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Einpflegung von Brief 189.
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Vergeßen Sie mir Ihre <aq>Adresse</aq> nicht.</letterText>
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<letterText letter="188"><line tab="1"/>Wie es zugeht lieber Lavater! daß ich das bewußte Bild noch nicht erhalte, da Du es doch Rödern für
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mich zugeschickt haben willst, begreiffe ich nicht, macht mir aber viele Herzensquaal. Das einzige
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worinn ich auf der Welt (ausser eurer Freundschaft) einen Werth setze, das einzige das mich in einer
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selbstgewählten Einsamkeit von der ganzen Weit vergessen, erhalten sollte, zum Besten manches guten Menschen
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erhalten – soll ich denn durchaus auf äusserste gebracht seyn. Ich verlange nichts, fodere nichts als
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einen Schatten – einen Schatten der mich allein an diese Welt binden kann die mich in allen meinen
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Verhältnissen peinigt. Ich will nicht müssig gehen in meiner Einöde, aber ich muß etwas haben das meine
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Kräfte aufrecht erhält, das mich dem grossen Ziel entgegenspornt um des willen ich nur noch lebe. Ich weiß
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sehr wohl daß dies <ul>Schatten,</ul> daß es ein Traum, daß es Betrug ist, aber laß – wenn es nur seine Wirkung
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">thut.</sidenote> Und wenn die vorher bestimmten Schläge durch die unsichtbaren Mächte die mich
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brauchen <insertion pos="top">wollen</insertion>, geschehen sind: was ist darnach an dem Instrument gelegen! <ul>Das vermuthlich zum
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Unglück bestimmt war.</ul><line type="break"/>
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Wende um <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich habe Deinen 2ten Teil Physiognomik nur flüchtig mit dem Herzog durchlauffen können, ihn bey manchen Stellen
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aufmerksam gemacht, ihm vorgelesen und mich gefreut. Sobald ich Ruhe finde geh ich es mit geweyhter Seele durch,
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jetzt bin ich auch selbst dazu unfähig. Du bist der Einzige dem ich diese Art meiner Existenz klagen kann, und
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nicht einmal darinn finde ich Trost. Eine gänzliche Taubheit meiner Nerven, die nur wenn ich arbeite, mich alle
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Stacheln des Schmerzens fühlen lassen. Sage mir ein Wort insbesondere, das wird wohlthun: aber um alles in der
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Welt schone mich nicht. Das macht bey mir alles nur schlimmer. Ich bin auf den Punkt verschwiegener unangenehmer
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Nachrichten scharfsichtiger als Du glaubst. Wahrheit ist immer der einzige Trost <insertion pos="top">für mich</insertion> gewesen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wie ich itzt so klein so schwach gegen ehemals mich fühle. Gieb mir mehr <insertion pos="top">wirkliche</insertion> Schmerzen damit mich die
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imaginairen nicht unterkriegen. O Schmerzen Schmerzen Mann Gottes, nicht Trost ist mein Bedürfniß. Diese Taubheit
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allein kann ich nicht ertragen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Du bist in Carlsruhe gewesen, wie mir Herr von Edelsheim, Minister am dortigen Hofe, der die Trauerpost von der
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russischen Großfürstin Tode hieher brachte, erzählt hat. Wie hat dirs dort gefallen? Und solltest Du nicht den Weg
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über Strasb. genommen haben? Und solltest Du niemand dort gesehen und gesprochen haben? <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Bode ist eben von hier abgereist der Uebersetzer von Tristram Schandy. Goethens Erwin ist mit der Musik von der
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Herzogin Mutter Ietzt hier aufgeführt worden. Frage doch Kaysern ob er mich ganz vergessen hat? Hier warten soviele
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auf das Familiengemählde. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Wie wir mit WieI. stehen, soll das Publikum nächstens öffentlich erfahren. Wie wärs, wenn er frömmer wäre als wir
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alle? Ein wunderbarer Mann, dessen Erkenntniß mir hier sehr wohlthut. Im Musäum (doch sags ihm nicht) laß ich bald
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etwas über ihn einrücken. Ich bin ihm sehr gut und seiner Frau u. Kindern. <line type="empty"/>
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L. <line type="empty"/>
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<page index="4"/>
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<note>Adresse</note>
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Herrn<line type="break"/>
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Herrn <dul>JC. Lavater</dul><line type="break"/>
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Pfarrer am Waysenhause<line type="break"/>
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zu <ul>Zürich</ul></letterText>
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<letterText letter="189"><line tab="1"/>Hier mein treflicher Freund und Gönner die gedruckte Kopey eines Gedichts das der von Seiten seines
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Herzens wahrhaftig liebenswürdige Lindau kurz vor seinem Abmarsch nach Amerika (der nun
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würklich erfolgt ist) gemacht hat. Er äusserte in seinem letzten Briefe den Wunsch oder
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vielmehr er beschwur uns, wenn wir mittelbar oder unmittelbar eimgen Zusammenhang mit Amerika
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hätten, es dahin an den <aq>D. Franklin</aq> oder General <aq>Washington</aq> kommen zu lassen und ihnen zugleich
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einige Personalien von dem Verfasser zu melden. Wir wissen uns (Wieland, Goethe und ich) bey dieser
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Foderung an niemand zu wenden, als an Sie mein Theurester und da Sie die Sache der Freiheit
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auch unter allen Verhältnissen lieben, so glaube ich wenn Sie es füglich thun können, werden Sie
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auch diesen letzten Willen des treflichsten aller Don Quichotte vollziehen helfen, da in der
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That wie ich glaube den Kolonieen eine Erscheinung dieser Art nicht anders als willkommen und
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aufmunternd seyn kann. Und man überhaupt nicht weiß was ein ausgeworfener Saamenstaub für gute
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Folgen haben kann. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich habe auf Ihren nur gar zu gegriindeten Rath an Hellwieg durch unsern Freund Boje geschrieben
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(dem ich mich gütigst sehr zu empfehlen und ihm für die Mittheilung der Komödien und seines
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Freunds Matthei und der Herren von Holzschuh zu danken bitte) und mir die Bekanntmachung der Wolken
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sowohl als ihrer Vertheidigung sehr ernsthaft verbeten, hoffe auch daß dieser gute Mann <insertion pos="top">Hellwieg</insertion>
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Wort zu halten nicht für eine Sache halten wird, der ein Mensch auf der Welt sich überheben könne,
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besonders, sobald er handelt und in Verhältnissen steht. Zudem habe in der Vertheidigung Druckfehler
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gefunden die dem ganzen Dinge ein schiefes und häßliches Ansehen geben, <ul>gefühllos</ul> anstatt <ul>gefühlig,</ul>
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gewiß ich müßte selbst gefühllos sein, wenn ich die Bekanntmachung einer so nachteiligen Vertheidigung
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W. ertragen könnte. Statt N ist I und andere dergleichen Späsgen die mir den ganzen Zweck der Schrift
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verderben, die überhaupt bey unsrer gegenwärtigen Lage wenig Wirkung thun wird. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich arbeite jetzt an einem Werk über die Soldatenehen das ich wohl französisch schreiben und die
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Reise werde nach Paris machen lassen. Ein Gegenstand den ich schon bey drey Jahren in meinem Kopf
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herumgewelzt. Bitte sehr unsern Freund Boje mir das Versprochene zukommen zu lassen. Er wird vielleicht
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von Schlossern etwas von mir in sein Musäum erhalten, das hier am Hofe viel Sensation gemacht hat. Wieland
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Goethe und ich leben in einer seeligen Gemeinschaft, erstere beyde Morgens in ihren Gärten, ich auf der
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Wiese wo die Soldaten exerziren, nachmittags treffen wir uns oben beym Herzog, der mit einer auserlesenen
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Gesellschaft guter Leute an seinem Hofe die alle (so wie auch wir) eine besondere Art Kleidung tragen und
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er die <ul>Weltgeister</ul> nennt seine meisten und angenehmsten Abende zubringt. Goethe ist unser Hauptmann. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich werde wohl bald den gar zu reitzenden Hof verlassen und in eine Einsiedeley hier herum gehen meine
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Arbeit zu Stande zu bringen, zu der ich hier nur Kräfte sammle. Sodann bin ich für die ganze Welt und für
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alle meine Freunde todt. Ich bitte sehr das keinen Unterscheid in unserm künftigen Zusammenhange machen zu lassen.
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Sagen Sie mir doch, mein Gönner, ob man in Hannover französische Sachen darf drucken lassen. Reich will nicht
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dran wegen der Schwürigkeit des Umsatzes. Auch wollte Sie gehorsamst fragen, ob die versprochenen Exemplare der
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Soldaten wirklich an mich nach Strasb. abgegangen, ich könnte sie hier gar zu gut brauchen besonders da hier soviel
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ich weiß weder Buchladen noch Buchhandel ist und ich sie nicht einmal für Geld bekommen kann, meinen Freunden
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aber Exemplare abzubetteln mich schäme. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Auch Sie werden die traurige Nachricht von der russischen Großfürstinn wohl gehört haben, die ein gewisser
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Herr v. Edelsheim Regierungsrath am Carlsruher Hofe, ein artiger Mann und der sich einen Freund von
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Klopstock sagte, hieher gebracht hat. Der Herzog, besonders aber die Herzogin sind in der lebhaftesten
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Betrübniß darüber. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Die Fremden gehen jetzt hier sehr häuffig. Ich habe auch unter denen viele wunderbare Gelegenheiten gefunden,
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Personen die ich zu sehen aufgegeben hatte wiederzusehen. So den geheimen Rath Vietinghof aus Liefland zum
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Exempel, der ins Bad und von da nach Frankreich England und Italien geht und durch den ich vielleicht meine
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Schrift in Paris überreichen lassen werde, wenn ich sie nur noch aufs höchste gegen den Oktober fertig gedruckt
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haben kann denn er bleibt nur die eine Hälfte des Winters dort, die andere Hälfte passirt er in Italien. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Herder und Stollberg sind noch nicht hier, der letzte kommt erst auf den Herbst, warum der erste aber zögert
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begreiffe ich nicht. Ich wünsche ihn aus allen Kräften hieher, hoffe auch daß die letzten Steinehen des
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Anstosses bald weggeräumt sein werden. Der Herzog ehrt ihn ungemein. <line type="empty"/>
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<sidenote pos=" left" page="1" annotation="vertikal am linken Rand">
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<line tab="1"/>Im Merkur werden Sie künftig auch mich zuweilen sehen. Was ist doch die Frau v. Stein für ein Engel, deren
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Schatten Sie uns in Strasbg. wiesen</sidenote></letterText>
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</document>
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@@ -2822,5 +2822,35 @@
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<isDraft value="false" />
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</letterDesc>
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<letterDesc letter="188">
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<date value="Weimar, Kurz nach dem 24. Mai 1776" />
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<date value="Weimar, Ende Mai 1776" />
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Zürich, Zentralbibliothek, RP 20, Nr. 14
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(Entwurf: Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 9)
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Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 15; Entwurf
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Reference in New Issue
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