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@@ -5385,8 +5385,8 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
<line type="break"/>gehorsamstergebensten
<line type="break"/>JMR Lenz.</align>
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<note>eingerahmt:</note>
<line tab="1"/>Mein Vater ist für mich reich, so auch meine Geschwister. Daß also das nicht in Anschlag kommen darf.</sidenote>
<align pos="center"><note>eingerahmt:</note></align>
<line type="break"/>Mein Vater ist für mich reich, so auch meine Geschwister. Daß also das nicht in Anschlag kommen darf.</sidenote>
</letterText>
<letterText letter="322"><page index="1"/><ink ref="2"><align pos="right">Dorpat. D. 6ten Jenner 1780.</align></ink>
@@ -5399,14 +5399,14 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
<page index="2"/>Papa! um aller Güte und Liebe willen die Sie noch für mich haben, bitten, daß Sie <insertion pos="top">sogleich sich aufs Schloß verfügen und</insertion> ein gutes Wort für mich bey Sr Erl. dem Hn. General-Gouverneur einlegen, ihm meinen Entschluß melden, und wie unentbehrlich und für mein ganzes Glück entscheidend wohl jetzt ein Paar Worte Empfehlung von seiner Hand mir in Petersburg <insertion pos="top">an den Herrn Geh. Rath Betzkoi</insertion> seyn werden, wo meine natürliche Schüchternheit, die Unbekanntschaft mit der Sprache, folglich auch mit den Sitten, mir tausend
<page index="3"/>Hindernisse in den Weg legen, gesetzt auch daß ich von keinem Mitkompetenten, welche zu befürchten hätte. Se Erl. wissen besser, als ich es nöthig habe zu sagen, wieviel bey der Schätzung der Kenntnisse und Brauchbarkeit eines jungen Menschen auf den ersten Debüt ankommt und auf die Gelegenheit die man ihm macht, sie zu zeigen. Nicht die vollkommene Erfüllung dessen was man sich von ihm versprochen, sondern nur die Fähigkeit, sich diesem Ideal durch eigenen Fleiß künftig bis zur Vollkommenheit nähern zu
<page index="4"/>können, ist das was man zu seiner höchsten Empfehlung sagen kann. Geschichte, und Philosophie die den Staatsmann; Mathematick und Bekanntschaft mit den Erfahrungen der alten und neuen grossen Feldherrn, die sie in ihren Tagbüchern hinterlassen, die den künftigen Kriegshelden, bilden hoffe ich im Stande zu seyn, mit den dazu gehörigen alten und neuen Sprachen zu dociren: vielleicht können Sr. Erlaucht schon aus der übersetzten Schrift beurtheilen, mit welchem Glück in Ansehen Vortrages und Methode. … Eben kommen Freunde mich zu bewillkommnen. Verzeyhen Sie theurester Vater daß ich bey der Eilfertigkeit der Post mit abbrechen muß, eh ich Ihnen noch gesagt, mit welchen tausend Seegenswünschen und Grüssen Ihre sämtlichen lieben Kinder in Neuhau-
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der der zweiten Seite, vertikal">Ich lege das vom Hn. Gen. Gouverneur verlangte Blatt bey, worüber mir mit umlaufender Post aus Ihrer Gütigkeit nur mit zwo Zeilen Antwort bitte, wenigstens sobald es seyn kann, weil die Reise nun mehr als zu sehr pressirt. Ich werde noch acht Tage hier bleiben um die Briefe aus Riga zu erwarten. Theurster Papa! bedenken Sie gütigst, daß dieser Schritt für mein ganzes künftiges Leben entscheidet und alle übrige Aussichten schwankend und unsicher sind, auch immer bey dieser bestehen können.</sidenote>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand der der vierten Seite, vertikal">x sen und Dorpat Ihnen beyderseits die Hände küssen. Ich hoffe das nächstemahl mehr und umständlicher zu schreiben, der Bruder hat Moritzens geschrieben, daß sie auch herüber kommen. Was für Grüsse hätt ich Ihnen nicht noch von den Herrn Pastor Frank und Pastor Saß zu überschicken die mich wie Bruder Schmidt mit Freundschaft überhäuft haben. Auch Herr Graf Manteufel empfiehlt sich nebst seiner vortrefflichen Gemalinn.</sidenote>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der zweiten Seite, vertikal">Ich lege das vom Hn. Gen. Gouverneur verlangte Blatt bey, worüber mir mit umlaufender Post aus Ihrer Gütigkeit nur mit zwo Zeilen Antwort bitte, wenigstens sobald es seyn kann, weil die Reise nun mehr als zu sehr pressirt. Ich werde noch acht Tage hier bleiben um die Briefe aus Riga zu erwarten. Theurster Papa! bedenken Sie gütigst, daß dieser Schritt für mein ganzes künftiges Leben entscheidet und alle übrige Aussichten schwankend und unsicher sind, auch immer bey dieser bestehen können.</sidenote>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand der vierten Seite, vertikal">x sen und Dorpat Ihnen beyderseits die Hände küssen. Ich hoffe das nächstemahl mehr und umständlicher zu schreiben, der Bruder hat Moritzens geschrieben, daß sie auch herüber kommen. Was für Grüsse hätt ich Ihnen nicht noch von den Herrn Pastor Frank und Pastor Saß zu überschicken die mich wie Bruder Schmidt mit Freundschaft überhäuft haben. Auch Herr Graf Manteufel empfiehlt sich nebst seiner vortrefflichen Gemalinn.</sidenote>
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<line tab="1"/>Wollten Sie die Gütigkeit haben, gegenwärtige Punkte zu Sr Erl. mitzunehmen, um mit ihm darüber zu sprechen. Sollte er aber sie selbst zu sehen verlangen, bitte sie doch von Bruder Carl gütigst abschreiben zu lassen, weil ich dies hier nur in der Eil entworfen und es mir unmöglich ist, ins reine zu bringen, weil die Post abgeht..
<line tab="1"/>Noch eins mein theurester Vater! Die Hauptsache zu meiner Reise ist Geld ich habe mirs zum Gesetz gemacht, Ihnen damit nicht beschwerlich zu fallen; eins aber können Sie thun und um diese väterliche Barmherzigkeit muß ich Sie ansprechen; daß Sie so gütig sind und bey Hartknoch mit ein gut Wort für mich reden und für mich, wenn ers fordert kaviren. Ich hab ihm geschrieben, was ich
<page index="6"/>brauche und wie bald ich ihm die Summe wiedergeben kann, ich mag nun in Petersburg bleiben oder zurückkommen, im ersten Fall wird es nicht schwer halten, ihn <ul>höchstens</ul> in 3, im letzten Fall, höchstens in 4 Monathen völlig zu befriedigen da ich Monatlich auf 30 Thlr <aq>Alb.</aq> stehe. Sobald ich Hartknochs Brief erhalte, schick ich ihm die Obligation; werde also demselben und ein Paar Zeilen von Ihrer Hand mit der ungeduldigsten Erwartung entgegensehen, da ich ohne diese nicht aus dem Fleck kann und nicht immer die Gelegenheit sich so findet, daß die mich zu sehen neugie-
<page index="7"/>rigen Geschwister und Freunde mich von einem Ort zum andern schiessen. Lassen Sie uns also bester Vater! die Sache sattsam und gründlich angreiffen und nicht länger auf Luft und Schatten einer ungewissen Zukunft bauen, da das Gegenwärtige so nicht wiederkommt. Das Künftige was meinem Herzen näher läge, wird schon von selbst kommen, wenn es kommen will und kommen kann, welches mein Herzens Bruder Pegau der so gern sich mit Träumen abspeist, die er freylich nach seinem Gefallen einrichtet, so schwer begreiffen kann.
<sidenote pos="left" page="6" annotation="am linken Rand der der sechsten Seite, vertikal">Hartknoch giebt gewiß wenn Sie bürgen wo nicht alles wenigstens soviel er kann: 3/4: die Hälfte wenigstens. Hier ist alles abgebrannt.</sidenote>
<sidenote pos="left" page="6" annotation="am linken Rand der sechsten Seite, vertikal">Hartknoch giebt gewiß wenn Sie bürgen wo nicht alles wenigstens soviel er kann: 3/4: die Hälfte wenigstens. Hier ist alles abgebrannt.</sidenote>
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<line tab="1"/>Hauptsächlich aber daß man eine Zeitlang gearbeitet und sich bey den Planen anderer Leute versucht haben muß, eh man selbst Plane machen kann. Verzeyhen Sie meine Eile und Feder und erfreuen mich, wenn Ihnen mein Glück und Ihre Zufriedenheit lieb ist, baldmöglichst mit einigen gütigen Zeilen Ihrer Hand über diese wichtigen Punkte meiner Reise und meiner Bestimmung. Nach tausend Handküssen von uns sämtlichst an Ihnen und meine theureste Mutter
<line type="empty" />
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<line tab="1"/>
<sidenote pos="left" page="8" annotation="am linken Rand der der achten Seite, vertikal">Tausend Grüsse von Oldekops und allen Freunden an Sie, Mama auch Bruder Carl. … Die gutkranke Schmidtin wird Ihnen mit der Post geschrieben haben.</sidenote>
<sidenote pos="left" page="8" annotation="am linken Rand der achten Seite, vertikal">Tausend Grüsse von Oldekops und allen Freunden an Sie, Mama auch Bruder Carl. … Die gutkranke Schmidtin wird Ihnen mit der Post geschrieben haben.</sidenote>
</letterText>
<letterText letter="323"><page index="1"/>
@@ -5484,102 +5484,67 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
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<letterText letter="326"><align pos="right">St. Petersb. d. 27sten Merz</align>
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<line tab="1"/>Mein schätzbarster Freund! Ich weiß diesen Brief nicht besser an Ihre Demoiselle Schwester gelangen zu lassen, als durch Ihre Hand und bediene mich der Gelegenheit, so vielleicht die ersten und besten Nachrichten von Ihrem allerseitigen Wohlbefinden zu erhalten. Ich hatte vor meiner Abreise ein Abschieds- und Danksagungsschreiben an Ihre Mad. Schwester und zugleich an Ihr ganzes verehrungswürdiges Haus aufgesetzt, da ich aber eben aus einer schweren Leibes- und Gemüthskrankheit, von der Sie vielleicht gehört haben, genesen war, so mußte ich aus den Folgen schließen, daß Sie dasselbe nicht erhalten. Das ist die Ursache, warum ich eine mir so angenehme Schuld itzt nachhole. Ich habe viel ausgestanden in der Krankheit und auf der Reise, mein Körper und meine Munterkeit haben dadurch gelitten, das einzige was mir geblieben ist die Erinnerung und das Gefühl für alle Freundschaft und Güte, die mir bey meiner Entfernung vom Vaterlande wiederfahren. Ich wünschte nicht, daß Sie in ähnliche Situationen geriethen; so sehr ich von Herzen wünschte, Ihnen worin dienen zu können. Ich erinnere mich von Ihrem Herrn Vater gehört zu haben, daß Sie eine der deutschen Universitäten besuchen wollten. Sagen Sie mir welche es seyn wird; vielleicht hab ich dort einige Bekanntschaft. Sollte Sie aber einmal mehr als Neugier, sollten merkliche Aussichten Sie in unsere Gegenden herüberführen, so seyn Sie versichert, daß ich alles anwenden werde, was in meinem Vörmögen ist, Sie meiner unveränderlichen Hochachtung und Erkenntlichkeit für Ihre ganze würdige Familie zu überführen. Wahr ist es daß der Schwürigkeiten befördert zu werden, hier mehr sind als anderwärts, Schwürigkeiten die ich als Einheimischer bis zur Aufgebung aller Hofnung erfahre und die einem Fremden doppelt auffallen müssen. Eine Menge Leute von Talenten, die von allen Orten her hier zusammenfliessen und durch Connexionen und Cabale jedem Unerfahrnem den Weg verbauen, ein hartes Klima, eine höchst theure Lebensart, fremde Sprache und Sitten und eine Art von Zusammenverschwörung gegen den, der die beyden letztern nicht kennt tausend Ungemächlichkeiten, die mich die eine Reise zu Land und Wasser von einigen 700 Stunden bald vergessen machten. Alsdann der Pöbel und das Gesinde in einer grossen Stadt, der zu tausend Ausschweifungen vertritt, und der Arbeit ungewohnt, wegen Diebereien und oft den grausamsten Verbrechen, eine Art von Feind ist gegen den man beständig zu Felde liegt kurz alles alles lieber Freund was sich besser denken als sagen läßt, machen die Versorgung hier unaussprechlich schwerer als anderwärts, so wie vielleicht kein Ort ist wo man so leicht und so glänzende Hofnungen gibt, die das Unheil nur grösser machen. Nein mein Freund! wahres Verdienst, Tugend und Wissenschaft müssen besondere Wege finden sich geltend zu machen an einem Ort, wo jeder durch die seltsamsten Schicksale hergeworfene und verschmitzt gewordene Fremde sich das Ansehen von Verdienst und Tugend zu geben weiß kurzum, wo man Gott dankt, daß man Othem holt. Es ist wahr daß die höchste Monarchin und verschiedene Grosse hier einen unbestechlichen Sinn für wahren Werth haben aber der Weg zu ihnen wird einen bis von den geringsten Personen auf eine solche Art verrammelt, daß eine Lebenszeit daraufgeht, eh Glück oder Zufall ihn eröfnen. Dies muß ich Ihnen schreiben, weil eine gewisse Meynung die auswärts noch von vorigen Zeiten herrscht, als Verdienste seltner waren, einen Fremden leicht verführen kann, sich die Sachen bey weitem anders vorzustellen, als sie sind; eine Meynung, die tausend Unheil anrichten kann. Ich bin noch nicht befördert und weiß noch nicht ob Petersburg oder Schweden mir nur den nothdürftigsten Unterhalt geben wird, den man oft mit den glänzendsten Namen bezeichnet
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich Ihren <aq>Mlls.</aq> Cousinen und sagen Ihnen, daß ich keinen von Ihren und meinen Freunden in Curland gesprochen, da meine Reise zu Wasser gieng. Von denen Herrn v. Kleist habe gehört, daß sie sich in Curland verheurathet: von Herrn v. Medern weiß ich nichts zu sagen. In Kurland wenn man Bekannte unter dem Adel hat, giebts noch eher Aussichten als hier, wo die ganze Welt möcht ich sagen sich zusammendrängt. Doch werden Sie selbst leicht errathen, warum ich meine Verbindungen dort mit Fleiß abgebrochen, da sie von keiner Dauer seyn konnten. Für einen Fremden, besonders für einen Juristen könnten sie es eher seyn, auch für Theologen, die die Landessprache lernen. Haben Sie mir keine Nachricht von Herrn Ott zu geben? Der Minister bey dem er <aq>engagirt</aq> war ist jetzt in Moskau. Empfehlen Sie mich Dero sämtlichen Angehörigen und lieben unaufhörlich
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="right">Ihren ergebensten Freund
<line type="empty" />
<line type="break" />JMR. Lenz.</align>
<line type="empty" />
<line type="break" />Dem Herrn Cousin, Herrn Amtmann Schöll meine verbindlichste Empfehlung
</letterText>
<letterText letter="327"><align pos="center">Meine theureste Freundin</align>
<letterText letter="327"><page index="1"/><align pos="center">Meine theureste Freundin</align>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da Ihnen mein Abschieds und Danksagungsschreiben, das ich nach der Genesung aus einer schweren Krankheit an Sie schickte, vermuthlich aus dieser Ursache nicht zu Händen gekommen; so hoffe ich, diese Schuld aus der Entfernung wo nicht abtragen zu können, doch wenigstens durch mein Stillschweigen nicht zu vermehren. Sie und Ihre fürtrefliche Familie waren es, die in einem fremden Lande, auf immer, wie es schien, getrennt von den Meinigen, an einem kleinen ungesunden Ort, ohne Umgang, ohne Verbindungen den trübsten Stunden meines Lebens diejenige Aufmunterung gaben, deren Eindrücke mich über das Grab hinaus begleiten wer. den. Sie waren es, die mein Herz zu jedem zärtlichen Verhältniß wiederstimmten, das ich in meinem Vaterlande abgerissen. Der geschmackvolle und lehrreiche Umgang mit Ihren würdigen Cousinen, Ihre gegenseitige Freundschaft, die glücklichen Wendungen, die Ihr eigenthümlicher Geschmack, Ihr Witz und Ihre Empfindung jedem Zug in ihrem Karakter, so wie dem Karakter abwesender Freunde von denen wir uns offt unterhielten, zugeben mußte; mich anzuspornen wußte, ihnen nachzu eyfern, um Ihres unbestechlichen Beyfalls würdiger zu werden, waren damals die Muse meiner glücklichsten Stunden und sind nachher noch offt der Gegenstand meiner einsamen Unterhaltung gewesen. Sie hatten die Züge einer meiner geliebtesten Schwestern und wenn die Verschwisterung der Seelen keine Schimäre ist; so erlauben Sie mir, Sie unter diesem Karakter noch abwesend zu verehren. Ja theure sanfte Seele, wenn ich Sie mir unter diesem Klima denken könnte, hier wo der Mangel der lieblichen Witterung und Früchte, fremde Sitten und eine fremde Sprache, Ihren Lebensgeistern vielleicht den glücklichen Umlauf wehren und Sie hindern würden, Sie selbst zu seyn: so würd ich sie <insertion pos="top">ganz</insertion> in Ihnen <del>allein ganz</del> wiederfinden. Wenigstens sagen Sie denen, die itzt ein näheres Recht auf Ihre
<page index="2"/>Theilnehmung und Freundschaft haben, daß der Eindruck Ihres Karakters, das Nachahmungswürdige desselben, mir offt die schwürigsten Knoten des Lebens habe lösen können: ein Vorzug, den Sie mit noch einer Freundin aus jenen Gegenden, die itzt in erhabenere versetzt ist theilen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meine Reise darf ich Ihnen nicht beschreiben: sie war, wie die Reise durch die Welt, langsam und beschwerlich, mit manchen angenehmen Ruhepunkten. Ich sah endlich die Thurmspitzen von Riga und die Ufer meines Vaterlandes mit einer wunderbar vermischten Empfindung. Alles fremdete mich an bis ich die Meinigen wiedergesehen, von denen ich dennoch einige bis jetzt noch nicht umarmt habe. So zerstreut sind sie und an so verschiedenen Enden des Landes haben sie sich niedergelassen. Gegenwärtig bin ich in einer der größten Städte, abermal wie ein Fremdling und es wird Zeit brauchen, ehe ich über Personen und Sachen gehörig urtheilen kann. Ach wie viel ruhiger und schöner ist es in dem Gärtgen zu S als an den getümmelvollen Häfen. Geniessen Sie dieses Glücks ohne erst durch den Contrast versuchen zu wollen, ob es auch wirklich wahr sey, daß man es der sogenannten großen Welt vorziehen könne. Unglücklich genug
<page index="3"/>ist der, der durch seine Situation dazu gezwungen ist. Er hat sich aufgezehrt, eh er zu leben angefangen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich werde schwerlich die glücklichen Ufer des Rheins wiedersehen; sie die so viel Wesen, als die grossen Städte Schein haben aber ich werde mich noch offt der Rheininseln erinnern, wo wir tanzten, des freundschaftlichen Lichtenau, wo die Freude wohnte, deren Maske hier niemand mehr betrügen kann, der Plätze alle, wo wir uns offt von x x besprachen, oder mit Ihren Cousinen ein gutes deutsches Lied sangen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lassen Sie mich hier abbrechen und nur noch fragen, was Ihr Herr Bruder macht was Ihre würdigen Schwestern machen. Die schalkhafte Selma u. die altkluge Sophie konnte es ein schöneres Conzert für Ihre weiche sanfte Seele geben, als der Rath, der Umgang die Laune solcher Schwestern. Wie? sie sollten sich verändert haben? Nimmermehr! so wenig als F. B. sich verändern kann von den Veränderungen des Karackters zu verstehen, denn das andere, deucht mich, würde nur dann nicht zu verzeyhen seyn, wenn es eine Veränderung zum Schlimmen wäre.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich Ihren theuresten Eltern und sagen ihnen, daß seit meiner letzten Krankheit meine Munterkeit so ziemlich hin ist welches Sie auch meinem Brief wohl anmerken werden und ich jetzt in den
<page index="4"/>Pfänderspielen zu S. eine sehr traurige Figur machen würde. Ich habe eine Mutter verloren ich habe mehr verloren Gegenstände genug, die mir das Grab anfangen könnten lieb zu machen wenn nicht noch Personen auf dieser Oberwelt wären, an deren Glück ich anwesend oder abwesend von Herzen Theil nehmen könnte <insertion pos="top">es</insertion> mich vielleicht anstecken würde mit Lebensfreude.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und so leben Sie denn wohl theureste Freundin und findet sich eine Gelegenheit mit einem reisenden Freunde oder sonst mir eine Nachricht von Ihnen von Ihnen allen zukommen zu lassen von Ihren Strasburgschen Freunden nicht zu vergessen so werden Sie mich sehr glücklich dadurch machen.
<line type="empty" />
<line type="break" />Ich aber werde unter jeder Veränderung bleiben
<line tab="1"/>Ich aber werde unter jeder Veränderung bleiben
<line type="break"/><align pos="center">ein</align>
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<line type="empty"/>
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="right">mit ganzer Seele theilnehmender Bruder
<line type="empty" />
<line type="break" />J M R Lenz.</align>
<line type="break"/>St. Petersbg. den 27 Merz 1780.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand der vierten Seite, vertikal">Dem verehrungswürdigen Herrn Onkel und ihren sämmtlichen fürtreflichen Strasb. Cousinen bitte meine beste Empfehlung zu versichern. Wenn Ihr Herr Bruder an mich schreiben will, so lassen Sie ihn nur die Adresse an meinen Bruder machen: den Oberpastor Lenz in Dörpat p. Francfort, <aq>Memel et Riga,</aq> weil ich noch keine Bestimmung habe</sidenote>
</letterText>
<letterText letter="328"><align pos="right">StPetersburg d. 28sten Merz. 80.</align>
<letterText letter="328"><page index="1"/><ink ref="2"><align pos="right">StPetersburg d. 28sten Merz. 80.</align></ink>
<line type="empty" />
<line type="break" />Lieber Bruder!
<line type="break" /><align pos="center">Lieber Bruder!</align>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dein anhaltendes Stillschweigen macht mich nur immer dreister und weil der der einen Finger hat, nach Petersbg. Methode die Hand nehmen muß, wenn er sich und andere nicht in Verlegenheit setzen will, so schicke Dir noch einen Beytrag zu meiner nothwendigen auswärtigen Correspondenz, welcher sie aber auch wohl auf immer beschliessen wird. Wohin dieser Brief geht, wirst Du leicht errathen und was er mich gekostet, wird Dir Dein Herz sagen. Es hält schwer sich in abgerissene Verhältnisse hineinzusetzen, wenn einen die gegenwärtigen bis an die Seele einengen. Ich habe unrecht, daß ich diesen Brief nothwendig nenne, denn wegen der Personen die er angeht, ist er nur billig und schön, auch wohl nicht unerwartet, da ich ein 4 Jahr kontinuirlich das Haus, an dem ich Dir die Adresse gebe, wie ein Naturalisirter Strasburgischer Freund besucht und es von keinem Landsmann, der es gekannt, noch ohne diese Höflichkeit geblieben. Auch hab ich ihm die <ul>Flüchtigen Aufsätze</ul> in gewisse Art dedicirt, die in der Schweitz herauskamen. Die Adresse des Briefes ist: <ul>A Mons. Brion, Etudiant en Philosophie a Strasbourg,</ul> zu erfragen und abzugeben in dem Hause des Herrn geh. Rath Schöll in der Schlossergasse. Das Porto wirst Du noch dismal so gütig seyn, auf Deine Hörner zu nehmen und mir mit dem für den vorigen zu berechnen.
<line type="empty" />
<line type="break" />
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">geheimen Rath</sidenote>
<line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">geheimen Rath</sidenote>
<line tab="1"/>Gestern macht ich mit einem aus Kamtschatka hieher zurückgekommenen kommandierenden Major Böhm einen Besuch bey dem bekannten Herrn Prof. Pallas, der mich sehr glücklich gemacht hat. Ich hoffe noch besser und näher mit ihm bekannt zu werden, obschon seine Wohnung so entlegen ist. Das einzige was mich abhalten könnte, wäre die Furcht, mit zu einer Bereisung der dortigen Gegenden (so vortheilhaft auch
<page index="2"/>sonst die Bedingungen seyn mögen) angetreten zu werden. Es giebt gewisse Anträge die sich mit guter Art nicht ablehnen lassen und das Beyspiel fast sämtlicher hiesigen Professoren und Adjunkten der Akademie <insertion pos="top">Güldenstedt, Georgi, Pallas etc. </insertion> würde Aufmunterung oder Versuchung genug seyn Gott lenke meine Wege nach seinem Rath! Pallas versichert, daß es ihm unter den Ostiaken besser gefallen als in Petersburg. x Doch sag hievon niemand es ist
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal"><fn index="1"><anchor></anchor></fn> eine Grille, die von hundert Personen auf eine so schiefe Art ausgelegt werden könnte daß mir angst und bange werden würde. Es ist indessen gut, alle Ressourcen von Petersburg zu kennen.</sidenote>
<line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der zweiten Seite, vertikal"><fn index="1"><anchor></anchor></fn> eine Grille, die von hundert Personen auf eine so schiefe Art ausgelegt werden könnte daß mir angst und bange werden würde. Es ist indessen gut, alle Ressourcen von Petersburg zu kennen.</sidenote>
<line tab="1"/>Lieber Bruder! wenn Du doch einen der Liphardschen Häuser sprichst, laß gelegentlich was durchschwitzen, von dem befremdlichen, mit Petersburg nicht allein, sondern mit allem was in der ganzen Welt Handlung heißen kann, so <aq>barbaro modo</aq> unkundigen Betragen des Bar. Gustav Schulz gegen unsern liebenswürdigen Brauer. Er schreibt ihm einen Brief, als ob er ihn an seinen Domestiken schriebe, den er in Petersburg zur Bestellung seiner Brandweinslieferungen besoldet. Nun kannst Du Dir vorstellen was das in einem der ersten Handlungshäuser in Petersb. für Eindruck macht. Er hat ihm die erste Brandweinslieferung, wie er mir aus seinem Buch gewiesen, mit 8 Rubeln eigenem Schaden besorgen helfen, seine Unruhe Mühe Sorgen und Bestellungen ungerechnet, da er bey seinen anderweitigen ausgedehnten Geschäften noch so manche Versäumnis obeneinhat. Er hat den Inspektor den jener her geschikt ganz wieder die Regeln des Kaufmanns, als Freund <insertion pos="top">des Barons</insertion> selbst mit den Connexionen bekannt gemacht, von deren Verhehlung er seinen Profit hätte machen können: nun glaubt dieser, die Sache allein eben so gut ausrichten zu können worin er sich aber sehr betrügen wird. Er hat ihm Gelder ausgezahlt, die dieser, immer unbescheidsamer gemacht, bis zu der Prätension ausdehnte, für ihn Geldremessen an entfernte Personen in Liefland zu machen, deren Aufenthalt er nicht einmal weiß, ja sich für sehr gravirt hielt, daß es nicht
<page index="3"/>so gleich und so prompt geschehen war. <insertion pos="top">als er an fremdes Geld kommandirt hatte.</insertion> Er nennt die Fastagenbrake die hier nothwendig ist, besonders da seine Fässer nicht nach dem Kransmaaß waren, die Reparatur seiner Pipen, die er doch selbst verlangt, das Bewachen seines Vermögens u s f. Schikanen und meynt man hätte mit 1/3 von 88 Rblen<fn index="3"><anchor>*</anchor></fn>die er zu allem bewilligt, die Richter, unter denen Etatsräthe sind u s. f. die Pächter und alles bestechen können, sie ihm zu ersparen. Er glaubt daß der Transport in einem Ort wie Petersbg. so wie dort auf dem Lande umsonst geschehe, kurz daß hier jedermann sich zu seinen Diensten umsonst kommandiren läßt, wie seine Unterthanen. Auch ist der Brief an Brauer völlig in dem Ton eines Souverains den dieser mit Stillschweigen und Mitleiden <insertion pos="top"><del><nr> </nr></del></insertion> erwiedert und abwartet; wie er sich bey dem Rath vermuthlich eines unvernünftigen Untergebenen, der die Sache die er durch Brauers Hilfe ausgerichtet, nun eben so leicht und vermutlich mit Vortheil für sich auszurichten meint, in kurzem befinden wird. Ob er alsdenn statt der billigen Erkenntlichkeit für die Sicherheit seiner Entreprise und für seinen Gewinnst den man ihm in Gold und Silber umgesetzt zuschickt, um den Insp. der sonst Monathlang hätte lauffen können, in einem halben Tage abzufertigen, kurz für Ansehen Credit und Connexionen womit Brauer ihn unterstützt hat, noch über Schikanen und aus Versehen in die Rechnung eingeführte Posten schreyen wird.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal"><fn index="3"><anchor>*</anchor></fn> er weiß vermuthlich nicht wieviel 1 Rbl. in Ptersb. macht. Er will nicht wissen, daß niemand hier einen Schritt umsonst thut und daß sein Schwiegervater d. H. Tulander Eymerweise bezahlt Da des Schwiegersohns Eymer grösser, unbehandelsamer sind und beym Aufrollen jedes allein 8 Cop. beym Abrollen 7 gekostet, welches er auf soviel 1000 Eymer berechnen kann. Daß das Geld in der Festung in Kupfer ausgezahlt wird soviel tausende daß das Zählen bewachen doch wer kann da für Verdruß endigen. Mag ers anders probiren! und sichs stehlen lassen</sidenote>
<line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand der dritten Seite, vertikal"><fn index="3"><anchor>*</anchor></fn> er weiß vermuthlich nicht wieviel 1 Rbl. in Ptersb. macht. Er will nicht wissen, daß niemand hier einen Schritt umsonst thut und daß sein Schwiegervater d. H. Tulander Eymerweise bezahlt Da des Schwiegersohns Eymer grösser, unbehandelsamer sind und beym Aufrollen jedes allein 8 Cop. beym Abrollen 7 gekostet, welches er auf soviel 1000 Eymer berechnen kann. Daß das Geld in der Festung in Kupfer ausgezahlt wird soviel tausende daß das Zählen bewachen doch wer kann da für Verdruß endigen. Mag ers anders probiren! und sichs stehlen lassen</sidenote>
<line tab="1"/>Ich bin weder Kaufmann noch Liefrungsverständiger, soviel aber sehe aus dem Briefe den mir Brauer vom Baron gewiesen, daß er Petersburg nicht kennt und wenn ers auch durch keinen Unglüksfall für den er sich gar nicht in Acht zu nehmen nöthig zu haben glaubt zu seinem Schaden kennen lernt (da er meynt, Geld zehle, bewache und transportire sich selber) er wenigstens in kurzem einsehen wird daß der Staat den Handlungsstand so sehr zu schätzen weiß als den <insertion pos="top">stolzen und dummen</insertion> von entfernten Landsassen. Ich küsse Dein Weib und Kinder und bin nach 1000 Empfehlungen an alle Gönner und Freunde Frau Obr. Oldekop Peuker
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="right">Dein treuer Br.
<line type="break"/>JMR Lenz.</align>
<page index="4"/>
<line type="break"/>
<line tab="1"/>Sey doch auch so gut wenn Du Papa schriebst, ihn zu bitten, gelegentlich was einfliessen zu lassen, für all die Freundschaft und Güte die mir Brauers <ul>(u. Pflugs)</ul> hier zukommen lassen. Sie verdienen es doch wahrhaftig. Wäre es auch möglich daß Du an Hn. Major Igelstrohm, der Dich jedesmal grüssen läßt, für alles was er mir erzeigt hat, ein Paar Worte auf der Post schriebst würd ich es als ein Zeichen Deines brüderlichen Herzens erkennen. Von Papa selbst könnt ein Brief der so eingerichtet wäre daß ich ihn allen Gönnern und Freunden vorlesen könnte mir <insertion pos="left">auf einmal</insertion> sehr beförderlich werden. Bitt ihn doch daß er sich in demselben aber des allzuängstlichthuns enthalte, weil es in aller Absicht mehr schadet als nutzt und auf seinen Karakter ein <insertion pos="left">häßlich</insertion> falsches Licht wirft. Mit Klagen ist hier gerade <ul>alles zu verschlimmern</ul> und niemals was auszurichten, welches ich wohl erfahren besonders wenn man weiß, oder zu wissen glaubt, daß der Klagende keine Ursache dazu hat.
<line type="empty" />
<line type="break" />Die Versäumniß dieser Stücke hat mir bisher schon <insertion pos="top">viel</insertion> geschadet. viel bey allen
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Versäumniß dieser Stücke hat mir bisher schon <insertion pos="top">viel</insertion> geschadet. viel bey allen
<line tab="1"/>Ich werde ihm nächstens selbst drüber schreiben. Ueberhaupt macht es eine unfreundliche Miene, daß ich von meinem Vater hier keinen Brief vorweisen kann weil in den seinigen von Versinken in Schulden, Gefängniß Verfaulen in der Polizey u. s. f. die Rede ist Ausdrücke die hier häslich könnten angesehen werden.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal, linke Spalte">(auch an Past. Wolf könnt eine Erinnerung in Deinem Briefe nicht schaden, der mich so oft invitirt und so oft Deiner gedacht hat, auch mich nach Dir fragt.</sidenote>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Schreib es Papa aber auf keine Art die ihn aufbringen oder auch nur verdrießlich machen könnte, wenn Du seine Ruhe und mein Leben lieb hast.
<line type="empty" />
<line type="break" />Ich mag mich darüber selbst nicht beschweren, weil ich <del>es</del> fürchte <insertion pos="top">es</insertion> mit zu viel Heftigkeit zu thun.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>
<line tab="1"/>Ich mag mich darüber selbst nicht beschweren, weil ich <del>es</del> fürchte <insertion pos="top">es</insertion> mit zu viel Heftigkeit zu thun.
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal, rechte Spalte">Besonders da er noch keine Ausgaben hier für mich gehabt hat; und mit Gottes Hülfe (wozu er aber doch wenigstens soviel beytragen muß, daß er mich mit seinem Ansehen unterstützt und nicht thut, als ob ich ein <ul>geborener Knecht</ul> wäre) es doch in kurzem zur Entscheidung kommen muß Auf die Art schadet er mir mehr, da jedermann aufmerksam werden würde, warum er mir unfreundlicher als andern Geschwistern begegnet.</sidenote>
</letterText>
<letterText letter="329">
<letterText letter="329"><page index="1"/>
<line tab="1"/>Hier ein Paar Briefe lieber Bruder! die ich Dir offen zur schleunigsten Bestellung überschicke, damit Du Ihren Innhalt mit erfahrest. Ich habe keinen Augenblick übrig, da ich nun erst die Ausarbeitung an Gen. Purpur machen will u. durch obige Anträge ohnehin noch gezerrt werde. Sollte ich hier bleiben müssen und sonst keine Retirade wissen, so werde ich noch einen kleinen Vorschuß bis zum Herbst etwa in Riga oder Derpt anzusprechen genöthigt seyn. Macht Igelström das mit dem Sachsischen Gesandten, so wärs was anders. Es muß aber geheim bleiben. Narischkin verspricht mir einen Charakter und wenn ich wiederkomme, einen Platz im Reichskollegio. Aber es sind Versprechungen Was soll ich wählen. Rathe mir und schreib mir bald.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Empfiehl mich allen guten Freunden, der theuresten Frau Obristin, Past Oldekops vorzüglich. Sag der ersten daß ich mit Hrn Pflug ihrer Frau Schwester die Aufwartung gemacht, aber Herrn Rittmeister Ukräiner noch nicht angetroffen. Gott wenn ich nach Schweden reisen sollte noch weiter Lebewohl Lieber und rathe Deinem
<line type="break"/><align pos="right">treuen und betrübten Bruder JMR Lenz.</align>
<line type="empty" />
<line type="break" />
<sidenote pos="left" page="1" annotation="Am linken Rand, vertikal">Hunderttausend Grüsse und Küsse Deinem lieben <aq>Nekasaika</aq> und sämtlichen Angehörigen.</sidenote>
<page index="2"/>
<line type="break"/><address>Herrn
@@ -5588,33 +5553,28 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
<line type="break"/>zu <ul>Dörpat.</ul></address>
</letterText>
<letterText letter="330"><align pos="center">S. T.
<letterText letter="330"><page index="1"/><align pos="center">S. T.
<line type="break"/>Schätzbarster Freund!</align>
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<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Neue Situationen, öfnen neue Aussichten und knüpfen die alten Verbindungen freundlich wieder an. Ich nahm Abschied von Ihnen, als ich der Trödelbude der Welt müde, mich der Natur in der stillsten Schweitz in den Schooß warf. Sie hat mich in mein Vaterland zu führen gewußt, wo mir jede ehmalige Verbindung neuen Werth erhält. Ich bin bisher von allen litterarischen Neuigkeiten durch meine Schuld abgeschnitten gewesen. Sie werden mich verbinden, wenn ich deren einige und von Ihrer Hand erhalten kann, die für mich den Stempel der Zuverlässigkeit mehr als eine andere führt, da ich zu entfernt bin, als daß sich Leidenschaften zwischen uns einmengen könnten. Also werden Sie auch von mir welche erhalten, an denen Ihnen gelegen seyn könnte. Doch bitt ich zum voraus, keinen andern Gebrauch davon zu machen, als sich mit meinen
<page index="2"/>Verhältnissen wird vertragen können, worüber mir die Zuverlässigkeit und Unbestechlichkeit Ihres Karakters bekannt ist.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was macht also zuförderst Vater Klopstock den ich durch ein Mißgeschick, wie soviele Edle auf meiner Reise habe <insertion pos="top">ver</insertion>fehlen müssen. Und unser fürtrefliche Leibarzt Zimmermann von dessen Sohn ich noch aus Zürich gute Nachrichten mitgenommen. Es wäre unaussprechlich Schade um eine der feinsten und schönsten Seelen unsers Jahrhunderts gewesen, vielleicht durch blossen Kützel des feindseligen Witzes, der lang unter uns Ton gegeben, so ganz erdrückt zu werden. Ach wenn wird Thalia wieder lachen können, die nur das faule Fleisch wegätzt und der edlern Seele neue Lebenskräfte giebt. Sie die im Gefolge
<page index="3"/>der Bachanten und Menaden das Angesicht verhüllen muß; wie jener Grieche bey der Aufopferung seiner Tochter.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von Ihrem Museum weiß ich fast nichts mehr so wenig als vom Merkur, da wir hier periodische Blätter mit näherer Beziehung auf Vaterland haben. Doch könnten sie sich vielleicht mit Ihnen zu ähnlichen Zwecken vereinigen, ohne einander im Debüt zu schaden, da die deutsche Litteratur, wenn sie mehrere Angelegenheiten Rußlands aufnähme, hier vielen Eindruck macht. Vielleicht gibt es in unseren entferntesten Gegenden, echtere Deutsche als bey Ihnen. Verzeyhen Sie mir diese Impertinenz, die wie alle Machtansprüche auch ihren Theil Wahrheit hat, da vielleicht unter keiner Regierung sich Expatriierte von allen Ständen und Fähigkeiten so genau an ein ander geschlossen und so freundliche Behandlung erfahren.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich muß schliessen, weil mir kaum soviel Zeit übrig bleibt, Ihnen zu sagen, daß hier ein ehmaliger Eleve von Ihnen, Herr Legationsrath Claudes mir bekannt worden und ich mit ihm näher bekannt zu werden wünschte um Ihnen mit mehr Eindruck versichern zu können, daß ich nicht aufhören kann zu seyn Ihr
<line type="break"/><align pos="right">verbundenster Fr. u. Diener
<line type="break"/>J M R Lenz.</align>
<line type="empty" />
<line type="break" />Petersbg. D. 5ten April 1780.
<page index="4"/>
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<line tab="1"/>Wie befindet sich Herr Bürger was machen Pfeffel und Schlosser, die zu weit von mir sind, um sie zu erreichen. Doch bitt ich dem letzten, Herrn Hofrath Schlosser zu schreiben, daß er sich eine unrichtige Vorstellung aus meiner <ul>eben so unrichtigen</ul> Nachricht von meiner gegenwärtigen Situation macht; über die ich ihm, sobald ich es bestimmter <dul>thun kann,</dul> schreiben werde. Doch könnte das Kadettenkorps in Berlin und Herrn Rammlers Situation in demselben ihm ein richtigeres <aq>point de vue</aq> abstecken helfen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von Herrn Bause der Ihnen diesen Brief vielleicht selbst abgiebt, vielleicht zuschickt, habe Ihnen noch nichts sagen können. Er geht nach Dessau, aus einem Zuge der Gemüther die mit gleichem Erfolg auf gleiche Zwecke arbeiten. Nur daß sein Standpunkt verschieden und ihrem Journal viele Mannichfaltigkeit und Nutzen mehr geben wird, in das er Beyträge von Petersbg. aus liefern will.
<line type="empty" />
<line type="break" />Er wird Ihnen meine Adresse sagen, doch besser wärs, Sie schickten ihm Ihren Brief zu.
<line tab="1"/>Er wird Ihnen meine Adresse sagen, doch besser wärs, Sie schickten ihm Ihren Brief zu.
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<letterText letter="331"><align pos="center">S. T.
<line type="break"/>Hochgeschätzter Freund</align>
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