Einpflegung von Brief 67.

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GregorMichalski
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<line tab="1"/>Oder laß Dir den Korrektor erst offenherzig schreiben, ob er das Ganze gelesen und jedes Wort drin
verstanden. Was er nicht verstanden schreibt mir nur, zugleich Akt und Szene und wie er es
verstanden.</letterText>
<letterText letter="66"><line tab="1"/>Hast Du Masuren gelesen, Lavater! die elendeste Satyre die je auf Goethen, Dich, Klopstock und
andere ist geschmiedet worden? Hast Du die Zeitungen gelesen in denen Herder auf die
niederträchtigste Art gemißhandelt wird? Fühlst Du ganz welch eine Wirkung der über Frömmigkeit
hohnlachende Verfasser des Notbankers aufs Publikum haben muß. Ernst ist kein Waffen dagegen, je
ernsthafter man sich gebehrdet, desto lauter lachen sie. Es muß wieder gelacht werden, und
lauter als sie oder Ihr müßt beschämt vom Schauplatz wo euch niemand hören mag. Euch niemand
hören und wen denn? Wehe über mein Vaterland, wenn die Wolken nicht gedruckt werden.
Laß Dich durch nichts irre machen Frommer! was drin vorkommt; kühne Striche sind nothwendig
oder das ganze Bild wird ein Schild am Wirthshause. Und sind wir nicht frey? Und soll
Gewissenhaftigkeit uns binden, gerecht zu seyn? Gewissenhaftigkeit uns zu Sklaven machen?
Daß doch das nicht der Fall bey den meisten Christen wäre. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es bleibt also und wird ewig meine grosse Bitte an Dich bleiben, die Wolken drucken zu lassen. Alle
Folgen nehme ich auf mich. Und aufs geschwindeste und ohne Entgeld, mag sich Steiner Vortheile
davon machen, wie er <page index="2"/> am besten kann. Wenn es nur balde in Deutschland herumkommt.
Noch diese Messe und nothwendig diese Messe, schick mir ein Giftpulver lieber als daß Du mir diese
Bitte abschlägst. Werd ich gewürdigt für dies Stück zu leiden, wer ist glücklicher als ich? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und gerad itzt muß es ins Publikum, oder alle Gemählde verlieren ihre Anzüglichkeit Stärke und
Wahrheit. Du darfst Dich nicht damit bemengen. Verbiete dem Buchhändler zu sagen, daß Dus ihm
gegeben hast, nenn ihm meinen Namen, weiß ihm diesen Brief. Bitte Passavant daß er die Korrektur
übernimmt, er muß aber eydlich versichern es niemand zu weisen, auch Kaysern nicht, ders nicht
zurechtlegen kann. Wenns gedrukt ist, dann theilts alle den guten Seelen aus <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Auch Goethen sag nichts davon, diesmal laß uns was alleine thun. Desto mehr Freude hat er dran
wenn er überrascht wird. Ich hab ihm geschrieben ich arbeitete aber nicht was?</sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote page="2" annotation="am unteren Rand">
<align pos="center"><gr>παντα δε δυναμενα δια την πισιν.</gr></align></sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es ist Gegengift Lavater! das mir lang auf dem Herzen gelegen und wo ich nur auf Gelegenheit gepaßt
es anzubringen Diese Gelegenheit <page index="3"/> ist meine Persönliche Schriftsteller-Rache aber (es
bleibt bey uns): <ul>diese Gelegenheit hab ich selbst gemacht.</ul> Geradzu läßt das Publikum seiner
Sinnesart, seinem Geschmack nicht gern wiedersprechen, man muß einen Vorwand, eine Leidenschaft
brauchen, sonst nimmt es nimmer Antheil. Und meine Kunst, meine Religion, mein Herz und meine
Freunde alles fodert mich jetzt dazu auf jetzt ausgelassen, auf ewig ausgelassen. Wer
ersetzt mir den Schaden? Wer ersetzt ihn euch. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>So genug, Du der Du Landvögte in ihrem Frevel antastetest, für Dich. Es muß einmahl ein Ende haben
oder wir arbeiten alle vergeblich und die Thoren ruffen laut, es ist kein Gott. Ich kenne die Lässigkeit
des Publikums und daß wer am lautesten ruft immer recht bey ihm behält. Und sollten wir uns
scheuen zu ruffen? Wir uns irre machen lassen Lavater, wenn sie nicht gedruckt werden, so hab ich
kein Theil an Dir. In eine Wüsteney will ich gehn zweiffelhaft über wen ich seufzen soll. <line type="empty"/>
Gute Nacht! Wie süß werde ich träumen! wie leicht morgen an meinen Frohndienst gehn
<align pos="center">Donnerstags. 1775</align>
<align pos="right">J M. R. Lenz.</align> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn
Herrn Johann Caspar
<ul>Lavater,</ul> Pfarrer
am Waysenhause
in
<ul>Zürich.</ul></letterText>
<letterText letter="67">Mein allerliebster Jacob
<line tab="1"/>Wie vergeblig habe ich nun so viele Jahre auff Deine zu Hause Kunft gewartet, wie oft habe ich nicht
umsonst aus dem Fenster gesehn, wenn nur ein Fragtwagen ankam, ob ich Dich nicht erblickte, allein
vergebens. Wie manche Tränen und <del><nr> </nr></del> Seufzer, habe ich nicht zu Gott geschickt, das er Dich führen
und leiten mögte.
<line tab="1"/>Ach wenn ich Dich auch noch ein mahl sehen könte, vor meinem Ende, und Dich segnen, ehedenn ich
sterbe, so wollte ich zufrieden sein. Wie lange wiltu so herum irren, und Dich in solche nichtswürdige,
Dinge vertiffen, ach nimm es doch zu Herten was Dein Vater Dir schreibt, es ist ja die Wahrheit, nimm
es nur zu Hertzen, und dencke nach, was wil aus Dir werden? ich billige alles was Papa geschrieben
hat. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Melde mir auch, ob Dujetzo gantz gesund bist mit Deinen Halse und Zähnen, ich bin Deinentwegen
sehr besorgt gewesen.
<line tab="1"/>Pastor <aq>Oldecob</aq> und seine Frau laßen Dich hertzlig, grüßen, sie wohnen jetzt im Garten Hauß weil sie
˕ganz˕ abgebrannt sind und alles verlohren haben die Häuser auff dem Margt sind alle abgebrannt,
wie auch das Rathaus, und Löwensterns Haus, die Russische Buden und straffhalter, nebst der großen
Brücke sind alle abgebrant. es ist alles wüste Die Frau Oberst Albedill ist noch in Curland, sie
hat ihre älste Freilen Tochter, als Hoff Freilein bei der Alten Herzogin, hingebracht, wir warten
sie täglig zurück. Ubrigens Grüße und Küsse ich Dich Zährtlig mein liebes Kind. Gott segne Dich und
leite Dich auff seinen wegen. Verbleibe
<align pos="right">Deine Zärtliche Mutter
<it>Dorothea Lenz</it></align></letterText>
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<date value="Tartu, September 1775" />
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Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 32, Nr. 32
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