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@@ -370,7 +370,7 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<line tab="1" />Ich habe die guten Mädchen von Ihnen gegrüßt: sie lassen Ihnen ihre ganze Hochachtung und Ergebenheit versichern. Es war ein Mädchen, das sich vorzüglich freute, daß ich so glücklich wäre, Ihre Freundschaft zu haben. Mündlich mehr. Ich komme in der Fronleichnamswoche zuverlässig nach Straßburg. Schon wieder eine Visite und schon wieder eine Ich bin mit einigen Offiziers bekannt und diese Bekanntschaft wird mir schon, in ihrer Entstehung lästig. Ich liebe die Einsamkeit jetzt mehr, als jemals und wenn ich sie nicht in Straßburg zu finden hoffte, so würde ich mein Schicksal hassen, das mich schon wieder zwingt, in eine lärmende Stadt zurückzukehren.
<line tab="1" />Was werden Sie von mir denken, mein theuerster Freund? Was für Muthmaßungen Aber bedenken Sie, daß dieses die Jahre der Leidenschaften und Thorheiten sind. Ich schiffe unter tausend Klippen auf dem Negropont, wo man mir mit Horaz zurufen sollte
<line type="empty" />
<align pos="center">><aq>Interfusa nitentes
<align pos="center"><aq>Interfusa nitentes
<line type="break" />Vites aequora Cycladas.</aq></align>
<line type="empty" />
<line tab="1" />Wenn ich auf einer dieser Inseln scheitre wäre es ein so großes Wunder? Und sollte mein Salzmann so strenge ·sein, mich auf denselben, als einen zweiten Robinson Crusoe, ohne Hilfe zu lassen? Ich will es Ihnen gestehen (denn was sollte ich Ihnen nicht gestehen?), ich fürchte mich vor Ihrem Anblick. Sie werden mir bis auf den Grund meines Herzens sehen und ich werde wie ein armer Sünder vor Ihnen stehen und seufzen, anstatt mich zu rechtfertigen. Was ist der Mensch? Ich erinnere mich noch wohl, daß ich zu gewissen Zeiten stolz einen gewissen G. tadelte und mich mit meiner sittsamen Weisheit innerlich brüstete, wie ein welscher Hahn, als Sie mir etwas von seinen Thorheiten erzählten. Der Himmel und mein Gewissen strafen mich jetzt dafür. Nun hab ich Ihnen schon zu viel gesagt, als daß ich Ihnen nicht noch mehr sagen sollte. Doch nein, ich will es bis auf unsere Zusammenkunft versparen. Ich befürchte, die Buchstaben möchten erröthen und das Papier anfangen zu reden. Verbergen Sie doch ja diesen Brief vor der ganzen Welt, vor sich selber und vor mir. Ich wünschte, daß ich Ihnen von Allem Nachricht geben könnte, ohne daß ich nöthig hätte zu reden. Ich bin boshaft auf mich selber, ich bin melancholisch über mein Schicksal ich wünschte von ganzem Herzen zu sterben.
@@ -378,7 +378,8 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<line tab="1" />Heute reiset Mad. Brion mit ihren beyden Töchtern nach Sarbrücken, zu ihrem Bruder auf 14 Tage, und wird vielleicht <b>ein Mädchen</b> da lassen, das ich wünschte nie gesehen zu haben. Sie hat mir aber bei allen Mächten der L geschworen, nicht da zu bleiben. Ich bin unglüklich, bester bester Freund! und doch bin ich auch der glücklichste unter allen Menschen. An demselben Tage vielleicht, da sie von Saarbrük zurük kommt, muß ich mit H. v. Kleist nach Straßburg reisen. Also einen Monath getrennt, vielleicht mehr, vielleicht auf immer Und doch haben wir uns geschworen uns nie zu trennen. Verbrennen Sie diesen Brief es reut mich, daß ich dies einem treulosen Papier anvertrauen muß. Entziehen Sie mir Ihre Freundschaft nicht: es wäre grausam mir sie jetzt zu entziehen, da ich mir selbst am wenigsten genug bin, da ich mich selbst nicht leiden kann, da ich mich umbringen möchte, wenn das nichts Böses wäre. Ich bin nicht schuld an allen diesen Begebenheiten: ich bin kein Verführer, aber auch kein Verführter, ich habe mich leidend verhalten, der Himmel ist schuld daran, der mag sie auch zum Ende bringen. Ich schließe mich in Ihre Arme als
<line type="break" /><align pos="right">Ihr melancholischer Lenz.</align>
<line type="empty" />
<line type="break" /><note>am Rand</note> Haben Sie die Gütigkeit, der ganzen Tischgesellschaft meine Ergebenheit zu versichern. … <line type="break" /><line tab="1" />Ums Himmels, um meines Mädchens und um meinetwillen, lassen Sie doch alles dies ein Geheimnis bleiben. Von mir erfahrt es niemand als mein zweites Ich.
<line type="break" /><note>am Rand</note> Haben Sie die Gütigkeit, der ganzen Tischgesellschaft meine Ergebenheit zu versichern. …
<line tab="1" />Ums Himmels, um meines Mädchens und um meinetwillen, lassen Sie doch alles dies ein Geheimnis bleiben. Von mir erfahrt es niemand als mein zweites Ich.
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<letterText letter="10"> Fort Louis d. 10ten Junius 1772