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@@ -545,9 +545,9 @@ Und doch muß ich meinen Entschluß vor Ihnen verbergen.
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<line tab="1"/>Es scheint, daß Sie dazu gemacht sind, mir meine kleinen Systeme alle zu zerstören und zu schleifen. Kaum habe ich eine recht artige bunte Seifenblase vor dem Munde, so fahren Sie unbarmherzig drüber her und lachen mich aus, wenn ich stehe und den Kopf kratze. Ich muß Ihnen aber auch sagen, daß ich meine Kartenhäuser gern niederreißen lasse, weil in einer Stunde wieder ein neues da ist. An mir ist von Kindesbeinen an ein Philosoph verdorben, ich hasche immer nach der ersten besten Wahrscheinlichkeit, die mir in die Augen flimmert, und die liebe, bescheiden nackte Wahrheit kommt dann ganz leise von hinten und hält mir die Augen zu. Eine lange Kette von Ideen, wo eine die andere gibt, bis man, wenn man eine Weile gereist hat, die letzte findt und sich seines Zieles freuen kann, ist für meine Seele eine wahre Sklavenkette wie glücklich bin ich, wieder an Ihrer Hand zu gehen, wenn ich lange genug auf blumigten Wiesen herumgesprungen.
<line tab="1"/>Welch ein Wust von Allegorien! kann ich doch nicht davor, daß meine Seele jetzt so gestimmt ist. Mein Hauptsystem bleibt dennoch unverrückt, und das ist freilich einfach genug, aber . darum für meine Seele zuträglicher, weil sie Pein empfindet, wenn sie sich <it>lange</it> bei Wahrheiten aufhalten soll. Und das ist dieß: es geht mir gut in der Welt und wird mir in Ewigkeit gut gehen, so lang ich selbst gut bin, denn ich habe dort oben einen sehr guten Vater, der alles was er gemacht hat, sehr gut gemacht hat und wenn sich dies letztere mir nicht allezeit so darstellt, so liegt die Schuld an meinem dummen Verstande. Eine gewisse Offenbarung bestätigt dies mein Gefühl <aq>tant mieux</aq>! sie sagt mir, das anscheinend und wirklich Böse, in der Welt, fang jetzt schon an und solle dereinst ganz aufgehoben werden, und das hab ich dem Sohne Gottes zu danken, ob nun seiner Lehre allein, oder auch wirklich seinem Verdienste (wenn anders, um von Gott nicht menschlich zu reden, bei Gott ein Verdienst statt finden kann, denn bei ihm ist alles Gnade), <aq>tant mieux</aq>! sage ich, das ist eine schöne frohe Botschaft (Evangelium); ich glaube sie herzlich gern und freue mich darüber und dies, denk ich, ist der Glaube, der mich selig machen soll und schon hier glückselig oder selig macht, denn diese beiden Wörter, denk ich, sind auch eins. So werden wir, denk ich, in dem Extrakt unserer Religion ziemlich nahe bei einander stehen. Freilich haben Sie in vielen Punkten, die ich mir unterstrichen habe, mich so unter sich gekriegt, daß ich mich kaum noch rühren kann, in andern bin noch <aq>in suspenso</aq>, als daß Gott gar nichts in uns wirken kann u. a. m., wovon ich mündlich mehr mit Ihnen zu reden hoffe.
<line tab="1"/>Welch ein Wust von Allegorien! kann ich doch nicht davor, daß meine Seele jetzt so gestimmt ist. Mein Hauptsystem bleibt dennoch unverrückt, und das ist freilich einfach genug, aber darum für meine Seele zuträglicher, weil sie Pein empfindet, wenn sie sich <it>lange</it> bei Wahrheiten aufhalten soll. Und das ist dieß: es geht mir gut in der Welt und wird mir in Ewigkeit gut gehen, so lang ich selbst gut bin, denn ich habe dort oben einen sehr guten Vater, der alles was er gemacht hat, sehr gut gemacht hat und wenn sich dieß letztere mir nicht allezeit so darstellt, so liegt die Schuld an meinem dummen Verstande. Eine gewisse Offenbarung bestätigt dieß mein Gefühl <aq>tant mieux</aq>! sie sagt mir, das anscheinend und wirklich Böse, in der Welt, fange jetzt schon an und solle dereinst ganz aufgehoben werden, und das hab ich dem Sohne Gottes zu danken, ob nun seiner Lehre allein, oder auch wirklich seinem Verdienste (wenn anders, um von Gott nicht menschlich zu reden, bei Gott ein Verdienst statt finden kann, denn bei ihm ist Alles Gnade), <aq>tant mieux</aq>! sage ich, das ist eine schöne frohe Botschaft (Evangelium); ich glaube sie herzlich gern und freue mich darüber und dieß, denk ich, ist der Glaube, der mich selig machen soll und schon hier glückselig oder selig macht, denn diese beiden Wörter, denk ich, sind auch eins. So werden wir, denk ich, in dem Extrakt unserer Religion ziemlich nahe bei einander stehen. Freilich haben Sie in vielen Punkten, die ich mir unterstrichen habe, mich so unter sich gekriegt, daß ich mich kaum noch rühren kann, in andern bin noch <aq>in suspenso</aq>, als daß Gott gar nichts in uns wirken kann u. a. m., wovon ich mündlich mehr mit Ihnen zu reden hoffe.
<line tab="1"/>Das Eine bitt ich mir aus, nicht so verächtlich von dieser Welt zu sprechen. Sie ist gut, mein Gönner, mit allen ihren eingeschlossenen Uebeln, das Reich Gottes, wovon Christus immer redt, ist nicht allein in jenem Leben zu hoffen, denn er selbst hat uns im Vaterunser beten gelehrt „dein Wille geschehe im Himmel, wie auf Erden“. Wenns Glück gut ist, bin ich noch immer ein heimlicher Anhänger vom tausendjährigen Reiche, wenigstens glaub ich gewiß, daß der Zustand unserer Welt nicht immer derselbe bleiben wird. Und christlichphysisches Uebel muß immer mehr drin abnehmen, wenn das Moralische darin abnimmt, und das wollt ich beinahe beweisen, wenn anders eine Seele, die immer <aq>entrechats</aq> macht, wie eine Närrin, in ihrem Leben jemals etwas wird beweisen können.
<line tab="1"/> Eine Lieblingsidee haben Sie, mein Theurer, und das freut mich, weil ich auch <it>eine</it> habe. So bin ich Ihnen doch in einem Stück ähnlich, denn, wenn es auf eine Aussicht in eine aneinanderhangende Reihe von Wahrheiten ankömmt, da kann ich mich mit Ihnen nicht messen. Wissen Sie worin unsere Lieblingsideell bestehn? Die Ihrige ist die <it>Liebe</it> und die Meinige, die <it>Schönheit</it>. Vielleicht stehn diese, beide, nahe bei einander, oder fließen gar zusammen wenn nur meine Brille schärfer wäre! So viel ist gewiß, daß die letztere die einzige Idee ist, auf die ich alle andern zu reduzieren suche. Aber es muß die echte Schönheit sein, die auf Wahrheit und Güte gegründet ist, und in der höchsten und faßlichsten Uebereinstimmung der Henker mag sie definieren; ich fühle sie und jag ihr nach; freilich tritt sie mir noch oft hinter eine Wolke, aber ich werde sie einmal finden diese allein kann mein Herz mit Liebe gegen Gott (die Schönheit <aq>in abstracto</aq>) und gegen alles was geschaffen (die Schönheit <aq>in concreto</aq>) füllen. Freilich so nach Graden, so wie die Schönheit selber Grade hat. Da haben Sie meine Brille Ihre ist vortrefflich, aber ich kann noch nicht dadurch sehen, darum sind wir Individua. Genug, wir passen in das Ganze das Gott geschaffen hat und das ihm gefallt, so verschieden wie es ist, denn in der Natur sind keine vollkommene Aehnlichkeiten, sagen die Philosophen. Genug, ich fühle eine Affinität zu Ihnen, die ganz erschrecklich ist und obgleich ich die Lichtstralen, die Sie mir zuschicken, nicht mit den meinigen vereinigen kann, so mag ich sie doch gern damit verschwägern.
<line tab="1"/> Eine Lieblingsidee haben Sie, mein Theurer, und das freut mich, weil ich auch <it>eine</it> habe. So bin ich Ihnen doch in einem Stück ähnlich, denn, wenn es auf eine Aussicht in eine aneinanderhangende Reihe von Wahrheiten ankömmt, da kann ich mich mit Ihnen nicht messen. Wissen Sie worin unsere Lieblingsideen bestehn? Die Ihrige ist die <it>Liebe</it> und die Meinige, die <it>Schönheit</it>. Vielleicht stehn diese, beide, nahe bei einander, oder fließen gar zusammen wenn nur meine Brille schärfer wäre! So viel ist gewiß, daß die letztere die einzige Idee ist, auf die ich alle andern zu reduziren suche. Aber es muß die echte Schönheit sein, die auf Wahrheit und Güte gegründet ist, und in der höchsten und faßlichsten Uebereinstimmung der Henker mag sie definiren; ich fühle sie und jag ihr nach; freilich tritt sie mir noch oft hinter eine Wolke, aber ich werde sie einmal finden diese allein kann mein Herz mit Liebe gegen Gott (die Schönheit <aq>in abstracto</aq>) und gegen alles was geschaffen (die Schönheit <aq>in concreto</aq>) füllen. Freilich so nach Graden, so wie die Schönheit selber Grade hat. Da haben Sie meine Brille Ihre ist vortrefflich, aber ich kann noch nicht dadurch sehen, darum sind wir Individua. Genug, wir passen in das Ganze das Gott geschaffen hat und das ihm gefallt, so verschieden wie es ist, denn in der Natur sind keine vollkommene Aehnlichkeiten, sagen die Philosophen. Genug, ich fühle eine Affinität zu Ihnen, die ganz erschrecklich ist und obgleich ich die Lichtstralen, die Sie mir zuschicken, nicht mit den meinigen vereinigen kann, so mag ich sie doch gern damit verschwägern.
<line tab="1"/>Nun ists Zeit, daß ich vom Pegasus herabsteige, sonst wirft er mich ins Meer. Kaum hab ich so viel Athem Ihnen zu sagen, daß ich, zu der höchsten Uebereinstimmung der Welt das Zutrauen habe, daß sie mich nach Straßburg in Ihre Armen führen wird.
<line type="break" /><align pos="right">Lenz.</align>
</letterText>