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350-355
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@@ -6046,7 +6046,7 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
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<line type="break" />Den Herrn General Bauer werden Dieselben nun bereits in Derpt gesehen haben.
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<letterText letter="349"><align pos="center">Liebster Bruder</align>
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<letterText letter="349"><page index="1"/><align pos="center">Liebster Bruder</align>
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<line tab="1"/>Eben komme ich dazu, an Dich zu schreiben, mehr um Dich und meine Freunde über mein Schicksal zu orientiren, als um ausführliche Nachrichten zu geben, die Du jetzt nicht von mir erwarten wirst. Ich habe das Glück gehabt, durch die Gnade des Hofes und meines theuresten Großfürsten dem Hause des Hn. Vizepräsidenten v. Böhmer vorgestellt zu werden, mit welchem sich jetzt der Ambassador v. Portugal verbindet, welcher eine der Fräuleins heurathet. Auch bin ich einer englischen Dame von der Verwandtschaft des Hn. Kabinetssekr. vorgestellt worden, die eine Gesellschaftsdame des englischen Ministers ist. So fangen sich meine Bekanntschaften an ein wenig zu bilden, und auszubreiten, welches mir zu einer Zeit, da ich mir ein Publikum von verfeinertem Geschmack erwerben möchte, keine geringe Aufmunterung für mich ist.
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@@ -6079,42 +6079,31 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
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<line type="break"/><align pos="right">Jakob Michael Reinhold Lenz.</align>
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<letterText letter="351"><align pos="right">St Petersbg. d. 2ten Jun 1781.</align>
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<letterText letter="351"><page index="1"/><align pos="right">St Petersbg. d. 2ten Jun 1781.</align>
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<line type="break" /><align pos="center">Theurester Vater!</align>
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<line tab="1"/>Es ist hier eine Gesellschaft gelehrter Freunde und Kenner, die es unternommen hat ein Werk herauszugeben, das vielleicht das erste in Rußland und das erste in der Welt, für neuere Zeiten wenigstens könnte genannt werden. Dieses ist eine Sammlung von Lebensbeschreibungen merkwürdiger Männer für unser Vaterland, aber nicht von <ul>einer Feder</ul> auch nicht von denen <insertion pos="top">berühmten Männern</insertion> die <ul>schon todt sind</ul> sondern von lauter <ul>Lebenden.</ul>
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<line tab="1"/>Eben darum weil die Verfasser unbekannt und <ul>geschützt</ul> sind dürfen sie frey, unpartheiisch und unbestechlich – mit Eiffer für die <ul>Wahrheit</ul> und das <ul>Vaterland</ul> – allein, von ihren Helden sprechen. In diese Sammlung theurester Vater bin ich mit um einige Beiträge gebethen worden. Von wem könnte ich sie wohl mit mehr Fug und
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<page index="3"/>ohne irgendeine Pflicht zu verletzen mit wärmerem Herzen liefern, als von meinem Vater. Seyn Sie also so geneigt, solange wir noch das Glück haben Sie diesseits des Grabes zu sehen mich (und in mir unsere ganze Familie) in ganz freyen offenen Stunden mit einem soviel möglich umständlichen Detail Ihrer merkwürdigsten Fata zu erfreuen die Sie von Ihrem Vaterlande an bis auf der Stuffe des jetzigen, das Sie mir gegeben haben, an Ihnen sowohl als den nächsten Ihrigen erlebt haben. – Ich erwarte
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<page index="4" />dieses als ein freywilliges Geschenk Ihrer Vatergüte sobald es Ihnen möglich und werde eiffersüchtig auf jedes nicht sehr wichtige Geschäft seyn, das Sie an der Niederwerfung dieser Züge Ihrer Seele hindert. Auf den Styl bitte ganz und gar keine Sorge zu wenden – weil Sie doch wohl vermuthen können, daß ich als Sohn jede Art Ihres Ausdrucks verstehe und mirs einzig um die <ul>Sachen</ul> zu thun ist.
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<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand der dritten Seite, vertikal">Ich bin dem Grafen schon bekannt; darf aber gleich am Anfange nicht Gage fodern. Bester Vater. Hartknoch wird Ihnen einen Brief von Wieland weisen, der Sie überführen wird, daß ich bald nicht mehr nöthig haben werde, Ihnen beschwerlich zu fallen. Lassen Sie Ihre Arme nur jetzt noch nicht müde werden, mich zu unterstützen, da ich Unterstützung brauche. Ich könnte Ihnen mehr sagen, wenn ich nicht wüßte, daß <aq>littera scripta manet.</aq> Der gute Geist gebe es Ihnen zu ahnden. – Sagen Sie doch dem Derptschen Bruder er soll nicht so <ul>eigensinnig</ul> <insertion pos="top">ungläubig</insertion> seyn und mir einige seiner Predigten schicken, daß ich sie Weygand in Leipzig zusende. Ich thue diesem damit einen Gefallen.</sidenote>
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<line tab="1"/>Zugleich bitte Hartknoch gelegentlich etwas dieses Unternehmens aber <aq>sub sigillo amicitiae et taciturnitatis</aq> wissen zu lassen. Ich hoffe er kriegt den Verlag, wenn er ihm gelegen ist – wovon ich mir einen Wink ausbitte. Die ersten Namen die im ersten Bande vorkommen – doch ich werde ihm selbst darüber schreiben, wenn ich ihn willig merke, auch das äussere dieses Werks so zu besorgen, daß es <ul>diesen Namen</ul> entspricht.
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<line tab="1"/>Für die fünfzig Rubel statte tausend Danksagungen ab. Ich war in großer Noth. Mehr vom Derptschen Bruder zu erfahren.
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<line type="break"/><align pos="center">Dero</align>
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<line type="break"/><align pos="right">gehorsamster Sohn J M R Lenz.</align>
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<sidenote pos="left" page="4" annotation="Am linken Rand der vierten Seite, vertikal">Man räht mir hier von allen Seiten nach Moskau zu reisen, theils um die Sprache, theils um Herrschaften kennen zu lernen, besonders da Graf Panin jetzt dort ist, bey dem unser Vetter Lenz aus Cüstrin Leibarzt ist. Wie mach’ ich es dorthin zu kommen, da ich von den 50 Rbln alles für Schulden weggeben müssen. Die Reise kostet 25 Rbl. Dort finde ich schon Unterstützung am Grafen. Wie befinden sich die Augen und die Zähne meiner theuresten Frau Mama! – – Auch ihr küsse gehorsamst die Hand.</sidenote>
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</letterText>
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<letterText letter="352"><align pos="center">Hochwohlgeborner Herr Staatsrath
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<line type="break"/>Insbesonders hochzuverehrender Gönner und Wohlthäter!</align>
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<line tab="1"/>Der von Ew. Hochwohlgebornen mir geschehene Vorschlag mich morgen beprüfen zu lassen, um eine Information in einem vornehmen russischen Hause zu übernehmen, verdient meinen ehrerbietigsten Dank, da Ew. Hochwohlgebornen mich mit Dero wirksamen Empfehlungen zu unterstützen versprechen.
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<line tab="1"/>Darf ich es aber wagen, Ew. Hochwohlgebornen vorher noch eine gehorsamste Bitte zu thun. Dieselben wissen, daß die eigentliche Absicht meiner Reise nach Moskau war, unter Dero Rath und Leitung die Geschichte des Vaterlandes (wofür ich Rußland halte) studiren zu können. Ich halte sie für ein unentbehrliches Stück von Erziehung, finde mich also noch nicht tüchtig nach meiner besten Ueberzeugung mich in ein Russisches Haus zu begeben, ehe ich wenigstens einige sichere Fortschritte in derselben gemacht, von denen ich hernach durch eigenes Studieren weiter kommen kann.
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<line tab="1"/>Sollte mein Aufenthalt in Dero Hause oder auch meine Führung in demselbigen Ew. Hochwohlgebornen oder Dero verehrungswirdigen Gemahlinn einige Beschwerde verursachen oder zu andern Unannehmlichkeiten und Mißvergnügen Gelegenheit geben: so bitte mir’s als ein Zeichen Dero Gewogenheit und Menschenliebe aus, mir dieses bekannt zu machen, da ich dann keinen Augenblick säumen will, Ihnen die Ursache Ihres Mißvergnügens aus dem Gesichte zu bringen.
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<line tab="1"/>Wollen Ew. Hochwohlgebornen aber noch ferner der Schuldherr meiner Erkenntlichkeit bleiben, für die ich freylich jetzt nur mit Worten Bürgschaft leisten kann, und mir wenigstens nur soviel Aufschub gönnen, daß ich nach Dero unschätzbaren Tabellen und andern gedruckten und ungedruckten Schriften die Russische Geschichte bis auf die neuern Zeiten mir einprägen kann, so werden Dieselben dadurch außer dem Dank meiner Eltern und aufrichtigen Freunde vielleicht auch noch den Beyfall erhabener edelmüthiger Gönner sich zu eigen machen und mich lebenslang bereit finden mich zu beweisen als Hochwohlgeborner Herr Staatsrath
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<line type="break" /><align pos="center">Geneigter Gönner
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@@ -6127,34 +6116,27 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
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</letterText>
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<letterText letter="353"> <hand ref="10"><align pos="center">Rußland. 82.</align>
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<line type="break"/>Lavater wird vielleicht Lenzen, den unglüklichen Satyrenschreiben der in den Schooß der heiligen Schweizergebirge zu seinen Füßen Weisheit lernte,o der viel erlernen sollte schon vergeßen haben. Die gute Gesellschaft in der m: Brief kommt, wird ihn vielleicht bewegen dem Publikum das noch wie vor 1700 Jahren aus eben dem Athem Krüzige! rufen kann, aus dem es Hosanna rief, ein für allemal troken zu sagen, daß Lavater, Göethe, Herder, Wieland, u: wie die berühmten Männer in Deutschland sonst heißen die dieses Publikum so unbesonnen erhöhten um seinen Küzel auf eben so unbesonnene Weise an ihm auslaßen zu können, von dem was diese Personen in der That sind, so verschieden sind, als die thörichten Begriffe die die heutzutage so genanten herrschende Sichten in der Christenheit von einander haben u: mit starrem Eigensinn als ihre Felsen behalten, von dem was diese Sekten in der That sind, u: nach der Unvollkommenheit auf Erden seyn können. Müßen wir nicht alle unter diesen Ausschweifungen des menschlichen Eigensinns u: Stolzes schweigend unser Kreuz tragen, u: auf den harren der täglich vom Himmel herab seinen Zorn über aller gottlose Wesen der Menschen die Wahrheit durch Ungerechtigkeit aufhalten vergeblich offenbart? – – –
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<line type="break"/>Ach wenn Sie doch hier wären! – Nicht als Apostel, aber als Laurenz Sterne! Für Ihre Freyheit wollten wir sorgen – jetzt sage ich wir – u: Freiheit bleibt doch die erste aller Gottesgaben. Noch auf eine Abhandlung von Ihnen harre ich. Ob die Seel ihren Körper noch unser Mutterleibe zu bilden fortführt, u: wie weit sie darin gehen kann. Die deutlichsten mir vor Augen liegenden Erfahrungen fordern mich auf, Ihnen diese Bitte <ul>recht ans Herz</ul> zu legen. Sehen Sie daß man sich Rußland nicht ungestraft nähert.</hand>
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<line tab="1"/>Lavater wird vielleicht Lenzen, den unglüklichen Satyrenschreiben der in den Schooß der heiligen Schweizergebirge zu seinen Füßen Weisheit lernte,o der viel erlernen sollte schon vergeßen haben. Die gute Gesellschaft in der m: Brief kommt, wird ihn vielleicht bewegen dem Publikum das noch wie vor 1700 Jahren aus eben dem Athem Krüzige! rufen kann, aus dem es Hosanna rief, ein für allemal troken zu sagen, daß Lavater, Göethe, Herder, Wieland, u: wie die berühmten Männer in Deutschland sonst heißen die dieses Publikum so unbesonnen erhöhten um seinen Küzel auf eben so unbesonnene Weise an ihm auslaßen zu können, von dem was diese Personen in der That sind, so verschieden sind, als die thörichten Begriffe die die heutzutage so genanten herrschende Sichten in der Christenheit von einander haben u: mit starrem Eigensinn als ihre Felsen behalten, von dem was diese Sekten in der That sind, u: nach der Unvollkommenheit auf Erden seyn können. Müßen wir nicht alle unter diesen Ausschweifungen des menschlichen Eigensinns u: Stolzes schweigend unser Kreuz tragen, u: auf den harren der täglich vom Himmel herab seinen Zorn über aller gottlose Wesen der Menschen die Wahrheit durch Ungerechtigkeit aufhalten vergeblich offenbart? – – –
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<line tab="1"/>Ach wenn Sie doch hier wären! – Nicht als Apostel, aber als Laurenz Sterne! Für Ihre Freyheit wollten wir sorgen – jetzt sage ich wir – u: Freiheit bleibt doch die erste aller Gottesgaben. Noch auf eine Abhandlung von Ihnen harre ich. Ob die Seel ihren Körper noch unser Mutterleibe zu bilden fortführt, u: wie weit sie darin gehen kann. Die deutlichsten mir vor Augen liegenden Erfahrungen fordern mich auf, Ihnen diese Bitte <ul>recht ans Herz</ul> zu legen. Sehen Sie daß man sich Rußland nicht ungestraft nähert.</hand>
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</letterText>
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<letterText letter="354"><align pos="center">Theurester und Verehrungswürdigster Vater!</align>
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<letterText letter="354"><page index="1"/><align pos="center">Theurester und Verehrungswürdigster Vater!</align>
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<line tab="1"/>Ihre geneigte Zuschrift habe schon durch verschiedene Gelegenheiten beantwortet, aber noch nicht die mindeste erfreuliche Nachricht von Ihrem uns allen so theuren Befinden weder durch meine lieben Geschwister noch durch sonst einen Freund erhalten können. Wie glücklich wäre ich, wenn der Herr Pastor Gerzimsky mein würdiger Seelsorger und Beichtvater, der mir diesen Einschlag in seinen Brief erlaubt, ein. Bewegungsgrund mehr wäre, mich aus der quälenden Unruhe dieser Unwissenheit durch einige gütige Zeilen zu reissen. Sie haben die Güte gehabt, mich an den Herrn Past. Brunnerund an dessen Verwandte und Freunde, die Herren Mahler und Kaufmann zu adressieren, welche, da Me. Exter ihre Behausung verändert, jetzt meine Nachbarn sind. Darf ich es aber wagen, theurester Vater! da Sie die Güte gehabt, mir vierteljährig aus Ihrer Väterlichen Milde eine kleine Zulage von 25 Rubeln zu versprechen (welche 30 ich schon einmal durch den H. Past. Bruner erhalten) Sie gehorsamst zu ersuchen, selbige diesesmal an meinen Beichtvater, den Herrn Past. Gerzimsky zu adressiren. Die Ursachen, so mich dazu nöthigen, sind folgende. Erstlich hat dieser würdiger Mann* <fn index="3"><anchor>*</anchor></fn> sowohl als der Herr Past. Bnmner, sich viele Mühe gegeben, meinem lieben Bruder in Derpt Subscribenten zu seinen geistlichen Reden zu verschaffen, unter welchen sich sogar verschiedene einsichtsvolle Personen von dem hiesigen Russischen Adel befinden. Mit vieler Beschämung muß ich Ihnen hier den Namen eines Major von Tschagin nennen, welcher so wie verschiedene hiesige vornehme Russen sich mehrere Jahre in Deutschland aufgehalten und da er Sprache und Sitten genau kennt, mir vielen Eiffer bezeugt hat, diese Reden zu lesen. Dieser würdige Gönner, der mich schon mehrere Jahre lang unverdienterweise mit Rath und That unterstützt hat, steht durch seine Schwester in Verwandschaft mit ihrer Erlaucht der Direktrice der Akademie der Wissenschaften. Der wenige Unterricht, den ich seinen Kindern gegeben, hat ihn zu meinem Freunde und Beschützer gemacht und ich weiß das viele Gute das dieser Menschenfreund mir, besonders als ich mit Sprache und Sitten allhier noch völlig unbekannt war, durch nichts als ein eyfriges Gebeth für sein Wohlseyn zu erwiedern; besonders da sein Beyspiel mehrere ädle Russen veranlaßt hat, sich meiner nicht bloß als eines Fremden, sondern mit Patriotischer Wärme anzunehmen.<fn index="4"><anchor>**</anchor></fn> Die zweite Ursache ist, daß Herr Rektor Lau (ein ehemaliger Universitätsfreund des Bruder in Derpt) bei der deutschen Schule, die unter der Aufsicht des Herrn Past. Gerzimsky steht, das fürtrefliche Elementarwerk des Herrn Basedow mit Kupfern besitzt, und mir dasselbige erst kürzlich, da wir das Glük hatten daß Sr. Durchl. der Graf v. Anhalt, der Mäzen aller Erziehungsanstalten in Rußland, hier durchgiengen, nicht allein sehen lassen sondern auch sich willig findet, mir dasselbe um einen billigen Preiß ganz abzustehen. Könnte ich, theurester Vater! Ihr gütiges Geschenk wohl besser anwenden, als
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<page index="2"/>durch den Ankauf eines Buchs, das mir gleichsam erst jetzt meine erste Moralische Existenz bei einer Erziehungsanstalt giebt, da es nicht bloß für Eleven, sondern hauptsächlich für diejenigen verfasset ist, die sich mit der Bildung derselben beschäftigen. Kann ich der <ul>rechtschaffenen Dame</ul> in deren Anstalt ich mich betinde, und die mir erst kürzlich von neuem versprochen für meine Equipage Sorge zu tragen, dieser Dame, deren Vorsorge für 90 Eleven und 19 Lehrer, ihr noch Zeit übrig läßt für mich so freundschaftlich zu sorgen als etwa meine Schwester <ul>Möritzin</ul> thun würde, meine Achtung und Erkenntlichkeit besser bezeugen, als wenn ich ihr dieses Buch anbiethe und die Erklärung desselben bei einigen unserer jüngsten und liebenswürdigsten Pensionärs deren Eltern uns mit Gewogenheit überhäuffen, selbst übernehme. Ich bin so glüklich gegenwärtig einige um mich zu haben, deren Eltern mit Personen, die die höchsten Würden in unserm Senat einnehmen in Verwandschaft stehen welchen ich mich sonst auf keine Weise nützlich zu machen oder zu empfehlen weiß. Zugleich halte es für meine Pflicht, da ich nicht im Vermögen bin, Me. Exter Geschenke zu machen, ihr für alles Gute das sie mir seit vier fünf Jahren in Moskau erwiesen, wenigstens meine Bereitwilligkeit zu zeigen, auch mein Scherflein zu dem Allgemeinen Besten, für welches ihre Anstalt eingerichtet ist, auf eine oder die andere Art beizutragen. Wollte Gott, es könnte ein Senfkörnlein seyn, unsern jungen Adel bei seinen anderweitigen liebenswürdigen Eigenschaften, ein wenig <ul>Liebe zum Detail</ul> alles dessen was zum Menschlichen Leben gehört einzuflössen und ihnen zu fühlen zu geben, daß der allergeringste Mensch, wenn wir seine Fähigkeiten recht zu lenken wissen, wenn wir wissen, wie wir ihn beschäftigen dürfen und sollen, uns unaussprechlich nützlich seyn kann. Ich habe das unnennbare Vergnügen, diese Gesinnungen schon hier an einem jungen v. Wiäsemsky und andern vornehmen jungen Herrschaften von seinem Alter (worunter sich auch ein junger Fürst Gagarin befindet) zu entdecken: es fehlt nur noch an der <ul>Kenntniß</ul> der Mittel, sie <ul>dermaleinst,</ul> zur Hoffnung unsers gemeinschaftlichen Vaterlands, in Ausübung zu setzen.
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal"><fn index="3"><anchor>*</anchor></fn> Der auf der Nachbarschaft des H. Brunners wohnt und mit ihm ein Herz u eine Seele ist
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<line type="break" /></sidenote>
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<sidenote pos="bottom" page="1" annotation="am unteren Rand der ersten Seite, horizontal"><fn index="4"><anchor>**</anchor></fn> Unter diesen muß ich besonders zwei junge Verwandte des Grafen von Soritsch zählen, welche, da sie schon einige Jahre vor mir in dieser Anstalt gebildet worden mit dem Sohn der Me. Exter eine <ul>ädle</ul> Freundschaft errichtet und deren Onkel in einer der wichtigsten Angelegenheiten des Staats eine wichtige Rolle gespielt. Imgleichen einen teutschen Obristen, der von Petersburg hieher gekommen und seinen Reisegesellschafter bei uns eingeführt.</sidenote>
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<line tab="1"/>Ist es wahr, theurester Vater! daß Sie die Güte für mich gehabt, durch Herrn Hartknoch von hier eine Russische Bibel nach Riga zu verschreiben. Ich hatte eine herzliche Freude darüber, weil ich überzeugt war, daß Sie in derselben Ihr Bild finden würden; so wie es so viele ädle Russen, die auch an meinem Schiksal einen Menschenfreundlichen Anteil zu nehmen würdigen, darinne finden. Darf ich doch bitten Herrn Hartknoch gelegentlich gütigst
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<page index="3"/>zu fragen, ob er nicht einen Herrn von Töllner, Preußischer Offizier, kennt, welcher mir von Ihnen und dem Bruder in Dörpt zu meinem Troste sehr vieles erzehlt hat. Er rühmte mir ein gewisses Buch, dessen ich hier habhaft zu werden wünschte. Es heißt: Lebensläuffe in auf und absteigender Linie, von einem deutschen Plutarch, der aller Aufmerksamkeit und Nacheiferung würdig ist. Ein solcher Maler der Seelen und Sitten wäre hier am rechten Ort, wo sich <ul>täglich</ul> in der Nähe und Ferne sovieler Stoff dazu anbietet. Ein Moralischer Chevalier <aq>de Luc</aq> würde den Reichtum der Karaktere allhier, mit dem Geschmak und der Kürze behandeln müssen, mit welcher jener den Reichtum der Schöpfung in den Schweizergebirgen behandelt hat.
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<line tab="1"/>Wollte Gott, theurester Vater! ich könnte Ihren Seegen zu irgend einer Art von <ul>fixer</ul> Existenz in dieser Mütterlichen Stadt herüberholen! Die Würde welche Sie bekleiden, wird durch Ihre Person erst interessant und erregt die sympathetischen Empfindungen aller derer, so sich in ähnlichen Verhältnissen befinden. Sprechen Sie wenigstens schriftlich ein Wort des Trostes über mich, werden Sie zum andemmal ein schöpferischer Vater meiner Ruhe und meines Glüks, zu dem ich in der Güte so vieler um mich verdient<tl></tl> Edlen einige Anstalten zu entdecken hoffe. Ich habe das Glük gehabt, Sr. Excellenz dem <ul>Herrn Curator Cheraskoff</ul> besonders empfolen zu seyn und beschäftige mich gegenwärtig mit einem Aufsatz über einige Schönheiten seiner Gedichte, insofern sie auf die Erziehung der russischen Jugend Einflüsse haben. Herr Hofrath <ul>Schade,</ul> der bey der Kaiserl. Commission zur Untersuchung hiesiger Schulanstalten war, ein Mann von lebenslänglicher Erfahrung über diesen Gegenstand, hat mich dazu gütigst aufgemuntert. Vielleicht bin ich so glüklich, da die hiesige Käis. Universität sich unsrer Anstalt mit besonderm Eiffer annimmt, wenigstens dem Namen nach mit einige Ansprüche auf ein Art von Bürgerrecht bei derselben zu erhalten. Was meinen Muth und Zutrauen auf die allesbelebende Vorsicht unaussprechlich stärkt, ist der huldreiche Blick den der oberste Befehlshaber unserer Stadt auch auf unsere Anstalt zu werfen scheint. Soll ich Ihnen sagen, daß ich das Glük gehabt vor Sr. Durchl. dem Grafen Anhalt selbst vorgelassen zu werden und daß dieser herablassende Menschenfreundliche Herr sich fast eine Viertelstunde mit mir zu unterhalten die Gnade für uns hatte? Welch ein Gemählde in einer solchen Gallerie als sich mir hier von allen Seiten aufthut um mein Auge – und vielleicht bald – auch meinen furchtsamen Pinsel zu üben! –
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<line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Herr Major Hüne – und andere Freunde, denen mich der Bruder aus Derpt empföhlen, befinden sich gesund und munter. Darf ich bitten, meiner theuresten Frau Mutter und sämtlichen geliebtesten Geschwistern und Freunden tausend warme Grüsse zum Neuen-Jahr zu sagen, Zeit, Raum und Umstände erlauben mir diesesmahl nicht ein mehreres. Ihrer geneigten Fürbitte bey dem höchsten Geber aller Weißheit und Gaben, den ich für die Erhaltung Ihrer uns allen so theuren Gesundheit, Ruhe und Zufriedenheit unablässig anflehe, empfehle auch in diesem Jahr meines theuresten und verehrungswürdigsten Vaters Moskau den 18ten November 1785.
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<line type="break" /><align pos="right">gehorsamsten Sohn
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<line type="break"/>Jacob Michael Reinhold Lenz.</align>
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<line type="empty"/>
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<line type="break"/><address>
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<line type="break"/>Sr. Magnifizenz
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<line type="break"/>Herrn Herrn Christian David Lenz.
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@@ -6165,19 +6147,12 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
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</letterText>
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<letterText letter="355">Lieber Lenz,
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<line tab="1"/>Dank für Deinen Brief, ohne Datum, samt den Beylagen von Silhuetten, die mich, schreklicher Zeitarmuth wegen2 weniger interessieren. Deine Urtheile als Charakter betrachtet, sind mir wichtiger. Denke nicht, daß ich Deiner vergessen. <aq>Quem amavi, nunquam non amabo.</aq>
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<line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Hättest Du mir doch auch mehr von Dir, Deiner Person u: Lage, Deinem Thun und Leiden, Deinem Lieben u: Hoffen, Deinem Leben und Glauben Geschrieben.
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<line type="empty"/>
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<line tab="1"/><ul>Göethe</ul> ist izt in Neapel oder Rom, und arbeitet an der neuen Ausgabe seiner Werke, die Er um die Hälfte vermehren will. Wenn Er bald herkömmt, will ich Deinen Auftrag mündlich ausrichten.
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<line type="break" />Etwas, was physiognomischen Linien ähnlich sieht, wird nun bald in Engeland von mir gedrukt.
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<line tab="1"/>Etwas, was physiognomischen Linien ähnlich sieht, wird nun bald in Engeland von mir gedrukt.
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<line tab="1"/>Ich bin nun neben Pfeningern an der Peterskirche, welches ein traumähnliches Glük für mich ist. Mamma ist gesund. Mein Sohn studiert Medizin in Göttingen. Meine zwo Töchterleins machen mir täglich Freüde.
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<line type="break" />Meinen <ul>Nathanael</ul> für <ul>Nathanaele</ul> wünscht’ ich von einigen Christen in Deiner Gesellschaft gelesen.
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<line tab="1"/>Meinen <ul>Nathanael</ul> für <ul>Nathanaele</ul> wünscht’ ich von einigen Christen in Deiner Gesellschaft gelesen.
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<line tab="1"/>a Dieu Lieber! Lieber wenig, als die antwort aufgeschoben. Küß' Deiner Stiefmutter in meinem Namen die Hand. Wills Gott! Kann ich Dir auch einmahl schreiben – „Land! Land! Land!“
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<line type="empty" />
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<line type="break" /><align pos="right">Freytags nachts 12. Uhr.
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@@ -5335,7 +5335,7 @@
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<location ref="50" />
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</received>
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</letterDesc>
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@@ -5350,7 +5350,7 @@
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</received>
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<isDraft value="false" />
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</letterDesc>
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@@ -2584,13 +2584,13 @@
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<letterTradition letter="355">
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<app ref="4">
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Zürich, Zentralbibliothek, FA Lav. Ms. 572, Nr. 26 (zeitgenössische Abschrift)
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Zürich, Zentralbibliothek, FA Lav. Ms. 572, Nr. 26 (zeitgenössische Abschrift).
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</app>
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</letterTradition>
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<letterTradition letter="356">
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<app ref="4">
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Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 26
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Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 26.
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</app>
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</letterTradition>
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@@ -2602,13 +2602,13 @@
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<letterTradition letter="358">
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<app ref="4">
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Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 37
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Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 37.
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</app>
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</letterTradition>
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||||
<letterTradition letter="359">
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<app ref="4">
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Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, NL Lenz, Bd. 2, (Nr. 235), Bl. 62–63
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Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, NL Lenz, Bd. 2, (Nr. 235), Bl. 62–63.
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<align pos="center">Mein Wohltäter!</align> <line type="empty"/><!-- Hier nicht zentriert? -->
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Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Lenziana 5, Nr. 47
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Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Lenziana 5, Nr. 47.
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