mirror of
https://github.com/Theodor-Springmann-Stiftung/lenz-briefe.git
synced 2025-10-28 16:45:31 +00:00
36
This commit is contained in:
@@ -620,11 +620,20 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
|
||||
|
||||
<letterText letter="36"><hand ref="11">
|
||||
<line tab="1"/>Liebster Bruder! Ihre zwo Sturmtage sind vorbey, und Sie wieder fort. Sie reisen ja wie die Apostel, und die Ruhe die Sie haben bleibt in den Reiswägen sitzen wo sie noch obendrauf der Staub stöhrt. Mag die Lebenskraft Gottes ob Ihnen schweben und den Saamen befeuchten den Sie ausstreuten, mag vstündiger Schlaf bey Ihnen die Wirkung von längerem haben und Ihnen der Glaube helfen der mir Wunderglaube ist. Ihnen folgt mein Herz nach nicht meine Worte. Dunkle! – dunkle Wünsche drinne die ich denen zugesellen die mir noch immer erfüllt wurden. Sie waren mir so nahe so nahe! so sprachvoll und so stumm! Nicht Mangel an Vertrauen war’s, denn ich weiß es, mein Herz steht Ihnen offen – aber ich weiß es was es ist: meine Empfindung ist noch nicht aufgelöst! Und ich seufze nach dem. Wo’s geschehn wird weiß der der über meine Existenz wacht und in dem ich allein ruhen möchte!! Dort drüben denke ich, wohin mir ein Alpenhohes Gebürg den Blick verbeut. Ich bin nicht unruhig – ängstlich wollt ich sagen – bin ich nicht, aber – ich strebe. O mein lieber! Nicht stöhre itzt Mitgefühl die ganze Wonne, die ich über Sie hin wünsche und die Ihnen der Geber schenkt!
|
||||
<line type="empty"/>
|
||||
<line tab="1"/>Grüssen Sie Goethe. Eine Ode auf Erwins himmeldeutenden Finger versprachen Sie. Ihr … Herr Pf. Bekommt am <note>Planetensymbol für Mittwoch</note> Ihr Billet in einem von Lenz und ein Paar Worte von mir laufen mit. Ihnen aber blick ich nach und bin
|
||||
<line type="break"/>O mein Theuerster!
|
||||
<line type="break"/>Ihr Röderer.
|
||||
<line type="break"/>Straßburg d. 18. Junius 74. Physiognomik lehrt – Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Gott und Natur effervesciren mit einander auf unaussprechliche Arten, die sich nie unter allgemeine Regeln bringen lassen. Das neue Testament ist mir eben so dürre Wüste ohne das alte, als das alte ohne das neue. Die Opfer waren kein Vorbild auf Christum – aber Christus war ein Gegenbild der Opfer. Die Opfer waren Gesetzgebung für die Juden, Schwung ihre Gesetzgebung in Gang zu bringen. Christus hob die Opfer auf um durch diese Wohlthat uns die Gottheit lieb zu machen. Das Leiden Christi ist ganz und gar symbolisch. Die Juden litten für ihre Sünden am Vermögen, wir an Leib und Seele – und Christus leidet mit uns. Tauffe und Abendmahl haben gar keinen Zweck, wenn sie nicht täglich wiederholet werden. Die Worte: „Das ist mein Leib“ sind unter allen Worten Christi ganz allen buchstäblich zu verstehen. Bey jedem Bissen den ich in Mund stecke, jedem Tropfen den ich trinke, wünscht’ ich so zu denken – meinen Genuß zu vergöttlichen. <aq>1 Joh. III. 9.</aq> pekriqhsan proV auton sperma Abraam esmen – ist das gründlichste was jemals von Psychologie ist gesagt worden.</hand> <note>Lenz’ Hand</note> In Röderers Brief hin – – wie, was von Dank? Ich Dir – ja ich Dir – tausend Dank – für tausend tröstliche Gedanken, die Du mir in meiner Einsamkeit nachgelassen – alle auf die Zukunft –verfolge Deinen Weg – am Ziel hängt der Kranz, am Ziel und wenn Du fortstürmst, wird Dich niemand überholen. Hier gehst Du durch gute u. böse Gerüchte, wie es allen Warheitsausbreitern, wo Licht hinfällt tritt die rückweichende Nacht desto dichter zusammen. Die Kopfhänger ärgern sich daß Du grade gehst, weissagen Dir Hochmuth und Fall – falsche Propheten. Der bessere Theil Menschen bewundert Dich, liebt Dich – viel fragen nach Dir, die Dich nie gekannt – heut ist ein Franzos bey mir gewesen sich Deine Schrift wider den Landvogt Grewel auszubitten. Die Geistlichen sind zwar noch über Dich geteilt doch hast Du bei den meisten durch Deine Gegenwart Dich unaussprechlich legitimirt Lies Röderers Gedanken und schreib ihm zurück drüber Meine Hausleute wollten ihren Augen nicht trauen daß Du sie grüßtest und danken mit Tränen u. Enthusiasmus. Mit Tränen haben manche Deine Klage wider den Landvogt schon angehört und Dich geseegnet. Fleuch fort fleuch auf Deinem Wagen Lavater! und laß Dich von niemand überholen.
|
||||
<line tab="1"/>Grüssen Sie Goethe. Eine Ode auf Erwins himmeldeutenden Finger versprachen Sie. Ihr … Herr Pf. bekommt am [Planetensymbol für Mittwoch] Ihr Billet in einem von Lenz und ein Paar Worte von mir laufen mit. Ihnen aber blick ich nach und bin
|
||||
<line type="break"/><align pos="center">O mein Theuerster!</align>
|
||||
<line type="break"/><align pos="right">Ihr Röderer.</align>
|
||||
<line type="break"/>Straßburg d. 18. Junius 74.
|
||||
<line tab="1"/>Physiognomik lehrt – Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Gott und Natur effervesciren mit einander auf unaussprechliche Arten, die sich nie unter allgemeine Regeln bringen lassen.
|
||||
<line tab="1"/>Das neue Testament ist mir eben so dürre Wüste ohne das alte, als das alte ohne das neue.
|
||||
<line tab="1"/>Die Opfer waren kein Vorbild auf Christum – aber Christus war ein Gegenbild der Opfer. Die Opfer waren Gesetzgebung für die Juden, Schwung ihre Gesetzgebung in Gang zu bringen. Christus hob die Opfer auf um durch diese Wohlthat uns die Gottheit lieb zu machen.
|
||||
<line tab="1"/>Das Leiden Christi ist ganz und gar symbolisch. Die Juden litten für ihre Sünden am Vermögen, wir an Leib und Seele – und Christus leidet mit uns.
|
||||
<line tab="1"/>Tauffe und Abendmahl haben gar keinen Zweck, wenn sie nicht täglich wiederholet werden. Die Worte: „Das ist mein Leib“ sind unter allen Worten Christi ganz allen buchstäblich zu verstehen. Bey jedem Bissen den ich in Mund stecke, jedem Tropfen den ich trinke, wünscht’ ich so zu denken – meinen Genuß zu vergöttlichen.
|
||||
<line tab="1"/> <aq>1 Joh. III. 9.</aq> pekriqhsan proV auton sperma Abraam esmen – ist das gründlichste was jemals von Psychologie ist gesagt worden.</hand>
|
||||
<line tab="1"/>In Röderers Brief hin – – wie, was von Dank? Ich Dir – ja ich Dir – tausend Dank – für tausend tröstliche Gedanken, die Du mir in meiner Einsamkeit nachgelassen – alle auf die Zukunft –verfolge Deinen Weg – am Ziel hängt der Kranz, am Ziel und wenn Du fortstürmst, wird Dich niemand überholen.
|
||||
<line tab="1"/>Hier gehst Du durch gute u. böse Gerüchte, wie es allen Warheitsausbreitern, wo Licht hinfällt tritt die rückweichende Nacht desto dichter zusammen. Die Kopfhänger ärgern sich daß Du grade gehst, weissagen Dir Hochmuth und Fall – falsche Propheten. Der bessere Theil Menschen bewundert Dich, liebt Dich – viel fragen nach Dir, die Dich nie gekannt – heut ist ein Franzos bey mir gewesen sich Deine Schrift wider den Landvogt Grewel auszubitten. Die Geistlichen sind zwar noch über Dich geteilt doch hast Du bei den meisten durch Deine Gegenwart Dich unaussprechlich legitimirt
|
||||
<line tab="1"/>Lies Röderers Gedanken und schreib ihm zurück drüber Meine Hausleute wollten ihren Augen nicht trauen daß Du sie grüßtest und danken mit Tränen u. Enthusiasmus. Mit Tränen haben manche Deine Klage wider den Landvogt schon angehört und Dich geseegnet.
|
||||
<line tab="1"/>Fleuch fort fleuch auf Deinem Wagen Lavater! und laß Dich von niemand überholen.
|
||||
<line type="break"/><align pos="right">Lenz</align>
|
||||
<sidenote pos="top" page="1" annotation="am oberen Rand, horizontal gespiegelt"> Willstu mir eine süsse Stunde machen so schick Kleisten einen Gruß. - Aber bring bring Göthen von mir – – was? Dich. Ich möcht ihm meine Seele schicken denn ich habe Hofnungen zu ihm, die wie die Sonne vor Tage nur noch den Antipoden sichtbar. Ach ich leide – aber Bruder Eure Hofnung schimmern mir in meiner Nacht, daß ich den zögernden Tag nicht anklage.</sidenote>
|
||||
</letterText>
|
||||
|
||||
@@ -4,32 +4,32 @@
|
||||
<letterTradition letter="1">
|
||||
<app ref="4">
|
||||
Riga, Latvijas Valsts Vēstures Arhīvs, Fonda 4038, Aprakst 2, Lietas 1639, (Nr. 103), S.
|
||||
377–378
|
||||
377–378.
|
||||
</app>
|
||||
</letterTradition>
|
||||
<letterTradition letter="2">
|
||||
<app ref="4">
|
||||
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, [1] Nachlaß J. M. R. Lenz, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr.
|
||||
2
|
||||
2.
|
||||
</app>
|
||||
</letterTradition>
|
||||
<letterTradition letter="3">
|
||||
<app ref="4">
|
||||
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, [1] Nachlaß J. M. R. Lenz, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr.
|
||||
3
|
||||
3.
|
||||
</app>
|
||||
</letterTradition>
|
||||
<letterTradition letter="4">
|
||||
<app ref="4">
|
||||
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, [1] Nachlaß J. M. R. Lenz, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr.
|
||||
4
|
||||
4.
|
||||
</app>
|
||||
</letterTradition>
|
||||
|
||||
<letterTradition letter="5">
|
||||
<app ref="4">
|
||||
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, [1] Nachlaß J. M. R. Lenz, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr.
|
||||
5
|
||||
5.
|
||||
</app>
|
||||
</letterTradition>
|
||||
|
||||
@@ -175,13 +175,13 @@
|
||||
|
||||
<letterTradition letter="28">
|
||||
<app ref="4">
|
||||
Zürich, Zentralbibliothek, FA Lav. Ms. 594.12 (2), Exzerptheft von Lavaters Hand
|
||||
Zürich, Zentralbibliothek, FA Lav. Ms. 594.12 (2), Exzerptheft von Lavaters Hand.
|
||||
</app>
|
||||
</letterTradition>
|
||||
|
||||
<letterTradition letter="29">
|
||||
<app ref="4">
|
||||
Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 19
|
||||
Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 19.
|
||||
</app>
|
||||
</letterTradition>
|
||||
|
||||
@@ -204,13 +204,13 @@
|
||||
Johann
|
||||
Caspar Lavater an Johann Gottfried Röderer; S. 3–5 die Abschrift eines ungedruckten Briefs
|
||||
(Ende Mai
|
||||
1774), dessen Original verschollen ist
|
||||
1774), dessen Original verschollen ist.
|
||||
</app>
|
||||
</letterTradition>
|
||||
|
||||
<letterTradition letter="33">
|
||||
<app ref="4">
|
||||
Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 20
|
||||
Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 20.
|
||||
</app>
|
||||
</letterTradition>
|
||||
|
||||
@@ -224,14 +224,13 @@
|
||||
<letterTradition letter="35">
|
||||
<app ref="4">
|
||||
August Stöber: Johann Gottfried Röderer, von Straßburg, und seine Freunde. Colmar 1874, S.
|
||||
S. 81
|
||||
S. 81.
|
||||
</app>
|
||||
</letterTradition>
|
||||
|
||||
<letterTradition letter="36">
|
||||
<app ref="4">
|
||||
Freye/Stammler I, S. 75–77(Röderers Hand)/Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 21(Lenz’
|
||||
Hand)
|
||||
Freye/Stammler I, S. 75–77 (Röderers Hand); zu Lenz’ Anteil ist das Manuskript überliefert, nach dem hier zitiert wird: Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 21.
|
||||
</app>
|
||||
</letterTradition>
|
||||
|
||||
|
||||
Reference in New Issue
Block a user