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@@ -1134,60 +1134,43 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<letterText letter="56"><note>Katalogstext</note>
<line tab="1"/>Lenz empfiehlt Lindau die Nachbarschaft Lavaters auszunutzen, er erwähnt Goethe u. Schlosser, Goethes Schwager, die grüßen lassen, u. spricht von einer weiten Reise, die er vielleicht Ende des Winters vornehmen wird.
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<line type="break" /><note>Nachschrift Lavaters</note><hand ref="10">
<line tab="1"/>Zwei Dinge sind unter der Sonne, die du zu meiden hast allzustille Einsamkeit u. allzulautes Geräusch dass du in jener nicht dich selbst, in anderer nicht andre versehrest. d. 29. Jul. 75.</hand>
<line type="break" /><note>Nachschrift Lavaters</note>
<line tab="1"/>Zwei Dinge sind unter der Sonne, die du zu meiden hast allzustille Einsamkeit u. allzulautes Geräusch dass du in jener nicht dich selbst, in anderer nicht andre versehrest. d. 29. Jul. 75.
</letterText>
<letterText letter="57">
<line tab="1"/> Ich sage immer: die größte Unvollkommenheit auf unsrer Welt ist, daß Liebe und Liebe sich so oft verfehlt, und nach unsrer physischen, moralischen und politischen Einrichtung, sich fast immer verfehlen muß. Dahin sollten alle vereinigte Kräfte streben, die Hindernisse wegzuriegeln; aber leider ists unmöglich. Wer nur eines jeden Menschen Gesichtspunkt finden könnte; seinen moralischen Thermometer; sein Eigenes; sein Nachgemachtes; sein Herz. Wer den Augenblick haschen könnte, wo sich seine Seele mit der andern zu vereinigen strebt. Wer seine ganze Relation von seinem Character absondern, und unterscheiden könnte, was er zu seyn gezwungen ist, und was er ist. Stille, Stille gehört dazu; stille, heitre, ruhige, göttlichertragende Beobachtung. Rosalia! In jeder Gesellschaft zieht nichts mein Aug auf sich, als Sie, wenn Sie einem andern zuhören, und etwas aus ihm heraus zu schweigen suchen. Fahren Sie so fort, meine liebe Gnädige; es wird Ihnen immer wohler dabei werden. Aufzumuntern ist eine göttliche Eigenschaft, und was muntert mehr auf, als Aufmerksamkeit hochachtungswürdiger Personen.
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<line tab="1"/>Ihre deutsche Diction bewundre ich. Personen aus Ihrer Sphäre, (das will noch ganz etwas anders sagen, als: von Ihrem Stand) sollten doch unsrer treuen Muttersprache die Hand bieten. Wär es auch nur, um einen gewissen Ton in unsre Gesellschaft zu bringen, wo deutsch-französisch Geplauder mit rätselhaften Kränzchen-Witz abwechseln, und so mancher ehrliche Fremde auf der Folter liegt, welches einen am Ende ganz und gar mistrauisch in seinen eigenen Verstand machen kann. Ich häre eine Deutsche mit Vergnügen fremde Sprachen wie ihre eigene reden und schreiben; aber Schriftstellerin darin zu werden, ist doch zu viel Herablassung.
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<line tab="1"/>Werden Sie nicht glauben, ich höre mich gern, daß ich so viel rede? Ach freilich, so ist es! Mit gewissen Personen fühlt man sich so offen, besonders wenn es selten kömmt. Wenigstens lernen Sie nun auch mich ertragen, der freilich es selbst wohl fühlt, wie sehr er nicht mit Wieland allein, (denn das würde mir Ehre machen,) sondern mit hundert Tausend bessern Personen absticht. Bei allen dem bin ich mir keiner Absichten bewußt, und das erhält mich.
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<line tab="1"/>Ihr Ausdruck: neuer Freund, soll mich lange, lange durch heiße Sandwüsten begleiten und erfrischen, denn ich sehe deren vor mir. Ich will niemals fodern; aber ich bitte Sie, ach! gnädige Frau, sagen Sie mir Ihre ganze Meinung; aber ich werde mich niemals ändern. Modifiziren kann sich der nur, der nicht von Jugend auf, wie ich, mit dem Kopf gegen die Wand gerennt ist. Aber sagen Sie mir alles; ich beschwöre Sie. Ewig
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<line type="break"/>Ihr Freund und Verehrer,
<line type="break"/><align pos="right">Ihr Freund und Verehrer,
<line type="empty" />
<line type="break" />M. R. <ul>Lenz.</ul>
<line type="break" />M. R. <ul>Lenz.</ul></align>
</letterText>
<letterText letter="58">Den 22. Jul. 75
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<line tab="1"/>Nun hast Du Zimmermann, und ich die Grafen von Stollberg genoßen. Zimmermann ich die andere Woche. Dank für Deine Freude. Ich leb itzt im Taumel. Nachher die Ruhe herrlich. Ich sammle itzt Kraft. Mehr physiognomische Bemerkungen! Lieber! Sie sind trefflich, die Du mir sandtest. auch 1 <it>schweizerliedchen!</it>
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<line type="break" />Itzt mach ich ein Drama <it>Abraham</it> zurecht
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<line type="break" />adieu
<line type="break"/>Lavater.
<line type="break"/><align pos="right">Lavater.</align>
</letterText>
<letterText letter="59">
<line tab="1"/>Hier, Hierophant! in Deinen heiligen Händen das Stück, das mein halbes Dasein mitnimmt. Es ist wahr und wird bleiben, mögen auch Jahrhunderte über meinen armen Schädel verachtungsvoll fortschreiten. Amen.
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<line type="break" />Den 23. Julius 1775.
<line type="break" /><align pos="right">Den 23. Julius 1775.</align>
</letterText>
<letterText letter="60">
<line tab="1"/><aq>Respectable pauvreté! Japprendrai par mon experience a ne jamais blesser vos caurs par des idees et des termes insultants.</aq>
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<line tab="1"/>Da wollt ich Sie haben, gnädige Frau! Hier leg ich Ihr Buch zu, und umarme Sie im Geist. Sehen Sie da den ganzen Plan meines Lebens, meines Daseyns, meines Comödienschreibens, vielleicht einst meines Todes.
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<line tab="1"/>Ach, fürtrefliche Frau! So ist denn dieser Nerve des Gefühls bei Ihnen auch angeschlagen. Könnten aber Personen von Ihrem Stande, Ihren Einsichten, Ihrem Herzen, sich jemals ganz in den Gesichtskreis dieser Armen herabniedrigen, anschauend wie Gott erkennen, was ihnen Kummer, was ihnen Freude scheint, und folglich <ul>ist,</ul> und ihren Kummer, der oft mit einer Handwendung eines erleuchteten Wesens, wie der Stein von dem Grabe Christi weggewälzt werden könnte, auf die ihnen eigenthümliche Art behandeln. Ach! das große Geheimniß, sich in viele Gesichtspunkte zu stellen, und jeden Menschen mit seinen eigenen Augen ansehen zu können! Sie wären die erste Frau von Stande, die das gefühlt hätte. Ich bitte Sie, lassen Sie mich Sie umarmen.
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<line tab="1"/>Sie sollen einmal ein Stück von mir lesen: <ul>Die Soldaten.</ul> Überhaupt wird meine Bemühung dahin gehen, die Stände darzustellen, wie sie sind; nicht, wie sie Personen aus einer höheren Sphäre sich vorstellen, und den mitleidigen, gefühlvollen, wohlthätigen Gottesherzen unter diesen, neue Aussichten und Laufbahnen für ihre Göttlichkeit zu eröffnen. Dazu gehört aber Zeit, und viel Experimente. <ul>Menoza</ul> ist ein übereiltes Stück, an dem nichts als die Idee schätzbar ist. Das hier beygelegte ist gleichfalls nur ein Gemählde aus meinem Leben heraus gehoben. Sie könnten mir keinen höhern Beweiß Ihrer Freundschaft geben, als wenn Sie mir Ihr strengstes Urtheil darüber zuschickten.
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<line tab="1"/>Sie haben recht; Ihre Anmerkung über meine Stücke habe ich mir zuweilen selbst gemacht, und in meinen künftigen sollen auch keine solche Schandthaten mehr vorkommen. Doch bitte ich Sie sehr, zu bedenken, gnädige Frau! daß mein Publikum das ganze Volck ist; daß ich den Pöbel so wenig ausschließen kann, als Personen von Geschmack und Erziehung, und daß der gemeine Mann mit der Häßlichkeit feiner Regungen des Lasters, nicht so bekannt ist, sondern ihm anschaulich gemacht werden muß, wo sie hinausführen. Auch sind dergleichen Sachen wirklich in der Natur; leider können sie nur in der Vorstellung nicht gefallen, und sollens auch nicht. Ich will aber nichts, als dem Verderbnis der Sitten entgegen arbeiten, das von den glänzenden zu den niedrigen Ständen hinab schleicht, und wogegen diese die Hülfsmittel nicht haben können, als jene.
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<line tab="1"/>Sie sehen, warum ich Wieland als Menschen lieben, als komischen Dichter bewundern kann, aber als Philosophen hasse, und ewig hassen muß. Er glaubt, den Menschen einen Dienst zu erweisen, wenn er ihnen begreiflich macht, ihre Kräfte seyn keiner Erhöhung fähig. Und wer läßt sich das nicht gern einbilden, und beharrt gern auf dem Sinnlichen, zu dem er die meiste Gravitation fühlt. Daß W. Sie lieben, und doch so philosophiren konnte, bleibt mir, wie viele andre Dinge in seinem Character, noch immer ein unauflösliches Räthsel, wenn ich nicht den Aufschluß in dem großen Motiv aller im Schwang gehenden Autoren fände, daß er seine Rechnung dabei findet. Ich verdamme ihn deswegen nicht, ich zittre nur vor der Gefahr, einst in dieselbe Schlinge zu fallen.
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<line tab="1"/>Er liebte Sie in seinem siebenzehnten Jahre; O Wieland! daß du diese Eindrücke heilig gehalten hättest, daß sie sich nie aus deinem Herzen und Imagination verwischt hätten. Freundschaft ist nicht genug; er hätte Sie sein ganzes Leben durch lieben sollen, und er hätte die Tugend geliebt. Sie hätten allen seinen Gemälden die hohe himmlische Grazie gegeben, die man izt an so vielen vermißt. Sagen Sie mir, welche Bewandniß hat es mit seinem Agathon, und spielen Sie auch eine Rolle darin? Durch welche wunderbare Mechanik in dem Kopfe des Dichters, ward Psyche so in den Schatten gestellt? Und ist Danae dieselbe, der die Grazien gewidmet wurden? Er malt sie so vorteilhaft als möglich, und doch schlägt jedes Herz für Psychen, so gern auch die Phantasey bey der Hauptfigur verweilet. Wie war seine erste Liebe, und wo lernte er Sie kennen?
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<line tab="1"/>Verzeihen Sie meine Effronterie. Doch mein Herz straft mich, so bald ich mich darüber entschuldige. Das aber verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen durch manche Ausdrücke meines letzten Briefes Ihr Publicum wider meinen Willen verleumdet habe. Wölkchen hangen immer noch vor Ihnen, (wie es denn auch so seyn muß, von Moses Zeiten an, dessen Angesicht das Volck nicht ertragen konnte); aber ganz verkannt sind Sie doch auch nicht, besonders von denen, die Sie gesehen und gehört haben, wie denn das sich auch leicht begreifen läßt. Überhaupt red ich auch nur einseitig, und der Zirkel meiner Bekanntschaften ist immer eingeschränkt gewesen.
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<line tab="1"/>Ihre Erzehlung: die Gouvernante, ist ganz vortreflich, und gerad das Seltsame des Einfalls veranlaßt die rührendsten Situationen. Ich liebe alle seltsame Einfalle; sie sind das Zeichen nicht gemeiner Herzen. Wer in dem gebahnten Wege forttrabt, mit dem halte ichs keine Viertelstunde aus. Nur, meine liebe gnädige Frau, wie kommen doch alle Ihre Heldinnen dazu, die heilige Sternheim ausgenommen, sich immer nur auf Hörensagen zu verlieben. Es freut mich; aber sollte das wirklich ein Zug in dem Character aller empfindsamen Damen seyn? Ich kann mirs freilich wohl denken: Ihre Phantasey erschafft sich den Gegenstand sogleich in der glücklichsten, gefalligsten Gestalt. Aber sollte das allemal der beste Weg seyn, und könnte er nicht manchmal sehr fehl führen? Wie wärs, wenn Sie einmal ein Exempel von der Gegengattung dichteten, liebenswürdige Schwärmerin! (O Gott! ich kenne keine höhere Klasse erschaffener Wesen!) auf allen Fall auch zu warnen, wenigstens vorsichtig zu machen. Denken Sie, wenn ein Geschöpf wie Ihre Gouvernante, in die Klauen eines gewöhnlichen Officiers gefallen wäre doch weg mit diesem Gedanken! Er zieht mich von der Sonne ins Meer hinab.
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<letterText letter="61">

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<letterTradition letter="53">
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Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 56/I,6,1, Bl. 5r6r, zg. Abschrift
Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 56/I,6,1, Bl. 5r6r, zg. Abschrift.
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Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 56/I,6,1, Bl. 8v9r, zg. Abschrift
Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 56/I,6,1, Bl. 8v9r, zg. Abschrift.
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Jahresberichte der Felliner literarischen Gesellschaft 1885/87, S. 90
Jahresberichte der Felliner literarischen Gesellschaft 1885/87, S. 90.
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Lenz, Jean Paul, Claudius, Lavater, Jacobi und andern bedeutenden Zeitgenossen. Band 1,
Goethe,
Schiller, Klopstock, Lenz, Jean Paul, Claudius, hrsg. von Heinrich Düntzer. Frankfurt am
Main 1856, S. 225
Main 1856, S. 225.
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Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 56/I,6,1, Bl. 7r8v, zg. Abschrift
Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 56/I,6,1, Bl. 7r8v, zg. Abschrift. Wahrscheinlich legt Lenz „Die Freunde machen den Philosophen“ bei.
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Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 3
Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 3.
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Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 9
Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 9.
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Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 56/I,6,1, Bl. 3v5r, zg. Abschrift
Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 56/I,6,1, Bl. 3v5r, zg. Abschrift.
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Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 44/69, Bl. 12
Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 44/69, Bl. 12.
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