Einpflegung von Brief 368.

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GregorMichalski
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<line tab="5"/>Den spricht * * kann nicht vermählen <line tab="5"/>Den spricht * * kann nicht vermählen
<line tab="5"/>Das kann Sündfluth Witz allein.</letterText> <line tab="5"/>Das kann Sündfluth Witz allein.</letterText>
<letterText letter="368"><align pos="center">Lieber Papa</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die unglükliche Leidenschaft welche sich meiner in Liefland bemächtiget und ihre häuffigen ernstlich
väterlichen Briefe nach Petersburg und Moskau mir so oft vergeblich ausgeredet die mein Bruder und
alle meine Verwandte so heftig bestritten und die ich deswegen auch aus meinem Herzen zu reissen
versuchte hat sich desselben wieder bemächtiget So spielt das Schiksal mit unserm Herzen und unsem
Wünschen und der Rath meiner schreibenden bärtigen Freunde, die sich mir unter der Gestalt meiner
angebetheten Julie welche denen Frauenzimmern Lieflandes ein Collegium von den Sitten der alten Teutschen
aus dem Tacitus mit einigen teutschen und esthnischen Reimen unter meinem Fürsitze zu eröfnen nach
Maurerischen Zeichen und Regeln sich endlich rühmlich entschlossen mich den Gebeinen des verewigten
Zingischans und Tamerlans schwören lassen müssen und demzufolge alle die[sje<!-- Befindet sich die eckige öffnende Klammer im Text? --> unterirrdischen Geister
in Anspruch und Einspruch genommen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es wird in diesem Collegio ein Oratorium vorkommen welches Medea heißt die den Jason verjüngerte und
ihre Kinder umbrachte auch eine Hölle und ein Orpheus denn ohne diese giebt es weder Musikalisches noch
Poetisches Vergnügen, weil nach dem Tode kein Vergnügen statt hat und Engel und Geist die Schimäre
eines verborgnen Giftes sind Diese ehrwürdigen alten Geheimnisse aber, noch daß es ein Verbrechen ist
sie anzutasten, versteht der überwitzige Geist unsrer Liefländischen Damen nicht welchen wir durch witzeln
wieder in die rechte Leise setzen wollen und ihnen beweisen daß auf der ganzen bewohnten Erde unter
Gelehrten und Ungelehrten noch Spuhren dieser ehrwürdigen Phrygersitte und des einzigen rechten seelig
machenden Glaubens von welchem abzuweichen dem Schwerdte die weil er seinen eignen Schild und zwölf
Apostel hat und alle die ihm nicht beypflichten wollen rundweg für Türken und Mameluken zu erklären
das Recht hat - ja ihnen nicht nur öffentlich sondern auch heimlich nach Ehre guten Namen zeitlichen
wo möglich ewigen Wolfarth zu stehen in den Weg zu treten zu äusern völlige uneingeschränkte Vollmacht
und Gewissensfreiheit weil er von dem einzigen rechten Dienst der Phönizier und Anbeter des Herkules
und Jason gewichen und zügellosen Leidenschaften und schwännerischen Einbildungen gleich des Oehlgötzen
frohnet <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<align pos="center">Zärtlichgeliebte Geschwister<line type="break"/>
vielgeliebte Schwester!</align>
<line tab="1"/>Dein letzter Brief hat mich sehr gerührt, ich habe daraus ersehen daß du dich vollkommen wohl befindest,
dein lieber Mann ist wieder gesund und munter, seine äusseren Umstände haben sich verbessert, eure Familie
vermehrt, es fehlet euch also nichts zur irrdischen Glükseeligkeit als ein wenig Iangeweile oder wie du
mir mit deiner so eignen Naivetät schreibst ein Virtuos, den zu zum Narren brauchen könntest wenn du
schwermüthig wirst. Soll ich dirs rein deutsch heraus sagen noch obenein ein Liebhaber denn das kann bey
allen andern Vergnügen nichts schaden wenn man einen Nothnagel auf schlimmes Wetter übrig behält. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Liebe Schwester du bist sehr naif. Deine Offenherzigkeit freut mich mehr als die Scheinheiligkeit der
Bethschwestern die ihre wahren Gesinnungen verbergen. Nach wem soll man sich denn umsehen wenn man in den
Wagen steigt? Wer soll einem die Hand bieten wenn man in die Assemblee fährt. Diese Höflichkeiten will
dir gerne gestatten, aber, aber und wer soll bisweilen einen artigen Vers auf mich machen? Wunder-
20 bare Grillenfängerin! muß denn das ein Liebhaber seyn? Ja sonst gefallen sie nicht und gerathen nicht.
Umgekehrt! dem Liebhaber gerathen keine Verse, der artige Mann lügt mit kaltem Blut und viel schöner als
es ein Liebhaber je thun kann, er lügt in des Liebhabers Namen. Die Regel ist nicht ohne Ausnahme, aber
das ist zu verlässig, je besser gesetzt je feiner gereimt gedacht gerundet der Vers je mehr die Seele in
der rechten Harmonie, desto weniger liebte der der ihn machte. Die Liebe begnügt sich wenn sie in den Fall
kommt mit ängstlichen einzelnen Lauten, und ˕be˕hält das beste zurük: der schöne Geist und artige Mann wird
ein freygebiger Gastwirth und stellt das letzte aus sieben Schüssern auf den Tisch, denn er ist großmüthig <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was soll das Wimmern und Püsteln närrisches Weib wenn eins deiner Kinder kränkelt. Ist nicht jemand da einen
Vers darauf zu machen? Er ist gewiß ein Narr denn er machte Verse auf ein Weib das ihn nicht lieben durfte sie
also wie die Zukerdüten brauchte, die man doch annimmt wenn sie aus gutem Herzen kommen und auch in den Mund
stekt wenn einem bitter wird. Aber er muß ein Liebhaber seyn und muß fallen sonst schmeken sie nicht Schwester
Schwester Und du suchtest dir einen Geheimsekretär? <page index="2"/> vielleicht die Windeln deines Kindes zu troknen
oder zu besingen Ey ey! so böse hast du es doch nicht gemeint Nicht alle Windeln sind Windeln Und wenn du
nur die Seele deines Geheimsekretärs auf dein Gewissen ladest. O dafür ist Rath, unsere heutigen Poeten wissen
allem eine Farbe zu geben <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ganz gut aber was wird denn nun aus deinem Geheimsekretär Dein Narr das ist doch ein bisgen zu
unfreundlich danke ihm ab und mache ihn wieder zu dem was er war zu einem höflichen artigen Mann der
nicht über den Wolken schwebt und nicht unten im Abgrund auf Tarnedans und Bajazeth und Zingischans Stuhl
sieht denn das waren Heilige der ersten Ordnung die vielleicht auch Orden stifteten <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Laß uns ehrlich sprechen, die heutige Welt weiß nicht was sie will. Alles möchte gern beliebt seyn und gefallen
und daran ist nichts versehen denn du gefällst wenn du nicht zu gefallen meynst und wirst unleidlich so bald
du es merkst daß du gefällst. Aber man möchte nicht gern daß ein andrer gefiele, damit haben wir alle zu
kämpfen. Und warum nicht liebe Frau wenns ein ehrlicher Mann oder ein ehrliches Stük Weisbild ist das dir
auch gut ist und nützlich werden kann. Aber wehe deinem Geheimsekretär wenn er ein Weib berührt denn dein
ganzes irrdisches Glük ist hin. Er mag sich auftausendmal fünfhundert Meilen weit von dir verheurathen, wo man
nichts von deiner Schönheit gehört hat Liebe Frau! Und was ist Schönheit Mach mich nicht zum Pilatus
dein Spiegel ist falsch er zeigt dir dein Gesicht nie in dem <ul>Augenblik</ul> wenn solche Gedanken in deiner Seele
sind und diese entstellen deine sanfte liebreiche Gebehrde <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Den Vorzug ey da ist kein Vorzug die wahre Liebe weiß von keinem Vorzug der Liebhaber gefällt weil er
liebt, die Geliebte weil sie geliebt wird. Der Liebhaber findt tausend Frauen schöner besser milder als seinen
Gegenstand, aber er liebt seinen Gegenstand weil es so seyn muß, weil er gezwungen dazu ist er ist ein
Unglüklicher! du kannst ihn bedauern aber du brauchst ihm nicht feind darum zu werden. Die andern Schwestern
lachen darüber <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aber was bleibt mir denn übrig, wenn er eine andre liebt? Nichts gar nichts! der Schurke bezahlet mir meine
Rechnung nicht, er ist ein Betrüger Nicht so ganz als du meynst. Er hat sich nur versehen er glaubte dich zu
lieben und liebt dich in einer andern. Sieh einmal er liebte dich auch vielleicht nicht bloß um der weissen
Schürze willen, oder um sein Glük durch dich zu machen oder um Brod zu erhalten oder doch was ist vom Geschmak
zu reden jeder Mensch hat seinen Geschmak und man muß dem Geschmak seine Grillen lassen. Das ist eine Philosophie
die kein Barometer ausschöpft - dem einen gefällt das natürliche, dem das künstliche, dem das eigennützige, dem
das freye dem das eiffersüchtige, dem das unschuldige <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was macht deine Freundin am Hofe? Oder ist sie schon wieder zurük? Hat sie nicht auch ein Paar geheim Sekretäre
dort gelassen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sollte es möglich seyn daß dein Geheimsekretär liebte? Er müßte allen Gebrauch seiner Vernunft verloren haben und
rasend geworden seyn. Weniger Naivetät Schwester! laß ihn leben. Die Grille wird übergehen und dann wird er wieder
in deine Fesseln zurükkehren. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn er aber in vollem Ernst liebte? Nun dann ist er ein Türk und Mameluke, denn wie ist es möglich daß halt ein
wenig inne liebe Schwester! verdamme nicht er kann seine Ursachen haben, laß ihn leben, ich bitte für ihn
Du liebst deinen Mann nicht recht oder vielmehr er hat Ursache ein wenig zu zürnen wenn du neben ihn noch einen
Galeerensklaven halten möchtest der nicht dein Mann wäre. Du bist meine liebe Schwester aber die reinste heiligste
Wahrheit ist mir noch lieber. Ich kann in denselben Fall gerathen und was wird aus mir wenn eine Dame sich meine
Schwester zum Muster <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Du bist ein Narr Ey ey mir den Grandison ins Gesicht zu werfen Nun es ist doch gut daß du es mit guter Laune thatst
Wir wollen also einmal eine Ausname von deiner Immanoyukase machen und einem auf den Tod Gefangenen das Leben ey pfuj
doch, mehr, ich handle itzt mehr mehr Schwester pfuj schäme dich mehr um das rechte Leben ich bin zufrieden</letterText>
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<date when="1789-07-01">Moskau, um 1790</date> <date when="1790-06-15">Moskau, um 1790</date>
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<date when="1790-10-01">Moskau, etwa Herbst 1790</date>
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<person ref="5" /><!-- Ist Dorothea Lenz die in diesem Brief angesprochene Schwester von Lenz? -->
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Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Lenziana 5, Nr. 41
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