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Einpflegung von Brief 53.
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allein soll mir der Probierstein all der weiblichen Characktere sein die ich mir vorzüglich geglückt
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glaube“</hand></letterText>
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<letterText letter="53"><line tab="1"/>– – So führen Sie mich denn! Und da es einmal so weit gekommen ist, so muß ich Sie bitten, Sie
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mögen an mir Beobachtungen und Entdeckungen machen, welche Sie wollen; entziehen Sie mir Ihre
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Freundschaft nicht! Ich nehme das Wort in der strengsten, eigentlichstell Bedeutung; nichts mehr,
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aber auch nichts weniger ist mein Herz stolz genug von Ihnen zu verlangen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ein gewisser Leichtsinn, der oft nah an Unbesonnenheit grenzt, ist eine Gabe, die die Natur für gut
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befunden hat mir besonders aufzuheben. Welchen Wert die hat, kann ich noch nicht bestimmen,
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aber mir ist sie bisher oft unentbehrliche Wohltat gewesen. Ich lege mich immer zu Bett, als ob
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ich den andern Morgen nicht aufstehen würde, und jedes Schicksal ist mir gleich. Sagen Sie mir,
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könnten Sie die Freundin eines solchen Menschen seyn? So viel muß ich Ihnen dabey sagen, daß mir
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andre Menschen, deren Wert ich erkannt habe, heilig sind. Mag auch das Leben noch so barocke Szenen
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mir vorbehalten, und überhaupt das Schicksal über mich ergehen lassen, was es wolle, diese angenehme
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Sensationen, und die Erinnerung derselben, kann es mir doch nicht nehmen, und das ist meine Genügsamkeit.<line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich muß mich doch auch ein wenig ausstreichen; was meynen Sie? Damit Sie wissen, was Sie von
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meinen Urteilen zu halten haben. So muß ich Ihnen denn sagen, daß ich nicht der einzige bin, der
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Erkundigungen nach Ihnen macht; vielleicht nicht alle aus dem Motiv; indessen wer kann Motive beurtheilen.
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Die Erscheinung einer Dame von Ihrem Range auf dem Pamaß, (die so viele andre Sachen zu thun hat,) mußte
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jedermann aufmerksam machen. Mich ärgerte nichts mehr, als – Gott weiß, daß ich die Warheit sage, – als die
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dummen Noten, die mich allemal bey den seligsten Stellen in meinem Gefühle unterbrachen, gerad als wenn einem
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kalt Wasser aufgeschüttet wird. Gleich fühlte ich, daß in den Noten die Verfasserin nicht war; einige dunkle
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Klätschereyen sausten mir um die Ohren, Sie hätten dem Umgange mit Wieland vieles zu danken; ich muß Ihnen aber
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zur Beruhigung sagen, daß alle diese Nachrichten von Frauenzimmern kamen, bey denen ich die Quelle leicht
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entdeckte. Verzeihen Sie mir! Auf den Punkt ist ein kleiner Neid auch manchmal bey edlen Personen Ihres
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Geschlechts sehr natürlich, und mir also gar nicht einmal auffallend; nur ärgerte mich’s, daß ich Niemand
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von meinem Geschlecht hörte, der gesunden Menschenverstand oder Edelmuth genug gehabt hätte, im Gegenteil zu
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behaupten: Wieland müsse Ihrem Umgange alles – alles vielleicht zu danken haben, was ihn schätzbar macht.
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Ich sagte noch neulich, (und das rechne ich mir nicht zum Verdienst an) einer Frau von Stande, die auch mit
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dem zweideutigen Tone von Ihrer Sternheim sprach: „Wieland könnte wohl viel Antheil daran haben“ sehr trocken,
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(ohne damals die geringste Nachricht zu haben,) ich hielte W. nimmermehr für fähig, in seinem ganzen Leben so
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feine moralische Schattierungen zu mahlen; In der That muß es jedem nur halb gesunden Auge auffallen, daß sein
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Pinsel viel zu grob dazu ist. Noch habe ich in einem Frauenzimmer-Briefe, (wo mit außerordentlichen Lobe von
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Ihrem äußern Betragen gesprochen wird) die seltsame Bemerkung gelesen, Wieland könne Sie wohl bey seiner
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Musarion in Gedanken gehabt haben. Das wußt’ ich wohl, daß er Ihnen unter dem Namen Danae, die Grazien
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dedizirt hatte. Mit allen dem hätten Sie von einem ganz andem Pinsel gemahlt werden sollen, wenn er Reitze
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der Seele zu malen verstanden hätte. Ein Rousseau – O geben Sie mir doch Schlüssel zum Verborgenen! Wie
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hat Wieland Sie kennen gelernt? Und war seine Empfindsamkeit für Sie mehr Prahlerey, als innere Rührung?
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Ich habe bisweilen wunderliche Ideen im Kopf, und bin nicht umsonst so aufdringend, so neugierig. Bedenken
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Sie, daß auch ich älter werden kann, und daß der Wunsch jeder gut meinenden Seele Erhörung verdient, in den
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Standpunkt gesetzt zu werden, hochgeschätzte Personen in ihrem <ul>wahren</ul> Lichte zu sehen. Auf meine
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Verschwiegenheit können Sie zählen; wenigstens <ul>die</ul> Tugend hat mich meine Situation gelehrt, da ich als
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Vertrauter junger Herren gereiset, und vier Jahre mich bloß dadurch bey ihnen erhalten habe. Ich habe keine
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Maitresse, und keine Ergießungen des Herzens als vor Gott. Bisweilen auch an dem Busen meines Göthe, der nun
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freilich viel von mir weiß. Was könnt’ ich nicht in dem Fall! Rosalia!– Erlauben Sie mir diesen Namen! –
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Seyn Sie so gütig, und fahren fort. Ach welchen Tag, welche Sonne Sie in diesem
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Herzen ausbreiten. – Rosalia!</letterText>
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<date value="Straßburg, Juni 1775" />
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Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, GSA 56/I,6,1, Bl. 5r–6r, zg. Abschrift
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