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@@ -491,7 +491,7 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<line type="break" /><line tab="1"/>Sagen Sie doch dem Ott, daß er den <it>Lenz</it> nicht über dem <it>Herbst</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> vergesse.
</letterText>
<letterText letter="22"><align pos="center">>Würdiger Mann!</align>
<letterText letter="22"><align pos="center">Würdiger Mann!</align>
<line tab="1"/>Ich sehe in Ihrem Raritätenkasten alles, was uns die Herrn Modephilosophen und Moralisten, mit einer marktschreierischen Wortkrämerei, in großen Folianten hererzählen, in zwei Worten zusammengeraßt und so glücklich zusammengefaßt, daß sich dazu weder zusetzen noch davon abnehmen läßt. Das ist vortrefflich also das Ziel ist gesteckt, nun Ihre Hand her, mein Sokrates, wir wollen darauf zugehen, wie auf ein stilles und friedelächelndes Zoar und die hinterlassenen Vorurtheile immer in Feuer und Schwefel aufgehen lassen, ohne uns darnach umzusehen. Mögen furchtsame Weiber sich darnach umsehen und drüber zu Salzsäulen werden.
<line tab="1"/>Um noch eine Stelle Ihres ohnendletzten Briefes zu berühren, wo Sie mir zu bedenken aufgaben, ob Gott wohl uns das Gute könne schwerer machen, als das Böse, oder (um mit Ihren Worten mich auszudrücken) ob er wohl die <aq>vim inertiae</aq> in uns stärker könne gemacht haben, als die <aq>vim activam</aq>, so antworte ich, daß ich keine <aq>vim inertiae</aq> glaube. Bedenken Sie doch, mit welchem Fug, wir wohl für die Unthätigkeit eine Kraft annehmen können? Vereinigung einer Kraft ist sie, Vernachlässigung der <aq>vis activa</aq>, welche in Wirksamkeit und Thätigkeit zu setzen, allemal in unserm Belieben steht oder nicht. Es ist aber die Natur einer jeden Kraft, daß sie nur durch Übung erhalten und vermehrt, durch Vernachlässigung aber, so zu sagen eingeschläfert und verringert wird. Und daß die Übung dieser Kraft schwerer, als ihre Vernachlässigung sey, liegt in der Natur der Sache und konnte von Gott nicht verändert werden. <aq>Positio</aq> ist allemal schwerer als <aq>negatio</aq>, wirken schwerer als ruhen, thun schwerer als nicht thun.
<line tab="1"/>Was die Einwirkung Gottes in die Menschen betrifft, so kann ich mir nur vier Arten davon denken. Er unterstützt und erhält die in uns gelegten Kräfte und Fähigkeiten diese ist <it>natürlich</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? -->, das heißt, unsere Vernunft kann sie auch ohne Offenbarung erkennen; und <it>unmittelbar</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> hernach, er leitet die äußern Umstände und Begebenheiten in der Welt so, daß eine oder die andere Fähigkeit in uns entwickelt oder vergrößert werde, je nachdem es sein Rathschluß für gut befindet, diese ist gleichfalls <it>natürlich</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> aber mittelbar. Zum dritten wirkt er durch die in uns geoffenbarten Wahrheiten diese ist also, ihrem ersten Ursprung nach, <it>übernatürlich</it>, aber zugleich <it>mittelbar</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> und den Gesetzen der Natur gemäß. Zum vierten wirkt er übernatürlich und unmittelbar, wie in den Propheten und Aposteln; diese Einwirkung ist über die Gesetze der Natur erhaben, läßt sich also nicht mehr erklären (wiewohl wir auch nicht das Recht haben, sie noch jetzt aus der gegenwärtigen Welt auszuschließen, im Fall die Gottheit gewisse außerordentliche Endzwecke dadurch befördern wollte, welchen Fall aber, meiner Meinung nach, unsere Vernunft nie determiniren kann, sondern vielmehr jedes Phänomen für verdächtig halten muß, welches nicht die dazu erforderlichen Kennzeichen bei sich hat).
@@ -499,7 +499,7 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<line type="break" /> Hier ist mein Trauerspiel mit dem Wunsch: möchte dieser Raritätenkasten des Ihrigen werth seyn. Das beste ist, daß wir beim Tausch nicht verlieren, denn unter sympathisirenden Seelen ist <aq>communio bonorum</aq>.
<line tab="1"/>Es ist wahr, meine Seele hat bei aller anscheinenden Lustigkeit, jetzt mehr als jemals, eine tragische Stimmung. Die Lage meiner äußern Umstände trägt wohl das Meiste dazu bei, aber sie soll sie, sie mag sie nun höher oder tiefer stimmen, doch nie verstimmen. Eine sanfte Melancholei verträgt sich sehr wohl mit unserer Glückseligkeit und ich hoffe nein ich bin gewiß, daß sie sich noch einst in reine und dauerhafte Freude auflösen wird, wie ein dunkler Sommermorgen, in einen wolkenlosen Mittag. Auch fehlen mir jetzt öftere Sonnenblicke nicht, nur kann freilich ein Herz, dem die süßen Ergötzungen der Freundschaft und der Liebe sogar einer vernünftigen Gesellschaft genommen sind, bisweilen einen Seufzer nicht unterdrücken. An den Brüsten der Natur hange ich jetzt mit verdoppelter Inbrunst, sie mag ihre Stirne mit Sonnenstrahlen oder kalten Nebeln umbinden, ihr mütterliches Antlitz lächelt mir immer und oft wird ich versucht, mit dem alten Junius Brutus, mich auf den Boden niederzuwerfen und ihr mit einem stummen Kuß für ihre Freundlichkeit zu danken.
<line tab="1"/>In der That, ich finde in der Flur, um Landau, täglich neue Schönheiten und der kälteste Nordwind kann mich nicht von ihr zurückschrecken. Hätt ich doch eines göttlichen Malers Pinsel, ich wollte Ihnen gleich einige Seiten von diesem vortrefflichen Amphitheater der Natur hinmalen, so lebhaft hats sich in meiner Fantasei abgedrückt. Berge, die den Himmel tragen, Thäler voll Dörfnern zu ihren Füßen, die dort zu schlafen scheinen, wie Jakob am Fuß seiner Himmelsleiter. Doch ich würde nur schwärmen, wenn ich fortführe und dafür muß ich meinen Geist in Acht nehmen. Ich hatte vor einigen Tagen einen Brief an Sie fertig, aber ich verbrannte ihn, denn ich hatte darin geschwärmt. Ich habe schon viel Papier hier verbrannt ein guter Genius hat über dies Trauerspiel gewacht, sonst und vielleicht hätten Sie nichts dabei verloren. So viel muß ich Ihnen sagen, daß ich es bei diesem ersten Versuch nicht werde bewenden lassen, denn ich fühle mich dazu Ich muß abbrechen und Ihnen gute Nacht sagen. Möchten Sie doch aus Ihren Träumen lachend erwachen, wie ich heute Morgen aus den meinigen.
<align pos="right">Lenz.</align>
<line type="break" /><align pos="right">Lenz.</align>
</letterText>
<letterText letter="23">
@@ -516,19 +516,13 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<line type="break"/><align pos="right">Lenz.</align>
</letterText>
<letterText letter="24">Mein
<line type="empty"/>
<letterText letter="24"><align pos="center">Mein </align>
<line tab="1"/>Doch ich will, von jetzt an, immer ohne Titel an Sie schreiben. Wenn Geister zu einander treten und sich miteinander besprechen, so können sie, mein ich den Scharrfuß wohl weglassen. Ich schreibe an Sie, um Ihnen eine Veränderung zu melden, die mit mir vorgegangen. Ich bin ein Christ geworden glauben Sie mir wohl, daß ich es vorher nicht gewesen? Ich habe an allem gezweifelt und bin jetzt, ich schreib es mit von dankbarer Empfindung durchdrungenem Herzen, zu einer Ueberzeugung gekommen, wie sie mir nöthig war, zu einer philosophischen, nicht bloß moralischen. Der theologische Glaube ist das <aq>complementum</aq> unserer Vernunft, das dasjenige ersetzt, was dieser zur gottfälligen Richtung unsers Willens fehlt. Ich halte ihn also blos für eine Wirkung der Gnade, zu der wir nichts beitragen, als daß unser Herz in der rechten Verfassung sey, sie anzunehmen; diese Verfassung aber besteht in einer vollkommen ernstlichen Liebe zur Tugend, zum Wahren, Guten und Schönen. Dieser Glaube ist eine nothwendige Gabe Gottes, weil bei den meisten Menschen die Vernunft noch erst im Anfange ihrer Entwicklung ist, bei vielen aber niemals entwickelt wird. Je mehr sich aber unsere Vernunft entwickelt (das geht bis ins Unendliche), desto mehr nimmt dieser <aq>moralische</aq> Glaube, der in der That mehr in den Empfindungen als in der Erkenntnis gegründet ist, ab und verwandelt sich in das Schauen, in eine Ueberzeugung der Vernunft. Ueberhaupt bedürfen wir nicht mehr und nicht weniger moralisch zu glauben, als zur Seligkeit nothwendig ist, das übrige haben wir immer noch die Freiheit in <aq>suspenso</aq> zu lassen. Aber auch dieses müssen wir viel mehr suchen in Erkenntnis und Anschauen zu verwandeln, weil, nach Ordnung Gottes, unser Wille sich nach unserer Erkenntniß richtet.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dieses sind die Prämissen, die ich Ihnen voranschicke, um Ihnen eine vollständige Idee von meiner Ueberzeugung von unsrer Religion zu geben. Ich habe bisher die Erlösung unsers Heilands für nichts, als ein in die Augen fallendes Beispiel der Folgen der Sünde gehalten, das uns an der Person des vollkommensten Menschen, zur heilsamen Warnung aufgestellt worden. Denn, hab ich gedacht, die Idee eines Verdienstes, und wär es auch des vollkommensten, widerspricht der allervollkommensten Barmherzigkeit Gottes, als welche nicht braucht erst durch ein Verdienst sich die Vergebung unserer Sünden gleichsam abfodern und abzwingen zu lassen. Aber ich habe gefunden, daß ich sehr irrte. Gott ist die Liebe allein die übeln Folgen der Sünde aufzuheben (denn das heißt Sünde vergeben) ohne die Sünde durch eben diese übeln Folgen zu strafen, hieße die Natur dessen, was gut und böse ist, verändern und uns eben so viel Aufmunterung zum Bösen, als zum Guten, geben. Aber diese übeln Folgen der Sünden einer ganzen Welt, auf einen dritten Gegenstand lenken, das konnte Gott, das wird der Vernunft nicht schwer zu begreifen, das war das einzige Mittel, Sünde zu vergeben, ohne sie zu strafen. Und eben dies läßt seine Barmherzigkeit in dem nämlichen Glanze. Freilich könnt es scheinen, daß sie, gegen diesen dritten Gegenstand, welchen wir so lange unsern Heiland nennen wollen, nicht ausgeübt worden, allein eben dieses ist der Gegenstand unsers Glaubens, hier kann die Vernunft nicht weiter. Die Offenbarung sagt uns, dieser Heiland sei ein ganz reiner vollkommener Mensch, vielleicht das Ideal der menschlichen Natur gewesen, dem sich die Gottheit selbst, auf eine, uns unbegreifliche, Weise offenbart und mitgeteilet (das Wort vereinigt find ich nicht in der Bibel und ist schon ein Schritt zu weit von unsern Theologen), den die Gottheit selbst, zu diesem großen Geschäft unterstützt; den die Gottheit selbst, nach Vollendung desselben belohnt und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Dieser Heiland aber, hat uns, außer seiner Lehre und Beispiel, auch sein Verdienst gelassen, dessen er uns durch die Sakramente theilhaftig macht. Indem er sich besonders durch das Sakrament des Abendmahls auf eine, zwar unbegreifliche, aber doch der Vernunft nicht widersprechende, Art, mit uns geistig verbindet, so daß wir jetzt gleichsam alle an seiner vollkommnen menschlichen Natur Antheil nehmen. Die Pflichten des Christenthums aber, laufen alle dahin zusammen, diese Wahrheiten, die Christus uns verkündigt, zu glauben, gegen ihn voll Liebe und Dankbarkeit sein Leben immer besser zu studieren, damit wir ihn immermehr lieben und nachahmen, von ihm aber (welches die Hauptsache ist) zu Gott, als dem höchsten Gut, hinauf zu steigen, ihn immer besser erkennen zu lernen, ja, alle Erkenntnisse, die wir hier erwerben, zu ihm, als dem letzten Ziel zu lenken, um ihn als die Quelle alles Wahren, Guten und Schönen mit allen Kräften unserer Seele zu lieben und (das ist die natürliche Folge davon) seinen Willen auszuüben, d.h. ihn von ferne, im Schatten, nachzuahmen, wie er ganz Liebe und Wohlthätigkeit gegen das menschliche Geschlecht, so kein größeres Glück kennen, als andere glücklich zu machen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sehen Sie hier den Extrakt meiner Religion, das Fazit einer aufmerksamen Lesung der Evangelisten, deren göttliche oder menschliche Begeisterung ich unausgemacht lasse, und sie bloß als aufrichtige Erzähler ansehe. Denn dieses ist gut zu wissen, aber nicht verderblich nicht zu wissen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe es für nöthig gehalten, Ihnen den Zustand meiner Seele zu schildern, damit wir uns ganz kennen lernen. Ich bin also jetzt ein guter evangelischer Christ, obgleich ich kein orthodoxer bin. Kann ich in meiner Überzeugung weiter kommen, so will ich dem Gott dafür danken, der es weiß, daß dieses das Lieblingsstudium meiner Seele ist und ewig bleiben wird.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Doch hoffe ich, niemals Prediger zu werden. Die Ursachen da müßt ich Ihnen Bogen voll schreiben. Ich fühle mich nicht dazu. Dies ist aber kein dunkles, sinnliches sondern das Gefühl meines ganzen Wesens, das mir so gut als Überzeugung gilt. Aber ich fühle mich als Ihren Freund
<line type="empty"/>
<line type="break"/>Lenz.
<line type="break"/><align pos="right">Lenz.</align>
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@@ -150,20 +150,19 @@
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August Stöber: Der Dichter Lenz und Friederike von Sesenheim. Basel 1842, S. 7478
August Stöber: Der Dichter Lenz und Friederike von Sesenheim. Basel 1842, S. 7478. Die Manuskripte der Briefe an Salzmann sind beim Brand der Straßburger Bibliothek 1870 verloren gegangen.
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August Stöber: Der Aktuar Salzmann, Goethes Freund und Tischgenosse in Strassburg.
Frankfurt am Main 1855, S. 7177
August Stöber: Der Aktuar Salzmann, Goethes Freund und Tischgenosse in Strassburg. Frankfurt am Main 1855, S. 7177. Die Manuskripte der Briefe an Salzmann sind beim Brand der Straßburger Bibliothek 1870 verloren gegangen.
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August Stöber: Der Dichter Lenz und Friederike von Sesenheim. Basel 1842, S. 7882
August Stöber: Der Dichter Lenz und Friederike von Sesenheim. Basel 1842, S. 7882. Die Manuskripte der Briefe an Salzmann sind beim Brand der Straßburger Bibliothek 1870 verloren gegangen.
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