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@@ -629,7 +629,7 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<line tab="1"/>Die Opfer waren kein Vorbild auf Christum aber Christus war ein Gegenbild der Opfer. Die Opfer waren Gesetzgebung für die Juden, Schwung ihre Gesetzgebung in Gang zu bringen. Christus hob die Opfer auf um durch diese Wohlthat uns die Gottheit lieb zu machen.
<line tab="1"/>Das Leiden Christi ist ganz und gar symbolisch. Die Juden litten für ihre Sünden am Vermögen, wir an Leib und Seele und Christus leidet mit uns.
<line tab="1"/>Tauffe und Abendmahl haben gar keinen Zweck, wenn sie nicht täglich wiederholet werden. Die Worte: „Das ist mein Leib“ sind unter allen Worten Christi ganz allen buchstäblich zu verstehen. Bey jedem Bissen den ich in Mund stecke, jedem Tropfen den ich trinke, wünscht ich so zu denken meinen Genuß zu vergöttlichen.
<line tab="1"/> <aq>1 Joh. III. 9.</aq> pekriqhsan proV auton sperma Abraam esmen ist das gründlichste was jemals von Psychologie ist gesagt worden.</hand>
<line tab="1"/> <aq>1 Joh. III. 9.</aq> <gr>οτι σπερμα αυτου εν αυτω μενει</gr> ist das gründlichste was jemals von Psychologie ist gesagt worden.</hand>
<line tab="1"/>In Röderers Brief hin wie, was von Dank? Ich Dir ja ich Dir tausend Dank für tausend tröstliche Gedanken, die Du mir in meiner Einsamkeit nachgelassen alle auf die Zukunft verfolge Deinen Weg am Ziel hängt der Kranz, am Ziel und wenn Du fortstürmst, wird Dich niemand überholen.
<line tab="1"/>Hier gehst Du durch gute u. böse Gerüchte, wie es allen Warheitsausbreitern, wo Licht hinfällt tritt die rückweichende Nacht desto dichter zusammen. Die Kopfhänger ärgern sich daß Du grade gehst, weissagen Dir Hochmuth und Fall falsche Propheten. Der bessere Theil Menschen bewundert Dich, liebt Dich viel fragen nach Dir, die Dich nie gekannt heut ist ein Franzos bey mir gewesen sich Deine Schrift wider den Landvogt Grewel auszubitten. Die Geistlichen sind zwar noch über Dich geteilt doch hast Du bei den meisten durch Deine Gegenwart Dich unaussprechlich legitimirt
<line tab="1"/>Lies Röderers Gedanken und schreib ihm zurück drüber Meine Hausleute wollten ihren Augen nicht trauen daß Du sie grüßtest und danken mit Tränen u. Enthusiasmus. Mit Tränen haben manche Deine Klage wider den Landvogt schon angehört und Dich geseegnet.
@@ -638,7 +638,7 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<sidenote pos="top" page="1" annotation="am oberen Rand, horizontal gespiegelt"> Willstu mir eine süsse Stunde machen so schick Kleisten einen Gruß. - Aber bring bring Göthen von mir was? Dich. Ich möcht ihm meine Seele schicken denn ich habe Hofnungen zu ihm, die wie die Sonne vor Tage nur noch den Antipoden sichtbar. Ach ich leide aber Bruder Eure Hofnung schimmern mir in meiner Nacht, daß ich den zögernden Tag nicht anklage.</sidenote>
</letterText>
<letterText letter="37"><hand ref="10"> […] Herrliches Briefchen von Lenze an Goethe etc.
<letterText letter="37">[…] Herrliches Briefchen von Lenze an Goethe etc.
<line type="empty"/>
<line tab="5"/>Giebst mir ein, ich soll dich bitten.
<line tab="5"/>Wie der König <aq>Salomo</aq>.
@@ -660,40 +660,26 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<line tab="5"/>Die ihn nicht verstehn, und gerne
<line tab="5"/>Ihn zu ihrem Bilde machen.
<line tab="5"/>Oder kanns nicht seyn, so mache
<line tab="5"/>Mich nur nicht zu seinem Freunde!</hand>
<line tab="5"/>Mich nur nicht zu seinem Freunde!
</letterText>
<letterText letter="38">Zürich, Mittw. den 31. Augstm. 1774.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe Deinen Brief vom 12. Aug. den ich so gern weitläufig beantwortete; meine Umstände wollens nicht und ich muß mit Ernst nach einer laconischen Kürze ringen, sonst muß ich mir manche dergleichen Freuden, wie z. B. Briefe an Dich, versagen.
<line type="empty"/>
<letterText letter="38"><align pos="right">Zürich, Mittw. den 31. Augstm. 1774.</align>
<line tab="1"/>An Deinen Brief vom 12. Aug. den ich so gern weitläufig beantwortete; meine Umstände wollens nicht und ich muß mit Ernst nach einer laconischen Kürze ringen, sonst muß ich mir manche dergleichen Freuden, wie z. B. Briefe an Dich, versagen.
<line tab="1"/>Von meinen Vorlesungen nichts mehr; sie sind gewiß nüzlich: aber ich sollte mehr wißen, vor mich und das Publikum, denn <aq>mundus vult decipi</aq>. O hätt ich Gelehrsamkeit genug, um mit mehr Ansehen zu zeigen, daß man ohne Gelehrsamkeit Philosoph Christ Kenner des Geistes der Götti. Offenbarungen glückselig seyn kann.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Raisonnir mir, mein Liebster, über den Menschen so viel Du willst; nur vergiß künftig nie: daß, wenn der Mensch, das Menschengeschlecht allenfalls in einem Zustande des Verfalls, der Krankheit ist, und aus diesem Gesichtspunkte angesehen wer· den muß, daß dieß alsdann in manches Urtheil vom Menschen gewaltigen Einfluß hat. So, wenn der Mensch <aq>krank</aq> ist, so darf man ihm Diätregeln vorschreiben, über die er sich nicht als eine grausame Einschränkung seiner Freyheit zu beschweren hat. Nimm, Lieber! den Begriff der menschlichen Freyheit aus dem Reich der Idealen herunter ins Reich unserer schlecht und rechten Wirklichkeiten! so wirst finden: Ohne Befehle und Verbote kannst kein Kind auferziehen; also Einschränkung der Freyheit. Es werde nur Liebe und Zutrauen zum Vater zum Grundtrieb gemacht. Wär nun Analogie zwischen Vater und Kind, und Gott und Menschen (und ich glaube es ist größer als man denkt) so muß <aq>geboten</aq> und <aq>verboten</aq> sein; nur liege auch da Liebe und Zutrauen zum Grund, sonst ists Sclaverey (und doch auch so wäre nur noch die wenigste, erträglichste und unumgänglichste Sclaverey wovon die Schuld nur <aq>einseitig</aq> ist).
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aber freylich hat Gott nicht so eingeschränkt, als der Eremit und die Nonne es wähnen; darüber, Liebster, sind wir ganz einig.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Weinen mögt ich mit Dir, wie die Mönchstugend tausend gute Samen in der Menschennatur erstickt. Ich irrte ehedem hierin auch sehr. Gott zog zurück. „Christus hat nichts ausrotten wollen, was Kraft und Anlage im Menschen ist!“ Goldene bestäubte verkannte Wahrheit! Aber, Liebster! wie manches Scrüpelchen, das Dir vielleicht doch mehr als recht ist, im Wege steht, müßt wegfallen, wenn wir uns nur einige Zeit sähen. Von d. Apocalypse izt nichts. Aber „draußen sind die Hunde <aq>etc.</aq>“ das ärgert dich? Gibts einst eine Sammlung der Guten die sich einen Himmel machen, willst Du denn die Hunde wider drinnen haben, und die Ehebrecher? u. die Bösewichter? In den Spital mit ihnen, und sie curirt mit scharfen Mitteln, wenns so seyn muß. pppp.
<line type="empty" />
<line type="break" />Donnerstag morgen um 7 Uhr. So eben empfang ich Deinen Brief an mich und <aq>Paß</aq>. und <aq>Clavigo</aq>.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Bin ich nicht ein gerechter Mensch, daß ich Clavigo liegen lasse und erst gehe den Brief an Dich zu vollenden?
<line tab="1"/>Noch eins auf den vorletzten. Man hats in unseren Tagen besonders sehr schwierig machen, wie Jesus und daß er nicht buchstäblich zu verstehen sey pp. und ist die Sache so simpel! so schlecht und recht, so buchstäblich wie möglich, nur ohne Eulenspiegel-Chicane, alles in der Bahn des gemeinen <aq>bon sens</aq> wie Kinder einen Vater verstehen. (Ausgenommen was seiner Natur nach räthselhaft seyn mußte, prophetisches und was er genirt war herauszusagen.)
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Z.B., wenn ich Dir sagte, ich hab <aq>Deinen Hofmeister</aq> neulich gelesen ich rathe Dir, schreib nichts mehr!“ (was ich aber weder in der gegenwärtigen, noch zukünftigen Welt nie zu Dir sagen werde). Nun sieh, wie simpel buchstäblich das zu verstehen wär. Wie gefiel uns nun folgendes Raisonnement (der neumodischen Theologen) darüber: „das könne unmöglich im eigentlichsten Wortverstande genommen werden, daß Du keine Feder mehr anrühren, keinen Brief u.s.w. <aq>schreiben dörfest u.s.w.</aq> also, weils nicht buchstäblich zu verstehen sey, so werde es sagen wollen, Du sollest eben keine Folianten mehr in Druck geben, bisweilen ein Drama habe just nichts zu sagen, es sey ja nicht buchstäblich zu verstehen das nichts“ <aq>etc.</aq>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Z.B., wenn ich Dir sagte, ich hab <it>Deinen Hofmeister</it> neulich gelesen ich rathe Dir, schreib nichts mehr!“ (was ich aber weder in der gegenwärtigen, noch zukünftigen Welt nie zu Dir sagen werde). Nun sieh, wie simpel buchstäblich das zu verstehen wär. Wie gefiel uns nun folgendes Raisonnement (der neumodischen Theologen) darüber: „das könne unmöglich im eigentlichsten Wortverstande genommen werden, daß Du keine Feder mehr anrühren, keinen Brief u.s.w. <aq>schreiben dörfest u.s.w.</aq> also, weils nicht buchstäblich zu verstehen sey, so werde es sagen wollen, Du sollest eben keine Folianten mehr in Druck geben, bisweilen ein Drama habe just nichts zu sagen, es sey ja nicht buchstäblich zu verstehen das nichts“ <aq>etc.</aq>
<line tab="1"/>Lav. ist höchst vergnügt von seiner Reise zurückgekommen, hatte herrliche Seelen angetroffen Engelseelen in weiblicher und männlicher Gestalt die Dich, Bruder, mit der Welt aussöhnen würden. pp. Aber des Wiedersehens Wonne, o mein Lenz! hättst Du auch einen Lavater, von dem Du Dich 10 Wochen trennen könntest, und ihn wiedersehen! Sonst hast Du Lavatern, so sehr Du ihn haben kannst. Er spricht mit Enthuasiasmus von Lenzen. Und wir werden uns alle noch recht nahe kommen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Studierst Theologie? predigest? bist ordinirt? <aq>etc.</aq> Sag mir was hievon. Schick mir auch Deine und Röderers <aq>Silhouettes</aq>. Grüß mir ihn brüderlichst. <aq>Paß</aq>. wird selbst schreiben.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie verstehst das „Was Gott an Goethe getan –“? Doch versteh ichs vielleicht, wenn ich <aq>Clavigo</aq> gelesen habe.
<line type="empty" />
<line type="break" />Verzeih mein Sudeln. Mein Kopf und Herz und Hand sudeln bisweilen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Siehst meine offenen Arme? Komm ich drücke Deine Brust an meine, und küsse Dich! Kannst beten, so bitt auch für mich.
<line type="empty" />
<line type="break" />Conr. Pfenninger.
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="right"><aq>Conr. Pfenninger.</aq></align>
<line type="break" />Deine Schriften erwart ich mit Verlangen. Es ist kein Zürcher so verliebt darein, wie ich.
<line type="empty" />
<line type="break" /><address>Herrn <aq>Lenz</aq> durch Herrn <aq>Candid. Röderer</aq>, neben der Neu Kirch in Straßburg.</address>