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337 bis zum stromausfall
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@@ -5603,7 +5603,6 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
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<line tab="1"/>Ihre Prophezeyung ist eingetroffen; die Seereise hat mich gesund gemacht. Bewegungsgründe genug für Sie, Ihre Frau Schwester, der ich endlich Ihre Bestellungen ausgerichtet, zu besuchen, wenn <del>Sie,</del> Ihre Patienten <insertion pos="top">Sie</insertion> selbst werden krank gemacht haben. Der Herr Ueberbringer dieses Briefes reist nicht in so freundlicher Jahreszeit, obwohl fast in ähnlicher Absicht. Er möchte sein Vaterland wieder sehen, die Seinigen umarmen, seine altert Verbindungen erneuren und neue schliessen, die seinen Zustand hier angenehmer machen und seinen Kräften mehr Spiel geben könnten.
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<line tab="1"/>Es ist zu vermuthen, daß er zurück kommen wird. – und das macht unsere Reise verschieden. Können Sie ihm in Lübeck behülflich seyn, wenn er vielleicht krank dahin kommt, werden Sie sich ein neues Verdienst um mich machen, dessen Interessen freylich vor der Hand nur noch meine Brüder in Riga abtragen können. Das Kapital bezahlt Ihnen Ihr Herz und wenn ich das Zielmeiner Bestimmung weiß und Sie nach Liefland kommen die ganze Werthachtung des Meinigen.
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<line tab="1"/>Sie haben mir in Lübeck nicht gesagt, daß die bekannten Dichter Grafen v Stolberg sich dort in der Nähe aufhielten. Können Sie diesem Freunde ihren Aufenthalt nicht sagen. Sie erzeigen vielleicht beyden einen Gefallen, wenn Sie ihm behülflich sind, sie zu sehen.
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<line tab="1"/>Nach bester Empfehlung an Ihre Frau Gemalinn und schätzbare Familie, nebst deren Führer und allen Lübeckschen Freunden nenne mich mit wahrer Ergebenheit
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@@ -5626,7 +5625,7 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
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<letterText letter="333"><page index="1"/><align pos="right">St Petersbg d. 15 April 1780</align>
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<line tab="1"/>Endlich Theurester Lavater! kann ich Ihnen aus Petersburg schreiben Ihnen der meinem Herzen so nah liegt, an dem Tage wo ich die heiligen Pfänder der höchsten Liebe genoß, ohne Zerstreuung schreiben. Ich weiß nicht, ob Sie meinen Brief als Coúvert aus Riga erhalten ich habe den Mann itzt selbst kennen gelernt, dessen Brief er damals einschloß, es ist wie alle Schweitzer, auch in den verschiedensten Klimas noch immer ein guter echter Schweitzer, der Ihre Lieder gelesen. Er wird bald zurückkommen, wo sein Herz schon voranfliegt und ich hörte mit Vergnügen ihn seine Eleven ermahnen sich so aufzuführen, daß sie dessen werth seyn, die Schweitz zu sehen. Prof. Güldenstedt führte mich zu ihm, der Ihr ungeheuchelter Freund ist – auch unsers Freundes Kaufmann sich offt noch mit vieler Wärme erinnert; mir die Plätzgen gewiesen, wo er spazieren zu gehen gewohnt war und durch ihn für Ihr ganzes Vaterland als mehr als Buchstaben- und Bücherfreund gestimmt scheint. Ich bin stolz auf diesen <ul>Landsmann</ul> in Petersburg. Seine Reisen bis an den Caukasus haben ihn auf einer andern Abdachung der Erde (daß ich mich des <ul>gemeinen</ul> Ausdrucks bediene) Gott erkennen lehren. Er wohnt beim alten verehrungswerthen Euler und dessen gelehrten – Sohn im Hause, von welchen Personen allen, wie auch besonders der Frau des letztern ich Ihnen die Silhouetten wünschte. Vielleicht schicke ich sie durch Füesli; vielleicht haben Sie sie auch schon. <fn index="1"><anchor>╒</anchor></fn> Ein interessanter Mann ist mir auch einer der hiesigen Grössern geworden, der Vizepräsident im hiesigen Reichsjustizkollegio. <fn index="2"><anchor>╒</anchor></fn> Herr Kreidemann – dem ich mehr als einen Abend von Ihnen
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<line tab="1"/>Endlich Theurester Lavater! kann ich Ihnen aus Petersburg schreiben Ihnen der meinem Herzen so nah liegt, an dem Tage wo ich die heiligen Pfänder der höchsten Liebe genoß, ohne Zerstreuung schreiben. Ich weiß nicht, ob Sie meinen Brief als Coúvert aus Riga erhalten ich habe den Mann itzt selbst kennen gelernt, dessen Brief er damals einschloß, es ist wie alle Schweitzer, auch in den verschiedensten Klimas noch immer ein guter echter Schweitzer, der Ihre Lieder gelesen. Er wird bald zurückkommen, wo sein Herz schon voranfliegt und ich hörte mit Vergnügen ihn seine Eleven ermahnen sich so aufzuführen, daß sie dessen werth seyn, die Schweitz zu sehen. Prof. Güldenstedt führte mich zu ihm, der Ihr ungeheuchelter Freund ist – auch unsers Freundes Kaufmann sich offt noch mit vieler Wärme erinnert; mir die Plätzgen gewiesen, wo er spazieren zu gehen gewohnt war und durch ihn für Ihr ganzes Vaterland als mehr als Buchstaben- und Bücherfreund gestimmt scheint. Ich bin stolz auf diesen <ul>Landsmann</ul> in Petersburg. Seine Reisen bis an den Caukasus haben ihn auf einer andern Abdachung der Erde (daß ich mich des <ul>gemeinen</ul> Ausdrucks bediene) Gott erkennen lehren. Er wohnt beim alten verehrungswerthen Euler und dessen gelehrten – Sohn im Hause, von welchen Personen allen, wie auch besonders der Frau des letztern ich Ihnen die Silhouetten wünschte. Vielleicht schicke ich sie durch Füesli; vielleicht haben Sie sie auch schon. <fn index="1"><anchor>╒</anchor></fn> Ein interessanter Mann ist mir auch einer der hiesigen Grössern geworden, der Vizepräsident im hiesigen Reichsjustizkollegio. <fn index="2"><anchor>╒╒</anchor></fn> Herr Kreidemann – dem ich mehr als einen Abend von Ihnen
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<page index="2"/>habe vorerzählen müssen, der mir auch ein Briefgen an Sie geben wollte, um keines Geschäfts willen, wie sich der ganz liebe Mann ausdrückte, sondern um Ihnen seine <ul>Hochachtung zu bezeugen.</ul> Das Briefgen konnt er nun wohl seiner überhäuften Geschäfte wegen (da wirklich die Last des ganzen Gerichts – das ausser dem Senat für alle liefländische Sachen die letzte Instanz ist, fast auf ihn allein ruht, weil in Rußland gemeinhin die Collegia mit verdienten Militärpersonen besetzt werden, die von Recht keine Ideen haben.) nicht schreiben, aber die wärmste und herzlichste Empfehlung folgt von ihm mit. Er erkundigte sich nach Ihrer Physiogn. umständlich, auch nach der französischen Uebersetzung von der hier alles voll ist. Bester Gönner von der letzten wußt ich ihm nichts zu sagen und Ihnen wahr zu gestehen, begreif ich sie kaum: Vielleicht hat der wackere Waffenträger Ehrmann Theil daran – er kann stolz darauf seyn, denn in der That es ist das einzige Mittel, Ihre Ideen bei einem gewissen Theil von Vornehmem in Gang zu bringen, der oft zu ihrer Ausführung und Benutzung der wichtigste ist. Ich machte Kreidemann Hofnung zu Ihrem Werk von den Phys. Linien und dem Gebrauch derselben, das Geschick unbekannter Personen zu ihrer künftigen Bestimmung zu erfahren. In Petersburg, fiel auch er bei, würde dieses hauptsächlich nöthig seyn – und ich denke, er selbst würde viel Gebrauch davon machen. Sein Gesicht ist sehr blaß – vom Arbeiten sichtbar angegriffen also nicht in der natürlichen Farbe – die Stirn aber ungemein hervorstechend über den Augknochen, das Auge erstaunend ausgearbeitet: der Mund fast ein wenig Sokratisch ungestalt, wenn er lacht, aber doch nicht ohne Reitz. Güldenstedt hat ungemein viel
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<page index="3"/>Reinheit und Redlichkeit in seinem Gesicht – der Spiegel seines Betragens (ich wäre begierig, ob Sie sie der Beschreibung nach erkennten, ohne sie genannt zu lesen:) um zu sehen ob ich etwas Physiogn. Sinn bey Ihnen gewonnen, womit ich mich wenigstens hier breit mache. Nun damit wir die Leiter heraufmachen – von unsern Grossen kenn ich noch zu wenig vielleicht läßt sich künftig mehr sagen. Aber die Landesherrschaft – Freund und Vater! – soviel ich mich erinnere hat sie – hat sie keinen Platz in der Physiognomik, kann auch nach den Carrikaturen von Kupferstich die von ihnen kursiren, keinen haben. Künftig mehr von diesem Punkt: er ist mir heilig – –
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<sidenote pos="bottom" page="1" annotation="am unteren Rand der ersten Seite"> <fn index="1"><anchor>╒</anchor></fn> eben höre von ihnen selbst, daß Sie sie schon haben
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@@ -5676,100 +5675,74 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
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<line type="break" />unterthänigen und gehorsamsten Diener und Verehrer
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<line type="break"/>J. M. R. Lenz.</align>
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">Ich schreibe Dir auf der Copey des Briefes an Fr. v. Vietinghof und bin so besetzt, daß ich nichts hinzufügen kann, als Dich aufs höchste zu bitten, Einlage an Papa mit geflügeltester Eile zu besorgen, Couvert etc. drum zu machen. Der theure gute Altgen hat alles unrecht ausgelegt, wie ich befürchtete und seine Ge sundheit leidet drunter, wenn er im Mißverstande länger bleibt. Dies kränkt mich doppelt, da seine und Eure Briefe mir baares Geld sind. Nächstens mehr von Deinem treuesten</sidenote>
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<line type="break"/><align pos="right">JMRLenz</align>
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, horizontal">
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<line type="break" /><align pos="right">St. Petersburg d. Ap.</align></sidenote>
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</letterText>
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<letterText letter="336"> <align pos="center"><hand ref="10">v. Lenz aus Riga.</hand>
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<letterText letter="336"><page index="1"/> <align pos="center"><hand ref="10">v. Lenz aus Riga.</hand>
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<line type="break" />Werthester Herr und Freund!</align>
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<line tab="1"/>Ich ergreiffe die in meinem letzten Briefe an Sie erwähnte Gelegenheit, Ihnen einige Silhouetten aus meinem Vaterlande und aus Petersburg zuzuschicken muß aber, um die aufrichtige Sprache des Freundes zu reden, der nicht schmeichelt, Sie um Ihrer eigenen Grundsätze willen bitten, mir zu erlauben, daß ich bey dem Egyptischen Gedräng Ihrer Verleger, welches bey ehernen Nerven auch auf Urtheile und Ideen Einfluß haben muß, zu diesen Bildern, ohne zu sagen für welches sie gehören, welches ich Ihrem Kennerblick überlasse, einige karakteristische Züge hinzufügen kann, die den Perpendikul Ihrer einmal <ul>geschwungenen Empfindung,</ul> der bey allen Nerven wie Liebhaber u. Kennernerven sind auf eine oder andere Seite überschlägt, womöglich ein klein wenig zu hemmen und in waagrechten Stand zu setzen. <insertion pos="top">suchen sollen.</insertion> Dies mein werther Freund! hat Ihrer
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<page index="2"/>Physiognomik schon manchen unangenehmen Stoß gegeben und Sie – erlauben Sie mir die Freyheit, <insertion pos="top">Sie</insertion> bey Urtheilen über entfernte Personen <ul>ungerecht</ul> gemacht. Wie? Sie geben Ihre Wissenschaft selbst für das Resultat der aus Menschengesichtern mit ihrem Karakter zusammengehaltenen Erfahrungen? Und nun wollen Sie es umkehren und aus einigen wenigen <aq>datis</aq> in <ul>Ihrem</ul> Vaterlande das ganze Erdenrund, so sehr verschieden an Klima, Regierungsform Denkart ein Land auch von dem Ihrigen seyn kann – und seine Individuen dem <ul>Karakter</ul> nach beurtheilen. Erlauben Sie mir, Sie nochmals zu bitten, Ihren Verlegern flehentlich die güldenste der Bullen entgegen zu rufgen – – Richtet nicht, damit ihr nicht wieder –
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<line tab="1"/>Sie wissen welche tieffe Hochachtung ich als Mensch, Kunstkenner und ich möchte sagen als Christ selbst für die Physiognomik habe, wiewohl ich sehr sehr wünschte, daß Sie mehr an dem was Sie auf dem Tittel versprechen als an den Geheimnissen der zukünftigen Welt hielten, zu der ja die itzige immer nur der <ul>Vorhang</ul> bleibt. Wer wollte denn nach dem <ul>Vorhang</ul> das Innere zu beurtheilen, darüber <dul>ab</dul>zusprechen <dul>kühn</dul> genug seyn? Diese Bitte thue ich nicht ohne Ursache, da ich mich gezwungen sehen würde, im Fall Sie darin keine Aenderung träffen, etwas über Ihr Urtheil im 18ten und 21 Fragment öffentlich zu sagen, da die Mißverständnisse die es angerichtet (daß ich den gelindestell Ausdruck brauche) durch die Unvorsichtigkeit Ihrer Herrn Verleger öffentlich geworden sind. Lieber Lavater! nie, nie, daß ich Ihnen
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<page index="3"/>die Wahrheit sage, hätt ich geglaubt, daß Ihre mir sonst bekannte Mässigung und Klugheit (in dem besten Verstande des Worts) vielleicht von jungen vielleicht auch von ältern <ul>radottirenden</ul> Freunden sich so aufs Eis würde führen lassen. Sie treten als Schriftsteller in einer neuen Wissenschaft auf – – und lassen sich auf einmal von Leuten die es nicht gut mit Ihnen meynen, eine Maske vorlegen, die so wenig zu Ihrem Gesichte paßt – Oder glaubten Sie Rußland – sey noch das Land das es vor fünfzig Jahren war und man könne über Gegenstände die dasselbe angehn, mit mehr Nachlässigkeit – – Nachsicht gegen unzuverlässige Berichte schreiben? Wie würden Sies aufnehmen, wenn ich ohne jemals dort gewesen zu seyn, eine Karakteristick der wichtigsten Schweitzer aus dem Munde einiger Landsleute machte, die sich ein Viertel Jahr dort aufgehalten – – eine Karakteristick, die nicht zu ihrem Vortheil gereichte? –
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<line tab="1"/>Freilich muß man Sie persöhnlich kennen, um davon so gelind zu urtheilen als ich thue. – – Ich wünschte Ihrem Werk einige Brauchbarkeit für mein Vaterland mit <ul>zuhelfen</ul> zu können: ich gestehe aber, daß ich meine Schultern nach dem <aq>Exordio</aq> des 18ten und 21 Fragments fast zu schwach dazu fühle. Ueber Gesichter zu urtheilen deren Karackter man nicht kennt – – – lieber Lavater! die Nächsten um uns zu Führern anzunehmen, aus ihren Gesichtern über die entfernten – abzusprechen? Wie? und fühlen Sie – Sie es nicht an Ihrem Herzen, daß Sie so gegen die ersten parteyisch – gegen die andern ungerecht werden <ul>müssen.</ul>
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<line type="break" />Doch daß ich Ihnen jetzt nicht als Gelehrter, sondern als Freund spreche: Sie thun sich den meisten Schaden.
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<line tab="1"/>Doch daß ich Ihnen jetzt nicht als Gelehrter, sondern als Freund spreche: Sie thun sich den meisten Schaden.
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<line tab="1"/>Und so – um wieder einzuhelfen, will ichs wagen, Ihnen zur Probe einige Karaktere aus meinem Vaterlande vorzulegen, die Sie selbst aus den Bildern aufsuchen werden. Glauben Sie aber nicht, daß ich alles sage, oder das meiste sage, ich zeichne nur einige Äußerungen die ich wahrgenommen – – das übrige mögen Ihnen die Grundsätze Ihrer Wissenschaft an die Hand geben.
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<line tab="1"/>Ein junger Mann mit erstaunender Biegsamkeit der Seele, höchst reitzbaren Nerven fürs Vergnügen – hellen durchdringenden Verstand gerade soweit zu sehen, als seine Thätigkeit und Betreibsamkeit ihm Sphäre macht. Doch auch Vermögen aufzuopfern – und den höherenGenuß der Weißheit und des Himmels zu fühlen – wo die Erde für sein Herz zu wenig beut. Voll der schönsten und der Natur am ähnlichsten Ideale: die er in Wirklichkeit zu verwandeln Kraft hat. Voll Gelehrigkeit gegen andere, ein guter Vater, ein noch besserer Ehmann kurz ein guter Mann – – nicht aus Schwäche! Nur – zu schmeichelhaft gegen Leute von deren Werth er auch nicht überzeugt ist – aus Güte. Fähig Wahrheiten frey ins Gesicht zu sagen und mit einem Nachdruck, daß die Personen die sie getroffen verstummt sind. Ohne doch sich an ihm rächen zu können, weil er sie ihnen auf eine Art gesagt, daß sie sich im Unrecht fühlen mußten. Ein Freund und Vertheidiger der Physiognomik, ohne Lavatern anders als aus einigen Predigten zu kennen. – Sein thätiger und sich mittheilender Geist, mehr zum Einwirken als Spekuliren aufgelegt, fürchtet ein wenig die anhaltende Einsamkeit – und doch hat er lange Zeit in derselben zubringen
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<page index="5"/>müssen, wo er sie sich durch Anlegung von Gärten und Lustplätzen in Wildnissen verschönert.
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<line tab="1"/>Eine Dame – von viel sehr abstechenden Schicksalen. Für die Schaubühne erzogen, ohne jemals auf derselben aufzutreten (dieses bitte ja nicht drucken zu lassen). Durch einen seltsamen Wechsel des Glücks in eine der besten Familien des Landes verheurathet. Den zärtlichsten den geliebtesten Gemahl verloren – und sich mit ihren Kindern, die alle ihre Denkart und Seele haben, ins Einsame gezogen, um der liebenswürdigsten Melancholie nachzuhängen. Voller Reitzbarkeit für die Freude, voll des feinsten Geschmacks – eines Gefühls, das jedes Härgen von Unordnung im Charakter drückt – darum der Welt entzogen, weil ihre Seele sich nie ganz mit gewissen Widersprüchen in Karaktern aussöhnen kann – Fähig der edelsten, der unabsichtlichsten Freundschaft, bloß aus Geschmack und Wahl – – – und Ueberzeugung von Werth – den sie gern bereit ist über den ihrigen zu setzen – Fromm – im treflichsten Verstande des Worts! – weil für sie hier unten wenig mehr zu wünschen ist – ich bin begierig ob Sie – das Bild zu diesem Karakter finden
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<line tab="1"/>Ein junger Mann, das Bild dauerhafter Anstrengung und Geistesstärke die sich bis ins Unmögliche verliert wenn sie weiß daß sie auf Grundsätzen ruhet. Zu beugen ist sie nicht diese Stärke, wohl aber biegend um ihre vorige Richtung anzunehmen. Von diesem kann man im strengsten Verstande des Worts sagen, immer derselbe und das in einem Jünglingsalter. In dem Gesicht sehen Sie alle Geheimnisse feinerer – und doch frommer Erziehung
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<page index="6"/>denn freilich hat diese zu der Unbestechlichkeit seines Geschmacks in so weit das meiste beigetragen, als seine nachmaligen Reisen nur Fortsetzung derselben waren. Er hat die halbe Welt gesehen und mit der Ruhe mit der er – – itzt krank – – nichts als Salomons Ausspruch vor sich sieht. Dabei für keinen Seelenreitz unempfindlich, am wenigsten für den der Ehre bey Edlen. Nicht geräuschvoll und weit bekannt – aber den besten und würdigsten bekannt zu sein wünscht er. Wird er wünschen, auch wenn seine Sphäre sich noch so sehr erweiterte, noch so sehr verengte, weil er gern aus Geschmack gut wäre.
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<line tab="1"/>Ich wäre begierig, ob Sie den Durchsetzer und Durchtreiber fremder aus Geschmack angenommener Plane bis in die Unmöglichkeit – oder mehr den Erfinder und Anleger eigener – – kurz, ob Sie mehr den Feldherrn – oder mehr den Staatsmann in diesem Gesichte fänden. Begierig sag ich wäre ich, <ul>Ihr Urtheil</ul> zu hören, was ein Geist der mit so merkwürdigen Idealen der Alten und Neuen Welt genährt ist (näher darf ich mich nicht bestimmen) auf der Bühne der Welt für eine Rolle mit Nutzen und Fortgang übernehmen wird.
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<line type="break" />Ein Freund der Physiognomik – ob selber Physiognomist zweifle ich.
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<line tab="1"/>Ein Freund der Physiognomik – ob selber Physiognomist zweifle ich.
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<line tab="1"/>Ein besonderer Mann voll Tiefsinn und Frömmigkeit. Alle feurige Gefühle schockiren ihn, ob er sie gleich mit dem Kopf sehr wohl faßt. Liebt sonst das Melankolische, hat auch
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<page index="7"/>selbst einen Ansatz. Ist von Herzen fromm und wohlthätig. Ein <ul>Märtyrer</ul> an Duldsamkeit wenn er mit verschobnen Karaktern zu thun hat. Welches er an einer Frau bewies, die ihn itzt durch ihren Tod befreit hat und dem Trunk sehr ergeben war. Keine Ader Falschheit in dem Manne. Einer der ersten spekulativen Köpfe in <ul>Europa.</ul> Obwohl zu schüchtern und zu sehr lebender und thätiger Philosoph (denn er ist ein grosser Landwirth obschon er in der Stadt in einem geistlichen Amt steht und treibt seinen Garten wie Lavater die Physiognomik) seine Spekulationen von denen er große Hefte liegen hat, bekannt zu machen. Drucken läßt der – schwerlich. Könnt er sie aber ins Cabinet thun, daß sie gleich zum Ziel eilten, das wäre seine Sache. Dabei keinen Ehrgeiz – nicht den mindesten, als den das zu seyn was die in Griechenland mit Mantel und Bart waren. <ul>Keine</ul> Schönheit irgend <ul>eines</ul> Schriftstellers entgeht ihm – Goethe möchte der einzige seyn, der hiervon eine Ausnahme machte. Doch erkennt er ihn mit dem Verstande. Verzeihen Sie daß ich so ausführlich über diesen Mann bin ich kenn ihn von Kindesbeinen an. Seine Seele hat viel Aehnliches mit Güldenstedt.
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<line tab="1"/>Seine Frau ist auch hier, ein Gesicht, in dem gewiß ihre ganze Seele ist. Seine <ul>zweyte Frau</ul> nämlich. Da solln Sie rathen.
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<line tab="1"/>Die drey Töchter der benannten Dame. Jede die Mutter auf eine andere Art. Ganz durch ihr Beyspiel und Gesinnungen gebildet. Fürtrefliche Mädchen alle drey und auf die ich meines Vaterlandes wegen stolz bin. <dul>Blos</dul> durch Natur gelehrt singen sie um einem das Herz zu zerschmelzen und grössere Kenner als ich bestättigen dis. Da ist kein falscher Ton. Die mittelste doch sehr fein und fast
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<page index="8"/>unmerklich, zum Stolz auf ihre Geburt geneigt. Die jüngste möchte der Mutter am nächsten kommen. Die älteste in gewissen Stücken sie noch übertreffen an Größe der Seele, so weit sie bei einem Frauenzimmer in ihrem Verhältniß sich äussern kann. Wiewohl sie eine kleine Anlage zur Satyre hat. Sie lieset am meisten. Fast ein wenig zu streng auf das was man die Ehre des Frauenzimmers nennt; doch darum nicht minder liebenswürdig. Die jüngste ist mir dennoch die wertheste wegen einer Art von <ul>himmlischer</ul> Bescheidenheit.
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<line tab="1"/>Ein Mann – in der That ein Mann – und edel im strengsten Verstande des Worts. Aktiv und nur hitzig in seinen Geschäften sonst die Güte und Langmuth selbst. Hilft und gleich auf der Stelle – O wie so mancher hülllose Fremde durch ihn gehalten erhalten bis er zu Brod kam. Hat gereist – nur um desto hülfreicher zu seyn. Ist durch Feuer <ul>um all sein Vermögen</ul> gekommen und war doch einer der ersten, der sich wieder auf die Beine half. Ein allzu nachgebender Vater, welches seine Schwache Seite ist, denn sonst wüßt ich keine. Ein heller Kopf dabei ohne ein Gelehrter zu seyn und gründlichen Verstand, ohne viel zu lesen. Wird aber richtig urtheilen über alles was er liest.
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<line tab="1"/>Seine Frau eine wackere Hausfrau. Treu – überhaupt redlich und standhaft in Gesinnungen. Einfach in Kleidung und Aufwand obschon in der Residenz erzogen. Voll Güte und Menschenliebe wie er. Nichts von den gelehrten Frauen und spricht gern von allen Menschen das beste. Eine seltene <ul>Tugend</ul> bey den Frauenzimmer in Liefland, besonders in den Städten. Eine brave Frau.
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<line tab="1"/>Noch eine Frau. Feuer und Flamme im Hauswesen und Thätigkeit. Keinen Augenblick müssig noch ruhend. Lacht immer nur im Fluge aber lacht nie als wenns ihr ums Herz ist, nie aus Gefälligkeit. Kann gar nicht gefallen: und gefällt. Es ist ihr nicht <ul>möglich</ul> wenn sie wider einen Menschen was hat, es auf dem Herzen zu behalten. Sie sagts ihm
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<page index="9"/>und wenn es der König wäre. Hinter dem Rücken aber nie. Dies macht das eigentliche Süsse ihres Umgangs. Sie leidt ausserordentlich viel dabei denn wenn es Freunde sind quält sie sich solang damit bis es heraus ist und ich glaube sie würde sterben, wenn sies zurück behielte. Sie ist streng gegen ihr Gesinde, aber ihre <ul>Mutter</ul> zugleich. Sie ist enthusiastisch für ihren Mann, so unzufrieden sie bisweilen sie mit ihm scheint wenn sie dabei ist. Auch kennt sie kein Mensch wie er: denn sobald er hitzig wird, ist sie ein Lamm. Ich habe nicht leicht ein so glückliches Paar gesehen. Ob Sie das Gesicht errathen! – Sie hatte eine Stiefmutter die beide in einander verliebt waren, wegen Aehnlichkeit des Karakters, zum Nachtheil der natürlichen Schwestern.
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<line tab="1"/>Ihre Kinder. Der ältste lauter Witz und Gelehrigkeit. Biegsam allzubiegsam und voll Feuer. Viel vom kleinen Lavater; nicht völlig so enthusiastisch. Er wird sich nie unterdrücken lassen, wohin man ihn auch biegt, denn er ist lauter Elastisität. Der zweyte sein Gegensatz. Leicht zu drücken, weil er niemand drückt. Nachdenkend wie ein alter Mann, schwerfällig und standhaft in Empfindungen. Wenn er fühlt – ist es nicht möglich einen Laut aus ihm zu bringen. Daher lieben ihn die Eltern nicht. Ein herausgestohlnes Ach eine versiegende Träne, die Stimme mit der er singt, die Gebärde verrathen seine Seele nur dem scharfen Beobachter. Sie halten ihn alle für träge und er ist nichts weniger. Er überfühlt Eltern und Geschwister, wenn er sich gleich nie unterstehn wird sie zu übersehen. Ich war mit ihm in dem Galeerensklaven (dem rührenden Drama des Falbaire) er verlor sich so in das Stück daß er nichts erzehlen konnte und darüber die bittersten Beschimpfungen standhaft ertrug. Nur ein zurückgehaltener Seufzer bei den wärmsten Stellen die der Bruder unrichtig erzehlte, verrieten ihn mir. Ich wünscht’ es wäre mein Sohn. – Der dritte ist die Mischung der beyden ältesten doch ohne das Gefühl des zweyten und die Biegsamkeit des ältesten. Die Töchter sind ehrlich und böse wie die Mutter. Lächeln höchst selten und lachen gar nicht. Heiserkeit ist ihr Vergnügen.
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<line tab="1"/>Nun noch einmal bester Herr und Freund! auf Ihr achtzehntes Fragment. Wenn ich von Privatpersonen so ausführlich bin, was soll ich da sagen. Um Gottes
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<page index="10"/>willen, waren Fürsten der Probierstein Ihrer Physiognomik, einer so bestrittenen, so neuen Wissenschaft. Fürsten – deren Gesichter Vorstellungen ihres ganzen Reichs – und des Hofes mit sind. Fürsten die unglücklich genug sind daß sie ihr Gesicht – – nicht weisen dürfen. Wo war Ihre Klugheit lieber Mann! – wo war – verzeihen Sie mir den Ausdruck – Ihre Gewissenhaftigkeit. Fürsten – dieses Räthsel der Zeit über das nur das folgende Jahrhundert entscheidet. Wohin wagten Sie sich bey Ihrer Entfernung – bey Ihre Unwissenheit unsrer Verhältnisse. Ich kann Gott weiß ich kann Sie nicht vertheidigen und kein kein Patriot. Entschuldigen – <del>sehr genau.</del> <insertion pos="top">auch nicht</insertion> Ich weiß nicht womit! – Wer foderte Sie auf – Welche Klippe zwischen Schmeichelei und Unklugheit, beide gleich unwillkommen, bei einer Fürstin wie unsere. Die Majestäten, die Majestäten, bester Lavater! es steht was in der Bibel davon – und jeder unvorsichtige Ausdruck sollte er auch noch soviel Lob enthalten wollen, kann so leicht durch die kleinste Mißdeutung Lästerung werden. Wenn Sie wenn ich einsehen werden wie das Glück sovieler Millionen an der Verbindung dieser Nerven ruht. Sie können alles gut machen – nur nicht <ul>bekehren.</ul> Ueberlassen Sie das <ul>Bekehren</ul> einem andern, der in den Wolken des Himmels kommt. Mischen Sie sich nicht in Politick. Um <ul>Gottes</ul> willen wie kämen Sie und die Politik zusammen – – und das in der Physiognomik! Nur das möcht ich wissen, ob einer Ihrer auswärtigen Freunde Theil daran hat – ich könnte mit Wuth auf ihn herfallen und wenn es der <dul>grösseste</dul> aller deutschen Gelehrten wäre. Nicht aus Enthusiasmus sondern weil es ein Mislaut ist und die Verstimmung ewig bleibt– wenn Sie nicht selbst abhelfen. Aber wie? – – Das weiß Gott, das weiß ich nicht. Und die Saite noch einmal berühren, wäre 1000mal gefährlicher. Haben Sie denn etwas von unserer Fürstinn gelesen und ihren Karakter studirt? Haben Sie Rußlands Geschichte studirt? Oder urtheilen Sie nur nach hören sagen. Doch Sie urtheilten sagen Sie, über das Bild. Als Physiogn. Über den Künstler. Und was sollen die Köpfe im 21sten Fragment neben dem Holzschnitt solcher Fürstin. Was soll die <dul>nebengestellte Königinn</dul> – Ach Lavater Lavater! warum müssen Sie mirs nur schwer machen, Sie zu tragen. Ins Feuer möcht ich den ganzen Teil werfen. Kein Wort drin Ihrer würdig. Wenigstens um Ihrer selbst um alles willen was Ihnen heilig ist, lassen Sies aus der französischen Übersetzung weg. Ich würde dann müssen – müssen – mit allen Waffen die noch in meiner Gewalt sind – es ist Unsinn! <er><nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr></er>
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</letterText>
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<letterText letter="337"><align pos="right">Cronstadt. d. 20ten <insertion pos="top">May</insertion> 1780.</align>
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<letterText letter="337"><page index="1"/><align pos="center">Cronstadt. d. 20ten <insertion pos="top">May</insertion> 1780.</align>
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<line type="break" />Lieber Bruder!
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<line tab="1"/>Du wirst mir verzeyhen daß ich diese Antwort des Obristen Ribas an Dich, so wie die an Papa solang aufgehalten und noch mehr daß ich beyde erbrochen habe. Es ist unmöglich Dir die gegenwärtige Lage meiner Umstände zu sagen, ich bitte Dich also Dein Urtheil darüber zurückzuhalten. Ich wollte Dir den Brief gar nicht schicken, ich fürchtete aber Du würdest den Obristen einer Unhöflichkeit fähig halten, welches sein Fehler nun wohl gewiß nicht ist. – Die Ursache des Briefes mochte wohl mit in der Offerte liegen, deren ich letzthin in einem Briefe an Dich gedacht, und um derentwillen ich jetzt hier bin. Soviel kann und darf ich Dir nur sagen, alles ist am Rande der letzten Gährung. Drey Aussichten unter denen ich nur eine wählen kann – und bey welchen allen vorsichtig verfahren werden muß. Ich habe Deinen Brief an eine bewußte Dame der Frau Obristin K. gegeben und sie kann eine sehr wirksame Mittelsperson zu meinem Glück werden.
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<line tab="1"/>Alles geht und muß gehen und eine dieser Offerten der andem durchhelfen, wenn es mir nur an dem Nothwendigsten nicht fehlt, am Gelde. Denn in welcher verzweiffelten Situation mich dieser Mangel trift, da er mich zwingt, eben da unthätig zu seyn, wo oft ein Schritt alles entschieden haben würde. Meine Freunde können mich länger nicht unterstützen, sie haben das letzte getan mich zu beschämen. Wär es möglich daß Du nur 25 Rubel <ul>Vorschuß</ul> noch mir – und zwar aufs baldigste auftreiben könntest. Stelle Dir vor, welch eine Quaal mein ganzes verhunztes Leben mir bereiten würde, wenn alles sich vereinigte mir aus der Schmach eines verunglückten Gesuchs herauszuhelfen und ich bloß aus Ohnmacht oder Mißtrauen meiner Verwandten die wenigen Schritte die man mir übrig lassen mußte, nicht thun konnte. Du hast gut rathen, wie Papa, von augenblicklichem Annehmen der ersten besten Information oder was anders, beste theureste, Ihr bedenkt nicht daß ich damit alles andere verderbe. Informiere wie ein Schulmeister und hoffe dann noch jemals wieder zu gefallen. Und ohne zu
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<page index="2"/>gefallen, ists doch unmöglich zu einem honetten Platz zu kommen, wo du auch mit einiger Ehre arbeiten kannst. Also glaub doch nicht, daß der Vorschuß vergebens ist, denn ich versichere Dich, daß das Gefallen von dem ich rede, nicht durch Müssiggang sondern durch Arbeit – erhalten wird – mit dem einzigen Unterschied, daß man dafür keine Bezahlung verlangen darf. Schreit nur nicht, Lieben! was denn da herauskommen soll wenn man nichts verdient etc. Es heißt hier mehr als jemals, wer seine Hand an den Pflug setzt und zurückzieht – entweder ich muß auf der Bahn fortfahren, oder ich hätte sie nie betreten sollen. Ich bitte Dich, schick diesen Brief Papa, mag auch da herauskommen, was wolle. Er wird wenigstens soviel Zutrauen zu mir haben, daß ich weder Verschwender noch Müssiggänger genug sey, auf dieser Laufbahn fortzugehen, wenn ich nicht wüßte, daß sie zum Ziel führen würde. Die Stetigkeit mit der ich auf dem Antrag im Landkorps beharrt bin, hat mir weder geschadet, noch wird sie mir in der Zukunft schaden, da wenigstens jetzt ganz Petersbg. überzeugt ist, daß das Fehlschlagen desselben mir bei dem Zusammenstoß von Umständen nicht zur Unehre gereichet. Mündlich könnt ich Dir 1000 Sachen mehr drüber sagen, wenigstens <ul>ich</ul> habe mich über den Obristen nicht zu beklagen, obschon er mich 100 Rbl. gekostet – vorjetzt nicht mehr, denn <aq>littera scripta</aq> – – –es giebt Körbe selbst, die uns mehr helfen als Bewilligungen– der einzige Fehler auf seiner Seite – (wenn es <ul>sein</ul> Fehler ist) wäre der, daß er mir sie nicht eher gegeben.
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">Noch einmal lieber Bruder, sage lgelstr. nichts von dem, was ich von Dir zu wissen begehre und glaube mir doch, daß ich nicht ganz mit der Stange im Nebel herumfahre. Es hat Ursachen die ich Dir nicht sagen kann schriftlich. Antworte mir aber ja aufs schleunigste, damit ich Papa schreiben kann und andern Personen, an die es schon lang nöthig war.</sidenote>
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">Noch einmal lieber Bruder, sage Igelstr. nichts von dem, was ich von Dir zu wissen begehre und glaube mir doch, daß ich nicht ganz mit der Stange im Nebel herumfahre. Es hat Ursachen die ich Dir nicht sagen kann schriftlich. Antworte mir aber ja aufs schleunigste, damit ich Papa schreiben kann und andern Personen, an die es schon lang nöthig war.</sidenote>
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<line tab="1"/>Gott warum machen doch 40 Meilen solchen Unterscheid – Ich kann und. darf jetzt nichts sagen, als schick mir itzt so schnell
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<page index="3"/>als möglich 25 Rb. und ich bin auf immer geholfen, und Du und Behrens in Riga bekommt euer Geld vor dem Winter wieder. Kannst Du nicht, so kann Papa vielleicht; bitt ihn seinen Sohn aus dem Schiffbruch seiner Ehre und seines Glücks zu retten. Noch einmal, dies ist die letzte Foderung, die ich an Papa und Dich thue. Und meine Gründe dazu zu sagen ist – unmöglich. Ich denke Du wirst den Sinn dieser Worte leicht einsehen, sobald Du nur ein wenig die gegenwärtige Lage der öffentlichen und besondern Angelegenheiten eines jeden allhier – überdenkst und wie die erstern auf das Schicksal des allerletzten Bürgers mitwirken müssen. Gottlob daß alles itzo ruhig und glücklich ist – auch das ein Beweis der allenthalben hindringenden Weisheit unserer höchsten Gesetzgeberin – und daß ein jeder gleichsam wieder wie von ferne zu leben und zu wirken anfangen kann. Du wirst aus dem Datum sehen, wie lange des Obristen Briefe bey mir gelegen. Schreib mir Deine Meynung darüber nicht – und <ul>bitte Papa,</ul> daß er sie mir auch nicht schreibt. –
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<line tab="1"/>Man kann und darf niemals von Handlungen oder Sachen urtheilen, wenn man die kleinsten Ursachen derselben nicht weiß; und das Muthmaßen kann oft unwiederbringlich weiter fehl führen, als die vorsetzlichste Mißdeutung.
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<line tab="1"/>Soviel muß ich Dir sagen daß weder beim hiesigen Landkorps alles vorbei ist, da es sich noch immer an dem stößt daß man <ul>keine neue Stelle kreiren will,</ul> noch auch sonst es an Versorgungen fehlet. Das Seekorps in Cronstadt ist von nicht wenigerer Wichtigkeit als das Landkadetten Korps und meine Beförderung an demselben oder in einem andern Fach hängt lediglich von der Rückkunft der Monarehin ab. Du wirst aus beygelegtem Briefe an den <insertion pos="top">Herrn</insertion> Kammerherrn Igelstrohm mehr ersehen.
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<line tab="1"/>Hier folgt auch ein Briefgen an Moritzsche und Schmidsche den ich aufs schleunigste zu befördern und zu unterstützen bitte.
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<line type="break" />Dein Weibgen und Deine Kinder aufs zärtlichste umarmend als
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<line tab="1"/>Dein Weibgen und Deine Kinder aufs zärtlichste umarmend als
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<line type="break" /><align pos="center">Dein</align>
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<line type="break" /><align pos="right">getreuer Bruder
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<line type="break"/>J M R Lenz</align>
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<line tab="1"/>Mit nächster Post schreibe an Papa, vorher aber muß – aufs schleunigste NB Nachricht <ul>von Dir haben, ob</ul> der Herr G. Gouverneur <ul>Braun</ul> mit der Monarehin gereist oder ob er in Riga, und sie vielleicht auf der Rückreise wieder wo sehen werde; imgleichen ob General Berg mit gewesen und ob Du ihm mein <ul><aq>Exposé</aq></ul> zugeschickt. <fn index="7"><anchor>╒</anchor></fn> Lieber Bruder, Eure Ängstlichkeit und Mißtrauen in mich schadet mir unaussprechlich, ich darf – gewisse Sachen nicht schreiben, die Euch über meine Handlungen mehr Licht geben würden: da ist <ul>Zutrauen nothwendig.</ul> Und auch das, <ul>daß du nicht grad jeden fragst.</ul> Der Rath einer gewissen Person, die Du mir empfahlst hat mir geschadet. Antworte doch bald ich bitte Dich.
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<sidenote pos="left" page="4" annotation="Am linken Rand, mit vertikalem Strich abgetrennt"><fn index="7"><anchor>╒</anchor></fn>NB. Dies kann nicht schaden, lgelstrohm mag sein was er will. Es hätte mir schon viel genutzt</sidenote>
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<sidenote pos="left" page="4" annotation="Am linken Rand, mit vertikalem Strich abgetrennt"><fn index="7"><anchor>╒</anchor></fn> NB. Dies kann nicht schaden, Igelstrohm mag sein was er will. Es hätte mir schon viel genutzt</sidenote>
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