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Einpflegung von Brief 45.
This commit is contained in:
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Lavater <line type="break"/>
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Zürich, Donnerstags, Abends nach 3 uhr.</letterText>
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<letterText letter="45"><line tab="1"/>Dein kostbares Briefgen habe erhalten ist mir ein theures theures Zeugniß der Güte und innern
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standhaften Grösse Deines Herzens die keiner falschen Bescheidenheit braucht um damit Cabale zu
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machen. Lache doch Lavater der Wolken die Freunde und Feinde an Dir vorbeyziehen lassen, Du wirst
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immer durchscheinen. Durchscheinen durchscheinen mein lieber Getreuer bis auf lange Nachwelt
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hinunter. Mich freut der Eiffer Deiner jungen Freunde. Fürchte nichts von mir, ich konnte und kann
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Dich nie kompromittieren, mein Blut ist kalt, aber mein Herz fühlt warm. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Alles das was Du mir schreibst hat mein Herz grade so geahndet, das war mir ein Siegel, daß auch ich
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Dein oder Deines Gottes bin. Ich konnte aber – und werde nun keinen üblen Gebrauch davon
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machen, dessen sey sicher. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Laß Deine Freunde machen was sie wollen und für gut und nöthig finden, ich mische mich nicht
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darunter, gewiß nicht aus Menschenfurcht, denn was können mir Deine Menschen helfen oder
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schaden. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Aber was ich in einer Entfernung für Dich hinaus thun kann, das thu ich – und nichts kann mich
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abhalten. Ich kenne Deine Sphäre nicht, aber ich <page index="2"/> kenne die Fassungsart und Gesinnungen
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der meinigen, in die ich freilich sehr langsamen und halb imperceptiblen Einfluß habe. Also hast Du
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nichts von mir zu hoffen noch zu fürchten gegenwärtig. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Deine Physiognomik – lieber der Wunsch mir ein Exemplar geben zu können, was geb’ ich Dir dafür?
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Mein ganzes Herz – mehr hat mir der Himmel nicht gelassen. Ich glaube aber dennoch, ich glaube, ich
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werde sobald es heraus ist, hier eines zu Gesicht bekommen und das ist ja <ul>aIIes</ul> was ich wünsche. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Lebe wohl mein lieber Leidender! Meine Freunde werden mir denn erst recht theuer, wenn sie ein
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wenig dulden und schweigen müssen und das ist das Gefühl aller honetten Leute. Also nutzen Dir
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Deine Feinde bei der honetten Welt – und bey der erleuchteten können sie Dir auch nicht schaden.
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Was bleibt ihnen denn übrig, als ein halbgelehrter schaler feindseliger Anhang, den <ul>ich Dir</ul> nicht
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wünschen möchte.
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<line tab="1"/>Leb wohl hier ist ein physiognomischer Gedanke der mir durch den Kopf gezogen ist und über den ich
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Deine Meynung zu hören wünschte. Es ist manchmal gut allerley <ul>anzuhören,</ul> wenn man über gewisse
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Sachen nachdenkt – also wirst Du mir mein Gelall und Gestammel nicht übel nehmen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Grüsse Passavant (dessen Enthusiasmus für Dich mich entzückt), Pfenninger, das Kind Gottes in
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Blumen spielend und Kaysern. Ich erwarte von den beyden ersten die nächsten Briefe mit vieler
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Sehnsucht. <line type="empty"/>
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<align pos="right">Lenz.</align>
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<page index="4"/>
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<line tab="1"/>In unsern Tagen ist eine gewisse Faulheit und Niedergeschlagenheit besonders in monarchischen
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Ländern so <ul>häuffig</ul> anzutreffen, daß die Gesichtszüge daher fast alle auf eins hinauslauffen und von
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keiner Bedeutung sind. Die zu geläuterten Religionsbegriffe, die übermässige Verfeinerung in den
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Künsten und Zweiffel und Ungewißheit in den Wissenschaften geben ganz andere Gesichter und ganz
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andern Ausdruck der Empfindungen als ehemals. Das Feuer sitzt bey uns nur in den Augen, bey den
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Alten aber in allen Mienen und der Stellung derselben. Ueberhaupt scheinen mir alle heutige
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<ul>bedeutende</ul> Gesichter nur <ul>aufgeschürzt</ul>, das heißt die <ul>herunter</ul>gesunkenen Lineamenten mit Mühe
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wieder <ul>empor</ul>gearbeitet – da die Alten das zu wilde Emporsteigen der Mienen vielmehr zu hemmen
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und zu mässigen suchen mußten. Das waren <ul>gesammlete Gesichter</ul>, bey uns sind es <ul>angestrengte.</ul>
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Derselbe Unterscheid, der zwischen einem <ul>berittenen</ul> wilden Hengst und einem mit <ul>Sporn und
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Kourierpeitsche in Galopp</ul> gebrachten Karrengaul ist.</letterText>
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</document>
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</opus>
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@@ -671,6 +671,22 @@
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<isDraft value="false" />
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</letterDesc>
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<letterDesc letter="45">
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<date value="Straßburg, Ende April 1775" />
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<sort value="1775-04-30" />
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<location ref="7" />
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<senders>
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@@ -279,6 +279,13 @@
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</letterTradition>
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<letterTradition letter="45">
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<app ref="4">
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Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 2
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</traditions>
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</opus>
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