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Lavater.
+ An Sr. HochEhrwürden den Herrn
+ Consistorialrath Dingelstedt.
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+ In dieser Dunkelheit der Trennungen von Freunden
+ In dieser Einsamkeit von ädlerem Genuß
+ Umringt vielleicht, wie Du, von innem, äussern Feinden
+ Wie Du – um kurz zu seyn – von Lebensüberdruß
+ Ach treuer Dingelstedt! was kann, um Dich zu trösten
+ Da wir am Grabe stehn, wo all Dein Glük itzt ruht
+ Was kann ich sagen? – – – Ist die Hofnung der Erlösten
+ Nicht unser bestes Rittergut?
+ Sie liebte – Ach warum mit Bildern Dich bestürmen
+ Die Dir des Freundes Hand, mit Recht itzt – entzieht – Sie
+ ist nicht mehr – – – Sie ist! sie wird Dich noch beschirmen
+ Wenn rathlos sich Dein Geist um nach dem Hafen sieht.
+ Und keinen finden kann, ich sage redlich, keinen
+ Als immer nur den alten einen.
+ Sie ist! Du zweiffelst Freund! nein Ädler! zweifle nicht!
+ Es leben Freund’ auf Erden
+ Und immer mehr wirds der Beschwerden
+ Der Mißverständnisse, des Mißtrauns und des Wahns
+ Des Wiederspruchs verschiedner Plans.
+ Allein sie ist! und feiner, ädler, fester
+ Lebt sie nun ganz für Dich, Du Bester!
+
+ Ist ihnen nicht eine Umarbeitung von Bitaubes Geschichte Josephs bekannt, die in Deutschland
+ herausgekommen seyn soll? Verzeyhen Sie daß ich Ihnen von dummen Zeuge spreche, weil ich in der
+ That nichts ernsthaftes zu sagen weiß. Ich habe die Nachricht von dem Hintritt Ihrer Gemalinn
+ in der Zeitung gefunden, die ich sehr und sehr selten ganz durchlese. Mein Herz schlug
+ mir, daß ich Ihnen solange nicht geschrieben. Aber ach! dürfte ich in solchen Veranlassungen nie
+ wieder die Feder an den in die Hand nehmen, der fähig war mir durch ein Wort der Kraft bey der
+ Nachricht von dem Tode einer Mutter die ich wie mich selbst liebte, soviel Aufrichtung zu geben.
+
+ Ich erinnere mich wenig mehr von den liebenswürdigen Kleinen, denen ich jetzt ein Dingelstedt zu
+ werden wünschte. Könnte ich Ihnen ein mal alles das Gute vergelten, daß Sie mir in Riga erwiesen
+ und setzte mich nicht ein bisgen ungerechter und unmarkvoller Fanatismus oder Gott weiß welcher
+ Geist des Selbstbetruges in Lagen, die es mir fast unmöglich machen Freunden zu dienen, ja offt
+ mich selbst aus der äussersten Verlegenheit zu retten. Die Freundschaft ist meinem Bedünken nach
+ eine etwas standhafte des andern, die durch keine Umstände und Glüks- oder
+ Unglükslüftgen (so ein wenig Staub aufwehen) verändert wird. Hier wird weder die Presse befragt,
+ noch der Bücherkatologus nachgesehen, obgleich auch diese Dinge einige Teilnehmung verdienen,
+ aber die, wie mich deucht, beyweitem nicht von der Wichtigkeit ist.
+
+ Ich kenne das ganze Hebezeug und Wirkungsmaschine dieser gelehrten Vereinigungen und achte sie
+ nach dem sie es verdienen – aber das meines Freundes ist mir ein wenig schätzbarer,
+ als der armseelige Hausrath von Drehzeug den er in die Gruft mit nimmt. Wir haben die besten
+ Uhren von den geschiktesten Meistern, wir haben Teppiche und Gott weiß was, aber darum ist nicht
+ jeder Teppichmacher ein Apostel u. s. f. nicht jeder Versemacher ein König und Prophet. Wie
+ traurig wird Ihnen Ihr Haus itzt vorkommen, da die Seele in der Hausuhr fehlt – – – dann das bleiben
+ die lieben Gattinnen doch immer, wenn ich gleich dis Glük noch nicht selbst bis auf den Grad
+ erfahren. Die äussern Geschäfte, so unserm Geschlecht überlassen sind, drüken und quälen ohne einen
+ innern Trost, ohne einen geheimen Freund, dem alles recht ist und der uns den Schweiß von der
+ Stirne wischt. Und diesen Freund uns das Verderben der Welt – und Gott! offt unsrer nächsten
+ Freunde Was ist zu thun? Ueber den Sternen wird’s eine andere Philosophie geben.
+
+ Wir suchen, wir wählen, wir betrügen uns und andere, bis wir endlich finden. Es ist einer, der Erbarmen
+ mit unsem Schwächen fühlt. Er prüft doch auch nicht über Vermögen und lenkt Herzen wie Wasserbäche.
+
+ Giebt es in Liefland Witwenanstalten für den Adel und die Priesterschafft? Es hat in Rußland ehemals
+ geistliche Stiftungen gegeben, an welche Summen ausgezahlt und für diese Leibrenten entrichtet wurden.
+ Sollten sich nicht in Liefland Fonds zu einer Handlungsgesellschaft errichten lassen, die denen
+ Interessenten, besonders denen verheuratheten, oder die zu heurathen willens wären, jährliche Dividenden
+ austheilten.
+
+ Ich schmiere mehr um Sie zu zerstreuen, als Sie zu unterhalten. Das Elend ist allgemein, auch durch ganz
+ Rußland, besonders für die so Vorurtheile in dies Land mitgebracht, die in einem gewissen Alter nicht mehr
+ zu heben sind. Das Reich ist groß und so erschöpft nicht, es werden sich Mittel finden lassen, einem jedem
+ Fremden in demselbigen sein Vaterland wieder darzustellen.
+ Meine Schwester hatte mir offt von Permien geschrieben, allein ich begreiffe nicht, wie ich dahin kommen, noch
+ was ich da machen soll.
+
+ Die Härte der Grundsätze ist überall gleich und man trift freilich mit unter auch überall weichere und edler
+ gestimmte Gemüther. Doch auch diese wünschten gern die ganze Welt nach sich umzustimmen diese Bekehrungskrankheit
+ ist allgemein. Der Schöpfer liebt und will die Verschiedenheit bei aller Eintracht der Gesinnungen und wenn nun
+ der ganze Leib Auge wäre, was würde der Fuß sagen? Warum richten und verdammen sich doch die Menschen untereinander
+ ohne Ursache? – –
+
+ Ich bin fast ganz von Kleidem und Wäsche gekommen, durch diese scharfsinnige Sucht nach Aehnlichkeiten,
die uns
+ alle Individualität nimmt. Sollte denn Gott nicht helfen denen so tag und Nacht zu ihm schreyen über diese
+ felsenfeste und Unbewegliche Bekehrer zu mit der sie Morgens früh aus dem Bette aufstehen.
+
+ Ich küsse Sie Ädler! mit dem innigsten Bedauren und bitte mir eine überlegte – aber niemals schwärmerische Theilnehmung
+ in Liebe an meinem Schiksal aus, wenn Geschäfte Ihnen gleich nicht Zeit lassen zu schreiben an Dero
+
+ auch abwesend gleich aufrichtigen und
+ ungekünstelten Verehrer JMR. Lenz.
+
+ N. S. Ich weiß, daß Sie auch und dem öffentlichen Gottesdienst Geistlicher sind und bitte daher,
+ sich meinen Brief an meinen Vater von demselben vorlesen zu lassen und in Ihre Berathschlagung zu nehmen. Wir haben in
+ dem hiesigen Senat ein Camptair zur Untersuchung des Petersburgischen Justizkollegii und es läßt sich hoffen, daß bey
+ der Commission zur Errichtung neuer Städte geistliche und Weltleute Platz nehmen können. Ich will nicht sagen, Gott
+ berathe, Gott helfe Ihnen, ich will ihn lieber bitten, mich in den Stand zu setzen, auch entfernteren Freunden nützlich
+ zu werden, die mich freilich wohl bisweilen verkennen mögen, weil ich wieder die so in der Russischen Kirche
+ ursprünglich ausgesetzt waren, sich bey der Mahlzeit auch des Armen und Dürftigen zu erinnern, nicht mit dem
+ schwärmerischen Eiffer zu Felde zog. Uebrigens ist wohl, bey der Einführung neuer Kalender – anjetzt alles so
+ ziemlich gleich und die härtigkeit das einzige allgemeine Uebel das durch Geduld überwunden werden muß.
+ Die Rangtabellen Peter des Großen fangen an auch so menschlicher commentirt zu werden als bisher und
+ vielleicht stehen einmal Geistliche auf, die das nehmen ein wenig besser auseinander
+ setzen. – Gott schenke Ihnen und mir weniger schmarrende Lobeserheber und seltnere standhafte und aufrichtige
+ Freunde! – d. 6te Jun. 87.
+ andere Tinte
+ Mosco.
+
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+ Moskau, 6. Juni 1787
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Zürich, Zentralbibliothek, FA Lav. Ms. 572, Nr. 26 (zeitgenössische Abschrift)
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+ Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 26
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