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Einpflegung von Brief 356.
This commit is contained in:
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Lavater.</align></letterText>
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<letterText letter="356"><align pos="center">An Sr. HochEhrwürden den Herrn<line type="break"/>
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Consistorialrath Dingelstedt.</align> <line type="empty"/>
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<align pos="center"><line tab="5"/>In dieser Dunkelheit der Trennungen von Freunden
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<line tab="5"/>In dieser Einsamkeit von ädlerem Genuß
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<line tab="5"/>Umringt vielleicht, wie Du, von innem, äussern Feinden
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<line tab="5"/>Wie Du – um kurz zu seyn – von Lebensüberdruß
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<line tab="5"/>Ach treuer Dingelstedt! was kann, um Dich zu trösten
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<line tab="5"/>Da wir am Grabe stehn, wo all Dein Glük itzt ruht
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<line tab="5"/>Was kann ich sagen? – – – Ist die Hofnung der Erlösten
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<line tab="5"/>Nicht unser bestes Rittergut?
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<line tab="5"/>Sie liebte – Ach warum mit Bildern Dich bestürmen
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<line tab="5"/>Die Dir des Freundes Hand, mit Recht itzt <ul>hart</ul> – entzieht – Sie
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<line tab="5"/>ist nicht mehr – – – Sie ist! sie wird Dich noch beschirmen
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<line tab="5"/>Wenn rathlos sich Dein Geist um nach dem Hafen sieht.
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<line tab="5"/>Und keinen finden kann, ich sage redlich, keinen
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<line tab="5"/>Als immer nur den alten einen.
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<line tab="5"/>Sie ist! Du zweiffelst Freund! nein Ädler! zweifle nicht!
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<line tab="5"/>Es leben <ul>wenig</ul> Freund’ auf Erden
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<line tab="5"/>Und immer mehr wirds der Beschwerden
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<line tab="5"/>Der Mißverständnisse, des Mißtrauns und des Wahns
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<line tab="5"/>Des Wiederspruchs verschiedner Plans.
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<line tab="5"/>Allein sie ist! und feiner, ädler, fester
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<line tab="5"/>Lebt sie nun ganz für Dich, Du Bester!</align>
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<line tab="1"/>Ist ihnen nicht eine Umarbeitung von Bitaubes Geschichte Josephs bekannt, die in Deutschland
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herausgekommen seyn soll? Verzeyhen Sie daß ich Ihnen von dummen Zeuge spreche, weil ich in der
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That nichts ernsthaftes zu sagen weiß. Ich habe die Nachricht von dem Hintritt Ihrer Gemalinn
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in der Zeitung gefunden, die ich sehr <ul>wenig lese</ul> und sehr selten ganz durchlese. Mein Herz schlug
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mir, daß ich Ihnen solange nicht geschrieben. Aber ach! dürfte ich in solchen Veranlassungen nie
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wieder die Feder an den in die Hand nehmen, der fähig war mir durch ein Wort der Kraft bey der
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Nachricht von dem Tode einer Mutter die ich wie mich selbst liebte, soviel Aufrichtung zu geben.<line type="break"/>
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<line tab="1"/>Ich erinnere mich wenig mehr von den liebenswürdigen Kleinen, denen ich jetzt ein Dingelstedt zu
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werden wünschte. Könnte ich Ihnen ein mal alles das Gute vergelten, daß Sie mir in Riga erwiesen
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und setzte mich nicht ein bisgen ungerechter und unmarkvoller Fanatismus oder Gott weiß welcher
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Geist des Selbstbetruges in Lagen, die es mir fast unmöglich machen Freunden zu dienen, ja offt
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mich selbst aus der äussersten Verlegenheit zu retten. Die Freundschaft ist meinem Bedünken nach
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eine etwas standhafte <ul>Werthachtung</ul> des andern, die durch keine Umstände und Glüks- oder
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Unglükslüftgen (so ein wenig Staub aufwehen) verändert wird. Hier wird weder die Presse befragt,
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noch der Bücherkatologus nachgesehen, obgleich auch diese Dinge einige Teilnehmung verdienen,
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aber die, wie mich deucht, beyweitem nicht von der <ul>entsetzlichen</ul> Wichtigkeit ist. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich kenne das ganze Hebezeug und Wirkungsmaschine dieser gelehrten Vereinigungen und achte sie
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nach dem sie es verdienen – aber das <ul>Persöhnliche</ul> meines Freundes ist mir ein wenig schätzbarer,
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als der armseelige Hausrath von Drehzeug den er in die Gruft mit nimmt. Wir haben die besten
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Uhren von den geschiktesten Meistern, wir haben Teppiche und Gott weiß was, aber darum ist nicht
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jeder Teppichmacher ein Apostel u. s. f. nicht jeder Versemacher ein König und Prophet. Wie
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traurig wird Ihnen Ihr Haus itzt vorkommen, da die Seele in der Hausuhr fehlt – – – dann das bleiben
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die lieben Gattinnen doch immer, wenn ich gleich dis Glük noch nicht selbst bis auf den Grad
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erfahren. Die äussern Geschäfte, so unserm Geschlecht überlassen sind, drüken und quälen ohne einen
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innern Trost, ohne einen geheimen Freund, dem alles recht ist und der uns den Schweiß von der
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Stirne wischt. Und diesen Freund <ul>gönnt</ul> uns das Verderben der Welt – und Gott! offt unsrer nächsten
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Freunde <ul>nicht.</ul> Was ist zu thun? Ueber den Sternen wird’s eine andere Philosophie geben.<line type="break"/>
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<line tab="1"/>Wir suchen, wir wählen, wir betrügen uns und andere, bis wir endlich finden. Es ist einer, der Erbarmen
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mit unsem Schwächen fühlt. Er prüft doch auch nicht über Vermögen und lenkt Herzen wie Wasserbäche. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Giebt es in Liefland Witwenanstalten für den Adel und die Priesterschafft? Es hat in Rußland ehemals
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geistliche Stiftungen gegeben, an welche Summen ausgezahlt und für diese Leibrenten entrichtet wurden.
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Sollten sich nicht in Liefland Fonds zu einer Handlungsgesellschaft errichten lassen, die denen
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Interessenten, besonders denen verheuratheten, oder die zu heurathen willens wären, jährliche Dividenden
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austheilten. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich schmiere mehr um Sie zu zerstreuen, als Sie zu unterhalten. Das Elend ist allgemein, auch durch ganz
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Rußland, besonders für die so Vorurtheile in dies Land mitgebracht, die in einem gewissen Alter nicht mehr
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zu heben sind. Das Reich ist groß und so erschöpft nicht, es werden sich Mittel finden lassen, einem jedem
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Fremden in demselbigen sein Vaterland wieder darzustellen.<line type="break"/>
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Meine Schwester hatte mir offt von Permien geschrieben, allein ich begreiffe nicht, wie ich dahin kommen, noch
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was ich da machen soll. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Die Härte der Grundsätze ist überall gleich und man trift freilich mit unter auch überall weichere und edler
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gestimmte Gemüther. Doch auch diese wünschten gern die ganze Welt nach sich umzustimmen diese Bekehrungskrankheit
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ist allgemein. Der Schöpfer liebt und will die Verschiedenheit bei aller Eintracht der Gesinnungen und wenn nun
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der ganze Leib Auge wäre, was würde der Fuß sagen? Warum richten und verdammen sich doch die Menschen untereinander
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ohne Ursache? – – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich bin fast ganz von Kleidem und Wäsche gekommen, durch diese scharfsinnige <ul>Sucht nach Aehnlichkeiten,</ul> die uns
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alle Individualität nimmt. Sollte denn Gott nicht helfen denen so tag und Nacht zu ihm schreyen über diese
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felsenfeste und Unbewegliche Bekehrer zu <ul>der kleinen Schimäre</ul> mit der sie Morgens früh aus dem Bette aufstehen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich küsse Sie Ädler! mit dem innigsten Bedauren und bitte mir eine überlegte – aber niemals schwärmerische Theilnehmung
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in Liebe an meinem Schiksal aus, wenn Geschäfte Ihnen gleich nicht Zeit lassen zu schreiben an Dero <line type="empty"/>
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<align pos="right">auch abwesend gleich aufrichtigen und<line type="break"/>
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ungekünstelten Verehrer JMR. Lenz.</align><line type="break"/>
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<line tab="1"/>N. S. Ich weiß, daß Sie auch <ul>ausser der Kirche</ul> und dem öffentlichen Gottesdienst Geistlicher sind und bitte daher,
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sich meinen Brief an meinen Vater von demselben vorlesen zu lassen und in Ihre Berathschlagung zu nehmen. Wir haben in
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dem hiesigen Senat ein Camptair zur Untersuchung des Petersburgischen Justizkollegii und es läßt sich hoffen, daß bey
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der Commission zur Errichtung neuer Städte geistliche und Weltleute Platz nehmen können. Ich will nicht sagen, Gott
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berathe, Gott helfe Ihnen, ich will ihn lieber bitten, mich in den Stand zu setzen, auch entfernteren Freunden nützlich
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zu werden, die mich freilich wohl bisweilen verkennen mögen, weil ich wieder die <ul>Täge</ul> so in der Russischen Kirche
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ursprünglich ausgesetzt waren, sich bey der Mahlzeit auch des Armen und Dürftigen zu erinnern, nicht mit dem
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schwärmerischen Eiffer zu Felde zog. Uebrigens ist wohl, bey der Einführung neuer Kalender – anjetzt alles so
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ziemlich gleich und die <ul>Herzens</ul>härtigkeit das einzige allgemeine Uebel das durch Geduld überwunden werden muß.
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Die Rangtabellen Peter des Großen fangen an auch so <ul>ziemlich</ul> menschlicher commentirt zu werden als bisher und
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vielleicht stehen einmal Geistliche auf, die das <ul>Ehre von einander</ul> nehmen ein wenig besser auseinander
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setzen. – Gott schenke Ihnen und mir weniger schmarrende Lobeserheber und seltnere standhafte und aufrichtige
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Freunde! – d. 6te Jun. 87.<line type="break"/>
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<note>andere Tinte</note><line type="break"/><!-- Tinte -->
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Mosco.</letterText>
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<date when="1787-06-06">Moskau, 6. Juni 1787</date>
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Zürich, Zentralbibliothek, FA Lav. Ms. 572, Nr. 26 (zeitgenössische Abschrift)
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Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 26
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Reference in New Issue
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