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Einpflegung von Brief 40.
This commit is contained in:
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<aq>Z. den 2. Sept. 1774.</aq> <line type="empty"/>
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<aq>Z. den 2. Sept. 1774.</aq> <line type="empty"/>
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<note>Adresse</note>
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<note>Adresse</note>
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An Herrn Lenze im Finkweiler, in <ul>Straßburg.</ul>
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An Herrn Lenze im Finkweiler, in <ul>Straßburg.</ul></letterText>
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</letterText>
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<letterText letter="40"><align pos="center">Straßb. d. 7 Novbr. 1774.</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Konnt’ ich mein edler Bruder! einen bessern Gebrauch von Deinem Briefe (den ich erst im August
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erhielt) machen, als daß ich ihn einem zweyten Du, durch die Bande der Freundschaft näher mit
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mir verbunden als durch die Bande des Bluts, meinem Bruder Goethe# <!-- Was bedeutet "#"? --> in Frankfurt zuschickte
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und Dein Glück mit ihm theilte. Wie ich denn nichts geheimes für den haben kann. Dafür ward
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aber auch Deine Verbindung von zwey gleich warm theilnehmenden Seelen hier doppelt gefeyert.
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Was soll ich Dir viel drüber sagen? Glückwünsche zeigen von einer armen Seele, deren Leerheit
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der Witz und strafbare Gefälligkeit zu bepappen sucht, aber das wahre Gefühl bindet die
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Zunge, kehrt die Augen gen Himmel und läßt Tränen reden. Verstehst Du diese Sprache mein Brüderchen!
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Einziger aus meiner Familie der mich versteht. Der Himmel belohnt Dich dafür. Er gab Dir ein
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Weib und ich beneide Dich nicht. Ich segne ihn, daß er Dich vorzüglichen Glücks würdigt da Du es
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vorzüglich verdienst. Kein wildes Zielen nach einem ungewissen Zweck, edles starkes Bestreben
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einen kleinen glücklichen Zirkel um dich her zu machen und von ihm wiederbeglückt zu werden.
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Dein vorjähriger Brief mit diesem zusammengehalten welch ein Gemählde von Deinem Herzen stellt
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es mir auf! Dein letzter Wunsch, <ul>„eine eigene Hütte mit einer Freundin die die Mühseeligkeiten
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dieses Lebens“</ul> p. er ist erfüllt, Du bist <page index="2"/> belohnt, edler Freund! kleiner – großer Mann
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in Deiner Genügsamkeit. Du wirst nach Deinem Herzen gewählt haben, also glücklich – täglich neue
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Vorzüge werdt Ihr aneinander entdecken, täglich neuer Beruf zu lieben und geliebt zu werden. Und
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so unsterblich, noch übers Grab hinaus – o ich muß mich wegwenden von Eurem Glück, wem zu essen
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versagt ist steht mit Verzweiflung vor dem Gemähld eines Banquets. <line type="empty"/>
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<sidenote pos="left" page="1" annotation=" am linken Rand der ersten Seite, vertikal">
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#<!-- Was bedeutet "#"? --> Verfasser des Goetz v. Berlichingen, Clavigo, Leiden des jungen Werthers und einiger Kleinigkeiten. <line type="empty"/></sidenote>
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<line tab="1"/>Du willst mein Schicksal wissen. Liebe Seele! was ist Dirs gedient damit. Daß ich Dich liebe weist du,
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darum hätt ich immer noch länger schweigen können. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich bin jetzt frey, athme das erstemal dreist aus. Der älteste Kleist ist nach Kurland gereist, um
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wiederzukommen, woran ich doch schon itzt zu zweifeln anfange. Sein jüngster Bruder aus Frankfurt
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Oder kam grad an als der andre abgieng und ich mußte ein viertel Jahr bey ihm bleiben. Jetzt bewohn
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ich ein klein Zimmer allein, speise täglich an einem Tisch wo einige meiner Freunde mitessen (die
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einzigen die in Straßb. Liebhaber der ächten Wissenschaften zu sein sich nicht schämen) und unterhalte
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mich ein wenig mühseelig von Lektionen die ich meinen Landsleuten in der deutschen Sprache und in der
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Geschichte ihres Vaterlands <page index="3"/> ich meine Pohlen Curland Rußland gebe, da hier sehr theuer zu leben ist. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Mein Herz geht nicht müßig. Ich hab einige vorzügliche Freunde und Freundinnen und denk auch oft
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an Euch. Wiewohl mir Papa und der Tarwaster das zum Verbrechen machen wollen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Grüße Papa! Sag ihm nur daß es mir ein wenig fremd vorkam, da ich nichts von ihm foderte – nichts
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von ihm erwartete, als Erwiederung meiner warhaftig zärtlichen Gesinnungen für ihn und meine
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Blutsfreunde, mich dafür von ihm und Fritzen mit Ruten abpeitschen zu sehen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich will Dir hier ein klein Verzeichniß meiner Schriften anhenken, damit Du sie Dir anschaffest und
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mich und meinen Lebenslauf daraus beurtheilest. Auf Kosten der Sozietät wurden gedruckt:
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Lustspiele <del>des</del> <insertion pos="top">nach dem</insertion> Plautus. Auf Kosten der Weygandschen Buchhandlung: Der Hofmeister,
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oder Vortheile der Privaterziehung, eine Komödie. Darnach, der neue Menoza oder Geschichte des
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Cumbanischen Prinzen Tandi, eine Komödie. Darnach Anmerkungen über Theater, nebst
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angehängtem Shakespearischem Stück. Diese drey könntest Du Dir zusammen binden lassen. Ostern
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kommt mein letztes Stück heraus: der Poet, Weg zum Ehemann, das meinem Herzen am nächsten ist . <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Auch werden herauskommen Meynungen eines Layen zum <page index="4"/> Besten der Geistlichen: und
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Stimmen eines Layen auf dem letzten theologischen Reichstage. Die Du Dir anschaffen sollst. wovon
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aber der Verfasser unbekannt bleiben will. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Laß Dir die drey Komödien zusammen binden, den Hofmeister, den Menoza und den Poeten und
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schenk sie Deiner lieben Frauen auf den Nachtisch als ob sie von mir kämen. Schreib ihr hinein von
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meinetwegen <line type="empty"/>
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<align pos="center"><line tab="5"/>Fühl alle Lust, fühl alle Pein
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<line tab="5"/>Zu lieben und geliebt zu seyn
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<line tab="5"/>So kannst du hier auf Erden
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<line tab="5"/>Schon ewig seelig werden. </align><line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Und nun lebt wohl lieben Kinder! und laßt mich euch um den Hals fallen und mein Gesicht zwischen
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euren verbergen. Laßt mich eure Küsse euch zubringen und indem ich so euch beyde zwischen meine
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Arme an mein Herz drücke und Gott um Unsterblichkeit bitte für euch – so schickt eure warmen
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brüderlichen Seufzer auch für mich empor, daß auch mir es so gut werde – oder wenn ich dies Glück
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nicht verdiene daß ich müd von des Tages Hitze einst am Abend ⟨meines Lebens⟩ <!-- Was bedeutet ⟨⟩ ? --> in euren Armen
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ausruhe und sterbe. Ich behalte mir den Platz aus mein Bruder! willigen Sie drin meine Schwester? So
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seegne sie Gott für den guten Willen Amen.
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<align pos="right">Jakob Michael Reinhold Lenz.</align></letterText>
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<letterDesc letter="40">
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<date value="Straßburg, 7. November 1774" />
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<sort value="1774-11-04" />
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<letterTradition letter="40">
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<app ref="4">
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Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Krakau, Lenziana 5, Nr. 11
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Reference in New Issue
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