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Einpflegung von Brief 336.
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<align pos="right">St. Petersburg d. Ap.</align></letterText>
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<letterText letter="336">
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<align pos="center"><hand ref="10">v. Lenz aus Riga.</hand> <line type="empty"/>
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Werthester Herr und Freund!</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich ergreiffe die in meinem letzten Briefe an Sie erwähnte Gelegenheit, Ihnen einige Silhouetten aus
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meinem Vaterlande und aus Petersburg zuzuschicken muß aber, um die aufrichtige Sprache des
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Freundes zu reden, der nicht schmeichelt, Sie um Ihrer eigenen Grundsätze willen bitten, mir zu erlauben,
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daß ich bey dem Egyptischen Gedräng Ihrer Verleger, welches bey ehernen Nerven auch auf Urtheile und
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Ideen Einfluß haben muß, zu diesen Bildern, ohne zu sagen für welches sie gehören, welches ich Ihrem
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Kennerblick überlasse, einige karakteristische Züge hinzufügen kann, die den Perpendikul Ihrer einmal
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<ul>geschwungenen Empfindung,</ul> der bey allen Nerven wie Liebhaber u. Kennernerven sind auf eine oder andere
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Seite überschlägt, womöglich ein klein wenig zu hemmen und in waagrechten Stand zu setzen. <insertion pos="top">suchen sollen.</insertion>
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Dies mein werther Freund! hat Ihrer <page index="2"/> Physiognomik schon manchen unangenehmen Stoß gegeben und Sie –
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erlauben Sie mir die Freyheit, <insertion pos="top">Sie</insertion> bey Urtheilen über entfernte Personen <ul>ungerecht</ul> gemacht. Wie? Sie geben
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Ihre Wissenschaft selbst für das Resultat der aus Menschengesichtern mit ihrem Karakter zusammengehaltenen
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Erfahrungen? Und nun wollen Sie es umkehren und aus einigen wenigen <aq>datis</aq> in <ul>Ihrem</ul> Vaterlande das ganze
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Erdenrund, so sehr verschieden an Klima, Regierungsform Denkart ein Land auch von dem Ihrigen seyn kann –
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und seine Individuen dem <ul>Karakter</ul> nach beurtheilen. Erlauben Sie mir, Sie nochmals zu bitten, Ihren Verlegern
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flehentlich die güldenste der Bullen entgegen zu rufgen – – Richtet nicht, damit ihr nicht wieder – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Sie wissen welche tieffe Hochachtung ich als Mensch, Kunstkenner und ich möchte sagen als Christ selbst für die
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Physiognomik habe, wiewohl ich sehr sehr wünschte, daß Sie mehr an dem was Sie auf dem Tittel versprechen als
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an den Geheimnissen der zukünftigen Welt hielten, zu der ja die itzige immer nur der <ul>Vorhang</ul> bleibt. Wer wollte
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denn nach dem <ul>Vorhang</ul> das Innere zu beurtheilen, darüber <dul>ab</dul>zusprechen <dul>kühn</dul> genug seyn? Diese Bitte thue ich nicht
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ohne Ursache, da ich mich gezwungen sehen würde, im Fall Sie darin keine Aenderung träffen, etwas über Ihr Urtheil
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im 18ten und 21 Fragment öffentlich zu sagen, da die Mißverständnisse die es angerichtet (daß ich den gelindestell
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Ausdruck brauche) durch die Unvorsichtigkeit Ihrer Herrn Verleger öffentlich geworden sind. Lieber Lavater! nie,
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nie, daß ich Ihnen <page index="3"/> die Wahrheit sage, hätt ich geglaubt, daß Ihre mir sonst bekannte Mässigung und Klugheit
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(in dem besten Verstande des Worts) vielleicht von jungen vielleicht auch von ältern <ul>radottirenden</ul> Freunden sich so
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aufs Eis würde führen lassen. Sie treten als Schriftsteller in einer neuen Wissenschaft auf – – und lassen sich auf
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einmal von Leuten die es nicht gut mit Ihnen meynen, eine Maske vorlegen, die so wenig zu Ihrem Gesichte paßt – Oder
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glaubten Sie Rußland – sey noch das Land das es vor fünfzig Jahren war und man könne über Gegenstände die dasselbe
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angehn, mit mehr Nachlässigkeit – – Nachsicht gegen unzuverlässige Berichte schreiben? Wie würden Sies aufnehmen, wenn
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ich ohne jemals dort gewesen zu seyn, eine Karakteristick der wichtigsten Schweitzer aus dem Munde einiger Landsleute
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machte, die sich ein Viertel Jahr dort aufgehalten – – eine Karakteristick, die nicht zu ihrem Vortheil gereichte? – <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Freilich muß man Sie persöhnlich kennen, um davon so gelind zu urtheilen als ich thue. – – Ich wünschte Ihrem Werk
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einige Brauchbarkeit für mein Vaterland mit <ul>zuhelfen</ul> zu können: ich gestehe aber, daß ich meine Schultern nach dem
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<aq>Exordio</aq> des 18ten und 21 Fragments fast zu schwach dazu fühle. Ueber Gesichter zu urtheilen deren Karackter man nicht
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kennt – – – lieber Lavater! die Nächsten um uns zu Führern anzunehmen, aus ihren Gesichtern über die entfernten –
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abzusprechen? Wie? und fühlen Sie – Sie es nicht an Ihrem Herzen, daß Sie so gegen die ersten parteyisch – gegen die
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andern ungerecht werden <ul>müssen.</ul> <line type="empty"/>
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Doch daß ich Ihnen jetzt nicht als Gelehrter, sondern als Freund spreche: Sie thun sich den meisten Schaden.<line type="break"/>
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<page index="4"/><line type="break"/>
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<line tab="1"/>Und so – um wieder einzuhelfen, will ichs wagen, Ihnen zur Probe einige Karaktere aus meinem Vaterlande vorzulegen,
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die Sie selbst aus den Bildern aufsuchen werden. Glauben Sie aber nicht, daß ich alles sage, oder das meiste sage,
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ich zeichne nur einige Äußerungen die ich wahrgenommen – – das übrige mögen Ihnen die Grundsätze Ihrer Wissenschaft
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an die Hand geben. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ein junger Mann mit erstaunender Biegsamkeit der Seele, höchst reitzbaren Nerven fürs Vergnügen – hellen durchdringenden
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Verstand gerade soweit zu sehen, als seine Thätigkeit und Betreibsamkeit ihm Sphäre macht. Doch auch Vermögen
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aufzuopfern – und den höherenGenuß der Weißheit und des Himmels zu fühlen – wo die Erde für sein Herz zu wenig beut.
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Voll der schönsten und der Natur am ähnlichsten Ideale: die er in Wirklichkeit zu verwandeln Kraft hat. Voll Gelehrigkeit
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gegen andere, ein guter Vater, ein noch besserer Ehmann kurz ein guter Mann – – nicht aus Schwäche! Nur – zu schmeichelhaft
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gegen Leute von deren Werth er auch nicht überzeugt ist – aus Güte. Fähig Wahrheiten frey ins Gesicht zu sagen und mit
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einem Nachdruck, daß die Personen die sie getroffen verstummt sind. Ohne doch sich an ihm rächen zu können, weil er sie
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ihnen auf eine Art gesagt, daß sie sich im Unrecht fühlen mußten. Ein Freund und Vertheidiger der Physiognomik, ohne
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Lavatern anders als aus einigen Predigten zu kennen. – Sein thätiger und sich mittheilender Geist, mehr zum Einwirken als
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Spekuliren aufgelegt, fürchtet ein wenig die anhaltende Einsamkeit – und doch hat er lange Zeit in derselben zubringen
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<page index="5"/> müssen, wo er sie sich durch Anlegung von Gärten und Lustplätzen in Wildnissen verschönert. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Eine Dame – von viel sehr abstechenden Schicksalen. Für die Schaubühne erzogen, ohne jemals auf derselben aufzutreten
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(dieses bitte ja nicht drucken zu lassen). Durch einen seltsamen Wechsel des Glücks in eine der besten Familien des
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Landes verheurathet. Den zärtlichsten den geliebtesten Gemahl verloren – und sich mit ihren Kindern, die alle ihre
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Denkart und Seele haben, ins Einsame gezogen, um der liebenswürdigsten Melancholie nachzuhängen. Voller Reitzbarkeit
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für die Freude, voll des feinsten Geschmacks – eines Gefühls, das jedes Härgen von Unordnung im Charakter drückt –
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darum der Welt entzogen, weil ihre Seele sich nie ganz mit gewissen Widersprüchen in Karaktern aussöhnen kann – Fähig
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der edelsten, der unabsichtlichsten Freundschaft, bloß aus Geschmack und Wahl – – – und Ueberzeugung von Werth – den
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sie gern bereit ist über den ihrigen zu setzen – Fromm – im treflichsten Verstande des Worts! – weil für sie hier
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unten wenig mehr zu wünschen ist – ich bin begierig ob Sie – das Bild zu diesem Karakter finden <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ein junger Mann, das Bild dauerhafter Anstrengung und Geistesstärke die sich bis ins Unmögliche verliert wenn sie weiß
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daß sie auf Grundsätzen ruhet. Zu beugen ist sie nicht diese Stärke, wohl aber biegend um ihre vorige Richtung anzunehmen.
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Von diesem kann man im strengsten Verstande des Worts sagen, immer derselbe und das in einem Jünglingsalter. In dem
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Gesicht sehen Sie alle Geheimnisse feinerer – und doch frommer Erziehung <page index="6"/> denn freilich hat diese zu der
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Unbestechlichkeit seines Geschmacks in so weit das meiste beigetragen, als seine nachmaligen Reisen nur Fortsetzung
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derselben waren. Er hat die halbe Welt gesehen und mit der Ruhe mit der er – – itzt krank – – nichts als Salomons
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Ausspruch vor sich sieht. Dabei für keinen Seelenreitz unempfindlich, am wenigsten für den der Ehre bey Edlen. Nicht
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geräuschvoll und weit bekannt – aber den besten und würdigsten bekannt zu sein wünscht er. Wird er wünschen, auch
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wenn seine Sphäre sich noch so sehr erweiterte, noch so sehr verengte, weil er gern aus Geschmack gut wäre. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich wäre begierig, ob Sie den Durchsetzer und Durchtreiber fremder aus Geschmack angenommener Plane bis in die
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Unmöglichkeit – oder mehr den Erfinder und Anleger eigener – – kurz, ob Sie mehr den Feldherrn – oder mehr den
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Staatsmann in diesem Gesichte fänden. Begierig sag ich wäre ich, <ul>Ihr Urtheil</ul> zu hören, was ein Geist der mit so
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merkwürdigen Idealen der Alten und Neuen Welt genährt ist (näher darf ich mich nicht bestimmen) auf der Bühne der
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Welt für eine Rolle mit Nutzen und Fortgang übernehmen wird. <line type="empty"/>
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Ein Freund der Physiognomik – ob selber Physiognomist zweifle ich. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ein besonderer Mann voll Tiefsinn und Frömmigkeit. Alle feurige Gefühle schockiren ihn, ob er sie gleich mit dem
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Kopf sehr wohl faßt. Liebt sonst das Melankolische, hat auch <page index="7"/> selbst einen Ansatz. Ist von Herzen fromm
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und wohlthätig. Ein <ul>Märtyrer</ul> an Duldsamkeit wenn er mit verschobnen Karaktern zu thun hat. Welches er an einer
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Frau bewies, die ihn itzt durch ihren Tod befreit hat und dem Trunk sehr ergeben war. Keine Ader Falschheit in dem
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Manne. Einer der ersten spekulativen Köpfe in <ul>Europa.</ul> Obwohl zu schüchtern und zu sehr lebender und thätiger Philosoph
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(denn er ist ein grosser Landwirth obschon er in der Stadt in einem geistlichen Amt steht und treibt seinen Garten
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wie Lavater die Physiognomik) seine Spekulationen von denen er große Hefte liegen hat, bekannt zu machen. Drucken läßt
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der – schwerlich. Könnt er sie aber ins Cabinet thun, daß sie gleich zum Ziel eilten, das wäre seine Sache. Dabei
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keinen Ehrgeiz – nicht den mindesten, als den das zu seyn was die in Griechenland mit Mantel und Bart waren. <ul>Keine</ul>
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Schönheit irgend <ul>eines</ul> Schriftstellers entgeht ihm – Goethe möchte der einzige seyn, der hiervon eine Ausnahme machte.
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Doch erkennt er ihn mit dem Verstande. Verzeihen Sie daß ich so ausführlich über diesen Mann bin ich kenn ihn von
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Kindesbeinen an. Seine Seele hat viel Aehnliches mit Güldenstedt. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Seine Frau ist auch hier, ein Gesicht, in dem gewiß ihre ganze Seele ist. Seine <ul>zweyte Frau</ul> nämlich. Da solln Sie
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rathen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Die drey Töchter der benannten Dame. Jede die Mutter auf eine andere Art. Ganz durch ihr Beyspiel und Gesinnungen gebildet.
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Fürtrefliche Mädchen alle drey und auf die ich meines Vaterlandes wegen stolz bin. <dul>Blos</dul> durch Natur gelehrt singen sie um
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einem das Herz zu zerschmelzen und grössere Kenner als ich bestättigen dis. Da ist kein falscher Ton. Die mittelste doch
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sehr fein und fast <page index="8"/> unmerklich, zum Stolz auf ihre Geburt geneigt. Die jüngste möchte der Mutter am nächsten
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kommen. Die älteste in gewissen Stücken sie noch übertreffen an Größe der Seele, so weit sie bei einem Frauenzimmer in
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ihrem Verhältniß sich äussern kann. Wiewohl sie eine kleine Anlage zur Satyre hat. Sie lieset am meisten. Fast ein wenig
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zu streng auf das was man die Ehre des Frauenzimmers nennt; doch darum nicht minder liebenswürdig. Die jüngste ist mir
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dennoch die wertheste wegen einer Art von <ul>himmlischer</ul> Bescheidenheit. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ein Mann – in der That ein Mann – und edel im strengsten Verstande des Worts. Aktiv und nur hitzig in seinen Geschäften
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sonst die Güte und Langmuth selbst. Hilft und gleich auf der Stelle – O wie so mancher hülllose Fremde durch ihn gehalten
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erhalten bis er zu Brod kam. Hat gereist – nur um desto hülfreicher zu seyn. Ist durch Feuer <ul>um all sein Vermögen</ul>
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gekommen und war doch einer der ersten, der sich wieder auf die Beine half. Ein allzu nachgebender Vater, welches seine
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Schwache Seite ist, denn sonst wüßt ich keine. Ein heller Kopf dabei ohne ein Gelehrter zu seyn und gründlichen
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Verstand, ohne viel zu lesen. Wird aber richtig urtheilen über alles was er liest. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Seine Frau eine wackere Hausfrau. Treu – überhaupt redlich und standhaft in Gesinnungen. Einfach in Kleidung und Aufwand
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obschon in der Residenz erzogen. Voll Güte und Menschenliebe wie er. Nichts von den gelehrten Frauen und spricht gern
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von allen Menschen das beste. Eine seltene <ul>Tugend</ul> bey den Frauenzimmer in Liefland, besonders in den Städten. Eine brave
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Frau. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Noch eine Frau. Feuer und Flamme im Hauswesen und Thätigkeit. Keinen Augenblick müssig noch ruhend. Lacht immer nur im
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Fluge aber lacht nie als wenns ihr ums Herz ist, nie aus Gefälligkeit. Kann gar nicht gefallen: und gefällt. Es ist ihr
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nicht <ul>möglich</ul> wenn sie wider einen Menschen was hat, es auf dem Herzen zu behalten. Sie sagts ihm <page index="9"/> und wenn es
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der König wäre. Hinter dem Rücken aber nie. Dies macht das eigentliche Süsse ihres Umgangs. Sie leidt ausserordentlich
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viel dabei denn wenn es Freunde sind quält sie sich solang damit bis es heraus ist und ich glaube sie würde sterben, wenn
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sies zurück behielte. Sie ist streng gegen ihr Gesinde, aber ihre <ul>Mutter</ul> zugleich. Sie ist enthusiastisch für ihren Mann,
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so unzufrieden sie bisweilen sie mit ihm scheint wenn sie dabei ist. Auch kennt sie kein Mensch wie er: denn sobald er
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hitzig wird, ist sie ein Lamm. Ich habe nicht leicht ein so glückliches Paar gesehen. Ob Sie das Gesicht errathen! – Sie
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hatte eine Stiefmutter die beide in einander verliebt waren, wegen Aehnlichkeit des Karakters, zum Nachtheil der natürlichen
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Schwestern. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ihre Kinder. Der ältste lauter Witz und Gelehrigkeit. Biegsam allzubiegsam und voll Feuer. Viel vom kleinen Lavater;
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nicht völlig so enthusiastisch. Er wird sich nie unterdrücken lassen, wohin man ihn auch biegt, denn er ist lauter
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Elastisität. Der zweyte sein Gegensatz. Leicht zu drücken, weil er niemand drückt. Nachdenkend wie ein alter Mann,
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schwerfällig und standhaft in Empfindungen. Wenn er fühlt – ist es nicht möglich einen Laut aus ihm zu bringen. Daher
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lieben ihn die Eltern nicht. Ein herausgestohlnes Ach eine versiegende Träne, die Stimme mit der er singt, die Gebärde
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verrathen seine Seele nur dem scharfen Beobachter. Sie halten ihn alle für träge und er ist nichts weniger. Er überfühlt
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Eltern und Geschwister, wenn er sich gleich nie unterstehn wird sie zu übersehen. Ich war mit ihm in dem Galeerensklaven
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(dem rührenden Drama des Falbaire) er verlor sich so in das Stück daß er nichts erzehlen konnte und darüber die bittersten
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Beschimpfungen standhaft ertrug. Nur ein zurückgehaltener Seufzer bei den wärmsten Stellen die der Bruder unrichtig
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erzehlte, verrieten ihn mir. Ich wünscht’ es wäre mein Sohn. – Der dritte ist die Mischung der beyden ältesten doch ohne
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das Gefühl des zweyten und die Biegsamkeit des ältesten. Die Töchter sind ehrlich und böse wie die Mutter. Lächeln höchst
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selten und lachen gar nicht. Heiserkeit ist ihr Vergnügen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Nun noch einmal bester Herr und Freund! auf Ihr achtzehntes Fragment. Wenn ich von Privatpersonen so ausführlich bin, was
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soll ich da sagen. Um Gottes <page index="10"/> willen, waren Fürsten der Probierstein Ihrer Physiognomik, einer so bestrittenen,
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so neuen Wissenschaft. Fürsten – deren Gesichter Vorstellungen ihres ganzen Reichs – und des Hofes mit sind. Fürsten die
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unglücklich genug sind daß sie ihr Gesicht – – nicht weisen dürfen. Wo war Ihre Klugheit lieber Mann! – wo war – verzeihen
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Sie mir den Ausdruck – Ihre Gewissenhaftigkeit. Fürsten – dieses Räthsel der Zeit über das nur das folgende Jahrhundert
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entscheidet. Wohin wagten Sie sich bey Ihrer Entfernung – bey Ihre Unwissenheit unsrer Verhältnisse. Ich kann Gott weiß
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ich kann Sie nicht vertheidigen und kein kein Patriot. Entschuldigen – <del>sehr genau.</del> <insertion pos="top">auch nicht</insertion> Ich weiß nicht womit! –
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Wer foderte Sie auf – Welche Klippe zwischen Schmeichelei und Unklugheit, beide gleich unwillkommen, bei einer Fürstin
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wie unsere. Die Majestäten, die Majestäten, bester Lavater! es steht was in der Bibel davon – und jeder unvorsichtige
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Ausdruck sollte er auch noch soviel Lob enthalten wollen, kann so leicht durch die kleinste Mißdeutung Lästerung werden.
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Wenn Sie wenn ich einsehen werden wie das Glück sovieler Millionen an der Verbindung dieser Nerven ruht. Sie können alles
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gut machen – nur nicht <ul>bekehren.</ul> Ueberlassen Sie das <ul>Bekehren</ul> einem andern, der in den Wolken des Himmels kommt. Mischen
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Sie sich nicht in Politick. Um <ul>Gottes</ul> willen wie kämen Sie und die Politik zusammen – – und das in der Physiognomik! Nur
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das möcht ich wissen, ob einer Ihrer auswärtigen Freunde Theil daran hat – ich könnte mit Wuth auf ihn herfallen und wenn
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es der <dul>grösseste</dul> aller deutschen Gelehrten wäre. Nicht aus Enthusiasmus sondern weil es ein Mislaut ist und die Verstimmung
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ewig bleibt– wenn Sie nicht selbst abhelfen. Aber wie? – – Das weiß Gott, das weiß ich nicht. Und die Saite noch einmal
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berühren, wäre 1000mal gefährlicher. Haben Sie denn etwas von unserer Fürstinn gelesen und ihren Karakter studirt? Haben
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Sie Rußlands Geschichte studirt? Oder urtheilen Sie nur nach hören sagen. Doch Sie urtheilten sagen Sie, über das Bild.
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Als Physiogn. Über den Künstler. Und was sollen die Köpfe im 21sten Fragment neben dem Holzschnitt solcher Fürstin. Was
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soll die <dul>nebengestellte Königinn</dul> – Ach Lavater Lavater! warum müssen Sie mirs nur schwer machen, Sie zu tragen. Ins Feuer
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möcht ich den ganzen Teil werfen. Kein Wort drin Ihrer würdig. Wenigstens um Ihrer selbst um alles willen was Ihnen heilig
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ist, lassen Sies aus der französischen Übersetzung weg. Ich würde dann müssen – müssen – mit allen Waffen die noch in
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meiner Gewalt sind – es ist Unsinn! <er><nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr></er></letterText>
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</document>
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</opus>
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