
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||
type="empty" />
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||
<line type="empty" /> Wie sind Sie angekommen? Wieviel Glieder und Sinne
|
||
haben Sie noch übrig? (denn Ihren Leuten wird wohl Verstand und alle Sinne erfroren seyn). Wie
|
||
haben Sies zu Wasser und zu Lande gehabt? Sind Sie auch geirret? Und wie haben Sie alles zu
|
||
Hause gefunden? Wie lassen sich die Schwedischen Reichsräthe an? Und wie gefällt Ihnen, meine
|
||
liebe junge Frau, das einsame Tarwast? <line tab="1" /> Zum andern befinden wir uns alle so,
|
||
wie Sie uns gelassen haben. Papa ist Papa, und Mamma ist Mamma, und Moritz und seine Frau und
|
||
alle übrige sind gesund und vergnügt, und ich, ich sey Jakob. <line tab="1" /> Zum dritten,
|
||
vierten und zehnten habe ich auch die Ehre zum Geburstag zu gratuliren und zu wünschen <aq>
|
||
mmmmmmm</aq> und wieder der Herr <aq>mmmmm</aq> und wieder der Heiland <aq>mmmmm</aq> und
|
||
wieder sitzo. <note>am linken Rand, vertikal</note> Mamma bittet den Sak zurück in welchem
|
||
Dein Junge Salz mitgenommen hat. Sie grüßet Sohn und Tochter aufs zärtlichste und bittet sehr
|
||
um angeführten Sak. <page index="2" /> Oder besser: ich wünsche auch, daß Sie möchten zu einer
|
||
glüklichen Stunde geboren seyn ….. und nicht nur dieses sondern viele folgende zu erleben und
|
||
mit Gesundheit zu verzehren. <line tab="1" /> Oder dito feiner: Wünsche auch, daß der
|
||
barmherziger Gott verleihen wolle einen kräftigen Geist des <aq>Danielis</aq> und wenn es
|
||
sollte dermaleinst zum Jahre des Nestors kommen, dieselben; Sie gehen nimmer aus meinem
|
||
Gemüthe weg. Anbey wünsche auch daß in künftiger Zeit benebenst guter Gesundheit dermaleinst
|
||
mancher kleiner Herr Söhnlein um die Eltern wimmeln mag, benebst den Oelpflänzlein um dero
|
||
Tisch, sie grünen und blühen. Abkürze hier meine Gratulation, dieweile der drange Raum mich
|
||
verweigert, hierüber weiter herauszulassen. <line tab="1" /> Ernsthaft zu reden so ist es
|
||
Schade, daß wir an diesem Tage nicht hier zusammen vergnügt sein konnten. Doch ich bin jetzt
|
||
im Geist auf Tarwast und schwatze Ihnen was vor, dann werde ich ganz ernsthaft und wünsche
|
||
Ihnen beyden so viele und so angenehme Geburtstage, als Sie sich selbst wünschen, und soviel
|
||
Vergnügen, als Ihnen die ersten Umarmungen in Reval gaben, an dem heutigen Tage. Es sey euch
|
||
dieser Tag an tausend Zärtlichkeiten<line tab="5" /> An tausend sanften Freuden reich.<line
|
||
tab="5" />
|
||
<page index="3" /> Mit Küssen grüßet ihn: spielt ihm auf sanften Sayten<line
|
||
tab="5" /> Ein zärtlich Lied und unter Zärtlichkeiten<line tab="5" /> Verfließ er euch!<line
|
||
tab="5" /> Dies ist der Tag, müß jetzt Ihr Fritzchen sagen,<line tab="5" /> Der Dich mir
|
||
gab, mein Leben, meine Lust.<line tab="5" /> Für mich hat unter ihrer Brust<line tab="5" />
|
||
Die beste Mutter Dich getragen.<line tab="5" /> Für mich hat Deinen ersten Tagen<line tab="5" />
|
||
Gott jene teure Pflegerin geschenkt<line tab="5" /> Die zärtlicher, als hundert Mütter denkt<line
|
||
tab="5" /> Und deren Abschied noch Dich kränkt.<line tab="5" /> Für mich wuchs Deine holde
|
||
Jugend<line tab="5" /> Wie Frühlingsrosen auf: und Zärtlichkeit und Tugend<line tab="5" />
|
||
Keimt’ damals schon für mich in Deiner Brust empor.<line tab="5" />
|
||
<line type="empty" /> Dann
|
||
müß auch sie mit sanften Küssen sagen:<line tab="5" /> Geliebter, ja, ich bin nur da für Dich.<line
|
||
tab="5" /> Für Dich fing dies Herz an zu schlagen<line tab="5" /> Und ewig schlägt es nur
|
||
für Dich.<line tab="5" />
|
||
<line type="empty" /> So sey euch dieser Tag an unschuldsvollen
|
||
Freuden,<line
|
||
tab="5" /> So sey er euch an Liebe reich.<line tab="5" /> Wie mancher Hagstolz muß euch eure
|
||
Lust beneiden,<line tab="5" /> Wie manches Ehepaar wünscht heimlich eure Freuden!<line tab="5" />
|
||
Werd ich einst auch ein Mann, will ich euch nicht beneiden:<line tab="5" /> Allein zum Muster
|
||
nehm ich euch.<line tab="5" />
|
||
<page index="4" /> Neuigkeiten! <aq>Madem. Smoljan</aq> und die
|
||
Majorin Graß sind weggereist. Die Oldekoppin ist recht böse auf Dich, lieber Bruder, und auf
|
||
Deine junge Frau, daß ihr nicht bey ihr gewesen seyd. – <line tab="1" /> Papa und Mama, die
|
||
sich Gottlob! noch erträglich befinden, Moritz und seine Frau, die vielleicht selbst auch
|
||
schreiben werden, Lieschen, Christian und die kleinen Geschwister, alle Freunde besonders die
|
||
Frau Obristin und die Fräuleins grüßen und küssen 1000mal Fräu- und Männlein. Auch wird die
|
||
alte Jungfer begrüßt. Leben Sie gesund und vergnügt mein liebstes Paar! und behalten Sie immer
|
||
lieb <line type="empty" />
|
||
<note>Albedylls Hand</note>
|
||
<hand ref="7">Ihres Herrn Bruders seine
|
||
grüsse von mich sind zu kalt, hier folgen die zärtlichsten die aufrichtigsten die feurigsten
|
||
von mich und meiner Tochter, von meiner eigenen Hand. <ul>
|
||
<aq>Albedyll</aq>
|
||
</ul></hand>
|
||
<line type="empty" /> zärtlichsten Bruder <line
|
||
type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz<line type="break" /> Am Geburtstage 1768. <line
|
||
type="break" /> P.S. Wenn Du, liebster Bruder! einige <aq>Exemplare</aq> von <insertion>
|
||
den</insertion> hochzeitlichen Gedichten hast, so schicke sie mir doch, ich habe kein
|
||
einziges. Onkel Kellner vergaß auch uns welche mitzugeben. Die <aq>Capit. Sege</aq> und die
|
||
Lieutnantin Brandt von Fetenhof und die Majorin Toll von Wissus haben junge Söhne. Die alte
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Oldenkoppin ist ziemlich krank. Heut hat H. Rektor für Reichenberg gepredigt. <aq>Adieu!</aq>
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Dieses am Sonntage. </letterText>
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<letterText letter="6">
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<page index="1" /> Königsberg 1769. Octbr 14. <align pos="center">Gütigster Herr Papa.</align>
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<line
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type="empty" /> Um den Brief nicht überflüssig groß und dick zu machen, muß ich mich
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begnügen, nur gegenwärtigen kleinen Zettel in denselben an Sie einzuschließen. Christian wird
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vermutlich in seinem Schreiben weitläuftiger <del>zu</del> seyn und ich habe also nur noch
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einige kleine Supplemente zu meinem vorigen Briefe zu geben. So sehr ich Ihnen für die gütige
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Besorgung eines Theils meines jährlichen <aq>Fixi</aq> verbunden bin, so sehr sehe ich mich
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genöthigt, Sie nochmals gehorsamst um die so viel möglich baldige Beförderung dessen, was Ihre
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Gütigkeit zu unserer Kleidung bestimmt hat, zu bitten. <aq>Pranumeration</aq> ist nothwendig,
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wenn ein Student gut wirthschaften will und also ist ihm im Anfange des Jahrs immer Geld
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unentbehrlich. Noch einige Ausgaben habe Ihnen schon vorhin specificiren wollen, für die ich
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gleichfalls von Ihrer Gewogenheit einigen Ersatz hoffe, wenn es Ihre Umstände zulassen. Der
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Band einiger <aq>Exemplare</aq> meiner Landplagen, insonderheit der letzte, der nach Petersb.
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bestimmt und den ich schon dem Herrn v. Schulmann an Sie mitgegeben: kostet mir wenigstens bis
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2 Dukaten. Hernach haben alle Landsleute zum Begräbnis des seel. Herrn Langhammers was
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beitragen müssen: weil seine Mutter eine Wittwe ist, die sich selbst nicht ernähren kann, und
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derjenige, der ihn studiren lassen, nicht einmal so viel, als zu den Ausgaben, an Doctor etc.
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in seiner Krankheit erfordert worden, überschickt<page index="2" /> hat. Dieser Beytrag war
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bis über 4 Thlr. – Wenn Sie von dem Obristen Bok was gehört haben, so seyn Sie so gütig, es
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mir bey Gelegenheit zu melden. – Neulich haben wir einen gewissen Bar. Cloth, Ihren gewesenen
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Eingepfarrten, 2 Bar. v. Baranow und den jungen H. D. Stegemann, der vielleicht schon jetzt in
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Dorpat angekommen seyn, allhier gesprochen. – Der Catalogus lectionum ist zwar jetzt heraus,
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allein ich fürchte er würde den Brief zu sehr anschwellen, wenn ich ihn hier beylegte. Ich
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werde dieses halbe Jahr, außer den philosophischen und andern Collegiis von theologicis das
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Theticum bey D. Lilienthal und ein Exegeticum über die Ep. Pauli an die Römer bey D. Reccard
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hören. Die andern theologischen Collegia bedeuten in diesem halben Jahr nicht viel. Ueberhaupt
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wenn man nebst einigen wenigen Professoren die Magister von Königsberg nähme, würde die
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Akademie wenig oder gar nichts werth seyn. Nächstens werde ich weitläuftiger sein. Vergeben
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Sie unser öfteres unverschämtes Geilen nach Geld: die Noth lehrt hier beten und betteln. Gegen
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den Winter kommen viel neue Ausgaben. Holz: ein neuer Schlafrock, Tisch – – – Grüßen Sie doch
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alle Verwandte und Freunde, besond. aber meine theureste Frau Mama 100000mal von Ihrem <line
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type="empty" /> gehorsamsten Sohn<line type="break" /> J.M. R. Lenz. <note>auf der ersten
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Seite am rechten oberen Rand</note> P. S: Wenn Sie an den Tarwastschen Bruder schreiben, so
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sagen Sie ihm doch, daß ich recht sehr begierig bin, einmal einen Brief von ihm zu sehen. </letterText>
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<letterText letter="7">
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<page index="1" /> I. <aq>Ni Deus fere miraculum fecisset, hae pecuniae non confluxissent.</aq>
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1) Ursachen, Wenigkeit der <aq>Communicanten</aq>: armselige Beschaffenheit, die größten
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Ausgeblieben, kein Rathsherr, keiner von den Aeltesten-Leuthen; <aq>excepto</aq> P.ker und
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Teller – das wenige Gesammelte zu Bezalung der Handwerker im Auditorium, die schon lange zu
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Halse gegangen. – – 2) Art u. Weise, wie sie zusammen geflossen. <aq>Fick</aq> 20 Rbl. –
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Treuer 20 Rbl. – Stryck 10 Rbl. – Raths-Stipend. – 20 Rbl. – – 3) <aq>Distributio.</aq> a) <aq>Jacob
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Fick</aq> – 10 Rbl.– Raths–<aq>Stip.</aq>– 10 Rbl. – S. 20 Rbl. b) <aq>Christian Fick</aq> –
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10. <aq>Treuer</aq> – 20. <aq>Stryck</aq> – 10. Raths-<aq>Stip.</aq> 10 – S. 50 Rbl <line
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tab="1" />II. Hiermit aber sind auch nun die vorigen Quellen verschlossen. Jacob hat Boks u.
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der <aq>Baronne Wolf Stipendia</aq> weg – <aq>Fick</aq> sagte 50 Rbl. habe er destinirt, 30
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Rbl. hätte er vorher gegeben, nun die letzten 20. – <aq>Treuer</aq> ein vor alle mal – das
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Raths-<aq>Stipendium</aq> für dich geschlossen, tritt nun So .. <aq>jun.</aq> an. – <aq>Stryck</aq>
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auch aufs letzte Jahr. – Auf mich gar keine Rechnung zu machen. Denn da meine Erntezeit nichts
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getragen u. ich also fast in allgemeinen Schulden sitzen bleibe, so ist auf die übrigen Teile
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des Jahres wenig zu rechnen: u. es wird e. Wunder-Gnade Gottes seyn, wenn noch so viel
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zusammen soll, als bis Michaelis nöthig ist. <page index="2" />
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<line tab="1" /> III. <aq>
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Porismata</aq> hieraus, daß sie 1) durchaus nicht länger als bis gegen Michaelis sich ihren <aq>Terminum
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Academicum</aq> setzen, denn es wird ohnehin schwehr genug seyn, sie noch so hinge zu
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unterstützen 2) sich nicht in Schulden einfressen, sonst sich so vest fressen, da ich sie
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unmöglich würde lösen können u. da wären sie ganz verloren, denn ich könnte nicht, wenn sie
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auch ins <aq>Carcer</aq> kämen 3) daß sie mittlerweile sehr fleissig seyn pp. <line tab="1" />
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IV. Nachricht, so ich gehöret, daß Prof. Cant ihn nach Rehbinder in Danzig <aq>recommendiret</aq>
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. <line tab="1" /> 1) Vorläufige Bestrafung, daß er nicht mit mir solche Sachen <aq>
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communicire</aq>, böses Gewissen: Ich würde ihm Väterl. und aus reifer Ueberlegung und
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Erfahrung rathen: Aber damit wäre ihm vielleicht nicht gedient, sondern Rath d. Jungen, die
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auch noch flüchtig denken u. sich durch den anfängl. Falschen Schein, Dunst u. Glast blenden
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lassen.– Er mache es wie Rehabeam p.– Vielleicht unsere Väter – und mütterliche Zärtlichkeit
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würde es nicht zulassen, ob es gleich dein Bestes wäre: Aber a) <aq>Si Supponis</aq> so viel
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väter- u. mütterl. Zärtlichkeit; <aq>male</aq>, daß du nicht eben so viel kindl. Zärtlichkeit
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hast, u. deine Eltern dadurch erfreuen wilst, daß du in deinem Vaterlande Gott und deinen
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Nächsten, ihnen zur Ehre und Freude nützl. seyn wilst – Zeigt wenig <aq>patriotismus</aq> an.
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– Ist doch auch wol e. Tugend – <aq>Exempl.</aq> <page index="3" />Griechen, Römer. Was haben
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wir, was alle Freunde, was alle deine hiesigen Compatrioten, bey denen du das beste Vorurth.
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erweckt hast, von allen ihren Erwartungen. b) Aber wenn es dein wahrer Vorteil wäre; abnegarem
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Alle mein eignes und der Meinigen Vergnügen p. So affenliebisch bin ich nicht pp. Allein <aq>
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Suppono</aq>, daß d. <aq>H. Resident</aq>, als <aq>Resident</aq> (denn das bringt diese s. <aq>
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Charge</aq> schon mit sich) in Danzig bliebe. Was wilst du dann bey ihm machen? – Erst
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Hofmeister, – das hier auch, – dann <aq>Secretair</aq>. Ein schlechter wol nicht, damit er
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dich abdanken könne. – Nein e. gut., folgl. e. ewiger <aq>Secretair</aq>, so wie dein
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Mutterbruder <aq>Neoknapp</aq>, e. ewiger freier Unterthan s. Hauses, der nie s. eignes
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anfangen, nie heiraten, nie selbst e. Wirtschaft fuhren kann, immer die Füsse unter e. fremden
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Tisch stecken muß. Taugst du nichts u. must ihn verlassen, so jägt er dich ohne <aq>
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Recommendation</aq> weg. – Taugst du was, u. hat er dich lieb, so wird er aus Eigennutz dich
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in s. Hause ewig festhalten wollen, u. ich weiß nicht, zu welchen <aq>emplois</aq> er dir in
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Danzig helfen könnte, da es doch dort wol von geschickten Landes Leuten krimmelt u. wimmelt,
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die nothwendig vor fremden den Vorzug haben. – Vielleicht rechnest du darauf, daß er dich dort
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in e. gute Pfarre helfen solle. In was für eine Etwa in e. Stadtpfarre in Danzig selbst? Nein
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dazu nehmen die Herren Danziger wahrhaftig <aq>praejudicio</aq> keinen blossen und noch dazu
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fremden Candidaten, wenn er auch Apoll selbst wäre, auch nicht jeden geschickten wahren
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Prediger einmal, sondern verschrieben sich immer große <aq>Professores</aq> und <aq>Doctores
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Theologiae</aq> von fremden Academien, wie so z.E. <aq>D.</aq> Kraft a.d. großen Pfarrkirche;
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und D. Bertling aus Helmstädt dahin kamen. Nun wo dann hin? Aufs Land, aufs Dorf. 1) kannst du
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das hier auch u. viel besser haben: denn wir haben hier 10mal bessere Land-Pastorate, als die
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dortigen Dorf-Pfarren sind, wo die armen Prediger fast das Hungerbrod fressen. 2) ist nichts
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Verachteteres, als e. dasiger Dorf-Pfaffe. <aq>In urbibus pastores magis honorantur,<page
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index="4" /> quam hic. At in pagis quoque centies magis spernuntur, quam hic.</aq> – Es
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ist überhaupt die Frage, ob d. <aq>H. Resident</aq> dich dort zu e. geistl. od. weltl. Amt
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befördern könne, oder wolle: (1) ob er könne! Denn warum solten sie sich <aq>Subjecta</aq> von
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e. fremden Herrn vorschlagen lassen, da es ihnen weder an eignen <aq>consiliariis</aq> noch <aq>
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Subjectis</aq> zu Aemtern fehlet b) ob er wolle! Denn gefällst du ihm, so wird er kein Thor
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seyn, sich auf die Art von dir zu trennen u. sich selbst deiner guten Dienste zu berauben.
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Gesetzt du wollest da nicht länger bey ihm bleiben; wo dann hin! da du dort fremd u. unbekannt
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bist: hier aber (da dein Vat. überall und du auch schon zieml. weit und breit bekannt ist) dir
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das ganze Land offen steht. <aq>Ergo plane dissuadeo ut amicus, at si non vis,</aq> befehle
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ichs dir als Vater, daß du dies Project fahren lassest u. mit deinem Bruder hereinkommst. <line
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tab="1" /> V. Anderwärtiger Vorschlag, den ich ihm gebe. D. H. Obrister Bok bey mir, hat e.
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Schwester in Lettland, <aq>nomen nescio</aq> hat noch klein. Kind., fordert nur den ersten
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Unterricht in Bstabiren, Lesen, Schreiben, Rechnen u. sonderl. im französischen, <aq>offerirt</aq>
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selbst nicht das <aq>Salarium</aq>: du solst es fixiren. Ich meine im ersten Jahre, da dte
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Kind. klein 150 rthl. Alb. (weil dort im lettischen Alberts-Tahler) so nach Rubeln doch zum
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allerwenigsten 180 Rbl. ausmachen, und dabey 20 Rthl. zu freyem <aq>Thee</aq> und Zucker. – Im
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anderm Jahre wenn du bleiben wilst und kanst, aber 200 rthl. Alb. welches zum allerwenigsten
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240 Rbl. ausmachet, u. abermal 20 rthl. Thée und Zucker. Ich wil auch suchen das Reisegeld für
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dich mit zu verdingen, weil ich sorge, ich möchte es kaum aufbringen können. Wilst du dies, so
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wil ich an Bok schreiben. Denn er wartet sehnl. auf Antwort u. bittet sehr darum. Wer weiß, wo
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dieser Gönner auch wegen s. grossen Bekanntschaft mit den Größten des Hofes u. Einfluß bey d.
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Majestät selbst dir hier noch beförderl. seyn könnte? Antworte bald. – Das <aq>Salarium</aq>
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däucht mir <aq>convenable</aq>. Man<page index="5" /> darf den Bogen nicht zu hoch spannen,
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weil er dir in d. Noth geholfen p. Du hast Freiheit, kanst bleiben u. auch gehen, wenn dir die <aq>
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condition</aq> nicht länger ansteht. <line tab="1" /> VI. Der Mamma Zustand: Marter von Viel.
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1000 Plagen, schlechtes OsterFest. – Meine Gesundheit auch schlecht. Kopfschmerzen vom Dunst. <line
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tab="1" /> VII. Meine neue Verfolgung, wegen 1) d. Ober-Consistorial-Schrift 2) des
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Kirchenbuches. <line tab="1" /> VIII. Erbärml. Zustand d. <aq>Sczibalski</aq> auf Rüggen. Sie
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||
werden wol nicht mehr sehen. <aq>Extract</aq> aus den beyden letzten <aq>Sczibalskischen</aq>
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Briefen. – Unsere vielen Tränen. <line tab="1" /> IX. Lieschen 3 Tage schon krank. –
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Ueberhaupt dort viel Patienten, desgleichen in Lemsal von den <aq>Recruten</aq>. <line tab="1" />
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X. Gestorben: 1) General Di..t.. ..: Schreckl. Krankheits-Umstände seel. Tod. Grots
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Leichen-Predigt 2) Landrath <aq>Igelstrohm</aq> 3) <aq>Axel</aq> Bruiningk 4) d. <aq>Candid.</aq>
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Hoffmann, d. euch auf dem Claviere informirte, in Lemsal 5) d. junge Reichenberg. – <aq>Ejus
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ultima</aq> – Vorm Jahrd. junge Helm. <line tab="1" /> XI. Neuer General-<aq>Superint.</aq>
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Sein guter Character. Nicht ein solcher Pedant. – Neuer Grund einzukommen. <line tab="1" />
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XII. <aq>Copulandi</aq> Inspect. Petersen mit e. Jungfer Rosenthal. <line tab="1" /> XIII.
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Frage, obs wahr, daß die Preußen in Curland eingerückt sind? – Ob sie <aq>communiciret</aq>
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haben u. wann? <line tab="1" /> XIV. Schluß-Ermahnung. 3 Stangen fein. schwarzen Lak. Zu 40
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||
Trauer-Briefen Pappier mit schwarzen Ränd. 2 Buch Pappusch Pappier von No. 1. </letterText>
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<letterText letter="8"> Theurester Freund! <line tab="1" />Sie werden mir ein kleines
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Stillschweigen zu gut halten, das auf eine Abreise ohne Abschied seltsam genug aussieht. Die
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gegenwärtige Lage meiner Seele wird mich entschuldigen. Sie kriecht zusammen, wie ein Insekt,
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das von einem plötzlichen kalten Winde berührt worden. Vielleicht sammelt sie neue Kräfte,
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oder vielleicht ist dieser Zustand gar Melancholey. Sey es was es wolle, ich befinde mich eben
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||
nicht unglücklich dabey, es ist kein Schmerz den ich fühle, sondern bloß Ernst und obschon
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dieser den Jüngling nicht so sehr ziemet als den Mann, so denk ich, ist er auch für jenen
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unter gewissen Umständen vortheilhaft. Geben Sie mir doch Nachricht von Ihrem Befinden, ändern
|
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Sie Ihr sonst so gütiges Zutrauen gegen mich nicht. Meine Umstände können meine Oberfläche
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zwar ändern, aber der Grund meines Herzens bleibt. – Ich beschäftige mich gegenwärtig
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vorzüglich mit Winkelmanns Geschichte der Kunst, und finde bei ihm Genugtuung. O daß dieser
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Mann noch lebte! Schaffen Sie sich sein Werk an, wenn Sie einmal auf Verschönerung Ihrer
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Bibliothek denken. Wenn seine Sphäre nur nicht von der Art wäre, daß er sich durch einen
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großen Nebel von Gelehrsamkeit in derselben herumdrehen muß, der den gesetzten und edlen Flug
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seines Geistes merklich niederschlägt. In der Jurisprudenz habe ich nur noch eine kleine Saite
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in meiner Seele aufgezogen, und die gibt einen verhenkert leisen Thon. Der waltende Himmel mag
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wissen, in was für eine Form er mich zuletzt noch gießt und was für Münze er auf mich prägt.
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Der Mensch ist mit freien Händen und Füssen dennoch nur ein tändelndes Kind, wenn er von dem
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großen Werkmeister, der die Weltuhr in seiner Hand hat, nicht auf ein Plätzchen eingestellt
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wird, wo er ein paar Räder neben sich in Bewegung setzen kann. – Ist Ihre Abhandlung schon
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vorgelesen? Und wie haben sich <aq>Ott</aq> und <aq>Haffner</aq> das letztemahl gehalten; ich
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zähle auf Ihr Urtheil davon. <line tab="1" />Ihre weisen Rathschläge über einen gewissen
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Artikel meines Herzens, fang ich an mit Ernst in Ausübung zu setzen: allein eine Wunde heilt
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allemahl langsamer, als sie geschlagen wird. Und wenn ich die Leidenschaft überwände, wird
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doch der stille Wunsch ewig nicht aus meinem Herzen gereutet werden, mein Glück, wenn ich
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irgend eines auf dieser kleinen Kugel erwarten kann, mit einer Persohn zu teilen, die es mir
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allein wird reitzend und wünschenswerth machen können. Ich habe heut einen dummen Kopf, aber
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ein gutes und geruhiges Herz: aus der Fülle dieses Herzens will ich Ihnen sagen, daß ich bin
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Ihr <line type="break" /> unaufhörlich ergebenster Freund <line type="break" /> J. M. R. Lenz. <line
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type="empty" />
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<note>Am Rand</note> Von Herrn von Kleist ein ganz ergebenstes Compliment.
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Wollen Sie so gütig seyn, mich Ihrer Tischgesellschaft zu empfehlen, vorzüglich Herrn <aq>
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Leibhold</aq> und <aq>Hepp</aq>. <line type="empty" />
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<note>Nachschrift</note> Ich sehe daß
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mein guter Ott mich nicht versteht und durchaus glaubt, wenn ich nicht lustig bin, müsse ich
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unglücklich seyn. Benehmen Sie ihm doch dieses schlechte Zutraun zu mir, welches mich in der
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That schamroth machen muß. Der Himmel ist noch nie so strenge gegen mich gewesen, mir größeren
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Kummer aufzulegen, als wozu er mir Schultern gegeben, und wenn ich jetzt die feige Memme
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machte, der Ungedult und Thorheit über die Backen liefen, so verdient ich in Essig eingemacht
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zu werden, damit ich nicht in <aq>putredinem</aq> überginge. Ich fürchte, weil ich an ihn
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jetzt nicht mehr mit lachendem Munde schreiben kann, sein gar zu gutes und empfindliches Herz
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wird glauben, ich sey niedergeschlagen und ich bin es doch niemals weniger gewesen als itzt. <line
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tab="1" />Neulich als ich einige Stunden einsam unter einem Baum gelesen, sah ich
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unvermuthet eine erschreckliche Schlange ganzgeruhig zwei Zoll weit neben mir liegen. Ich flog
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schneller als ein Blitz davon, und dachte es muß doch noch nicht Zeit für dich sein – Diese
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Anekdote schreibe ich meinen Freunden nur darum, damit sie sich in Acht nehmen, unter einem
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Baum auszuruhen – denn sonst denk ich interessirt sie niemanden als mich. <line tab="1" />Ich
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schick Ihnen zur Ausfüllung einer vegetirenden Stunde nach dem Essen, eine kleine Romanze, die
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ich in einer eben so leeren Stunde gemacht habe. <line type="empty" />
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<align pos="center">Piramus
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und Thisbe.</align>
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<line tab="4" />Der junge Piramus in Babel <line tab="4" />Hat in der Wand <line
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tab="4" />Sich nach und nach mit einer heissen Gabel <line tab="4" />Ein Loch gebrannt. <line
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type="empty" />
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<line tab="4" />Hart an der Wand, da schlief sein Liebchen, <line tab="4" />Die
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Thisbe hieß, <line tab="4" />Und ihr Papa auf ihrem Stübchen <line tab="4" />Verderben ließ. <line
|
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type="empty" />
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<line tab="4" />Die Liebe geht so, wie Gespenster, <line tab="4" />Durch Holz
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und Stein. <line tab="4" />Sie machten sich ein kleines Fenster <line tab="4" />Für ihre Pein. <line
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type="empty" />
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<line tab="4" />Da hieß es: liebst du mich? da schallte: <line tab="4" />Wie
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lieb ich dich! <line tab="4" />Sie küßten Stundenlang die Spalte <line tab="4" />Und meynten
|
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sich. <line type="empty" />
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<line tab="4" />Geraumer ward sie jede Stunde, <line tab="4" />Und
|
||
manchen Kuß <line tab="4" />Erreichte schon von Thisbens Munde <line tab="4" />err Piramus. <line
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type="empty" />
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<line tab="4" />In einer Nacht, da Mond und Sterne <line tab="4" />Vom Himmel
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sahn, <line tab="4" />Da hätten sie die Wand so gerne <line tab="4" />Beyseits gethan. <line
|
||
type="empty" />
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<line tab="4" />Ach Thisbe! weint er, sie zurücke: <line tab="4" />Ach
|
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Piramus! <line tab="4" />Besteht denn unser ganzes Glücke <line tab="4" />In einem Kuß? <line
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type="empty" />
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<line tab="4" />Sie sprach: ich will mit einer Gabe, <line tab="4" />Als wär
|
||
ich fromm, <line tab="4" />Hinaus bei Nacht zu Nini Grabe, <line tab="4" />Alsdann so komm! <line
|
||
type="empty" />
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<line tab="4" />Dies wird Papa mir nicht verwehren, <line tab="4" />Dann
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spude dich. <line tab="4" />Du wirst mich eifrig bethen hören, <line tab="4" />Und tröste
|
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mich. <line type="empty" />
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<line tab="4" />Ein Mann ein Wort! Auf einem Beine <line tab="4" />Sprang
|
||
er für Lust: <line tab="4" />Auf Morgen Nacht da küß ich deine <line tab="4" />Geliebte Brust. <line
|
||
type="empty" />
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||
<line tab="4" />Sie, Opferkuchen bei sich habend, <line tab="4" />Trippt
|
||
durch den Hayn, <line tab="4" />Schneeweiß gekleidt, den andern Abend <line tab="4" />Im
|
||
Mondenschein. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Da fährt ein Löwe aus den Hecken, <line
|
||
tab="4" />Ganz ungewohnt, <line tab="4" />Er brüllt so laut: sie wird vor Schrecken <line
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||
tab="4" />Bleich wie der Mond. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Ha, zitternd warf sie
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||
mit dem Schleyer <line tab="4" />Den Korb ins Graß <line tab="4" />Und lief, indem das
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Ungeheuer <line tab="4" />Die Kuchen aß. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Kaum war es
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fort, so mißt ein Knabe <line tab="4" />Mit leichtem Schritt <line tab="4" />Denselben Weg zu
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Nini Grabe – <line tab="4" />Der rückwärts tritt, <line type="empty" />
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||
<line tab="4" />Als
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hätt ein Donner ihn erschossen: <line tab="4" />Den Löwen weit – <line tab="4" />Und weiß im
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Grase hingegossen <line tab="4" />Der Thisbe Kleid. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Plump
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fällt er hin im Mondenlichte: <line tab="4" />So fällt vom Sturm <line tab="4" />Mit
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unbeholfenem Gewichte <line tab="4" />Ein alter Thurm. <line type="empty" />
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||
<line tab="4" />O
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Thisbe, so bewegen leise <line tab="4" />Die Lippen sich, <line tab="4" />O Thisbe, zu des
|
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Löwen Speise <line tab="4" />Da schick ich mich. <line type="empty" />
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<line tab="4" />Zu hören
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meine treuen Schwüre <line tab="4" />Warst du gewohnt; <line tab="4" />Sey Zeuge, wie ich sie
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vollführe, <line tab="4" />Du falscher Mond! <line type="empty" />
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<line tab="4" />Die kalte
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Hand fuhr nach dem Degen <line tab="4" />Und dann durchs Herz. <line tab="4" />Der Mond fing
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an sich zu bewegen <line tab="4" />Für Leid und Schmerz. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Ihn
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suchte Zephir zu erfrischen <line tab="4" />Umsonst bemüht. <line tab="4" />Die Vögel sangen
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aus den Büschen <line tab="4" />Sein Todtenlied. <line type="empty" />
|
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<line tab="4" />Schnell
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lauschte Thisbe durch die Blätter <line tab="4" />Und sah das Graß, <line tab="4" />Wie unter
|
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einem Donnerwetter, <line tab="4" />Von Purpur naß. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />O
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Gott, wie pochte da so heftig <line tab="4" />Ihr kleines Herz! <line tab="4" />Das braune
|
||
Haupthaar ward geschäftig, <line tab="4" />Stieg himmelwärts. <line type="empty" />
|
||
<line
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||
tab="4" />Sie floh – hier zieht, ihr blassen Musen, <line tab="4" />Den Vorhang zu! <line
|
||
tab="4" />Dahinter ruht sie, Stahl im Busen: <line tab="4" />O herbe Ruh! <line type="empty" />
|
||
<line
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||
tab="4" />Der Mond vergaß sie zu bescheinen, <line tab="4" />Von Schrecken blind. <line
|
||
tab="4" />Der Himmel selbst fieng an zu weinen <line tab="4" />Als wie ein Kind. <line
|
||
type="empty" />
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<line tab="4" />Man sagt vom Löwen, sein Gewissen <line tab="4" />Hab ihn
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erschröckt, <line tab="4" />Er habe sich zu ihren Füßen <line tab="4" />Lang hingestreckt. <line
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type="empty" />
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<line tab="4" />O nehmt, was euch ein Beyspiel lehret, <line tab="4" />Ihr
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Alten, wahr! <line tab="4" />Nehmt euch in Acht, ihr Alten! störet <line tab="4" />Kein
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liebend Paar. <line type="empty" />
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<note>Auf einem beiliegenden Zettel</note>
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<line tab="4" />Man
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sagt daß keine Frau dem Mann die Herrschaft gönnt; <line tab="4" />So nicht Frau Magdelone. <line
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tab="4" />Sie theilt mit ihm das Regiment: <line tab="4" />Behält den Zepter nur und lässet
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ihm die Krone. </letterText>
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<letterText letter="9"> Fort Louis, den 3ten Juni 1772. <line type="empty" /> S. T. Mein
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theurester Freund. <line tab="1" />So nenn’ ich Sie, die Sprache des Herzens will ich mit
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Ihnen reden, nicht des Ceremoniels. Kurz aber wird mein Brief werden, denn sie ist lakonisch,
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lakonischer als Sallustius, lakonischer als der schnellste Gedanke eines Geistes ohne Körper.
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Darum hasse ich die Briefe. Die Empfindungen einer so geläuterten Freundschaft als Sie mich
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kennen gelehrt, gleichen dem geistigen Spiritus, der wenn er an die Luft kömmt, verraucht. Ich
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liebe Sie – mehr verbietet mir mein Herz zu sagen, der plauderhafte Witz ist nie sein
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Dolmetscher gewesen. Ich bin wieder in Fort-Louis, nach einigen kleinen Diversionen, die meine
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kleine Existenz hier, auf dem Lande herum, gemacht hat. Ob ich mein Herz auch spazieren
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geführt – – – <line tab="1" /> Ich habe die guten Mädchen von Ihnen gegrüßt: sie lassen Ihnen
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ihre ganze Hochachtung und Ergebenheit versichern. Es war ein Mädchen, das sich vorzüglich
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freute, daß ich so glücklich wäre, Ihre Freundschaft zu haben. Mündlich mehr. Ich komme in der
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Fronleichnamswoche zuverlässig nach Straßburg. – Schon wieder eine Visite – und schon wieder
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eine – Ich bin mit einigen Offiziers bekannt und diese Bekanntschaft wird mir schon, in ihrer
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Entstehung lästig. Ich liebe die Einsamkeit jetzt mehr, als jemals – und wenn ich sie nicht in
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Straßburg zu finden hoffte, so würde ich mein Schicksal hassen, das mich schon wieder zwingt,
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in eine lärmende Stadt zurückzukehren. <line tab="1" /> Was werden Sie von mir denken, mein
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theuerster Freund? Was für Muthmaßungen – Aber bedenken Sie, daß dieses die Jahre der
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Leidenschaften und Thorheiten sind. Ich schiffe unter tausend Klippen – auf dem Negropont, wo
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man mir mit Horaz zurufen sollte <line type="empty" />
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<line tab="4" /><aq>Interfusa nitentes <line
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tab="4" />Vites aequora Cycladas.</aq>
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<line type="empty" />
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<line tab="1" />Wenn ich auf
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einer dieser Inseln scheitre – wäre es ein so großes Wunder? Und sollte mein Salzmann so
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strenge ·sein, mich auf denselben, als einen zweiten Robinson Crusoe, ohne Hilfe zu lassen?
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Ich will es Ihnen gestehen (denn was sollte ich Ihnen nicht gestehen?), ich fürchte mich vor
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Ihrem Anblick. Sie werden mir bis auf den Grund meines Herzens sehen – und ich werde wie ein
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armer Sünder vor Ihnen stehen und seufzen, anstatt mich zu rechtfertigen. Was ist der Mensch?
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Ich erinnere mich noch wohl, daß ich zu gewissen Zeiten stolz einen gewissen G. tadelte und
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mich mit meiner sittsamen Weisheit innerlich brüstete, wie ein welscher Hahn, als Sie mir
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etwas von seinen Thorheiten erzählten. Der Himmel und mein Gewissen strafen mich jetzt dafür.
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Nun hab’ ich Ihnen schon zu viel gesagt, als daß ich Ihnen nicht noch mehr sagen sollte. Doch
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nein, ich will es bis auf unsere Zusammenkunft versparen. Ich befürchte, die Buchstaben
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möchten erröthen und das Papier anfangen zu reden. Verbergen Sie doch ja diesen Brief vor der
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ganzen Welt, vor sich selber und vor mir. Ich wünschte, daß ich Ihnen von Allem Nachricht
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geben könnte, ohne daß ich nöthig hätte zu reden. Ich bin boshaft auf mich selber, ich bin
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melancholisch über mein Schicksal – ich wünschte von ganzem Herzen zu sterben. <line tab="1" />Den
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Sonntag waren wir in Ses. den Montag frühe ging ich wieder hin und machte in Gesellschaft des
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||
guten Landpriesters und seiner Tochter eine Reise nach Lichtenau. Wir kamen den Abend um 10
|
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Uhr nach S. zurück: dieser und den folgenden Tag blieb ich dort. Nun haben Sie genug. Es ist
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mir als ob ich auf einer bezauberten Insel gewesen wäre, ich war dort ein anderer Mensch, als
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ich hier bin, alles was ich geredt und gethan, hab ich im Traum gethan. <line tab="1" />Heute
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reiset Mad. Brion mit ihren beyden Töchtern nach Sarbrücken, zu ihrem Bruder auf 14 Tage, und
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||
wird vielleicht <b>ein Mädchen</b> da lassen, das ich wünschte nie gesehen zu haben. Sie hat
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||
mir aber bei allen Mächten der L– geschworen, nicht da zu bleiben. Ich bin unglüklich, bester
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||
bester Freund! und doch bin ich auch der glücklichste unter allen Menschen. An demselben Tage
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vielleicht, da sie von Saarbrük zurük kommt, muß ich mit H. v. Kleist nach Straßburg reisen.
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Also einen Monath getrennt, vielleicht mehr, vielleicht auf immer – Und doch haben wir uns
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||
geschworen uns nie zu trennen. Verbrennen Sie diesen Brief – es reut mich, daß ich dies einem
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treulosen Papier anvertrauen muß. Entziehen Sie mir Ihre Freundschaft nicht: es wäre grausam
|
||
mir sie jetzt zu entziehen, da ich mir selbst am wenigsten genug bin, da ich mich selbst nicht
|
||
leiden kann, da ich mich umbringen möchte, wenn das nichts Böses wäre. Ich bin nicht schuld an
|
||
allen diesen Begebenheiten: ich bin kein Verführer, aber auch kein Verführter, ich habe mich
|
||
leidend verhalten, der Himmel ist schuld daran, der mag sie auch zum Ende bringen. Ich
|
||
schließe mich in Ihre Arme als Ihr <line type="break" /> melancholischer <line type="break" />
|
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Lenz. <line type="empty" />
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<note>am Rand</note> Haben Sie die Gütigkeit, der ganzen
|
||
Tischgesellschaft meine Ergebenheit zu versichern. … Ums Himmels, um meines Mädchens und um
|
||
meinetwillen, lassen Sie doch alles dies ein Geheimnis bleiben. Von mir erfahrt es niemand als
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||
mein zweites Ich. </letterText>
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||
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<letterText letter="10"> Fort Louis d. 10ten Junius 1772 <line type="empty" /> Guter Sokrates! <line
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||
tab="1" />Schmerzhaft genug war der erste Verband den Sie auf meine Wunde legten. Mich
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||
auszulachen – ich muß mitlachen, und doch fängt meine Wunde dabey nur heftiger an zu bluten.
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||
Nur fürchte ich – soll ich Ihnen auch diese Furcht gestehen? Ja da Sie mein Herz einmal offen
|
||
gesehen haben, so soll kein Winkel Ihnen verborgen bleiben. Ich fürchte, es ist zu spät an
|
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eine Heilung zu denken. Es ist mir wie Pygmalion gegangen. Ich hatte mir zu einer gewissen
|
||
Absicht in meiner Phantasie ein Mädchen geschaffen – ich sah mich um und die gütige Natur
|
||
hatte mir mein Ideal lebendig an die Seite gestellt. Es ging uns beyden wie Cäsarn: <aq>veni,
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vidi, vici</aq>. Durch unmerkliche Grade wuchs unsere Vertraulichkeit – und jetzt ist sie
|
||
beschworen und unauflöslich. Aber sie sind fort, wir sind getrennt: und eben da ich diesen
|
||
Verlust am heftigsten fühle, kommen Briefe aus Strasburg und – Vergeben Sie mir meinen tollen
|
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Brief! Mein Verstand hat sich noch nicht wieder eingefunden. Wollte der Himmel ich hätte nicht
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nöthig, ihn mit Vetter Orlando im Monde suchen zu lassen. Ich bin um mich zu zerstreuen, die
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||
Feyertage über bei einem reichen und sehr gutmüthigen Amtsschulz in Lichtenau zu Gast gewesen.
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||
Ich habe mich an meinem Kummer durch eine ausschweiffende Lustigkeit gerächt: aber er kehrt
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||
jetzt nur desto heftiger zurück, wie die Dunkelheit der Nacht hinter einem Blitz – Ich werde
|
||
nach Strasburg kommen und mich in Ihre Kur begeben. Eins muß ich mir von Ihnen ausbitten:
|
||
schonen Sie mich nicht, aber – lassen Sie meine Freundin unangetastet. Der Tag nach meinem
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||
letzten Briefe an Sie, gieng ich zu ihr: wir haben den Abend allein in der Laube zugebracht;
|
||
die bescheidne und englisch gütige Schwester unterbrach uns nur selten und das allezeit mit
|
||
einer so liebenswürdigen Schalkheit - Unser Gespräch waren Sie – ja Sie, und die
|
||
freundschaftlichen Mädchen haben fast geweint für Verlangen Sie kennen zu lernen. Und Sie
|
||
wollten mit gewaffneter Hand auf sie losgehen, wie Herkules auf seine Ungeheuer – Nein Sie
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||
müssen sie kennen lernen und ihre Blicke allein werden Sie entwaffnen. Ich habe meiner
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||
Friedrike gesagt, ich könnte für Sie nichts geheim halten. Sie zitterte, Sie würden zu wenig
|
||
Freundschaft für eine Unbekannte haben. Machen Sie diese Furcht nicht wahr, mein guter
|
||
Sokrates! Uebrigens tun Sie was Ihnen die Weißheit räth. Ich will mich geduldig unterwerfen.
|
||
Es ist gut, daß Sie meinen freundschaftlichen Ott nicht mit meiner Torheit umständlich bekannt
|
||
machen. Ich verbürge mich gern vor mir selbst nur nicht vor Ihnen. Leben Sie wohl, Ihr <line
|
||
type="break" />unaufhörlich ergebenster Freund <line type="break" />JMRLenz. <line
|
||
type="empty" /> Gestern ist der Herr Landpriester bei mir zu Gast gewesen. Er ist ein
|
||
Fieldingscher Charakter. Jeder andere würde in seiner Gesellschaft Langweile gefunden haben;
|
||
ich habe aber mich recht sehr darin amusirt; denn ein Auge, womit ich ihn ansah, war poetisch
|
||
das andere verliebt. – Er läßt sein Leben für mich und ich für seine Tochter. </letterText>
|
||
|
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<letterText letter="11"> Fort Louis, d. 15ten Junius n. St.<line type="empty" /> Mein theurester Vater!
|
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<line tab="1"/>Abermal muß ich eine Gelegenheit kahl aus meinen Händen lassen, mit der ich in Ihre Arme zu
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||
fliehen hoffte. Wenigstens soll mein Brief mitgehen, wenn ich mein Herz in denselben einschließen
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könnte, ich thät es mit Freuden. Ich schreibe jetzt unter den grausamsten Kopfschmerzen an Sie, die
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||
die hier jetzt unausstehliche Hitze und zugleich die Weindiät verursachen, und von denen ich sonst,
|
||
wie von andern Krankheiten, Gott sey Dank! nichts weiß: obschon äußere Umstände, Sorgen,
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Kummer und Geschäfte mir sie oft genug hätten zuziehen können. Noch immer bete ich die
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||
Vorsehung an, und noch immer muß ich Sie aufmuntern, sie mit mir anzubeten und alle Ihre
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zärtlichen Sorgen auch in Ansehung meines Schicksals auf sie zu werfen. Bedenken Sie daß wir in
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||
einer Welt sind, wo wir durch tausend in einander gekettete Mühseligkeiten zum Ziel gelangen und
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niemals eine vollkommene Befriedigung auch unserer unschuldigsten und gerechtesten Wünsche
|
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erwarten können. Wenn ich so eitel sein darf, zu glauben, daß meine Abwesenheit eine kleine Wunde
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in Ihrer Seele macht: welch eine Wunde muß denn die Ihrige in der meinigen machen? Die
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||
Abwesenheit meiner theuresten Mutter und Geschwister, meiner zärtlichsten Freunde – die allezeit
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Arme und Herz für mich offen hielten, da ich sie jetzt als Fremdling allenthalben für mich
|
||
verschlossen sehe. Umstände dazu, die ich Ihnen weder schildern will noch kann – – dennoch,
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dennoch halte ich meine Augen zum Vater im Himmel emporgerichtet, der mir an jedem Ort
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nachfolgt, und wenn ich entfernt von Himmel und Erde wäre und Leib und Seele mir verschmachtete. <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Im Herzen rein hinauf gen Himmel schau ich <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Und sage Gott, dir Gott allein vertrau ich <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Welch Glück, welch Glück kann größer seyn. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Nur daß keiner meiner Briefe zu Ihnen gelangt, daß Sie durch dieses Stillschweigen nicht allein
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an meinen Schicksalen, sondern auch an meinem Charakter irre werden; das kränket mich. Ich habe seit
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||
Ihrem letzten Briefe schon zweymal an Sie geschrieben, und dennoch krieg ich einen Vorwurf über
|
||
den andern wegen meines Stillschweigens. Und können Sie glauben, daß mein sonst doch weiches
|
||
Herz sich auf einmal in einen Stein verwandelt – Gott, du weißts. Ich schätze kein zeitliches Glück so
|
||
hoch als dasjenige, Sie noch einmal zu sehen. – Was soll ich Ihnen sonst noch von meinen äußern
|
||
Umständen sagen. – Die Vorsehung Gottes hat mir einen liebenswürdigen Zirkel von Freunden
|
||
geschenkt, mir Ihren Verlust zu ersetzen: sie sind aber das was die Wachslichter gegen das Tageslicht
|
||
sind. Einen Namen muß ich Ihnen hersetzen, damit Sie seiner in Ihren Seufzern für mich erwähnen: er
|
||
ist mir zu teuer. <aq><ul>Salzman</ul></aq> – o wenn ich einen so erfahrenen liebenswürdigen Mentor nicht hier zur
|
||
Seite gehabt, auf welcher Klippe würde ich jetzt nicht schon schiffbrüchig sitzen? – Wenn Ehre ein
|
||
wahres Gut ist, so bin ich glücklich, denn die wiederfährt mir hier genug, ohne daß ich sie verdienet
|
||
habe. Sie ist aber vielmehr ein Joch, als ein Gut, und sie allein würde mich nie abhalten, in den stillen
|
||
Schoß meines Vaterlandes unbemerkt wieder zurückzukehren. So aber sind mir jetzt noch Hände und
|
||
Füße dazu gebunden, ich möchte lieber sagen, abgehauen. Ich bringe meinen Sommer in Fort Louis,
|
||
einer Festung sieben Stunden von Strasburg zu, auf den Winter werde ich wieder dahin zurückkehren.
|
||
Jetzt bin ich also in einer fast gänzlichen Einsamkeit. Auf den künftigen Frühjahr hoffe ich mit
|
||
Nachdruck und Succeß an meine Heimreise zu denken. Bis dahin, theuresten Eltern, geben Sie sich
|
||
noch zufrieden. Ich wünsche Ihnen den großen Gott, auf den ich bisher noch nie zu meinem Schaden
|
||
gerechnet, und, ich glaube es unverändert, auch niemals ins künftige rechnen werde. Wenn ich meine
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||
Lebens Geschichte aufsetzte, würde sie vielen unglaublich scheinen. Ich setze dies aufs Alter aus –
|
||
vorher aber auf unsere mündliche Unterredung. Freuen Sie sich in dieser Zeit Ihrer wohlgeratenen
|
||
anwesenden Kinder, theurester Vater, schließen Sie einen abwesenden Flüchtling in Ihr Herz und
|
||
Gebet, aber schließen Sie ihn aus Ihrer Sorge, und übergeben ihn dem großen Gott, der am besten
|
||
weiß, was für ein Gefäß er aus ihm machen will. – Ich falle Ihnen und meiner theuresten Mama mit
|
||
den zärtlichsten Tränen in die Arme, als Ihr bis ins Grab gehorsamster und getreuester Sohn Jac. Mich.<line type="break"/>
|
||
Reinh. Lenz.</letterText>
|
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<letterText letter="12"> Fort-Louis, den 28. Juni <line type="empty"/> Gütigster Herr Aktuarius!
|
||
<line tab="1"/>Ich habe einen empfindlichen Verlust gehabt, Herr Kleist hat mir Ihren und meines guten Ott’s Briefe
|
||
recht sorgsam aufheben wollen und hat sie so verwahrt, daß er sie selbst nicht mehr wieder finden
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||
kann. Ich bin noch zu sehr von der Reise ermüdet, als daß ich Ihnen jetzt viel Vernünftiges schreiben
|
||
könnte. Denn ich habe noch fast keine Minute gehabt, in der ich zu mir selbst hätte sagen können:
|
||
nun ruhe ich. Eigene und fremde, vernünftige und leidenschaftliche, philosophische und poetische
|
||
Sorgen und Geschäfte zerteilen mich. Mein Schlaf selber ist so kurz und unruhig, daß ich fast sagen
|
||
möchte, ich wache des Nachts mit schlafenden Augen, so wie ich des Tages mit wachendem Auge
|
||
schlafe. In Sesenheim bin ich gewesen. Ist es Trägheit oder Gewissensangst, die mir die Hand zu Blei
|
||
macht, wenn ich Ihnen die kleinen Scenen abschildern will, in denen ich und eine andere Person, die
|
||
einzigen Akteurs sind. Soviel versichere ich Ihnen, daß Ihre weisen Lehren bei mir gefruchtet haben
|
||
und daß meinen Leidenschaft dieses Mal sich so ziemlich vernünftig aufgeführt. Doch ist und bleibt es
|
||
noch immer Leidenschaft – nur das nenne ich an ihr vernünftig, wenn sie mich zu Hause geruhig
|
||
meinen gewöhnlichen centrischen und excentrischen Geschäften nachhängen läßt, und das thut sie,
|
||
das thut sie. Die beiden guten Landnymphen lassen Sie mit einem tiefen Knicks grüßen. – – Mein
|
||
Trauerspiel (ich muß den gebräuchlichen Namen nennen) nähert sich mit jedem Tage der Zeitigung.
|
||
Ich habe von einem Schriftsteller aus Deutschland eine Nachricht erhalten, die ich nicht mit vielem
|
||
Golde bezahlen wollte. Er schreibt mir, mein Verleger, von dem ich, durch ihn, ein unreifes
|
||
Manuscript zurück verlangte, habe ihm gesagt, es wäre schon an mich abgeschickt. Noch sehe ich
|
||
nichts. Lieber aber ist mir dies, als ob mir einer einen Wechsel von 1000 Thalern zurückschenkte.
|
||
Lesen Sie dieß andere Blatt in einer leeren Stunde. Unsere letzte Unterredung und die darauf
|
||
folgende schlaflose Nacht, hat diese Gedanken veranlaßt. Schreiben Sie Ihr Urtheil drüber <line type="empty"/>
|
||
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||
Ihrem ergebensten Lenz.</letterText>
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<letterText letter="13"> <align pos="right">Fort Louis, d. 13ten Jul. 1772</align> <line type="empty"/>
|
||
<align pos="center">Liebster Bruder!</align> <line type="empty"/>
|
||
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||
<line tab="1"/>Deine Vorwürfe würden mir so empfindlich nicht seyn, wenn ich sie <del>nicht</del> verdient hätte: aber sie
|
||
nicht verdient zu haben und doch kein Mittel wissen, die üble Meinung abzulehnen die alle meine
|
||
vorige Bekannte meines Stillschweigens halber von meinem Herzen zu fassen anfangen das ist in der
|
||
That niederschlagend. So mürbe ich aber auch von den Streichen des Schicksals bin, so soll doch kein
|
||
einziger, das hoffe ich zu Gott, mir meinen Mut rauben. Ich habe öfter an Dich geschrieben als Du an
|
||
mich – wen soll ich anklagen, daß meine Briefe nicht zu Euch kommen? Ich freue mich über Dein
|
||
morgenröthendes Glück – das meinige liegt noch in der Dämmerung. Es mag ewig darinne liegen
|
||
bleiben – Dir nähere Nachrichten von meinen Umständen und Begebenheiten zu geben, ist mir
|
||
unmöglich. Sie geben das anmuthigste Gemählde von Licht und Schatten, wiewohl der letzte
|
||
bisweilen ein wenig tief ist. Aber im Briefe kann ich Euch nichts davon mittheilen: und ich halte es für
|
||
besser Euch lieber zu schreiben daß ich noch gesund bin und lebe, sonst nichts, als Euch mangelhafte
|
||
und unvollkommene Nachrichten zu geben, aus denen Ihr Muthmaßungen und Schlüsse ziehen
|
||
könntet, die Eurer und meiner Ruhe schaden würden. Ich habe mit Deinem Briefe einen sehr
|
||
lamentablen von unserm guten Frohlandt aus Königsberg bekommen, worin er mir meldet, daß fast
|
||
die ganze Landsmannschaft <ul>davon gelauffen.</ul> In der That, ich werde bald anfangen zu erröthen, mich
|
||
aus unserm Vaterlande zu bekennen, wenn unsere Landsleute sich Deutschland in einer solchen
|
||
Gestalt zeigen. Baumann, Hesse, Zimmermann, Hugenberger, Kühn, Meyer – ich habe meinen Augen
|
||
nicht trauen wollen. Und der arme Frohlandt ist in der That fast aufs äußerste gebracht – Hipprich
|
||
und Marschewsky sind gleichfalls aus Berlin mit Schulden davon gelauffen, der letzte hat dieses schon
|
||
in Leipzig und Jena getan. Das sind denn die würdigen Subjekte, mit denen in unserm Vaterlande
|
||
Ehren- und Gewissens-Aemter besetzt werden. Ich wünschte meine Verwandten und Freunde heraus,
|
||
in der That, ich wende keinen Blick mehr hin. Doch will ich Deinen Vorschlag mit der <aq>Condition</aq>
|
||
überlegen und Dir in dem nächsten Briefe von meinem völligen Entschluß Nachricht geben, bloß um
|
||
nur noch einmal, einmal das Glük zu haben meine Eltern und Euch alle wiederzusehen. Vor künftigen
|
||
Frühjahr, also jetzt über 10 Monate kann ich mich auf keine Weise allem Anscheine nach von Kleists
|
||
loß machen. Ins künftige wenn Du schreibst, so laß sie doch grüßen, liebster Bruder! es ist in der That
|
||
<page index="2"/>zu spröde, daß Du thust, als habst Du sie nie gekannt. Ich dependire einmal in gewisser
|
||
Absicht von ihnen. – Kurz in meinem nächsten Briefe werde ich Dir von meinem Entschluß positivere
|
||
Nachricht geben. Reisegeld aber würde der Herr Etatsrath mir wohl schicken müssen, denn die <ul>Reise</ul>
|
||
– <del>macht</del> legt meiner Zurükkunft die größte Schwierigkeit in den Weg. Du weißt die Oekonomie der
|
||
jungen Herrchen und wie viel sie baar liegen haben. – Von Henisch kriege ich noch beständig Briefe,
|
||
von Miller aber keine, auch von Pegau nicht, wenn Du an einen von ihnen schreibst, so grüße doch
|
||
beide von mir 1000mahl und sage ihnen, daß ich gegen alle meine Freunde unter allen meinen
|
||
Umständen der alte Lenz bleibe. Vielleicht thu ich mit dem ältesten Herrn v. Kleist auf den Herbst
|
||
eine Reise auf einen Monath nach <aq>Nancy</aq> und mit dem jüngsten auf den Winter eine auf ein paar
|
||
Monate nach Mannheim. Warum hast Du die Bedienung in Dorpat nicht angenommen. Eine gute
|
||
Einschränkung <del>versp</del> erwirbt oft mehr als ein hohes Gehalt und wenn zu dem ersten die Gesellschaft
|
||
der zärtlichsten Freunde kommt und bey dem andern jede Freude des Lebens darbt, so sollte billig
|
||
der erste Zustand der vorzügliche seyn. – Jetzt kann ich unmöglich weiter schreiben – die <del>Post</del>
|
||
<insertion pos="bottom">Gelegenheit</insertion> geht – o Himmel wie viel muß ich unterdrüken! Das sey aber versichert, mein theurer
|
||
Bruder, daß ich Dich vorzüglich liebe und unter allen Umständen meines Lebens lieben werde. Die
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||
Gelegenheit mit der ich Dir diesen Brief schicke ist der Baron von Grothusen, welcher Morgen nach
|
||
Curland zurükreiset und mit dem ich anfangs mitzugehen mir schmeichelte, diese Hofnung ist aber
|
||
durch allerley <aq>Contretems</aq> zu Wasser geworden. Die vorigen Briefe habe ich Dir theils auf der Post,
|
||
theils durch Pegau (wo mir recht ist) teils durch einen Landsmann der auch nach Hause reiste teils
|
||
durch Herrn v. Sievers zugeschickt. Daß keiner angekommen, weiß ich auf keine Art zu begreiffen.
|
||
Schreibe mir durch Frohlandt oder H. v; <aq>Sievers</aq>, fast möchte ich itzt die erste Gelegenheit für besser –
|
||
oder nimm doch die andere – Mache wie Du es für gut findst. Meine Adresse ist <del>an H</del> abzugeben
|
||
beym Herrn Actuarius Salzmann, nahe bey der Pfalz. Actuarius ist hier eine der ersten
|
||
Magistratsbedingungen, nicht wie in Liefland – Ich muß schließen. Ich hoffe gewiß daß wenigstens
|
||
dieser Brief Dich antreffen wird. Melde mir doch wie die Bedingungen Deiner <aq>Condition</aq> lauten. Bitte
|
||
Papa um ein paar Zeilen von seiner Hand, dies ist die einzige Wohlthat die ich mir von ihm ausbitte.
|
||
Küsse ihm und Mama 1000mal die Hand allen meinen theuren Geschwistern Freunden und
|
||
Freundinnen 1000000mal den Mund von <line type="empty"/>
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||
Deinem zärtlichsten Bruder Lenz.
|
||
<sidenote pos="top left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">Kleists lesen alle meine Briefe. Wir sind aber Freunde und Du darfst alles frey schreiben, nur nichts
|
||
von ihnen.</sidenote></letterText>
|
||
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<letterText letter="14">Fort Louis, August 1772 <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sie bekommen heut’ einen sehr elenden Brief von mir, darum wollt’ ich anfangs lieber gar nicht
|
||
schreiben. Aber <aq>non omnia possumus omnes</aq> dacht’ ich, mit Herrn Rebhuhn und geantwortet
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||
muß doch seyn. Ich komme eben aus der Gesellschaft dreier lieben Mädchen und einer schönen,
|
||
schönen Frau und in allen solchen Gesellschaften wird das Fleisch willig und der Geist schwach. Wie
|
||
dieser Brief in Ihre Hände kommt weiß ich noch nicht. Es soll ein Hauptmann nach Straßburg gehen,
|
||
der dorthin allerlei mitnehmen wird, unter anderm Ihren <aq>Hobbes civem Malmesburgiensem</aq>,
|
||
den ich mich nicht überwinden kann zu Ende zu bringen. Es geht mir wie einem Kinde, das über ein
|
||
neues Spielzeug eines alten vergißt, das es doch so fest mit seiner kleinen Patsche umklammert hatte,
|
||
als ob es ihm erst der Tod herausreißen sollte. Der Zustand meines Gemüthes ist wie er ist; den Haß
|
||
kann man wohl auswurzeln, aber die Liebe nie, oder es müßte ein Unkraut seyn, das nur die äußere
|
||
Gestalt der Liebe hätte. Wenn mir Einer Mittel vorschlagen wollte, Sie nicht mehr zu lieben, glauben
|
||
Sie, daß diese Mittel bey mir kräftig sein würden? Vergeben Sie mir mein böses Maul, ich wünschte es
|
||
allemal böser als mein Herz. Ich habe einen vortrefflichen Fund von alten Liedern gemacht, die ich
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||
Ihnen, sobald ich nach Straßburg komme, mittheilen werde. Wollen Sie meine letzte Uebersetzung
|
||
aus dem Plautus lesen, so fodern Sie sie unserm guten Ott ab, denn ich glaube schwerlich, daß sie so
|
||
bald in der Gesellschaft wird vorgelesen werden. Sie haben mir keine Nachricht gegeben, wie sie mit
|
||
der Ietztern gegenwärtig zufrieden sind. Vernachlässigen Sie diese Pflanzschule Ihrer Vaterstadt nicht,
|
||
theurer Freund, vielleicht könnten wohlthätige Bäume draus gezogen werden, auf welche
|
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Kindeskinder, die sich unter ihrem Schatten freuten, dankbar schnitten: Auch dich hat Er pflanzen
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helfen. Es sieht noch ziemlich wild und traurig in Ihrer Region aus – aber der erste Mensch ward in
|
||
den Garten Eden gesetzt um ihn zu bauen. Wollten Sie wohl einst so gütig seyn, mir, zum
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||
<aq>aequivalent</aq> für <aq>Hobbes</aq>, noch eine glühende Kohle aufs Haupt zu sammeln und etwa Puffendorfs
|
||
<aq>historiam juris</aq> zu schicken. Oder ein anderes juristisches Buch, denn Jurist muß ich doch werden,
|
||
wenn mir anders die Theologie nicht verspricht mich zum Papst von Rom zu machen. Ich halte viel auf
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die Extreme und Niklaus Klimm’s <aq>aut</aq> Schulmeister <aq>aut</aq> Kaiser ist eine Satire auf Ihren
|
||
Ihnen stets ergebenen <line type="empty"/><line type="break"/>
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Lenz. <line type="empty"/>
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||
Herr von Kleist befindet sich wohl und empfiehlt sich Ihnen bestens.</letterText>
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<letterText letter="15">Mein theurer Sokrates!
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<line tab="1"/>Ich umarme Sie mit hüpfendem Herzen und heiterer Stirne, um Ihnen eine Art von Lebewohl zu
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sagen, das in der That nicht viel zu bedeuten hat. Einige Stunden näher oder ferner machen, für den
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Liebhaber erschrecklich, für den Freund aber nichts. Der Erste ist zu sinnlich eine körperliche
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Trennung zu verschmerzen, der andere aber behält, was er hat, die geistige Gegenwart seines
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Freundes, und achtet die zwei Berge oder Flüsse mehr oder weniger nicht, die zwischen ihm und
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seinem Gegenstande stehen. Nur das thut mir wehe, daß ich nicht so oft werde nach Straßburg
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kommen können, indessen soll es dafür jedesmal auf desto längere Zeit geschehen. Ich denke, Sie
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werden mich nicht vergessen, meinerseits sind die Bande der Freundschaft so stark, daß sie noch
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hundert Stunden weiter gedehnt werden können, ohne zu reißen. Bis in mein Vaterland hinein – bis
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ins Capo de Finisterre<!-- Erfolgt hier ein Schriftwechsel aufgrund des Sprachwechsels? -->, wenn Sie wollen. – In Ihrem letzten Briefe haben Sie mir Unrecht gethan. Wie,
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mein liebenswürdiger Führer, ich sollte wie ein ungezähmtes Roß allen Zaum und Zügel abstreifen,
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den man mir überwirft? Wofür halten Sie mich? Ach jetzt bekomm’ ich einen ganz andern
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Zuchtmeister. Entfernung, Einsamkeit, Noth und Kummer, werden mir Moralen geben, die weit
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bitterer an Geschmack seyn werden, als die Ihrigen, mein sanfter freundlicher Arzt. Wenn ich mit
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Ihnen zusammenkomme, werde ich Ihnen viel, sehr viel zu erzählen haben, das ich jetzt nicht mehr
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der Feder anvertrauen kann. Auftritte zu schildern, die weit rührender sind, als alles, was ich jemals
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im Stande wäre zu erdichten, Auftritte, die, wenn Sie Ihnen zugesehen haben würden, Sie selbst noch
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(meinen Sokrates) zu weinen würden gemacht haben. Noch ist meine Seele krank davon. Sie sind
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mein bester Freund auf dem Erdboden, Ihnen, aber auch nur Ihnen, will ich Alles erzählen, sobald ich
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Sie spreche. Zeigen Sie diese Stelle meines Briefes, nicht meinem guten Ott – wenn er nicht noch
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Jüngling wäre, wenn er die Stufe der Weisheit erstiegen hätte, würde ich über diesen Punkt nicht
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gegen ihn zurückhaltend sein. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Heute komme ich von Lichtenau, aus einer sehr vergnügten Gesellschaft, in welcher ich vielleicht
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allein die Larve war. Ich will meinen Brief an Sie bis zum Ende bringen, ich erwarte heute abend noch
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einen Gnadenstoß. O lassen Sie mich, mein beschwertes Herz an Ihrem Busen entladen. Es ist mir
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Wollust zu denken, daß Sie nicht ungerührt bei meinem Leiden sind, obschon es Ihnen noch
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unbekannt ist. Denn Trennung ist nicht die einzige Ursache meines Schmerzens. – Wir wollen von
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andern Sachen reden. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich werde noch, vor meiner Abreise, einmal aus Fort-Louis an Sie schreiben und alsdann aus Landau,
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sogleich nach meiner Ankunft. Mein Studiren steht jetzt stille. Der Sturm der Leidenschaft ist zu
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heftig. Ich wünsche mich schon fort von hier, alsdann, hoffe ich, wird er sich wieder kümmerlich
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legen. In Landau will ich, so viel es mein zur andern Natur gewordenes Lieblingsstudium erlaubt, das
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<aq>Jus</aq> eifrig fortsetzen. Auf den Winter denk’ ich mit Herrn von Kleist, der sich Ihnen gehorsamst
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empfehlen läßt, einige Monate in Mannheim, einige in Straßburg zuzubringen. Wo zuerst weiß ich
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nicht. Seyen Sie so gütig und sagen es der Jungfer Lauthen noch nicht, daß ich von Fort-Louis
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weggehe, ich will es ihr, wenn ich noch einen Posttag abgewartet, selber schreiben. Das weibliche
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Herz ist ein trotzig und verzagt Ding. Leben Sie wohl bis auf meinen nächsten Brief. Ich bin von
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ganzem Herzen
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Ihr
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Sie ewig liebender <aq>Alcibiades</aq><line type="break"/>
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J. M. R. L.</letterText>
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<letterText letter="16">Mein theuerster Freund! <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Auf einem Fuß, wie ein reisefertiger Kranich, steh’ ich jetzt und schmiere Ihnen mit dem anderen
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mein Adieu auf’s Papier. Ich glaube zum wenigsten, daß dies mein letzter Brief von Fort-Louis seyn
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wird. Ich gehe jetzt nach Sesenheim hinaus, um den letzten Tag recht vergnügt dort zuzubringen.
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Recht vergnügt – Nicht wahr, Sie lächeln über meine stolze platonische Sprache, mittlerweile mein
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Herz mit dem Ritter Amadis (oder was weiß ich, wie der Liebhaber der Banise hieß) von nichts als
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Flammen, Dolchen, Pfeilen und Wunden deklamirt. Was soll ich sagen? Ich schäme mich meiner
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Empfindungen nicht, wenn sie gleich nicht allezeit mit festem Schritt hinter der Vernunft hergehen. O!
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und Salzmann bedauert mich – sehen Sie die Schürze von Feigenblättern, die meine gefällige Vernunft
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mir allezeit vor die Blöße meines Herzens bindet. Ich habe in Sesenheim gepredigt, sollten Sie das
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||
glauben? Den Sonnabend nachmittags karessirt; nach Fort-Louis gegangen; das Thor zu gefunden;
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zurückgegangen; den Pfarrer am Nachtessen unruhig gefunden, daß er so viel zu thun habe; mich
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angeboten; bis vier Uhr in der Laube gesessen; mich von meinen Fatiguen erholt; eingeschlafen; den
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Morgen eine Bibel und eine Concordanz zur Hand genommen und um 9 Uhr vor einer zahlreichen
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Gemeine, vor vier artigen Mädchen, einem Baron und einem Pfarrer gepredigt. Seh’n Sie, daß der
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Liebesgott auch Candidaten der Theologie macht, daß er bald in Alexanders Harnisch wie eine Maus
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kriecht, bald in die Soutane eines Pfarrers von Wackefield, wie ein der Liebesgelahrtheit Beflissener.
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Mein Text war das Gleichniß vom Pharisäer und Zöllner und mein Thema die schädlichen Folgen des
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Hochmuths. Die ganze Predigt war ein Impromptu, das gut genug ausfiel. – Himmel die Uhr schlägt
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sechs und ich sollte schon vor einer Stunde in S. seyn. Diesmal sollen Sie mich dort entschuldigen.
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Ihren <aq>Heineccius</aq> nehme ich mit. Ohne Erlaubniß – ach, mein Freund, <aq>dura necessitas</aq> läßt mich nicht
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erst lange fragen, ich greife zu – aber ich gebe auch wieder. Allein was werden Sie sagen, wenn ich
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Ihnen Ihren <aq>Tom Jones</aq> noch nicht zurückschicke? Ich bin schuld daran, daß ihn mein faules Mädchen
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noch etwas länger behält, er soll sie für meinen Verlust entschädigen, denn wenn man gute
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Gesellschaft hat, sagte sie, so kann man nicht viel lesen. Ich habe so brav auf Ihre Güte gethan, daß
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ich ihr mein Wort drauf gegeben, Sie würden es verzeihen, wenn sie Ihnen denselben erst durch
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Mamsell Schell zuschickte; ja Sie würden sogar so gütig seyn und ihr noch die zween letzten Teile
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alsdann dazu leihen, wenn sie die ersten wieder gegeben. Das heißt gewagt, mein bester Sokrates,
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aber Jugend ist allezeit ein Waghals, und bricht doch nur selten den Hals; ich denke, Sie werden
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meine tollkühne Freundschaft noch nicht fallen lassen: wenn sie älter wird, soll sie weiser und
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vorsichtiger werden. Für Ihre Adressen in Landau danke ich Ihnen unendlich, wer weiß, wozu sie gut
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sind. Ich hoffe eher nach Straßburg zu kommen, als nach Mannheim. Ich kann nicht mehr, theuerster,
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bester, würdigster Freund! ich bin schon ein Jahr über meine bestimmte Stunde ausgeblieben. Leben
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Sie recht sehr glücklich; mein Großfürst heirathet eine darmstädtische Prinzessin; leben Sie allezeit
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||
gleich heiter und vergnügt; ich möchte gerne den Namen des Russischen <aq>Envoyé</aq> an diesem Hofe
|
||
wissen; erinnern Sie sich meiner zuweilen; der Friede soll auch schon geschlossen seyn; grüßen Sie
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||
die Lauth’sche Gesellschaft und die Mademoiselles tausendmal; doch was berichte ich Ihnen
|
||
Neuigkeiten, die bei Ihnen schon in der Hitze werden sauer geworden seyn – und bleiben Sie
|
||
gewogen
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||
Ihrem verschwindenden <aq>Alcibiades</aq><line type="break"/>
|
||
J.M.R.L.
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||
</letterText>
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||
<letterText letter="17">Weissenburg im Elsaß d. 2ten Septbr. 1772. <line type="empty"/>
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Mein Vater!
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<line tab="1"/>Ich schreibe Ihnen diesen Brief auf dem Marsch von Fort Louis nach Landau, wohin das Regiment
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||
Anhalt, bey dem sich der H. v. Kleist, (der jüngere) befindt, den letzten des vorigen Monaths
|
||
aufgebrochen. Weil der letztere, dessen zärtliche Freundschaft für mich täglich zunimmt, mich immer
|
||
um sich haben will, so thue ich mit ihm und zugleich mit dem Regiment, zu Pferde eine zwar sehr
|
||
langsame aber auch nicht minder angenehme Reise.
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||
<line tab="1"/>Ich bin Ihnen noch einige Striche von meinem Lebenslauf in Fort Louis schuldig, denn meinen letzten
|
||
Brief schrieb ich Ihnen, als ich eben dahin abgieng. Ob ich gleich nicht weiß, ob jemals einer von
|
||
meinen Briefen in Ihre Hände gekommen ist, oder kommen wird, so will ich doch meiner Seits nichts
|
||
ermangeln lassen. Vielleicht trägt ein gutherziger Wind doch eine Nachricht von mir wie ein
|
||
Blumenstäubchen fort, läßt sie noch bey Ihnen niederfallen, und zu einer kleinen Blume der Freude
|
||
aufgehn. Ich spähe hier vergebens jeden Winkel nach Nachrichten von Ihnen aus, fast keinen
|
||
Fremden, der aus Norden kömmt, laß ich entwischen, allein von Dorpat habe ich doch seit einem
|
||
halben Jahr nicht das mindeste erfahren können.
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||
<line tab="1"/>Es ist mir in Fort Louis recht sehr wohl gegangen: eine Wirkung Ihres väterlichen Gebeths und der
|
||
Verheißung Gottes, frommen Eltern auch an ihren Kindern noch wohlzuthun. Denn was meine Person
|
||
betrifft, so bin ich viel zu gering alles dessen was die Barmherzigkeit des Herrn an mir getan hat. Je
|
||
länger ich mit d. Hrn. von Kleist umgehe, desto mehr spüre ich, daß seine Freundschaft zu mir wächst,
|
||
anstatt wie es sonst bei jugendlichen Neigungen gewöhnlich ist, durch Gewohnheit und Sättigung zu
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||
erkalten. Ich habe mit seinen Nebenofficiers, die fast alle Deutsche sind, einen recht sehr artigen
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||
Umgang, ob schon ich mich soviel möglich allezeit in mich selbst zurückziehe. Nahe bey Fort Louis
|
||
war ein Dörfchen, das ein Prediger mit drey liebenswürdigen Töchtern bewohnte, wohin sich die
|
||
Unschuld aus dem Paradiese schien geflüchtet zu haben. Hier habe ich den Sommer über ein so süßes
|
||
und zufriedenes Schäferleben geführt, daß mir alles Geräusch der großen Städte fast unerträglich
|
||
geworden ist. Nicht ohne Thränen kann ich an diese glückliche Zeit zurück denken! O wie oft hab ich
|
||
dort Ihrer und Ihres Zirkels erwähnt! O wie gern wollte ich in den schönen Kranz Ihrer Freunde eine
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||
Rose binden, die hier in dem stillen Tale nur für den Himmel, unerkannt blühet. Ich darf Ihnen diese
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||
Allegorie noch nicht näher erklären, vielleicht geschieht es ins künftige. – Mündlich dereinst hoffe ich,
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Ihnen das ganze Gemälde von meinem Lebenslauf aufzustellen, das in einem Briefe Ihnen viel zu
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||
seltsam und romanhaft vorkommen würde. Glauben Sie mir aber, daß die menschliche
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||
Einbildungskraft lange nicht so viel erdichten kann, als das menschliche Leben oft erfahren muß.
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||
<line tab="1"/>Ich habe an diesem Orte kurz vor meiner Abreise eine Predigt, fast aus dem Stegreif gehalten. Sie fiel
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für den ersten Versuch und für ein Impromptu gut aus, allein ich entdeckte einen wesentlichen Fehler
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||
fürs Predigtamt an mir, die Stimme. Ich ward heiser und fast krank, und jedermann beschuldigte mich
|
||
doch, zu leise geredet zu haben, da überdem die Kirche eine der kleinsten war. Was für eine Stelle mir
|
||
also dereinst der Hausvater im Weinberge anweisen wird, weiß ich nicht, sorge auch nicht dafür. Noch
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||
arbeite ich immer nur für mich und lerne von den Vögeln frei und unbekümmert auf den Armen der
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||
Bäume den Schöpfer zu loben, gewiß versichert, das Körnchen das sie heute gesättigt, werde sich
|
||
morgen schon wieder finden. Nach Straßburg schicke ich von Zeit zu Zeit kleine Abhandlungen an
|
||
eine Gesellschaft der schönen Wißenschaften, die mich zu ihrem Ehrenmitgliede erwählt hat, und die
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||
davon mehr Aufhebens macht, als mir lieb ist. Ob sich auch in Landau für mich ein Feld eröffnen wird,
|
||
in dem ich ein wenig graben kann, weiß ich nicht. Ich werde keinen Wink der Vorsehung aus der Acht
|
||
lassen, aber auch nicht murren, wenn ich dort noch eine Weile unerkannt und ungedungen am Markt
|
||
stehen bleibe. Meine Freundschaften und Verbindungen in Strasburg werden durch diese Reise, die
|
||
mich Ihnen einige Stunden näher bringt, nicht zerrissen, sondern nur noch enger zusammengezogen,
|
||
da auch bei Freunden und Gönnern immer das Sprichwort wahr bleibt <aq>Major ex longinquo reverentia.</aq>
|
||
Doch seit einiger Zeit, (ich rede von Herzen mit Ihnen) bin ich ziemlich gelassen auch bei den
|
||
empfindlichsten Trennungen und Verlusten. Ich habe ihrer schon so viel erfahren. Einige menschliche
|
||
Thränen, und alsdenn fröhlich ˕wieder˕ das ganze Herz dem übergeben, der uns für den Verlust einer
|
||
Welt entschädigen kann. Die große Moral, die ich aus meinen bisherigen Schicksalen mir abgezogen,
|
||
soll immer mein Hauptstudium bleiben: Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und
|
||
Erden. Jetzt will ich hier abbrechen und den Beschluß auf einige Tage weiter sparen, da ich Ihnen
|
||
auch etwas von Landau melden kann. <line type="empty"/>
|
||
|
||
Landau den 2ten October.
|
||
Viele Vorfälle, die mich ganz foderten, haben mir nicht soviel Zeit gelassen, meinen Brief an Sie zu
|
||
endigen. Hier muß ich ihn eben stehendes Fußes zum Ende bringen, da sich eine gute Gelegenheit
|
||
findet, ihn fortzuschaffen. Ich habe in Landau noch sehr wenig Bekanntschaft gemacht. Der Senior
|
||
Herr Mühlberge, ein Schwager meines geliebten Freundes, des Herrn Licentiats Salzmann in
|
||
Straßburg, scheint ein wackerer Mann zu sein. Ich bin bey ihm gewesen, habe ihn aber nicht
|
||
angetroffen. Seyn Sie doch so gütig, und lassen einliegenden Brief nach Reval kommen, er ist von
|
||
einem Feldwebel aus unserm Regiment, der mein Landsmann ist, und als solcher mich gar zu
|
||
inständigst gebeten, doch einmal einen Brief von ihm an die Seinigen zu schaffen. Er ist itzt schon 30
|
||
Jahr von Hause, verschiedene Landsleute haben seinen Brief angenommen, keiner aber bestellt. O
|
||
dacht ich, so werden deine saubern Landsleute es mit deinen Briefen auch gemacht haben –
|
||
wenigstens will ich so leichtsinnig nicht sein. Sie werden mir vergeben, daß ich Ihnen dadurch Kosten
|
||
mache. Der Mann heißt Hönn, ist eines Predigers Sohn, und hat unter die Soldaten gehen müssen,
|
||
weil seine unmenschliche Stiefmutter, sogleich nach dem Tode seines Vaters, ihm da er kaum 1 Jahr
|
||
auf der Akademie gewesen, weder Geld noch Brief noch Anweisung mehr geschickt. Er macht noch
|
||
Ansprüche auf das Vermögen seines Vaters, wenn anders welches da ist, indem sie sich verheirathet
|
||
haben soll und zwar an einen gewissen Past. Oldekop: ich kann nicht begreifen, ob dieser Past.
|
||
Oldekop ein weitläuftiger Verwandte von unserm liebenswürdigen Freunde sein sollte. Übrigens führt
|
||
dieser Mensch sich ganz ordentlich.
|
||
<line tab="1"/>Jetzt muß ich abbrechen, wenn Sie anders diesen Brief noch erhalten sollen. Es heißt, das Regiment
|
||
soll auf den Winter nach Straßburg. Wenn ich nach Liefland komme, weiß Gott, indessen sorgen Sie
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||
nie für mich, überlassen Sie dieses ihm. In dessen Vorsorge ich auch Sie empfehle. Tausend Grüße an
|
||
alle gute Freunde, tausend Küsse an alle meine Geschwister. Meine beste Mama! o könnte mein
|
||
Gebeth Sie gesund machen. Ich küsse Ihr und Ihnen aufs zärtlichste die Hände
|
||
als
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||
Dero<line type="break"/>
|
||
gehorsamster Sohn<line type="break"/>
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||
J. M. R. Lenz.</letterText>
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||
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||
<letterText letter="18">Landau, den 7. September. <line type="empty"/>
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||
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||
<line tab="1"/>So wenig Zeit mir auch übrig ist, so muß ich Ihnen doch sagen, daß ich Sie in Landau noch eben so
|
||
hoch schätze, ebenso liebe, als in Fort-Louis. Unser Marsch war angenehm genug: vor Tage zu Pferde,
|
||
und vom Mittag, bis in die Nacht gerastet. Ich möchte so durch die Welt reisen. Weißenburg hat mir
|
||
gefallen, die dortige Schweizergarnison glich den Priestern der Cybele, so erfreute sie die Ankunft
|
||
eines deutschen Regiments. Landau kann in der That das Schlüsselloch von Frankreich heißen, da es
|
||
nur zween Thore hat, eins nach vorne, das andere nach hinten. Unsern Ausgang segne Gott, unsern
|
||
Eingang – – Ich wohne bei einem Herrn Schuch, der ein naher Verwandter vom Herrn Türkheim seyn
|
||
will. Seine Frau und er spielen mir alle Abende Komödie, wobei mein Herz mehr lacht, als bei allen
|
||
Farcen des Herrn Montval und Ribou. Er ist ein gutwilliger Schwätzer, gegen seine Frau, ein rechter
|
||
Adventsesel und auch gegen die Füllen bei ihr. Sie trägt Hosen und Zepter, eine Teintüre von Andacht
|
||
und koketter Prüderie – in der That, meinen kleinen Plautus hinterdrein gelesen und ich brauche kein
|
||
Theater. Melden Sie mir doch, was das Ihrige in Straßburg macht und ob dort kein deutsches zu
|
||
erwarten sei. Beim Herrn Senior, der fast die alleinige Materie des Gesprächs meiner Wirthsleute ist
|
||
(ausgenommen den gestrigen vortrefflichen Abend, wo wir lauter Haupt- und Staatsaktionen
|
||
ausmachten) bin ich noch nicht gewesen. Der Bürgermeister Schademann soll schon seit geraumer
|
||
Zeit todt seyn. Vielleicht erlange ich die Bekanntschaft seines Sohnes, der sehr reich sein soll. Ein
|
||
Rektor bei der hiesigen Schule, der im Kloster einen Sohn hat, der schon Magister ist (wo mir recht
|
||
ist, hab ich ihn dort gesehen) soll eine gute Bibliothek haben: da muß ich suchen unterzukommen.
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Seyen Sie doch so gütig und schreiben mir in Ihrem nächsten Briefe den Namen des Churfürsten von
|
||
der Pfalz; wie auch den Charakter und die Adresse des Herrn Lamey, ein Name, den ich in Straßburg
|
||
oft gehört. Sie lachen – wozu das? Nun, nun, es hat nichts zu bedeuten, ein guter Freund hat mich um
|
||
beide in einem Briefe ersucht. Einen Nachmittagsprediger habe ich hier gehört, der keine Pfeife
|
||
Toback werth vorgebracht. Ich ging nach Hause und las Spalding, vom Werth der Gefühle im
|
||
Christentum. Welch ein Kontrast! Dieses Buch müssen Sie auch lesen, mein Sokrates! es macht
|
||
wenigstens Vergnügen zu finden, daß Andere mit uns nach demselben Punkt visiren. Ich freue mich,
|
||
daß man in einem Tage von hier nach Straßburg kommen kann, wer weiß wenn ich Sie überrasche.
|
||
Fahren Sie fort mit Ihrer Gewohnheit für mich. –
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||
Lenz.</letterText>
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||
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<letterText letter="19">Landau, den 18ten. <line type="empty"/>
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||
Guter Sokrates!
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<line tab="1"/>„Ohne mich nicht ganz glücklich“ – Fürchten Sie sich der Sünde nicht, einen jungen Menschen stolz zu
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||
machen, dessen Herz noch allen Passionen offen steht und durch Zeit und Erfahrung nur noch sehr
|
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wenig verbollwerkt ist? Da ich so tief in Ihr System geguckt, da ich weiß, daß Ihre Religion die
|
||
Glückseligkeit ist – so konnte mir kein größeres Compliment gemacht werden, als, daß ich im Stande
|
||
sey, mit etwas dazu beyzutragen, wenn’s auch nur so viel ist, als ein Mäuschen zum Rhein. – Spaß bei
|
||
Seite, die Glückseligkeit ist ein sonderbares Ding, ich glaube immer noch, daß wir schon hier in der
|
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Welt so glücklich seyen, als wir es nach der Einrichtung unseres Geistes und Körpers werden können.
|
||
Die Tugend ist das einzige Mittel diese Glückseligkeit in ihrer höchsten Höhe zu erhalten und die
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||
Religion versichert uns, sie werde auch nach dem Tode währen und dient also dieser Tugend mehr zur
|
||
Aufmunterung, als zur Richtschnur. Da kommt nun aber die verzweifelte Krankheit, von der Sie
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||
schreiben und wirft mir mein ganzes Kartenhaus über den Haufen. Allein sie muß doch auch wozu
|
||
heilsam seyn, vielleicht, wie Sie sagen, ist sie das Fegfeuer unserer Tugend, wenigstens macht sie uns
|
||
die Gesundheit desto angenehmer und trägt, durch den Contrast, also zu dem Ganzen unserer
|
||
Glückseligkeit auch mit das Ihre bei. Wiewohl, ich habe gut philosophiren, da ich sie, dem Himmel sey
|
||
Dank, schon seit so langer Zeit, bloß vom Hörensagen kenne. Ich bin jetzt auch von lauter Kranken
|
||
eingeschlossen und denke dabei beständig an Sie. Wiewohl ich aus dem Schluß Ihres letzten Briefes
|
||
zu meiner Beruhigung schließe, daß Sie jetzt wieder völlig hergestellt seyen. Sie werden von Herrn Ott
|
||
hören, wie ich mich amusire. Wenig genug und doch sehr viel. Wenn man Käse und Brod hat,
|
||
schmeckt uns die Mahlzeit eben so gut, als wenn das Regiment <aq>de Picardie</aq> traktirt, vorausgesetzt,
|
||
daß wir in einem Fall, wie im andern, recht derben Hunger haben. Um also glücklich zu seyn, sehe ich
|
||
wohl, werde ich künftig nur immer an meinem Magen arbeiten, nicht an der Mahlzeit, die ich ihm
|
||
vorsetze. Die Umstände, in denen wir uns befinden, müssen sich schon nach uns richten, wenn wir
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||
selbst nur fähig sind, glücklich zu seyn. – Bin ich doch ganz Philosoph geworden, werden Sie nur über
|
||
mein Geschwätz nicht von Neuem krank! Den Herrn Senior habe ich nur in seiner Kirche besucht und
|
||
noch nicht recht das Herz, ihn näher kennen zu lernen. Den Rektor der hiesigen Schule hab ich in
|
||
seinem Hause besucht und möchte wohl schwerlich wieder hingehen. Ich fragt’ ihn nach den hiesigen
|
||
Gelehrten: er lachte. Das war vortrefflich geantwortet, nur hätte der gute Mann die betrübte
|
||
Ahndung, die dieses Lachen bei mir erregte, nicht bestätigen sollen. Er beklagt sich über den
|
||
Schulstaub und die häuslichen Sorgen – da, da, mein theuerster Freund, fühlte ich eine Beklemmung
|
||
über die Brust, wie sie Daniel nicht stärker hat fühlen können, als er in den Löwengraben hinabsank.
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||
In seiner Jugend, sagt’ er, hätte er noch <aq>fait</aq> vom Studieren gemacht, jetzt – o mein Freund, ich kann
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||
Ihnen das Gemälde nicht auszeichnen, es empört meine zartesten Empfindungen. Den heiligen
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||
Laurentins auf dem Rost hätt’ ich nicht mit dem Mitleiden angesehen, als diesen– Märtyrer des
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||
Schulstandes, eines Standes, der an einem Ort wie Landau, mir in der That ein Fegfeuer scheint, aus
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||
dem man alle guten Seelen wegbeten sollte. Er hatte seine Bibliothek nicht aufgestellt, es waren
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||
bestäubte, verweste Bände, die er vermuthlich nur in seiner Jugend gebraucht – ausgenommen die
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||
allgemeine Welthistorie figurirte, in Franzband eingebunden, besonders. – Vielleicht daß ich da mich
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||
einmal bei ihm zu Gast bitte. Er scheint übrigens der beste Mann von der Welt – o Gott, eh’ so viel
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||
Gras über meine Seele wachsen soll, so wollt’ ich lieber, daß nie eine Pflugschaar drüber gefahren
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||
wäre. Jetzt bin ich ganz traurig, ganz niedergeschlagen, blos durch die Erinnerung an diesen Besuch.
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||
Nein, ich darf nicht wieder hingehen. Wie glücklich sind Sie, mein Sokrates, wenigstens glänzt eine
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||
angenehme Morgenröthe des Geschmacks in Straßburg um Sie herum, da ich hier in der ödesten
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Mitternacht tappend einen Fußsteig suchen muß. Keine Bücher! ha Natur, wenn du mir auch dein
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großes Buch vor der Nase zuschlägst (in der That regnet es hier seit einigen Tagen anhaltend), was
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||
werd’ ich anfangen? Dann noch über die Glückseligkeit philosophiren, wenn ich von ihr nichts als das
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Nachsehen habe? Doch vielleicht kriegt mich ein guter Engel beim Schopf und führt mich nach
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Straßburg. – – Meine Lektüre schränkt sich jetzt auf drey Bücher ein: Eine große Nürnbergerbibel mit
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der Auslegung, die ich überschlage, ein dicker Plautus, mit Anmerkungen, die mir die Galle etwas aus
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dem Magen führen und mein getreuster Homer. Ich habe schon wieder ein Stück aus dem Plautus
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übersetzt und werd’ es ehestens nach Straßburg schicken. Es ist nach meinem Urtheil das beste, das
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er gemacht hat (doch ich kenne noch nicht alle). Noch an eins möcht ich mich machen: es ist eine Art
|
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von Dank, den ich dem Alten sage, für das herzliche Vergnügen, das er mir macht. Ist es nicht reizend,
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||
nach so vielen Jahrhunderten, noch ein Wohlthäter des menschlichen Geschlechts zu sein?<line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Heut’ möcht’ ich Ihnen einen Bogen voll schreiben, aber ich besinne mich, daß das, was mir ein
|
||
Präservativ für eine Krankheit ist, Ihnen leicht ein Recidiv geben kann. Ich bin ganz der Ihrige<line type="break"/>
|
||
Lenz.</letterText>
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<letterText letter="20"><align pos="right">Arensburg in der Insel Oesel d. 24. Septbr: a. St. 1772</align> <line type="empty"/>
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||
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Mein zärtlich geliebter Bruder, <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Um die Freude auszudrücken, die Dein Brief mir verursachet, müßte ich mehr Muße und einen
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||
größern Raum haben. Der Anblick einer Hand, die ich zwey lange Jahre zu sehn entwöhnt bin, war das
|
||
für mich, was Robinson auf einer wüsten Insel der erste Anblick einer Menschen-Gestalt nur immer
|
||
seyn konnte. – Ich weiß jetzt daß Du lebst, daß Du wo nicht glücklich doch auch nicht ganz unglücklich
|
||
bist, und dieß ist alles. – Aber die Schicksale, die Du verschweigst, mir verschweigst, in dessen Busen
|
||
Deine Geheimnisse, wenn Du welche hast, so gut verwahrt wären, wie in der Deinigen, gewiß diese
|
||
machen mich unruhig. Gott weiß, daß ich Dein Glück wünsche, und so sehr wünsche, als es vielleicht
|
||
keiner außer mir thut. Könnte ich zu Deiner Zufriedenheit was beytragen, wie sehr würde meine
|
||
eigne vergrößert werden. Sey offenhertzig gegen mich, wenn Du von meiner Zärtlichkeit überzeugt
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bist; Und der Himmel verzeyhe es Dir, wenn Du es nicht bist. Sollte vielleicht Deine Rückreise durch
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||
kleine Verwickelungen aufgehalten werden, so entdecke Dich mir, vielleicht kann ich Mittel erfinden,
|
||
Dir zu helfen? Denn was würde ich nicht dran wenden, Dich noch einmahl zu sehen, einmahl alle
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||
meine bisherigen Schicksale in Deinen Busen auszuschütten, und aus Deinem Munde die Deinigen zu
|
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hören, die mich wo nicht mehr doch eben so sehr <aq>intereßiren</aq> wie meine eignen. – Unser guter alter
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Vater, ich weiß, daß er Dich sehr liebt, es würde ihn tief beugen, wenn Du Hülfe nöthig hättest, und er
|
||
Dir nicht helfen könnte. Verschone ihn also, wenn Du in Verlegenheit bist, eben so wie unsere
|
||
Geschwister, die selbst in Schulden, eben so wie er begraben sind. Wende Dich an mich, mich wird
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||
die Last nicht niederdrücken, die ich für meinen Bruder trage, den meine ganze Seele liebt. Ich bin
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||
auch jünger wie sie, und habe keine Frau und Kinder, die mir Vorwürfe machen können. – Was für ein
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Verdienst, Dich unserm Vaterlande, unsern frommen Eltern, unsem frohen Geschwistern und
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Freunden wiederzugeben, wie weit überwiegt es alle Ungemächlichkeiten! – Und dieß erwarte ich
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von Deiner Liebe, wenn es wahr ist, daß Du mich liebst. – Laß mich immer bey meiner Einbildung
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<page index="2"/> daß unter den vielen Ursachen, die Dich bewegen müssen, zurückzukommen, <insertion pos="top">ich</insertion> auch eine
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kleine seyn könnte. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich zweifle nicht, daß Du ebenso ungeduldig bist, meine Geschichte zu hören, wie ich die Deinige. Ich
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mache Dir keinen Vorwurf. Aber – genung es ist traurig für mich, so wenig von Dir zu wißen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Du weißt, daß ich in meiner vorigen Condition einen Antrag zum Fiscalat in Dörpt bekam, den ich aus
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vielen kleinen Ursachen ausschlug, die die Vorsehung vielleicht mir zu meinem Glück in den Weg
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legte. Einige Wochen drauf kam ich in Vorschlag zum <aq>Stadts-Secretariat</aq> in <aq>Arensburg</aq>. Wunderbar hat
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unser große u. gute Vater mich bisher geführt. Alle Hindernisse mußten gehoben werden, und seit
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dem Anfange des vorigen Monats bin ich würklich ein 20jähriger <aq>Secretaire</aq>. Einige Ausarbeitungen,
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die ich <aq>loco</aq> eines <aq>examinis</aq> machen muste, geriethen gut, weil ich mühsam in der Condition das
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nachgeholt hatte, was ich auf der Akademie versäumt. <aq>Turzelmann</aq>, Ratsherr, u. ein Mutterbruder von
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unsrer Tarwastschen Schwiegerin ist das Werkzeug meiner Beförderung, bey dem ich wohne und
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speise, und der mich in allem, was mir noch am Schlendrijan fehlt, unterstützt und leitet. Meine
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Bedienung trägt 300 Rbl. auch wohl beyguten Jahren gegen 400 Rbl. ein, ernährt also, wenn eine gute
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Advokatur dazu kömmt, ihren Mann. Aber gegen 500 Rbl. die ich schuldig bin, und die ich ehrlich
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bezahlen will, und die schlechten, armseligen Zeiten werden mich lange noch nicht in den Stand
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setzen, meine eigene Hütte, zu verstehen mit einer zärtlichen Freundinn, die die Mühseeligkeilen
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dieses Lebens mit tragen hilft, zu bewohnen. Es sey drum. So groß mein Begriff von einer solchen
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Glückseeligkeit ist, so ist doch die Erfüllung unsrer Pflichten, und das nicht Bewustseyn einer bösen
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Handlung <insertion pos="top">eine</insertion> nicht viel kleinere. – Der Character dieser Nation, die Beschaffenheit der Stadt und
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des Landes, und die kleineren Umstände meiner Geschichte, verspare ich bis zu unserer – Gott gebe
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baldigen Umarmung. Ich wiederhole noch einmahl, was ich wegen <insertion pos="top">der</insertion> Hinderniße die Dich abhalten
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könnten, so bald als möglich in unsre Arme zurückzufliegen, gesagt habe. Eile mein Bruder. Du bist
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Dich Deinem Vaterlande schuldig – mir – u. o wie vielen anderen. Der Himmel wird Dir hier schon
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Brodt geben, und vielleicht, gleich sobald Du ankömmst. Ich erwarte bald Nachricht von Dir. Wenn sie
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aber so wäre, daß sie unsern Vater kränken könnte, so <aq>adreßire</aq> den Brief nicht an ihn, weil er ihn
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aufbrechen würde, sondern schicke ihn durch den jungen Sievers in Strasburg, wenn Du sicher bist,
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daß er ihn gut bestellt. Ich unterhalte mit einigen aus dem Hause eine Corres<page index="3"/>pondence, und
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bekomme ihn also gewiß, wenn er nur von dort abgeht. Sein Vater ist Land-Rath u. auf Euseküll.
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Wenn Du ihn nicht kennst, so mache eine Gelegenheit zur Bekanntschaft. Ich habe viel Gutes von ihm
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gehört. – Die Condition, von der ich Dir schrieb, u. die ich gehabt habe, ist nun besetzt. – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Meine Geschäfte, deren eine ungeheure Menge ist, laßen mir nicht Zeit, mehr zu schreiben. Ich
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wünsche, daß dieser Brief zu Dir komme. Doch aus Deinen Briefen sehe ich, daß meine Briefe immer
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angekommen sind. Aber die Deinigen – ein feindseliger Dämon läßt sie nicht zu mir. Dieß war der
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erste, wer weiß wie lange ich wieder werde schmachten müssen. Ein froher Tag wird es seyn, wann
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wieder ein Brief von Dich kömmt. Unser leichtsinniger Freund <aq>Begau</aq> hat alle Einlagen an Papa u. an
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mich, ich weiß nicht wo gelaßen. Er ist in Curland in Condition u. hat seinen Vater verloren. – Genung
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für dießmahl. Lebe wohl. Der Himmel erfülle die Wünsche, die die wärmste, feurigste Zärtlichkeit
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eines Bruders für Dich thut. Es ist um desto schmertzhafter, daß die besten Herzen nicht die
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glücklichsten sind, weil ihrer so wenige sind. Ich umarme Dich. Wie kalt ist diese Umarmung! O Gott!
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wenn wird sie würklich werden. Wie dunkel ist die Zukunft unsrer Schicksale! Eine Anlage die ich
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immer zur Melancholie gehabt, macht mich traurig, und beklemmt <del>mich</del>, wenn ich an eine so große
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Entfernung denke, u. <insertion pos="top">an</insertion> alle Möglichkeiten, alle die <aq>Fantomes</aq> die sich schaarenweise einer
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aufgebrachten Einbildung vordrängen. Wenn wird dieser frohe Tag kommen? – Oder wird er j emals
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kommen? – Wozu der Vorwitz? Die Wege der Vorsehung führen uns am besten. Und noch ein
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Lebewohl, ein Abschieds-Kuß, eine wollüstige kleine Thräne mit der Versicherung meiner innigsten
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Zärtlichkeit, u. daß die Deinige eine der größten Glückseeligkeiten meines Lebens ist. <line type="empty"/>
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Johann Christian Lenz. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Tausend Grüße an die Herrn v. Kleist. Ich wünsche sehr, u. mit dem aufrichtigsten Herzen, daß sie
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meine Freunde sind, u. sich meiner noch erinnern. – Sey glücklich! mein Bruder. – Von der Seite der
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Freunde bist Du es mehr als ich. Traurig genung, daß ich keinen eintzigen Busenfreund habe. Und was
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ist ein Leben ohne Freundschaft? Du hast es nie empfunden, ich liebe Dich auch zu sehr, um es zu
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wünschen. Laß mich bald in Dir meinen ersten und fast meinen eintzigen Freund wiederbekommen.
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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A Monsieur <line type="break"/>
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Monsieur J. M. R. Lenz. <line type="break"/>
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Kandidat der Theologie, <line type="break"/>
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presentement a Fort Louis <line type="break"/>
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P. Cond.
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<note>nicht identifizierte Hand</note>
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Capitaine Lieutenant Salomon Bodmer in der Mühle zu Wölflingen im Canton Zürich.<!-- "<hand>" benötigt zwingend eine Referenz. Wie kann dabei in dem Fall vorgegangen werden, wenn keine Hand identifiziert wurde? --></letterText>
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<letterText letter="21"> <line tab="1"/>Herr Simon kommt zurück eh’ ich ihn haben will: ich kann Ihnen also das Versprochene nicht
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zuschicken. Es war mein Trauerspiel, welches ich jetzt eben für Sie abschreibe. Ich werde schon eine
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andre Gelegenheit finden es Ihnen zukommen zu lassen. Nicht einmal einen langen Brief erlaubt mir
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seine beschleunigte Abreise. Gut, daß ich dann und wann, bei Lesung des Leibnitz ein hingeworfenes
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Blatt für Sie beschrieben habe. Vergeben Sie mir, daß ich es nicht abschreibe und meine Gedanken in
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Ordnung bringe. Ihnen, als einem unverwöhnten Auge, darf ich sie auch im Schlafrock zeigen; wenn
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sie wahr sind, werden sie Ihnen auch alsdann besser gefallen, als falsche in einem Gallakleide. – Wie
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ich Ihnen gesagt habe, meine philosophischen Betrachtungen dürfen nicht über zwo, drei Minuten
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währen, sonst tut mir der Kopf weh. Aber wenn ich einen Gegenstand fünf-, zehnmal so flüchtig
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angesehen habe, und finde, daß er noch immer da bleibt und mir immer besser gefällt, so halt’ ich
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ihn für wahr und meine Empfindung führt mich darin richtiger als meine Schlüsse. Nro. 11. ist eine
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Apologie meines allerersten Briefes über die Erlösung. Nachdem ich aber Ihre Antwort wieder
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durchgelesen, finde ich, daß wir fast einerlei gedacht und dasselbe mit andern Worten ausgedrückt
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haben. Sie haben mich unrecht verstanden, wenn Sie glaubten, ich ließe Gott die übeln Folgen der
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Sünde auf den Mittler lenken, bloß um seine strafende Gerechtigkeit zu befriedigen. Leibnitz dieses;
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er sagt, es ist eine Convenienz, die ihn zwingt Gutes zu belohnen und Böses zu bestrafen. Ich denke
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aber, es geschieht bloß um unsertwillen, weil, auf das moralische Uebel kein physisches Uebel, als
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eine Strafe folgt; wir lieber Böses als Gutes tun würden, da das Böse leichter zu tun ist. Und warum
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Gott das Gute für unsere Natur schwerer gemacht hat, davon ist die Ursache klar, damit wir nicht
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müßig gehen; unsere Seele ist nicht zum Stillsitzen, sondern zum Gehen, Arbeiten, Handeln
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geschaffen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Doch <aq>seriosa in crastinum</aq>. – Ich werde hoffentlich noch mit Ihnen diesen Winter zusammenkommen;
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wiewohl das Regiment jetzt die letzte Ordre erhalten hat, hier zu bleiben. Wenn ich Sie Sehe – Jetzt
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fühle ich, daß die ideale Gegenwart eines Freundes die persönliche nicht ersetzen kann, so werde ich
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Ihnen viel zu sagen haben. Meine Seele hat sich hier zu einem Entschlusse ausgewickelt, dem alle Ihre
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Vorstellungen – dem die Vorstellungen der ganzen Welt vielleicht, keine andere Falte werden geben
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können. Wenn ich anders ihn einem Menschen auf der Welt mittheile, ehe er ausgeführt ist. – Mein
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guter Sokrates, entziehen Sie mir um dessentwillen Ihre Freundschaft nicht; bedenken Sie, daß die
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Welt ein Ganzes ist, in welches allerlei Individua passen; die der Schöpfer jedes mit verschiedenen
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Kräften und Neigungen ausgerüstet hat, die ihre Bestimmung in sich selbst erforschen und hernach
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dieselbe erfüllen müssen; sie seie welche sie wolle. Das Ganze giebt doch hernach die schönste
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Harmonie die zu denken ist und macht daß der Werkmeister mit gnädigen Augen darauf hinabsieht
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und <it>gut findet</it> <!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? -->was er geschaffen hat. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Nicht wahr, ich rede mystisch, Ihnen fehlten die Prämissen, um meine Folgesätze zu verstehen. Sie
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werden sie verstehen, nur Geduld. – In der Erwartung will ich Ihnen nur mit der größten logischen
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Deutlichkeit sagen, daß ich von ganzem Herzen bin und bleibe <line type="empty"/><line type="break"/>
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Ihr drollichter <aq>Alcibiades</aq>. <line type="empty"/>
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Sagen Sie doch dem Ott, daß er den <aq>Lenz</aq> nicht über dem <it>Herbst</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> vergesse.</letterText>
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<letterText letter="22">Würdiger Mann!
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<line tab="1"/>Ich sehe in Ihrem Raritätenkasten – alles, was uns die Herrn Modephilosophen und Moralisten, mit
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einer marktschreierischen Wortkrämerei, in großen Folianten hererzählen, in zwei Worten
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zusammengeraßt und so glücklich zusammengefaßt, daß sich dazu weder zusetzen noch davon
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abnehmen läßt. Das ist vortrefflich – also das Ziel ist gesteckt, nun Ihre Hand her, mein Sokrates, wir
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wollen darauf zugehen, wie auf ein stilles und friedelächelndes Zoar und die hinterlassenen
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Vorurtheile immer in Feuer und Schwefel aufgehen lassen, ohne uns darnach umzusehen. Mögen
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furchtsame Weiber sich darnach umsehen und drüber zu Salzsäulen werden. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Um noch eine Stelle Ihres ohnendletzten Briefes zu berühren, wo Sie mir zu bedenken aufgaben, ob
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Gott wohl uns das Gute könne schwerer machen, als das Böse, oder (um mit Ihren Worten mich
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auszudrücken) ob er wohl die <aq>vim inertiae</aq> in uns stärker könne gemacht haben, als die <aq>vim activam</aq>,
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so antworte ich, daß ich keine <aq>vim inertiae</aq> glaube. Bedenken Sie doch, mit welchem Fug, wir wohl für
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die Unthätigkeit eine Kraft annehmen können? Vereinigung einer Kraft ist sie, Vernachlässigung der
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<aq>vis activa</aq>, welche in Wirksamkeit und Thätigkeit zu setzen, allemal in unserm Belieben steht oder
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nicht. Es ist aber die Natur einer jeden Kraft, daß sie nur durch Übung erhalten und vermehrt, durch
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Vernachlässigung aber, so zu sagen eingeschläfert und verringert wird. Und daß die Übung dieser
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Kraft schwerer, als ihre Vernachlässigung sey, liegt in der Natur der Sache und konnte von Gott nicht
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verändert werden. <aq>Positio</aq> ist allemal schwerer als <aq>negatio</aq>, wirken schwerer als ruhen, thun schwerer
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als nicht thun. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Was die Einwirkung Gottes in die Menschen betrifft, so kann ich mir nur vier Arten davon denken. Er
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unterstützt und erhält die in uns gelegten Kräfte und Fähigkeiten – diese ist <it>natürlich</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? -->, das heißt,
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unsere Vernunft kann sie auch ohne Offenbarung erkennen; und <it>unmittelbar</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> – hernach, er leitet die
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äußern Umstände und Begebenheiten in der Welt so, daß eine oder die andere Fähigkeit in uns
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entwickelt oder vergrößert werde, je nachdem es sein Rathschluß für gut befindet, diese ist gleichfalls
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||
<it>natürlich</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> aber mittelbar. Zum dritten wirkt er durch die in uns geoffenbarten Wahrheiten – diese ist
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||
also, ihrem ersten Ursprung nach, <it>übernatürlich</it>, aber zugleich <it>mittelbar</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> und den Gesetzen der Natur
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gemäß. Zum vierten wirkt er übernatürlich und unmittelbar, wie in den Propheten und Aposteln;
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||
diese Einwirkung ist über die Gesetze der Natur erhaben, läßt sich also nicht mehr erklären (wiewohl
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wir auch nicht das Recht haben, sie noch jetzt aus der gegenwärtigen Welt auszuschließen, im Fall die
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Gottheit gewisse außerordentliche Endzwecke dadurch befördern wollte, welchen Fall aber, meiner
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Meinung nach, unsere Vernunft nie determiniren kann, sondern vielmehr jedes Phänomen für
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verdächtig halten muß, welches nicht die dazu erforderlichen Kennzeichen bei sich hat). <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Jetzt möge meine philosophische Muse ruhen, sich still zu Ihren Füßen setzen und von Ihnen lernen.
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Spekulation ist Spekulation, bläset auf und bleibt leer, schmeichelt und macht doch nicht glücklich.
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Zusammen mögen sich die Fittige des Geistes halten, und im Thal ruhen, ehe sie, wenn sie der Sonne
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zu nahe kommen, in zerlassenem Wachs heruntertröpfeln und den armen Geist, welcher auf dem
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Lande so sicher und lustig hätte einher gehe'n können, aus der Luft in das Meer herab wirft. <line type="empty"/>
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– – Hier ist mein Trauerspiel mit dem Wunsch: möchte dieser Raritätenkasten des Ihrigen werth seyn.
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Das beste ist, daß wir beim Tausch nicht verlieren, denn unter sympathisirenden Seelen ist <aq>communio
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bonorum</aq>. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Es ist wahr, meine Seele hat bei aller anscheinenden Lustigkeit, jetzt mehr als jemals, eine tragische
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Stimmung. Die Lage meiner äußern Umstände trägt wohl das Meiste dazu bei, aber – sie soll sie, sie
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||
mag sie nun höher oder tiefer stimmen, doch nie verstimmen. Eine sanfte Melancholei verträgt sich
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sehr wohl mit unserer Glückseligkeit und ich hoffe – nein ich bin gewiß, daß sie sich noch einst in
|
||
reine und dauerhafte Freude auflösen wird, wie ein dunkler Sommermorgen, in einen wolkenlosen
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Mittag. Auch fehlen mir jetzt öftere Sonnenblicke nicht, nur kann freilich ein Herz, dem die süßen
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||
Ergötzungen der Freundschaft und – der Liebe – sogar einer vernünftigen Gesellschaft genommen
|
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sind, bisweilen einen Seufzer nicht unterdrücken. An den Brüsten der Natur hange ich jetzt mit
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verdoppelter Inbrunst, sie mag ihre Stirne mit Sonnenstrahlen oder kalten Nebeln umbinden, ihr
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||
mütterliches Antlitz lächelt mir immer und oft wird’ ich versucht, mit dem alten Junius Brutus, mich
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||
auf den Boden niederzuwerfen und ihr mit einem stummen Kuß für ihre Freundlichkeit zu danken. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>In der That, ich finde in der Flur, um Landau, täglich neue Schönheiten und der kälteste Nordwind
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kann mich nicht von ihr zurückschrecken. Hätt’ ich doch eines göttlichen Malers Pinsel, ich wollte
|
||
Ihnen gleich einige Seiten von diesem vortrefflichen Amphitheater der Natur hinmalen, so lebhaft
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||
hat’s sich in meiner Fantasei abgedrückt. Berge, die den Himmel tragen, Thäler voll Dörfnern zu ihren
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||
Füßen, die dort zu schlafen scheinen, wie Jakob am Fuß seiner Himmelsleiter. –
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||
Doch ich würde nur schwärmen, wenn ich fortführe und dafür muß ich meinen Geist in Acht nehmen.
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||
Ich hatte vor einigen Tagen einen Brief an Sie fertig, aber ich verbrannte ihn, denn ich hatte darin
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||
geschwärmt. Ich habe schon viel Papier hier verbrannt – ein guter Genius hat über dies Trauerspiel
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||
gewacht, sonst – und vielleicht hätten Sie nichts dabei verloren. So viel muß ich Ihnen sagen, daß ich
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||
es bei diesem ersten Versuch nicht werde bewenden lassen, denn ich fühle mich dazu – Ich muß
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||
abbrechen und Ihnen gute Nacht sagen. Möchten Sie doch aus Ihren Träumen lachend
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||
erwachen, wie ich heute Morgen aus den meinigen.
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||
Lenz.</letterText>
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<letterText letter="23"><line tab="1"/>Ich will Sie auch drücken, mein Sokrates, aber erst, wenn ich Sie ganz kennen gelernt und von ferne
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bewundert habe. – Recht so – wir stehen ganz beisammen; allen Ihren übrigen Meinungen
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||
unterschreibe ich. Wir müssen das Ordentliche von dem Außerordentlichen, das Natürliche vom
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||
Uebernatürlichen unterscheiden, nur müssen wir das Uebernatürliche nicht für unnatürlich halten,
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||
oder aus einer Welt verbannen, in der Gott nach einem höhern Plane arbeitet, als unser kurzsichtiger
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||
schielender Verstand übersehen kann. Ich bin sehr für das Ordentliche, für das Natürliche – nur eine
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||
aufmerksame Lesung der Briefe Pauli (der wirklich ein großer – ein übernatürlicher Mann war) zwingt
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||
mich eine übernatürliche Einwirkung nicht allein für möglich, sondern auch in gewissen Fällen (wie das
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z. E. da die Religion erst im Keimen war) für nothwendig zu halten. – – <line type="empty"/>
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||
<line tab="1"/>Um auf dem hohen Berge nicht stehen zu bleiben, sondern auch im Thale herumzuhüpfen – muß ich
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||
Ihnen sagen, daß Friedericke aus Straßburg an mich geschrieben und mir gesagt hat, sie habe dort
|
||
eine besondere Freude gehabt, die ich vielleicht boshaft genug seyn würde, zu errathen. Und das war
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||
die, Sie am Fenster gesehen zu haben. Sie schreibt ferner, sie wäre durch Ihren bloßen Anblick so
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||
dreist geworden, nach dem andern Theile des <aq>Tom Jones</aq> zu schicken und bittet mich sie desfalls zu
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||
entschuldigen. – Ist das nicht ein gutes Mädchen? –
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||
Und doch muß ich meinen Entschluß vor Ihnen verbergen. – <line type="empty"/>
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||
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||
Was ist das für ein Zusammenhang? – Ein trauriger – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich bin dazu bestimmt, mir selbst das Leben traurig zu machen – – aber ich weiß, daß, so sehr ich mir
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jetzt die Finger am Dorne zerritze, daß ich doch einmal eine Rose brechen werde – <line type="empty"/>
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||
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||
Zu allem diesem werde ich Ihnen die Schlüssel in Straßburg geben – <line type="empty"/>
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||
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||
<line tab="1"/>Der älteste Hr. von Kleist hat mir geschrieben, daß Briefe von meinem Vater da wären; er schickt sie
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||
mir aber nicht, ich soll sie selbst abholen. <line type="empty"/>
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||
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||
Nun aber stößt sich meine Hinreise noch an vielen Dingen. <line type="empty"/>
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||
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||
<line tab="1"/>Ich muß schließen, ich sehe, ich kann dies Blättchen nicht mehr zusiegeln, aber wenn es auch nicht
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||
unser Freund Ott wäre, durch dessen Hände es gienge, so sind unsere Briefe von der Art, als die
|
||
spartanischen Ephori an ihre Feldherrn schickten, die an einen gemeinschaftlichen Stab mußten
|
||
gewickelt werden, wenn man sie lesen wollte.
|
||
Ich bin bis ins Grab<line type="break"/>
|
||
Ihr<line type="break"/>
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||
Lenz.</letterText>
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<letterText letter="24">Mein – – <line type="empty"/>
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||
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||
<line tab="1"/>Doch ich will, von jetzt an, immer ohne Titel an Sie schreiben. Wenn Geister zu einander treten und
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||
sich miteinander besprechen, so können sie, mein’ ich den Scharrfuß wohl weglassen. Ich schreibe an
|
||
Sie, um Ihnen eine Veränderung zu melden, die mit mir vorgegangen. Ich bin ein Christ geworden –
|
||
glauben Sie mir wohl, daß ich es vorher nicht gewesen? Ich habe an allem gezweifelt und bin jetzt, ich
|
||
schreib es mit von dankbarer Empfindung durchdrungenem Herzen, zu einer Ueberzeugung
|
||
gekommen, wie sie mir nöthig war, zu einer philosophischen, nicht bloß moralischen. Der
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||
theologische Glaube ist das <aq>complementum</aq> unserer Vernunft, das dasjenige ersetzt, was dieser zur
|
||
gottfälligen Richtung unsers Willens fehlt. Ich halte ihn also blos für eine Wirkung der Gnade, zu der
|
||
wir nichts beitragen, als daß unser Herz in der rechten Verfassung sey, sie anzunehmen; diese
|
||
Verfassung aber besteht in einer vollkommen ernstlichen Liebe zur Tugend, zum Wahren, Guten und
|
||
Schönen. Dieser Glaube ist eine nothwendige Gabe Gottes, weil bei den meisten Menschen die
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||
Vernunft noch erst im Anfange ihrer Entwicklung ist, bei vielen aber niemals entwickelt wird. Je mehr
|
||
sich aber unsere Vernunft entwickelt (das geht bis ins Unendliche), desto mehr nimmt dieser
|
||
<aq>moralische</aq> Glaube, der in der That mehr in den Empfindungen als in der Erkenntnis gegründet ist, ab
|
||
und verwandelt sich in das Schauen, in eine Ueberzeugung der Vernunft. Ueberhaupt bedürfen wir
|
||
nicht mehr und nicht weniger moralisch zu glauben, als zur Seligkeit nothwendig ist, das übrige haben
|
||
wir immer noch die Freiheit in <aq>suspenso</aq> zu lassen. Aber auch dieses müssen wir viel mehr suchen in
|
||
Erkenntnis und Anschauen zu verwandeln, weil, nach Ordnung Gottes, unser Wille sich nach unserer
|
||
Erkenntniß richtet. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Dieses sind die Prämissen, die ich Ihnen voranschicke, um Ihnen eine vollständige Idee von meiner
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||
Ueberzeugung von unsrer Religion zu geben. Ich habe bisher die Erlösung unsers Heilands für nichts,
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||
als ein in die Augen fallendes Beispiel der Folgen der Sünde gehalten, das uns an der Person des
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||
vollkommensten Menschen, zur heilsamen Warnung aufgestellt worden. Denn, hab’ ich gedacht, die
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||
Idee eines Verdienstes, und wär es auch des vollkommensten, widerspricht der allervollkommensten
|
||
Barmherzigkeit Gottes, als welche nicht braucht erst durch ein Verdienst sich die Vergebung unserer
|
||
Sünden gleichsam abfodern und abzwingen zu lassen. Aber ich habe gefunden, daß ich sehr irrte.
|
||
Gott ist die Liebe – allein die übeln Folgen der Sünde aufzuheben (denn das heißt Sünde vergeben)
|
||
ohne die Sünde durch eben diese übeln Folgen zu strafen, hieße die Natur dessen, was gut und böse
|
||
ist, verändern und uns eben so viel Aufmunterung zum Bösen, als zum Guten, geben. Aber diese
|
||
übeln Folgen der Sünden einer ganzen Welt, auf einen dritten Gegenstand lenken, das konnte Gott,
|
||
das wird der Vernunft nicht schwer zu begreifen, das war das einzige Mittel, Sünde zu vergeben, ohne
|
||
sie zu strafen. Und eben dies läßt seine Barmherzigkeit in dem nämlichen Glanze. Freilich könnt’ es
|
||
scheinen, daß sie, gegen diesen dritten Gegenstand, welchen wir so lange unsern Heiland nennen
|
||
wollen, nicht ausgeübt worden, allein eben dieses ist der Gegenstand unsers Glaubens, hier kann die
|
||
Vernunft nicht weiter. Die Offenbarung sagt uns, dieser Heiland sei ein ganz reiner vollkommener
|
||
Mensch, vielleicht das Ideal der menschlichen Natur gewesen, dem sich die Gottheit selbst, auf eine,
|
||
uns unbegreifliche, Weise offenbart und mitgeteilet (das Wort vereinigt find’ ich nicht in der Bibel und
|
||
ist schon ein Schritt zu weit von unsern Theologen), den die Gottheit selbst, zu diesem großen
|
||
Geschäft unterstützt; den die Gottheit selbst, nach Vollendung desselben belohnt und ihm einen
|
||
Namen gegeben, der über alle Namen ist. Dieser Heiland aber, hat uns, außer seiner Lehre und
|
||
Beispiel, auch sein Verdienst gelassen, dessen er uns durch die Sakramente theilhaftig macht. Indem
|
||
er sich besonders durch das Sakrament des Abendmahls auf eine, zwar unbegreifliche, aber doch der
|
||
Vernunft nicht widersprechende, Art, mit uns geistig verbindet, so daß wir jetzt gleichsam alle an
|
||
seiner vollkommnen menschlichen Natur Antheil nehmen. Die Pflichten des Christenthums aber,
|
||
laufen alle dahin zusammen, diese Wahrheiten, die Christus uns verkündigt, zu glauben, gegen ihn
|
||
voll Liebe und Dankbarkeit sein Leben immer besser zu studieren, damit wir ihn immermehr lieben
|
||
und nachahmen, von ihm aber (welches die Hauptsache ist) zu Gott, als dem höchsten Gut, hinauf zu
|
||
steigen, ihn immer besser erkennen zu lernen, ja, alle Erkenntnisse, die wir hier erwerben, zu ihm, als
|
||
dem letzten Ziel zu lenken, um ihn als die Quelle alles Wahren, Guten und Schönen mit allen Kräften
|
||
unserer Seele zu lieben und (das ist die natürliche Folge davon) seinen Willen auszuüben, d.h. ihn von
|
||
ferne, im Schatten, nachzuahmen, wie er ganz Liebe und Wohlthätigkeit gegen das menschliche
|
||
Geschlecht, so kein größeres Glück kennen, als andere glücklich zu machen. <line type="empty"/>
|
||
|
||
<line tab="1"/>Sehen Sie hier den Extrakt meiner Religion, das Fazit einer aufmerksamen Lesung der Evangelisten,
|
||
deren göttliche oder menschliche Begeisterung ich unausgemacht lasse, und sie bloß als aufrichtige
|
||
Erzähler ansehe. Denn dieses ist gut zu wissen, aber nicht verderblich nicht zu wissen. <line type="empty"/>
|
||
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||
<line tab="1"/>Ich habe es für nöthig gehalten, Ihnen den Zustand meiner Seele zu schildern, damit wir uns ganz
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kennen lernen. Ich bin also jetzt ein guter evangelischer Christ, obgleich ich kein orthodoxer bin. Kann
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ich in meiner Überzeugung weiter kommen, so will ich dem Gott dafür danken, der es weiß, daß
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dieses das Lieblingsstudium meiner Seele ist und ewig bleiben wird. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Doch hoffe ich, niemals Prediger zu werden. Die Ursachen – da müßt’ ich Ihnen Bogen voll schreiben.
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Ich fühle mich nicht dazu. Dies ist aber kein dunkles, sinnliches – sondern das Gefühl meines ganzen
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Wesens, das mir so gut als Überzeugung gilt. – Aber ich fühle mich als Ihren Freund <line type="empty"/><line type="break"/>
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Lenz.</letterText>
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<letterText letter="25"><line tab="1"/>Hier haben Sie wieder ein Blättgen mit einer Hypothese. Untersuchen Sie sie, halten Sie sie an den
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Probierstein der Wahrheit – Der menschliche Verstand muß von der höchsten Wahrscheinlichkeit zur
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Wahrheit übergehen; ich habe zu dieser schärfern Untersuchung keine Zeit – auch keine Fähigkeit, ich
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überlasse sie Ihnen. Sie sagten in Ihrem letzten Briefe, Gott thue alles zu unserer Besserung mittelbar
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und könne dazu nicht unmittelbar in uns wirken. Ich bin Ihrer Meinung, doch nur in einer gewissen
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Einschränkung. Sie sollen sie sogleich hören. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Leibnitz, da er den Ursprung des Bösen mit der höchsten Güte Gottes reimen will, hält viel auf diese
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unmittelbare Einwirkung, oder Einfluß der Gottheit, welchen er eine immerfortwährende Schöpfung
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nennt. Er vergleicht ihn einem Strom, der seinen Lauf hält, die Freyheit des Menschen aber einem
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Boot auf diesem Strom, das, je nachdem es schwerer oder leichter beladen, langsamer oder
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geschwinder auf demselben fortgeht. Da die Sünde eigentlich in einer Privation des Guten besteht
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und also die Quelle derselben nichts als Trägheit ist, die von unsern Fähigkeiten nicht den gehörigen
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Gebrauch machen will, so gleicht diese Trägheit der Last oder Schwere des Boots und kann die Schuld
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warum letzteres nicht so geschwinde fortgeht, nicht dem Strom, sondern dem Boot zugeschrieben
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werden. Man kann ihm aber, und mich deucht mit Recht, einwenden, warum der Strom nicht mit
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einer solchen Geschwindigkeit und Kraft fortfliesse, daß er die kleine Schwere des Boots überwinde
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und aufhebe? und da bleibt bei Zulassung des Bösen von Seiten Gottes immer dieselbe Schwürigkeit.
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Ich glaube weit sicherer zu gehen, wenn ich mich bei der einmal angenommenen Lehre von der
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Erhaltung Gottes (welche allerdings wahr ist), an dem Wort <aq>Erhaltung</aq><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> halte, und also keine
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fortwährende Schöpfung unter derselben verstehe. <aq>Fortwährend</aq><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> ist freilich ein Begriff, der der
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Gottheit angemessen ist, allein eine solche <aq>Schöpfung</aq><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> nicht. Wenigstens kann sich unser Verstand
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keine Schöpfung denken, die in Ewigkeit fortgeht, denn Schöpfung ist nach der einmal
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angenommenen Bedeutung des Wortes, eine <aq>Hervorbringung<!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? Wichtig! Frage gilt für den gesamten Abschnitt--> aus Nichts</aq>, die nur einen Augenblick
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währen könnte, nemlich den, da Gott sprach: Es werde! <aq>Bildung</aq> dieses Etwas, die kann fortgehen in
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Ewigkeit, aber nicht die unmittelbare Schöpfung. – Nun hat Gott uns gewollt, das heißt er hat uns
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geschaffen, als freywillige und selbstständige Wesen, versehen mit gewissen Kräften und Fähigkeiten,
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von denen wir einen Gebrauch machen können, welchen wir wollen, und wenn wir einen Einfluß
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Gottes in uns annehmen wollen (welches uns Vernunft und Offenbarung heißet, weil wir <aq>abhängige</aq>,
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geschaffene Wesen sind), so ist dieses kein anderer, als der allgemeine, den Gott in die ganze Natur
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hat, vermöge dessen er nach den ewigen Gesetzen der Natur, die in ihr gelegten Kräfte und
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Fähigkeiten <aq>unterstützt, erhält</aq>, daß sie nicht ins vorige Nichts zurückfallen. Wenn wir diese Handlung
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auch eine <aq>Schöpfung</aq> nennen wollen, so mag es hingehen, nur muß man alsdann die <aq>fortgehende
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Wirksamkeit Gottes</aq> von diesem Begriff absondern. Diese Einwirkung Gottes ist die allgemeine und
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wird schon in der Bibel, durch den mystischen Ausdruck angezeigt: der <aq>Geist</aq> Gottes schwebte auf den
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Wassern. Ich kann diese Stelle nicht anders erklären als: die allerhöchste Kraft Gottes unterstützte die
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in die Natur gelegten Kräfte, daß sie ihre ihnen beschiedenen Wirkungen hervorbringen konnten. Bei
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dieser Erklärung bleibt also Gott in Ansehung des Ursprungs des Bösen vollkommen gerechtfertigt.
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Wir konnten unsere Kräfte gebrauchen oder nicht, in der von ihm gesetzten oder in einer entgegen
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gesetzten Ordnung gebrauchen; er konnte nicht anders thun, als da er nach seiner Allwissenheit
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unsern Fall voraussah, ihm durch äußere Mittel zu <aq>Hülfe</aq> kommen. Hier ist das Geheimniß unsrer
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Erlösung, das in der That immer ein Geheimniß bleibt und wir ganz zu entziffern uns nicht
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unterziehen dürfen. So viel ist aber klar dabei, daß durch die Offfenbarung seiner Gnade in Christo
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Jesu, er nichts anders abzwecken will, als unsere Wiederherstellung in den Stand der Unschuld,
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welches gleichsam die weisse Tafel ist, welche hernach beschrieben werden soll, und aus diesem in
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den Stand der Glückseeligkeit, der Aehnlichkeit mit ihm, der höchsten Liebe zu ihm, und der höchsten
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Freude, die aus der zunehmenden Erkenntnis seiner Vollkommenheiten und der immer näheren
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Annäherung zu ihm fließt. Christus redt aber auch von einem Geist Gottes den Er uns senden will, der
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uns alles vollkommen lehren und unsere Freude vollkommen machen soll, den auch wirklich die
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Apostel in hohem Maß empfiengen. Dieses kann nicht anders erklärt werden, als durch eine
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unmittelbare Einwirkung der Gottheit, die unseren natürlichen Fähigkeiten – wenn wir sie unermüdet
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recht anwenden – zu Hülfe kommt, doch allezeit in dem Grade, als es der höchsten Weisheit Gottes
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und der Uebereinstimmung der von ihm angerichteten Schöpfung angemessen ist. Die Wirkungen
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dieses Geistes sind vorzüglich: Der unerschütterliche Glaube an Gott, als die höchste Liebe (es mögen
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alle äusserlichen Anscheine auch dem zuwider seyn), an Christum, als den Vermittler dieser Liebe,
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der sie uns nicht allein kennen gelehrt, sondern auch in gewissem Sinn erworben; hernach eine aus
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diesem Glauben fliessende Liebe zu Gott, denn wer sollte den nicht lieben, von dem er <aq>glaubt</aq>, daß er
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ihn unendlich glücklich machen will und eine geschwinde Fertigkeit, dem von ihm erkannten Willen
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nach zu leben. Diese Wirkungen des Geistes Gottes müssen wir aber nicht mit Augen sehen wollen,
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oder darauf warten; sie sind Trost und Belohnung unserer guten Aufführung, auch <aq>Aufmunterung</aq>
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(dies scheint vorzüglich ihre Absicht), weil die menschliche Natur so viel Trägheit hat, daß sie in den
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allerbesten erlangten Fertigkeiten doch wieder müde wird, sie sind das <aq>complementum moralitatis</aq>
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und können uns in diesem ganzen Leben dunkel und unerkannt bleiben und uns dennoch ohne unser
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Wissen, forthelfen und glücklich machen, wie ein unbekannter Wohltäter, der einem Bettler Speise
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und Trank reichen läßt, ohne daß er weiß, wo es herkommt; genug er befindet sich wohl dabey und
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überläßt es der Zukunft ihm seinen Wohltäter zu zeigen, damit er ihm alsdann den Dank ins Gesicht
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sagen kann, den er jetzt für ihn in seinem Herzen behält. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich gebe diese Hypothese, die noch dazu so roh und undeutlich ausgedrückt worden, als sie in
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meinem Verstande ausgeheckt ward, Ihnen hin, sie zu bearbeiten, alles zu prüfen und das Beste zu
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behalten. Wenigstens müssen wir doch suchen in die Ausdrücke der Bibel einen <aq>Sinn</aq> zu legen, der mit
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unserm Verstande übereinkommt; Geheimnisse bleiben immer Geheimnisse, doch müssen die Linien
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unserer Vernunft hineinlaufen und sich hernach drin verlieren, nicht aber eine Meile weit seitwärts
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vorbeygeführt, hernach mit Gewalt hineingebogen werden, welches eine <aq>krumme Linie</aq> geben würde. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Um über eine so wichtige Materie mit der höchsten Aufrichtigkeit zu schreiben, muß ich Ihnen nur
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schreiben, daß ich bey meiner einmal angenommenen Erklärung der Lehre vom Verdienst Christi
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bleibe, und daß ich mir keine andere denken kann, die mit dem was die Schrift davon sagt und mit
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dem was unsere Vernunft von Gott und seinen Eigenschaften erkennt, übereinkommt. Lassen Sie uns
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sie nur deutlicher machen und Sie werden mir Recht geben. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Was ist das Gute anders, als der gehörige und rechtmäßige Gebrauch, den wir von unsren Fähigkeiten
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machen? Und das Böse, als der unrechtmäßige übelübereinstimmende Gebrauch dieser Fähigkeiten,
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der, wie ein verdorbenes Uhrwerk, immer weiter im verkehrten Wege davon fortgeht; so wie der gute
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Gebrauch immer weiter in dem graden und richtigen Wege. Wir sind selbstständig – Gott <aq>unterstützt</aq>
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die in uns gelegten Kräfte, wie in der ganzen Natur, ohne sie zu <aq>lenken</aq> – Wir (sey es nun die Schuld
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einer uns angebohrnen Trägheit, die die Theologen Erbsünde nennen, oder des bösen Beyspiels,
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welche ich fast eher dafür halten möchte), wir brauchen die Fähigkeiten verkehrt. Gott kommt durch
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eine ganze Folgenreihe äußerer Mittel (welche ich <aq>Gnade</aq> nenne und wohin in der Jugend besonders
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die Tauffe und das Wort Gottes zu rechnen), wozu besonders auch die zeitlichen Umstände gehören,
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in die er uns versetzt. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wir hören nun, daß ein vollkommener Mensch gelebt hat, durch den sich Gott uns ehemals sichtbar
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geoffenbart und angekündigt hat; daß, wenn wir den <aq>rechten</aq> Gebrauch von unsern Fähigkeiten
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machen wollen, wir schon hier – und in Ewigkeit glücklich oder seelig sein sollen –; wir hören, daß,
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nach dem Ausdruck der Bibel, alle bisher begangenen Sünden der Menschen auf ihn gelegt werden,
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daß er sie trägt (was kann dies Anderes heißen, als daß alle üblen Folgen der Sünde auf ihn gelenkt
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worden? Darin bestand sein <aq>Leiden</aq>) – Wir sollen nur glauben, daß Gott uns um seinetwillen gnädig
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sei; dies soll uns also nicht mehr beunruhigen, nicht mehr zurückhalten an unserer Besserung mit
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allen Kräften unserer Seele zu arbeiten, weil das Alte alles vorbei und wir gleichsam jetzt neue Glieder
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an einem großen Ganzen sind, wovon der allervollkommenste Jesus das Haupt war (hieher geht eine
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gewisse geistliche Vereinigung vor, die mir im Abendmahl scheint zum Grunde zu liegen, denn wer
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wollte alle Geheimnisse der Religion ergründen?) <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Also, <aq>voilá tout</aq>. Wenn wir diese Hülfsmittel alle, die uns die Gnade darbeut, annehmen, bon <aq>ça</aq>, es
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soll nicht dabei bleiben; wir sollen einmal einer unmittelbaren göttlichen Einwirkung fä hig werden,
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die in der Bibel die Sendung des h. Geistes heisset, die uns Gott immer mehr erkennen und lieben
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lehren wird, die uns, wenn wir dazu reif, zum Anschauen Gottes bringen wird – aber dazu gehört
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freilich Zeit! <line type="empty"/>
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Lenz.</letterText>
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<letterText letter="26"><line tab="1"/>Es scheint, daß Sie dazu gemacht sind, mir meine kleinen Systeme alle zu zerstören und zu schleifen.
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Kaum habe ich eine recht artige bunte Seifenblase vor dem Munde, so fahren Sie unbarmherzig
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drüber her und lachen mich aus, wenn ich stehe und den Kopf kratze. Ich muß Ihnen aber auch sagen,
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daß ich meine Kartenhäuser gern niederreißen lasse, weil in einer Stunde wieder ein neues da ist. An
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mir ist von Kindesbeinen an ein Philosoph verdorben, ich hasche immer nach der ersten besten
|
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Wahrscheinlichkeit, die mir in die Augen flimmert, und die liebe, bescheiden nackte Wahrheit kommt
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dann ganz leise von hinten und hält mir die Augen zu. Eine lange Kette von Ideen, wo eine die andere
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gibt, bis man, wenn man eine Weile gereist hat, die letzte find’t und sich seines Zieles freuen kann, ist
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für meine Seele eine wahre Sklavenkette – wie glücklich bin ich, wieder an Ihrer Hand zu gehen, wenn
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ich lange genug auf blumigten Wiesen herumgesprungen. – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Welch’ ein Wust von Allegorien! kann ich doch nicht davor, daß meine Seele jetzt so gestimmt ist.
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Mein Hauptsystem bleibt dennoch unverrückt, und das ist freilich einfach genug, aber . darum für
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meine Seele zuträglicher, weil sie Pein empfindet, wenn sie sich <aq>lange</aq> bei Wahrheiten aufhalten soll.
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Und das ist dieß: es geht mir gut in der Welt und wird mir in Ewigkeit gut gehen, so lang ich selbst gut
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bin, denn ich habe dort oben einen sehr guten Vater, der alles was er gemacht hat, sehr gut gemacht
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hat – und wenn sich dies letztere mir nicht allezeit so darstellt, so liegt die Schuld an meinem
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dummen Verstande. Eine gewisse Offenbarung bestätigt dies mein Gefühl – <aq>tant mieux</aq>! sie sagt mir,
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das anscheinend und wirklich Böse, in der Welt, fang jetzt schon an und solle dereinst ganz
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aufgehoben werden, und das hab’ ich dem Sohne Gottes zu danken, ob nun seiner Lehre allein, oder
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||
auch wirklich seinem Verdienste (wenn anders, um von Gott nicht menschlich zu reden, bei Gott ein
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Verdienst statt finden kann, denn bei ihm ist alles Gnade), <aq>tant mieux</aq>! sage ich, das ist eine schöne
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frohe Botschaft (Evangelium); ich glaube sie herzlich gern und freue mich darüber und dies, denk’ ich,
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ist der Glaube, der mich selig machen soll und schon hier glückselig oder selig macht, denn diese
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beiden Wörter, denk’ ich, sind auch eins. So werden wir, denk ich, in dem Extrakt unserer Religion
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ziemlich nahe bei einander stehen. Freilich haben Sie in vielen Punkten, die ich mir unterstrichen
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habe, mich so unter sich gekriegt, daß ich mich kaum noch rühren kann, in andern bin noch <aq>in
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suspenso</aq>, als daß Gott gar nichts in uns wirken kann u. a. m., wovon ich mündlich mehr mit Ihnen zu
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reden hoffe. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Das Eine bitt’ ich mir aus, nicht so verächtlich von dieser Welt zu sprechen. Sie ist gut, mein Gönner,
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mit allen ihren eingeschlossenen Uebeln, das Reich Gottes, wovon Christus immer red’t, ist nicht
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allein in jenem Leben zu hoffen, denn er selbst hat uns im Vaterunser beten gelehrt „dein Wille
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geschehe im Himmel, wie auf Erden“. Wenn’s Glück gut ist, bin ich noch immer ein heimlicher
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Anhänger vom tausendjährigen Reiche, wenigstens glaub’ ich gewiß, daß der Zustand unserer Welt
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nicht immer derselbe bleiben wird. Und christlich–physisches Uebel muß immer mehr drin
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abnehmen, wenn das Moralische darin abnimmt, und das wollt’ ich beinahe beweisen, wenn anders
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eine Seele, die immer <aq>entrechats</aq> macht, wie eine Närrin, in ihrem Leben jemals etwas wird beweisen
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können. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>– – Eine Lieblingsidee haben Sie, mein Theurer, und das freut mich, weil ich auch <aq>eine</aq> habe. So bin ich
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Ihnen doch in einem Stück ähnlich, denn, wenn es auf eine Aussicht in eine aneinanderhangende
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Reihe von Wahrheiten ankömmt, da kann ich mich mit Ihnen nicht messen. Wissen Sie worin unsere
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Lieblingsideell bestehn? Die Ihrige ist – die <aq>Liebe</aq> – und die Meinige, die <aq>Schönheit</aq>. Vielleicht stehn
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diese, beide, nahe bei einander, oder fließen gar zusammen – – wenn nur meine Brille schärfer wäre!
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So viel ist gewiß, daß die letztere die einzige Idee ist, auf die ich alle andern zu reduzieren suche. Aber
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es muß die echte Schönheit sein, die auf Wahrheit und Güte gegründet ist, und in der höchsten und
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faßlichsten Uebereinstimmung – der Henker mag sie definieren; ich fühle sie und jag ihr nach; freilich
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tritt sie mir noch oft hinter eine Wolke, aber ich werde sie einmal finden – diese allein kann mein Herz
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mit Liebe gegen Gott (die Schönheit <aq>in abstracto</aq>) und gegen alles was geschaffen (die Schönheit <aq>in
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concreto</aq>) füllen. Freilich so nach Graden, so wie die Schönheit selber Grade hat. Da haben Sie meine
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Brille – Ihre ist vortrefflich, aber ich kann noch nicht dadurch sehen, darum sind wir Individua. Genug,
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wir passen in das Ganze das Gott geschaffen hat und das ihm gefallt, so verschieden wie es ist, denn
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in der Natur sind keine vollkommene Aehnlichkeiten, sagen die Philosophen. Genug, ich fühle eine
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Affinität zu Ihnen, die ganz erschrecklich ist und obgleich ich die Lichtstralen, die Sie mir zuschicken,
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nicht mit den meinigen vereinigen kann, so mag ich sie doch gern damit verschwägern. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Nun ist’s Zeit, daß ich vom Pegasus herabsteige, sonst wirft er mich ins Meer. Kaum hab’ ich so viel
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Athem Ihnen zu sagen, daß ich, zu der höchsten Uebereinstimmung der Welt das Zutrauen habe, daß
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sie mich nach Straßburg in Ihre Armen führen wird. <line type="empty"/>
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Lenz.</letterText>
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<letterText letter="27">Landau d. 10ten Dec. 1772. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>– Der Ausdruck in einem Briefe an meinen Bruder, mein Glück mag ewig in Dämmerung liegen
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bleiben, ist mir leid: doch hab’ ich nur damals an das zeitliche Glück gedacht und dieses braucht
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freilich nicht zu glänzen und kann dennoch solid seyn. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Dass ich mir auch selber wohl viele Leiden zugezogen, gestehe ich gerne, und wer sollte wohl so
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weislich handeln, dass er nie erst durch Erfahrung nöthig hätte klug zu werden. Die Liebe eines in der
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That liebenswürdigen Frauenzimmers kann ich aber keine Klippe nennen, an der meine Tugend
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Gefahr gelaufen. Soviel ist richtig, dass die Klugheit will, dass ein Reisender sein Herz auch vor der
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reinsten Leidenschaft verwahre, und das war der Rath meines Mentors, meines weisen Salzmanns,
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für den ich keine Bewegung meiner Seele geheim hielt. Schade, dass er diese zu spät erfuhr, denn das
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kann ich nicht leugnen, dass sie bei aller ihrer Süßigkeit, ihre Bitterkeiten hat. Unglücklich aber macht
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sie mich nicht und soll auch in dem Plan, den die gött· liche Schickung mir zu durchlaufen
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vorgezeichnet hat, nichts verändern, sollte gleich die Wunde, die sie in meiner Seele zurückgelassen,
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unheilbar seyn. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wie traurig ist es für mich, dass ich Ihren Vorschlag, ungesäumt in’s Land zu kommen, nicht so·
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schnell vollziehen kann, als es Ihr Vaterherz zu wünschen scheint. Aber – Sie schreiben mir, Sie
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wünschten mich vor Ihrem Ende noch zu sehen und zu seegnen – haben Sie denn nur einen Seegen,
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mein Vater? Ich hoffe zu Gott, dass er Ihr und meiner besten Mutter Leben noch eine Weile fristen
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wird. – Meine Verbindungen mit den Herrn von Kleist sind von der Art, Dass ich den eigentlichen
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||
Zeitpunkt meiner Zurückkunft nicht bestimmen kann. Der älteste besonders will nichts davon hören,
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dass ich ohne ihn heimreise. Sie werden mir vergeben, Dass ich über diesen Punct ein Stillschweigen
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||
beobachte das ich – für meine Pflicht halte. Noch einmal aber bitte ich Sie, sich über mein Schicksal
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und meine gegenwärtigen und zukünftigen Umstände, keine vergebliche Unruhe zu machen. <line type="empty"/>
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||
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<line tab="1"/>Dem guten Herrn Pastor Müthel danke ich für das schmeichelhafte Zutrauen, das er in mich zu setzen
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beliebt. Er könnte sich aber auch vielleicht irren, wenn er zu viel Gutes von mir erwartete. Wenn ich
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||
im Lande wäre, sollte mich nichts abhalten, so freundschaftliche und vorteilhafte Anträge
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||
anzunehmen. So lange das aber nicht ist, wird er die Bildung seines Sohnes dem überlassen, der ihn
|
||
erschaffen und auch die unscheinbarsten Mittel zu seinen ewig nothwendigen Zwecken anzuwenden
|
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weiß. – – – Versichern Sie diesen mir so werthen Mann übrigens von meiner ganzen Hochachtung,
|
||
und sagen ihm, Dass ich nicht ohne Widerspruch meines Herzens, welches in schöner
|
||
Uebereinstimmung mit dem seinigen, gern für seinen Sohn voll süßer, kleiner Sorgen klopfen möchte,
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seinen Vorschlag ablehne. Andere Sorgen fordern dieses Herz, die sich freilich nicht so durch sich
|
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selbst belohnen, wie jene wohl tun würden. – Kann ich aber in der Folge der Zeit irgend etwas
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||
beytragen seine Wünsche zu befördern, so will ich es mit Freuden thun.</letterText>
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<letterText letter="28"><line tab="1"/>Mein Schatten soll Ihnen Rö – schiken ich bin froh mich Ihnen als Physiognom nur im Profil zeigen
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||
zu dürfen, von meinem Brustbild machte Ihnen die <aq>Güte Ihres Herzens</aq> eine viel zu vortheilhafte
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Zeichnung. Dafür bin ich aber Herz genug gewesen, das Ihrige an meine Lippen zu drüken u: einen
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Wunsch gen Himmel zu schiken, den Mann von Angesicht zu sehen, mit dem ich einen Briefwechsel
|
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scheüe, bis ich ihn inniger u: vertrauter – führen kann – das heißt bis Ihre <aq>gute</aq> Meynung von mir nicht
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mehr Vortheil ist. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich bin den Armen eines Vaters entschlüpft, der so redlich dachte als Sie, obgleich nicht so aufgeklärt.
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Seyen Sie mein Vater! Lenz.</letterText>
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<letterText letter="29"><line tab="1"/>Hören Sie liebster Papa! ich habe eine Schrift von Ihnen gelesen die den Tittel führt … Keine
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Versöhnung geschieht ohne Blutvergießen – – ich sag Ihnen nichts von den schönen Sachen die ich
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drin gefunden – selbst die Hauptidee die vielleicht manchen kalten Grübler erwärmen – – – aber mir
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gefällt es nicht, daß Sie unsern Gott wollen sterben lassen, weil es so seyn muß und in dem ganzen
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Naturreich alles Leben durch Tod eines andern erhalten werden muß <line type="empty"/>
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Wie wär es, wenn wir den Tod Christi vielmehr als ein Symbol und Vorbild von den Erfolgen unsrer
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Mor – – – oder Immoralität ansähen? Die Idee ist apostolisch, das weis ich, zweyten Thessalonicher
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lesen Sie nur. Christus war Gesetzgeber mehr durch sein Leben und Thaten als durch seine Worte. Er
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heilte Kranke mit seinem Athem, mit seinem Anrühren (hier kommen Sie mir zu Hülfe) alles
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symbolisch, ich bin der Herr dein Arzt nennt er sich im 2 Buch Mose und <gr>ίησουσ</gr> in den Evangelisten.
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Heißt: folgt ihr meinen Gesetzen voll Liebe, so verlieren sich, verschwinden alle Krankheiten Cörpers
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und Geistes (merken Sie wohl die unsaubern Geister) jenachdem ihr meinem Cörper <ul>homogener</ul>
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werdt (siehe Lavater) <line type="empty"/>
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<page index="2"/>
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Das ist gelallt. Uebersetzen Sie es in Männersprache. <line type="empty"/>
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Ich küsse Ihnen die Hand für den Februar und bitte um weiters. <line type="break"/>
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Adieu Adieu <line type="empty"/>
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<align pos="right">JMR Lenz</align></letterText>
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<letterText letter="30">Hier, meine liebe Freunde <aq>Lenke</aq> und <aq>Röderer</aq> – den März.
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April ist nich nicht gemacht. – Habt ihr <aq>Herders älteste Urkunde des Menschengeschlechts</aq>, so lest
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miteinander, und sättigt Euch, und wärmt euch an der Morgensonne.
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||
Ach! daß er mir – mein tiefster Wunsch – so gut würde, dieß Jahr Euch auch nur eine Stunde zu sehn –
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Lebet und leidet, und liebt! – <line type="empty"/>
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L.<line type="break"/>
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Den 22. April 74.</letterText>
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<letterText letter="31"><line tab="1"/>O ihr gute Kinder – nicht <ul>meine</ul> – Gottes!! Kinder, denn wir alle sind <ul>Brüder</ul>, – wie gewinn’ ich euch so
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||
lieb! wie gern mögt’ ich euch sehen u: ans Herz drücken– und ich glaub’, es wird uns so gut – u:
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wenn’s nur in 16. Wochen – u: dann nur ein Stündchen möglich ist, ists VaterZärtlichkeit deßen, in
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dem wir leben, weben u: sind – <line type="empty"/>
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||
<line tab="1"/>Wenns Gott ausführt, was er angefangen hat, so reis’ ich in 7. oder 8. Wochen ins Schwalbacher, oder
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ein ander Bad in der Gegend. Auf Briefe, die ich alle Posttage von Zimmermann erwarte, wirds
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ankommen, wohin eigentlich, wann u: welchen Weg ich reisen werde? Aber entweder in der Hinreise
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oder Rückreise werd’ ich, wenn’s Gott will, über Straßburg gehn – nun mögt’ ich ehestens, so sicher
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wie möglich wißen– <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wann es Ihnen, mein lieber Lenkze, am schicklichsten wäre, daß ich Sie besuche? Wann ich Sie am
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wenigsten verfehle? am sichersten genießen könne? in 6 oder in 12. Wochen? Sodann – – wie’s zu
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machen, daß ich den einen, oder die anderhalb Tage, die ich zu Straßburg seyn soll, denn länger kann
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ich nicht, – Sie unter der Zahl der 6. oder 8. Freunde, die ich besuchen soll u: wilI, nicht verliere. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mir ist ein wenig bange. Den schwachen ehrlichen Seelen mögt’ ich zum Seegen seyn; es liegt mir viel
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dran – – aber, wo mehr Freyheit ist, mögt’ ich ruhen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Rathen Sie mir, wie ichs einrichten soll! – könnten Sie allenfalls mir erst ein paar Meilen
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||
entgegenkommen – oder mich sodann ein paar Meilen begleiten – oder, wo ich aussteigen, <aq>Logis</aq>
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nehmen soll. Salzmann hat mich zu sm Vater eingeladen. Herr Hebeisen wird mich vermuthlich auch
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wollen. Ich aber sehe, daß ich schrecklich schenirt wäre, wenn ich zu dem einen oder andern, oder
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irgend einem meiner Bekannten gienge. Also werd’ ich, wo möglich, in ein öffentliches Wirthshaus
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gehen, das Ihnen am nächsten u: bequemsten ist. In welches? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sodann wollen wir reden, was wir im Herzen haben, wie wenn wir schon 30. Jahre mit einander auf
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und niedergiengen – und uns unsers Seyns, und Miteinanderseyns u. Ewigseyns freuen – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Aber Ihr Bild muß ich noch vorher haben von der Hand, die Röderern zeichnete, etwas größer als seins
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seins u: schärfer gezeichnet. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Weiter schreib’ ich izt nichts. Mein Vater ward vorgestern begraben. Ich erhielt Ihren Brief eben, da
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sein Sarg verschlossen war. Des redlichen Manns Todtenbild sollen Sie haben. – Grüßen u: Küßen Sie
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Röderer. Er ist mir Bruder. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Weil ich entweder vor oder nach Schwalbach durchs würtembergische muß, so muß ich bäldest
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meine Einrichtungen machen, u: also schnell Antwort von Ihnen haben. Ich bin, so lang ich bin, Ihr <line type="break"/>
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Lavater <line type="empty"/>
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Zürich d. 10. May 1774.</letterText>
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<letterText letter="32"><line tab="1"/>2. Worte! – Nur Ihr seyt m: Herzen nahe, kommt mir aber kommt mir allein – wenn ichs Euch sagen
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werde bis auf Basel entgegen: Ich gedenke, so Gott u: m. Gesundheit will in 4. Wochen abzureisen.
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<nr> </nr> bin ich solche Freunde zu haben – doch ist mir bange, Kinder, daß Ihr Waßer aus der Dürre, u:
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Leben von dem Todten erwartet – o wie tief unter aller Erwartung bin ich – ob’s falsche oder wahre
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Bescheidenheit uns – oder <ul>Wahrheit</ul> sey, werdet Ihr sehen. Doch bring ich Euch ein redlich offenes
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Herz, das eures schrecklich gern kennt – giebt durchs Empfangen u: empfängt durchs Geben – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/><ul>Lentz</ul> bey Dir also steig ich ab – bey Dir leb’ u: wes’ ich, aber ach! Nur einen Tag u. einen Sonntag –
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Sagen darf ich’s hoff’ ich <ul>Dir</ul> o daß ich vor einigem Wiederwillen <nr> </nr> würde, wenn Du etwas mehr als
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Teller Waßer, Gabel u. Löfel – um meinetwillen auf Deinen Tisch legen würdest.
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<ul>Goethe</ul> – will mich auch bey sich haben – in Erfurth – thu, was du willst – ihn fortzureitzen: doch wär’
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ich vielleicht der <ul>Schwächere</ul> Straßburger Freunde wagts – denen ich <ul>Freyheitsgeist</ul> mitbringen
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mögte, <nr ></nr> – doch thue was du willst. Gott stärke dich Du edler Schwacher! Es ist eine der bittet, daß
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dein Glaube nicht abnehme u: der ist mehr als L–</letterText>
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<letterText letter="33"><line tab="1"/>Wir haben Deinen Brief vom 29ten zwey Tage später erhalten als den vom 4ten Junii – Mein ganz
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Conzept ist verrückt durch Deine beschleunigte Kunft. Neue Geduldübung für Dich – ich sehe Du
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kennst weder mich noch Röderer der Situation – nur dem Herzen nach. Und wir haben beide oft die
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Augen größer als den Bauch. Ich bin Gesellschafter eines Curländischen Cavaliers der im Begrif steht
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nach Hause zurückzugehen, mich hierzulassen. Ich zählte drauf wenn Du laut Deiner vorigen Briefe in
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drey vier Wochen abreisetest, er würde gegen diese Zeit verreist und ich frey – seyn. Also würden wir
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Dir förmlich entgegen reisen, dich herholen können etc. So aber muß grad itzt das Schicksal seinen
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jüngern Bruder der bey einem andern Regiment steht mit seinem Regiment gegen den Tag Deiner
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Abreise hieherführen (den 11ten haben sie Ordre erhalten auszumarschiren) der Bruder erwartet ihn
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um ihn noch das letzte Mal vor seiner Heimreise zu sprechen und ich in die allergeringsten ihrer
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beyden Geschäfte verwickelt darf mich nicht von ihnen trennen – besonders da diese Reise in dem
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ganzen Lebenslauf des ältesten Epoque macht. Jetzt mein lieber theurer Lavater – wirst Du noch
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zürnen daß ich nicht Wort halten kann? Die Deutschen faßten ihre Entschlüsse im Rausch und
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überlegten sie nüchtern. Aber hör etwas. Wir wollen uns – so Gott es will – mit Röderer <page index="2"/>
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aufmachen und nach Colmar gehn, wo Du Donnerstags (falls Du mit der <aq>Diligence</aq>) zu Mittag
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eintreffen mußt. Da essen wir zusammen und reisen bequemlich nach Strasburg wo Du nichts desto
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weniger (wenn nicht in meinem Hause, in dem anstoßenden, das schon gerüstet dazu und noch
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bequemer weil Du keine Treppen zu steigen und bessere Aussicht hast) absteigst, damit wir allein –
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sein, frey ununterbrochen. Siehst Du da feyren wir den ganzen ersten Abend und drauf folgenden
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Morgen in süßer stiller Einsamkeit, hernach wird freilich das Geräusch Deiner Bekanntschaften
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angehn, das Du nicht ganz vermeiden kannst. Das Begleiten ins Schwalbacher Bad ist nun ganz
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unmöglich, mein Herz und alle meine Wünsche sollen Dich begleiten, aber – ich bin nicht frey – ich
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bin vieles nicht. Nimm vorlieb wie ich bin, Du der Du vom Apostel Paulus auch Verträglichkeit mußt
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gelernt haben, meine Freiheitsstunde (das hoff ich zu Gott) wird auch schon einmal schlagen und
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dann will ich anders seyn. Das Gesicht von Deinem verklärten Vater hab ich alleweile vor mir und
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kann mich nicht satt dran sehen. Solche Köpfe können nur in einer Republick gebildet werden, das
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sind <page index="3"/> Züge die in keinem monarchischen Staat gesehen noch gehört noch empfunden werden
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können. Ach daß er lebte! Hat er uns doch seinen Sohn gelassen und ein Brutusherz in ihm. Lebe
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wohl! <line type="empty"/> <line type="break"/>
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JMR Lenz
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<sidenote pos="bottom" page="2" annotation="am unteren Rand der zweiten Seite">
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<align pos="center">ich wünscht ich könnte den Kopf in mein innerstes Herz hineinzeichnen damit er mir zu allen Stunden
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und Augenblicken gegenwärtig wäre</align> </sidenote>
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<line tab="1"/>Sollte das Schicksal meinen Willen bis auf den Grad zwingen – daß ich auch nicht bis Colmar
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entgegen, wie denn grad die Tage kritisch sind und überhaupt ich nicht gern mehr versprechen als
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halten mag – so kommt doch Röderer gewiß, der kein Diener des göttlichen Worts noch; – doch seine
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Verhältnisse wird er Dir selbst detailliren. <line type="empty"/>
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<hand ref="11"><line tab="1"/>Ich Röderer umarme Sie tausendmal und will auch itzt lernen zufrieden seyn in mancherley Fügungen –
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Es genese Ihr Knabe! Guter Gott erfreue einen Vater der schon manche Freude manchen denen
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Kindern gemacht hat. </hand>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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An Herrn <line type="break"/>
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Herrn Diaconus Lavater<line type="break"/>
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zu Zürich</letterText>
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<letterText letter="34"><line tab="1"/>Morgen also, Sonntags den 12. und nicht Montags vereis ich auf Basel – bin ich nicht wenn ihr
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kommt, Brüder, bey den 3. Königen, so bin ich bey Hrn. Wilhelm Brenner bey der <aq>St. Clara</aq> in Basel. <aq>Ihr</aq>
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seyd das Ziel meines Verlangens – Ihr – meine künftigen baldigen Mitarbeiter – Kommt sobald ihr
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könnt, trefft ihr mich nicht mehr in Basel an, weil ich Euch entgegen eile, so ists auf dem Wege, daß
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ich Euch treffe – am Staub Eures Wagens wird ich Euch kennen und das Schnauben Eurer Rosse wird
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auch nicht täuschen. – Am Montag Mittag bin ich q. g. in Basel – also verlirt keine Zeit, wenn ihr micht
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sehen wollt. Lebet und liebet <line type="empty"/>
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Z. den 11. Jun. 74. <line type="empty"/>
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Lavater. <line type="empty"/>
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<note>Adresse</note>
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An Herrn Röderer, Candidat, bey der neuen Kirche in Straßburg
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<note>Nach FSt I, S. 294, hat Lenz auf der Außenseite notiert: „Hofrath Deinet in Frkfurt am Mayn“</note></letterText>
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<letterText letter="35"><line tab="1"/>Seelen! Ich komm erst am Donnerstag Abend auf Straßburg. Wenn ihr dieß leset, bin ich in Colmar
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bey dem blinden <aq>Pfeffel</aq> zu erfragen – Ich kann nicht anderst. Lieber <aq>Lenz</aq>, schenire dich keinen
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Augenblick! Du kannst nicht glauben, wie’s mich freut, wenn du an meinen Gauben, an mich
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glaubest. – – Euere Umstände sagt Ihr mir so, wie hr sie fühlt. Ich kann wenig, nichts ändern, aber
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tragen helfen, durch Mitgefühl. Adieu. <aq>Passavant</aq> – ist auch ein Mensch. Was du willst will ich dir
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erzählen. Adieu. <line type="empty"/>
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Den 14 Juni 74. spät.</letterText>
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<letterText letter="36"><hand ref="11">
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<line tab="1"/>Liebster Bruder! Ihre zwo Sturmtage sind vorbey, und Sie wieder fort. Sie reisen ja wie die Apostel,
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und die Ruhe die Sie haben bleibt in den Reiswägen sitzen wo sie noch obendrauf der Staub stöhrt.
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Mag die Lebenskraft Gottes ob Ihnen schweben und den Saamen befeuchten den Sie ausstreuten,
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mag vstündiger Schlaf bey Ihnen die Wirkung von längerem haben und Ihnen der Glaube helfen der
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mir Wunderglaube ist. Ihnen folgt mein Herz nach nicht meine Worte. Dunkle! – dunkle Wünsche
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drinne die ich denen zugesellen die mir noch immer erfüllt wurden. Sie waren mir so nahe so nahe!
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so sprachvoll und so stumm! Nicht Mangel an Vertrauen war’s, denn ich weiß es, mein Herz steht
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Ihnen offen – aber ich weiß es was es ist: meine Empfindung ist noch nicht aufgelöst! Und ich seufze
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nach dem. Wo’s geschehn wird weiß der der über meine Existenz wacht und in dem ich allein ruhen
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möchte!! Dort drüben denke ich, wohin mir ein Alpenhohes Gebürg den Blick verbeut. Ich bin nicht
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unruhig – ängstlich wollt ich sagen – bin ich nicht, aber – ich strebe. O mein lieber! Nicht stöhre itzt
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Mitgefühl die ganze Wonne, die ich über Sie hin wünsche und die Ihnen der Geber schenkt! <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Grüssen Sie Goethe. Eine Ode auf Erwins himmeldeutenden Finger versprachen Sie. Ihr … Herr Pf.
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Bekommt am <note>Planetensymbol für Mittwoch</note> Ihr Billet in einem von Lenz und ein Paar Worte von mir
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laufen mit. Ihnen aber blick ich nach und bin <line type="break"/>
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O mein Theuerster! <line type="break"/>
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Ihr Röderer.<line type="break"/>
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Straßburg d. 18. Junius 74.
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Physiognomik lehrt – Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Gott und Natur effervesciren mit
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einander auf unaussprechliche Arten, die sich nie unter allgemeine Regeln bringen lassen.
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Das neue Testament ist mir eben so dürre Wüste ohne das alte, als das alte ohne das neue.
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Die Opfer waren kein Vorbild auf Christum – aber Christus war ein Gegenbild der Opfer.
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Die Opfer waren Gesetzgebung für die Juden, Schwung ihre Gesetzgebung in Gang zu bringen.
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Christus hob die Opfer auf um durch diese Wohlthat uns die Gottheit lieb zu machen.
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||
Das Leiden Christi ist ganz und gar symbolisch. Die Juden litten für ihre Sünden am Vermögen, wir an
|
||
Leib und Seele – und Christus leidet mit uns.
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||
Tauffe und Abendmahl haben gar keinen Zweck, wenn sie nicht täglich wiederholet werden. Die
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||
Worte: „Das ist mein Leib“ sind unter allen Worten Christi ganz allen buchstäblich zu verstehen. Bey
|
||
jedem Bissen den ich in Mund stecke, jedem Tropfen den ich trinke, wünscht’ ich so zu denken –
|
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meinen Genuß zu vergöttlichen.
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<aq>1 Joh. III. 9.</aq> pekriqhsan proV auton sperma Abraam esmen – ist das gründlichste was jemals von
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Psychologie ist gesagt worden.</hand>
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<note>Lenz’ Hand</note>
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In Röderers Brief hin – – wie, was von Dank? Ich Dir – ja ich Dir – tausend Dank – für tausend
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tröstliche Gedanken, die Du mir in meiner Einsamkeit nachgelassen – alle auf die Zukunft –verfolge
|
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Deinen Weg – am Ziel hängt der Kranz, am Ziel und wenn Du fortstürmst, wird Dich niemand
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überholen.
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Hier gehst Du durch gute u. böse Gerüchte, wie es allen Warheitsausbreitern, wo Licht hinfällt tritt die
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rückweichende Nacht desto dichter zusammen. Die Kopfhänger ärgern sich daß Du grade gehst,
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weissagen Dir Hochmuth und Fall – falsche Propheten. Der bessere Theil Menschen bewundert Dich,
|
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liebt Dich – viel fragen nach Dir, die Dich nie gekannt – heut ist ein Franzos bey mir gewesen sich
|
||
Deine Schrift wider den Landvogt Grewel auszubitten. Die Geistlichen sind zwar noch über Dich
|
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geteilt doch hast Du bei den meisten durch Deine Gegenwart Dich unaussprechlich legitimirt
|
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Lies Röderers Gedanken und schreib ihm zurück drüber Meine Hausleute wollten ihren Augen nicht
|
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trauen daß Du sie grüßtest und danken mit Tränen u. Enthusiasmus. Mit Tränen haben manche Deine
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||
Klage wider den Landvogt schon angehört und Dich geseegnet.
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Fleuch fort fleuch auf Deinem Wagen Lavater! und laß Dich von niemand überholen. <line type="break"/>
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<align pos="right">Lenz</align>
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<sidenote pos="top" page="1" annotation="am oberen Rand, horizontal gespiegelt">
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Willstu mir eine süsse Stunde machen so schick Kleisten einen Gruß. - Aber bring bring Göthen von
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mir – – was? Dich. Ich möcht ihm meine Seele schicken denn ich habe Hofnungen zu ihm, die wie die
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Sonne vor Tage nur noch den Antipoden sichtbar. Ach ich leide – aber Bruder Eure Hofnung
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schimmern mir in meiner Nacht, daß ich den zögernden Tag nicht anklage.</sidenote></letterText>
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<letterText letter="37"><hand ref="10">
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[…] Herrliches Briefchen von Lenze an Goethe etc. <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Giebst mir ein, ich soll dich bitten.
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<line tab="5"/>Wie der König <aq>Salomo</aq>.
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<line tab="5"/>Herr, ach, Herr was soll ich bitten,
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<line tab="5"/>Geh hinauf zu deinem Himmel,
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<line tab="5"/>Bitt’ um dieses Stückgen Himmel!
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<line tab="5"/>Und ein wenig Sonnenschein!
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<line tab="5"/>Aber laß mir Bruder Goethen,
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<line tab="5"/>den du mir gegeben hast.
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<line tab="5"/>Dessen Herz so laut zu dir schlägt.
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<line tab="5"/>O für ihm bitt’ ich mit Thränen
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<line tab="5"/>Halt ihm nur den Rücken frey
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<line tab="5"/>Platz wird er sich selber machen
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<line tab="5"/>Nur beschirm mit deinem Schilde
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<line tab="5"/>Ihn vor Feinden, mehr vor Freunden
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<line tab="5"/>Die an seinen Arm sich henken
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<line tab="5"/>Und den Arm ihm sinken machen
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<line tab="5"/>Ach! bewahr ihn nur vor Freunden
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<line tab="5"/>Die ihn nicht verstehn, und gerne
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||
<line tab="5"/>Ihn zu ihrem Bilde machen.
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||
<line tab="5"/>Oder kanns nicht seyn, so mache
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||
<line tab="5"/>Mich nur nicht zu seinem Freunde!</hand></letterText>
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<letterText letter="38">Zürich, Mittw. den 31. Augstm. 1774. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich habe Deinen Brief vom 12. Aug. den ich so gern weitläufig beantwortete; meine Umstände
|
||
wollen’s nicht und ich muß mit Ernst nach einer laconischen Kürze ringen, sonst muß ich mir manche
|
||
dergleichen Freuden, wie z. B. Briefe an Dich, versagen. <line type="empty"/>
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||
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<line tab="1"/>Von meinen Vorlesungen nichts mehr; sie sind gewiß nüzlich: aber ich sollte mehr wißen, vor mich
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||
und das Publikum, denn <aq>mundus vult decipi</aq>. O hätt ich Gelehrsamkeit genug, um mit mehr Ansehen
|
||
zu zeigen, daß man ohne Gelehrsamkeit – Philosoph – Christ – Kenner des Geistes der Götti.
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||
Offenbarungen – glückselig seyn kann. – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Raisonnir mir, mein Liebster, über den Menschen so viel Du willst; nur vergiß künftig nie: daß, wenn
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||
der Mensch, das Menschengeschlecht – allenfalls in einem Zustande des Verfalls, der Krankheit ist,
|
||
und aus diesem Gesichtspunkte angesehen wer· den muß, – daß dieß alsdann – in manches Urtheil
|
||
vom Menschen gewaltigen Einfluß hat. So, wenn der Mensch <aq>krank</aq> ist, so darf man ihm Diätregeln
|
||
vorschreiben, über die er sich nicht als eine grausame Einschränkung seiner Freyheit zu beschweren
|
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hat. Nimm, Lieber! den Begriff der menschlichen Freyheit aus dem Reich der Idealen herunter ins
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Reich unserer schlecht und rechten Wirklichkeiten! so wirst finden: Ohne Befehle und Verbote kannst
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kein Kind auferziehen; also Einschränkung der Freyheit. Es werde nur Liebe und Zutrauen zum Vater
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||
zum Grundtrieb gemacht. Wär’ nun Analogie zwischen Vater und Kind, und Gott und Menschen (und
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||
ich glaube es ist größer als man denkt) so muß <aq>geboten</aq> und <aq>verboten</aq> sein; nur liege auch da Liebe
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||
und Zutrauen zum Grund, sonst ist’s Sclaverey (und doch auch so wäre nur noch die wenigste,
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||
erträglichste und unumgänglichste Sclaverey wovon die Schuld nur <aq>einseitig</aq> ist). <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Aber freylich hat Gott nicht so eingeschränkt, als der Eremit und die Nonne es wähnen; darüber,
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Liebster, sind wir ganz einig. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Weinen mögt ich mit Dir, wie die Mönchstugend tausend gute Samen in der Menschennatur erstickt.
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Ich irrte ehedem hierin auch sehr. Gott zog zurück. – „Christus hat nichts ausrotten wollen, was Kraft
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und Anlage im Menschen ist!“ Goldene – bestäubte verkannte Wahrheit! Aber, Liebster! wie manches
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Scrüpelchen, das Dir vielleicht doch mehr als recht ist, im Wege steht, müßt wegfallen, wenn wir uns
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||
nur einige Zeit sähen. Von d. Apocalypse izt nichts. Aber „draußen sind die Hunde <aq>etc.</aq>“ das ärgert
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dich? – Gibts einst eine Sammlung der Guten die sich einen Himmel machen, willst Du denn die
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Hunde wider drinnen haben, und die Ehebrecher? u. die Bösewichter? – In den Spital mit ihnen, und
|
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sie curirt mit scharfen Mitteln, wenns so seyn muß. pppp. <line type="empty"/>
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||
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||
Donnerstag morgen um 7 Uhr.
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So eben empfang ich Deinen Brief an mich und <aq>Paß</aq>. und <aq>Clavigo</aq>. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Bin ich nicht ein gerechter Mensch, daß ich Clavigo liegen lasse und erst gehe den Brief an Dich zu
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vollenden?
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<line tab="1"/>Noch eins auf den vorletzten. Man hat’s in unseren Tagen besonders sehr schwierig machen, wie
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||
Jesus – und daß er nicht buchstäblich zu verstehen sey pp. und ist die Sache so simpel! – so schlecht
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||
und recht, so buchstäblich wie möglich, nur ohne Eulenspiegel-Chicane, alles in der Bahn des
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||
gemeinen <aq>bon sens</aq> – wie Kinder einen Vater verstehen. (Ausgenommen was seiner Natur nach
|
||
räthselhaft seyn mußte, prophetisches und was er genirt war herauszusagen.) <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Z.B., wenn ich Dir sagte, ich hab <aq>Deinen Hofmeister</aq> neulich gelesen – ich rathe Dir, schreib nichts
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mehr!“ (was ich aber weder in der gegenwärtigen, noch zukünftigen Welt nie zu Dir sagen werde).
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Nun sieh, wie simpel buchstäblich das zu verstehen wär. Wie gefiel uns nun folgendes Raisonnement
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||
(der neumodischen Theologen) darüber: „das könne unmöglich im eigentlichsten Wortverstande
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||
genommen werden, daß Du keine Feder mehr anrühren, keinen Brief u.s.w. <aq>schreiben dörfest u.s.w.</aq>
|
||
also, weil’s nicht buchstäblich zu verstehen sey, so werde es sagen wollen, Du sollest eben keine
|
||
Folianten mehr in Druck geben, bisweilen ein Drama habe just nichts zu sagen, es sey ja nicht
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||
buchstäblich zu verstehen – das nichts“ <aq>etc.</aq><line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Lav. ist höchst vergnügt von seiner Reise zurückgekommen, hatte herrliche Seelen angetroffen –
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||
Engelseelen in weiblicher und männlicher Gestalt – die Dich, Bruder, mit der Welt aussöhnen würden.
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||
pp. Aber des Wiedersehens Wonne, o mein Lenz! – hättst Du auch einen Lavater, von dem Du Dich 10
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||
Wochen trennen könntest, und ihn wiedersehen! – Sonst hast Du Lavatern, so sehr Du ihn haben
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||
kannst. Er spricht mit Enthuasiasmus von Lenzen. Und wir werden uns alle noch recht nahe kommen. <line type="empty"/>
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||
<line tab="1"/>Studierst Theologie? predigest? bist ordinirt? <aq>etc.</aq> Sag mir was hievon. Schick mir auch Deine und
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||
Röderers <aq>Silhouettes</aq>. Grüß mir ihn brüderlichst. <aq>Paß</aq>. wird selbst schreiben. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wie verstehst das „Was Gott an Goethe getan –“? Doch versteh ich’s vielleicht, wenn ich <aq>Clavigo</aq>
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gelesen habe. <line type="empty"/>
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Verzeih mein Sudeln. Mein Kopf und Herz und Hand sudeln bisweilen. <line type="empty"/>
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||
<line tab="1"/>Siehst meine offenen Arme? Komm ich drücke Deine Brust an meine, und küsse Dich! Kannst beten,
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so bitt auch für mich. <line type="empty"/>
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Conr. Pfenninger. <line type="empty"/>
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Deine Schriften erwart’ ich mit Verlangen. Es ist kein Zürcher so verliebt darein, wie ich. <line type="empty"/>
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||
<note>Adresse</note>
|
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Herrn <aq>Lenz</aq> durch Herrn <aq>Candid. Röderer</aq>, neben der Neu Kirch in Straßburg.</letterText>
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<letterText letter="39"><note>gedrucktes Rundschreiben</note>
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<line tab="1"/>Ich muß, ich muß es allen meinen nahen und fernen Freunden und Gönnern sagen, daß ich nicht
|
||
mehr im Stande bin, nebst meinen übrigen, ohne dieß sich täglich häufenden Geschäften, eine
|
||
weitläufige Correspondenz fortzusetzen. Weder meine Zeit, noch meine Gesundheit, noch meine
|
||
Vermögensumstände gestatten es. Zu dem kommen itzt besonders noch neue Hinderniße – Ohne alle
|
||
Verletzung also der Menschenliebe glaub ich, mir wenigstens ein halbes Jahr alle Briefe von
|
||
meinen bisherigen und etwa neuen Correspondenten, <it>sehr dringende Fälle ausgenommen</it> – brüderlich
|
||
verbitten zu dürfen. Helfet mir, liebe Freunde, und alle die mir wol wollen, wieder zu der
|
||
Ruhe, ohne welche ich weder mich, noch die mich hören ober lesen, selig machen kann. Wenn
|
||
ich gar zu vieles sen soll, so bin ich keinem Etwas, und mir selber nichts. Am allermeisten
|
||
bitt’ ich jeden, dem dieß zu Gesichte kommen mag, zuzusehen, daß mir mit Buchhändlerischen
|
||
Aufträgen, Subscriptions-Sammlungen und dergleichen durchaus für ein allemal, und mit
|
||
Zusendung aller Manuskripten zur Lesung und Beurtheilung — wenigstens bis Ostern 1775.
|
||
gütigst verschont werde. Gott wird’s denen, die aus Liebe zu mir, mir diese Gefälligkeit
|
||
erzeigen, gewiß nicht unvergolten lassen. <line type="empty"/>
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||
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||
Zürich,<line type="break"/>
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||
den 1. des Herbstmonats. 1774. <line type="break"/>
|
||
<aq>Johann Caspar Lavater.</aq> <line type="empty"/>
|
||
|
||
<note>Lavaters oder andere zg. Hand</note>
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||
<line tab="1"/>Nur ein Zeichelchen, daß ich an Dich, und Röderer, als liebe Brüder denke! Ich kann, ich kann nicht
|
||
schreiben! Nicht danken! Ich habe nicht einmal Zeit, Arbeiten zusammen zu suchen, dich ich Euch
|
||
auftragen möchte, für mich zu thun. Verzeihet mir, glaubet an meine Liebe, obgleich Ihr wenig oder
|
||
nichts sehet. Schreibet mir viel, aber erwartet keine Antwort. – Macht Ihr physiognomische
|
||
Beobachtungen; theilt sie mir <aq>Sans ápropos</aq> – halb, quart, <aq>octav</aq> – wie Ihr sie macht nur auf
|
||
<aq>octav</aq>blätchen mit. Auch Monatgedanken hab’ ich keine mehr gemacht. Liebet einander Brüder,
|
||
und mich, und grüßt alle und entschuldigt mich bey allen, daß ich – Ruhe suche, nicht die Ruhe der
|
||
Trägheit. <line type="empty"/>
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||
<aq>Z. den 2. Sept. 1774.</aq> <line type="empty"/>
|
||
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||
<note>Adresse</note>
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||
An Herrn Lenze im Finkweiler, in <ul>Straßburg.</ul></letterText>
|
||
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<letterText letter="40"><align pos="center">Straßb. d. 7 Novbr. 1774.</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Konnt’ ich mein edler Bruder! einen bessern Gebrauch von Deinem Briefe (den ich erst im August
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erhielt) machen, als daß ich ihn einem zweyten Du, durch die Bande der Freundschaft näher mit
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mir verbunden als durch die Bande des Bluts, meinem Bruder Goethe# <!-- Was bedeutet "#"? --> in Frankfurt zuschickte
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und Dein Glück mit ihm theilte. Wie ich denn nichts geheimes für den haben kann. Dafür ward
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aber auch Deine Verbindung von zwey gleich warm theilnehmenden Seelen hier doppelt gefeyert.
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Was soll ich Dir viel drüber sagen? Glückwünsche zeigen von einer armen Seele, deren Leerheit
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der Witz und strafbare Gefälligkeit zu bepappen sucht, aber das wahre Gefühl bindet die
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Zunge, kehrt die Augen gen Himmel und läßt Tränen reden. Verstehst Du diese Sprache mein Brüderchen!
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Einziger aus meiner Familie der mich versteht. Der Himmel belohnt Dich dafür. Er gab Dir ein
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Weib und ich beneide Dich nicht. Ich segne ihn, daß er Dich vorzüglichen Glücks würdigt da Du es
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vorzüglich verdienst. Kein wildes Zielen nach einem ungewissen Zweck, edles starkes Bestreben
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einen kleinen glücklichen Zirkel um dich her zu machen und von ihm wiederbeglückt zu werden.
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Dein vorjähriger Brief mit diesem zusammengehalten welch ein Gemählde von Deinem Herzen stellt
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es mir auf! Dein letzter Wunsch, <ul>„eine eigene Hütte mit einer Freundin die die Mühseeligkeiten
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dieses Lebens“</ul> p. er ist erfüllt, Du bist <page index="2"/> belohnt, edler Freund! kleiner – großer Mann
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in Deiner Genügsamkeit. Du wirst nach Deinem Herzen gewählt haben, also glücklich – täglich neue
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Vorzüge werdt Ihr aneinander entdecken, täglich neuer Beruf zu lieben und geliebt zu werden. Und
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so unsterblich, noch übers Grab hinaus – o ich muß mich wegwenden von Eurem Glück, wem zu essen
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versagt ist steht mit Verzweiflung vor dem Gemähld eines Banquets. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation=" am linken Rand der ersten Seite, vertikal">
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#<!-- Was bedeutet "#"? --> Verfasser des Goetz v. Berlichingen, Clavigo, Leiden des jungen Werthers und einiger Kleinigkeiten. <line type="empty"/></sidenote>
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<line tab="1"/>Du willst mein Schicksal wissen. Liebe Seele! was ist Dirs gedient damit. Daß ich Dich liebe weist du,
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darum hätt ich immer noch länger schweigen können. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich bin jetzt frey, athme das erstemal dreist aus. Der älteste Kleist ist nach Kurland gereist, um
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wiederzukommen, woran ich doch schon itzt zu zweifeln anfange. Sein jüngster Bruder aus Frankfurt
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Oder kam grad an als der andre abgieng und ich mußte ein viertel Jahr bey ihm bleiben. Jetzt bewohn
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ich ein klein Zimmer allein, speise täglich an einem Tisch wo einige meiner Freunde mitessen (die
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einzigen die in Straßb. Liebhaber der ächten Wissenschaften zu sein sich nicht schämen) und unterhalte
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mich ein wenig mühseelig von Lektionen die ich meinen Landsleuten in der deutschen Sprache und in der
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Geschichte ihres Vaterlands <page index="3"/> ich meine Pohlen Curland Rußland gebe, da hier sehr theuer zu leben ist. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mein Herz geht nicht müßig. Ich hab einige vorzügliche Freunde und Freundinnen und denk auch oft
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an Euch. Wiewohl mir Papa und der Tarwaster das zum Verbrechen machen wollen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Grüße Papa! Sag ihm nur daß es mir ein wenig fremd vorkam, da ich nichts von ihm foderte – nichts
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von ihm erwartete, als Erwiederung meiner warhaftig zärtlichen Gesinnungen für ihn und meine
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Blutsfreunde, mich dafür von ihm und Fritzen mit Ruten abpeitschen zu sehen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich will Dir hier ein klein Verzeichniß meiner Schriften anhenken, damit Du sie Dir anschaffest und
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mich und meinen Lebenslauf daraus beurtheilest. Auf Kosten der Sozietät wurden gedruckt:
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Lustspiele <del>des</del> <insertion pos="top">nach dem</insertion> Plautus. Auf Kosten der Weygandschen Buchhandlung: Der Hofmeister,
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oder Vortheile der Privaterziehung, eine Komödie. Darnach, der neue Menoza oder Geschichte des
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Cumbanischen Prinzen Tandi, eine Komödie. Darnach Anmerkungen über Theater, nebst
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angehängtem Shakespearischem Stück. Diese drey könntest Du Dir zusammen binden lassen. Ostern
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kommt mein letztes Stück heraus: der Poet, Weg zum Ehemann, das meinem Herzen am nächsten ist . <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Auch werden herauskommen Meynungen eines Layen zum <page index="4"/> Besten der Geistlichen: und
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Stimmen eines Layen auf dem letzten theologischen Reichstage. Die Du Dir anschaffen sollst. wovon
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aber der Verfasser unbekannt bleiben will. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Laß Dir die drey Komödien zusammen binden, den Hofmeister, den Menoza und den Poeten und
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schenk sie Deiner lieben Frauen auf den Nachtisch als ob sie von mir kämen. Schreib ihr hinein von
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meinetwegen <line type="empty"/>
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<align pos="center"><line tab="5"/>Fühl alle Lust, fühl alle Pein
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<line tab="5"/>Zu lieben und geliebt zu seyn
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<line tab="5"/>So kannst du hier auf Erden
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<line tab="5"/>Schon ewig seelig werden. </align><line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Und nun lebt wohl lieben Kinder! und laßt mich euch um den Hals fallen und mein Gesicht zwischen
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euren verbergen. Laßt mich eure Küsse euch zubringen und indem ich so euch beyde zwischen meine
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Arme an mein Herz drücke und Gott um Unsterblichkeit bitte für euch – so schickt eure warmen
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brüderlichen Seufzer auch für mich empor, daß auch mir es so gut werde – oder wenn ich dies Glück
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nicht verdiene daß ich müd von des Tages Hitze einst am Abend <insertion pos="left">meines Lebens</insertion> in euren Armen
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ausruhe und sterbe. Ich behalte mir den Platz aus mein Bruder! willigen Sie drin meine Schwester? So
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seegne sie Gott für den guten Willen Amen. <line type="break"/>
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<align pos="right">Jakob Michael Reinhold Lenz.</align></letterText>
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<letterText letter="41"><line tab="6"/>NachtSchwärmerey <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Ach rausche rausche heiliger Wasserfall
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<line tab="5"/>Rausche die Zeiten der Kindheit zurück in mein Gedächtnis
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<line tab="5"/>Da ich noch nicht entwöhnt von deinen Brüsten
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<line tab="5"/>Mutter Natur mit dankbar gefühliger Seele
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<line tab="5"/>Dir im Schoos lag dich ganz empfand
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<line tab="5"/>Schämst du dich Wange von jenen Flammen zu brennen
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<line tab="5"/>Schämst du dich Auge, von jenen geheimen Zären
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<line tab="5"/>Jenen süssen süssesten aller meiner Zären
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<line tab="5"/>Wieder still befeuchtet zu werden?
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<line tab="5"/>Nein so hab ich, so hab ich die Menschheit
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<line tab="5"/>Noch in der wilden Schule der Menschen
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<line tab="5"/>Nein so hab ich sie noch nicht verlernt.
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<line tab="5"/>Kann gleich mein Geist mit mächtigerm Schwunge
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<line tab="5"/>Unter die Sterne sich mischen die damals
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<line tab="5"/>Nur als freundliche Funken mich ganz glücklich
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<line tab="5"/>Ganz zum Engel lächelten.
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<line tab="5"/>Aber itzt steh ich, nicht lallendes Kind mehr,
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<line tab="5"/>Itzt steh ich dar ein brennender Jüngling,
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<line tab="5"/>Blöße mein Haupt vor dem Unendlichen
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<line tab="5"/>Der über meiner Scheitel euch dreht
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<line tab="5"/>Dank ihn, opfr ihm in seinem Tempel
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<line tab="5"/>All meine Wünsche mein ganzes Herz.
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<line tab="5"/>Fühle sie ganz die große Bestimmung
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<line tab="5"/>All diese Sterne durchzuwandern
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<line tab="5"/>Zeuge dort seiner Macht zu seyn.
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<line tab="5"/>O wenn wird er, wenn wird er der glücklichste der Tage
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<line tab="5"/>Unter allen glücklichen meines Lebens
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<line tab="5"/>Wenn bricht er an, da ich froher erwache
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<line tab="5"/>Als ich itzt träume – o welch ein Gedanke <page index="2"/>
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<line tab="5"/>Gott! – noch froher als itzt! ists möglich,
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<line tab="5"/>Hast du soviel dem Menschen bereitet
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<line tab="5"/>Immer froher – tausendmal tausend
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<line tab="5"/>Einen nach dem andern durchwandern und – immer froher
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<line tab="5"/>O da verstumm ich – und sink in Nichts
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<line tab="5"/>Schaffe mir Adern du Allmächtiger dann! und Pulse
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<line tab="5"/>Die dir erhitzter entgegen fliegen
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<line tab="5"/>Und einen Geist der dich stärker umfaßt.
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<line tab="5"/>Herr! meine Hofnung! wenn die letzte der Freuden
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<line tab="5"/>Aus deiner Schaale ich hier gekostet
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<line tab="5"/>Ach denn – wenn nun die Wiedererinnrung
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<line tab="5"/>Aller genossenen Erdenfreuden
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<line tab="5"/>Unvermischt mit bittrer Sünde
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<line tab="5"/>Wenn sie mich einmal noch ganz überströmt
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<line tab="5"/>Und dann, plautz der Donner mir zu Füßen
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<line tab="5"/>Diese zu enge Atmosphäre
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<line tab="5"/>Mir zerbricht, mir Bahn öfnet, weiter –
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<line tab="5"/>In deinen Schoos Unendlicher
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<line tab="5"/>Ach wie will ich, wie will ich alsdenn dich
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<line tab="5"/>Mit meinen Glaubensarmen umfassen
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<line tab="5"/>Drücken an mein menschliches Herz
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<line tab="5"/>Laß nur ach laß gnädig diesen Antheil von Erde
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<line tab="5"/>Diese Seele von Erde mich unzerrüttet
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<line tab="5"/>Ganz gesammlet dir darbringen zum Opfer
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<line tab="5"/>Und dein Feuer verzehre sie. –
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<line tab="5"/>Ach dann seht ihr mich nicht mehr theure Freunde,
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<line tab="5"/>Lieber Göthe! Der Freunde erster
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<line tab="5"/>Ach dann siehst du mich nicht mehr. <page index="3"/>
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<line tab="5"/>Aber ich sehe dich, mein Blick dringt
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<line tab="5"/>Mit dem Strahl des Sterns zu dem ich eile
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<line tab="5"/>Noch zum letzten mahl an dein Herz
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<line tab="5"/>An dein edles Herz. – Albertine
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<line tab="5"/>Du auch, die meiner Liebe Sayte
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<line tab="5"/>Nie laut schallen hörtest, auch dich
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<line tab="5"/>Auch dich seh ich, seegne dich – wär ich
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<line tab="5"/>Dann ein Halbgott, dich glücklich zu machen
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<line tab="5"/>Die du durch all mein verzweiflungsvoll Bemühen
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<line tab="5"/>Es nicht werden konntest – die du vielleicht es wardst
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<line tab="5"/>Durch dich selbst – ach die du in Nacht mir
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<line tab="5"/>Lange lange drey furchtbare Jahre
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<line tab="5"/>Nun versunken bist – die ich nur ahnde –
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<line tab="5"/>Euch mein Vater und Mutter – Geschwister
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<line tab="5"/>Freunde Gespielen – fort zu vielfache Bande
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<line tab="5"/>Reißt meine steigende Seele nicht wieder
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<line tab="5"/>Nach der zu freundlichen Erde hinab. –
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<line tab="5"/>Aber ich sehe dich dort meine Doris
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<line tab="5"/>Oder bist du vielleicht – trüber Gedanke!
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<line tab="5"/>Nein du bist nicht zurückgekehrt
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<line tab="5"/>Nein ich sehe dich dort ich will in himmlischer Freundschaft
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<line tab="5"/>Mit dir an andern Quellen und Büschen
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<line tab="5"/>Sternenkind! ach wie wollen wir Kinder
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<line tab="5"/>Hand in Hand dort spazieren gehn! –
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<line tab="5"/>Aber Göthe – und Albertine –
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<line tab="5"/>Nein ihr reißt mich zur Erde hinunter
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<line tab="5"/>Grausame Liebe! ihr reißt mich hinunter.
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<line tab="5"/>Reißt denn geliebte! reißt denn ich folge
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<line tab="5"/>Reißt – und macht mir die Erde zum Himmel! <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<note>linke Spalte</note><!-- Wie kann ich bei der Tabellendarstellung vorgehen? -->
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<line tab="1"/>Hier mein Bruder ein Brief den ich Dir schicken muß, warm wie er aus dem Herzen kommt. Dich wird
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das Porto nicht dauern lieber obschon kein Geschäft darinnen ist außer eine Commission von Hafner
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der mich lange gebethen hat. Ist doch uns kein höher Glück auf der Erde gegönnt als uns zu
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unterreden – mir ists das höchste. Denn alle meine Wirksamkeit ist für andre – aber mein Gefühl für
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Dich und einige Liebe ist für mich.<line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Warum gibst Du uns denn nicht Neuigkeiten von Dir. Haben genug in unsern Briefen itzt von meinen
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Schmieralien gesprochen – nun laß mich wieder ausgehen von dem kleinen Dreckhauffen Ich und
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Dich – finden <line type="break"/> <line type="empty"/>
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<align pos="right">Lenz</align>
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<note>rechte Spalte</note>
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<line tab="1"/>Ich habe viel in der Societät zu überwinden, auf einer Seite ists Unglauben, Zerrüttetheit, vagues
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Geschnarch von Bellitteratur wo nichts dahinter ist als Nesselblüthen: auf der andern steife leise
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Schneckenmoralphilosophie die ihren grosmütterlichen Gang fortkriecht, daß ich oft drüber die Geduld
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verlieren möchte. Da konnte Götz nicht durch dringen, der beyden gleich abspricht. Daher fing ich an
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<aq>ut vates</aq> den Leuten Standpunkt ihrer Religion einzustecken, daß itzt unter viel Schwürigkeiten vollendt
|
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ist, die Erfolge wird die Zeit lehren. Und nun stürm ich mit Ossians Helden hinein das alte Erdengefühl
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in ihnen aufzuwecken, das ganz in französische <aq>Liqueurs evaporirt</aq> war. Daß wirs ausführen können was
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ich mit ganzer Seele strebe, auf Heid und Hügel Deine Helden wieder
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naturalisiren. <line type="break"/>
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<align pos="center">Addio –</align></letterText>
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<letterText letter="42"><align pos="right">D 8ten Aprill 1775.</align> <line type="empty"/>
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Hier mein theurer Eifferer für unser Haus einige Versgen die ich dies Jahr in Calender setzen lasse. <line type="empty"/>
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<line tab="6"/>Ueber die kritischen Nachrichten vom Zustand des deutschen Parnasses (der Verf. ist Gotter der bey Dir war
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<line tab="6"/>Gotter. Es wimmelt heut zu Tag von Sekten
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<line tab="5"/>Auf dem Parnaß
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<line tab="6"/><ul>Lenz</ul> Und von Insekten. <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Ueber die Dunkelheiten im Klopstock und andern
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<line tab="6"/><ul>Der Schmecker.</ul>
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<line tab="5"/>Ich bitte gebt mir Licht
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<line tab="5"/>Herr ich versteh euch nicht
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<line tab="6"/>Antwort.
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<line tab="5"/>Sobald <ul>ihr</ul> mich versteht
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<line tab="5"/>Herr, bin ich ein schlechter Poet. <line type="empty"/>
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<line tab="6"/>Klopstocks Gelehrten Republick
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<line tab="5"/>Ein götterhaft Gerüst
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<line tab="5"/>Der Menschen Thun zu adeln
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<line tab="5"/>Wer darf, wer mag da tadeln?
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<line tab="6"/>Antwort
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<line tab="5"/>Wems unersteiglich ist.
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<page index="2"/>
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<line tab="1"/>Nichtsdestoweniger aber wünscht’ ich, daß Deine herzhafte Prügelsuppe den Leuten ganz warm über
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die Schultern regnete und will deshalb eine Abschrift dieser Rezension Gottern grad zuschicken sie in
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den deutschen Merkur zu rücken – Wielanden vielmehr, mögen die es verdauen so gut sie können und
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zu ihrer Besserung anwenden denn es ist unerträglicher Leichtsinn daß ein solcher Schmecker sich
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untersteht von solchen Sachen auch nur einmal zu reden, geschweige so abzuweisen. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal"><line tab="1"/>#<!-- Was bedeutet #? --> Ich schick es Gottern nicht eher als bis Du mir die Erlaubnis gegeben hast. Sonst wollt ich schon für
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ein <aq>vehiculum</aq> sorgen ihm die Medicin beyzubringen</sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Hier noch was von Goethe über diese Abgeschmacktheiten in seiner neusten Satyre,
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die ich zugleich die glücklichste nennen möchte: „Prometheus Deukalion und seine Rezensenten“ bey Gelegenheit der
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Deraisonnements in Deutschland über seinen Werther <line type="empty"/>
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<align pos="center"><line tab="6"/>Plötzlich erscheint Herr Merkurius pp
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<line tab="5"/>Wirst hier kritische Nachrichten hören
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<line tab="5"/>Kannst dich wahrhaftig des Lachens nicht wehren
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<line tab="5"/>Sehn aus als wärens im hitzigen Fieber gemacht
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<line tab="5"/>Haben hübsch alles in Klassen gebracht –
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<line tab="5"/>Aufgeschaut und nit gelacht. <line type="empty"/>
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<line tab="6"/>Merkur
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<line tab="5"/>Sieh da ihr Diener Herr Prometheus
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<line tab="5"/>Seit Ihrer letzten M – Reis
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<line tab="5"/>Sind wir ja Freunde so viel ich weiß
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<line tab="5"/>Ist mirs vergönnt den Sporn zu küssen <line type="empty"/>
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<line tab="6"/>Prometheus (Verf. des Werthers
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<line tab="5"/>Werd euch zur Zeit damit zu dienen wissen
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<line tab="5"/>Wie stehts um d. Fenster die ich eingeschmissen
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<page index="3"/>
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<line tab="6"/>Merk.
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<line tab="5"/>Mein Herr wird sie halt machen lassen müssen
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<line tab="5"/>Waren ja über das nur von Pappier <aq>etc.</aq> <line type="empty"/>
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– –</align>
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<line tab="1"/>Seegen Gottes über Dein Amt! Wer bin ich, daß ich Dir Glück wünsche? Dich, Deinen Standpunkt,
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Deinen Wirkungskreiß nach Würden erkenne und ausmesse. Wirkt miteinander Du und Dein
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Pfenninger und betet für einen betrübten Verlassenen <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal"><line tab="1"/>Warum hast Du mir denn nicht die Vollendung Deines Mskpts. für Freunde zugeschikt? Doch Dank
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||
dafür! Und für alle die reichhaltigen Gedanken in diesem Mkspt. ewigen Dank.</sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich bin bey Zimmermann gewesen und freue mich über seine Freude über Dir. Er hat einen wakern
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Stubengesellen, den Sohn des Meckels der seinen Vater kurirt hat. Es hat mich in der Seele gerührt so
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den Geist der Liebe der Väter auf den Kindern ruhen zu sehen. Sie fühlen beyde dies schöne
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||
Verhältniß, wie mich deucht, die edlenjungens. Wieviel haben wir auch von Dir und Deiner ersten
|
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Erkennung mit Zimmermann in Schinznach gesprochen!
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<line tab="1"/>Der Herzog von Weymar kommt (wie ich nun leyder gewisse Nachrichten eingezogen) in 4 Wochen
|
||
zurück, aber nicht über Lyon und durch die Schweitz, weil er sehr kränkelt und daher nach Hause eilt.
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||
Hast Du ihm was zu sagen, meld mirs, wenn ich Knebeln hier spreche, solls sicher bestellt werden.
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||
<page index="4"/>
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<line tab="1"/>Wie sehr wünscht’ ich nur einen Tag bey Dir zu seyn, wenn Du Physiognomik arbeitest. Ich freute
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||
mich schon im Geist Dich vielleicht mit einem Exemplar hier zu sehen, doch werd ich das Buch wohl zu
|
||
sehen bekommen, nur des Verf. Erläuterungen fehlen. Klopstock ist auch wieder nach Hause gekehrt zu
|
||
seinen alten Freunden, ich hatt ihn so nahe und sah ihn nicht. So waltet ein uns unbekanntes Schicksal
|
||
über unsre liebsten heiligsten Wünsche und Neigungen und leitet sie nach seinen Absichten. Goethe schweigt
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||
auch gegen mich, vermutlich weil ihn Geschäfte überwältigen. Nächstens sollst Du eine Künstlerromanze von
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ihm lesen, die ich seiner Schwester zugeschickt.
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||
<line tab="1"/>Melde mir doch aufs eheste ob der Herzog von Weymar mit unter den Subskribenten auf Deine
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Physiognomik ist. Und für wieviel Exemplare? – Und denn ob ich die Wielandias dem Gotter schicken
|
||
darf, dem ich eine Antwort schuldig bin. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Grüß den edlen Passavant und dank ihm mit der heissesten Umarmung für all seine Freundschaft für
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mich. Die Lieder von denen er mir schrieb sind meistens nicht von mir, sondern von einem jungen
|
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Schweighäuser einem Jüngling von vollem Herzen. Dank ihm noch mehr für seine schönen Mühwaltungen für
|
||
meine Kosakin, die ihm selbst auf einem Zettel ihren Dank stammeln wollte, aber jetzt krank zu Bette liegt.
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||
Sie hat von dem bewußten Freunde nun auch schon selbst seine <it>Adresse</it> in London erhalten, indessen bittet
|
||
sie Passavanten doch gütigst fortzufahren, und sobald er Neuigkeiten erfährt, sie ihr mitzutheilen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Grüß den theuren Pfenninger und sag ihm, ich arbeite gegenwärtig an einer neuen Auflage meines
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Menoza mit sehr wesentlichen Verbesserungen, der liebe Kritiker soll ihn zuerst haben. Überhaupt bitte
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ich meine Freunde mir ungeheuchelt und strenge ihre Meinung, ihr wahres uneingenommenes Gefühl über
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||
alle Stücke die ich künftig dem Publikum vorlegen werde zu schreiben. Es ist der gröste, der einzige
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Liebesdienst, den sie einem Künstler erweisen können. Und wißt Ihr lieben Brüder, daß der Tadel des
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Publikums auch auf Euch zurückfällt? „Hat er denn nicht Freunde?“ <line type="empty"/>
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||
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<line tab="1"/>Und nun, Lavater, laß mich Dich an mein Herz drücken, solang ich noch nahe bey Dir bin und Dir ein
|
||
Wörtgen über die Schweitzerlieder zurufen, von denen ich neulich wieder gesprochen. Mit dem
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||
Büchlein in der Tasche komm’ ich einmal in eure Gebirge. Tausend Grüße Deiner verehrungswürdigen
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||
Gehülfin. Daß doch das Blatt schon zu Ende ist <line type="break"/><line type="empty"/>
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||
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<align pos="right">Lenz.</align>
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<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">
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||
Der gute Röderer Nathanael empfiehlt sich euch allen aufs zärtlichste. Adieu! Adieu!</sidenote></letterText>
|
||
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||
<letterText letter="43"><aq>Den 14. Aprilis 75.</aq> <line type="break"/>
|
||
An Lenze.
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<line tab="1"/>Grüße <ul>Röderern</ul>, den edeln! – Dank für <ul>Zimmermann,</ul> daß Du ihn besuchtest; Laß ihn Dir sehr
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empfohlen seyn! Prometheus kennen wir. Mir gefällt er nicht. Was soll ein <it>Autor,</it> der so gelesen wird,
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spotten? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sende <ul>Gottern</ul> meinen Aufsatz, <ul>nicht zum Druck,</ul> aber sonst als eine unterdrückte Effusion des
|
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Herzens – dann in die Flamme! So eben ist ein <ul>Sendschreiben</ul> herausgekommen wider mich von
|
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einem geistlichen Mitbürger. Ein Denkmal des rasendsten Neides vollgestopft von Lügen, die mich der
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||
ganzen Welt lächerlich machen sollen. Soll ich schweigen? Soll ich reden? Noch will ich schweigen
|
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und warten. aber, das heißt doch wirklich rasen! – doch wieder wen? – wider sich selbst! <line type="break"/>
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adieu! <line type="break"/><line type="empty"/>
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Johann Caspar Lavater.</letterText>
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<letterText letter="44"><note>Adresse</note>
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An den Verfasser der <ul>Meynungen eines Layen</ul> schleunigst – abzugeben. <line type="empty"/>
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<sidenote annotation="auf dem roten Lacksiegel">
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panta dynata tō pisteuonti @<!-- Was bedeutet @? --> </sidenote><line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Eine und viele der seeligsten Stunden meines Daseyns hab’ ich Ihnen, sey Sie wer Sie wollen, zu
|
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danken. In einer Lage, wie’s wenige giebt – am Sterbebeth einer nahen, eben nicht warm doch redlich
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geliebten Schwägerinn – fieng ich an, Ihre wolerhaltnen <aq>Meynungen eines Layen</aq>, zu lesen, mit inniger
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Freud’ in der Stille der Mitternacht – – Meine Schwägerinn entschlummerte sanft – Ich ging schnell nach
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Hause; an einem hellen doch kühlen Frühlingsmorgen – fuhr sogleich, morgens vor 5 Uhr fort zu lesen;
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vor Freude zu zittern, vor Freude zu weynen, bald eine Zeile draus an meinen Bruder <aq>Pfenninger,</aq> der
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auf dem Lande ist, zu schreiben! <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sturm von Seite der Cabale, <ul>die das Sendschreiben eines zürcherschen Geistlichen</ul> geboren hat –
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stürmte dazwischen! aber Ihre prophetische Geisteskraft trug mich. – Nun hab’ ich’s vollendet; – nun
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liest’s neben mir <ul>Passavant</ul> – und den Abend noch – (warum ich nicht an seiner Seite) <ul>Pfenninger?</ul> –
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Ich kann nichts, nichts sagen, als – Sie <ul>sind</ul> mein Freund, ich bin der Ihrige. Nicht bitt’ ich
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Sie um Ihre Freundschaft; nicht trag ich Ihnen die meinige an – wir sind schon Freunde.
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Lichtstral darf nicht Lichtstral bitten: „Fließe mit mir zusammen.“ Das geschieht, in dem
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sie einander begegnen – aber <ul>das</ul> ist ein Ziel meiner Bitte, daß Sie mir bäldest eine Zeile
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schreiben und zu mir sagen: „Lavater! hier und dort hast du geirrt; das Ziel nicht erreicht,
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vorbey geflogen – bist angeprallt. Vor dem hüte dich! da ist Quell deines Irrthums! da
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Fallstrick für deine Imagination, deinen Verstand, dein Herz –“ Dann will ich auch sagen,
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welche <ul>Zeilen</ul> Ihrer Schrift unter die Gottesgeistigkeit herabsinken, hinausgleiten,
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nach meinem Sinn.
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Den 20 April 75. <line type="break"/>
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Lavater <line type="break"/>
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Zürich, Donnerstags, Abends nach 3 uhr.</letterText>
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<letterText letter="45"><line tab="1"/>Dein kostbares Briefgen habe erhalten ist mir ein theures theures Zeugniß der Güte und innern
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standhaften Grösse Deines Herzens die keiner falschen Bescheidenheit braucht um damit Cabale zu
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machen. Lache doch Lavater der Wolken die Freunde und Feinde an Dir vorbeyziehen lassen, Du wirst
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immer durchscheinen. Durchscheinen durchscheinen mein lieber Getreuer bis auf lange Nachwelt
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hinunter. Mich freut der Eiffer Deiner jungen Freunde. Fürchte nichts von mir, ich konnte und kann
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Dich nie kompromittieren, mein Blut ist kalt, aber mein Herz fühlt warm. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Alles das was Du mir schreibst hat mein Herz grade so geahndet, das war mir ein Siegel, daß auch ich
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Dein oder Deines Gottes bin. Ich konnte aber – und werde nun keinen üblen Gebrauch davon
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machen, dessen sey sicher. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Laß Deine Freunde machen was sie wollen und für gut und nöthig finden, ich mische mich nicht
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darunter, gewiß nicht aus Menschenfurcht, denn was können mir Deine Menschen helfen oder
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schaden. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Aber was ich in einer Entfernung für Dich hinaus thun kann, das thu ich – und nichts kann mich
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abhalten. Ich kenne Deine Sphäre nicht, aber ich <page index="2"/> kenne die Fassungsart und Gesinnungen
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der meinigen, in die ich freilich sehr langsamen und halb imperceptiblen Einfluß habe. Also hast Du
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nichts von mir zu hoffen noch zu fürchten gegenwärtig. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Deine Physiognomik – lieber der Wunsch mir ein Exemplar geben zu können, was geb’ ich Dir dafür?
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Mein ganzes Herz – mehr hat mir der Himmel nicht gelassen. Ich glaube aber dennoch, ich glaube, ich
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werde sobald es heraus ist, hier eines zu Gesicht bekommen und das ist ja <ul>aIIes</ul> was ich wünsche. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Lebe wohl mein lieber Leidender! Meine Freunde werden mir denn erst recht theuer, wenn sie ein
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wenig dulden und schweigen müssen und das ist das Gefühl aller honetten Leute. Also nutzen Dir
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Deine Feinde bei der honetten Welt – und bey der erleuchteten können sie Dir auch nicht schaden.
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Was bleibt ihnen denn übrig, als ein halbgelehrter schaler feindseliger Anhang, den <ul>ich Dir</ul> nicht
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wünschen möchte.
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<page index="3"/>
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<line tab="1"/>Leb wohl hier ist ein physiognomischer Gedanke der mir durch den Kopf gezogen ist und über den ich
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Deine Meynung zu hören wünschte. Es ist manchmal gut allerley <ul>anzuhören,</ul> wenn man über gewisse
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Sachen nachdenkt – also wirst Du mir mein Gelall und Gestammel nicht übel nehmen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Grüsse Passavant (dessen Enthusiasmus für Dich mich entzückt), Pfenninger, das Kind Gottes in
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Blumen spielend und Kaysern. Ich erwarte von den beyden ersten die nächsten Briefe mit vieler
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Sehnsucht. <line type="empty"/>
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<align pos="right">Lenz.</align>
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<page index="4"/>
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<line tab="1"/>In unsern Tagen ist eine gewisse Faulheit und Niedergeschlagenheit besonders in monarchischen
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Ländern so <ul>häuffig</ul> anzutreffen, daß die Gesichtszüge daher fast alle auf eins hinauslauffen und von
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keiner Bedeutung sind. Die zu geläuterten Religionsbegriffe, die übermässige Verfeinerung in den
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Künsten und Zweiffel und Ungewißheit in den Wissenschaften geben ganz andere Gesichter und ganz
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andern Ausdruck der Empfindungen als ehemals. Das Feuer sitzt bey uns nur in den Augen, bey den
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Alten aber in allen Mienen und der Stellung derselben. Ueberhaupt scheinen mir alle heutige
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<ul>bedeutende</ul> Gesichter nur <ul>aufgeschürzt</ul>, das heißt die <ul>herunter</ul>gesunkenen Lineamenten mit Mühe
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wieder <ul>empor</ul>gearbeitet – da die Alten das zu wilde Emporsteigen der Mienen vielmehr zu hemmen
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und zu mässigen suchen mußten. Das waren <ul>gesammlete Gesichter</ul>, bey uns sind es <ul>angestrengte.</ul>
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Derselbe Unterscheid, der zwischen einem <ul>berittenen</ul> wilden Hengst und einem mit <ul>Sporn und
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Kourierpeitsche in Galopp</ul> gebrachten Karrengaul ist.</letterText>
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<letterText letter="46"><align pos="right">D. 1sten May 1775.</align><line type="empty"/>
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<align pos="center">Gnädige Frau!</align><line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich halte mich für eben so berechtigt Ihnen zu schreiben, als ein freyer Geist über alle
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Unterscheidungszeichen und Verhältnisse in der Welt herausgehoben, Ihnen seinen Beyfall zulispeln
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würde, wenn er Sie irgend eine edle grosse Handlung ausüben sähe. Ich habe von Ihnen weder zu
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hoffen <insertion pos="top">noch</insertion> zu fürchten, und um Ihnen die Warheit dessen und die Ungezwungenheit und Freywilligkeit
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meines Urtheils zu beweisen sollen Sie meinen Namen nicht erfahren, aber erlauben Sie mir
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auch jetzt mit aller der Hochachtung zu Ihnen zu treten, die das Anschauen Ihrer wundernswürdigen
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Eigenschaften in mir rege macht. Ich habe hie und da Nachrichten von Ihnen eingezogen die alle
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dunkel und unzuverlässig waren, besser wust ich mich nicht zu wenden als an Goethe der mir einmal
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einen Brief in Coblenz aus Ihrem Dintenfaß geschrieben hat. Und wie entzückt ich darüber seyn
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muß die Züge Ihrer Hand in meinen Händen zu sehen, dieser Hand die die Sternheim schrieb, und
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von dieser soviel Gütiges für mich! „Das Gleichgestimmte meines Carakters“ – wissen Sie auch was
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das auf sich hat gnädige Frau? Die göttliche Güte hat mich, da ich eben durch andere Vorfälle
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meines Lebens und Verirrungen meines Kopfs und Herzens bis <page index="2"/> zu Boden gedrückt war, auf
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einmal wieder erhöhen wollen, ich fühle ein neues Leben in mir, neue Aussichten, neue Hoffnungen
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und ach Gott! wie selten kommt mir das, etwas von Ihrer Selbstzufriedenheit. – Erschrecken Sie
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über dies Wort nicht, Sie allein können es ohne Gefahr brauchen. Solange konnten Sie zusehn daß
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Ihre Sternheim unter fremdem Namen möchte ich beynahe sagen vor der Welt aufgeführet wurde und
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mit halb sovielem Glück, als wenn jedermann gewußt, aus wessen Händen dieses herrliche Geschöpf
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entschlüpfte. O wahrhaftig starke Seele, müssen doch Männer Ihnen erröthen und zittern.
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Lassen Sie mich aufrichtig reden, der Name des Verfassers komischer Erzehlungen war keine gute
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Empfehlung für einen Engel des Himmels der auf Rosengewölken herabsank das menschliche Geschlecht
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verliebt in die Tugend zu machen, dieser Name warf einen Nebel auf die ganze Erscheinung und
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ich danke Ihnen eben so eyfrig, daß Sie ihn mir von den Augen genommen als ich Ihnen das
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erstemahl für Ihre Schöpfung gedankt haben würde. Und wie es mir in die Seele hinein Vergnügen
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macht, daß ich mich in der Ahndung auch um kein Haar <page index="3"/> verschnappt, W. habe nur die
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Noten und die Vorrede gemacht, denn sie sind so ganz sein würdig. Ich verkenne diesen Mann nicht,
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aber er hätte mit mehrerer Ehrfurcht dem Publikum ein Werk darstellen sollen, dessen Verfasserin
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zu groß war selber auf dem Schauplatz zu erscheinen und dies soll geahndet werden. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Gnädige Frau! nennen Sie Ihr Mädgen nicht phantastisch, ich hoffe es werden Zeiten erwachen die
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itzt unter dem Obdach göttlicher Vorsehung schlummern, in denen Leserinnen von Ihnen Ihr Buch
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das sie jetzt noch als Ideal ansehen, zur getreuen Copey machen werden. Wenn Sie doch für jedes # <!-- Was bedeutet #? -->
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Alter dergleichen Ideale schüfen! Sie würden alle einen Thon haben, weil sie aus Ihrem Herzen
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kämen, das sich in dergleichen Gemählden nur selbst abdruckt. Liebe gnädige Frau! der Himmel
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belohne Sie. – Wär’ es auch nur für all die wollüstigen Tränen die Sie mir haben aus den Augen
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schwärmen machen und in denen die ganze Welt um mich her verschwand <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left bottom" page="3" annotation="links unten">
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#<!-- Was bedeutet #? --> weibliche
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<page index="4"/>
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<line tab="1"/>Wenn ich bedenke, daß und womit ich Ihnen Freude gemacht habe, so werde ich stolz auf mich
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selber und danke dem Himmel für die Stunde in der er mich hat geboren werden lassen, für die
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Leiden, den schönen krummen Pfad durch den er mich bis zu Ihnen hinaufführte, daß ich wenigstens Ihr
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Angesicht sehen kann. Ich habe nur den ersten Brief in der Iris gelesen und Sie gleich wieder darin gefunden.
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Lebt solch eine Freundin wirklich die mit den geheimsten Bewegungen Ihrer grossen Seele vertraut ist,
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so sei sie dem Himmel gesegnet, mit Ihnen die Zierde unsers Säculums. Was sollen wir schmeicheln liebe
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gnädige Frau, mich däuchte der erste Brief mit mehr Feuer geschrieben als die nachfolgenden. Binden
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Sie doch Goethen ja recht ein, mir wenns möglich die nächstfolgenden im Mskpt mitzutheilen, ich werde
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mit diesem Heiligthum gewissenhafter umgehen als W. Nicht ein Wort in diesem ganzen Briefe habe ich
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gesagt, das nicht mit der vollen Empfindung meines Herzens ausgesprochen, das ich nicht vielleicht
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weit stärker gebraucht haben würde wenn ich in einer andern Himmelsgegend und Zeitraum <ul>von Ihnen</ul>
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gesprochen hätte <line type="empty"/></sidenote>
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<align pos="right">x x x</align><!-- Was bedeutet "x x x" -->
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<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>Alles alles schicken Sie mir was Sie gemacht haben, auch das französische. Ich muß Sie ganz kennen
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lernen und das grad in dieser Lage meines Herzens. Hier ist meine Adresse. Was kannֹ’<aq>S</aq>s mir auch schaden
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Ihnen meinen Namen zu sagen. Es ist so der <ul>kürzeste</ul> Weg. Und ich habe viele Namensvetter,
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die auch Goethen kennen. <line type="empty"/></sidenote></letterText>
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<letterText letter="47"><line tab="1"/>Mein Lenz Ich schreib Dir aus dem Bett, wo ich den zweiten Fieber <aq>paroxysmus</aq> erwarte. Kaum war
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Lindau weg, so gieng ich nach Ihringen; schon seit Deiner Ankunft lag aber das Fieber in mir. Durch
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die Bewegung brachs aus, das wollt ich! Ich must in Ihringen fast Tag und Nacht zu Bette liegen.
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Am Dienstag macht ich mich fort, und ritt zuruk, 5 Stunde in zwo. Als ich ankam fand ich meine Frau
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besser. Ich must mich aber legen weil ich Kopfweh hatte wie ein Teufel der in mir hämmerte. Ich
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thats und fiehl die Nacht zum zweitenmahl in einen Schweis worinn ich wie schwomm. Mittwochs kam
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das Fieber ordentlich an. Ein Syberischer Frost schüttelte mich 4 Stunden lang, die Hitz war gering.
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Nun denk dir mich mit allen meinen Arbeiten am Hals, und angenagelt im Bett. Ich schrieb mitten im
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Frost dem Doktor; wie etwa Alexander – aber es war kein Philippus. Ganz sachtgen kam er geschlichen
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und sagte ich müßte <aq>purgiren. Vomiren</aq>, sagt ich Herr Doctor, <aq>vomiren</aq>, den Teufel wegspeyen – das
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geht schneller. Aber es war umsonst, und so gros ist unsre Sclaverey daß wir nicht einmahl <aq>vomiren</aq>
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dürfen wans uns lüstet. Gestern war also der <aq>Evacuations</aq> Tag. In der Nacht schlief ich wenig,
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aber heut ist mirs erträglich; wenn nicht das Fieber sich wieder meldet. – In der Nachtinsomnie
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hab ich Verse gemacht. Hier hast Du sie, wenn sie Dir gefallen, so laß sie in einen Almanach wandern;
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gefallen sie Dir nicht, so schenk sie <aq>sans façon</aq> dem Herrn Kamm. Meine Verse sind lauter <it>Huren
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Kinder</it> denen man nicht einmahl gern die <aq>Alimente</aq> giebt. <line type="empty"/>
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<line tab="6"/><it>Über Werthers Leiden</it> <line type="empty"/>
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<line tab="6"/>an seine Widerleger, Berichtiger, Vertheidiger und Recensirer. <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Ist’s Bild; so hats Urania gemahlt;
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<line tab="5"/>Lebt er; so streute sie des Jünglings Grab mit Rosen. –
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<line tab="5"/>Trübt nicht den Glanz der Himmlischen, der Grosen,
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<line tab="5"/>Ihr wüst wie selten sie uns strahlt. <line type="empty"/>
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<line tab="6"/><it>Die Journalisten.</it> <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Da sitzen sie und sprechen
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<line tab="5"/>Wie Stimm der Nation,
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<line tab="5"/>Um den Geschmack zu rächen
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<line tab="5"/>Stürzt niemand sie vom Trohn? <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Wie Püter decidiret
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<line tab="5"/>Und Götz andächtig flucht,
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<line tab="5"/>Und Kästner calculiret
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<line tab="5"/>Und Haller Kräuter sucht; <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Das möchtet ihr durchsichten
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<line tab="5"/>Und messen Tag und Nacht;
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<line tab="5"/>Hier darf der Kaltsinn richten,
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<line tab="5"/>Der Kaltsinn hat’s gemacht. <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Wann Gott den Dichter wärmet,
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<line tab="5"/>Wann seine Seele glüht,
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<line tab="5"/>Da fragen: wo er schwärmet
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<line tab="5"/>Und wo er Wahrheit sieht; <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Wie Schülern auf den Bänken
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<line tab="5"/>Dem deutschen Weib und Mann
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<line tab="5"/>Beschreiben was man denken
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<line tab="5"/>Und fühlen wird und kann, <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Wohl gar die Gränz vormachen
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<line tab="5"/>Wie weit man fühlen soll,
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<line tab="5"/>Ist selbst in Aristarchen
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<line tab="5"/>Blasphemisch oder toll. <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Wen Gott für künftge Welten
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<line tab="5"/>Zum Dichter eingeweiht,
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<line tab="5"/>Hör nicht ihr Lob und Schelten,
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<line tab="5"/>Seh nur die Ewigkeit. <line type="empty"/>
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Samstags.
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<line tab="1"/>Ich hab dem Doktor sehr Unrecht gethan! kaum hatte ich gestern so weit geschrieben so befiehl mich
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eine Üblichkeil die sich gerade auf die Art äuserte als ich wollte. Ich hoffe das Fieber ist zu allen
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Henkern. Ich aß gestern Abend schon wieder ein wenig; schlief ruhig und habe nun wirklich Hunger! –
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Meine kleinen Leiden werden durch die wieder täglich wachsende Gesundheit meiner besten Frau wieder
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doppelt vergolten, und auch an mir werden sies, denn ein Fieber, wenns fort ist, läßt immer die beste
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Gesundheit nach sich. – – Adieu, lieber Lenz, auf den Herbst also sehn wir Dich gesünder, fröhlicher,
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besser wieder. – Versags uns nicht! Wie sollst Dus? Da wirds eine wirklich seelige FamilienGruppe werden – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Hier hast du die vermutl. Übersetzung aus einem Englischen Stük von der <aq>Collection</aq>, die du drin hast
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liegen lassen. Ich hätte das Original gern finden mögen, sie scheint mir sehr glükl. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Hier ist auch die Übersetzung der <aq>Sappho</aq> an <aq>Phaon</aq>; oder vielmehr die Nachahmung – der ganze
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Unterschied besteht aber nur daß das ein Bube zum Mädchen sagt, was man der Sappho zum Buben
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gesagt zu haben zuschreibt. <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Zevs der auf den Wolken fart
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<line tab="5"/>Ist nicht seelger als wer hier,
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<line tab="5"/>Holdes Mädchen, neben Dir,
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<line tab="5"/>Deine süße Stimme hört
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<line tab="5"/>Und Dein himmlisch Lächlen sieht
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<line tab="5"/>Das mein schmelzend Herz durchglüht. <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Götter, als ich sie gesehn,
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<line tab="5"/>Stockte mir die Zung, die Ohren
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<line tab="5"/>Klangen mir, von Sehn zu Sehn
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<line tab="5"/>Rollten Flammen und ein Flohr
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<line tab="5"/>Zog sich beyden Augen vor. <line type="empty"/>
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<line tab="5"/>Kalter Schweis des Todtes tropfte
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<line tab="5"/>Von der Stirne, Schauer klopfte
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<line tab="5"/>Mir im Busen, starr und bleich
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<line tab="5"/>Wurden Mund und Wang zugleich,
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<line tab="5"/>Und wie wenig fehlte mir,
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<line tab="5"/>Ach! so starb ich neben ihr! <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wenn Dus billigst, so laß auch das in einen Almanach laufen, aber in keinen als Boyes. Ich mag mit
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den Hrn. Hölty und Consorten nichts zu thun haben. Die Kerls haben die Lehrjungen gespielt, und
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richten nun einen eigenen <aq>Shop</aq> auf; das ist mir nicht geniesbar.
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<line tab="1"/>Noch einmahl adieu; grüß die Jungfer Königen vielmahl von uns beyden. Meine Frau wird ihr bald
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wieder schreiben – Als ich heut nachmittag auf dem Bett lag, rauschten meine alten Ideen vom
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Selbstmord wieder vor mir vorbey. lch schick sie Dir, mach mit was Du willst. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Höhr ist Herr Kamm nicht so etwas von einem Juden? Ich hab einen Ring davon der Raupstein <aq>Nacre
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marin</aq>, von sehr schönen Grün, rund um mit Brillanten schön <aq>coronoisirt</aq>, ist, er ist etwa von der Form und
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Gröse […] Um 8–9 D’ <aq>or</aq> geb ich ihn! Will er, so schik ich ihn dir. <aq>Adieu</aq></letterText>
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<letterText letter="48"><line tab="1"/>Ich höre, Du willst nach Strasburg kommen Lavater! Kupfer zu Deiner Physiognomik hier stechen zu
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lassen. Ich seegne diesen Vorsatz und wünschte ihn in die Zeit hinaus da Goethe gleichfalls sich
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vorgenommen hie durch zu seiner Schwester zu reisen, wohin ich ihn begleiten könnte. Das Haus in
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welchem Du ehemals hier geherbergt, wartet daß ich so sagen mag mit offenen Armen auf Dich, in der
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||
That darfst Du in Strasburg nirgend anders hin wohnen. Du würdest die Leutgen seufzen machen. Ich
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wohne zwar selbst nicht mehr da indessen steh ich doch noch immer in Zusammenhang mit ihnen und
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sie sind es die mir den Auftrag gethan, Dir zum voraus ein Liebesseil an den Hals zu <page index="2"/> werfen,
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damit Du unsern Hofnungen nicht entgehen könnest. Ich habe unter der Zeit manches erfahren und mich
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auch ein kleinwenig mit der Welt aussöhnen lernen, vielleicht weil mein Schicksal besser worden. So
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sind wir Helden, die ein Lüftgen dreht – Du aber bleibest wie Du bist. – Meine größten Leiden
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verursacht mir itzt mein eigen Herz und der unerträglichste Zustand ist mir mit alledem doch,
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wenn ich gar nichts leide. Viellleicht ist alle Glückseeligkeit hier nur immer Augenblick und
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Ruhepunkt den man nimmt um sich in neue Leiden zu vertiefen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Lieber Lavater! ich muß hier abbrechen, Geschäfte bestürmen mich, denn ich führe mein Schiff itzt
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selber. Leb wohl. <line type="empty"/>
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<align pos="right">Lenz.</align><line type="empty"/>
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<page index="3"/>
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<line tab="1"/>Ich imaginire mir Deine Physiognomischen Beschäftigungen in der Stille so reitzend daß ich daran
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nicht denken kann ohne in Feuer zu gerathen. Du wirst bald den Herzog von Weymar sprechen, in
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dessen Gefolg ein Mann ist, der ausserordentlich von dieser Gesichtsschwärmerei auch angesteckt ist –
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und dessen Bekanntschaft überhpt Dich freuen muß. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Hier ein Paar meiner Gesichtsanmerkungen wieder, über die wie über die vorigen Du mir Deine
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Meynung mündlich sagen magst. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>„Alle Linien die heraufgehen zeigen Vergnügen, alle die heruntergehen Verdruß und Traurigkeit an. Es
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scheint der Himmel hat den Menschen auf die Gesichter zeichnen wollen, wo der Sitz der Freuden zu
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suchen wäre. <line type="empty"/>
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„Je kleiner der Mund, desto unschuldiger das Herz; je grösser, desto erfahrener. P <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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An Lavatern. <line type="break"/>
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in Zürich.</letterText>
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<letterText letter="49"><align pos="right">Strasb. den 10ten May 1775.</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Es ist wohl wunderbar daß ich einen Brief vom Jenner erst im May beantworte: aber ich muß Ihnen
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gestehen Gotter, daß ich Sie im Verdacht hielt, Sie hätten die kritischen Nachrichten im Merkur
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gemacht und die gefallen mir nicht. Darum schwieg ich. Meine Autorschaft läßt mir gute Ruh und
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kann mich einen Freund nicht vergessen machen. Das ist kein Vorwurf für Sie mein Lieber, denn
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Sie hatten mich darum nicht vergessen, obschon Sie mir nicht schrieben und auf die Versprechungen
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der Freundschaft halte ich so streng nicht, weil ich mich selbst auf den Punkt nichts
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zuverlässiger kenne. Wir sind in gewissen Augenblicken so seelig, so trunken vom Gefühl unsers
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Daseins daß wir die ganze Welt mit einem Blick übersehen mit einem Schritt überschreiten da
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fühlen wir uns eine gewisse Größe unmögliche Dinge in einem ganz leichten Roman zu kombiniren
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wie meine Reise nach Gotha war. #<!-- Was bedeutet#? --> Nehmen Sie das Projekt für ein Zeichen meines Vergnügens in
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Ihrer Gesellschaft an wie ich Ihr Versprechen mir aufs geschwindeste zu schreiben dessen Erfüllung
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und die Nachrichten von Ihrer fürtrefflichen Schwester mir nun ein unvermutetes Geschenk sind
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wofür ich sehr danke obwohl etwas spät. Was aber langsam kommt kommt gut und mein Dank ist
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aufrichtig. Ich habe alle Ihre Aufträge ausgerichtet und von alle den Herrn viel Gegenkomplimente
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zu versichern. Gerhardi ist Rath worden bei den Prinzen von Hessen die er itzt hofmeistert.
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Ich hab ihn seit unsrer guten letzten Zusammenkunft nur einmal gesehen und von beyden Seiten
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sehr zerstreut. Ich gehe <page index="2"/> so meinen Gang fort über Stock und Stein und bekümmere mich
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eigentlich nur um die Leute deren Herz und Geschmack sich mit meinem berühren kann. So waren
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Sie mir recht was Sie mir auch übern Menoza schreiben können, den ich selber eine übereilte Comödie
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zu nennen pflege. Mein Theater ist wie ich Ihnen sage unter freyem Himmel vor der ganzen deutschen
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Nation, in der mir die untern Stände mit den obern gleich gelten die <aq>pedites</aq> wie die <aq>equites</aq>
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ehrenwürdig sind. Findt sich niemand in meinen Stücken wieder so bedaure ich Oel und Mühe – ob sie
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übrigens spielbar sind bekümmert mich nicht, so hoch ich ein spielbares Stück schätze wenn es gut
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gerathen ist. Sich nächst an die Natur hält und doch Herz und Auge fesselt. Neugier auf einen Grad
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der Leidenschaft zu treiben weiß und doch durch Befriedigung derselben mich nicht unlustig macht,
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weil ich sie möglich und wahr finde. Das letzte könnte Thema zu einer Kritik meines Menoza geben
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und ich danke Hn. Wieland für einige Winke in der seinigen. Wiewohl er hoffe ich bei der nächsten
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Auflage das zu harte: <ul>„Mischspiel“</ul> zurücknehmen wird. Ich hatte bloß versäumt einige Erzehlungen
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deutlicher zu machen die <ul>das Ganze</ul> in ein besseres Licht stellen –
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">
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<line tab="1"/># Der Kurländer sitzt schon lang unter seinen Hausgöttern und ist auf dem Wege gestorben und
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wieder auferstanden. Ich war wirklich auf den Punkt ihn zu begleiten, aber all meine Anstalten
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wurden zu Wasser. Doch trag ich mich immer noch mit einer Ausschweiffung nach Deutschland.
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Warum haben Sie mir denn nichts von Ihnen zukommen lassen? Das Versprechen hätten Sie doch
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halten sollen. Sie wissen wie es uns armen Poeten geht, die die Bücher lesen wie Vögel unter dem
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Himmel ein Korn finden. Ich habe noch keins von Ihren Stücken in die Hände bekommen Von der
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Seilerschen Gesellschaft verseh ich mir sehr viel Gutes Gott weiß wenn ich <aq>exul</aq> wieder einmal
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deutsches Schauspiel zu sehn bekomme</sidenote>
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>Grüßen Sie mir Ihre verehrungswürdige Schwester und den lieben Doktor. Wenn Sie aber nach Lyon
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schreiben, oder Himmel führe Ihre Hand alsdenn, meiner im besten zu gedenken. Kann ich nicht
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erfahren wenn sie zurückkommen. Lieber Freund! wären doch alle Oerter in der Welt so nah bey
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einander als in Shakespears Stücken! Lion, Strasburg, Gotha – ich denk’, ich erwarte Sie alle.</sidenote>
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<sidenote page="2" annotation="am oberen Rand, spiegelverkehrt">
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<line tab="1"/>Was sagen Sie zu all dem Gelärms übern Werther? Ist das erhört einen Roman wie eine Predigt zu
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beurtheilen. O Deutschland mit deinem Geschmack!</sidenote></letterText>
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<letterText letter="50">Straßburg, d. 20. May, 1775. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sie sind vielleicht schon jezt auf der Reise, deren Sie in dem Briefe an Göthe Erwähnung thaten.
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Nehmen Sie dahin meinen Dank mit, (wenn anders der Dank eines Menschen wie ich, Sie erwärmen
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kann,) für den braven Mylord <ul>Allen;</ul> ein Portrait, das ich in meiner Gallerie hoch anstelle. Er hat
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Erdbeben in meinen Empfindungen gemacht. Lassen Sie sich das neue linke Wort nicht verdrießen;
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ich rede einmal so, wenn ich mich nicht zwingen mag. Und gegen Sie zwinge ich mich nicht eher, als
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bis Sie mir dazu winken. Darf man mit Personen, die außer unserm Stande sind, nicht reden, wie’s
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einem um’s Herz ist, sage ich immer. Wie traurig wäre ihr Loos dann? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wenn Göthe bey Ihnen ist, so möcht’ ich eine Viertelstunde zuhorchen. Warum lassen Sie ihn denn
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so viel Operetten machen? Freilich kann mein kaltes Vaterland großen Antheil daran haben, daß ich
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mehr für das Bildende als Tönende der Dichtkunst bin. Doch kann ich auch weinen bei gewissen Arien
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die mir ans Herz greifen, und verloren bin ich, (wenigstens in jeder Gesellschaft von gutem Ton,)
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wenn sie gerad die Stimmung meiner Situation treffen. Wenn Sie denn doch seine Muse seyn wollen,
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so verführen Sie ihn in ein <ul>großes</ul> Opernhaus, wo er wenigstens <ul>Platz</ul> für seine Talente finden
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könnte, wenn man es erst von <ul>Metastasios</ul> Spinneweben rein ausgefegt hätte. Nur weiß ich nicht,
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wie Göthe über’s Herz bringen sollte, Helden anders als im Rezitativ singen zu lassen; oder die
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Arien müßten von einer Art seyn, wie ich sie mir nicht zu denken im Stande bin. Ich schreibe
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<ul>Ihnen</ul> das, weil er <ul>mir</ul> ganz stille schweigt. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Was mir wieder einmal eine Zeile von Ihrer Hand seyn würde – das darf ich Ihnen doch nicht erst
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sagen. Aber nur, wenn es Niemand, Niemand Eintrag thut. Ich will gern hinten an stehen. <line type="empty"/></letterText>
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<letterText letter="51"><line tab="1"/>Hier hast Du die Seele m: Seele – die immer geheime Triebfeder alles deßen was gut u: wirksam an
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mir ist – ohne die ich als ein kalter toter Klumpe dahinfallen würde, der nur die Erde zu beschweren nicht aber
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zu beglüken im Stande ist, mit der ich, wenn ich eine Weile lieber Flamman so weit ich reichen kann ausgebreitet
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vor ihr gern als ausgebrante Asche hinsinken will, glüklich genug m: Zeitraum hindurch von ihr erwärmt worden zu
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seyn. Sie kann mehrere so Erwärmte so begeistert haben, aber niemand mit der ungetheilten Empfindung als mich.
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Ich kenne auf der Welt nicht’s Schöneres als Sie, ein Gedanke an ihr ist mir Belohnung, der ich nichts auf der Welt
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zu vergleichen weiß. Und so gehen alle meine Arbeiten so ruhig so heiter, so frey von andern Leidenschaften, u:
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doch so munter u: voll der großen Hoffnung irgend einmahl ihren Beyfall zu erhalten – Ach L.! wie glücklich! wenn
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der Zustand dauern könnte. Wenigstens will ich mich durch meine Handlungen auch des Vorzugs würdig machen, sie
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geliebt zu haben u: ihr nicht Ursache geben darüber zu erröthen – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Doch wenn Du nicht m: Unglück willst, schweige, sie ist in einer Lage u: unter Menschen, wo diese
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Gedanken selber zu denen sie weiter nicht die geringste Gelegenheit gegeben, aber dadurch daß sie so
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vollkommen ist, ihr zum äußersten Nachtheil ausgelegt werden würde. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mit allen Talenten geschmükt die das weibliche Herz nur bilden können, sie spricht 5. Sprachen, auch
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das Latein sie macht zeichnet als eine Meisterin, sie spielt den Flügel treflich, sie tanzt, reitet jetzt
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sogar – u: hat täglich alle ihre Sunden so eingetheilt – daß keine Minute unangewendet bleibt. –Und diese tiefe
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Empfindung von Religion – von Familien Banden – von freundschaftlichen Verhältnißen – selbst fast zu
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partheyische Vaterlandsliebe. Ich werde Dir einmal einige ihrer Brfe lesen die ich erbeütet habe (ich habe m:
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Freundin einige durch besondere Wege gestolen) sie schreibt gern u: immer aus Bedürfniß sich mitzutheilen,
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nie aus kalt erschriebner Höflichkeit oder eigennuzer Veranlaßungen ehe sie m: Namen wußte u: die zuerst m: ganze Seele ausgespannt ein solches Frauenzimmer von Angesicht zu
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sehen. Mehr als 4 Wochen habe ich eine andere überall für sie angesehen, weil ich nicht Gelegenheit hatte in
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ihre Gesellschaft zu kommen. So wenig war es körperlicher Reiz allein der mich feßelte, hätte sie in der Marke
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einer Olinde gestekt, ich würde sie verehrt haben. Wie sehr wünsche ich Du kämest nach Strasburg u: hättest
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Gelegenheit wie sie Dir – denn nicht fehlen kann sie zu sehen u: zu sprechen. Eben höre ich daß Göethe nach
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Italien gereist sey, für die Wahrheit dieses Gerüchs kann ich nicht stehen. Seye daran was es wolle, was er
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thut ist mir immer recht, ich erwarte nächstens schriftliche Nachrichten davon – Viel u: mancherley Weh ruht
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an diesem Herzen</letterText>
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<letterText letter="52"><note>Königs Brief vom 14. Juni 1775 enthält folgende Notiz</note>
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<hand ref="15"><line tab="1"/>Lentz hat mir auch geschrieben; die Achtung von Herder u seiner Frau rührt ihn gar sehr, er sagt mir
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„ich bitte sie sagen Sie doch der theuren Herderin viel Gutes von mir, u welche Aufmunterung u
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Erquickung mir ihr Beyfall ist. ich wünschte ich kennete ihren Geschmack u könnte für sie allein
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ein Stück schreiben, sie sollte mir so viel werth seyn als das ganze Publicum. sagen Sie ihr ich
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habe eine Lucretia geschrieben, vieleicht daß Götte sie drucken läßt, sie möge alsdann auf die
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Sceenen acht haben in welchen Flavia vorkommt, u mir ihre Meinung drüber wissen lassen. ihr Gefühl
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allein soll mir der Probierstein all der weiblichen Characktere sein die ich mir vorzüglich geglückt
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glaube“</hand></letterText>
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<letterText letter="53"><line tab="1"/>– – So führen Sie mich denn! Und da es einmal so weit gekommen ist, so muß ich Sie bitten, Sie
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mögen an mir Beobachtungen und Entdeckungen machen, welche Sie wollen; entziehen Sie mir Ihre
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Freundschaft nicht! Ich nehme das Wort in der strengsten, eigentlichstell Bedeutung; nichts mehr,
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aber auch nichts weniger ist mein Herz stolz genug von Ihnen zu verlangen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ein gewisser Leichtsinn, der oft nah an Unbesonnenheit grenzt, ist eine Gabe, die die Natur für gut
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befunden hat mir besonders aufzuheben. Welchen Wert die hat, kann ich noch nicht bestimmen,
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aber mir ist sie bisher oft unentbehrliche Wohltat gewesen. Ich lege mich immer zu Bett, als ob
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ich den andern Morgen nicht aufstehen würde, und jedes Schicksal ist mir gleich. Sagen Sie mir,
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könnten Sie die Freundin eines solchen Menschen seyn? So viel muß ich Ihnen dabey sagen, daß mir
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andre Menschen, deren Wert ich erkannt habe, heilig sind. Mag auch das Leben noch so barocke Szenen
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mir vorbehalten, und überhaupt das Schicksal über mich ergehen lassen, was es wolle, diese angenehme
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Sensationen, und die Erinnerung derselben, kann es mir doch nicht nehmen, und das ist meine Genügsamkeit.<line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich muß mich doch auch ein wenig ausstreichen; was meynen Sie? Damit Sie wissen, was Sie von
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meinen Urteilen zu halten haben. So muß ich Ihnen denn sagen, daß ich nicht der einzige bin, der
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Erkundigungen nach Ihnen macht; vielleicht nicht alle aus dem Motiv; indessen wer kann Motive beurtheilen.
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Die Erscheinung einer Dame von Ihrem Range auf dem Pamaß, (die so viele andre Sachen zu thun hat,) mußte
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jedermann aufmerksam machen. Mich ärgerte nichts mehr, als – Gott weiß, daß ich die Warheit sage, – als die
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dummen Noten, die mich allemal bey den seligsten Stellen in meinem Gefühle unterbrachen, gerad als wenn einem
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kalt Wasser aufgeschüttet wird. Gleich fühlte ich, daß in den Noten die Verfasserin nicht war; einige dunkle
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Klätschereyen sausten mir um die Ohren, Sie hätten dem Umgange mit Wieland vieles zu danken; ich muß Ihnen aber
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zur Beruhigung sagen, daß alle diese Nachrichten von Frauenzimmern kamen, bey denen ich die Quelle leicht
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entdeckte. Verzeihen Sie mir! Auf den Punkt ist ein kleiner Neid auch manchmal bey edlen Personen Ihres
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Geschlechts sehr natürlich, und mir also gar nicht einmal auffallend; nur ärgerte mich’s, daß ich Niemand
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||
von meinem Geschlecht hörte, der gesunden Menschenverstand oder Edelmuth genug gehabt hätte, im Gegenteil zu
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behaupten: Wieland müsse Ihrem Umgange alles – alles vielleicht zu danken haben, was ihn schätzbar macht.
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Ich sagte noch neulich, (und das rechne ich mir nicht zum Verdienst an) einer Frau von Stande, die auch mit
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||
dem zweideutigen Tone von Ihrer Sternheim sprach: „Wieland könnte wohl viel Antheil daran haben“ sehr trocken,
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||
(ohne damals die geringste Nachricht zu haben,) ich hielte W. nimmermehr für fähig, in seinem ganzen Leben so
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feine moralische Schattierungen zu mahlen; In der That muß es jedem nur halb gesunden Auge auffallen, daß sein
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||
Pinsel viel zu grob dazu ist. Noch habe ich in einem Frauenzimmer-Briefe, (wo mit außerordentlichen Lobe von
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||
Ihrem äußern Betragen gesprochen wird) die seltsame Bemerkung gelesen, Wieland könne Sie wohl bey seiner
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||
Musarion in Gedanken gehabt haben. Das wußt’ ich wohl, daß er Ihnen unter dem Namen Danae, die Grazien
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||
dedizirt hatte. Mit allen dem hätten Sie von einem ganz andem Pinsel gemahlt werden sollen, wenn er Reitze
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der Seele zu malen verstanden hätte. Ein Rousseau – O geben Sie mir doch Schlüssel zum Verborgenen! Wie
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hat Wieland Sie kennen gelernt? Und war seine Empfindsamkeit für Sie mehr Prahlerey, als innere Rührung?
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Ich habe bisweilen wunderliche Ideen im Kopf, und bin nicht umsonst so aufdringend, so neugierig. Bedenken
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Sie, daß auch ich älter werden kann, und daß der Wunsch jeder gut meinenden Seele Erhörung verdient, in den
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||
Standpunkt gesetzt zu werden, hochgeschätzte Personen in ihrem <ul>wahren</ul> Lichte zu sehen. Auf meine
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||
Verschwiegenheit können Sie zählen; wenigstens <ul>die</ul> Tugend hat mich meine Situation gelehrt, da ich als
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||
Vertrauter junger Herren gereiset, und vier Jahre mich bloß dadurch bey ihnen erhalten habe. Ich habe keine
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Maitresse, und keine Ergießungen des Herzens als vor Gott. Bisweilen auch an dem Busen meines Göthe, der nun
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||
freilich viel von mir weiß. Was könnt’ ich nicht in dem Fall! Rosalia!– Erlauben Sie mir diesen Namen! –
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Seyn Sie so gütig, und fahren fort. Ach welchen Tag, welche Sonne Sie in diesem
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Herzen ausbreiten. – Rosalia!</letterText>
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<letterText letter="54"><!-- französischer Brief --></letterText>
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<letterText letter="55">Strass. d. 13t julii 75 <line type="empty"/>
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<hand ref="15"><note>Königs Hand</note>
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<line tab="1"/>Eben komme ich von Buchsweiler zurück. desswegen eine so späte Antwort auf Ihr liebes herrliches
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Briefehen – ja wohl Briefchen! – aber liegt nicht Dein gantzes, liebendes Herz darinne dies ersetzt mir
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alles – meine ganze Seele umfaßt Dich dafür, u. seegnet laut – Amen Amen! – ich habe Freunde in Buchs.
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verlassen – den würdigen Rathsemhausen verlassen, ländliche Freuden – u doch ist mir wohl daß ich
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||
hier bin – ich bin in, <it>meinem Eigenthum</it>. diess geht mir über alles– Raths. will ich soll ihn in Ihr
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||
Andenken zurückrufen, es ist ihm kostbar, er verehrt Sie, dann er kennt Ihren ganzen Wert – er hat es
|
||
mir oft wiederholt ihn nicht bei Ihnen zu vergessen – dieser liebe Mann! warum kann ich nicht immer
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um ihn leben! so einen Mann – u ich heurate noch – unsre Rehfeldin ist noch immer das muntre
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schwindliche Weib, aber dabei redlich u gut – ich habe ihr die Stelle aus Ihrem Brief für sie
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gelesen u es hat ihr wohl gethan – sie wollte mir einen Brief für Sie mitgeben, aber unter den
|
||
Freuden u Herrlichkeiten des Lebens, vergass sie ihn. unsre beyden jüngern Printzen waren da,
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die haben alles froh gemacht – hat Ihnen unsre Hessin die Stelle aus Lentzens Brief an mich, ausgeschrieben?
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||
hier ist noch einmahl „ich bitte sie sagen Sie doch der theuren Herderin viel Gutes von mir, u welche
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||
Aufmunterung u Erquickung mir ihr Beyfall ist. ich wünschte ich kennete ihren Geschmack u könnte für sie
|
||
allein ein Stück schreiben, sie sollte mir so viel werth seyn als das ganze Publicum. sagen Sie ihr ich
|
||
habe eine Lucretia geschrieben, vieleicht daß Götte sie drucken läßt, sie möge alsdann auf die Sceenen acht
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||
haben in welchen Flavia vorkommt, u mir ihre Meinung drüber wissen lassen. ihr Gefühl allein soll mir der
|
||
Probierstein all der weiblichen Characktere sein die ich mir vorzüglich geglückt glaube“ – u dencken Sie
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||
diessen neuen lieben Freund verliehre ich vielleicht bald – u auf lange – hier fühle ich mich wieder in der
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Welt, ob ich schon in Augenblicken von oben herunter auf sie blicke – ich soll eine Fürbitte bey Ihnen für
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||
ihn einlegen – Eurer beyden Schattenriß soll ihm Stärkung Trost u Freude auf seiner langen Reise seyn –
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||
wären sie auch nur halb gut – er will das übrige hinzusetzen u glücklich dabey seyn – doch hier kommt er
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||
selbst, zu bitten – zu flehen – ich will ihm noch einmahl die Conditionen weisen unter welchen er sie haben
|
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soll – aber dafür will <it>ich</it> davon frey sein – selbst mein Gesicht das <it>Sie kennen,</it> sagt Ihnen warum – u dazu –
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habe ich es unsrer Fridericke abgeschlagen, sie hat die Ursachen gebilligt, sie mag sie Ihnen sagen –
|
||
kriechet immer mit Eurem Buben auf Teppichen herum – da wo Agesilaus unter seinen Kindern auf einem
|
||
Steckenpferde herum reitet, ist er mir am grössten
|
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Luise. <line type="empty"/>
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||
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Das Geld ist ganz recht, noch rechter daß <it>Sie</it> mit mir zufrieden sind. <line type="empty"/></hand>
|
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||
<note>Lenz’ Hand</note>
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||
<line tab="1"/>Ich bin itzt ganz glücklich da ich das beste Paar unter der alles anschauenden Sonne auch das
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glücklichste weiss. Die Freude die aus Ihrem ganzen Briefe athmet würdigste Sterbliche! und die
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||
selbst mehr Tugend als Genuss ist, hat auch mein Herz das ihr nun lange schon verschlossen schien,
|
||
wieder erfüllt und erwärmet. Gönnen Sie mir Ihr und Ihres Mannes – und Ihres Kindes Gesichter. Wenn kein
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||
unsichtbarer Zug dem Maler die Hand führen sollte, so schicken Sie mir sie auch halb ähnlich, ich hoffe
|
||
noch so viel Imagination übrig zu haben, aus dem was ich von Ihnen gelesen und gesehen mir das übrige zu
|
||
ergänzen. Sagen Sie Ihrem Mann, er soll mich wenn ich weit bin, unter seine Kinder aufnehmen und manchmal
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||
einen freundlichen Wunsch für mich thun. Ich kann nicht mehr schreiben, Goethe ist bey mir und wartet
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||
mein schon eine halbe Stunde auf dem hohen Münsterthurm. <line type="empty"/>
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||
Lenz.</letterText>
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<letterText letter="56"><note>Katalogstext</note>
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||
<line tab="1"/>Lenz empfiehlt Lindau die Nachbarschaft Lavaters auszunutzen, er erwähnt Goethe u. Schlosser,
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Goethes Schwager, die grüßen lassen, u. spricht von einer weiten Reise, die er vielleicht Ende des
|
||
Winters vornehmen wird. <line type="empty"/>
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<note>Nachschrift Lavaters</note><hand ref="10">
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<line tab="1"/>Zwei Dinge sind unter der Sonne, die du zu meiden hast – allzustille Einsamkeit u.
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||
allzulautes Geräusch – dass du in jener nicht dich selbst, in anderer nicht andre versehrest. d. 29. Jul. 75.</hand></letterText>
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<letterText letter="57"><line tab="1"/>– – Ich sage immer: die größte Unvollkommenheit auf unsrer Welt ist, daß Liebe und Liebe sich so oft
|
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verfehlt, und nach unsrer physischen, moralischen und politischen Einrichtung, sich fast immer
|
||
verfehlen muß. Dahin sollten alle vereinigte Kräfte streben, die Hindernisse wegzuriegeln; aber leider
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ist’s unmöglich. Wer nur eines jeden Menschen Gesichtspunkt finden könnte; seinen moralischen Thermometer;
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||
sein Eigenes; sein Nachgemachtes; sein Herz. Wer den Augenblick haschen könnte, wo sich seine Seele mit der andern
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||
zu vereinigen strebt. Wer seine ganze Relation von seinem Character absondern, und unterscheiden könnte, was er
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||
zu seyn gezwungen ist, und was er ist. Stille, Stille gehört dazu; stille, heitre, ruhige, göttlichertragende
|
||
Beobachtung. Rosalia! In jeder Gesellschaft zieht nichts mein Aug’ auf sich, als Sie, wenn Sie einem andern
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||
zuhören, und etwas aus ihm heraus zu schweigen suchen. Fahren Sie so fort, meine liebe Gnädige; es wird Ihnen
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||
immer wohler dabei werden. Aufzumuntern – ist eine göttliche Eigenschaft, und was muntert mehr auf, als
|
||
Aufmerksamkeit hochachtungswürdiger Personen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ihre deutsche Diction bewundre ich. Personen aus Ihrer Sphäre, (das will noch ganz etwas anders
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sagen, als: von Ihrem Stand) sollten doch unsrer treuen Muttersprache die Hand bieten. Wär es auch
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||
nur, um einen gewissen Ton in unsre Gesellschaft zu bringen, wo deutsch-französisch Geplauder mit
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||
rätselhaften Kränzchen-Witz abwechseln, und so mancher ehrliche Fremde auf der Folter liegt, welches einen
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||
am Ende ganz und gar mistrauisch in seinen eigenen Verstand machen kann. Ich häre eine Deutsche mit
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Vergnügen fremde Sprachen wie ihre eigene reden und schreiben; aber Schriftstellerin darin zu werden, ist
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doch zu viel Herablassung. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Werden Sie nicht glauben, ich höre mich gern, daß ich so viel rede? Ach freilich, so ist es! Mit
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||
gewissen Personen fühlt man sich so offen, besonders wenn es selten kömmt. Wenigstens lernen Sie
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||
nun auch mich ertragen, der freilich es selbst wohl fühlt, wie sehr er nicht mit Wieland allein, (denn
|
||
das würde mir Ehre machen,) sondern mit hundert Tausend bessern Personen absticht. Bei allen dem
|
||
bin ich mir keiner Absichten bewußt, und das erhält mich. <line type="empty"/>
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||
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||
<line tab="1"/>Ihr Ausdruck: neuer Freund, soll mich lange, lange durch heiße Sandwüsten begleiten und erfrischen,
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||
denn ich sehe deren vor mir. Ich will niemals fodern; aber ich bitte Sie, ach! gnädige Frau, sagen Sie
|
||
mir Ihre ganze Meinung; aber ich werde mich niemals ändern. Modifiziren kann sich der nur, der nicht
|
||
von Jugend auf, wie ich, mit dem Kopf gegen die Wand gerennt ist. Aber sagen Sie mir alles; ich
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||
beschwöre Sie. Ewig <line type="empty"/><line type="break"/>
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||
|
||
Ihr Freund und Verehrer, <line type="empty"/>
|
||
|
||
M. R. <ul>Lenz.</ul></letterText>
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|
||
<letterText letter="58">Den 22. Jul. 75 <line type="empty"/>
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||
<line tab="1"/>Nun hast Du Zimmermann, und ich die Grafen von Stollberg genoßen. Zimmermann ich die andere
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||
Woche. Dank für Deine Freude. Ich leb itzt im Taumel. Nachher die Ruhe herrlich. Ich sammle itzt
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||
Kraft. Mehr physiognomische Bemerkungen! Lieber! Sie sind trefflich, die Du mir sandtest. auch 1
|
||
<it>schweizerliedchen!</it> <line type="empty"/>
|
||
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Itzt mach ich ein Drama <it>Abraham</it> zurecht <line type="empty"/>
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adieu <line type="break"/>
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||
Lavater.</letterText>
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||
<letterText letter="59"><line tab="1"/>Hier, Hierophant! in Deinen heiligen Händen das Stück, das mein halbes Dasein mitnimmt. Es ist wahr
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||
und wird bleiben, mögen auch Jahrhunderte über meinen armen Schädel verachtungsvoll
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||
fortschreiten. Amen. <line type="empty"/>
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||
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||
Den 23. Julius 1775.</letterText>
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||
<letterText letter="60"><line tab="1"/><aq>Respectable pauvreté! J’apprendrai par mon experience a ne jamais blesser vos caurs par des idees et
|
||
des termes insultants.</aq> <line type="empty"/>
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||
<line tab="1"/>Da wollt’ ich Sie haben, gnädige Frau! Hier leg’ ich Ihr Buch zu, und umarme Sie im Geist. – Sehen Sie
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||
da den ganzen Plan meines Lebens, meines Daseyns, meines Comödienschreibens, vielleicht einst
|
||
meines Todes. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ach, fürtrefliche Frau! So ist denn dieser Nerve des Gefühls bei Ihnen auch angeschlagen. Könnten
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aber Personen von Ihrem Stande, Ihren Einsichten, Ihrem Herzen, sich jemals ganz in den
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||
Gesichtskreis dieser Armen herabniedrigen, anschauend wie Gott erkennen, was ihnen Kummer, was
|
||
ihnen Freude scheint, und folglich <ul>ist,</ul> und ihren Kummer, der oft mit einer Handwendung eines
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erleuchteten Wesens, wie der Stein von dem Grabe Christi weggewälzt werden könnte, auf die ihnen
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||
eigenthümliche Art behandeln. Ach! das große Geheimniß, sich in viele Gesichtspunkte zu stellen, und
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||
jeden Menschen mit seinen eigenen Augen ansehen zu können! Sie wären die erste Frau von Stande,
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||
die das gefühlt hätte. Ich bitte Sie, lassen Sie mich Sie umarmen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sie sollen einmal ein Stück von mir lesen: <ul>Die Soldaten.</ul> Überhaupt wird meine Bemühung dahin
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gehen, die Stände darzustellen, wie sie sind; nicht, wie sie Personen aus einer höheren Sphäre sich
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||
vorstellen, und den mitleidigen, gefühlvollen, wohlthätigen Gottesherzen unter diesen, neue
|
||
Aussichten und Laufbahnen für ihre Göttlichkeit zu eröffnen. Dazu gehört aber Zeit, und viel
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||
Experimente. <ul>Menoza</ul> ist ein übereiltes Stück, an dem nichts als die Idee schätzbar ist. Das hier
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||
beygelegte ist gleichfalls nur ein Gemählde aus meinem Leben heraus gehoben. Sie könnten mir
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||
keinen höhern Beweiß Ihrer Freundschaft geben, als wenn Sie mir Ihr strengstes Urtheil darüber
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zuschickten. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sie haben recht; Ihre Anmerkung über meine Stücke habe ich mir zuweilen selbst gemacht, und in
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meinen künftigen sollen auch keine solche Schandthaten mehr vorkommen. Doch bitte ich Sie sehr, zu
|
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bedenken, gnädige Frau! daß mein Publikum das ganze Volck ist; daß ich den Pöbel so wenig
|
||
ausschließen kann, als Personen von Geschmack und Erziehung, und daß der gemeine Mann mit der
|
||
Häßlichkeit feiner Regungen des Lasters, nicht so bekannt ist, sondern ihm anschaulich gemacht
|
||
werden muß, wo sie hinausführen. Auch sind dergleichen Sachen wirklich in der Natur; leider können
|
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sie nur in der Vorstellung nicht gefallen, und sollen’s auch nicht. Ich will aber nichts, als
|
||
dem Verderbnis der Sitten entgegen arbeiten, das von den glänzenden zu den niedrigen Ständen hinab
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||
schleicht, und wogegen diese die Hülfsmittel nicht haben können, als jene. <line type="empty"/>
|
||
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||
<line tab="1"/>Sie sehen, warum ich Wieland als Menschen lieben, als komischen Dichter bewundern kann, aber als
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||
Philosophen hasse, und ewig hassen muß. Er glaubt, den Menschen einen Dienst zu erweisen, wenn
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er ihnen begreiflich macht, ihre Kräfte seyn keiner Erhöhung fähig. Und wer läßt sich das nicht gern
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einbilden, und beharrt gern auf dem Sinnlichen, zu dem er die meiste Gravitation fühlt. Daß W. Sie lieben,
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||
und doch so philosophiren konnte, bleibt mir, wie viele andre Dinge in seinem Character, noch immer
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ein unauflösliches Räthsel, wenn ich nicht den Aufschluß in dem großen Motiv aller im Schwang
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gehenden Autoren fände, daß er seine Rechnung dabei findet. Ich verdamme ihn deswegen nicht, ich
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zittre nur vor der Gefahr, einst in dieselbe Schlinge zu fallen. <line type="empty"/>
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||
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<line tab="1"/>Er liebte Sie in seinem siebenzehnten Jahre; – O Wieland! daß du diese Eindrücke heilig gehalten
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hättest, daß sie sich nie aus deinem Herzen und Imagination verwischt hätten. Freundschaft ist nicht
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genug; er hätte Sie sein ganzes Leben durch lieben sollen, und er hätte die Tugend geliebt. Sie hätten
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allen seinen Gemälden die hohe himmlische Grazie gegeben, die man izt an so vielen vermißt. Sagen Sie
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mir, welche Bewandniß hat es mit seinem Agathon, und spielen Sie auch eine Rolle darin? Durch welche
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wunderbare Mechanik in dem Kopfe des Dichters, ward Psyche so in den Schatten gestellt? Und ist Danae
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dieselbe, der die Grazien gewidmet wurden? Er malt sie so vorteilhaft als möglich, und doch schlägt
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jedes Herz für Psychen, so gern auch die Phantasey bey der Hauptfigur verweilet. – Wie war seine erste
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Liebe, und wo lernte er Sie kennen? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Verzeihen Sie meine Effronterie. Doch mein Herz straft mich, so bald ich mich darüber entschuldige.
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Das aber verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen durch manche Ausdrücke meines letzten Briefes Ihr
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Publicum wider meinen Willen verleumdet habe. Wölkchen hangen immer noch vor Ihnen, (wie es
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denn auch so seyn muß, von Moses Zeiten an, dessen Angesicht das Volck nicht ertragen konnte);
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aber ganz verkannt sind Sie doch auch nicht, besonders von denen, die Sie gesehen und gehört haben,
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wie denn das sich auch leicht begreifen läßt. Überhaupt red’ ich auch nur einseitig, und der
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Zirkel meiner Bekanntschaften ist immer eingeschränkt gewesen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ihre Erzehlung: die Gouvernante, ist ganz vortreflich, und gerad das Seltsame des Einfalls veranlaßt
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die rührendsten Situationen. Ich liebe alle seltsame Einfalle; sie sind das Zeichen nicht gemeiner
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Herzen. Wer in dem gebahnten Wege forttrabt, mit dem halte ich’s keine Viertelstunde aus. Nur,
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meine liebe gnädige Frau, wie kommen doch alle Ihre Heldinnen dazu, die heilige Sternheim ausgenommen,
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sich immer nur auf Hörensagen zu verlieben. Es freut mich; aber sollte das wirklich ein Zug in dem
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Character aller empfindsamen Damen seyn? Ich kann mir’s freilich wohl denken: Ihre Phantasey erschafft
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sich den Gegenstand sogleich in der glücklichsten, gefalligsten Gestalt. Aber sollte das allemal der
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beste Weg seyn, und könnte er nicht manchmal sehr fehl führen? Wie wär’s, wenn Sie einmal ein Exempel
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von der Gegengattung dichteten, liebenswürdige Schwärmerin! (O Gott! ich kenne keine höhere Klasse
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erschaffener Wesen!) auf allen Fall auch zu warnen, wenigstens vorsichtig zu machen. Denken Sie,
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wenn ein Geschöpf wie Ihre Gouvernante, in die Klauen eines gewöhnlichen Officiers gefallen wäre –
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doch weg mit diesem Gedanken! Er zieht mich von der Sonne ins Meer hinab. <line type="empty"/></letterText>
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<letterText letter="61"><line tab="1"/>Lavater! ich habe Dir einen Vorschlag. Du hast einen Buchhändler dem Du aufhelfen möchtest. Ich
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habe ein Gedicht das mir am Herzen liegt, hier ist eine Probe davon. Ich möchte Deinem Buchhändler
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das Gedicht schenken, wenn er mir sauberen Druck, sauberes Pappier und allenfalls ein Paar
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gutgestochene Vignetten, die zum Text paßten und bey denen Du ihm mit Deinem Geschmack zu Rathe
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giengest verspräche. Es wäre mir sehr viel dran gelegen das Gedicht noch vor meiner Abreise in fremde
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Länder fertig zu sehen, um es jemanden überreichen lassen zu können, der sehr viel Antheil
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daran nehmen wird. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Antworte mir bald mein würdiger Bruder! Ich hoffe und wünsche mein Brief werde Dich an keinem
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Geschäft unterbrechen. In die Iris ist nun der Anfang gemacht worden meine Uebersetzung von
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Ossianen einzurücken <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich habe nach Liefland geschrieben, Dir Subskribenten zur Physiognomik anzuwerben. Ich hoffe es
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geht. Mit Gott. Sollte ich einst fort seyn, erkundige Dich nur bey Röderern
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<align pos="right">L –</align> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Laß das Blatt Gedicht nicht aus Deinen Händen kommen. Wie schmeckt Dir die Ruh auf den Lorbeern!</sidenote></letterText>
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<letterText letter="62"><align pos="right">D. 29sten Julius</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Schreibe Lavater! Fridrich Stollbergen, daß ich mich freue ihn von Angesicht kennen gelernt zu haben
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und mir wohl seine Silhouette wünschte. Nenn’ ihn deutschen Alcäus in meinem Namen, biet’ ihm
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Deine Hand. Sag ihm daß eine deutsche Seele ihn empfunden hat, die zwar im Verlöschen ist, aber
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doch in sich fühlt daß auch sie Glanz und Wärme hatte. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich ein Schweitzerlied – und ist dies nicht genug an diesem Theurer! Und wenn Du diese Foderung
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thun wolltest, sie ar: mir? einem verunglückten Komödienschreiber. Laß den bittern Spott weg. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich dank danke Dir für die Silhouette, sie hätte mir nicht gelegner kommen können. Schicke mir Dich
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und Deine Frau noch einmal. Vielleicht verreise ich gegen den Winter. <line type="empty"/>
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<note>am linken Rand, vertikal</note>
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Danke auch Kaysern für seine Freundschaft. Ich habe nichts von seinen Musikalien gesehen. <line type="empty"/>
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<page index="2"/>
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<line tab="1"/>Weil Dus so haben willst, so heft ich einige meiner Phys. <ul>Beobachtungen</ul> an. Weise aber ich bitte Dich
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diesen Brief niemanden. Es würde sonst über den Lacher allenfalls gelacht werden, und dazu ist es
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ihm zu weh ums Herz. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Behalt mich in Deiner Liebe oder Freundschaft oder Mitleiden wie Dus nennen willst. – Noch einmal,
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es ist Rede eines Sterbenden: Deine Physiognomik ist das Werk Deiner Werke und, der Zweck, auf
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den Du losgehst der, den nur die erhabenste Seele sich vorsetzen konnte. Du weißt es vielleicht selbst
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so nicht. <line type="empty"/>
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Auch das kann ich Gottlob noch fühlen. Nochmalen Dank für Goethens Silhouette Und nun leb wohl.
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<align pos="right">Lenz.</align></letterText>
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<letterText letter="63">Straßburg, d. 31.Juli 1775. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>– – Wenn ich mich recht erforscht habe, so ist der höchste Wunsch unseres Geschlechts bey dem
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Ihrigen auf eine <ul>schmeichelhafte</ul> Art geliebt zu sein; vielleicht ist der höchste Wunsch des Ihrigen bei
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unserm, auf eine vorzüglich edle Art geschätzt zu werden <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ganz inwendige Thränen muß ich Ihnen über Ihren 37sten Brief schreiben, der die andern alle
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verschlingt. Das Höchste und Beste, was eine weibliche Hand jemals nieder geschrieben hat. Ja,
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meine Mutter! – Die Männer wollen nicht geliebt, nur geschmeichelt seyn. Die größesten sind für die
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Besten Ihres Geschlechts verloren, und das kämmt, weil sie das schöne Gebiet des moralischen
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Kreises zu durchwandern verachten. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>So wollustvoll mir der 27ste, so unterrichtend war mir der 25ste, der mit dem 26sten das Kleeblatt
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ausmacht, das ich aus diesem Blumenstrauße vorzüglich an mein Herz drücke. Welch ein Licht wirft er
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auf Ihr Bild, erhabene Seele! Ja! sollten Sie mich hassen, so würde mir Ihr Haß werter sein, als die
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Liebe einer andern Frau. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/> welcher Simplicität da eine Wahrheit in die Welt hineingewälzt ist, die so lange dauren wird, als
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die Welt steht. In dem ganzen Briefe ist mehr Weißheit und tiefe Weltkenntniß, als in hundert
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Alphabeten, die ein Wieland geschrieben hat, und schreiben könnte. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Der hat eine vortrefliche Advocatin an Ihnen und ich wünschte, ich könnte mich nun wieder mit ihm
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aussöhnen, obschon von seiner Seite dazu nun wohl keine Wahrscheinlichkeit mehr seyn möchte,
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nachdem ich <ul>öffentlich</ul> sehr polternd mit ihm gebrochen. Wie gesagt; er soll uns nicht Philosoph und
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Lehrer des menschlichen Geschlechts seyn wollen, und seine Sachen für das geben, was sie sind. Die
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Ursache, die Sie angeben, von dem Wege, den er genommen, macht mir ihn auf dieser Seite von neuem
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liebenswürdig, und vom Himmel herab kann nichts anders zu seiner Vertheidigung gesagt werden. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Warum gehen Sie denn so freundlich mit mir um, da ich in Ihrem Briefe, mit der gefaßtesten Seele,
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nichts als den strengsten mütterlichen Tadel über mein Stück erwartete? Wie? Sie Ihren Einsichten
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nicht trauen? – Oder wollten Sie vielleicht, so auf eine höchst feine Art, das wieder zurück nehmen,
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was Sie mir zur Aufmunterung sagten, und das in der That mir für mein ganzes Leben neuen Schwung
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gegeben hat. O! Sie, im allereigensten Verstande, meine Mutter! Lassen Sie mich nun auch Ihre
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mütterliche Züchtigung erfahren! Ich keime den Zirkel der feinem Welt noch nicht so genau, oder
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vielmehr, ich habe meine Achtsamkeit noch nicht so anhaltend auf denselben gewendet. Ihrem zarten
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und feinem Gefühl muß manches in meinen Stücken hart, unanständig und ungezogen auffallen. Das
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war es, was ich von Ihnen zu meiner künftigen Besserung zu erfahren wünschte; denn an meinen
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einmal geschriebenen Stükken feile ich nie. Ich habe es einmal thun wollen, es hätte mich aber
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fast das Leben gekostet, und Göthe ist auch da mein Retter gewesen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Dürfte ich Sie um Ihre Gouvernante Deutsch bitten, da Ihr deutscher Styl so unzählige Grazien hat –
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was auch der mir <ul>darum</ul> so verhaßte Wieland in seinen Vorreden darüber deraisonnirt. Sie können
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das Feine und doch dabei so Simple, (das eigentlich das wahre Erhabene macht,) in Ihrem deutschen
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Styl so wenig selber sehen, als Ihr Gesicht. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich habe mit Göthen Göttertage genossen, von denen sich nichts erzählen läßt. Sie werden ihn,
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meyne ich, nun bald sprechen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Um Wielands willen bitte ich Sie auf meinen Knieen, sagen Sie mir alles, was zwischen ihm und Ihnen
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jemals vorgefallen ist. Ich möchte dem Mann nicht Unrecht tun, und wenn ich ihn zu hart gestoßen
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habe, und er eher Mitleiden verdient, ihm gern wieder Genugthuung geben. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>N. S. Ich habe Ihren Brief erhalten, gnädige Frau. Ja! ich gehe nach Italien. Diesen Winter werde ich
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wohl in Genf zubringen, um mich zu dem großen Fluge anzuschicken. Wenn ich in der Schweiz die
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Berge, in Italien die Statuen, in Holland die Festungen, in Frankreich Rousseau, in Engelland das
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Theater werde gesehen haben, so komm’ ich zurück zu Ihren Füßen; Sie, meine Muse, sollen mich auf
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neue Bahnen leiten. O die Ruhe dann! – Götteraussichten, wie kräftig durchströmen, erfrischen Sie mich.
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Wie? Sie wünschen mir eine Geliebte? Welche Güthe der Seele ließ Sie gerade den Wunsch thun. O daß
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die – Ihr Bild trüge – obschon ich Sie beide nicht kenne. Nach Ihrer beider Briefen zu urtheilen,
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muß eine wunderbare Übereinstimmung in Ihrer ganzen Art zu denken, zu leben, und die Sachen
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anzusehen seyn. Eine Gnade! Fragen Sie nie nach ihrem Namen; auch Göthen nicht. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ihr Bild, gnädige Frau! Hintergangene Hoffnung ist das größte Unglück. Und wer kann wissen, ob ich
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lebendig wieder komme.</letterText>
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<letterText letter="64">D 28sten August
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<line tab="1"/>Herder – und es ward das Wort des Herrn zu mir es ist Herder – Kein Mensch hat mir, Vater! etwas
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Deiner Geschichte erzehlt gehabt – itzt sieh in die Wolken – aber Dich Dich ich schwörs bey dem der
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oben herrscht, hab ich immer im Busen gehabt dabey – wenn Herder lieben sollte, freyen sollte –
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müßts ihm so seyn. Und wie heilig wäre mir die Scene mit dem Baum wenn die Wünschelruthe des
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Dichters historische Wahrheit entblößt haben sollte. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Nimm hier meinen Dank. Am meisten für <ul>die Belehrungen</ul>. Ach ich bin in einer fürchterlichen grausen
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Einöde lange gewesen. Kein Laut überall edler Empfindung, die aus dem Herzen kommt, die nicht
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Wiederhall ist. Und mit den Guten, die ich immer die Grossen nenne, durft ich mich noch nicht
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anbinden. Kann auch, wenn das Gefühl meines Unwerths mich nun verliesse, nach meinem Beruf
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nicht. Das wirst Du wohl einsehn grosser göttlicher der Männer. Ich webe und wühle unter den
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elenden Hunden um was aus ihnen zu machen. Daß Aristophanes Seele nicht vergeblich in mich
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gefahren sey, der ein Schwein und doch bieder war. Du sollst auch die erste <page index="2"/> Abschrift <ul>meiner</ul>
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Wolken bekommen, über welche sich wohl das Blatt umkehren und ich von Sokrates vergiftet werden könnte. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Du hast meine Soldaten, ein Wörtlein Deines Gefühls darüber, zur Stärkung auf der langen
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dreyjährigen einsamen Reise, die ich mit einem Juden machen werde. – Das ist nach dem strengsten
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Verstande wahrer Geschichte in den innersten Tieffen meiner Seele aufempfunden und geweissagt.
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Aber so hoffe ich maskiert, daß das Urbild selber, (das nun kein Herder ist –) sich nimmer wieder
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darin erkennen wird <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Was für Sümpfe habe ich noch zu durchwaten. <insertion pos="left">Wenn wird</insertion> Wenn wird die Zeit kommen da ich Dich
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von Angesicht sehen werde Herr der Herrlichkeit – in Deinen Erwählten. Ach so lange ausgeschlossen
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unstet, einsam und unruhvoll. Den ausgestrekten Armen grauer Eltern – all meinen lieben
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geschwistern entrissen. Meinen <page index="3"/> edelsten Freunden ein Rätzel – mir selbst ein Exempel der
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Gerichte Gottes, der nie unrecht richtet und selbst wenn er züchtigt, mir einen Heraufblick zu
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ihm erlaubt. Das hatte ich um Sokrates verdient. – Bedaure mich Herder und liebe mich – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wie kann ich Dich loslassen? Du der mir zum Trost in diese Einsamkeit herabgesandt worden, mir ein
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paar Tropfen himmlischer Stärkung zu geben. Schick mir Dein Gesicht – Deiner Frauen Gesicht – Ach
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wie ich meinen Menoza aus dem Innersten meines Schranks wieder hervorlangte und Gott dankte –
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denn ich war mutloß daß ich ihn geschrieben und er nicht erkannt worden war. Auch Fromme wenden
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ihr Antlitz von mir dacht ich – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich verabscheue die Scene nach der Hochzeitsnacht. Wie konnt ich Schwein sie auch mahlen. Ich der
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stinkende Athem des Volks, der sich nie in eure Sphäre der Herrlichkeit zu erheben wagen darf. –
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Doch soll mirs ein Wink seyn. – O ja auch ich werde mein Haupt aufheben. Daß Du im Coriolan eben
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die Scene aufnimmst, die ich gestern der Königin übersetzt, über die ich seit drey Tagen brüte. <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<line tab="1"/>Es ist als ob Coriolan bey jedem Wort daß er wieders Volk sagte, auf mich schimpfte – und doch kann
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ich ihn ganz fühlen und all seinen Grundsätzen entgegen handeln. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/><aq>worthy voices</aq> – das Wort des Herrn – das höchste Ziel alles meines Strebens – ach <aq>worthy voices</aq> und
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es waren doch Philister, aber der Gott hatte sie gezwungen. Sieh das, das – mein Herder – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Laßt mich an euren Busen sinken, erste der Menschen, laßt mich von eurem Ambrosia schlürfen – ach
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sehn sehn eine Scene der Liebe – wie sie mein Geist nicht ahnden konnte – denn er hatte noch kein
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Vorbild gesehn. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Jetzt ahnd ich sie besser aber schweige – schweige bis zur grossen ehrenvollen Zeit da ich reden
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werde zum Volk von den Edlen die unter ihm wandeln, die sein todtes Auge nicht sehen kann. Da ich
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in ein himmlisches Band sie ziehn und ihm darstellen – stille. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Niemanden was davon. Ich muß Dich und Dein Weib einmal sehn. O ich hab all ihre Briefe an ihre
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Freundinn aufgehascht. Welche Jagd! – Gott mache mich der Offenbarungen würdig. <line type="empty"/>
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Ich werde nicht sterben sondern leben und des Herrn Werk verkündigen <line type="empty"/>
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<align pos="right">J M R Lenz</align> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Ich befehle Dir den ich anbethe daß Du mir Dein und Deiner Frau und Deines Sohns Gesicht schickest
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– denn <ul>ich brauche sie.</ul></sidenote></letterText>
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<letterText letter="65"><line tab="1"/>Lavater! Du hast mir jüngst etwas von Herrscher geschrieben. Hier etwas das unserer ganzen
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Litteratur wohl andern Schwung geben möchte. Und somit ihrem Einfluß auf die Gemüther. Thut
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darnach was Ihr wollt. Nur setzt mir ein Denkmal von Rasen und ein weisses Steinchen drauf. Da liegt
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dessen Laune bey all seinem harten Schicksal die Riesen von dem Schauplatz lachte. Daß die Edlen
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drauf wurzeln und grünen hoch über das Gesträuch hinaus. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Nesseln vorweg zu hauen ist von Jugend auf mein höchstes Vergnügen gewesen. Kann ich das, sterb
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ich seelig. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Der Buchhändler wirds an Pappier und Druk hauptsächlich aber an Korrecktur nicht ermangeln
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lassen. Und mir zehn Dukaten Honorarium zahlen, damit’s doch heißt, es ist verkauft worden und er
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den Umsatz des Dinges eyfriger betreibt. Darauf kommt alles an. <line type="empty"/>
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<align pos="right">Lenz.</align>
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<align pos="right"><aq># verte</aq></align>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>D. 3 September. 1775. – Zwölf bis funfzehn Exemplare bekomme ich. Bin ihm aber Bürge dafür, daß
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<ul>die</ul> nicht nachgedruckt werden sollen.</sidenote> <line type="empty"/>
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<page index="2"/>
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<line tab="1"/>Die Hauptsache ist die Korrecktur. Und sollt er mir nichts geben, ich bins auch zufrieden, besorgt er
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mir die Correcktur nur mit der größten Genauigkeit, bey einem sehr verständigen Correcktor und der
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meine Hand kennt. Ein Buchstabe fließt mir oft dicker und grösser in die Feder als der andere und
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wenn das Auge der Figur nicht nachgeht wie sie ursprünglich gewesen ist, kann sie leicht für eine
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andere genommen werden. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wenn Passavant den Liebesdienst übernehmen wollte, er verbände mich ihm auf ewig. Nur muß es
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niemand bey ihm zu sehen bekommen, bevor es gedruckt ist. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Oder laß Dir den Korrektor erst offenherzig schreiben, ob er das Ganze gelesen und jedes Wort drin
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verstanden. Was er nicht verstanden schreibt mir nur, zugleich Akt und Szene – und wie er es
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verstanden.</letterText>
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<letterText letter="66"><line tab="1"/>Hast Du Masuren gelesen, Lavater! die elendeste Satyre die je auf Goethen, Dich, Klopstock und
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andere ist geschmiedet worden? Hast Du die Zeitungen gelesen in denen Herder auf die
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niederträchtigste Art gemißhandelt wird? Fühlst Du ganz welch eine Wirkung der über Frömmigkeit
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hohnlachende Verfasser des Notbankers aufs Publikum haben muß. Ernst ist kein Waffen dagegen, je
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ernsthafter man sich gebehrdet, desto lauter lachen sie. Es muß wieder gelacht werden, und
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lauter als sie – oder Ihr müßt beschämt vom Schauplatz wo euch niemand hören mag. Euch niemand
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hören – und wen denn? – Wehe über mein Vaterland, wenn die Wolken nicht gedruckt werden.
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Laß Dich durch nichts irre machen Frommer! was drin vorkommt; kühne Striche sind nothwendig
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oder das ganze Bild wird ein Schild am Wirthshause. Und sind wir nicht frey? Und soll
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Gewissenhaftigkeit uns binden, gerecht zu seyn? Gewissenhaftigkeit uns zu Sklaven machen?
|
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Daß doch das nicht der Fall bey den meisten Christen wäre. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Es bleibt also und wird ewig meine grosse Bitte an Dich bleiben, die Wolken drucken zu lassen. Alle
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Folgen nehme ich auf mich. Und aufs geschwindeste und ohne Entgeld, mag sich Steiner Vortheile
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davon machen, wie er <page index="2"/> am besten kann. Wenn es nur balde in Deutschland herumkommt.
|
||
Noch diese Messe und nothwendig diese Messe, schick mir ein Giftpulver lieber als daß Du mir diese
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Bitte abschlägst. Werd’ ich gewürdigt für dies Stück zu leiden, wer ist glücklicher als ich? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Und gerad itzt muß es ins Publikum, oder alle Gemählde verlieren ihre Anzüglichkeit Stärke und
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Wahrheit. Du darfst Dich nicht damit bemengen. Verbiete dem Buchhändler zu sagen, daß Dus ihm
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gegeben hast, nenn’ ihm meinen Namen, weiß ihm diesen Brief. Bitte Passavant daß er die Korrektur
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übernimmt, er muß aber eydlich versichern es niemand zu weisen, auch Kaysern nicht, ders nicht
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zurechtlegen kann. Wenns gedrukt ist, dann theilts alle den guten Seelen aus – <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>Auch Goethen sag nichts davon, diesmal laß uns was alleine thun. Desto mehr Freude hat er dran
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wenn er überrascht wird. Ich hab ihm geschrieben ich arbeitete – aber nicht was?</sidenote> <line type="empty"/>
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<sidenote page="2" annotation="am unteren Rand">
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<align pos="center"><gr>παντα δε δυναμενα δια την πισιν.</gr></align></sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Es ist Gegengift Lavater! das mir lang auf dem Herzen gelegen und wo ich nur auf Gelegenheit gepaßt
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es anzubringen Diese Gelegenheit <page index="3"/> ist meine Persönliche Schriftsteller-Rache – aber (es
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bleibt bey uns): <ul>diese Gelegenheit hab ich selbst gemacht.</ul> Geradzu läßt das Publikum seiner
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Sinnesart, seinem Geschmack nicht gern wiedersprechen, man muß einen Vorwand, eine Leidenschaft
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brauchen, sonst nimmt es nimmer Antheil. Und meine Kunst, meine Religion, mein Herz und meine
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Freunde alles fodert mich jetzt dazu auf – jetzt ausgelassen, auf ewig ausgelassen. Wer
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ersetzt mir den Schaden? Wer ersetzt ihn euch. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>So genug, Du der Du Landvögte in ihrem Frevel antastetest, für Dich. Es muß einmahl ein Ende haben
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oder wir arbeiten alle vergeblich und die Thoren ruffen laut, es ist kein Gott. Ich kenne die Lässigkeit
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des Publikums und daß wer am lautesten ruft immer recht bey ihm behält. Und sollten wir uns
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scheuen zu ruffen? Wir uns irre machen lassen – Lavater, wenn sie nicht gedruckt werden, so hab ich
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kein Theil an Dir. In eine Wüsteney will ich gehn zweiffelhaft über wen ich seufzen soll. <line type="empty"/>
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Gute Nacht! Wie süß werde ich träumen! wie leicht morgen an meinen Frohndienst gehn<line type="break"/>
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<align pos="center">Donnerstags. 1775</align><line type="break"/>
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<align pos="right">J M. R. Lenz.</align> <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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Herrn <line type="break"/>
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Herrn Johann Caspar<line type="break"/>
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<ul>Lavater,</ul> Pfarrer <line type="break"/>
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am Waysenhause <line type="break"/>
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in <line type="break"/>
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<ul>Zürich.</ul></letterText>
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||
<letterText letter="67">Mein allerliebster Jacob
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<line tab="1"/>Wie vergeblig habe ich nun so viele Jahre auff Deine zu Hause Kunft gewartet, wie oft habe ich nicht
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umsonst aus dem Fenster gesehn, wenn nur ein Fragtwagen ankam, ob ich Dich nicht erblickte, allein
|
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vergebens. Wie manche Tränen und <del><nr> </nr></del> Seufzer, habe ich nicht zu Gott geschickt, das er Dich führen
|
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und leiten mögte.
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<line tab="1"/>Ach wenn ich Dich auch noch ein mahl sehen könte, vor meinem Ende, und Dich segnen, ehedenn ich
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sterbe, so wollte ich zufrieden sein. Wie lange wiltu so herum irren, und Dich in solche nichtswürdige,
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||
Dinge vertiffen, ach nimm es doch zu Herten was Dein Vater Dir schreibt, es ist ja die Wahrheit, nimm
|
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es nur zu Hertzen, und dencke nach, was wil aus Dir werden? ich billige alles was Papa geschrieben
|
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hat. <line type="empty"/>
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||
<page index="2"/>
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<line tab="1"/>Melde mir auch, ob Dujetzo gantz gesund bist mit Deinen Halse und Zähnen, ich bin Deinentwegen
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sehr besorgt gewesen.
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<line tab="1"/>Pastor <aq>Oldecob</aq> und seine Frau laßen Dich hertzlig, grüßen, sie wohnen jetzt im Garten Hauß weil sie
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<insertion pos="top">ganz</insertion> abgebrannt sind und alles verlohren haben die Häuser auff dem Margt sind alle abgebrannt,
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wie auch das Rathaus, und Löwensterns Haus, die Russische Buden und straffhalter, nebst der großen
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Brücke sind alle abgebrant. es ist alles wüste Die Frau Oberst Albedill ist noch in Curland, sie
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hat ihre älste Freilen Tochter, als Hoff Freilein bei der Alten Herzogin, hingebracht, wir warten
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sie täglig zurück. Ubrigens Grüße und Küsse ich Dich Zährtlig mein liebes Kind. Gott segne Dich und
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leite Dich auff seinen wegen. Verbleibe<line type="break"/>
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<align pos="right">Deine Zärtliche Mutter <line type="break"/>
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<it>Dorothea Lenz</it></align></letterText>
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<letterText letter="68"><line tab="1"/>– – Indessen deucht mich, ist doch die Natur der meisten Leidenschaften gewöhnlicher Seelen, nur
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ein vermischtes Gewebe von Eitelkeit und Gefühl des Werths im Gegenstande. Und ich kann doch
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antworten, dieser Mensch liebt – aber eigennützig. Ich unterscheide ihn von dem hartherzigen M.,
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der bloß aus Eitelkeit, geliebt zu werden wünschte. Dieser wünscht bloß zu erfahren, ob und wie das
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Herz empfinde, um es lieben zu können. Freilich bleibt’s unredlich. – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ach! gnädige Frau! Wie oft liebte ich ohne Hoffnung! Wie oft mit der Hoffnung, und immer
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unglücklich! Meine gefährlichsten Bekanntschaften sind allezeit mit den liebenswürdigsten Personen
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Ihres Geschlechts gewesen. Jede neue Freundin kostet mich einen Theil meines Lebens. Doch kenn’
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ich keinen glücklichem Tod. Kenne sonst kein Glück auf dieser Altagswelt. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Was aber meines Herzens Geheimniß betrifft, so wird es mit mir begraben werden. Verzeihen Sie
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meine Offenherzigkeit und meine Discretion. Oder vielmehr, lassen Sie diesen schwachen Augenblick
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Niemanden bekannt von mir werden. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich habe von Herrn <ul>Huber</ul> verschiedene kleine Umstände erfahren, die mir Ihr Bild viel vollkommener
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auszeichneten. Wenn es keine unverzeihbare Dreustigkeit ist, einige Züge Ihrer ersten Jugendjahre in
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dem Hause des Grafen – sodann Ihrer ersten und zweiten Liebe, mir aus zu bitten – Gnädige Frau!
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diese Gewogenheit wäre unschätzbar! Ich schwöre Ihnen ewige Verschwiegenheit, wenn Sie sie
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fodern, doch weiß ich, Sie verlangen keinen Eid von einem, dem Sie Gefühl zutrauen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Das Band womit Sie mich binden – <aq>care laccie, amate pene</aq> – mein Vaterland! Was werde ich in dir
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verlassen müssen? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sie haben Familie. Dürfte ich mir ein kleines Portrait davon ausbitten? Warum erlaubt mir mein
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Schicksal doch nicht, Sie in dieser liebenswürdigen Gruppe zu sehen? Das Portrait Ihres Gemahls
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habe ich in der Sternheim gefunden; eine Freundin gab mir den Schlüssel. Auch hat er das Bild
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seines Geistes in den Briefen über das Mönchswesen, für mich von einer Seite abgedruckt, die
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mich ihn ewig wird verehren machen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Meine Eltern sind – ob böse auf mich, oder bloß kaltsinnig – genug seit mehr als sechs Monaten
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schweigen sie mir. Meiner Mutter hab’ ich alle mein Phlegma – mein ganzes Glück – meinem Vater
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alle mein Feuer – mein ganzes Unglück – zu danken. Beide verehre ich als in ihrer Sphäre die
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würdigsten Menschen, die je gelebt haben. Beide hab’ ich Armer beleidiget – muß sie beleidigen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich schreibe an einer Schulmeisterchrie in Knittelversen, in einer neuen Monatsschrift,
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die unter der Aufsicht des Hrn<ul>. Boje</ul> in <ul>Göttingen,</ul> herauskömmt. Meine Soldaten liegen in <ul>Herder’s</ul> Händen. Es
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kömmt eine Gräfin La Roche drin vor, der ich etwas von Ihrem Charakter zu geben versucht habe, wie
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ich ihn aus Ihren Schriften und Briefen kenne.</letterText>
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<letterText letter="69"><align pos="right">D 29sten Sptbr.</align>
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<line tab="1"/>Herder! Ich will und muß ein <aq>Recepisse</aq> haben, ob Du <ul>Die Soldaten, eine Komödie</ul> erhalten hast, ich
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habe sie Dir schon seit acht Wochen unterm <aq>Couvert</aq> der Jungfer König über Darmstadt zugeschickt,
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wie das Pandemonium: es ist mein <ul>einzig Manuskript</ul> und wenn es verloren ist, so ist mein Leben mit
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verloren. Reiß mich aus diesem quälenden Zweiffel durch eine kleine Erkundigung bey Herrn Geh.
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Rath Heß und durch die geschwindeste Antwort, nur in zwey Zeilen. <line type="break"/>
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<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich darf in dieser Gemüthslage keinen Menschen grüssen lassen. Ich rase nicht. In guter Prosa: Die
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Soldaten eine Komödie habe ich Dir über Darmstadt zugeschickt und will wissen, <ul>wo</ul> sie ist. Meine
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Reise ist auch wahr. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Vor einem Jahr wenigstens darf sie aus tausend Ursachen nicht gedruckt werden. Mehr als ein Leben verlier ich damit –</sidenote>
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<page index="2"/>
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<note>Adresse</note>
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Herrn<line type="break"/>
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Herrn Herder<line type="break"/>
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Consistorialrath<line type="break"/>
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in Bückeburg</letterText>
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<letterText letter="70"><line tab="1"/>Hier ein Briefchen von Herder Lavater! Er ist gebeugt #. Gott zögert hinter der Wolke. Wenn wird er
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wieder mild umfliessen die Seinen! Daß Du Welt kennetest Lavater – – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich habe aus dem Zettelchen geahndet Du habst was wider Fränkeln, dessen Umstände da er am
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Ende seiner Laufbahn ist, Empfehlung brauchen. Seine Führung kenne ich freilich ganz und gar nicht,
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da ich den ganzen Tag wie ein Postpferd herumlauffe und Lektionen gebe. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich sehe seegnend entgegen euren Entwürfen. Wünschte freilich bisweilen unsichtbar hinter Dir zu
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stehn und Dir über die Achsel ins Ohr zu flüstern, wenn Dich Dein gutes Herz – nicht alle trefliche
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Jungen scheinen treflich. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Leb wohl und erfreue mich bald durchs Anschauen Deines 2ten Theils Physiognomik. Ich warte
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sehnlichst auf Nachrichten aus Liefland <line type="empty"/>
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<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
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<align pos="center">D 29sten 7br</align> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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# tief – gebeugt.</sidenote></letterText>
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<letterText letter="71"><line tab="1"/>Warum ich schweige Herder? Weil die Freude keine Sprache hat. Weil die Liebe keine hat. Schweige
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mir gleichfalls. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Den 30sten Sept. Es ist mein Namenstag Und heute heute erhielt ich Deinen zweyten Brief. Herr nun
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lässest du deinen Diener in Frieden fahren. Vor dem Hafen lag mein Schiff– ein Sturm erhub sich – auf
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immer schiffbrüchig – und nun lauf ich ein – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ach wenn du meine Soldaten hast, wenn Deine Frau ihn Dir vorliest – genug. Und auch Dich ehren die
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Könige? – AIIes. – Aber quacken sollen sie doch, die Dich antasteten wenn ich meinen Fuß ihnen
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aufden Nacken setze. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Es war mein Bruder der Dich in Königsberg kannte. Und mein halber Feind. Doch hoff ich, auch er
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wird Freund werden . Ach ich darf nicht mehr schreiben, mein Herz schilt mich schon itzt. Aber gieb
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Deiner Frau einen Kuß wenn sie Dir die Soldaten gelesen hat. Unsere Seelen sind wahre
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Schwesterseelen. Und ich zittre vor Euer beyder erstem Anblick. Dann wird kein Wort gesprochen,
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keine Lippe muß das entheiligen. <line type="break"/>
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<align pos="right">J M R Lenz.</align>
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<page index="2"/>
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<line tab="1"/>Es will und <ul>darf</ul> kein Mensch meine Wolken drucken lassen Sobald ich aber zu Gelde komme laß ichs
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auf meine Kosten drucken in Kehl, wo ich Götter, Helden und Wieland drucken ließ. Dann sollst Dus
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haben. Bis dahin– ich beschwöre Dich schweig davon.</letterText>
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<letterText letter="72"><line tab="1"/>Ihr wollt die Wolken Wiel. zuschicken. Lieben Freunde, wo ist euer Verstand, wo ist eure Freundschaft
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für mich? Was hab ich mit W. zu schaffen! Kennt Ihr die süßlächelnde Schlange mit all ihren
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Krümmungen noch nicht. Unsere Feindschaft ist so ewig als die Feindschaft des Wassers und Feuers,
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des Tods und des Lebens, des Himmels und der Hölle. Und ihn zu bekehren – wäre Lästerung. Ihn durch
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dies Stück bekehren wollen – Freunde ich fahre aus der Haut. Alle seine Absichten befördern, sagt, und
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mich zerhauen, im Mörser zusammen stossen. Schreib ich denn das Stück für mich? Oder hab ich hier mit W.
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<ul>dem Menschen,</ul> nicht mit Wiel. <ul>dem Schriftsteller</ul> zu thun? Thu ich <ul>mir</ul> nicht den grösten Schaden <del>th</del>
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damit? Und jetzt W. in die Hände geben, damit er <ul>frohlocken kann</ul> über mich? Und das meine eignen Freunde. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Jeder Autor <ul>hat ein Recht auf das was er</ul> geschrieben. Ich bitte euch also mirs zurückzuschicken und
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mich meinem Schicksal zu überlassen. <line type="empty"/>
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Ich schreibe dies mit dem kältsten Blut und der gelassensten Ueberlegtheit von der Welt. <line type="break"/>
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<align pos="right">Lenz <line type="break"/>
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<aq>verte</aq></align> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>Und W. der euch allen im Herzen Hohn spricht, die Achseln über Euch zuckt u lächelt – mit dem wollt
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Ihr Vertraulichkeit machen, sobald es wieder ihn geht. Liebe liebe Freunde – überlaßt mich
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wenigstens mir allein.</sidenote>
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<page index="2"/>
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Wieland der Mensch wird einst mein Freund werden – aber Wieland der Schriftsteller, das heißt der
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Philosoph der Sokrates – nie. – <line type="empty"/>
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Schickst Dus aber ihm so ist es <del>seyn</del> sein und euer aller Verderben. <line type="empty"/>
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# Mit einer Welt Dukaten kannst Du mir dies Stück nicht abkauffen. <line type="empty"/>
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# # Wenn ist mir selbst noch unbekannt. <line type="empty"/>
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<line type="empty"/>
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<note>mit Abstand</note>
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<line tab="1"/>Lieber, laß uns doch nicht alle unsere Köpfe über einen Leisten schlagen wollen. Gott hätte sonst nur
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einen Menschen auf dem ganzen Erdboden schaffen müssen Ich seegne euer Projekt und bin voll
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Erwartungen. <line type="empty"/>
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<page index="3"/>
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<line tab="1"/>Lavater erster aller Knechte Gottes, wenn Du noch Freundschaft für mich hast, so schweig schweig
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ewiges tiefes Stillschweigen von den Wolken und leg’ dies auch Passavanten auf. Er ist ein
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guter Junge, unser aller Freundschaft leidt hiedurch kein Haar, gewinnt – aber ich <ul>kann, will</ul> und <ul>werde</ul> die
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Wolken drucken lassen # # und <ul>begehre sie hiemitzurück.</ul> # Nicht aus meiner Autorität, sondern aus
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||
einer <ul>höheren.</ul> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Was Du von den Individuen sagst, ist vortreflich, aber paßt nimmer und in Ewigkeit auf Wieland,
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||
nimmer und in Ewigkeit auf diesen Fall. Ich hab hier eben grad mit keinem einzigen Individuum auf
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||
der ganzen Welt zu thun, sondern mit dem Ganzen, das mir am Herzen liegt. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>Daß ich Dein <aq>admonitorium</aq> einst Gottern zuschicken wollte, war nicht, um ihn zu bekehren, sondern,
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||
um ihm zu weisen, wie sehr ich ihn mit samt seinen Lobeserhebungen und Autoreinfluß und Macht
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verachte. – Er sollte widerrufen – das <ul>kann</ul> aber W. nicht.</sidenote> <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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Herrn <line type="break"/>
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Herrn J. C. Lavater <line type="break"/>
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Pfarrer am Waysenhause <line type="break"/>
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zu Zürich.</letterText>
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<letterText letter="73">Lies es durch beser Schlosser! Dann mach’ damit was du willst, aber nie, nie müsse es bekannt
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werden.</letterText>
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<letterText letter="74">Kehl am 2. Oct. 1775 <line type="break"/>
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||
<line tab="1"/>Ich schreibe dieß auf deutschem Grund und Boden. Sie sind ein Deutscher und ein Mann. Ich danke
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||
Ihnen für Ihr Zutrauen. Ich habe keine kritischen Aufsätze, habe aber in Strasburg eine Gesellschaft
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||
junger gelehrter Freunde die ich durch Ihren Brief aufgemuntert habe, etwas fürs Vaterland zu
|
||
arbeiten. Aus dem was sie bei unsern Zusammenkünften schon vorgelesen, läßt sich viel viel hoffen
|
||
und welche Wonne würde ich haben, mit dieser Baumschule dereinst Ehre einzulegen. Ihrem Urtheil
|
||
wird es anheim gestellt seyn, anzunehmen oder zu verwerfen, was Ihnen zugeschickt wird. – – Nun
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||
noch ein Wort unter uns beyden. Sie haben Buchhändlerverbindungen, ich will kann und werde
|
||
nie welche haben. Vielmehr suche ich Journalisten und Buchhändler zu turlupiniren so viel
|
||
ich kann, bis sie gescheidter werden, und denen Leuten, von denen sie Leben und Othem haben,
|
||
mit mehr Ehrfurcht begegnen lernen. – Können Sie mir, deutscher Mann, – einen Jungen in die Welt
|
||
bringen helfen, der rasch und wild und frey ist wie sein Vaterland? Sie sollen einst spät seinen
|
||
Dank dafür haben. Alles was Sie für ihn einnehmen, ist Ihre oder der Leute, denen Sie es gönnen
|
||
wollen. <it>Mir ist nur</it> darum zu tun, daß er in die Welt kommt wirkt und lebt, sollt er seinem Vater
|
||
auch selber durch seinen Muthwillen den Hals brechen. Er heißt die Wolken, aus dem Griechischen
|
||
des Aristophanes. Lerm macht er das ist gewiß denn ich habe kein Feuer an ihm gespart – und der
|
||
Ausgang wird gut seyn. – Sie haben alle Ansprüche auf die Erkenntlichkeit eines zärtlichen und
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||
besorgten Vaters. Können Sie ihn nur die schröckliche Küste der Censur vorbeiführen. Denn Anomalien
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||
sind genug darin. Wäre das nicht, so würd ich ihn nicht für meinen Sohn erkennen. – Ich erwarte
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||
aufs geschwindeste eine kategorische Antwort damit ich meine Maßregeln nehmen kann! Denn hier ist
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||
<aq>periculum in mora.</aq> Sollte denn in Deutschland keine Presse sein, wo etwas unzensiert könnte gedruckt
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||
werden. Auch in Lemgo nicht z. E. oder in irgend einer Reichsstadt? Wie gesagt, ich nehme keinen
|
||
Heller, nur daß mein Name vor der Hand verschwiegen werde. <line type="break"/>
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Jacob Michael Reinhold Lenz. <line type="break"/>
|
||
Ich bitte um baldmöglichste Antwort.</letterText>
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<letterText letter="75">Den 5. Oct. 1775. <line type="empty"/>
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||
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||
<line tab="1"/>Lenz! Du bist ’n braver Junge! Lieb’ Dich noch ’n mahl mehr seit den Wolken; kann’s aber doch nicht
|
||
finden, daß Du durch <ul>Ungerechtigkeit</ul> gerecht handelst! .. und dann denken wir von <ul>Wieland</ul>
|
||
verschieden. Ich hab’ ihn noch nicht gesehn; also behalt ich mir Urtheil vor. Hätt’ ich ihn <ul>gesehn,</ul>
|
||
spräch’ ich ab. Hast Du ihn gesehn, gelte Dein Urtheil. Ich hab’ ihn wohl gesehn vor 20. Jahren;
|
||
aber das war nichts. Ich halt’ ihn für das Reizbarste, wankelmüthigste – Geschöpfe, aber für
|
||
keinen Heuchler; keine Schlange. wär ers – hohl’ ihn der Schlangenzüchter! Bitte, lieber
|
||
Lenz – kämpfe, aber kämpfe mit wahrheit, und unterdrüke das Gute nicht! Hierauf hast Du mir
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nicht geantwortet. Sey so strenge Du sein willst; nur sey nicht <ul>ungerecht.</ul> Kann ich lieber,
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weniger sagen? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich habe Paßavanten noch nicht gesehen. Aber ich weiß zum voraus, daß er noch gerechter ist, als
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ich. Er wird die Wolken nicht zum Druck befördern. Das weiß ich. Thut Ers, mag er! Ich bin rein. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Kannst’s läugnen, Bruder, daß W. unendlich viel um den deutschen <ul>Geschmack</ul> verdient hat. Und ist
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||
<ul>Geschmack</ul> nicht <ul>Glückseligkeit?</ul> – Sollst ihn nicht bessern, wenn Du ihn unverbeßerlich glaubst; aber
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sollst ihn auch nicht mit Füßen treten, der doch, hab er geschadet, so viel er will, so viel genützt hat,
|
||
und so viel hat nüzen <ul>woIlen.</ul> Wielanden fürcht’ ich nicht. Würd ers in meinem Sinne verdienen, und ich
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||
hielt ihn für unverbeßerlich; # Ich will Wielanden nicht schonen; aber ich will nicht ungerecht
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seyn. Du hast Macht über Dein Mspt. – Du sollst Deine eigne Wege haben. Habe sie, und handle nicht nach
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||
den unsrigen! Aber handle gerecht! Du sollst nicht denken, wie ich – aber Du sollst Dich, wenn Du
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strafest, zehnmal fragen: „Straf ich nicht ungerecht?“ – Handle; Ich bin Dein Richter nicht. Ich will
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||
Dich nicht verdammen. Aber freundschaftlich will ich Dir weißagen: „Du bereust’s, <ul>wenn die Wolken
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||
gedruckt werden!“</ul> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="bottom" page="1" annotation="am unteren Rand">
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# ich ließ die Wolken druken.</sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wielanden send’ ich sie nicht, ohne Deine Erlaubniß; obgleich tausend gegen Eins wette, daß
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Wieland, der Schriftsteller dadurch gebessert, und Wieland der Mensch nicht verschlimmert würde. <line type="empty"/>
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Dank für Herders Brief und die Nachricht. <line type="empty"/>
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||
Schreibst Du auf Erfurt, so laß Dir den <ul>Abraham</ul> senden. Nun kommts bald an den II. Teil der
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||
Physiognomik. <line type="empty"/>
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||
<line tab="1"/>Stollberg hat mir die Schweizerlieder vollenden geholfen. Nun noch geistliche Lieder. – Dann noch
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||
eine kleine Reise auf Marschlins. Dann – verschlossen in die Physiognomik. Inzwischen – <line type="empty"/>
|
||
|
||
<note>Auflösung der Hieroglyphen, vgl. Haustein, Jens: Jacob Michael Reinhold Lenz als Briefschreiber. In: Stephan/Winter 1994, S. 337-352, hier S. 349 >
|
||
Inzwischen – Plan zu grossen allgegenwärtigen Würkungen</note>. <line type="break"/>
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||
Lindau hab’ ich angeworben. <line type="break"/>
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||
Stolbergs werd ich anwerben. <line type="break"/>
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Dein Brief an Kayser treflich! <line type="break"/>
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||
Röderers Schuldner bin ich noch immer. Adieu. <line type="empty"/>
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||
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||
<ul>J. C. L.</ul></letterText>
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<letterText letter="76"><line tab="1"/>Wie begierig ergreiffe ich gegenwärtige Gelegenheit, Ihnen, mein liebens- und verehrungswürdiger
|
||
Freund, das Vergnügen auszudrücken, das mir Ihre letztere gütige Zuschrift gemacht. Ihre kleine
|
||
Capelle sollte mir in der That die erwünschteste Zuflucht für meine Weihnachtsandacht seyn, wenn
|
||
sich meine äußerlichen Umstände nur im Geringsten darnach fügen wollten. So aber kann ich nur noch aus
|
||
der Entfernung Ihnen zur völligen Wiederherstellung Ihrer Kräfte den herabströmenden Himmel anwünschen.
|
||
So viel Nachrichten von Ihrer Person, von Ihren Schiksalen, von Ihrer Verbindung haben schon seit
|
||
langer Zeit den Wunsch in mir rege gemacht, eine Wallfarth zu Ihnen anzustellen und Sie in der Sphäre,
|
||
die Sie anfüllen, zu sehen; ich behalte mir diese Freude auf bessere Zeiten vor. <line type="empty"/>
|
||
|
||
<line tab="1"/>Dürft ich Ihnen einen Antrag thun. Es verbindet sich hier eine Gesellschaft schätzbarer Gelehrter,
|
||
unter denen auch Offiziere und hier angesessene Personen sind, zur Verbesserung der hiesigen
|
||
deutschen Mundart sowohl als zur möglichsten <page index="2"/> Bereicherung unsers in Schriften gebräuchlichen
|
||
Hochdeutsch. Wollten Sie würdiger Mann mit von unserer Anzahl seyn. Herr Lizenziat Ott wird Ihnen
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||
mündlich eine ausführlichere Beschreibung von diesem Institut machen können. Wir erbitten uns von Ihnen
|
||
nichts als von Zeit zu Zeit, sobald es Ihre Geschäfte verstatten, einige Zeilen als Beytrag zu einem Idiotikon
|
||
vom Elsaß, Vorschläge etwan wie ein und anderes kräftiges Wort, der guten Sprache unbeschadet, in
|
||
dieselbe aufgenommen und vor dem ewigen Verdammungsurteil Provinzialwort gerettet werden könnte. Ich muß
|
||
Ihnen gestehen, daß bey dem ersten Vorschlag einer deutschen Gesellschaft im Elsaß mir der Beystand
|
||
eines seiner ersten Schriftsteller unentbehrlich scheint und also dieser Antrag ganz und gar eigennützig ist.
|
||
Herr Hofrath Schloßer wird Ihnen die <page index="3"/> erste Schrift mittheilen, die ich bei Eröfnung dieser
|
||
Gesellschaft in dem Hause des Herrn Aktuarius Salzmann abgelesen. Sie sind so gütig, mir sie wieder, nebst
|
||
einer geneigten Antwort auf unsern Antrag, zukommen zu lassen, weil sie in unser Archiv eingetragen ˕werden˕
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||
soll und ich noch keine Abschrift davon genommen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Herr Lerse ist nach Zweybrücken abgegangen, und ich habe leyder bey meinen häufigen
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Zerstreuungen seines Umgangs nicht so häuffig genießen können als ich wohl gewünscht hätte. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich unbekannter Weise Ihrer würdigsten Gemalin und Familie. Ich bin mit der
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||
ungeschminktesten Hochachtung <line type="break"/>
|
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<align pos="right">Dero<line type="break"/>
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||
ganz ergebenster<line type="break"/>
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||
Diener u. Verehrer<line type="break"/>
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||
J M R Lenz.<line type="break"/></align>
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||
Strasb. den 13ten 8br 1775.<line type="empty"/>
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||
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||
<page index="4"/>
|
||
<note>Adresse</note> <line type="empty"/>
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Herrn<line type="break"/>
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||
Herrn Hofrath<line type="break"/>
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Pfeffel<line type="break"/>
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||
in Colmar.<line type="empty"/>
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||
|
||
<note>Empfangsnotiz Pfeffels</note>
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||
M. Lenz<line type="break"/>
|
||
Den 13.8.br 1775.</letterText>
|
||
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||
<letterText letter="77"><line tab="1"/>Lieber Müller, ich kann mich nicht halten, ich muß in dem Augenblick da ich Ihren Satyr Mopsus lesen,
|
||
in dem Augenblick der Leidenschaft Ihnen schreiben. Ich umarme Sie. Sie haben eine so muthige so
|
||
feuervolle Sprache, daß mirs kalt und warm wird. Und brünstig wär’ ich den <ul>Maler</ul> zu sehen – der so
|
||
<ul>schreiben</ul> kann. Daß Ihnen doch weder Lob noch Tadel der Kritiker weder Wind noch Sonnenhitze
|
||
schadeten und der Nachkomm’ unter Ihrem Schatten fröhlich ruhte.<line type="break"/>
|
||
<align pos="right">Lenz.</align>
|
||
<page index="2"/>
|
||
<note>rechte Spalte</note>
|
||
Dank für das Lied in der Schafschur vom Garten der Liebe – ewigen Dank! <line type="empty"/>
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<note>linke Spalte</note>
|
||
Dem jungen kühnen Maler in <ul>Mannheim.</ul></letterText>
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<letterText letter="78"><line tab="1"/>Ich danke Ihnen für Ihre Freundschaft und Ihr Andenken. Mein Schicksal ist jetzt ein wenig hart. Ich
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gebe vom Morgen bis in die Nacht Informationen und habe Schulden. Alles was ich mit Schweiß
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||
erwerbe fällt in einen Brunnen, der fast keinen Boden mehr zu haben scheint. Mein Glück in meinem
|
||
Vaterlande ist verdorben, weil es bekannt ist, daß ich Komödien geschrieben. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sehen Sie dies offenherzige Gemählde meines Zustandes als einen Beweiß meiner Freundschaft an
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und gehn behutsam damit an. Sie haben kein Herz, das eines unglücklichen Freundes Vertrauen zu
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mißbrauchen, achzehnjährhundrigt genug seyn könnte. Ich habe in der That ein kleines Stück in
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meinem Schrank liegen das allenfalls auch spielbar seyn würde. Fragen Sie Herrn Sei<del>del</del>ler,
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ob er mir sechs sieben Dukaten dafür geben möchte, ich bin nie gewohnt gewesen, meine Sachen
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zu verkauffen, die höchste Noth zwingt mich dazu. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Doch hoff ich Herrn <del>Seidel</del> Seiler wird der Kauf nicht reuen. Es ist eine Nachahmung der <aq>captivei</aq> im
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Plautus. Noch einmal Gotter – Verschwiegenheit. So umarmet Sie <line type="empty"/>
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<align pos="right">Lenz.</align> <line type="break"/>
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<align pos="center">Strasb. d. 23ten 8br. 1775.</align> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Sie machen, höre ich, eine Sammlung von Ihren Gedichten. Das wird mich freuen. Auf Subskribenten
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könnten Sie hier zählen. Geben Sie mir allenfalls Nachricht davon. <line type="empty"/></sidenote>
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<page index="4"/> <!-- Handelt es sich hier um Seite 4? Zuvor wurden keine weiteren Seiten genannt -->
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<note>Adresse</note>
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Herrn<line type="break"/>
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Herrn <ul>Gotter</ul><line type="break"/>
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Archivarius<line type="break"/>
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in <ul>Gotha.</ul></letterText>
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<letterText letter="79">Ulm<line type="break"/>
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Hier aus dem Zimmer des liebenden Millers muß ich Dir lieber was schreiben. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich kenne Deine <ul>Wolken.</ul> Ich weiß daß Du sie gedruckt wolltest haben p p Ich bin sehr dafür portirt
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und <ul>liegt mir viel dran.</ul> –<line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Hier hab ich nun durch Millern der mein <ul>wahrer</ul> Freund ist, schon Gelegenheit gehabt, für mich und
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auch andern etwas geheim drukken zu lassen – und dieß wär hier auf die Art zu machen.
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<page index="2"/>
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<line tab="1"/>Sage nun mein Freund Deine Meynung und Sinn. Millern kann man alles <ul>ohne</ul> den Freundschaftseid
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anvertrauen. <ul>Er</ul> liebt Dich sehr sehr! Trug mir längst auf, Dir’s heftig zu versichern. – Närrchen sey gut!
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Obwohl er Dichter ist, so ist er doch herrlich, und man kann immer die Liebe eines Kerls mitnehmen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Stolbergs die edle grosse Seelen haben mich gezwungen sie nach Schaffhausen zu begleiten, und da
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zwang mich Miller mit nach <page index="3"/> Ulm. So kam ich hieher! Ist mir sehr wohl. Finde in Schwaben
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viel Simplicität, Religion und Tugend. Mädchens sind Gotteskinder. – <line type="empty"/>
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50 fr wie Du sie fordertest will ich Dir für die Wolken schaffen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Schreib mir gleich nach Zürch wie Du meinst. Am Donnerstag geh ich hier ab, und treff dann gewiß
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Antwort von Dir in meinem Nest.
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<line tab="1"/>Stolbergs sind <ul>Deiner Liebe gewiß werth.</ul> Du hast kein Wort – nicht <page index="4"/> gedankt für den
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Freyheitsgesang. Mänchen Du bist ein eigen Geschöpf! Um Lavatern wirds mir Tag täglich wohler.
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Doch – ein ander mal in Zürch Antwort auf Deinen lezten Brief. Kuß und Gruß an Röderer. Ade! <line type="empty"/>
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Den 13 9<ul>br</ul> 75.<line type="break"/>
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<align pos="right"><aq>Kaiser.</aq></align> <line type="empty"/>
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<line type="empty"/>
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Hab Ordre von Klingern Dir ein Drama zu senden. Kommt nächstens. Lebe wohl Lieber!</letterText>
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<letterText letter="80">Den 15ten Nov. 1775.<line type="break"/>
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<line tab="1"/>….. Deutschland wird in wenigen Jahren erstaunliche, unglaubliche Revolutionen in Litteratur,
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Geschmack, Religion u.s. f. erfahren. Ich weis, daß in fünf Jahren, denke dran 1780, wenn ich vielleicht
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nicht mehr bin, Deutschland alle Nationen um sich her und alle Zeitalter vor sich verdunkeln und
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überfliegen wird. Dieß ist nicht Weissagung, oder Gesicht des Propheten; es ist Vermutung, auf Data
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gegründet, die wenige wissen. ……. <!-- Handelt es sich hier um eine horizontale Linie? --></letterText>
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<letterText letter="81"><line tab="1"/>Gieb mir den gemißbrauchten Namen Gottes zurück Herder! mein böser Genius ließ mich das
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schreiben <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Die Soldaten können noch nicht gedruckt werden. Erröthen muß ich freilich über den Unverstand
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meines letzten Briefes. Gott wo war ich, als ich ihn schrieb. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mache Dir keine Gedanken über die Ebbe und Fluth meines Entschlusses. Es sind lauter
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Lokalverhältnisse die mich so peinigen. Die aber aufhören werden. Ein Poet ist das unglücklichste
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Wesen unter der Sonnen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Grüsse Deine Frau. Sollte ich von hier reisen oder sollte es einst Zeit seyn das grosse Trauerspiel
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aufzudecken, so werd’ ich Dir vorher schreiben. Bis dahin muß ich noch stumm die Zähne
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zusammenbeißen und die Leiden meines Volks in meinem verborgensten Herzen wüthen lassen.<line type="break"/>
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Strasburg den 18ten Nvbr. 1775.<line type="break"/>
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<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Solltest Du es einst künftig drucken lassen, so muß auch alsdann mein Name im Anfange
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verschwiegen bleiben. Ich sag es Dir hier voraus, falls ich es etwa alsdann zu erinnern vergessen
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sollte.</sidenote> <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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Herrn<line type="break"/>
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Herrn <ul>Herder</ul><line type="break"/>
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Consistorialrath<line type="break"/>
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in <ul>Bückeburg.</ul></letterText>
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<letterText letter="82">Den 18ten November. 75. <line type="empty"/>
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Mein Vater! <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Unaussprechl. glücklich haben Sie mich durch Ihren Brief gemacht und durch die Zeilen meiner
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Mutter. Fahren Sie fort, ich bitte Sie auf den Knien, mir ein zärtlicher Vater zu bleiben, Sie mögen
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sehen und hören von mir was Sie wollen. Weisen Sie mich aufs strengste zurecht, Sie, meine Mutter,
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meine lieben Geschwister; alles dient, alles frommt, und von Ihrer Hand mein Vater, die ich mit
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Thränen benetze, alIes <ul>doppelt und vierfach.</ul> Fodern Sie aber nicht, daß ich auf alles antworte,
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es müßte mich <ul>zu weit</ul> führen. Umstände verändern die Sache, ich kann nicht mehr sagen, aber
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alles, was Sie mir schreiben, was mir meine Mutter schreibt, sind güldene Aepfel in silbernen
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Schalen. Lange lange hab ich die Züge dieser Mutterhand mit stummer Innbrunst an meine Lippen
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gehalten – und in Gedanken war ich bey Ihnen und fühlte Ihre seegnenden Küsse an meinen Wangen.
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Ach wie viel haben Sie mir in diesem Augenblick geschenkt. Sie sind also wieder mein,
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Sie lieben mich noch. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Durch zwey Freunde die diesen Brief bis Leipzig bringen. – Millionen Neujahrswünsche! – Grüße an
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alle gute Freunde, alle. Wie kann sie der Brief auch fassen. – –</sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Und sind nicht abgebrannt – und sind so gesund daß Sie mir schreiben können – und sind so gerecht,
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daß Sie mich außer Landes nicht durch Gewaltsamkeiten nach Hause ziehen wollen, so lang ich den
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innern Beruf dazu nicht habe. Das ist mein höchster Wunsch gewesen. Wir sind in allen Stücken
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<ul>einerley Meinung,</ul> beste Eltern, die Zeit wirds lehren. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wenn man zu einem Ziel schwimmen soll und Wasser liegt vor einem, muß man das Wasser nicht
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durcharbeiten? Trockenes Fußes konnten nur die Israeliten durchs rothe Meer gehen, als Gott der
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Herr noch Wunder that. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sie thun Herdern unrecht, er ist <ul>kein Socinianischer Christ.</ul> Lesen Sie doch ich bitte Sie seine <ul>Urkunde</ul>
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über das erste Kapitel I B. M. und seine Erläuterungen des Neuen Testaments. Er kommt als Professor
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der Theologie nach Göttingen. Haben Sie ein klein Büchelgen gelesen: Meynungen eines Layen zum
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Besten Geistlichen. Der Verfasser ist nicht bekannt. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Wenn Sie können, lassen Sie sich die <ul>Iris</ul> eine periodische Schrift fürs Frauenzimmer kommen. Die
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Frau geheime Staatsräthin Ia Roche, eine der ersten Frauen des Jahrhunderts, schreibt die
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freundschaftl. Briefe darinn, die Oper Erwin und Elmire ist von Goethen, die Uebersetzung des
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Ossians von mir.</sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ihr Rath in Ansehung Strasburgs ist noch zur Zeit unausführbar; doch schwöre ich für die Zukunft
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nicht. Wenigstens schmeichelt mir die Freundschaft einer ganzen Stadt (die im Grunde mich allein
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ernährt) so sehr, daß ich sehr vortheilhafte Anträge von andern Orten wie mich dünkt mit Recht
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ausgeschlagen habe. <aq>Patria ubi bene.</aq> Doch hat es mich freilich Sorgen und Nachtwachen gekostet, es
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dahin zu bringen und noch jetzt, ich schwör es Ihnen, sind die Wißenschaften und das Theater selbst –
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nur meine Erholung. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Was sagen Sie zu Lavaters Physiognomik? Haben Sie meinen Brief durch H. v. Medern nicht erhalten?
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Und können L. etwan bey Edelleuten um Dörpt herum Subskribenten verschaffen. Es ist freil. theuer,
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doch haben hier in Str. ganze Gesellschaften zusammen das Werk gekauft.</sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Vielleicht thue ich auf den Frühjahr eine Reise nach Italien und Engelland in Gesellschaft eines
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reichen jungen Berliners (unter uns des Sohns des Münzjuden Ephraim) doch kränkt michs, daß ich
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den Hang dieses sonst so vortreflichkarakterisirten Menschen zu einer unüberlegten Verschwendung
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so stark sehe. Wer kann etwas vollkommen unter dem Monde wünschen. Und Gott der mich – ich muß es
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dennoch wiederholen – durch so viel geführt hat, bleibt meine Zuversicht. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Herr v. Kleist ist wieder bey seinem Vater (durch meine lntriguen) um haushalten zu lernen. Daß ich
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von seinen hiesigen Verschwendungen keinen gar keinen Vortheil gehabt, daß er mich vielmehr
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bishero nur noch mit Versprechungen für alle mit ihm übernommene Müh u. Leiden belohnt hat,
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weiß der droben ist – bitte ich aber, <ul>beschwöre</ul> ich Sie dennoch, für sich zu behalten. – Was
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uns hier entzogen wird, kommt uns an einem andern Orte wieder – Ans Heyrathen kommt mir
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noch kein Gedanke, es war Sturm der Leidenschaft der mich Ihnen die Briefe schreiben
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machte, die itzt in Freundschaft sehr ernsthafte Freundschaft verwandelt worden, aber
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||
nie wieder Liebe werden kann. Ich hatte damals nichts auf der ganzen Welt, an das ich
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||
mein Herz hängen konnte, meine Freundin war im nehml. Fall, unsere Herzen verschwisterten
|
||
sich, ihren harten Stand einander erträglicher zu machen. Entfernung u. Umstände haben
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auf beyden Seiten vieles verändert, meine Dankbarkeit und Freundschaft aber bleibt
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ihr ewig. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Meinen lieben lieben kritischen Moritz und sein dickes drolligtes rundes Weib küssen und seegnen
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Sie doch von mir. Sagen Sie ihm, Goethe könnte und müßte in Absicht seiner Sprache nur von seinen
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nächsten Landesleuten beurtheilt werden, und so lang Deutschland noch keine allgemeine Sprache
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hat, müsse er entfernten Provinzen noch solitär scheinen. Ich bitte mir aber dereinst sein Urtheil
|
||
über meine <ul>Soldaten</ul> aus, die jetzt in Herders Händen liegen und noch wohl ein Jahr liegen
|
||
dürfte, weil ich nicht eben gut finde damit ins Publikum zu eilen. Und meine liebe Märtyrin Lieschen?
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||
War das der omineuse traurige Abschied den sie mir gab. Sagen Sie ihr, daß „<ul>Leiden</ul> das große
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Geheimniß unserer Religion sey. Und daß ich für sie – grüßen Sie den Tarwaster und sein liebes
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Weibgen. Goethe hält besonders viel auf ihn. Vor allen Dingen aber vergessen Sie nicht meinen
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lieben Bruder Christian. Daß er doch mir näher käme – Ich werde Sie alle noch einmal sehen – hier,
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hier, wünsche, glaube, vertraue ich. Sie mein Vater, Sie meine Mutter – ich werde Gott schauen. <line type="empty"/>
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J M R Lenz. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Klopstocks Republik ist eine verborgene Geschichte und Gesetzbuch der deutschen Dichter und der
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deutschen Kritik. Alle diese Dunkelheiten waren nothwendig, nur niemand öffentl. zu beleidigen.</sidenote></letterText>
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<letterText letter="83"><line tab="1"/>Ich freue mich himmlische Freude, daß Du mein Stück gerade von der Seite empfindest auf der ichs
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empfunden wünschte, von der Politischen. Doch es konnte nicht fehlen, überall auf Deine
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Meynungen und Grundsätze gepfropft <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Was die letzte Szene betrfft, so viel ich mich auf sie zurückerinnere, deucht mich könnte allen
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verdrießlichen Folgen durch Weglassung oder Veränderung einiger Ausdrücke des Obristen begegnet
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werden. Z. E. das mit den Konkubinen, medischen Weibern, könnte ganz wegfallen und der Obriste
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dafür lieber von Soldatenweibern sprechen, die wie die Landmilitz durchs Looß in den Dörfern
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gezogen würden und sodann wie die Römischen Weiber die nicht <aq>confarreatae</aq> waren, auf gewisse
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Jahre sich verheuratheten. Die Kinder erzöge der König. Sie giengen auch wohl wieder in ihr Dorf
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zurück und blieben ehrlich, es war <aq>sors.</aq> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Doch darf und kann vor einem Jahr von diesem 20sten Novbr. an das Stück nicht gedruckt werden.
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Und auch dann wenn ich noch hier bin, frage mich. – Verzeyh Grosser! meine närrische <ul>Ordre.</ul> Welch
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Wort!</sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ordentliche Soldatenehen wollen mir nicht <page index="2"/> in den Kopf. Soldaten können und sollen nicht
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mild seyn, dafür sind sie Soldaten. Hektar im Homer hat immer recht gehabt, wären der Griechen
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Weiber mit ihnen gewesen, sie hätten Troja nimmer erobert. Ich hab einige Jahre mit den Leuten
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gewirthschaftet in Garnisonen gelegen gelebt handthiert <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wenn Du anstehst Theurer, so schick mir die letzte Scene abgeschrieben zu, daß ich sie ändere. Doch
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könntest Dus so leicht thun, nur in den <ul>einen</ul> Dialog des Obristen einschieben pp Laß mich die
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Fürsten erst fragen, ich will Ihnen mein Projeckt schon deutlicher machen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Was ich verlange? Nichts verlange ich, einen Dukaten zwey Dukaten was der Kerl geben will. Wär’ ich
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meiner kleinen Schulden erst frey, nähm’ ich durchaus auch gar kein Buchhändler <ul>honorarium,</ul> das
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mir jedem Schriftsteller äusserst <ul>schimpflich</ul> scheint. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mein Reisegefährt ist ein guter wachsweicher Mensch, der sich itzt so an Strasb. angeklebt hat, daß
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ich nicht weiß ob er je loßkommen wird. Es ist der Sohn des Münzjuden Ephraim, der sich aber nicht
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dafür ausgiebt, sondern Flies nennt. Sein voriger Reisegefährt hat ihn beym Mitleiden angepackt, da
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zappelt er nun. Ich sage kein Wort wie Du Dir leicht vorstellst – wer weiß ob ich gar reise. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Abgötterey treib ich mit euren Silhouetten. Sage Deiner Frau, daß ich jeden Buchstaben von ihr küsse.
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Sie und die Schlossern (von der ich eben komme) sind die Frauen meiner Freunde, an deren
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Liebenswürdigkeit ich mich auf keine andere Art <ul>zu rächen</ul> weiß als daß ich sie einmal wie Aristoph.
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aufs Theater ziehe. <gr>έλχειν</gr> – aber erschrick nicht. Auf <ul>meine</ul> Art.</sidenote></letterText>
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<letterText letter="84"><line tab="1"/>Sehen Sie wie mein armer Bube durch die Moralisten ist zugerichtet worden. Desto besser. Lassen Sie
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ihn ohne Namen in die Welt lauffen, jedermanns Hand seye wieder ihn und seine Hand wieder
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jedermann. Der Nachkomm dankts uns. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Hier haben Sie auch was von Schlossern und einen Schulmeisterbrief in Knitteln. Schlossers Namen
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bitte nicht zu nennen. <line type="empty"/>
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<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Bitte mir die Bedingungen für Schlossern zu schreiben, damit sie ihm melden kann, weil ichs ihm
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abgeschwatzt habe. Er will, wie Ihr erster Brief es versprach, nur einen Louisdor für den Bogen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>ich habe ein Mittel alles das bey Wiel. und seinem Publiko wieder gut zu machen, das ich aber <aq>in
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petto</aq> behalte. Ableugnen werd es gewiß nicht, so sehr ich vor der Hand meinen Namen verschwiegen
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wünschte. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Daß doch der Abdruck des Possenspiels recht korrekt wird. ich kann und darf sie hier weder
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abschreiben noch abschreiben lassen.</sidenote></letterText>
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<letterText letter="85"><line tab="1"/>Sie sehen lieber Gotter! hier ein Stück wo alle Characktere gleichsam nur angedeutet sind, dem
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Schauspieler nur Winke geben was er zu thun habe und ihm auf keine Weise zuvorgreiffen. Ich habe
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alles wohl überdacht, es läßt sich nicht anders für ein heutiges Theater einrichten, es würde sonst zu
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lang, zu groß, zu unbändig. Wollten Sie den Herren vorschlagen einen Versuch damit zu machen, das
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Sujet ist wenigstens ganz neu und wie mich deucht geschickt genug die Talente eines Schauspielers
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zu üben. Die beyden Freunde handeln unendlich mehr als sie reden und ihr ganzes Spiel setzt langes
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Studium voraus. Zwey Leute die determinirt sind in allen Fährlichkeiten einander mit ihrem Leben
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beyzuspringen, müssen in jeder Bewegung in jeder Mine <page index="2"/> Enthusiasmus für einander weisen, sonst
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||
wird das ganze Spiel frostig und kalt. Auf diese kommt nun alles an, was das Stück heben oder fallen machen
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kann. Eben so enthusiastisch für seinen Sohn muß der Vater seyn, oder er wird abscheulich. Die Freude
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||
bey der Hofnung seinen Sohn wieder zu bekommen so ausschweiffend als die Wuth bey Fehlschlagung dieser
|
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Hofnung. Und das alles keine Grimasse unsers gleichgültigen Jahrhunderts, sondern wahres inniges Gefühl
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seyn. Unter diesen Voraussetzungen allein kann das Stück gefallen. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">
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Sechs Exemplare bitt ich mir aus.</sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Verzeyhn Sie mir meine lange Paranäse, ich weiß wohl daß der Dichter viel vom Schauspieler lernen
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muß, aber wiederum kann er doch dem Schauspieler am besten in den Standpunkt stellen aus dem er
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gearbeitet. Findt Herr Seiler es unspielbar, so lassen <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="Fortsetzung am linken Rand, vertikal">
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Sie es etwa drucken, es möchte doch wohl auch im Lesen hie und da gefallen. Lenz.</sidenote></letterText>
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<letterText letter="86"><line tab="1"/>In der grösten Eilfertigkeit kann ich Ihnen nur bester Gotter sagen, daß ich Ihr edles liebes Schreiben
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erhalten, für Ihre Theilnehmung danke und Sie bitte mir das Schicksal und die Aufnahme meiner
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<aq>Captivei</aq> in zwey Worten zu berichten. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Vor allen Dingen sagen Sie aber Goethen kein Wort von alledem, wenn Ihnen meine Freundschaft
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noch werth ist. Ich erwarte die Missive mit der fahrenden. Oder das Mskpt. wieder. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Warum geben Sie mir denn keine Nachricht von Ihrer Fräulein Schwester. Werden wir nicht das
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Versprechen erfüllt sehen, daß Sie sich thaten, Strasb. zu dem Mittelpunkt ihrer Zusammenkunft zu
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machen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Und warum haben Sie an das nicht gedacht, woran mein Brief wenigstens Erinnerung seyn sollte? Ich
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sage Ihnen Sie erweisen Vaterlande und Freunden einen Dienst damit. Von Ihren theatralischen
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Sachen hör’ ich soviel reden u. kann sie kann sie nicht zur Ansicht bekommen. Leben Sie wohl Bester
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und antworten balde <line type="empty"/>
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<align pos="right">Ihrem äußerst zerstreuten<line type="break"/>
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aber stets redlichen JMR Lenz</align> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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im Begrif zu Pferde zu steigen – Wenn Sie Stolbergs sprechen, tausend Empfehlungen von mir, die
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ihnen Lavater auszurichten vergessen hat.</sidenote> <line type="empty"/>
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<line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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Ihr Urtheil! <line type="break"/>
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Es ist hier in großer Gesellschaft vorgelesen worden und hat Glück gemacht. – Doch ists das einzige
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Mskpt. das ich habe</letterText>
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<letterText letter="87"><line tab="1"/>Ich schreibe Dir dieses unter dem Gestürm der Feuerglocken und Feuertrommeln in der Nacht um 4
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Uhr. Kayser wenn Du Stollberg schreibst, so sag ihm, ich hätte Lavatern einen Dank für die mir
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überschickte Freiheitshymne geschrieben, den er ihm noch auszurichten hat. Doch mögt’ er
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bedenken daß ein guter Wein keines Kranzes bedarf, am wenigsten von meiner Thespishand. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Es wird bald ein tüchtiges Geschimpf und Geschmäh über mich in Deutschland loßgehn. Kaiser! willst
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Du auch von der Parthey seyn? – Nein lieber Junge Du hast mich zu lieb, Du hast Dich zu lieb. Wenns
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überstanden ist, so lachen wir doch. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Millern hab ich geschrieben, ich lieb ihn wie meinen Augapfel, er ist zum Poeten geboren. Schick mir
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Klingers Schauspiel, aber mit Gelegenheit. Ich bin durch meine Correspondenz hier in tiefe Schulden
|
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gerathen, die mir auch wacker zusetzen. Das sollte mich freuen, wenn Du was von Deinen Musikalien
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hättest drucken lassen, und das wär’ ich zu sehen, am meisten begierig. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>In Bojens Monathsschrift kommt eine Schulmeisterchrie in Versen von mir die Dich auch freuen wird.
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Bester wenn Du doch bey Gelegenheit Dich erkundigen könntest, was aus meinem Petrarch <page index="2"/>
|
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geworden ist. Es wäre der beste Wundstillende Balsam in diesem für mich kritischen Zeitpunkt um
|
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des Publikums Wuth gegen mich ein klein klein wenig zu besänftigen. <line type="empty"/>
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<align pos="center">Grüsse <ul>Lavatern.</ul></align> <line type="empty"/>
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<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>auch kommt bey Gottern ein neues Lustspiel nach dem Plautus von mir zum Vorschein, worinn ich
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dem Faß vollends den Boden ausschlage. Es muß diesmal bauen oder brechen auf immer. Ich bin zu
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allem gefaßt Unser aller Freiheit <ul>hängt vom Petrarch</ul>ab. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wie schön man eben vom Münster ein Danklied abbläst. Das Feuer war grad der Kirche gegen über
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und ist Gottlob!! glücklich gelöscht. Herr Gott dich loben wir. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Frage doch Lavatern ob er mein letztes Briefgen erhalten hat, in dem von der Physiognomik die Rede
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war. Ich gab ihn jemanden bis Basel mit, dessen mir bekannte Nachlässigkeit mir itzt Sorgen macht.</sidenote></letterText>
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<letterText letter="88"><line tab="1"/>Ich habe noch etwas für Sie Boje! daß ich aber unter zehn Dukaten baare Bezahlung nicht
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herausgeben kann. Es ist eine Erzehlung in Marmontels Manier, aber wie ich hoffe nicht mit seinem
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Pinsel. Sie können (wie zu allem was ich Ihnen schicke) dreist meinen Namen nennen, wenn Ihnen
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das rathsamer deucht. Auch hat es in der That fünf Bogen, sehr kompreß geschrieben. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Verzeyhn Sie mir meinen Ungestüm, ich sitzejetzt recht mitten in der Noth drin. Meine Schulden sind
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nach meiner Proportion beträchtlich und wenn ich nicht geschwinde Rath schaffe, muß ich
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befürchten an einem Ort wo meine Reputation mir bisher meinen ganzen Unterhalt verschafft hat,
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für immer und unwiederbringlich prostituirt zu werden. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Leben Sie wohl Lieber! und antworten mir sobald es seyn kann. Sobald ich Ihre Meynung mit dem
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Vorschuß erhalte, sollen Sie meinen Zerbin unfehlbar ehe Sie sich umsehen, in die Arme schließen,
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der Ihnen mehr Freude machen wird als alles was Sie noch bisher von mir gesehen.<line type="break"/>
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<align pos="right">Ihr Freund Lenz.</align></letterText>
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<letterText letter="89"><hand ref="20">
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Empfangen den 2ten Jan. 1776.</hand> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Hier lieber Freund, Zerbin, den ich aber unverzüglich zurück haben muß, wenn Sie ihn nicht brauchen
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können, wollen, was weiß ich. Ich habe mehr als einen, der mir zehn Dukaten dafür giebt und was ich
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thue, thu ich um Ihrentwillen. Mit den Knitteln, dacht ichs doch daß es nicht gehen würde
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’neinzuwerfen, Sie schicken mir aber, ich bitte, sie wieder, es wartet hier jemand mit Ungeduld auf
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sie. Meine grösseren Sachen können eine Weile ruhen, unterdessen bitte Hellwiegen einen warmen
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Gruß von mir zu sagen. Meinen letzten Brief an Sie und meine Umstände bitte verschwiegen
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zu halten. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Herr Blessig den Sie noch aus Göttingen kennen werden arbeitet an etwas das wir Ihnen auch
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zugedacht haben und von dem er den ersten Bogen in einer unserer Versammlungen mit
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allgemeinem Beyfall vorgelesen. Sein Sujet ist die Bildung der Griechischen Sprache durch die Poeten
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und Philosophen und er sammelt noch fleissig Materialien zu künftiger Bearbeitung. Sie kennen vielleicht
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schon die ganze Feinheit und Stärke seiner Diktion. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Unsere deutsche Gesellschaft vergrössert sich von Tage zu Tage. Schlosser ist auch davon und in
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Colmar Freyburg und andem benachbarten Oertern bekommen wir Zuwachs. In Erwartung baldiger
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Antwort und <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Nachricht von Zerbins Schicksal, das ich ganz ohne Umstände mir als ein Biedermann zu bestimmen
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bitte, bin mit wahrer Freundschaft</sidenote><line type="break"/>
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Ihr ehrlicher Fr. u. Diener Lenz.</letterText>
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<letterText letter="90"><line tab="1"/>Ists möglich Herder, daß ich Dir, ich mit gesammter Vaterlandsstimme noch nicht für Deine Ursachen
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des gesunkenen Geschmacks gedankt habe. Aber so gehts mir mit alle Deinen Sachen, ich geniesse so
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freudig so feurig daß ich allemal den grossen Dank darüber vergesse. Vergesse? Verhüte der Himmel das
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abscheuliche Wort, den Dank meines Herzens mußt Du gefühlt haben, nur gehts mir wie einem blöden Liebhaber im
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Angesicht seiner Vollkommenen dem die Zunge mit Bleygewichten gebunden ist der <it>zu reden</it> zittert. Nein ich kann
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nicht reden. Kann nur immer mit tränendem Aug’ in die Wolken sehn fröhlich glücklich seelig, daß Du da
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bist, daß Dein Weib, das süssere Weibliche Du Dir zur Seite schwebt – also immer Werth – und Belohnung mit
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Blumenketten aneinander gebunden geht. Herr Herr Gott barmherzig und gnädig, von grosser Liebe und Treue. <line type="empty"/>
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<page index="2"/>
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<line tab="1"/>Ich hatte über die Geschichtsphilosophie ein Gestammel in Versen an Dich aufgesetzt, das ich aber als
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ein kindisch Lallen unterdrückte. Liebe Posaune des Erzengels, schmettere schmettere Tod und
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Gericht in tausend unbereitete Busen, mir bist Du Gesang ewigen ewigen Lebens. Daß ich einmal ein
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Mann würde und Ordnung um mich her sähe und mir die Schriften meiner Lieblinge alle nach ihrem
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individuellen Werth um mich her stellen könnte, wie groß und stark würde ich denn seyn. So
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aber genieß ich immer im Fluge, doch seelig – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Darf ich Dir zu dem Hügel Glück wünschen auf dem Du itzt Batterien anlegen wirst, grosser Freund
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des Herrn? – Mein Herz wallt und schwingt sich für Freude über alle die Aussichten, ich aber ich mein
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Bruder – ach eine Träne aus Deinem Männerauge – ich werde untergehen und verlöschen in Rauch und
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Dampf. Doch will ich die Liebe mitnehmen. Sie allein wird mich # <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
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# zur Hölle hinabbegleiten u. noch da tröstend zur Seite stehn. – Meine Reise nach Italien könnte sich
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wohl noch machen, aber sobald nicht. Der Stein des Anstosses ist fort, nur hängt mein Mann noch zu
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stark an Strasburg. – Diese Reise ist mir eine wahre Höllenfahrt. Von allem mich loszureissen – und doch
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muß es gerissen seyn. Herder laß Deine Seele, Deine Vaterwünsche mir folgen, mich nie verlassen.
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Und Deiner Frauen – ach wenn sie mir wohl will, so kann ich Gott nicht unangenehm seyn.</sidenote><line type="break"/>
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Lenz.</letterText>
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<letterText letter="91"><hand ref="18">
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<line tab="1"/>Mein lieber Lindau <note>Textverlust</note> zu Herrn v. Kniestätt. Er ist der einzige am Hof den ich kenne, und
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der wird Sie mit allen ehrlichen Leuten bekannt machen! – Ich küße Sie herzlich; hier haben Sie einen
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Brief für ihn. – Leben Sie wohl. Schl.<line type="break"/>
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E. d 23 Dec. 1775.</hand> <line type="empty"/>
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<hand ref="1">
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<line tab="1"/>Den Einschluß gieb doch Zuckerpüppgen unserm Goethe ab. Sollt er noch nicht da seyn, laß es nur
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seinen Eltern <line type="empty"/></hand>
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<hand ref="18">
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<align pos="center">vive St. Thomas!</align></hand> <line type="empty"/>
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<hand ref="1">
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<line tab="1"/>Hier bester Lindau ein Paar Zeilen von Schlossern von denen ich wünschte, daß sie Dich noch vor
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Carlsruh ereilten. Ich hatte die Nacht mit jungen Franzosen geschwärmt und nach der Mette mit
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ihnen frühstücken müssen. Nach dem Frühstück legt’ ich mich schlaffen und erwachte erst um zehn,
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da ichs denn für zu spät hielt, zu Dir zu gehen. Deine Bestellungen zeugen von der Güte Deines
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Herzens, leyder hab ich bey all unsern drey Buchhändlern nach den angezeigten Büchern vergebens
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gefragt. Einer aber hat mir versprochen, sie mir aufs höchste in drey Wochen aus Leipzig kommen
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zu lassen. Solltest Du Deine Meynung ändern, so schreib mirs daß Schlosser das Geld abgeben
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kann. Er kommt vielleicht auf die Neujahr hieher.<line type="empty"/></hand>
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<line tab="1"/>Ich habe auch noch das Original des Briefes von Deinem treflichen Freunde Greven hier, von dem Du
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mir erlauben wirst, eine Kopey zu nehmen. Ich schick es durch Goethe, versiegelt wieder; ihn hab ihn
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2, 3 mal durchgelesen und kann mich nicht genug weiden daran. Dein Peter ist mir # <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Auch immer vor den Augen und ich beneide Dich um den ganzen <del>Fu</del> Stolz solch eines Funds und solch
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eines Projeckts. Denk an mich, wenn Du Deine Schwester umarmst. Hernach vergiß mich, ich werde
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drum nie weniger seyn aus ganzer Seele Dein Freund Lenz</sidenote> <line type="empty"/>
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<line type="empty"/>
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<page index="2"/>
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<hand ref="18">
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An<line type="break"/>
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<nr> </nr> von Lindau.</hand><line type="empty"/>
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<hand ref="12">
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<line tab="1"/>Lieber Lindau nur ein Wort auf diesen Brief. Seegne Dich Gott ferner mit gutem Glauben und Freude
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an Dir selbst. Wir sehn einander wohl wieder. Schreib mir nur ein Wort hierher wie Dir’s geht, und
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wohin Du ziehst grüse den Engel. Weimar d. 8. Jan 1776.</hand></letterText>
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<letterText letter="92"><line tab="1"/>Ich kann mich nicht enthalten gnädige Frau, Ihnen den ganzen ganzen Brief der Gräfin Waldner über
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den Beschluß Ihrer Henriette zuzuschicken. Sie werden in jedem Zuge das unaussprechliche sehen,
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das ich nicht als Mannsperson, das ich nach der kältesten Erkenntniß drin finde. Haben Sie die Gnade
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ihn mir wiederzuzuschicken, weil ich der Person der er gehört, ihn nur unter dem Vorwand abgeschwatzt habe
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um die Stelle die Ihre Henriette angeht, für mich auszuschreiben, nichtweniger die über Hn. von Bismark Denkmal
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auf seine verstorbene Frau, das ich bey dieser Gelegenheit Ihnen nicht genug empfehlen kann. <line type="empty"/>
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<aq>il trouve bien toutes ses pensées toutes ses actions – il semble – </aq>denken Sie, <aq>il semble</aq> (wie wenig sie
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mit dieser Empfindung prahlen will) <aq>il semble qu’on voudroit avoir eté cette femme et etre morte pp.</aq>
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<line tab="1"/>Kurz um gnädige Frau, ich werfe mich Ihnen zu Füssen, daß Sie mir dieses Heiligthum von Abdruck
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einer schönen Seele (wie wenig vermutet sie, ihren Brief in andern Händen zu sehen) wieder
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zukommen lassen, damit ich bey seiner Besitzerin kein Kirchenräuber werde. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sie schreibt alle ihre Briefe auf der Hand, grad wie sie ihr aus dem Herzen kommen,
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nun zählen Sie auf die Wahrheit der Ausdrücke <aq>ilest impossible de rendre</aq> und des <aq>j’y ai pleuré de bien <ul>bon coeur.</ul></aq>
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<page index="2"/>
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<line tab="1"/>Ich darf Ihnen nicht mehr Zeit wegnehmen gnädige Frau nur eines bitten will ich noch, bitten und
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betteln, Nachrichten von Ihrer Familie – und die Wölkgen die vor Ihrem Angesicht hängen werden
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balde zerteilt seyn. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Von mir darf ich nichts sagen, meine Reise nach Italien könnte durch die magnetischen Kräfte die
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meinen Reisegefährten an Strasburg heften, noch auf ein Jahr hinausgeschoben werden. Mittlerweile
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werden sich erschröckliche Nebelwolken vor meine Stirne lagern und ich Freunden und Feinden ein
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Ungeheuer scheinen bis Gott andere Zeiten schafft. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Entziehen Sie mir, ich mag Ihnen erscheinen wie ich wolle, wenigstens nachdem was ich gewesen bin,
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oder Ihnen anfangs schien, entziehen Sie mir, gnädige Frau den kleinen Funken gütiger Achtung,
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Nachsicht nicht, den mein guter Genius in Ihrem Herzen für mich erhalten wolle, der immer immer
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mein ganzes Glück ausmachen wird. Bedenken Sie, ich flehe, daß ich grosse lange Büssungen im
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Fegefeuer vor mir habe – vielleicht mehr <line type="empty"/>
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<align pos="right">Lenz.</align><line type="break"/>
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Strbg d 28sten 10br 1775<line type="empty"/>
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<page index="3"/>
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<line tab="1"/>Haben Sie die Gütigkeit Ihre mir unschätzbare Zuschriften künftighin immer unter folgender Adresse
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an mich kommen zu lassen <line type="empty"/>
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<aq>A Messieurs Meuille et Perrin<line type="break"/>
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Marchands trés renommés<line type="break"/>
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pour rendre a Mr. Lenz<line type="break"/>
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a Kehl</aq>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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An die Frau<line type="break"/>
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Geheimde-Räthin von <ul>La Roche</ul><line type="break"/>
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in Coblenz.<!-- französischer Brief --></letterText>
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<letterText letter="93"><align pos="right">G. den 2. Jenner. 76.</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mein erster Brief in diesem Jahre ist an Sie, liebster Lenz. Ich habe keinen Posttag versäumen wollen,
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Ihnen die Ankunft Ihrer Algierer zu melden und die versprochenen 4. Louisd’or zu schicken. Zwar hab’
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||
ich noch keine Antwort von Seyler, aber ich bin gewiß, daß er mir für den Händel Dank wißen wird.
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||
Was ich sonst noch mit dem Stücke bey dem hiesigen oder Hamburger Theater erwuchern kann, sollen
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Sie ohne Verzug haben; alles mit dem gehörigen Anstand und Dekorum. Deshalb können Sie außer
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Sorge seyn. Übrigens seh’ ich aber nicht recht ein, warum wir Schriftsteller, da wir von dem
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Publikum überhaupt so wenig Belohnung zu hoffen haben, mit den Theaterdirektoren Komplimente
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machen oder vielmehr uns eines Händels schämen sollen, der in der ganzen Welt eingeführt ist.
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Doch wer hierunter Delikateße hat, muß geschonet werden. Goethe war vorige Woche hier; aber wie kurz!
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Er kam nach Mitternacht auf der Redoute an, brachte den folgenden Tag bey Hofe zu und reiste sodann
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mit der Weimarischen Herrschaft wieder zurück. Ich hab’ ihn in allem kaum eine Viertelstunde gesprochen.
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Er weiß noch nicht, wie lang er in Weymar bleiben wird, wo er den Günstling in bester Form und Ordnung
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spielt und den ihm eignen vertraulichen, nachlässigen, hingeworfnen Ton überall eingeführt hat.
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Ich muß ehestens hinüber, um mich selbst von dem Fuß zu über<page index="2"/>zeugen, auf welchem er mit
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Wiel. steht. Was man davon hier erzählt, ist nicht zum Vortheil des leztem. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mein Urtheil über die Algierer? Noch kann ich nichts, als sie loben. Zum urtheilen muß ich erst ein
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wenig kälter werden. Wenn dieses Stück keine Würkung thut, so geb’ ich mich nie wieder mit
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theatralischer Nativitätstellung ab. Solch ein warmes, ungetheiltes Intereße! Solche gedrängte
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Handlung! Solche Einfalt in Gang und Sprache! – Mich dünkt ich höre schon Ekhof Alonzo. – Daß ich,
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durch Hülfe eines Mittlern Vorhangs die Akte zusammengerückt und aus fünf, 3. gemacht, auch
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||
ein paar Ausdrücke gelindert habe, werden Sie mir verzeihen. Und dann einen einzigen Einwurf.
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Pietro ist seinem Vater ungefähr in seinem zehnten, zwölften Jahr entrissen worden. Sollt’ er
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sich so sehr verändert haben, daß Alonzo nicht die geringste Spur von Ahnlichkeit mehr fände –
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und wenn das wäre, auch der Vater? – Pietro hört sich von seinem Vater nennen und sein Herr sollte
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diese bekannte Stimme nicht wieder erkennen? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/><ul>Meine</ul> theatralischen Sachen lohnen des Postgelds nicht, sonst schickt’ ich sie Ihnen mit Vergnügen;
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aber sobald sich eine Gelegenheit zeigt, solls geschehen. Das Beste darunter ist noch nicht gedruckt;
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der <ul>Jahrmarkt,</ul> eine Operette und <ul>Mariane,</ul> ein bürgerliches Trauerspiel, nach der Melanie des Ia Harpe,
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aber so umgearbeitet, daß ich es <page index="3"/> so gut mein nennen kann, als Racine seine aus dem
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Euripides gestohlnen Tragödien. Ich weiß selbst nicht, warum <insertion pos="top">ich</insertion> es noch nicht über mich gewinnen
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kann, nach eignem Plane zu arbeiten. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ihre Anmerkungen wegen des von den beyden Freunden zu beobachtenden Spiels sind vortreflich
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und ich werde sie gehörigen Orts mittheilen.<line type="empty"/>
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Empfehlen Sie mich den beiden Hhn. Salzmann u. H. Michaelis, wenn sie ihn sehen. <line type="empty"/>
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Mein Freund Sulzer ist auf einer Reise ins Hannöverische, um die Beschaffenheit der dortigen
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Viehseuche zu untersuchen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Und meine Schwester in Lion – bald hätt’ ich Ihre ver<note>Textverlust</note>liche Nachfrage nicht beantwortet –
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befindet sich wo<note>Textverlust</note> wünscht aber sehnlich, künftiges Frühja<note>Textverlust</note> land
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zurückzukommen. Es wäre freylich <note>Textverlust</note> ich ihr bis Straßburg entgegen reisen kön<note>Textverlust</note>
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Die Stollberge sind schon vor einigen Woch<note>Textverlust</note> gereist und haben sich nur zwey Tage
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||
a<note>Textverlust</note> Fahren Sie fort mein Freund und von der Red<note>Textverlust</note> meines Herzens überzeugt zu
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seyn! Der Himmel laß es Ihnen sowohl gehen, als es Ihnen wünscht <line type="empty"/>
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<align pos="right">Ihr G.</align> <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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An Herrn<line type="break"/>
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Herrn <ul>Lenz</ul><line type="break"/>
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mit 4. Louis’dor<line type="break"/>
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in <ul>Strasbourg.</ul><line type="break"/>
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abzugeben bey Jngfer <ul>Lutte</ul> in der Knoblochsgaße.</letterText>
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<letterText letter="94"><align pos="right">D. 2ten Jenner 76. Strabg</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich kann denen Leuten die meinem Herzen am nächsten sind am wenigsten sagen. Wir steuren
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vielleicht auf einer See unter dem nehmlichen Winde nach einem Ziel. Lassen Sie uns nie vergessen
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wenn Dunkelheit weit um uns her auf dem grossen Ocean liegt, daß wir uns lieben, wenn wirs uns
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schon nicht sagen können und alles für einander zu thun und zu leiden entschlossen sind. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Daß einmal Schönheit an Höfen aufgehe, wenn der rasende Sturm sich gelegt hat, der itzt durch die
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schwüle Mittagshitze zusammengezogen wird. Innere wesentliche ewige Schönheit deren Reitz nicht
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veraltet. <line type="empty"/>
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<align pos="center">Lenz.</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>ich höre Sie arbeiten an einem Trauerspiel etwa auch Pastoral? Oder aus der Welt? Oder aus der
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Geschichte? – Was es wolle, daß Sie nur unterstützt würden und ich mehr als Fauler seyn könnte
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dürfte der über seinen Wünschen stirbt. So aber da ich selbst in Ihrem Fall bin, fremd und ganz ohne
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Zuflucht hier ausser der in mir selbst – Courage!</letterText>
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<letterText letter="95"><line tab="1"/>Lieber Bruder ich trag etwas im Sinn das ich Dir sagen will und wozu ich all Deine Liebe und
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Theilnehmung auffordre mir beyzustehn! Ich habe Bedürfniss nach einem Stück dramatischer Poesie,
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das ich ganz nach meinen Ideen und Phantasien voll und prächtig componieren mögte. Und lass Dir jezt
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klagen liebster Junge daß unter dem hellen Haufen gedrukten Wesens nicht ein Blatt für mich ist! Da bin ich
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drauf gefallen mich an Dich zu wenden und Dir mit allem trauen und wähnen die Grille zu entdecken, ob Du
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was machen willst. Es wär ein schönes Ding drum wann Du mir und Dir und allen die Du liebst, so was gäbst und
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ich drinn auch das treiben meines Geists da abreiben könnte. Ich mag für diessmal nicht lang von reden, denn
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alles beruht nur für erst darauf ob ich Dir so was zumuthen darf und wie sich Dein inneres darzu geberdet wann
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Du’s überdenkst. Es b<note>Textverlust</note> nicht Cantate nicht Lied nicht <note>Textverlust</note>rium und all das Ge<note>Textverlust</note>
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solte würkliche <aq>Opera</aq> <note>Textverlust</note> <aq>Drame heroique</aq> der <note>Textverlust</note> Fühle hier meinen <note>Textverlust</note>
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fürchte mich nicht mehr z<note>Textverlust</note> wie ihr Leute seyd <note>Textverlust</note> was das heißt: <note>Textverlust</note> <line type="empty"/>
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<page index="2"/>
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<line tab="1"/>Vielleicht begegnet Dein Geist hier unmittelbar dem meinen und Du verstehst mich dann gleich. Könt
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ich Dir so sagen wie das doch Verdruss ist wann man so was braucht und nichts hat. Siehe das schöne
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heroisch, simple, verliebte Zeitalter der Griechen, und was so ein Süjet da heruasgenommen für liebe
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Reize darböte – Ich will nur schweigen! Bitte Dich antworte mir gleich auf meine Idee und lass es gut
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aus fallen. Wilst Du Dich mit einlassen so reden mehr, und wilst Du noch etwas weiter fragen wie ichs
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für die Macht der Darstellung der Musik am besten halte – so rede und ich antworte. Nur schlag mir
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wenigstens den Zunder nicht aus der so gut gefangen hat, und lass es dann während so langs will biss
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Feuer gibt. Adieu. Adieu. <line type="empty"/>
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<align pos="right">K.</align></letterText>
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<letterText letter="96"><align pos="center">Göttingen. Den 10ten Januar. 1776.</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wie soll ich Ihnen meinen Dank sagen für Ihre vortrefliche Erzählung, mein liebster Lenz!
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vortreflicher, als ich noch eine in unsrer Sprache kenne, und die, durch Ihre Freundschaft, in mein
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Museum! Ich habe das erste Stück noch nicht, und weiß nicht eigentlich, was darin steht. Da ich mehr
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||
Mspt schicken mußte, als hineingeht, fürcht’ ich hat der Verleger aus eigner Bewegung was ausgelaßen,
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was nicht ausgelaßen werden sollte. Ich habe ihm heut Ihren Zerbin zugeschickt, und er kömmt ins
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zweyte Stück. Aber, um des Himmels willen, Freund, laßen Sie sich nicht merken, was ich Ihnen schicke.
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Ich kann keinem andern das geben, oder ich bin verloren mit dem ganzen Unternehmen, von dem ich mir
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jetzt selbst schon was zu versprechen anfange. Dank für die schönen Aussichten, die auch Sie mir machen.
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Freylich kenn und schätz ich Herrn Bleßig. Er hatte schon hier, so viel ich weiß, die Idee, von der
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||
Sie mir schreiben, und es soll mir sehr willkommen seyn, wenn er die Ausführung ins Museum geben will.
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Grüßen Sie ihn. Ich freue mich, daß sie einander kennen. Ein herrlicher Einfall mit Ihrer Gesellschaft
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von Freunden der Litteratur! Ich werde, wo ich hinkomme, auch eine zu veranlaßen suchen, wenn ich
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gleich solche Aussichten nicht vor mir habe, wie Sie. Es ist fast entschieden, daß ich nach
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Hannoverunter recht guten Bedingungen komme. Indeß bleib ich noch diesen Monat hier. Sehr viel hab ich,
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bey meinem lezten Aufenthalt, mit Zimmermann von Ihnen gesprochen. Wo sehen wir uns einmal? Ich
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||
brenne vor Begierde, Sie persönlich kennen zu lernen. Sagen Sie mir Ihre Aussichten. Werden Sie
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je eine Bedienung suchen. Und von welcher Art? Daß das, was Sie mir lezt schrieben, bey mir bleibt,
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versteht sich von selbst … Ist Pfeffel in Colmar auch unter ihnen? Schloßer hat mir neulich durch
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Prof. Meiners, mit dem er in Kor<page index="2"/>respondenz steht, etwas Neues versprechen laßen, welches ich mit
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Begierde erwarte. Nun Göthe sich mit W. verbunden, darf ich mir von ihm nichts versprechen. Voß schickt
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mir eben einen Almanach für Sie. Ob Sie damit zufrieden seyn werden, daß er Sie unter dem Epigram
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genannt, weiß ich nicht. Ich bin nicht Schuld daran. Da es nicht mehr Postgeld macht, und ich das Geld
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desto bequemer beypacken kann, schließ ich das Paket an Pfeffel bey, und bitte, es gütigst zu besorgen.
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Sie werden sich über die Nachricht freuen, daß Gerstenberg endlich aus seinem litterarischen Schlaf
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aufwacht, und daß wir diesen Sommer ein paar Bände Schriften, so viel ich weiß ungedruckte, von ihm zu
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||
erwarten haben. Es ist eine Oper darunter. Wißen Sie etwas von einem jungen Genie, das in Kostnitz
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aufgewacht seyn soll, und von dem mir Zimmermann sehr viel erzählt hat? Von Klopstock bekommen wir
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Ostern eine deutsche Grammatik. Wie weit es mit dem zweyten Theil der G. R. ist, weiß ich nicht. Ein Versuch
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über die Biegsamkeit unsrer Sprache, den ich daraus gelesen, war herrlich. K. hatte darin Stellen aus
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den besten Griechen und Lateinern, jede in ihrem eignen Ton, übersetzt. Eine vollkommere Uebersezung
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ist vielleicht nicht, als die von dem berühmten Briefe des Brutus an den Oktavius. Wie gefallen Ihnen
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Voßens Idyllen? Er macht izt neue. Und Stolbergs Felsenstrom im Alm? Sein Meisterstück nach meinem
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Gefühle! Wißen Sie, daß Claudius eine Bedienung im Darmstädtischen bekommt? Ich erwart ihn nächstens hier.
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Die Stolberge sind izt wieder auf ihrer Reise nach Dänemark. Die armen Kammerherrn in der Antichambre!
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Wenn das erste Stück des Museums in <page index="3"/> Ihre Hände kömmt, sagen Sie mir Ihre Gedanken. Anbey folgt
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der Schulmeister zurück. Ich hätte gern das Original als ein Andenken von Ihrer Hand behalten, und hab’s
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abschreiben laßen. Wenn die Abschrift leserlich ist, schick ich Ihnen die. Leben Sie wohl, und bleiben Sie
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mir gut. Ohne Falsch, <insertion pos="top">ohne</insertion> alle Nebenabsicht der Ihrige Boie. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Von den W. noch keine Nachricht. Wüßt ich, daß sie bald kämen, hätt ich das Packet bis dahin
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aufgehalten, um Postgeld zu ersparen. Wenn Sie doch solcher Erzählungen, wie Zerbin, noch mehr
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machten! Auch den Anschluß an Hn. Schneider bitte zu besorgen. Ich habe keine Dukaten, und hoffe,
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Sie werden auch die L. brauchen können. 4 <aq>Louisd.</aq> machen 7 Duk.</letterText>
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<letterText letter="97"><line tab="1"/>Ich schreibe Dir, lieber <it>Lenz,</it> dießmahl in einer wunderlichen Verfassung Ich habe da ein anderthalb
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Hundert Bürger um mich deren Wohlfart ich besorgen soll; und die doch selten selbst wissen was ihre
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Wohlfart ist – doch wer weis es? warlich, lieber Freund, es ist sehr schwehr, es ist fast unmöglich in
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der Welt Leute glücklich zu machen, die so in tausend und tausend Verhältnisse verwickelt sind, so in und ausser
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sich immer zu kämpfen haben, daß sie alle 2 Schritte anstoßen. Auch ist wirklich das Gebäude von menschlicher
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Mühseeligkeit so zusammen gesetzt daß an dieser dädalischen Maschine alle Augenblicke etwas fehlen muß. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Doch in der That, mein Lieber, wenn ich mir recht auf den Puls fühle, so ist der gröste Defect an
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Glückseeligkeit meiner und ich glaube auch wohl aller Menschen negatif. Es ist nicht so viel Schmerz
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und Leiden, als vielmehr Oede an herzrührenden herzfühlenden Freuden, das uns drückt. Daher
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kommt das Gähnen – die größte Quaal des Lebens, das Jagen nach falscher Glückseeligkeit oder Freude, das
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Haschen nach Ehre, der Durst der Eitelkeit, das Koketiren des Mädchens, des Dichters, des Autors, und die
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tausend Schmetterlinge nach denen wir immer greifen, und die uns nie gnügen, wenn wir sie haben. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Und woher dünkt Dich kommt das? Meinst Du daß es an Armut der Welt, oder glaubst Du daß es an
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Schlaffheit der Mode liegt? Sterben wir aus <aq>inedia</aq> oder <aq>ex fame</aq>? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mich dünkt es fehlt mehr an uns als an der Welt. Die Freuden der Liebe, der Freundschaft, des ächten
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Wohlthuns, des Lebens mit Gott, die Freude des Künstlers an Ton, an Farbe, an Gestalt, sollte uns das
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nicht überzeugen daß die Welt reich genug ist und daß nur wir zu schwache Magen haben. – Und ist’s
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nicht blos die Erziehung die uns diese geschwächt hat? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich bin einmal in der Meinung daß kein Philister gebohren wird. In allen sind einige Nerven vorzüglich
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gespannt, die durch die Erziehung so vest und sicher gestimmt werden können, daß die seelige
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Vibration nie fehlen kann, wir mögen uns in der Welt hinwenden wohin wir wollen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Leb wohl! Der Augenblick den ich während des Schreibens des Actuarii erwischte, ist vorbey! – Ich
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küsse Dich herzlich! <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Du schreibst mir nichts von den Büchern die ich verlangte: Herodot, Diod. Sic. und Plutarch. Kannst
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Du sie nicht haben – <it>Lindau</it> ist ein Stockfisch. Ich habe ihm keinen Auftrag gegeben. Er soll sich besser
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erklären. Adieu. <line type="empty"/>
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Schlosser. <line type="empty"/>
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Auf dem <it>Emmendinger</it> Rathhaus, den 13 Jänner 1776, Abends 7 Uhr.</letterText>
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<letterText letter="98">Hochgeehrtester Herr!<line type="break"/>
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Hier die Offenbarung Johannis von Lavater – an <aq>Herder.</aq> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/><aq>Lavater</aq> grüßt Sie herzlich – hat nicht Zeit zu schreiben. Bittet Sie die Offenbarung, so bald möglich an
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<aq>Herder</aq> durch Hrn. Geheimen Rath <aq>Heß</aq> in Darmstadt – zu überschicken – nebst <aq>Stollberg</aq> – eins vor Sie
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samt <aq>Passavant</aq> und <aq>Pfenninger.</aq> Leben Sie wol. Ihr ergebener Diener bey <line type="empty"/>
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<aq>Johann Caspar Lavater.</aq><line type="break"/>
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befindt sich sehr wol. <line type="empty"/>
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Zürich. d. 14. Jan. 76. <line type="empty"/>
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<note>Adresse</note>
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An Hrn. <aq>Lenz</aq></letterText>
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<letterText letter="99"><align pos="right">Den 14ten Jenner</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich danke Ihnen mit ganzem Herzen, Bester! für die freundschaftliche Mühwaltung die Sie sich haben
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geben wollen, meinen Seeräuber in die Hosen zu bringen. Ich habe die Vier alte Louisdor richtig
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erhalten, für die mein Dank zurückkommt. Lassen Sie mir meine Gefühlsart (so übersetz ich
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Delikatesse) das mehrere was Sie dafür von den Schauspielern erhalten können, mehr um Sie nicht zu
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verwöhnen, als um zu gewinnen, Ihnen mein bester Freund zu Ihrem selbstbeliebigen anderweitigen
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Gebrauch anzubieten. Ich bin zufrieden mit dem was man mir freywillig gab. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Da Sie doch einmal so freundlich sind und sich mit dem Buben zu thun geben wollen, so bitte ich Hn.
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Seiler oder wem Sie ihn anvertrauen auch noch folgende kleine Einschiebsel in den Dialog
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zuzusenden, die das Ganze überschaulicher machen und vielleicht manche kleine Hindernisse an die
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sich die Täuschung stieß, wegräumen werden. Etwa in der <page index="2"/> ersten Szene ersten Akts, sobald
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Alonzo Marianen den Anschlag entdeckt hat, den er mit dem Sklaven hat (wie die Stelle heißt kann
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ich mir nicht mehr erinnern) könnte der antworten, eh er ihm noch den Glückwunsch thut <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">
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Meine Adresse ist an Hn Lenz, abzugeben bey Hn. Miville Vater und Sohn in Kehl.</sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/><ul>Mar.</ul> Wie aber wenn Sie alles dies nicht nöthig hätten und Ihr Sohn etwa gar mit unter den Sklaven
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wäre, die der Ritter Ackton eingebracht hat<line type="break"/>
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<ul>Alonzo</ul> Er würde mich sogleich aufgesucht haben<line type="break"/>
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<ul>Mar.</ul> Er vermuthet Sie aber noch in Barcellona<line type="break"/>
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<ul>Alonzo</ul> Würd’ ihm denn da nicht mein alter Freund Ramiro Nachricht von mir gegeben haben? –
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Hören Sie, er ist Ihr Correspondent, Sie könnten allenfalls doch, wenn Sie an ihn oder jemand anders
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in Barcellona schrieben, <del>allenfalls</del> Nachfrage thun. Sie erwiesen mir einen Dienst dadurch. – Doch was
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wollen wir uns mit Schimären den Kopf zerbrechen. Ich weiß daß sein Herr ihn nicht von sich läßt,
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wie sollte er denn jemals in Spanierhände gerathen? So aber bekomm’ ich ihn wieder und wenn er in
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Beelzebubs Klauen steckte. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>wenn es gedruckt wird bitt ich mir einige Exemplare für meine Freunde aus – ich wäre sehr begierig
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von einem nicht schonenden Freunde die Wirkung zu erfahren, die das Stück auf dem Theater thut.
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Es könnte vielleicht mir Gelegenheit geben Ihnen etwas anders zuzuschicken, daß sonst kein Mensch
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auf der Welt würde zu sehen bekommen haben. ich bin entsetzlich fürs <ul>gespielt werden</ul> wenn es
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unbeschadet anderer Sachen seyn kann.</sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Und weiter unten etwa in der zweyten Scene zweyten Ackts, wo die Verwechslung der Kleider <page index="3"/>
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geschieht, als Osmann Pietro fragt: Und was soll aus dir werden? und dieser antwortet: Kümmerts
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mich doch nicht„ – könnte er frostig lachend hinzusetzen, „ich hab’ ja auch noch Verwandte in
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Spanien die ich aufsuchen kann wenns aufs höchste kommt“ <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sie sehen daß dies die Folgen von Ihren Anmerkungen sind, für die ich Ihnen herzlichst danke. <del>Doch</del>
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Man arbeitet bisweilen so flüchtig weg, ohne sich genug umzusehen nach Lesern und Zuschauern
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und nach ihren Ideefolgen. Doch fällt Ihre Beschuldigung Plautussen unendlich mehr zur Last als mir,
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der <insertion pos="top">ich</insertion> durch die Veränderung des Au<note>textverlust</note>halts des alten Alonzo, durch die lange Zeit des
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Ausbleibens, durch die türkische Kleidung, am meisten aber durch den alle andere Erinnerungen
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verschlingenden Enthusiasmus der Freundschaft in der Seele Pietros (wohin auch die Aufschrift des Stücks
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weiset) allen Störungen der Illusion wie mich deucht itzt wohl hinlänglich ausgebeugt habe. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Für die Nachrichten von Goethen, Wieland, danke ich zärtlichst. Die von Ihnen bitte aber sobald es
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seyn kann mit Urkunden zu belegen, damit ich sie hier meinen Freunden mittheilen kann. Fahren Sie
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fort mir Ihren schätzbaren Briefwechsel zu gönnen, und von Zeit zu Zeit was von Ihrer Fräulein
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Schwester was einzumischen die ich dem leichtsinnigen Gallien mißgönne. Ich lebe hier ziemlich wohl
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und <ul>ausgebreitet,</ul> nur muß ich alles was mich etwas preßt sehr sorgfältig verstecken. Meine <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>Situation ist eine der wunderbarsten die ich mir jemals hätte können träumen lassen. <ul>Soviel</ul>
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gesellschaftliche Freunde und keinen fürs Bedürfniß. Und beydes nimmt nach dem Maaß zu nach
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dem ich hier bekannter werde. – Es wird Ihnen nicht besser gehn nur daß die Stadt so groß nicht ist.</sidenote> <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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Herrn<line type="break"/>
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Herrn <ul>Gotter</ul><line type="break"/>
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Archivarius<line type="break"/>
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in Gotha.</letterText>
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<letterText letter="100"><line tab="1"/>Daß ich Deinem Peter viel sagen könnte ist wahr. Daß ich von ganzem Herzen gern seinem Genie den
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ersten Stoß und die erste Richtung geben, ihn bey seinem Eintritt in das was <ul>man WeIt</ul> nennt
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begleiten, die neuen Gegenstände die er sehen wird all in ihrem wahren Licht weisen und mit allen
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den Muth herunterspannenden Gefahren die auf ihn warten bekannt machen möchte, ist auch wahr,
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denn es wäre Schade wenn ein Mensch wie der durch Gesichter die nicht denken wie er jemals heruntergespannt oder
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gleich im Anfange seiner Laufbahn für immer gelähmt würde <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Aber nun die Kosten lieber Lindau! die Kosten. Ihr seyd nicht reich, ich bin ein Bettler Apostolisch zu
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reisen leidet die Jahrszeit nicht. Ich muß hier hundert Bändergen zerhauen die ich nachher schwer
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wieder anknüpfen kann. <page index="2"/> Doch <ul>kann ich sie</ul> anknüpfen und an eine Entschädigung will ich
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nicht denken, nur freye Reisekosten hin und zurück, freyer Aufenthalt in Weymar und Cassel sind
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Sachen die ich verlangen muß. Den Hof zu Weymar zu sehen, der jetzt ein Zusammenfluß der schönen Geister
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in Deutschland wie der Medicis ehemals in Florenz wird, wäre mir freylich mit eine große Belohnung
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für die Beschwerlichkeiten der Reise. Also rechnet nun nach dem Postkalender die Meilen, rechnet
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die Tage unsers Aufenthalts, rechnet die Rückreise, ein zwölf Louisdor werdt Ihr müssen in die Hand
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nehmen, von Ernmedingen nichts zu sagen und dem Umweg auch darüber. <line type="empty"/>
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<page index="3"/>
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<line tab="1"/>Ihr geht also sicher nach Amerika. Auch darüber hätt ich viel mit euch zu reden. NB. das läßt sich nur
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reden. Wenn ihr nach Amerika geht, müßt Ihr nicht <ul>umsonst dagewesen</ul> seyn, so wenig als euer Peter
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der euch in allem unterstützen wird. Mein Rath soll Euch bis dahin begleiten <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Kennt Ihr Gaudi Anweisung für Offiziers von der Infanterie Feldschanzen anzulegen p. Schafft euch
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das an, es kann euch brauchbar seyn und ist nicht schwer. Hier ists nicht zu h<note>Textverlust</note> sonst
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schickt’ ichs euch. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Meldt mir wenigstens was aus eurem Projekt und aus eurem Peter wird und wenn ihr nach Weymar
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kommt, grüßt Goethen. Ists wahr daß er ganz dableibt? Sagt ihm ich könnte ihm noch nicht schreiben.
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Ihn mündlich zu sprechen wünschte sehr. Auch soll er Wieland grüssen von mir. <line type="empty"/>
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<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
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Seinen Egmond habe noch nicht bekommen. <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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<aq>A Monsieur
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Monsieur Henri Jules<line type="break"/>
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de <ul>Lindau,</ul> chez Monsieur<line type="break"/>
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Logis Inspecteur des églises<line type="break"/>
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françoises de la Hesse<line type="break"/>
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á Cassel.</aq></letterText>
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<letterText letter="101"><line tab="1"/>Lieber Bruder! ich bin in grausamer Beklemmung. Es ist die Frage ob ich v lieben darf. Sie ist diesen
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Morgen so mächtig in meinem Herzen worden daß sie mir das innere Leben meines Geistes
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anzugreiffen drohte. Ich fragte mich ist es nicht Eitelkeit, Eigennutz oder noch was schlimmers was in deinem
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Herzen dies unheilige Feuer angezündet hat – warum willst Du der ganzen Welt und allem was darinn auf Liebe
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Anspruch macht Unrecht thun. Die innenwendige Moralische Schraubenbewegung ward aufs höchste getrieben –
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ich lag auf der Folter. Gott der Gedanke in dem ich eben Trost meines Lebens fand – dieser einzige Gedanke
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Sünde. Etwas für sie zu thun – Du weißt daß dies noch das einzige war das mich an dies Leben band. Denn für
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andre glaub ich auch nach dem Tode wirken zu können. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich bin wieder hergestellt. Die Ungewißheit konnte nicht dauern und gottlob der unsre Seelen so
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eingerichtet hat. Einem Leiden von der Art wenn es anhielt wär auf der Welt nichts zu vergleichen
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und endliche Kräfte zu schwach dafür <page index="2"/> Ich bin nicht gehalten etwas zu lieben, das nicht einen
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mir fühlbaren Werth hat. Und das was ich bis auf den Grad meiner Geliebten lieben darf muß einen Werth
|
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haben, der sich auf mich bezieht. Sonst müst ich die ganze Welt heurathen. Ich bin also fest entschlossen
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meine heilige Grille sie mit keinem Geschöpf auszutauschen in den Sarg mitzunehmen – sag mir drüber
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was Du willst. Denn ihren Werth kann und wird sie hoffe ich nicht verlieren u. wohl mir wenn sie mich
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nie liebt als nach Beziehung des Meinigen auf sie. <line type="empty"/>
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L <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Was ihr Werth in Beziehung auf mich ist? – Alles. Ich behalte keinen Werth übrig wenn ich den ihrigen
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zu lieben aufhöre. Meine Existenz ist vergeblich. Ich handelte für sie – sie allein ist und kann
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zuverlässige Richterin meiner Handlungen seyn und wer mein Verhältniß zu ihr versteht. Ob sie es
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seyn wird ist die Frage nicht.</letterText>
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<letterText letter="102">Mein bester Lavater! <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Eben habe ich ein paar Seiten in Deiner Gastpredigt gelesen Auch ich hoffe ich baue auf dem Grunde
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in welchem Jesus Christus der Eckstein ist. Alle Verschiedenheiten aber wird und muß Gott einigen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich habe Lindau an mein Herz gedrückt. Er ist viel besser zurückgekommen als er hinreiste und sein
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Herz fühlt sehr sehr dankbar gegen Dich. Könnt ich Dir nur mehrere zur Kur zusenden – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Hier hast Du eine Layenepistel von Schlossern, hast Du einen ruhigen Augenblick so ließ sie und sag
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mir wie sie Dir gefallen hat. Ich muß sie wieder haben weil sie weiter geht. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Goethe hat mir ein Zettelgen aus Weimar geschrieben und ist sehr zufrieden mit Wielanden. Bindet
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mir auch ein, ich soll ihn ungeschoren lassen. – Er hat mich auf meinen Posten nicht hingestellt, und
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ich kann nicht wider meine <aq>Consigne</aq> handeln, was auch Freund und Feind dazu sagen mag. Soviel
|
||
weiß ich aber daß Wiel. mein Freund werden wird wenn alles unter uns abgethan ist. Nur das letzte
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Wort darf ich ihn nicht behalten lassen, weil es nicht meine Sache ist die ich treibe. Sobald der Streit
|
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nur mich <page index="2"/> angeht, werd’ ich zu schweigen wissen. Das kannst Du allenfalls auch Wiel.
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selber sagen und ihm das Schwert gegen mich in die Hand weyhen. Nur schone er was heilig ist unter
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<ul>Göttern</ul> und <ul>Menschen,</ul> ich will nicht geschonet seyn. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Lavater! möchtest Du ein Bild in Deine Physiognomik, mit dem Du das Ideal weiblicher
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Vollkommenheit ausgedruckt bekommst. Von einem erhabenen Stande, durch persöhnliche
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Eigenschaften unendlich weit über denselben erhaben, die Gelassenheit, die Bescheidenheit, die
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||
Aquieszenz in alles was die ihr gewiß innig vertraute Gottheit über sie verhängt – mit allem
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Feuer des ungewöhnlichsten erhabensten Genies, den scharfen Blick durch das Innerste aller Sachen,
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das Eigentümliche, das unumstößlich Feste, das Weitumfassende aller ihrer Urtheile, die Kenntniß
|
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der Welt die sich nicht allein auf die Denkungsart der Grossen deren Herzen sie alle wie in Händen
|
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hat, sondern bis auf das Fassungs- und Empfindungsvermögen des Allergeringsten ausdehnt, so daß
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||
alle ihre Befehle und Aufträge <page index="3"/> an ihre Untergebenen aus den Wünschen derselben hervorgeholt
|
||
scheinen, so daß sie eine Welt regieren könnte ohne daß sie es inne würde – alles dieses, alles
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alles – und mehr – willst Du sie – bethe – <line type="empty"/>
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||
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<line tab="1"/>Durch verborgene Wirkungen höherer Mächte muß sie dazu gebracht werden – denn es ist nicht
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falsche Bescheidenheit – es ist das zärteste Gefühl weiblicher Schüchternheit, das sie so gänzlich
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abgeneigt macht, irgend einem Menschlichen Anhalten ihren Schattenr<note>Textverlust</note> mitzutheilen.
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||
Gott welche Seele mahlt sich in dem Profile – welch ein Meisterstück von edler Erziehung unter den
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Grossen, mit alledem verbunden was ein unauslöschlicher Durst nach allem was vollkommen ist, was
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Kenntniß heißt und das Herz eröfnet, aus uns selber machen kann. Und denn alle die Hülfsmittel, die
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||
Constellation aller äußern Umstände – auf dem Lande gepflanzt, erzogen, an einem Hofe zur Reiffe
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gebracht und jetzt in seiner ganzen Liebenswürdigkeit vollendet um Tausend Elend und Einen zu
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einem Gott zu machen – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Verzeyh mir Lavater! die Romantische Sprache. lsts Idololatrie so kann sie mir Gott nicht zurechnen,
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es ist sein Geschöpf: sein Bild. In einem Jahr reis’ ich wohl nach Italien um alles das an den todten
|
||
Werken der Kunst zu vergessen zu suchen. Noch ist mein Reisegefährt zu sehr an Strasbg. geheftet. <line type="empty"/>
|
||
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<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
|
||
<line tab="1"/>Vorher komm ich aber gewiß noch zu Dir und lasse mich heilen, weyhen und stärken Ob zu Leben
|
||
oder Tod ist hier nicht nöthig zu fragen, Euripides sagt, vielleicht ist das Leben ein Tod und der Tod das
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Leben – Sey glücklich lieber Herzensforscher und antworte mir ob Du das Bild möchtest. Dein Glaube
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||
erzwingt Dirs gewiß. Immerweg und ewig Dein Lenz.</sidenote> <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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Herrn Herrn Joh. Casp. <ul>Lavater</ul><line type="break"/>
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Pfarrer am Waysenhause <ul>zu Zürich.</ul><line type="break"/>
|
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Durch einen Freund.</letterText>
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<letterText letter="103"><line tab="1"/>Hier haben Sie lieber Freund meine Aussöhnung mit Wielanden, die Sie sogleich Herrn Hellwing in
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Lemgo zuschicken werden, sie an die Wolken andrucken zu lassen. Sie ist zwar ein wenig
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Normännisch, wird aber wie ich hoffe zu seiner wahren Beruhigung mehr beytragen, als tausend
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leere Lobeserhebungen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Die beyden Sachen gehören ganz nothwendig zusammen, eins steht und fällt mit dem andern und ich
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habe bloß <insertion pos="top">darum</insertion> damit bisher zurückgehalten um einige Nachrichten aus dem Publikum
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einzuziehen <line type="empty"/>
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||
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<line tab="1"/>Hier ist auch etwas von Schlossern für Ihre Sammlung das Ihnen gewiß Vergnügen machen wird. Sie
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||
dürfen das Geld dafür mit dem dem für dem ersten Mskpt. Sobald Sie es bequemlichst thun können,
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||
ihm unmittelbar nach Emmedingen zu schicken. Darüber aber ist er ein wenig empfindlich gewesen, daß
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||
Sie seinem ausdrüklichen Verbot zuwieder, seinen Namen bekannt gemacht und ihn so mit Wielanden
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über den Fuß spannen. Von diesem können Sie ihn immer als Verfasser nennen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Aus unserer Gesellschaft die täglich anwächst, kann ich Ihnen mit der Zeit einige <ul>sehr artige</ul> Sachen
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||
mittheilen. Verschiedene Professoren unserer Akademie haben sich zu uns gethan von denen wir
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||
auch allerley hoffen. Herr Blessig schreibt hier an einem Strasburger Wochenblatt, <ul>der Bürgerfreund,</ul>
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||
das aber ganz und gar <ul>lokal</ul> ist. Auch ich schreibe hinein. Aber wie Sie sich wohl vorstellen
|
||
können, alles <aq>ad captum</aq> unserer Leute. Indessen wollen wir hoffe ich andern Schriftstellern dadurch
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||
Feld bearbeiten. Leben Sie wohl u. antworten Ihrem <line type="empty"/>
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<align pos="right">L.</align> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>Das Soliloquium des Wetterhahn könnte füglich wegbleiben. Es ist <ul>zu</ul> schmutzig. Sorgen Sie doch
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dafür bester! <ul>Wenigstens muß er in Kleidern</ul> am Tisch sitzen. es wäre mir <ul>aber sehr lieb</ul>wenns ganz
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wegbliebe. <aq>verte</aq></sidenote> <line type="empty"/>
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<page index="2"/>
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<align pos="right">Den 21sten Jenner</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Eben jetzt erhalte Nachrichten, daß Herr Leibarzt Zimmermann in Hannover bey jemand nachfragt,
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ob die Wolken von mir seyn. Sollte er sie gesehen haben? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Soeben läßt er mir durch seinen Sohn sagen, er habe ein Mskpt von mir in Händen, das er in Leipzig
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bey Reichen werde drucken lassen. – Sollten das etwa gar die Wolken selber seyn? – Es sey was es
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wolle so geben Sie mir Nachricht davon und wenn Sie etwa auf die Art der Freundschaft für Hn.
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Wieland eine Schmähschrift hätten unterdrücken wollen, <ul>die ihm soviel Ehre macht</ul> und mit der
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ich <ul>ganz andere</ul> Zwecke zu erreichen hoffe, als die Schriftstellerreputation eines Mannes herunterzusetzen
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von dessen wahrem Werth kein Mensch in Europa eine so anschauende und richtige Erkenntniß haben
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kann als ich – – so bedaure ich daß Sie meine wahren Absichten – meine Einsichten – und mein Herz – so
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mißkennet haben – und bitte mir beydes Pasquill – und Apologie – die wie gesagt beyde <ul>nothwendig</ul>
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waren, beyde ohneinander nicht <ul>bestehen konnten</ul> ungesäumtst wieder zurück. So ist eines der edelsten
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Anschläge meines Lebens über den Hauffen geworfen. <line type="empty"/>
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<page index="3"/>
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<line tab="1"/>– Das Packet mit den 10 Dukaten habe erhalten und danke ˕sehr˕ für die schleunige und
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freundschaftliche Bezahlung. Aber wie gesagt ein Dolchstich von der Hand des Freundes wäre mir
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angenehmer als Hintertreibung <ul>guter und edler</ul> Absichten – unter dem Schein sie zu befödern <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Doch wenn ich mich geirret habe so verzeyhen Sie! Oder sollte selbst im befürchteten Fall, Herr
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Leibarzt Zimmermann auch <ul>meiner Meynung</ul> # seyn – O welche Freude für einen Jüngling, die
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Stimme eines solchen Mannes gewonnen zu haben. – Sonst mach ich diesen ganzen Lärm nicht
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eben um der Männer willen; die über Lärmen dieser Art gewöhnlich hinauszuseyn pflegen. Wenn sie
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aber Söhne haben – Söhne in meinen Jahren – und in meinem Fall – Söhne für die ich alles
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das thue – <line type="empty"/>
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# und es ihm mit dem Druk in Leip. ein Ernst seyn <line type="empty"/>
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<align pos="center">L</align> <line type="empty"/>
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<align pos="right">Den 22sten</align><line type="break"/>
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<line tab="1"/>Wie gesagt, vor allen Dingen, wenn meine Furcht wahr ist, bitte mir die Apologie wieder. Sie ist meine
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einzige Schutzwehr, der einzige Schlüssel aller meiner Absichten, auf den ich alle meine Freunde die
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über diese Sache an mich geschrieben verwiesen. Bekomme ich sie nicht so bin ich in einer
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verzweiflungsvollen Lage – und das durch Freunde – denen ich mich ohne Zurückhaltung anvertraut – <line type="empty"/>
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<align pos="center">Lenz</align> <line type="empty"/>
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||
<page index="4"/>
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<line tab="1"/>Bester Freund wenn meine Furcht ungegründet ist, so verzeyhen Sie nochmals bitte ich, den
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Ausbrüchen meiner Leidenschaft. Mir ist an Endigung dieser Sache und an Aufklärung des
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Publikums über meine Gesinnungen und Handlungen gegen Wiel. alles alles gelegen. Um dieses
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Schrittes willen – that ich all meine bisherigen Schritte – dieser Schritt entscheidet von
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allen meinen künftigen. Ich kenne mein Publikum, ich habe es vorbereitet – ich habe die ganze
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Wirkung berechnet die das thun <ul>kann</ul> – thun soll und muß – und wenn nun am Ende der Unternehmug – –
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sich mir der Freund entgegen stellte und <ul>unter dem Schein</ul> mir zum Ziele zu helfen – ich kann
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den Gedanken nicht aushalten – entreissen Sie mich dieser gewaltsamen Gemüthsverfassung
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durch die geschwindigste Zurücksendung des unglücklichen Mansukripts das sodann freilich nicht
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in Freundshände hätte fallen sollen. <line type="empty"/>
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Viel lieber hätte ich Wiel. selber zugeschickt. Beruhigen Sie mich, ich beschwöre Sie <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Von Blessig und andern nächstens</sidenote></letterText>
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<letterText letter="104"><line tab="1"/>Liebster Lenz, Dank für Deine Herzens Brief, Deine Herzenssachen. Nur dieß: wie kann ich den
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Schatten verlangen? vielleicht, wenn Du mir die Person nennest – kann ich, darf ich an sie schreiben?
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Sag mir, was Du willst u: kannst. Dein Petrarch ist endlich fertig. Aber hinten am <ul>Bücher Catalog,</ul> ist
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zum toll lachen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Friz <ul>Stollberg</ul> (Porträte von beyden bekommst Du durch Emmerich!) ist Cammerherr in Weymar.
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Bravissimo. Wann kommst Du? Du – u: Zimmermann. Schloßers Epistel herrlich, göttlich … aber nicht
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ganz. Muß alles ungöttliche weg. Solche Sachen halb, sind sehr schädlich. Soviel dießmal. Adieü.
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Paßavant ist wol u: brav, und ich ein zertretner Wurm – <line type="empty"/>
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D 24. Jan: 76. <line type="empty"/>
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J. C. L.</letterText>
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<letterText letter="105"><line tab="1"/>Fast sollte selbst das Äusserliche dieses Briefes Ihnen das unterscheidende und wenn mein Blick nicht
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ganz trügt nicht eben Ihnen unangenehme meines Karackters vor Ihre Augen bringen. Der innigsten
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Verehrung der Schönheit und ihrer Priester fähig zwingt mich eben diese Leidenschaft die ich für sie
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trage und die im eigentlichsten Verstande die Leidenschaft des Liebhabers heissen kann eine meinem Gesicht
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wiedersprechende Maske, die Maske des kalten Philosophen vielleicht wohl gar des unorganisirten vorzunehmen um den
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zufälligen Schaden der durch zu grosse Sonnenhitze entsteht unwirksam zu machen um Ihnen m H. meine mir heilige
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Pflanzen den Boden zu säubern und einem neben dem andern Platz zu machen. Sie kennen sich zu sehr und Ihr Publikum
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zu wenig als daß Sie dieses Geschäft selber übernehmen könnten wenn jemand dazu tüchtig seyn konnte mußte ich es
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seyn dessen eigene kauderwelsche Gestalt ihn von aller Partheylichkeit und Eigennutz freyspricht. Glücklich möcht
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ich mein Vaterland gern sehen, glücklich durch Sie und Ihres gleichen – weh Ihnen wenn Sie das nicht auch wollen.
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Nur lassen Sie der Sie der Imagination alles absprechen sich nicht durch Ihre eigene zu schön gestimmte verleiten
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Gedichte die entzücken für Wahrheit zu halten, die nur wie sorgfältige Eltern mit Ernst und Strenge langsam und
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unmerklich beglücken kann und deren Dank nicht in dem Beyfall ihrer Zeitgenossen sondern im Beyfall ihres eignen
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Herzens liegt. Geben Sie uns den Dichter W. wieder den wir durch unglückliche äussere Verhältnisse vielleicht des
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Alters und einiger Ihrer Zeitgenossen verloren zu haben schienen und lassen Sie denen Philosophen die Sie zu
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schätzen und zu fühlen wissen Gerechtigkeit wiederfahren, wenn sie gleich oft die Leute für die keine andere Kur
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da ist lehren müssen <page index="2"/> auf allen Vieren zu gehen. Eben diese sind es die Ihnen Ihr Publikum machen und Sie
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sollten durch Ihre lucianische Gabe zu spotten nicht den Undank gegen sie soweit treiben daß er Ihnen am Ende selbst
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gefährlich wird. Einem Nervengebäu das nicht gespannt ist kann Cramer und Lolli Jahrhunderte lang vorgeigen. Das
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ist eine Frage ob ein heutiger Orfeus sich nicht lieber Höllenhunde und Furien zu Zuhörern wünschen wollte. Sie
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also der Sie soviel kaltes Blut haben, sehen Sie also einmal Ihren eigenen Werth und Ihr eigenes Interesse mit kaltem
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Blut an, setzen Sie sich in unsern Gesichtspunkt und fragen Sie nun nicht als Künstler sondern als Kunstliebhaber Ihr
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eigen Herz ob Sie nöthig haben zu Ihren aufgestellten Gemählden <line type="empty"/>
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<align pos="right"><aq>ultro emptorem adducere Pl. Poen.</aq></align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>ob Sie bey diesem Betragen nicht Ihnen Schaden gethan ob Sie denen nicht Verbindlichkeit haben die
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Sie dieser Mühe überheben und zugleich Ihre Zuschauer in den Gesichtspunkt stellen wo sie bloß mit
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der stärkeren Phantasey das schöne Ganze Ihrer Produktionen auff<note>fegen</note>assen nicht aber zu ihrem
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eigenen und der Kunst und des <dul>Geschmacks</dul> Verderben an einzelnen Theilen derselben hängen
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bleiben die nur durch die üble Anwendung die man davon macht gefährlich werden <line type="empty"/>
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Ihr Freund und Diener <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Daß das was ich Ihnen hier sage nicht blosse Prahlerey sond. schon vollführte Handlungen sind,
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werden Sie nun bald öffentlich erfahren. Und sollen es inskünftige noch besser erfahren wenn –</letterText>
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<letterText letter="106"><line tab="1"/>Bester L. es ist die Gräfin Waldner Tochter des Presidenten der Ritterschaft im Sündgau u: Elsaß eine
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der innigsten Freundinnen der Prinzeßin von Fürstenberg in Mümpelgard, an welchem Hof sie sich
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den vorigen Sommer aufgehalten u: den nächst Kommenden wieder hingehen wird. Du darfst nur
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einen Brf: an sie machen, u: mir schiken, ich kenne eine hiesige Freundin von ihr, die sie sondiert hat,
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Du wirst große Freude damit machen u: die Silhouette mit einer Antwort sogleich erhalten, die Dir
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schmeken wird. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wirst Du mich für den Helden Metromanie halten? Sey es – wenn ichs einem Freund wie Dich habe,
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muß ich ihm alles bis auf m: Thorheiten gestehen. Ich befinde mich sehr wohl dabey, wenn es eine ist:
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nur hoffe ich wirst Du niemand Gelegenheit geben darzu erfahren was ich mir selbst zu gestehen
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kaum das Herz habe. Wenigstens soll mich alles das zu Handlungen führen die mir u: Dir m: Freund
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Ehre machen werden, u: nach deren Vollführung ich ger<nr> </nr> gelebt haben will.</letterText>
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<letterText letter="107"><align pos="right">Kopenhagen d: 3ten Febr. 1776.</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich wollte daß ein Brief Ihnen sagen könnte, mein Freund! Wie sehr ich Sie liebe, u: so lebhaft es
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sagen könnte als ich es empfinde. Zwar hab ich Sie nur kurze Zeit gesehen, aber gleich liebte ich Sie
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herzlich, fand Sie gleich so wie ich mit Ahndung <nr><del> </del></nr> gehofft hatte sie zu finden. Seitdem hab ich viel
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gesehn, viel genossen, viel empfunden. Aber all das hat dem Eindruck welchen Sie auf mich machten
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im geringsten nichts von seiner Stärke genommen, ich fühle noch eben so lebhaft daß Ihre herzliche
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Freundschaft meinem Herzen ein Bedürfniß ist. <line type="empty"/>
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<page index="2"/>
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<line tab="1"/>Könnt ich doch einen Nachmittag nun mit Ihnen zubringen, es liegt mir auf dem Herzen daß Sie
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vielleicht es nicht <it>ganz</it> sehen wie sehr ich Sie liebe. Das möchte ich Ihnen mündlich sagen. Auch
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möchte ich mit Ihnen schwatzen vom GottesLande Schweiz u: vom Gottes Manne Lavater. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>In Deutschland ist mir in Weymar vorzüglich wohl worden. Der Herzog ist ein herrlicher Junge, beide
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Herzoginen, Mutter u: Frau, sind zween Engel. Unser lieber Wolf lebt dort herrlich u: in Freuden, weil
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von allen geliebt, ist sogar ein Herzens-Freund von Wieland. <line type="empty"/>
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<page index="3"/>
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<line tab="1"/>Ich hätte wohl die erste Umarmung sehen mögen, mir kamen sie zuweilen vor wie der Herkules in der
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Alceste u: der Herkules in Wolfs Farce. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich muß Ihnen doch sagen daß Wieland weit besser ist als ich dachte, sein Herz ist würklich gut. Er
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<del>selbst</del> würde ganz gut sein wenn man ohne Liebe für Religion u: Sitten es sein könnte. Ich habe viel
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öfter mit ihm sympathisiren können als ich geglaubt hatte, es gieng so weit daß ich, welcher so viel
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Gefallen sonst hatte an allem Herzeleid so Sie u: Voß ihm anthun, endlich Mitleiden mit ihm kriegte,
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u: es mir schien Sie beide hätten ihm zu viel angethan. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wolf geht viel weiter als ich, u: ist <page index="4"/> sein wahrer Herzensfreund. Ob ich ihm gleich gut
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geworden bin so wollte ich doch daß er nicht in Weimar lebte. Ich komme dorthin als Kammerherr,
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zwar traurig meine Geschwister u: eine Hand voll Freunde zu verlassen, aber froh das knechtische
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Dännemark mit meinem lieben Vaterland zu vertauschen. Unsern treuen Wolf hoffe ich oft zu sehen. Mit
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Klopstock haben wir seelige Tage gelebt, über die Belte sind wir mit Eisbooten gegangen, man zieht
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das Boot nach sich, u: springt hinein sobald das Eis bricht. Schwestern haben wir hier wie sie im
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Himmel nicht besser sein können. Mein Bruder liebt Sie zärtlich. <line type="empty"/>
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Lieben Sie mich wie ich Sie liebe, u: verzeihen Sie wenn ich zu viel fodre. <line type="empty"/>
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<align pos="right">F. L. Stolberg.</align></letterText>
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<letterText letter="108"><hand ref="20">
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<align pos="right">Empfangen. Den 12 Febr. 1776.</align></hand> <line type="empty"/>
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<align pos="center">Bester Freund!</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Eben jetzt erfahre ich von Me. Ia Roche, was ich noch nie gewußt, daß sie einen Sohn bey Wiel. im
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Hause gehabt. Ein Donnerschlag hätte mir nicht empfindlicher kommen können als eine Nachricht,
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||
die so viel Beziehung auf meine Pasquinade hat, denn ich wollte eher alles in der Welt als diese Frau
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||
oder etwas das ihr angeht beleidigen oder kompromittieren. Können Sie es also auf irgend eine Art
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||
machen, daß die Wolken entweder gar nicht oder wenn dies <it>unmöglich</it> ist, statt der deutschen Namen die
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||
Griechischen aus dem Aristophanes: <ul>Strepsiades und Phidippides</ul> (für Leopold Sauk <aq>etc:</aq>) gesetzt und
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||
die Vertheidigung W. gegen die Wolken durchaus <ul>nicht an</ul> <ul>diese</ul> angehängt, sondern <ul>detachirt</ul> gedruckt
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werden als Palinodie nicht als prämeditirte versteckte Apologie derselben. Wie gesagt ich bin über
|
||
die Nachricht ausser mir denn sie zertrümmert mein ganzes Projekt, das nichts weniger war als irgend
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eine Privatperson durch meine Possenreissereyen zu beleidigen sondern nur W. aus seinen Schriften
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turlupiniren wollte. <line type="empty"/>
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<align pos="right">L.</align> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>Wenn der Druck der Wolken ganz inhibirt werden kann, ich gebe was darum. Die Palinodie kann und,
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||
muß deswegen doch in die Welt. Desto origineller ist sie. Man kann dazu setzen, der V. habe den
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Druck der W. verhindert und weil viele sie im Mskpt. gelesen, dies zu seiner Rechtfertigung
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geschrieben. Ich will nichts dafür.</sidenote></letterText>
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<letterText letter="109"><hand ref="20">
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<align pos="right">Den 15ten Febr. 1776.</align></hand> <line type="empty"/>
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<line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Eben jetzt mein lieber bester Freund, erfahre ich von verschiedenen hiesigen Freunden, daß Sie
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Stabsekretär in Hannover werden. Es thut mir wehe, daß meine Privat- oder Publick-Geschäfte
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vielmehr mir so den Kopf eingenommen, daß ich mich bey Ihnen deßfalls nicht näher erkundigen
|
||
konnte. Von ganzem Herzen umarm’ ich Sie, wünsche Ihnen Glück, wünsche Ihnen zur Vollendung Ihres
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||
Glücks eine Gattin die Ihr ganzes Herz auf ewig in Besitz nimmt und es so in Enkeln bis auf folgende
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Jahrhunderte hinausdehnt. Mir wird dies Glück sobald nicht werden, denn zu jedem öffentlichen Amt
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bin ich durch meine Schwärmereyen verdorben.<line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Lassen Sie sich dies Wort nicht schröcken. Ich kenne Herr Wielands Unterscheid vielleicht besser als
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||
er, <ul>will aber</ul> lieber Schwärmer für die Tugend als Enthusiast für das Schöne seyn, solang das Schöne
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sich mit der Tugend nicht vertragen kann. Sind die ersten Chymischen Operationen erst vorbey, so
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wollen wir auch schon sublimiren und ich hoffe mit ein wenig besserem Glück – aber das unter uns,
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es giebt Leute, wie Werther sagt, die das übel nehmen würden. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>Zu Ihrem Museum werde Ihnen mit Beyträgen die Ihnen lieb seyn werden nicht entstehen. Ich bin
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sehr begierig aufs erste Stück. Sorgen Sie nicht, Sie sollen meine Freunde hier, die sich durch Sie
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produziren, nicht mit Geld bezahlen.</sidenote> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Lassen Sie, ich bitte Sie, wo möglich die Wolken nicht drucken, wenigstens verändern Sie die
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deutschen Namen <page index="2"/> dagegen soll und muß (vergeben Sie dem Patrioten, Ihrem Freunde, den
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Ton) die Vertheidigung Wiel. gedruckt werden, die seinen Hauptgesinnungen mehr schaden wird als
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alle Anschuldigungen. Ich kenne mein Publikum – – und jetzt ist es Zeit. Wenn das Eisen ausgeglüht
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hat, fällt der Hammer zu spät. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Lassen Sie sich durch keinen menschlichen Rath davon abbringen, suchen Sie aber den Druck der
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||
Wolken zu hintertreiben (sollt’ es auch auf meine Kosten geschehen) wenn Sie mich und mein
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Wohlseyn lieb haben. Kann es aber nicht mehr seyn, so ists Schicksal und ich ergebe mich darinn. Nur
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die deutschen Namen, die Namen! und daß die Vertheidigung nicht angedruckt wird. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Gotter läßt ein Schauspiel von mir drucken: Die Algierer, eine Nachahmung der <aq>Captivei</aq> im Plautus.
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Lavater hat ein Gedicht von anderthalb Bogen von mir herausgegeben: <ul>Petrarch</ul> <ul>aus seinen Liedern
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gezogen</ul>. eine kleine Ergiessung des Herzens die Ihnen Freude machen wird. Beyde werden wohl in
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||
Leipzig zu haben seyn. <line type="empty"/>
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<page index="3"/>
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<line tab="1"/>Machen Sie mir doch die Freude und schicken mir einige Anzeigen von Ihrer <insertion pos="top">Monaths</insertion>Wochenschrift
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nach der mich hier so manche Leute gefragt haben an denen Ihnen gelegen ist. Ihre Litterarischen
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||
Neuigkeiten sind mir und meinen Freunden sehr willkommen.<line type="break"/>
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Unsere deutsche Gesellschaft breitet ihren Wipfel immer weiter aus, so daß ich unter ihrem <del>Wipfel vo</del>
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||
Schatten von der Hitze des Tages offt herrlich abgekühlt werde. Einige Mitglieder derselben, unter
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||
andern eine sehr liebenswürdige Magistratsperson (Herr v. Türkheim) arbeiten an der Wochenschrift
|
||
der <ul>Bürgerfreund</ul> – der ich an manchen Orten Deutschlands Nachahmer wünschte. Besonders in Ansehung
|
||
des Lokalen. In der Schweitz kommen auch noch flüchtige Aufsätze von mir heraus, in denen ein Familiengemählde:
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Die beyden Alten, ein Drama Ihre Augen füllen wird. Das Kostnitzergenie kenne ich nicht, in Colmar
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kenne ich einen jungen Franzosen, von dem ich etwas in Lausanne werde drucken lassen, das Ihnen die
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||
Beschaffenheit des Bodens im Elsaß zur Hervorbringung poetischer Köpfe näher bezeichnen wird. – Wissen
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Sie daß <ul>Stella</ul> von Goethen in Berlin gedruckt wird und er in <del>Gotha</del> Weymar bleibt? – Vielleicht komm’
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ich auch bald in Ihre Gegenden. Lieben Sie immer <line type="empty"/>
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<align pos="right">Ihren Freund Lenz.</align> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
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Herrn Zimmermann wenn Sie ihn sehen, meine ganze Hochachtung. Ich wünschte mehr Zeit zu
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haben, ihn in seinem Sohn zu geniessen.</sidenote> <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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Herrn<line type="break"/>
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Herrn <ul>Boje</ul><line type="break"/>
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Gelehrten<line type="break"/>
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in <ul>Göttingen</ul></letterText>
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<letterText letter="110"><align pos="right">Den 9ten Februar</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mein lezter Brief wird Dich <del>ge</del><insertion pos="top">ver</insertion>wundert haben. Ich habe die Antwort noch nicht haben können
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weil ich noch nicht in Cassel gewesen bin: ich irre noch immer auf dem Lande herum. O daß sie doch
|
||
nicht abschlägich ist! Die Ursachen warum ich es wünsche habe ich besser gefühlt als ich sie Dir jezt
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||
sagen werde. Erstlich, wird der kleine Lindau Gelegenheit haben (so kömmt es mir <del>je</del> vor) auf dieser Reise
|
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Bilder und Ideen zu samlen die vielleicht nun nicht mehr könten in seine Seele gebracht werden da wir
|
||
Europa verlassen, und wahrscheinlich es nie wiedersehen; er kommt auch in eine ganz fremde Sphere;
|
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<del>bräuchte</del> wäre es ihm den nicht gar gut wen Du könntest bey ihm seyn. <line type="empty"/>
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<page index="2"/>
|
||
<line tab="1"/>Du <nr> </nr> Sein Umgang mit Dir wär ihm vielleicht eine Vorrede zu <align pos="top">einem Theil</align> <del>eines folgender
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Exißtenze</del> künftigen Lebens. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Zweitens köntest Du mir manchen guten Rath geben in Absicht auf die Art wie ich mit ihm umgehen
|
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soll. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wenn Du aber gerne ˕bis˕ nach Weimar gegangen wärest, Lieber, so habe ich gros Recht gehabt Dich
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||
für Schlösser in der Luft zu warnen. Mit diesen armselgen 9 Carolinen <insertion pos="top">alles was ich missen kann</insertion>
|
||
muß Peter bis nach Frankfurt kommen. Nimm Du davon soviel möglich, und geh so weit mit als Du hin
|
||
und her mit dem Gelde auf der <aq>Diligence</aq> zureicht. Könte es doch bis Mannheim zum wenigsten seyn
|
||
und paste es sich so, daß Ihr köntet die Oper sehen! Da ich <del>im Sch</del> auf der Reise schlafe so wie
|
||
in meinem ganzen Leben, weis <page index="3"/> ich gar nicht was es kostet. <line type="empty"/>
|
||
|
||
<line tab="1"/>Der kleine Lindau ist nicht Officier geworden: weil <insertion pos="top">er</insertion> mir zu viel gekostet hätte: Ich nehme ihn blos
|
||
als Reisegefährte mit. Ich hoffe er wird acht oder vierzehn Tage nach diesen Brief in Strasburg
|
||
eintreffen. Es hat grosse Eile, den die Truppen marschieren vor Ende dieses Monats: und drey Wochen
|
||
drauf embarquiren sie sich den Tag kan ich aber nicht bestimmen <del>Wenn Du zum Unglük nicht m</del> Peter <del>Peter</del>
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||
wird mich wohl schwerlich in Cassel <insertion pos="top">noch</insertion> antreffen und wird mir müssen nachreisen. Er muß sich dort
|
||
an Herr Lagis adressiren. Wenn Du zum Unglück nicht mit kanst so wird der Peter Geld genug übrig haben,
|
||
so sey doch so gut und kaufe ihm <page index="4"/> einen kleinen Degen mit einer guten <del>Lane</del> <aq>Lame a dos</aq> wenn
|
||
Du eine kriegen kan, einen hübschen <aq>Chapeau corse,</aq> und hauptsächlich ein paar Stiefeln, wenn es moglig
|
||
ist. Schreibe mir ja bald. <line type="empty"/>
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||
In Frankfurt <del>addres</del> meldet Ihr euch gleich bey dem Herrn Rath Göthe. Ist Peter allein so wird er wohl bey ihm logieren</letterText>
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||
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||
<letterText letter="111">Habe ich Zeit so will ich noch heute an Salis schreiben daß er Dir Nachricht von Peter giebt. <line type="empty"/>
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||
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||
Deine Ungewisheit thut mir Weh.</letterText>
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||
|
||
<letterText letter="112"><hand ref="20">
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||
<align pos="right">Den 20 Febr. 76.</align></hand> <line type="empty"/>
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||
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<line tab="1"/>Ich muß Ihnen bekennen, daß ich sehr mit den Wolken gefehlt habe. Ich habe an hunderttausend
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Sachen nicht gedacht die mir aus denselben auf ewig zur Last gelegt werden könnten und ich sehe
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jetzt nur zu sehr ein, wie gefährlich die Lesung eines Alten einem Jüngling werden kann der den
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Sturm der Leidenschaft im Busen hat. Seine Vernunft die ihm alle Gegenstände beleuchtete, verdunkelt
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sich, er sieht sich und seinen Feind allein und die ganze Welt nimmt eine andere Gestalt vor ihm an. <line type="empty"/>
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||
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<line tab="1"/>Wenn Sie noch mein Freund sind Boje, wenn Sie noch Freund des Guten sind das ich aus allen Kräften
|
||
zu befordern wünsche, hindern Sie noch den Druck dieser Mißgeburt meiner Galle. Warum mußte ich
|
||
doch in dem Augenblicke überm Aristophanes sitzen, als Wiel. mich beleidigte. Wenn sie gedruckt
|
||
wird, wünschte ich nicht mehr zu leben. Nicht wegen der Gefahr der ich mich aussetze, sondern
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||
wegen des Guten das ich sonst ausrichten könnte und das sie auf ewig verhindert. <line type="empty"/>
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<page index="2"/>
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<line tab="1"/>Schreiben Sie mir auf das geschwindeste Bester, o nun mein entscheidender Freund – ob das
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||
hintertrieben werden kann. Ich will gern alle Kosten tragen. Und verzeyhen Sie mir meine häuffigen
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Briefe und wie ich Sie mit alle den Aufträgen mißhandele. Ich hoffe daß einmal gut zu machen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Und schicken Sie mir, ich bitte das Mskpt der Wolken zu, damit es in keine andere Hände durch Zufall
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jemahls gerathen könne. Es verwölkt und umnebelt meine ganze Bestimmung <insertion pos="left">alle meine Entwürfe</insertion>
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auf immer. <line type="empty"/>
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||
<note>am rechten Rand aller Zeilen des Absatzes Anführungszeichen; wohl irrtümlich und für den darauf folgenden Absatz gedacht</note>
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<line tab="1"/>Nichts destoweniger können und sollen die Blätter gedruckt werden die den Wolken als Anhang
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bestimmt <insertion pos="left">waren:</insertion> sie sind fürtrefflich und für unsere Zeiten, für Wieland, für die Kunstrichter und das
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||
Publikum nothwendig. Mit denen biete ich allen Gefahren die meinem Namen daraus entstehen
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<insertion pos="top">könne</insertion>˕ frölich Trotz, von meinem eigenen Herzen gerechtfertigt. Wenn Sie doch Herrn Helwig bereden
|
||
könnten die Wolken dagegen auszuwechseln und sie ungefähr mit folgendem Vorbericht drucken zu lassen. <line type="empty"/>
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<page index="3"/>
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||
<line type="empty"/>
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<line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Der Verfasser dieser kleinen Schrift hatte mir ein Manuskript zugesandt, dessen Druck er aus
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||
wichtigen Gründen zu hintertreiben <del>und es der <nr> </nr></del> für nöthig <insertion pos="top">gut</insertion> fand. Da dieses Mskpt. aber doch
|
||
durch verschiedene Hände gegangen war, fürchtete er es könnte bey einigen seiner Leser nicht nur
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||
wiedrige Eindrücke gegen die darin <del>vorgestellten</del> <insertion pos="top">vorkommenden</insertion> Personen sondern auch wieder den
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||
Verfasser selbst, der in dem Augenblick als ers schrieb seiner Einbildungskraft und seinen Leidenschaften
|
||
Zügel anzulegen nicht im Stande war, zurückgelassen haben. Diese auszulöschen schrieb er folgende
|
||
Vertheidigung der in den Wolken <del>geschilderten</del> <insertion pos="top">vorgestellten</insertion> Personen und seiner selbst, weil er einen
|
||
Schritt den er in Aristophanischem Spleen zu weit gethan auf keine andere Art gut zu machen wuste, um
|
||
zugleich durch sein Exempel allen seinen jungen Landsleuten die in ähnliche Umstände kommen könnten, einen
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||
Wink der Warnung zu <del>geben.</del> hinterlassen. <line type="empty"/>
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||
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<line tab="1"/>Ich bitte Sie um baldige Antwort Boje, weil eine mir sehr wichtige Reise davon abhängt. Unterdessen
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||
umarmet Sie aufs zärtlichste <line type="empty"/>
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||
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||
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
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||
<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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||
Herrn<line type="break"/>
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Herrn <ul>Boje</ul><line type="break"/>
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Gelehrten in <del>G</del><line type="break"/>
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<ul>Göttingen</ul></letterText>
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<letterText letter="113"><align pos="right">Cassel den 16ten Feb.</align><line type="break"/>
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<line tab="1"/>Es hat so keine grosse Eile mit eurem Marsch; mein lieber <del>diese</del> <insertion pos="top">unsere</insertion> Truppen marschiren nur den
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15ten Merz zum frühesten Mit Erstaunen habe ich gesehen das Du die ganze Reise mit 12 Louisdór
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bestreiten willst. Ich werde Dich also noch vielleicht können umarmen, wenn mir möglich ist noch 3
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nach Frankfurt zu schicken Reiset von dort nicht nach Cassel sondern nach Wommen das bey Eisenach
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liegt und wo ich zwei liebe Schwestern habe, von dort würdest Du auch können nach Weimar Reisen. Du
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weißt doch daß <page index="2"/> Grewen in Hanau Hanöwrischer Fändrich ist. <del><nr> </nr></del>
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<letterText letter="114"><align pos="right">Strasb. den 19ten Febr. 1776.</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/><line tab="1"/>Hier haben Sie etwas lieber Freund das Sie unserm Hellwieg für die unterdrückten Wolken anbieten
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können, die er denke ich nicht sehr bedauern wird. Ich habe deßwegen mit einem andern
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Buchhändler in Unterhandlungen gestanden der sich über 10 neue Louisd’or nicht mit mir einigen
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wollte, Herr Hellwieg aber als Freund soll es für den Dukaten den Bogen haben. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich habe nicht Zeit gehabt, es abschreiben zu lassen, die kleinen Aenderungen aber die ich in dem
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Ausdruck hie und da gemacht sind deutlich genug als daß <note>S</note>sie hoffentlich den Korrecktor verwirren
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könnten. Für Druck und Pappier lasse ich die Freundschaft sorgen. Ich wünscht es sobald als möglich
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gedruckt weil es schon in manchen Händen gewesen die sehr begierig auf die Bekanntmachung sind. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Schreiben auch Sie mir Ihre Sensation. Ich umarme Sie vom ganzen Herzen u. ganzer Seele
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<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
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<line tab="1"/>Die Wolken bitte ich mir doch zurück. Vielleicht komm ich noch dieses Jahr in Ihre Gegenden. Mein
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Name wird nicht genannt.</sidenote></letterText>
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<letterText letter="115"><line tab="1"/>Daß mich Ihr gütiges, mehr als mütterlich herablassendes Zutrauen, gnädige Frau! bis zu Thränen
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gerührt hat, – warum muß ich es Ihnen so spät sagen? Anstatt meine fürwitzigen Erkundigungen mit
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dem Ernst der Weisheit abzuweisen, geben Sie Ihnen mütterlich gütig nach, und beschämen auf die
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Art meine Dreistigkeit bis zum Verstummen. Indessen war mir alles auf der Welt an diesen Nachrichten gelegen, und
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ich bedaure nichts weiter, als daß ich mit Einziehung derselben bisher so saumselig gewesen. Die geringste
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Kleinigkeit von Ihnen und Ihrer würdigen Familie Umständen, ist mir von jeher äußerst wichtig gewesen; nur
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waren die Nachrichten, die ich, als ein in diesen Gegenden völlig fremder, halber Lapländer, bisher davon hatte
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einsammlen können, alle so mangelhaft, so wiedersprechend, in einem so hohen Grade wiedersprechend gewesen, daß
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dieses Bedürfniß meines Herzens auf keine andre Art befriediget werden konnte, als von Ihnen selbst. Wollte
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Gott, ich hätte eher so glücklich seyn können! Werden Sie es einem Kopf, der von hundert nothwendigen, und zehn
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Tausend unwichtigen Dingen gezerrt wird, verzeihen, daß ich mit meinem Dank so spät komme? Und dennoch Keckheit
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genug habe, so viel es möglich, und so weit eine solche Bitte von mir, ohne unbescheiden zu werden, geschehen
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kann, Sie um nähere Aufhellungen einiger Stellen Ihres lezten Briefes anzuflehen? Wer war der Hohepriester, der
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bey dem Schicksal der liebenswürdigsten Person Ihres Geschlechts eine so unliebenswürdige Rolle spielte? Und war
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die Leidenschaft des Andern edel, die, wie ich aus allem ahne, unglückliche Folgen hatte? Ich las alle diese
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Worte, wie die Passionsgeschichte unsers Heilandes. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wie entzückt bin ich über die Familienportraite, die Sie mir aufgestellt haben. Noch oft spaziere ich in
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Gedanken in dieser Gallerie herum, und freue mich über die mannigfaltigen, und doch einartigen Abdrücke des treflichsten
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Vaters, (den ich zwar nur von der Seite seiner Erholungen und Vergnügungen, ich meyne die Briefe über das Mönchswesen,
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kenne, dessen ganzen Werth ich aber, nach Maaßgabe dieser, mit einem angenehmen Schaudern ahne,) und der fühlbarsten,
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weisesten und aller Verehrung würdigsten Mutter. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Könnte ich Ihnen doch alles sagen, was mir auf dem Herzen liegt. So viel müssen Sie wissen, daß Ihre
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Nachrichten mir in einem Augenblicke kamen, wo sie mich fast zu Boden schlugen. Ich wußte nie, daß
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Sie einen Sohn hatten, geschweige einen würdigen Sohn, der bey Wieland im Hause gewesen, und
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also auch ihm manches zu danken hat. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mein Wiederwillen gegen W., schrieb sich bloß aus einigen seiner Schriften her; seine
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Privatverhältnisse habe ich nie gewußt, mich freilich mit großen Unrecht zu wenig darum
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bekümmert. Erst jezt geht mir über viele Stellen in Ihrer unsterblichen Sternheim ein Licht auf, das
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mich in einen wunderbaren Zustand versetzt, den ich Ihnen lieber, vielleicht sehr dunkel und unvollkommen,
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zu ahnen überlassen, als beschreiben will. Auch wären vielleicht noch viel fatalere Sachen erfolgt,
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wenn ich nicht, (ich denke, aus Fügung der Providenz,) noch im kritischen Augenblicke, diese Winke erhalten,
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die mir nun, von Ihnen, um so viel heiliger sind. Nehmen Sie mehr als wörtlichen Dank, würdige Frau! <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich hoffe, daß auch ich Wieland kennen lernen, und mit ihm, zwar zu seinem Vorteil, werde
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ausgesöhnt werden. Indessen hat doch alles das zu manchem gut seyn müssen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Gegenwärtig gehe ich mit einer kleinen Reise nach Deutschland um, die die nach Italien wohl noch
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vorher kreuzen, vielleicht ganz auf eine andre Zeit aussetzen könnte. Ich bin nicht so ganz Dichter
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allein, als Sie wohl glauben werden, und fühle es wenigstens sehr lebhaft, daß zum gut und artig
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seyn, auch nothwendig das <ul>seyn</ul> gehöre. <line type="empty"/>
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</opus>
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