Einpflegung von Brief 164.

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GregorMichalski
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Der Herzog und der ganze Hof lesen Ihr Musäum mit vieler Liebe.</sidenote></letterText> Der Herzog und der ganze Hof lesen Ihr Musäum mit vieler Liebe.</sidenote></letterText>
<letterText letter="164"><note>Anfang nicht überliefert</note>
<line tab="1"/>und gemeinschaftlich für ihr ganzes zukünftiges Leben zubereitet würden, so daß Gottes Namen
dadurch verherrlicht und seine Liebe in aller Herzen gepflanzt würde sehen Sie das schmeckt allen,
Pietisten und Katholiken und Jansenisten und der Freygeist hat auch nichts dagegen einzuwenden.
So machte es Zinzendorf und Sie müssen eine Kopfhängersprache reden und <dul>von Herzen</dul> oder ich prophezeye
Ihrer Anstalt den Untergang. Wozu bekehren, wozu Erbauungen? Ist es nicht genug, nicht <ul>übererbaulich</ul> genug,
daß alle bey einander wohnen und bey einander <ul>wohnen lernen</ul> wie in Gottes Welt. Gemeinschaftliche Geschäfte
treiben, gemeinschaftliche Ergötzungen haben, laß sie doch meinthalben die Egyptische Katze anbeten. Ihre
Tugend, Ihre Providenz richtet Sie zu Grunde Herr Professor, diese Namen sind <aq>odiosa</aq> obschon kein Mensch
ist, der sie nicht im Herzen glaubt nur immer unter anderer Gestalt und anderen Benennungen. Also still
davon. Und negotiiren Sie bey Pastor Götzen in Hamburg und bey allen Pietisten im Römischen und Russischen
Reich, sie thun tausend mal mehr als die Großen, sie reißen die Großen mit fort. Sagen Sie, Sie hätten mit
Ihren Schriften (denn auch die sind den meisten verhaßt) sich nur bei den Freygeistern den Weg bahnen wollen,
auch sie in Ihre Parthey zu ziehen, damit wenigstens ihre <page index="2"/> <ul>Jugend nicht verloren gienge,</ul> daher bäten
Sie, dieß Geständniß nicht <ul>laut werden zu lassen</ul> und ihnen <ul>ingeheim</ul> mit ihrer Hülfe beyzustehn und alsdann,
Herr Professor, <ul>alsdann</ul> werden Sie Wunder sehen. Die Pietisten sind keine Spitzbuben, ich kenne sie besser.
Sie <ul>thun alles</ul> wenn man in ihre Ideen hineinzugehen weiß und sich nicht offenbar wieder sie erklärt. Nur die
widrigen Gesinnungen der Herren <ul>Denker,</ul> ihr Stolz, der Hohn die Geringschätzung mit der sie ihnen begegnen,
erbittern sie und wen sollten sie nicht? Ich habe einen Vater der Pietist ist, er ist der treflichste Mann unter
der Sonne. Schreiben Sie ihm, er wohnt zu Dörpt in Liefland, aber ich bitte, geben Sie ihm diesen Schlüssel zu
Ihren Schriften und ganzem bisherigen Betragen und er, wie alle guten Pietisten, springen über die Mauer für Sie
und Sie werden die Folgen sehen. Wenn die Leute irren, wenn ihr Kopf zu leicht und dafür ihr Herz desto voller,
ihre Thätigkeit desto nachdrucksvoller und uneigennütziger ist, wollt Ihr Herren sie darum auslachen. Sollt Ihr
nicht vielmehr diese höchst brauchbaren Leute suchen in Eure Parthey zu ziehn. Und was ist denn eure Tugend anders
als die ihrige, nur daß eure Vorstellungskraft anders ist? Laßt doch den Leuten ihre verschobene Einbildungskraft,
wie dem Kinde seine Puppe, und beweißt eure richtigere dadurch, daß ihr euch in sie hineinzusetzen wißt, ohne sie
<ul>verändern zu wollen.</ul> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Eben die Ahndung die die Leute haben, daß sie sich durch ihre vorsetzliche <ul>Unvernunft</ul> bey den Weltleuten verächtlich
machen, welches sie als ein Leiden um Jesu willen ansehen, macht sie desto empfindlicher, desto argwöhnischer. Der
geringste Ausdruck, der eine Bekehrungssucht verräth beleidigt sie, weil sie sich nicht bekehren wollen, bekehren
können, so wenig als Ihr. Redt <ul>ihre Sprache</ul> mit ihnen wenn Ihr beweisen wollt, daß Ihr mehr Vernunft und ein grösseres
Herz habt. Nehmt sie in euer Herz auf und tragt sie, wenn ihr stärker seyn wollt als sie die euch zu tragen meynen.
Nennts Busse und Glauben und Wiedergeburt, was ihr itzt Tugend u. Providenz nennt, sind es denn nicht nur Namen und
für dieselbe Sache. Wenn die Engländer den Franzosen den Krieg angekündigt hätten und ein französischer Kaufmann hätte
einen großen Handel in England zu machen, wär er nicht ein Thor, wenn er nicht mit den Engländern in ihrer Sprache
redte, wenn er auch nur durch einen französischen Laut verriethe von welcher Nation er sey. Sind bey Ihrer Art
Unternehmungen müssen Ihnen nicht alle <ul>Menschen gleich seyn.</ul> Eben so müßten Sie es mit den Katholiken machen, eben
so mit den andern, wie die Apostel jedem in seiner Sprache. Und in ihren öffentlichen Conspeckten von nun an versprechen
alles was Tugend und Herz angeht (und was ist denn die Religion anders?) den Lehrern jeder Parthey zu überlassen. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Die andere Erinnerung ist, daß nicht alle Sacherkenntniß der noch unreiffen Jugend heilsam ist. Gewiß lieber Herr Professor
das schröckt eine Menge Eltern ab, würde mich selber abschröcken. Das Moralische darf eben so wenig übertrieben werden
als das Physische. <ul>Anatomie</ul> Kenntnis <ul>von</ul> <ul>Erzeugung der Thiere</ul> und Pflanzen sind nicht für das Knabenalter. Eine glückliche
Unwissenheit, bis Körper und Moralität zur Festigkeit und Stärke gelangt sind. Giebt es denn nicht andere Sachkenntnisse
die diesen vorangehen können, giebt es denn nicht andere Motive der kindlichen Liebe? Liegen die stärksten nicht in <ul>der</ul>
<ul>Natur?</ul> Macht es denn die Natur selbst anders, hat sie nicht den Schleyer des Geheimnisses weißlich über die Sachen gebreitet.
Laß es seyn daß auch der stärkere Geschlechterreitz in diesem Geheimniß liegt, auch <ul>der</ul> muß Ihnen <ul>heilig seyn.</ul> Lassen Sie
den Kindern die wohlthätigen Alberkeiten der Ammen, klären Sie nur sonst ihre Phantasey auf. Laß sie sich immer über den
Punkt zerrathen und die Köpfe zerbrechen, aber die <ul>starre Verweigerung aller möglichen Antwort darüber</ul> die vorsetzliche
Unwissenheit in der Sie sie darüber lassen, giebt diesem Triebe das <ul>heilige,</ul> das mysterieuse das er haben muß, wenn ihre
Kinder nicht Liliputmenschen werden sollen. Verspahren Sie alle Aufklärung hierüber und über alle Geheimnisse des
Naturreichs, bis auf die letzten Wochen wenn sie auf die hohe Schule gehen, da Sie sie ihnen mit <ul>grosser Feyerlichkeit</ul>
eröfnen können. Mit Freymäurer-<page index="4"/>feierlichkeit und vorhergegangenem <ul>Schwur nichts auszuplaudern,</ul> wenn ich was zu
rathen hätte. Das wären Eleusina, die selbst bey verdorbenen Sitten das einzige Mittel zu ihrer Wiederherstellung wären.
Denn laß es seyn, daß der Knabe selbst es bey unglücklichen Gelegenheiten schon früher erführe, es bliebe seiner Neugier
doch immer noch was zu vermuthen, doch immer noch Zweiffel übrig, wenn man standhaft darauf bestünde, ihm vorher nichts
davon zu verrathen. Uebrigens aber auf sein äusserliches Betragen die schärfste Aufmerksamkeit hätte und seine Phantasey
mit andren Dingen auch mit Ergötzlichkeiten gehörig unterhielt und beschäftigte. Bey der Entdeckung aber müßt er Ihnen
einen Freymäurereid unter den fürchterlichsten äusserlichen Zurüstungen thun, nicht allein den jüngeren von dem was er
erfahren würde nichts zu sagen, sondern auch keinen <ul>unrechten</ul> Gebrauch davon zu machen. In weiterem Detail lassen Sie sich·
alsdenn nicht ein, um keine <page index="5"/> Meineidige zu machen, sondern weisen ihm nur <ul>anatomisc</ul>h die schädlichen Folgen der
Debauche und überlassen das übrige seinem Gewissen. So werden Sie nicht allein aufgeklärte und liebenswürdige sondern auch
gesunde und starke Weltbürger ziehen, deren glückliches Alter sie von selbst bewegt, ihre Kinder niemand als ihnen
anzuvertrauen. Das ist von wichtigem Folgen für Ihre Anstalt, würdigster Mann! als Sie glauben werden. Ich kenne einen
grossen Theil der Eltern auch in meinem Vaterlande. Ich weiß welch ein wichtiger Punkt einem zärtlichen väterlichen Herzen
die Gesundheit seiner Kinder ist. Ich weiß fürchterliche Exempel vom Gegentheil, die den Eltern unaussprechlichen Gram
gemacht haben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bitte meine wortreichen Erinnerungen mit der Liebe aufzunehmen mit der sie geschrieben sind und diese nicht sowohl
in meinen Ausdrücken als in dem Herzen zu suchen aus welchem sie kamen und das mit der wärmsten Ehrerbietung ganz Ihre ist. <line type="empty"/>
Lenz.</letterText>
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<date value="Weimar, April 1776" />
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Tallinn, Eesti Ajaloomuuseum, Fondi 61, Nimistu 1, S/Ü 23, Bl. 3739
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