Einpflegung von Brief 102.

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GregorMichalski
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zuverlässige Richterin meiner Handlungen seyn und wer mein Verhältniß zu ihr versteht. Ob sie es
seyn wird ist die Frage nicht.</letterText>
<letterText letter="102">Mein bester Lavater! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eben habe ich ein paar Seiten in Deiner Gastpredigt gelesen Auch ich hoffe ich baue auf dem Grunde
in welchem Jesus Christus der Eckstein ist. Alle Verschiedenheiten aber wird und muß Gott einigen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe Lindau an mein Herz gedrückt. Er ist viel besser zurückgekommen als er hinreiste und sein
Herz fühlt sehr sehr dankbar gegen Dich. Könnt ich Dir nur mehrere zur Kur zusenden <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier hast Du eine Layenepistel von Schlossern, hast Du einen ruhigen Augenblick so ließ sie und sag
mir wie sie Dir gefallen hat. Ich muß sie wieder haben weil sie weiter geht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Goethe hat mir ein Zettelgen aus Weimar geschrieben und ist sehr zufrieden mit Wielanden. Bindet
mir auch ein, ich soll ihn ungeschoren lassen. Er hat mich auf meinen Posten nicht hingestellt, und
ich kann nicht wider meine <aq>Consigne</aq> handeln, was auch Freund und Feind dazu sagen mag. Soviel
weiß ich aber daß Wiel. mein Freund werden wird wenn alles unter uns abgethan ist. Nur das letzte
Wort darf ich ihn nicht behalten lassen, weil es nicht meine Sache ist die ich treibe. Sobald der Streit
nur mich <page index="2"/> angeht, werd ich zu schweigen wissen. Das kannst Du allenfalls auch Wiel.
selber sagen und ihm das Schwert gegen mich in die Hand weyhen. Nur schone er was heilig ist unter
<ul>Göttern</ul> und <ul>Menschen,</ul> ich will nicht geschonet seyn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lavater! möchtest Du ein Bild in Deine Physiognomik, mit dem Du das Ideal weiblicher
Vollkommenheit ausgedruckt bekommst. Von einem erhabenen Stande, durch persöhnliche
Eigenschaften unendlich weit über denselben erhaben, die Gelassenheit, die Bescheidenheit, die
Aquieszenz in alles was die ihr gewiß innig vertraute Gottheit über sie verhängt mit allem
Feuer des ungewöhnlichsten erhabensten Genies, den scharfen Blick durch das Innerste aller Sachen,
das Eigentümliche, das unumstößlich Feste, das Weitumfassende aller ihrer Urtheile, die Kenntniß
der Welt die sich nicht allein auf die Denkungsart der Grossen deren Herzen sie alle wie in Händen
hat, sondern bis auf das Fassungs- und Empfindungsvermögen des Allergeringsten ausdehnt, so daß
alle ihre Befehle und Aufträge <page index="3"/> an ihre Untergebenen aus den Wünschen derselben hervorgeholt
scheinen, so daß sie eine Welt regieren könnte ohne daß sie es inne würde alles dieses, alles
alles und mehr willst Du sie bethe <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Durch verborgene Wirkungen höherer Mächte muß sie dazu gebracht werden denn es ist nicht
falsche Bescheidenheit es ist das zärteste Gefühl weiblicher Schüchternheit, das sie so gänzlich
abgeneigt macht, irgend einem Menschlichen Anhalten ihren Schattenr<note>Textverlust</note> mitzutheilen.
Gott welche Seele mahlt sich in dem Profile welch ein Meisterstück von edler Erziehung unter den
Grossen, mit alledem verbunden was ein unauslöschlicher Durst nach allem was vollkommen ist, was
Kenntniß heißt und das Herz eröfnet, aus uns selber machen kann. Und denn alle die Hülfsmittel, die
Constellation aller äußern Umstände auf dem Lande gepflanzt, erzogen, an einem Hofe zur Reiffe
gebracht und jetzt in seiner ganzen Liebenswürdigkeit vollendet um Tausend Elend und Einen zu
einem Gott zu machen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Verzeyh mir Lavater! die Romantische Sprache. lsts Idololatrie so kann sie mir Gott nicht zurechnen,
es ist sein Geschöpf: sein Bild. In einem Jahr reis ich wohl nach Italien um alles das an den todten
Werken der Kunst zu vergessen zu suchen. Noch ist mein Reisegefährt zu sehr an Strasbg. geheftet. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Vorher komm ich aber gewiß noch zu Dir und lasse mich heilen, weyhen und stärken Ob zu Leben
oder Tod ist hier nicht nöthig zu fragen, Euripides sagt, vielleicht ist das Leben ein Tod und der Tod das
Leben Sey glücklich lieber Herzensforscher und antworte mir ob Du das Bild möchtest. Dein Glaube
erzwingt Dirs gewiß. Immerweg und ewig Dein Lenz.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn Herrn Joh. Casp. <ul>Lavater</ul><line type="break"/>
Pfarrer am Waysenhause <ul>zu Zürich.</ul><line type="break"/>
Durch einen Freund.</letterText>
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<date value="Straßburg, Januar 1776" />
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Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 7
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