This commit is contained in:
gbabelo
2025-05-28 12:17:16 +02:00
parent 3fe24e71d0
commit ae870558ed
2 changed files with 33 additions and 61 deletions

View File

@@ -1614,40 +1614,33 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<line type="break"/>in Coblenz.</address>
</letterText>
<letterText letter="93"><align pos="right">G. den 2. Jenner. 76.</align>
<line type="empty"/>
<letterText letter="93"><page index="1"/><align pos="right">G. den 2. Jenner. 76.</align>
<line tab="1"/>Mein erster Brief in diesem Jahre ist an Sie, liebster Lenz. Ich habe keinen Posttag versäumen wollen, Ihnen die Ankunft Ihrer Algierer zu melden und die versprochenen 4. Louisdor zu schicken. Zwar hab ich noch keine Antwort von Seyler, aber ich bin gewiß, daß er mir für den Händel Dank wißen wird. Was ich sonst noch mit dem Stücke bey dem hiesigen oder Hamburger Theater erwuchern kann, sollen Sie ohne Verzug haben; alles mit dem gehörigen Anstand und Dekorum. Deshalb können Sie außer Sorge seyn. Übrigens seh ich aber nicht recht ein, warum wir Schriftsteller, da wir von dem Publikum überhaupt so wenig Belohnung zu hoffen haben, mit den Theaterdirektoren Komplimente machen oder vielmehr uns eines Händels schämen sollen, der in der ganzen Welt eingeführt ist. Doch wer hierunter Delikateße hat, muß geschonet werden. Goethe war vorige Woche hier; aber wie kurz! Er kam nach Mitternacht auf der Redoute an, brachte den folgenden Tag bey Hofe zu und reiste sodann mit der Weimarischen Herrschaft wieder zurück. Ich hab ihn in allem kaum eine Viertelstunde gesprochen. Er weiß noch nicht, wie lang er in Weymar bleiben wird, wo er den Günstling in bester Form und Ordnung spielt und den ihm eignen vertraulichen, nachlässigen, hingeworfnen Ton überall eingeführt hat. Ich muß ehestens hinüber, um mich selbst von dem Fuß zu über
<page index="2"/>zeugen, auf welchem er mit Wiel. steht. Was man davon hier erzählt, ist nicht zum Vortheil des leztem.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein Urtheil über die Algierer? Noch kann ich nichts, als sie loben. Zum urtheilen muß ich erst ein wenig kälter werden. Wenn dieses Stück keine Würkung thut, so geb ich mich nie wieder mit theatralischer Nativitätstellung ab. Solch ein warmes, ungetheiltes Intereße! Solche gedrängte Handlung! Solche Einfalt in Gang und Sprache! Mich dünkt ich höre schon Ekhof Alonzo. Daß ich, durch Hülfe eines Mittlern Vorhangs die Akte zusammengerückt und aus fünf, 3. gemacht, auch ein paar Ausdrücke gelindert habe, werden Sie mir verzeihen. Und dann einen einzigen Einwurf. Pietro ist seinem Vater ungefähr in seinem zehnten, zwölften Jahr entrissen worden. Sollt er sich so sehr verändert haben, daß Alonzo nicht die geringste Spur von Ahnlichkeit mehr fände und wenn das wäre, auch der Vater? Pietro hört sich von seinem Vater nennen und sein Herr sollte diese bekannte Stimme nicht wieder erkennen?
<line type="empty"/>
<line tab="1"/><ul>Meine</ul> theatralischen Sachen lohnen des Postgelds nicht, sonst schickt ich sie Ihnen mit Vergnügen; aber sobald sich eine Gelegenheit zeigt, solls geschehen. Das Beste darunter ist noch nicht gedruckt; der <ul>Jahrmarkt,</ul> eine Operette und <ul>Mariane,</ul> ein bürgerliches Trauerspiel, nach der Melanie des Ia Harpe, aber so umgearbeitet, daß ich es
<page index="3"/>so gut mein nennen kann, als Racine seine aus dem Euripides gestohlnen Tragödien. Ich weiß selbst nicht, warum <insertion pos="top">ich</insertion> es noch nicht über mich gewinnen kann, nach eignem Plane zu arbeiten.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre Anmerkungen wegen des von den beyden Freunden zu beobachtenden Spiels sind vortreflich und ich werde sie gehörigen Orts mittheilen.
<line type="empty" />
<line type="break" />Empfehlen Sie mich den beiden Hhn. Salzmann u. H. Michaelis, wenn sie ihn sehen.
<line type="empty" />
<line type="break" />Mein Freund Sulzer ist auf einer Reise ins Hannöverische, um die Beschaffenheit der dortigen Viehseuche zu untersuchen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und meine Schwester in Lion bald hätt ich Ihre ver<tl></tl>liche Nachfrage nicht beantwortet befindet sich wo<tl></tl> wünscht aber sehnlich, künftiges Frühja<tl></tl> land zurückzukommen. Es wäre freylich <tl></tl> ich ihr bis Straßburg entgegen reisen kön<tl></tl> Die Stollberge sind schon vor einigen Woch<tl></tl> gereist und haben sich nur zwey Tage a<tl></tl> Fahren Sie fort mein Freund und von der Red<tl></tl> meines Herzens überzeugt zu seyn! Der Himmel laß es Ihnen sowohl gehen, als es Ihnen wünscht
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="right">Ihr G.</align>
<page index="4"/><address>An Herrn
<page index="4"/>
<line type="empty" />
<address><line type="break" />An Herrn
<line type="break"/>Herrn <ul>Lenz</ul>
<line type="break"/>mit 4. Louisdor
<line type="break"/>in <ul>Strasbourg.</ul>
<line type="break"/>abzugeben bey Jngfer <ul>Lutte</ul> in der Knoblochsgaße.</address>
</letterText>
<letterText letter="94"><align pos="right">D. 2ten Jenner 76. Strabg</align>
<line type="empty"/>
<letterText letter="94"><page index="1"/><align pos="right">D. 2ten Jenner 76. Strabg</align>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich kann denen Leuten die meinem Herzen am nächsten sind am wenigsten sagen. Wir steuren vielleicht auf einer See unter dem nehmlichen Winde nach einem Ziel. Lassen Sie uns nie vergessen wenn Dunkelheit weit um uns her auf dem grossen Ocean liegt, daß wir uns lieben, wenn wirs uns schon nicht sagen können und alles für einander zu thun und zu leiden entschlossen sind.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Daß einmal Schönheit an Höfen aufgehe, wenn der rasende Sturm sich gelegt hat, der itzt durch die schwüle Mittagshitze zusammengezogen wird. Innere wesentliche ewige Schönheit deren Reitz nicht veraltet.
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="center">Lenz.</align>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>ich höre Sie arbeiten an einem Trauerspiel etwa auch Pastoral? Oder aus der Welt? Oder aus der Geschichte? Was es wolle, daß Sie nur unterstützt würden und ich mehr als Fauler seyn könnte dürfte der über seinen Wünschen stirbt. So aber da ich selbst in Ihrem Fall bin, fremd und ganz ohne Zuflucht hier ausser der in mir selbst Courage!
</letterText>
@@ -1661,8 +1654,7 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<letterText letter="96"><align pos="center">Göttingen. Den 10ten Januar. 1776.</align>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie soll ich Ihnen meinen Dank sagen für Ihre vortrefliche Erzählung, mein liebster Lenz! vortreflicher, als ich noch eine in unsrer Sprache kenne, und die, durch Ihre Freundschaft, in mein Museum! Ich habe das erste Stück noch nicht, und weiß nicht eigentlich, was darin steht. Da ich mehr Mspt schicken mußte, als hineingeht, fürcht ich hat der Verleger aus eigner Bewegung was ausgelaßen, was nicht ausgelaßen werden sollte. Ich habe ihm heut Ihren Zerbin zugeschickt, und er kömmt ins zweyte Stück. Aber, um des Himmels willen, Freund, laßen Sie sich nicht merken, was ich Ihnen schicke. Ich kann keinem andern das geben, oder ich bin verloren mit dem ganzen Unternehmen, von dem ich mir jetzt selbst schon was zu versprechen anfange. Dank für die schönen Aussichten, die auch Sie mir machen. Freylich kenn und schätz ich Herrn Bleßig. Er hatte schon hier, so viel ich weiß, die Idee, von der Sie mir schreiben, und es soll mir sehr willkommen seyn, wenn er die Ausführung ins Museum geben will. Grüßen Sie ihn. Ich freue mich, daß sie einander kennen. Ein herrlicher Einfall mit Ihrer Gesellschaft von Freunden der Litteratur! Ich werde, wo ich hinkomme, auch eine zu veranlaßen suchen, wenn ich gleich solche Aussichten nicht vor mir habe, wie Sie. Es ist fast entschieden, daß ich nach Hannoverunter recht guten Bedingungen komme. Indeß bleib ich noch diesen Monat hier. Sehr viel hab ich, bey meinem lezten Aufenthalt, mit Zimmermann von Ihnen gesprochen. Wo sehen wir uns einmal? Ich brenne vor Begierde, Sie persönlich kennen zu lernen. Sagen Sie mir Ihre Aussichten. Werden Sie je eine Bedienung suchen. Und von welcher Art? Daß das, was Sie mir lezt schrieben, bey mir bleibt, versteht sich von selbst … Ist Pfeffel in Colmar auch unter ihnen? Schloßer hat mir neulich durch Prof. Meiners, mit dem er in Kor
<page index="2"/>respondenz steht, etwas Neues versprechen laßen, welches ich mit Begierde erwarte. Nun Göthe sich mit W. verbunden, darf ich mir von ihm nichts versprechen. Voß schickt mir eben einen Almanach für Sie. Ob Sie damit zufrieden seyn werden, daß er Sie unter dem Epigram genannt, weiß ich nicht. Ich bin nicht Schuld daran. Da es nicht mehr Postgeld macht, und ich das Geld desto bequemer beypacken kann, schließ ich das Paket an Pfeffel bey, und bitte, es gütigst zu besorgen. Sie werden sich über die Nachricht freuen, daß Gerstenberg endlich aus seinem litterarischen Schlaf aufwacht, und daß wir diesen Sommer ein paar Bände Schriften, so viel ich weiß ungedruckte, von ihm zu erwarten haben. Es ist eine Oper darunter. Wißen Sie etwas von einem jungen Genie, das in Kostnitz aufgewacht seyn soll, und von dem mir Zimmermann sehr viel erzählt hat? Von Klopstock bekommen wir Ostern eine deutsche Grammatik. Wie weit es mit dem zweyten Theil der G. R. ist, weiß ich nicht. Ein Versuch über die Biegsamkeit unsrer Sprache, den ich daraus gelesen, war herrlich. K. hatte darin Stellen aus den besten Griechen und Lateinern, jede in ihrem eignen Ton, übersetzt. Eine vollkommere Uebersezung ist vielleicht nicht, als die von dem berühmten Briefe des Brutus an den Oktavius. Wie gefallen Ihnen Voßens Idyllen? Er macht izt neue. Und Stolbergs Felsenstrom im Alm? Sein Meisterstück nach meinem Gefühle! Wißen Sie, daß Claudius eine Bedienung im Darmstädtischen bekommt? Ich erwart ihn nächstens hier. Die Stolberge sind izt wieder auf ihrer Reise nach Dänemark. Die armen Kammerherrn in der Antichambre! Wenn das erste Stück des Museums in
<line tab="1"/>Wie soll ich Ihnen meinen Dank sagen für Ihre vortrefliche Erzählung, mein liebster Lenz! vortreflicher, als ich noch eine in unsrer Sprache kenne, und die, durch Ihre Freundschaft, in mein Museum! Ich habe das erste Stück noch nicht, und weiß nicht eigentlich, was darin steht. Da ich mehr Mspt schicken mußte, als hineingeht, fürcht ich hat der Verleger aus eigner Bewegung was ausgelaßen, was nicht ausgelaßen werden sollte. Ich habe ihm heut Ihren Zerbin zugeschickt, und er kömmt ins zweyte Stück. Aber, um des Himmels willen, Freund, laßen Sie sich nicht merken, was ich Ihnen schicke. Ich kann keinem andern das geben, oder ich bin verloren mit dem ganzen Unternehmen, von dem ich mir jetzt selbst schon was zu versprechen anfange. Dank für die schönen Aussichten, die auch Sie mir machen. Freylich kenn und schätz ich Herrn Bleßig. Er hatte schon hier, so viel ich weiß, die Idee, von der Sie mir schreiben, und es soll mir sehr willkommen seyn, wenn er die Ausführung ins Museum geben will. Grüßen Sie ihn. Ich freue mich, daß sie einander kennen. Ein herrlicher Einfall mit Ihrer Gesellschaft von Freunden der Litteratur! Ich werde, wo ich hinkomme, auch eine zu veranlaßen suchen, wenn ich gleich solche Aussichten nicht vor mir habe, wie Sie. Es ist fast entschieden, daß ich nach Hannoverunter recht guten Bedingungen komme. Indeß bleib ich noch diesen Monat hier. Sehr viel hab ich, bey meinem lezten Aufenthalt, mit Zimmermann von Ihnen gesprochen. Wo sehen wir uns einmal? Ich brenne vor Begierde, Sie persönlich kennen zu lernen. Sagen Sie mir Ihre Aussichten. Werden Sie je eine Bedienung suchen. Und von welcher Art? Daß das, was Sie mir lezt schrieben, bey mir bleibt, versteht sich von selbst … Ist Pfeffel in Colmar auch unter ihnen? Schloßer hat mir neulich durch Prof. Meiners, mit dem er in Kor-<page index="2"/>respondenz steht, etwas Neues versprechen laßen, welches ich mit Begierde erwarte. Nun Göthe sich mit W. verbunden, darf ich mir von ihm nichts versprechen. Voß schickt mir eben einen Almanach für Sie. Ob Sie damit zufrieden seyn werden, daß er Sie unter dem Epigram genannt, weiß ich nicht. Ich bin nicht Schuld daran. Da es nicht mehr Postgeld macht, und ich das Geld desto bequemer beypacken kann, schließ ich das Paket an Pfeffel bey, und bitte, es gütigst zu besorgen. Sie werden sich über die Nachricht freuen, daß Gerstenberg endlich aus seinem litterarischen Schlaf aufwacht, und daß wir diesen Sommer ein paar Bände Schriften, so viel ich weiß ungedruckte, von ihm zu erwarten haben. Es ist eine Oper darunter. Wißen Sie etwas von einem jungen Genie, das in Kostnitz aufgewacht seyn soll, und von dem mir Zimmermann sehr viel erzählt hat? Von Klopstock bekommen wir Ostern eine deutsche Grammatik. Wie weit es mit dem zweyten Theil der G. R. ist, weiß ich nicht. Ein Versuch über die Biegsamkeit unsrer Sprache, den ich daraus gelesen, war herrlich. K. hatte darin Stellen aus den besten Griechen und Lateinern, jede in ihrem eignen Ton, übersetzt. Eine vollkommere Uebersezung ist vielleicht nicht, als die von dem berühmten Briefe des Brutus an den Oktavius. Wie gefallen Ihnen Voßens Idyllen? Er macht izt neue. Und Stolbergs Felsenstrom im Alm? Sein Meisterstück nach meinem Gefühle! Wißen Sie, daß Claudius eine Bedienung im Darmstädtischen bekommt? Ich erwart ihn nächstens hier. Die Stolberge sind izt wieder auf ihrer Reise nach Dänemark. Die armen Kammerherrn in der Antichambre! Wenn das erste Stück des Museums in
<page index="3"/>Ihre Hände kömmt, sagen Sie mir Ihre Gedanken. Anbey folgt der Schulmeister zurück. Ich hätte gern das Original als ein Andenken von Ihrer Hand behalten, und habs abschreiben laßen. Wenn die Abschrift leserlich ist, schick ich Ihnen die. Leben Sie wohl, und bleiben Sie mir gut. Ohne Falsch, <insertion pos="top">ohne</insertion> alle Nebenabsicht der Ihrige Boie.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von den W. noch keine Nachricht. Wüßt ich, daß sie bald kämen, hätt ich das Packet bis dahin aufgehalten, um Postgeld zu ersparen. Wenn Sie doch solcher Erzählungen, wie Zerbin, noch mehr machten! Auch den Anschluß an Hn. Schneider bitte zu besorgen. Ich habe keine Dukaten, und hoffe, Sie werden auch die L. brauchen können. 4 <aq>Louisd.</aq> machen 7 Duk.
@@ -1670,89 +1662,69 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
<letterText letter="97">
<line tab="1"/>Ich schreibe Dir, lieber <it>Lenz,</it> dießmahl in einer wunderlichen Verfassung Ich habe da ein anderthalb Hundert Bürger um mich deren Wohlfart ich besorgen soll; und die doch selten selbst wissen was ihre Wohlfart ist doch wer weis es? warlich, lieber Freund, es ist sehr schwehr, es ist fast unmöglich in der Welt Leute glücklich zu machen, die so in tausend und tausend Verhältnisse verwickelt sind, so in und ausser sich immer zu kämpfen haben, daß sie alle 2 Schritte anstoßen. Auch ist wirklich das Gebäude von menschlicher Mühseeligkeit so zusammen gesetzt daß an dieser dädalischen Maschine alle Augenblicke etwas fehlen muß.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Doch in der That, mein Lieber, wenn ich mir recht auf den Puls fühle, so ist der gröste Defect an Glückseeligkeit meiner und ich glaube auch wohl aller Menschen negatif. Es ist nicht so viel Schmerz und Leiden, als vielmehr Oede an herzrührenden herzfühlenden Freuden, das uns drückt. Daher kommt das Gähnen die größte Quaal des Lebens, das Jagen nach falscher Glückseeligkeit oder Freude, das Haschen nach Ehre, der Durst der Eitelkeit, das Koketiren des Mädchens, des Dichters, des Autors, und die tausend Schmetterlinge nach denen wir immer greifen, und die uns nie gnügen, wenn wir sie haben.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und woher dünkt Dich kommt das? Meinst Du daß es an Armut der Welt, oder glaubst Du daß es an Schlaffheit der Mode liegt? Sterben wir aus <aq>inedia</aq> oder <aq>ex fame</aq>?
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mich dünkt es fehlt mehr an uns als an der Welt. Die Freuden der Liebe, der Freundschaft, des ächten Wohlthuns, des Lebens mit Gott, die Freude des Künstlers an Ton, an Farbe, an Gestalt, sollte uns das nicht überzeugen daß die Welt reich genug ist und daß nur wir zu schwache Magen haben. Und ists nicht blos die Erziehung die uns diese geschwächt hat?
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin einmal in der Meinung daß kein Philister gebohren wird. In allen sind einige Nerven vorzüglich gespannt, die durch die Erziehung so vest und sicher gestimmt werden können, daß die seelige Vibration nie fehlen kann, wir mögen uns in der Welt hinwenden wohin wir wollen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Leb wohl! Der Augenblick den ich während des Schreibens des Actuarii erwischte, ist vorbey! Ich küsse Dich herzlich!
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Du schreibst mir nichts von den Büchern die ich verlangte: Herodot, Diod. Sic. und Plutarch. Kannst Du sie nicht haben <it>Lindau</it> ist ein Stockfisch. Ich habe ihm keinen Auftrag gegeben. Er soll sich besser erklären. Adieu.
<line type="break" /><align pos="right">Schlosser.</align>
<line type="empty" />
<line type="break" />Schlosser.
<line type="empty" />
<line type="break" />Auf dem <it>Emmendinger</it> Rathhaus, den 13 Jänner 1776, Abends 7 Uhr.
<line type="break" /><align pos="center">Auf dem <it>Emmendinger</it> Rathhaus, den 13 Jänner 1776, Abends 7 Uhr.</align>
</letterText>
<letterText letter="98">Hochgeehrtester Herr!
<line type="break"/>Hier die Offenbarung Johannis von Lavater an <aq>Herder.</aq>
<letterText letter="98"><align pos="center">Hochgeehrtester Herr!</align>
<line type="break"/>Hier die Offenbarung Johannis von Lavater an <it>Herder.</it>
<line tab="1"/><it>Lavater</it> grüßt Sie herzlich hat nicht Zeit zu schreiben. Bittet Sie die Offenbarung, so bald möglich an <it>Herder</it> durch Hrn. Geheimen Rath <aq>Heß</aq> in Darmstadt zu überschicken nebst <it>Stollberg</it> eins vor Sie samt <it>Passavant</it> und <it>Pfenninger.</it> Leben Sie wol. Ihr ergebener Diener bey
<line type="break" /><align pos="right"><it>Johann Caspar Lavater.</it>
<line type="break"/>befindt sich sehr wol.</align>
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="center">Zürich. d. 14. Jan. 76.</align>
<line type="empty" />
<line type="break" /><address>An Hrn. <it>Lenz</it></address>
</letterText>
<letterText letter="99"><page index="1"/><align pos="right">Den 14ten Jenner</align>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/><aq>Lavater</aq> grüßt Sie herzlich hat nicht Zeit zu schreiben. Bittet Sie die Offenbarung, so bald möglich an <aq>Herder</aq> durch Hrn. Geheimen Rath <aq>Heß</aq> in Darmstadt zu überschicken nebst <aq>Stollberg</aq> eins vor Sie samt <aq>Passavant</aq> und <aq>Pfenninger.</aq> Leben Sie wol. Ihr ergebener Diener bey
<line type="empty" />
<line type="break" /><aq>Johann Caspar Lavater.</aq>
<line type="break"/>befindt sich sehr wol.
<line type="empty" />
<line type="break" />Zürich. d. 14. Jan. 76.
<line type="empty" />
<line type="break" /><address>An Hrn. <aq>Lenz</aq></address>
</letterText>
<letterText letter="99"><align pos="right">Den 14ten Jenner</align>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich danke Ihnen mit ganzem Herzen, Bester! für die freundschaftliche Mühwaltung die Sie sich haben geben wollen, meinen Seeräuber in die Hosen zu bringen. Ich habe die Vier alte Louisdor richtig erhalten, für die mein Dank zurückkommt. Lassen Sie mir meine Gefühlsart (so übersetz ich Delikatesse) das mehrere was Sie dafür von den Schauspielern erhalten können, mehr um Sie nicht zu verwöhnen, als um zu gewinnen, Ihnen mein bester Freund zu Ihrem selbstbeliebigen anderweitigen Gebrauch anzubieten. Ich bin zufrieden mit dem was man mir freywillig gab.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da Sie doch einmal so freundlich sind und sich mit dem Buben zu thun geben wollen, so bitte ich Hn. Seiler oder wem Sie ihn anvertrauen auch noch folgende kleine Einschiebsel in den Dialog zuzusenden, die das Ganze überschaulicher machen und vielleicht manche kleine Hindernisse an die sich die Täuschung stieß, wegräumen werden. Etwa in der
<page index="2"/>ersten Szene ersten Akts, sobald Alonzo Marianen den Anschlag entdeckt hat, den er mit dem Sklaven hat (wie die Stelle heißt kann ich mir nicht mehr erinnern) könnte der antworten, eh er ihm noch den Glückwunsch thut
<line type="empty" />
<line type="break" />
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal"> Meine Adresse ist an Hn Lenz, abzugeben bey Hn. Miville Vater und Sohn in Kehl.</sidenote>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/><ul>Mar.</ul> Wie aber wenn Sie alles dies nicht nöthig hätten und Ihr Sohn etwa gar mit unter den Sklaven wäre, die der Ritter Ackton eingebracht hat
<line type="break"/><ul>Alonzo</ul> Er würde mich sogleich aufgesucht haben
<line type="break"/><ul>Mar.</ul> Er vermuthet Sie aber noch in Barcellona
<line type="break"/><ul>Alonzo</ul> Würd ihm denn da nicht mein alter Freund Ramiro Nachricht von mir gegeben haben? Hören Sie, er ist Ihr Correspondent, Sie könnten allenfalls doch, wenn Sie an ihn oder jemand anders in Barcellona schrieben, <del>allenfalls</del> Nachfrage thun. Sie erwiesen mir einen Dienst dadurch. Doch was wollen wir uns mit Schimären den Kopf zerbrechen. Ich weiß daß sein Herr ihn nicht von sich läßt, wie sollte er denn jemals in Spanierhände gerathen? So aber bekomm ich ihn wieder und wenn er in Beelzebubs Klauen steckte.
<line type="empty" />
<line type="break" />
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>wenn es gedruckt wird bitt ich mir einige Exemplare für meine Freunde aus ich wäre sehr begierig von einem nicht schonenden Freunde die Wirkung zu erfahren, die das Stück auf dem Theater thut. Es könnte vielleicht mir Gelegenheit geben Ihnen etwas anders zuzuschicken, daß sonst kein Mensch auf der Welt würde zu sehen bekommen haben. ich bin entsetzlich fürs <ul>gespielt werden</ul> wenn es unbeschadet anderer Sachen seyn kann.</sidenote>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und weiter unten etwa in der zweyten Scene zweyten Ackts, wo die Verwechslung der Kleider
<page index="3"/>geschieht, als Osmann Pietro fragt: Und was soll aus dir werden? und dieser antwortet: Kümmerts mich doch nicht„ könnte er frostig lachend hinzusetzen, „ich hab ja auch noch Verwandte in Spanien die ich aufsuchen kann wenns aufs höchste kommt“
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie sehen daß dies die Folgen von Ihren Anmerkungen sind, für die ich Ihnen herzlichst danke. <del>Doch</del> Man arbeitet bisweilen so flüchtig weg, ohne sich genug umzusehen nach Lesern und Zuschauern und nach ihren Ideefolgen. Doch fällt Ihre Beschuldigung Plautussen unendlich mehr zur Last als mir, der <insertion pos="top">ich</insertion> durch die Veränderung des Au<tl></tl>halts des alten Alonzo, durch die lange Zeit des Ausbleibens, durch die türkische Kleidung, am meisten aber durch den alle andere Erinnerungen verschlingenden Enthusiasmus der Freundschaft in der Seele Pietros (wohin auch die Aufschrift des Stücks weiset) allen Störungen der Illusion wie mich deucht itzt wohl hinlänglich ausgebeugt habe.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Für die Nachrichten von Goethen, Wieland, danke ich zärtlichst. Die von Ihnen bitte aber sobald es seyn kann mit Urkunden zu belegen, damit ich sie hier meinen Freunden mittheilen kann. Fahren Sie fort mir Ihren schätzbaren Briefwechsel zu gönnen, und von Zeit zu Zeit was von Ihrer Fräulein Schwester was einzumischen die ich dem leichtsinnigen Gallien mißgönne. Ich lebe hier ziemlich wohl und <ul>ausgebreitet,</ul> nur muß ich alles was mich etwas preßt sehr sorgfältig verstecken. Meine
<line type="empty" />
<line type="break" />
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Situation ist eine der wunderbarsten die ich mir jemals hätte können träumen lassen. <ul>Soviel</ul> gesellschaftliche Freunde und keinen fürs Bedürfniß. Und beydes nimmt nach dem Maaß zu nach dem ich hier bekannter werde. Es wird Ihnen nicht besser gehn nur daß die Stadt so groß nicht ist.</sidenote>
<page index="4"/>
<line type="empty"/>
<line type="break"/><address>Herrn
<line type="break"/>Herrn <ul>Gotter</ul>
<line type="break"/>Archivarius
<line type="break"/>in Gotha.</address>
</letterText>
<letterText letter="100">
<letterText letter="100"><page index="1"/>
<line tab="1"/>Daß ich Deinem Peter viel sagen könnte ist wahr. Daß ich von ganzem Herzen gern seinem Genie den ersten Stoß und die erste Richtung geben, ihn bey seinem Eintritt in das was <ul>man WeIt</ul> nennt begleiten, die neuen Gegenstände die er sehen wird all in ihrem wahren Licht weisen und mit allen den Muth herunterspannenden Gefahren die auf ihn warten bekannt machen möchte, ist auch wahr, denn es wäre Schade wenn ein Mensch wie der durch Gesichter die nicht denken wie er jemals heruntergespannt oder gleich im Anfange seiner Laufbahn für immer gelähmt würde
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aber nun die Kosten lieber Lindau! die Kosten. Ihr seyd nicht reich, ich bin ein Bettler Apostolisch zu reisen leidet die Jahrszeit nicht. Ich muß hier hundert Bändergen zerhauen die ich nachher schwer wieder anknüpfen kann.
<page index="2"/>Doch <ul>kann ich sie</ul> anknüpfen und an eine Entschädigung will ich nicht denken, nur freye Reisekosten hin und zurück, freyer Aufenthalt in Weymar und Cassel sind Sachen die ich verlangen muß. Den Hof zu Weymar zu sehen, der jetzt ein Zusammenfluß der schönen Geister in Deutschland wie der Medicis ehemals in Florenz wird, wäre mir freylich mit eine große Belohnung für die Beschwerlichkeiten der Reise. Also rechnet nun nach dem Postkalender die Meilen, rechnet die Tage unsers Aufenthalts, rechnet die Rückreise, ein zwölf Louisdor werdt Ihr müssen in die Hand nehmen, von Ernmedingen nichts zu sagen und dem Umweg auch darüber.
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Ihr geht also sicher nach Amerika. Auch darüber hätt ich viel mit euch zu reden. NB. das läßt sich nur reden. Wenn ihr nach Amerika geht, müßt Ihr nicht <ul>umsonst dagewesen</ul> seyn, so wenig als euer Peter der euch in allem unterstützen wird. Mein Rath soll Euch bis dahin begleiten
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Kennt Ihr Gaudi Anweisung für Offiziers von der Infanterie Feldschanzen anzulegen p. Schafft euch das an, es kann euch brauchbar seyn und ist nicht schwer. Hier ists nicht zu h<tl></tl> sonst schickt ichs euch.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meldt mir wenigstens was aus eurem Projekt und aus eurem Peter wird und wenn ihr nach Weymar kommt, grüßt Goethen. Ists wahr daß er ganz dableibt? Sagt ihm ich könnte ihm noch nicht schreiben. Ihn mündlich zu sprechen wünschte sehr. Auch soll er Wieland grüssen von mir.
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="right">Lenz.</align>
<line type="empty" />
<line type="break" />Seinen Egmond habe noch nicht bekommen.
<line tab="1"/>Seinen Egmond habe noch nicht bekommen.
<page index="4"/>
<line type="empty" />
<line type="break"/><address><aq>A Monsieur Monsieur Henri Jules
<line type="break"/>de <ul>Lindau,</ul> chez Monsieur
<line type="break"/>Logis Inspecteur des églises

View File

@@ -614,45 +614,45 @@
<letterTradition letter="94">
<app ref="4">
Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Lenziana, Sammlung Autographa 4
Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Lenziana, Sammlung Autographa 4.
</app>
</letterTradition>
<letterTradition letter="95">
<app ref="4">
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 32, Nr. 25
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 32, Nr. 25.
</app>
</letterTradition>
<letterTradition letter="96">
<app ref="4">
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 32, Nr. 2
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 32, Nr. 2. Beigelegtes Paket an Pfeffel nicht ermittelt.
</app>
</letterTradition>
<letterTradition letter="97">
<app ref="4">
August Stöber: Johann Gottfried Röderer, von Straßburg, und seine Freunde. Colmar 1874, S.
S. 164f.
S. 164f. Auf einem Aktenbogen geschrieben.
</app>
</letterTradition>
<letterTradition letter="98">
<app ref="4">
August Stöber: Johann Gottfried Röderer, von Straßburg, und seine Freunde. Colmar 1874, S.
93
93. Kärtchen mit Randeinfassung, von fremder Hand. Lavaters Unterschrift mit Handpresse gedruckt.
</app>
</letterTradition>
<letterTradition letter="99">
<app ref="4">
Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Krakau, Lenziana 5, Nr. 5
Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Krakau, Lenziana 5, Nr. 5.
</app>
</letterTradition>
<letterTradition letter="100">
<app ref="4">
Düsseldorf, Goethe-Museum, 0
Düsseldorf, Goethe-Museum, 0.
</app>
</letterTradition>