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GregorMichalski
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Lenz.</letterText>
<letterText letter="25"><line tab="1"/>Hier haben Sie wieder ein Blättgen mit einer Hypothese. Untersuchen Sie sie, halten Sie sie an den
Probierstein der Wahrheit Der menschliche Verstand muß von der höchsten Wahrscheinlichkeit zur
Wahrheit übergehen; ich habe zu dieser schärfern Untersuchung keine Zeit auch keine Fähigkeit, ich
überlasse sie Ihnen. Sie sagten in Ihrem letzten Briefe, Gott thue alles zu unserer Besserung mittelbar
und könne dazu nicht unmittelbar in uns wirken. Ich bin Ihrer Meinung, doch nur in einer gewissen
Einschränkung. Sie sollen sie sogleich hören. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Leibnitz, da er den Ursprung des Bösen mit der höchsten Güte Gottes reimen will, hält viel auf diese
unmittelbare Einwirkung, oder Einfluß der Gottheit, welchen er eine immerfortwährende Schöpfung
nennt. Er vergleicht ihn einem Strom, der seinen Lauf hält, die Freyheit des Menschen aber einem
Boot auf diesem Strom, das, je nachdem es schwerer oder leichter beladen, langsamer oder
geschwinder auf demselben fortgeht. Da die Sünde eigentlich in einer Privation des Guten besteht
und also die Quelle derselben nichts als Trägheit ist, die von unsern Fähigkeiten nicht den gehörigen
Gebrauch machen will, so gleicht diese Trägheit der Last oder Schwere des Boots und kann die Schuld
warum letzteres nicht so geschwinde fortgeht, nicht dem Strom, sondern dem Boot zugeschrieben
werden. Man kann ihm aber, und mich deucht mit Recht, einwenden, warum der Strom nicht mit
einer solchen Geschwindigkeit und Kraft fortfliesse, daß er die kleine Schwere des Boots überwinde
und aufhebe? und da bleibt bei Zulassung des Bösen von Seiten Gottes immer dieselbe Schwürigkeit.
Ich glaube weit sicherer zu gehen, wenn ich mich bei der einmal angenommenen Lehre von der
Erhaltung Gottes (welche allerdings wahr ist), an dem Wort <aq>Erhaltung</aq><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> halte, und also keine
fortwährende Schöpfung unter derselben verstehe. <aq>Fortwährend</aq><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> ist freilich ein Begriff, der der
Gottheit angemessen ist, allein eine solche <aq>Schöpfung</aq><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> nicht. Wenigstens kann sich unser Verstand
keine Schöpfung denken, die in Ewigkeit fortgeht, denn Schöpfung ist nach der einmal
angenommenen Bedeutung des Wortes, eine <aq>Hervorbringung<!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? Wichtig! Frage gilt für den gesamten Abschnitt--> aus Nichts</aq>, die nur einen Augenblick
währen könnte, nemlich den, da Gott sprach: Es werde! <aq>Bildung</aq> dieses Etwas, die kann fortgehen in
Ewigkeit, aber nicht die unmittelbare Schöpfung. Nun hat Gott uns gewollt, das heißt er hat uns
geschaffen, als freywillige und selbstständige Wesen, versehen mit gewissen Kräften und Fähigkeiten,
von denen wir einen Gebrauch machen können, welchen wir wollen, und wenn wir einen Einfluß
Gottes in uns annehmen wollen (welches uns Vernunft und Offenbarung heißet, weil wir <aq>abhängige</aq>,
geschaffene Wesen sind), so ist dieses kein anderer, als der allgemeine, den Gott in die ganze Natur
hat, vermöge dessen er nach den ewigen Gesetzen der Natur, die in ihr gelegten Kräfte und
Fähigkeiten <aq>unterstützt, erhält</aq>, daß sie nicht ins vorige Nichts zurückfallen. Wenn wir diese Handlung
auch eine <aq>Schöpfung</aq> nennen wollen, so mag es hingehen, nur muß man alsdann die <aq>fortgehende
Wirksamkeit Gottes</aq> von diesem Begriff absondern. Diese Einwirkung Gottes ist die allgemeine und
wird schon in der Bibel, durch den mystischen Ausdruck angezeigt: der <aq>Geist</aq> Gottes schwebte auf den
Wassern. Ich kann diese Stelle nicht anders erklären als: die allerhöchste Kraft Gottes unterstützte die
in die Natur gelegten Kräfte, daß sie ihre ihnen beschiedenen Wirkungen hervorbringen konnten. Bei
dieser Erklärung bleibt also Gott in Ansehung des Ursprungs des Bösen vollkommen gerechtfertigt.
Wir konnten unsere Kräfte gebrauchen oder nicht, in der von ihm gesetzten oder in einer entgegen
gesetzten Ordnung gebrauchen; er konnte nicht anders thun, als da er nach seiner Allwissenheit
unsern Fall voraussah, ihm durch äußere Mittel zu <aq>Hülfe</aq> kommen. Hier ist das Geheimniß unsrer
Erlösung, das in der That immer ein Geheimniß bleibt und wir ganz zu entziffern uns nicht
unterziehen dürfen. So viel ist aber klar dabei, daß durch die Offfenbarung seiner Gnade in Christo
Jesu, er nichts anders abzwecken will, als unsere Wiederherstellung in den Stand der Unschuld,
welches gleichsam die weisse Tafel ist, welche hernach beschrieben werden soll, und aus diesem in
den Stand der Glückseeligkeit, der Aehnlichkeit mit ihm, der höchsten Liebe zu ihm, und der höchsten
Freude, die aus der zunehmenden Erkenntnis seiner Vollkommenheiten und der immer näheren
Annäherung zu ihm fließt. Christus redt aber auch von einem Geist Gottes den Er uns senden will, der
uns alles vollkommen lehren und unsere Freude vollkommen machen soll, den auch wirklich die
Apostel in hohem Maß empfiengen. Dieses kann nicht anders erklärt werden, als durch eine
unmittelbare Einwirkung der Gottheit, die unseren natürlichen Fähigkeiten wenn wir sie unermüdet
recht anwenden zu Hülfe kommt, doch allezeit in dem Grade, als es der höchsten Weisheit Gottes
und der Uebereinstimmung der von ihm angerichteten Schöpfung angemessen ist. Die Wirkungen
dieses Geistes sind vorzüglich: Der unerschütterliche Glaube an Gott, als die höchste Liebe (es mögen
alle äusserlichen Anscheine auch dem zuwider seyn), an Christum, als den Vermittler dieser Liebe,
der sie uns nicht allein kennen gelehrt, sondern auch in gewissem Sinn erworben; hernach eine aus
diesem Glauben fliessende Liebe zu Gott, denn wer sollte den nicht lieben, von dem er <aq>glaubt</aq>, daß er
ihn unendlich glücklich machen will und eine geschwinde Fertigkeit, dem von ihm erkannten Willen
nach zu leben. Diese Wirkungen des Geistes Gottes müssen wir aber nicht mit Augen sehen wollen,
oder darauf warten; sie sind Trost und Belohnung unserer guten Aufführung, auch <aq>Aufmunterung</aq>
(dies scheint vorzüglich ihre Absicht), weil die menschliche Natur so viel Trägheit hat, daß sie in den
allerbesten erlangten Fertigkeiten doch wieder müde wird, sie sind das <aq>complementum moralitatis</aq>
und können uns in diesem ganzen Leben dunkel und unerkannt bleiben und uns dennoch ohne unser
Wissen, forthelfen und glücklich machen, wie ein unbekannter Wohltäter, der einem Bettler Speise
und Trank reichen läßt, ohne daß er weiß, wo es herkommt; genug er befindet sich wohl dabey und
überläßt es der Zukunft ihm seinen Wohltäter zu zeigen, damit er ihm alsdann den Dank ins Gesicht
sagen kann, den er jetzt für ihn in seinem Herzen behält. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich gebe diese Hypothese, die noch dazu so roh und undeutlich ausgedrückt worden, als sie in
meinem Verstande ausgeheckt ward, Ihnen hin, sie zu bearbeiten, alles zu prüfen und das Beste zu
behalten. Wenigstens müssen wir doch suchen in die Ausdrücke der Bibel einen <aq>Sinn</aq> zu legen, der mit
unserm Verstande übereinkommt; Geheimnisse bleiben immer Geheimnisse, doch müssen die Linien
unserer Vernunft hineinlaufen und sich hernach drin verlieren, nicht aber eine Meile weit seitwärts
vorbeygeführt, hernach mit Gewalt hineingebogen werden, welches eine <aq>krumme Linie</aq> geben würde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Um über eine so wichtige Materie mit der höchsten Aufrichtigkeit zu schreiben, muß ich Ihnen nur
schreiben, daß ich bey meiner einmal angenommenen Erklärung der Lehre vom Verdienst Christi
bleibe, und daß ich mir keine andere denken kann, die mit dem was die Schrift davon sagt und mit
dem was unsere Vernunft von Gott und seinen Eigenschaften erkennt, übereinkommt. Lassen Sie uns
sie nur deutlicher machen und Sie werden mir Recht geben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was ist das Gute anders, als der gehörige und rechtmäßige Gebrauch, den wir von unsren Fähigkeiten
machen? Und das Böse, als der unrechtmäßige übelübereinstimmende Gebrauch dieser Fähigkeiten,
der, wie ein verdorbenes Uhrwerk, immer weiter im verkehrten Wege davon fortgeht; so wie der gute
Gebrauch immer weiter in dem graden und richtigen Wege. Wir sind selbstständig Gott <aq>unterstützt</aq>
die in uns gelegten Kräfte, wie in der ganzen Natur, ohne sie zu <aq>lenken</aq> Wir (sey es nun die Schuld
einer uns angebohrnen Trägheit, die die Theologen Erbsünde nennen, oder des bösen Beyspiels,
welche ich fast eher dafür halten möchte), wir brauchen die Fähigkeiten verkehrt. Gott kommt durch
eine ganze Folgenreihe äußerer Mittel (welche ich <aq>Gnade</aq> nenne und wohin in der Jugend besonders
die Tauffe und das Wort Gottes zu rechnen), wozu besonders auch die zeitlichen Umstände gehören,
in die er uns versetzt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wir hören nun, daß ein vollkommener Mensch gelebt hat, durch den sich Gott uns ehemals sichtbar
geoffenbart und angekündigt hat; daß, wenn wir den <aq>rechten</aq> Gebrauch von unsern Fähigkeiten
machen wollen, wir schon hier und in Ewigkeit glücklich oder seelig sein sollen ; wir hören, daß,
nach dem Ausdruck der Bibel, alle bisher begangenen Sünden der Menschen auf ihn gelegt werden,
daß er sie trägt (was kann dies Anderes heißen, als daß alle üblen Folgen der Sünde auf ihn gelenkt
worden? Darin bestand sein <aq>Leiden</aq>) Wir sollen nur glauben, daß Gott uns um seinetwillen gnädig
sei; dies soll uns also nicht mehr beunruhigen, nicht mehr zurückhalten an unserer Besserung mit
allen Kräften unserer Seele zu arbeiten, weil das Alte alles vorbei und wir gleichsam jetzt neue Glieder
an einem großen Ganzen sind, wovon der allervollkommenste Jesus das Haupt war (hieher geht eine
gewisse geistliche Vereinigung vor, die mir im Abendmahl scheint zum Grunde zu liegen, denn wer
wollte alle Geheimnisse der Religion ergründen?) <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Also, <aq>voilá tout</aq>. Wenn wir diese Hülfsmittel alle, die uns die Gnade darbeut, annehmen, bon <aq>ça</aq>, es
soll nicht dabei bleiben; wir sollen einmal einer unmittelbaren göttlichen Einwirkung fä hig werden,
die in der Bibel die Sendung des h. Geistes heisset, die uns Gott immer mehr erkennen und lieben
lehren wird, die uns, wenn wir dazu reif, zum Anschauen Gottes bringen wird aber dazu gehört
freilich Zeit! <line type="empty"/>
Lenz.</letterText>
</document>
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