Einpflegung von Brief 47.

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GregorMichalski
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Ihnen meinen Namen zu sagen. Es ist so der <ul>kürzeste</ul> Weg. Und ich habe viele Namensvetter,
die auch Goethen kennen. <line type="empty"/></sidenote></letterText>
<letterText letter="47"><line tab="1"/>Mein Lenz Ich schreib Dir aus dem Bett, wo ich den zweiten Fieber <aq>paroxysmus</aq> erwarte. Kaum war
Lindau weg, so gieng ich nach Ihringen; schon seit Deiner Ankunft lag aber das Fieber in mir. Durch
die Bewegung brachs aus, das wollt ich! Ich must in Ihringen fast Tag und Nacht zu Bette liegen.
Am Dienstag macht ich mich fort, und ritt zuruk, 5 Stunde in zwo. Als ich ankam fand ich meine Frau
besser. Ich must mich aber legen weil ich Kopfweh hatte wie ein Teufel der in mir hämmerte. Ich
thats und fiehl die Nacht zum zweitenmahl in einen Schweis worinn ich wie schwomm. Mittwochs kam
das Fieber ordentlich an. Ein Syberischer Frost schüttelte mich 4 Stunden lang, die Hitz war gering.
Nun denk dir mich mit allen meinen Arbeiten am Hals, und angenagelt im Bett. Ich schrieb mitten im
Frost dem Doktor; wie etwa Alexander aber es war kein Philippus. Ganz sachtgen kam er geschlichen
und sagte ich müßte <aq>purgiren. Vomiren</aq>, sagt ich Herr Doctor, <aq>vomiren</aq>, den Teufel wegspeyen das
geht schneller. Aber es war umsonst, und so gros ist unsre Sclaverey daß wir nicht einmahl <aq>vomiren</aq>
dürfen wans uns lüstet. Gestern war also der <aq>Evacuations</aq> Tag. In der Nacht schlief ich wenig,
aber heut ist mirs erträglich; wenn nicht das Fieber sich wieder meldet. In der Nachtinsomnie
hab ich Verse gemacht. Hier hast Du sie, wenn sie Dir gefallen, so laß sie in einen Almanach wandern;
gefallen sie Dir nicht, so schenk sie <aq>sans façon</aq> dem Herrn Kamm. Meine Verse sind lauter <it>Huren
Kinder</it> denen man nicht einmahl gern die <aq>Alimente</aq> giebt. <line type="empty"/>
<line tab="6"/><it>Über Werthers Leiden</it> <line type="empty"/>
<line tab="6"/>an seine Widerleger, Berichtiger, Vertheidiger und Recensirer. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Ists Bild; so hats Urania gemahlt;
<line tab="5"/>Lebt er; so streute sie des Jünglings Grab mit Rosen.
<line tab="5"/>Trübt nicht den Glanz der Himmlischen, der Grosen,
<line tab="5"/>Ihr wüst wie selten sie uns strahlt. <line type="empty"/>
<line tab="6"/><it>Die Journalisten.</it> <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Da sitzen sie und sprechen
<line tab="5"/>Wie Stimm der Nation,
<line tab="5"/>Um den Geschmack zu rächen
<line tab="5"/>Stürzt niemand sie vom Trohn? <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wie Püter decidiret
<line tab="5"/>Und Götz andächtig flucht,
<line tab="5"/>Und Kästner calculiret
<line tab="5"/>Und Haller Kräuter sucht; <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Das möchtet ihr durchsichten
<line tab="5"/>Und messen Tag und Nacht;
<line tab="5"/>Hier darf der Kaltsinn richten,
<line tab="5"/>Der Kaltsinn hats gemacht. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wann Gott den Dichter wärmet,
<line tab="5"/>Wann seine Seele glüht,
<line tab="5"/>Da fragen: wo er schwärmet
<line tab="5"/>Und wo er Wahrheit sieht; <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wie Schülern auf den Bänken
<line tab="5"/>Dem deutschen Weib und Mann
<line tab="5"/>Beschreiben was man denken
<line tab="5"/>Und fühlen wird und kann, <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wohl gar die Gränz vormachen
<line tab="5"/>Wie weit man fühlen soll,
<line tab="5"/>Ist selbst in Aristarchen
<line tab="5"/>Blasphemisch oder toll. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wen Gott für künftge Welten
<line tab="5"/>Zum Dichter eingeweiht,
<line tab="5"/>Hör nicht ihr Lob und Schelten,
<line tab="5"/>Seh nur die Ewigkeit. <line type="empty"/>
Samstags.
<line tab="1"/>Ich hab dem Doktor sehr Unrecht gethan! kaum hatte ich gestern so weit geschrieben so befiehl mich
eine Üblichkeil die sich gerade auf die Art äuserte als ich wollte. Ich hoffe das Fieber ist zu allen
Henkern. Ich aß gestern Abend schon wieder ein wenig; schlief ruhig und habe nun wirklich Hunger!
Meine kleinen Leiden werden durch die wieder täglich wachsende Gesundheit meiner besten Frau wieder
doppelt vergolten, und auch an mir werden sies, denn ein Fieber, wenns fort ist, läßt immer die beste
Gesundheit nach sich. Adieu, lieber Lenz, auf den Herbst also sehn wir Dich gesünder, fröhlicher,
besser wieder. Versags uns nicht! Wie sollst Dus? Da wirds eine wirklich seelige FamilienGruppe werden <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier hast du die vermutl. Übersetzung aus einem Englischen Stük von der <aq>Collection</aq>, die du drin hast
liegen lassen. Ich hätte das Original gern finden mögen, sie scheint mir sehr glükl. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier ist auch die Übersetzung der <aq>Sappho</aq> an <aq>Phaon</aq>; oder vielmehr die Nachahmung der ganze
Unterschied besteht aber nur daß das ein Bube zum Mädchen sagt, was man der Sappho zum Buben
gesagt zu haben zuschreibt. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Zevs der auf den Wolken fart
<line tab="5"/>Ist nicht seelger als wer hier,
<line tab="5"/>Holdes Mädchen, neben Dir,
<line tab="5"/>Deine süße Stimme hört
<line tab="5"/>Und Dein himmlisch Lächlen sieht
<line tab="5"/>Das mein schmelzend Herz durchglüht. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Götter, als ich sie gesehn,
<line tab="5"/>Stockte mir die Zung, die Ohren
<line tab="5"/>Klangen mir, von Sehn zu Sehn
<line tab="5"/>Rollten Flammen und ein Flohr
<line tab="5"/>Zog sich beyden Augen vor. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Kalter Schweis des Todtes tropfte
<line tab="5"/>Von der Stirne, Schauer klopfte
<line tab="5"/>Mir im Busen, starr und bleich
<line tab="5"/>Wurden Mund und Wang zugleich,
<line tab="5"/>Und wie wenig fehlte mir,
<line tab="5"/>Ach! so starb ich neben ihr! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Dus billigst, so laß auch das in einen Almanach laufen, aber in keinen als Boyes. Ich mag mit
den Hrn. Hölty und Consorten nichts zu thun haben. Die Kerls haben die Lehrjungen gespielt, und
richten nun einen eigenen <aq>Shop</aq> auf; das ist mir nicht geniesbar.
<line tab="1"/>Noch einmahl adieu; grüß die Jungfer Königen vielmahl von uns beyden. Meine Frau wird ihr bald
wieder schreiben Als ich heut nachmittag auf dem Bett lag, rauschten meine alten Ideen vom
Selbstmord wieder vor mir vorbey. lch schick sie Dir, mach mit was Du willst. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Höhr ist Herr Kamm nicht so etwas von einem Juden? Ich hab einen Ring davon der Raupstein <aq>Nacre
marin</aq>, von sehr schönen Grün, rund um mit Brillanten schön <aq>coronoisirt</aq>, ist, er ist etwa von der Form und
Gröse […] Um 89 D <aq>or</aq> geb ich ihn! Will er, so schik ich ihn dir. <aq>Adieu</aq></letterText>
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<date value="Emmeningen, Anfang Mai 1775" />
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Freye/Stammler I, S. 99103
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