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@@ -5031,254 +5031,194 @@ einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte machte ich den Schattenriß. D
<line type="break" /><align pos="right">Dero ergebenster Diener Lenz.</align>
</letterText>
<letterText letter="301">
<letterText letter="301"><page index="1"/>
<line tab="1"/>Ich sässe jetzt schon zwischen den Bergen von Marschlins oder in einem Tobel von Appenzell, wenn mich nicht die bürgerlichen Unruhen in Zürich zurückhielten. In der That wird der politische Himmel hier alle Tage merkwürdiger für einen Beobachter der Menschheit und ich musste mit Recht fürchten, dergleichen Gelegenheiten für einen dramatischen Spührhund in meinem Leben nicht wieder zu finden, wenn ich diese um des Hn. von Salis willen, den ich hauptsächlich unserm Freunde Pfeffel zu gefallen besuchen wollte, fahren liesse. Meine Reise in die Trümmer des Philanthropins bleibt also vor der Hand noch aufgehoben.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Daß Sie von mir Schweitzerneuigkeiten verlangen und Schweitzerneuigkeiten die vielleicht von grösserm Einfluß aufs Allgemeine seyn werden, als hundert es zu glauben scheinen, hat meine Eigenliebe an dem empfindlichsten Fleckgen gekützelt. Nur Bester! glauben Sie nicht, daß ohngeachtet ich Freunde unter den Whigs und Tories habe (so nennt man hier die beyden Partheyen) mir nicht noch unendlich vieles verborgen bleibe, weil man leyder! welches ich sonst nur in den Monarchien zu finden glaubte, auch hier nicht gegen einander mit offenen Karten spielt und dadurch unter uns, die Sachen nicht wenig <ul>verschlimmert</ul> werden
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<line tab="1"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="Am linken Rand, vertikal">Darf ich Sie um Verzeihung bitten, daß ich Sie mit einem Päckchen für Hn. Schlosser beschwere. Vielleicht gibt es Gelegenheit, ein Paar Zeilen von Ihrer Hand hinzuzufügen und in seiner gegenwärtigen Lage muß ich auf alle mögliche Gelegenheiten passen, ihn glücklich zu machen.</sidenote>
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<line tab="1"/>Es wird Ihnen nicht fremd seyn, daß die Zünfte, nicht mit dem französischen Geschäft selbst, sondern nur mit der Art, mit der man darüber mit ihnen zu Rath gegangen, gleich Anfangs ihre Unzufriedenheit bezeuget und da man auf ihr Ansuchen den Punkt in dem geschwornen Brief näher zu bestimmen, wenn und wie dergleichen Sachen vor dem Rath auf die Zunft gebracht werden sollten, mit Stillschweigen geantwortet erst in geringer Anzahl die sich aber bald bis auf 250 vermehrte ein Memorial aufgesetzt in welchem sie halb als getreue Kinder halb als gebieterische Gesetzgeber die Bestimmung dieses Gesetzes verlangten. Diese 250 aber hatten wie die Thebaner die sich den 30 Tyrannen wiedersetzten, ihre geheimen Anhänger in der ganzen Stadt, so daß in kurzer Zeit ihre Anzahl auf 1000 und am Ende für die gemeine Masse der Bürgerschaft geschätzt wurde, unter denen nur noch sehr wenig Rechtgläubige übrig blieben. Hierauf erfolgte nothwendiger Weise die Aufmerksamkeit des Magistrats, man fieng mit der Geistlichkeit an, die aber von den Kanzeln wie es gemeiniglich geht nur das Feuer heftiger anbließ, so daß man sie zwang, ihre Predigten herauszuliefern
<page index="3"/>man fuhr fort sie in einem Bescheid zum Frieden zu ermahnen, den Weg des Memorials zu verrammeln und ihnen anzudeuten, sie möchten ihr Ansuchen durch Representanten dem Wortführenden Bürgermeister mündlich vortragen, dies geschah; dabey wurden die besondern Versammlungen der Mißvergnügten immer mehr, in denen ihr Muth und ihre Festigkeit in dem Grad zunahmen, daß der Magistrat einen Rathstag hielt, der bis Nachmittage währte und worinn eine Commission aus dem geheimen Rath, sechs grossen und sechs kleinen Räthen bestellt ward diese Händel zu schlichten. Diese Commission in der eben soviel Bürgerfreunde, als <aq>Esprit de corps</aq> waren, theilt sich wieder und ward noch ein Ausschuß davon niedergesetzt, der dann endlich eine öffentliche gedruckte Erklärung an die Bürgerschaft beschloß, die vom grossen Rath der abermals bis 3 Uhr Nachmittags versammelt war, genehmigt wurde, in der den Bürgern die Ursache des Verzugs der Deliberation mit ihnen angedeutet, ihnen auf die Zukunft alle mögliche Versicherungen ihres unbeschadeten Einflusses auf dergleichen Deliberationen gegeben und sie mit den höflichsten Worten zufrieden gesprochen wurden. Wie es aber bey alle dergleichen Sachen geht, daß je weiter man kommt, je weiter man hinaus will und immer glaubt noch
<page index="4"/>nichts erhalten zu haben, wenn man alles erhalten hat weswegen ich einem klugen Obern gerathen haben wollten, immer öffentlich weniger zu bewilligen als er wirklich zu bewilligen gesonnen ist so geht es auch hier. Die Bürgerschaft ist ganz und gar mit dieser Erklärung nicht zufrieden und haben sich 14 Tage Bedenkzeit ausgebethen, vermutlich mehr um Anstalten zu Gegenvorstellungen zu machen als um sich zu bedenken, wozu man ihr 14 Jahre geben könnte mittlerweile werden die einzelnen Stimmen der Opposition immer lauter, die Animositäten in Gesellschaften gegen Personen des Raths immer unverdaulicher und man spricht gar von ähnlichen Erscheinungen bey dem Landvolk den ganzen See entlang, welches denen die den Gang solcher Sachen einwenig kennen, bedenklicher vorkommt als dem grösten Theil von denen selbst die am meisten auf ihrer Hut seyn sollten. In 14 Tagen wird sich viel entwickeln wovor mir als einem Fremden banget, da zur Beendigung dieser Sache in den erhitzten Parthieen auf beyden Seiten, die beyde, <ul>grosse</ul> Köpfe an der Spitze haben, noch keine Aussicht auch in der neblichtsten Entfernung sich weiset.
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<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Bürgerschaft scheint es, möchte bey nichts weniger aufhören wollen als bey einer Revolution, der Rath hingegen möchte gern Ausnahmen zur Regel machen und einen Schritt den er nur durch geheimnißreiche dunkle Ausdrücke von Nothwendigkeit der Umstände und wichtigen Staatsursachen entschuldigt, oder vielmehr der Entschuldigung ein für allemal überheben will, zur Bestimmung und Erleuterung des im Gesetz strittigen Punkts einsetzen. Sie sehen wie Ewigkeitenweit beyde Theile auseinander gehen, verhüte mir der Himmel der über das Schicksal des Schweitzerlandes von jeher gewacht hat, die Mittlerschaft eines dritten.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich würde Ihnen die gedruckte Deklaration des Raths an die Bürger zusenden, wenn es mir möglich gewesen wäre, eine davon einem Bürger abzuschwatzen. Wäre sie vortheilhafter, so hätte ich sie ohne Fehl erhalten, so aber da sie nach ihrem Ausdruck nur <aq>lirum larum</aq> enthält, ward mirs aus einem besandem <aq>point dhoneur</aq> rund abgeschlagen. Auch muß ich Sie um meiner Zürcherbeziehungen willen bitten, diesen Brief nicht bekannt zu machen, damit er nicht etwa gar in einem Journal mich und all meine Freunde rasend macht, wie es wohl neulich ein Brief aus Basel, der sich weiß der Himmel wie ins deutsche Musäum verirrt hat, beynahe gethan hat, dessen Verf. auch was gescheuters hätte thun können als den armen
<page index="6"/>Lavater fast mit allen Zürchern zusammenzuhetzen und in einer Zeit, wo das nur noch zu der allgemeinen Gährung fehlte. Ich sehe mich gezwungen diesen Anonymus öffentlich auf die Finger zu klopfen, da ich sonst wahrlich kein Mittel weiß Lavater und mich, die beyde mit am Teutschen Museum gearbeitet, ausser Verdacht zu setzen. Wenn Sie ihn kennen, so melden Sie mirs und warnen ihn doch ja, gescheut zu seyn und sich nicht merken zu lassen daß er Verf. zu einem Briefe sey der seiner Klugheit so wenig Ehre bringt, um nichts mehr zu sagen
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Jetzt Theurester komm ich auf Ihre Frauenzimmerschule der Himmel lasse Sie ganze glückliche Geschlechter aus dieser Pflanzung erleben und die schönsten Mädgen aus diesen müssen dereinst ihr Grab mit Rosen bestreuen nur Freund! bedenken Sie daß ein Project die allerwichtigste oder die allernichtswürdigste Sache auf Erden ist, wenn es ausgeführt wird oder steken bleibt. Das war nun bey einem <aq>Sarasi</aq> freylich eine sehr überflüssige Erinnerung und muß mir verziehen werden, so wie meine ganze Existenz.
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<line tab="1"/>Ich Ihnen aber darüber eine Abhandlung schreiben Freund! wo denken Sie hin, ich, ein Mensch der weder
<page index="7"/>Vater noch Mutter Bruder noch Schwester geistlicher weise mehr hat, kein Weib noch Weibesart hat u. s. f. auch niemals eins hoffen darf: Ich eine Abhandlung über die Frauenzimmerschule, gehts mir doch damit, wie den Gelehrten in Klims Unterwelt, die grosse Abhandlungen über den berühmten Kometen schrieben, den sie endlich in der Person des Hn. Klim selber vor sich sahn.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mit alledem, weil auch aus dem Munde der Unmündigen die Wahrheit bisweilen an Tag kommt, will ich Ihnen nicht verhehlen, daß selbst bey der Untersuchung der hiesigen Frauenzimmerschule und bey allen Frauenzimmerschulen in der Welt, mir für einen höchstwichtigen Punkt der Frauenzimmer nicht gesorgt zu seyn scheinet und dieser ist ihr Physisches. Wie viel in dem Glück der Ehe, in der ihnen selbst so nöthigen Gemüthsheiterkeit, und hauptsächlich in der Kinderzucht darauf ankommt, brauch ich Ihnen nicht zu sagen. Mich dünkt eine Frau bedarf in aller Absicht eines stärkern, zu mehr Leiden abgehärteten Körpers als ein Mann und nun nehmen Sie unsere meisten wohlerzogenen gelehrten, kranken Damen in Paris in Baumwolle eingewickelt und die kraftvolle Nachkommenschaft die von ihnen zu etwarten steht. Freund ich habe. es erfahren was es heißt von seinen Eltern mit körperlichen Kräften ausgesteuert seyn, oder sich
<page index="8"/>in dem Stück über sie zu beklagen haben.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die meisten Leibesbewegungen die sich unsere Damen und Mädchen erlauben sind, das Gehen. Da dieses aber eigentlich nur eine Bewegung der Füsse ist, so ist sie im Grunde kein <ul>Tragen, tragen</ul> müssen Ihre Mädchen alle Tage eine Stunde, Winter und Sommer und die Schönheit ihrer Haut ihrer Taille ihrer Glieder wird sich bis auf die Enkel des 1000sten Gliedes fortpflanzen. Ich habe keine schlankeren stärkeren gesunderen und schönern Geschöpfe gesehen als die Milchmädchen um Strasburg und das weil diese Stellung ihren ganzen Körper so vollkommen harmonisch stimmte daß jede von ihnen ein Modell hätte zu Akademieen geben können.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Denken Sie was hilfts einer Frau wenn sie der Ausbund aller Eigenschaften <ul>eines Engels</ul> ist und ihr fehlt das was sie alleine zum <ul>Menschen</ul> macht. Und beurtheilen Sie nur ja nicht die weibliche Gattung unsers Jahrhunderts nach einer gewissen Ausnahme, die, ihr Magen mag beschaffen seyn wie er wolle, auch in dem Stück Ideal ist.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Uebrigens wünschte ich auch ebensowohl daß von der frühsten Jugend an die Kochkunst ein wenig eifriger mit ihnen getrieben würde. Nicht daß sie einmal selbst kochen lernen, sondern daß sie alles wissen was zu einer guten Suppe gehört. Die gehörige Temperatur der Gewürze, die Abänderung der Gerichte nach den Jahrszeiten, die Planmacherey zum wohlfeilsten
<page index="9"/>Einkauf der dazu gehörigen Provisionen sind doch wirklich die Fundamente einer guten Haushaltung, allzuoft der Gesundheit der Eltern und Kinder, und des ganzen Ehelichen Glückes. O wenn doch die mehrsten französischen Damen dafür weniger Griechisch und Briefstyl wüßten, weniger neue Bücher gelesen, weniger Preise für die tiefsinnigen Akademisten in Paris ausgetheilt hätten!
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sollte ich zu irgend einer Kunst oder Wissenschaft bey Ihren Frauenzimmern rathen, so wär es das Zeichnen. Bey Blumen fiengen sie an und hörten bey Rissen aus der Baukunst auf; wohin ich auch die Gärten rechne. Da ist die eigentliche Sphäre des Geschmacks der Damen, aus der sie auf den unsrigen so allmächtig einwirken können, eingewirkt haben und einwirken werden. In der innern Einrichtung eines Hauses liegt die Seele alles unsers Glücks, der Keim aller unsrer Gefühle, Jugendeindrücke deren Gepräge uns bis ins späteste Alter bleibt. Ein unregelmässiges Haus macht unregelmässige Köpfe und Mangel des Geschmacks im Meublieren der Zimmer wirkt Zerstörungen in den Seelen der Kinder die oft durch Erfahrungen eines ganzen Lebens nicht wieder können zurecht geschraubt werden.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Musik ist so unentbehrlich nicht, obschon ich wünschte daß diejenigen die Neigung dazu hätten, früh dazu an-
<page index="10"/>gehalten würden. Alle aber müssen leidlich singen lernen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Warum wollte man dem Frauenzimmer nicht auch <dul>lehren</dul> sich auf eine <dul>eigene,</dul> ihnen anständige Art zu putzen. Ich hoffe darüber an einem anderrn Orte was zu sagen, besonders was die Schweitz betrifft. Die Nachäffung der fremden Moden würden alsdann wegfallen und alle giftige Folgen derselben auf die Sitten den Leichtsinn und die Weichlichkeit. Dieser Putz aber müßte überdacht seyn, auf Klima, Landesprodukte und besonders auf den Geschmack der jungen Schweitzerherren berechnet, denn ein Frauenzimmer das sich um Gottes willen putzt, ist ebenso ein unnatürliches Ding als eine die Arabisch spricht wie Madam Reiske. Mag es doch den lieben Kindern selbst aufgegeben werden über ihre Moden zu raffiniren, zu poetisiren wie sie wollen und alsdann passiren die Erfindungen die Censur ihrer Lehrerin. Die Bekleidung der Griechischen Statuen könnte bey einer gewissen Art von Kleidern, z. E. Nachtröcken, sehr gut zum Muster angenommen werden, das übrige überläßt man ihrem Genie. Darum wünscht ich auch sehr daß ein Frauenzimmerfreund eine auserlesene Sammlung guter Statuen in ihre Schule verehrte es sind
<page index="11"/>hundert Ursachen mehr warum ich dieses wünschte. Die Imagination Ihrer Schönen verliert sich, vergißt sich auf den schönen Formen und wohl Ihrem Vaterlande, wenn sie sich daran vergißt. Eine harmonische Gestalt kann aber so wenig eine schlechte Seele herbergen, als ein wohlgestimmtes Instrument das Geschnarr einer verstimmten Zither hervorbringen mag.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Tanz und um Gottes willen lassen Sie keinen Prediger sich in Ihre Anstalt mischen, es giebt wenig Lavaters auch der Tanz muß früh mit ihnen getrieben werden. Wär es auch nicht weiter als um die Begriffe von Tackt und Ordnung in ihre Seele zu bringen in denen sich die Welt dreht. Was hilfts aber wenn du die ganze Welt gewönnest und littest Schaden an deiner Seele, hättest kein Zeitmaas und kein Verhältniß darinn steht ja in der Bibel selber.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Rechnen lassen Sie sie doch ja nicht anders lernen als nach <ul>Aufgaben aus der Haushaltung.</ul> Sonst heißt das wirklich wieder sie Hebräisch lehren. Ich weiß Frauenzimmer, denen bloß wegen der abgeschmackten abstrakten Methode des Herrn Peschek, das Rechnen auf ihr Lebtage verleidet ist. Und wer kann es ihnen verdenken, sind sie doch dazu nicht geboren. Wenn man sagt, das schärft
<page index="12"/>den Geist, so möcht ich die Ohren zuhalten und lauffen soweit der Himmel blau ist. Daß man doch immer vergißt, daß ein Frauenzimmer das Pretension auf Verstand macht, das unliebenswürdigste und furchtbarste aller existierenden Dinge ist. Und wozu anders soll sie sich mit unwesentlichen Zahlen plagen, die sie um all ihre Reitze und den Mann um <del>ihr</del> <insertion pos="top">sein</insertion> ganzes Glück bringen. Selbst Addition Subtraktion und die fünf Species darf sie nicht anders treiben als nach Aufgaben wie sie im gemeinen Leben vorkommen. Dazu find ich die kleinen Details unvergleichlich die Usteri in seiner Schule hat, von Stücken die in die Haushaltung gehören.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Naturhistorie, Kenntniß von <ul>Pflanzen</ul> und <ul>Thieren</ul> auch Mineralien ist ihnen wohl <ul>unentbehrlich</ul>, sowie die anatomische Kenntniß des Menschen, ohne der sie elende Kinder erziehen werden. Bedenken Sie wieviel in den ersten Jahren der Bildung von ihnen allein abhängt. Wieviel selbst in der Zeit von ihnen abhängt da das ganze Schicksal und das Leben des Kindes selbst als ein <aq>Depositum</aq> in ihrer Verwahrung liegt und wo über ihre Aufführung gegen dasselbe auch durch Gedanken und Regungen der Seele die oft nur zu sehr auf ihren <aq>Foetus</aq> wirken, kein menschlicher Verstand entscheiden darf.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Alle übrige Wissenschaften können Sie entbehren. Kleine Unwissenheiten in der Historie in der Geographie reitzen oft mehr als die Schönflecken. Wenn sie nur das Allererste davon wissen. Man muß ihren Männern auch was übrig lassen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aber so habe ich Sie ja fast zu Tode geplaudert aber Sie wollten es so haben. Ich darf nicht um Verzeihung bitten die Schuld ist Ihre. Behalten Sie mich lieb und empfehlen mich Iseli.
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="right">Lenz</align>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>
<sidenote pos="left" page="12" annotation="am linken Rand, vertikal">Brauchen Sie was zu brauchen ist wo nicht für Ihre Schule so zu anderem Gebrauch. Das Pappier ist einmal besündigt.</sidenote>
<page index="13"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich muß noch ein Blatt nehmen. Sehen Sie, welch eine Ruthe Sie sich auf den Rücken gebunden haben. Nehmen Sie diesen Brief <aq>per dosin</aq> ein sonst ist er verloren. Schlosser wird Ihnen theurester Herr Gerichtsherr! nächstens etwas für mich schicken, <del>von</del> an dessen schleunigen Empfang (obgleich es nur Pappiere sind) mir ausserordentlich viel liegen wird. Wollten Sie die Gütigkeit haben, es durch die erste Gelegenheit zu mir her zu spediren, sollte er aber Ihnen meinen <aq>Coffre</aq> schicken, mir Nachricht davon zu geben, damit ich Sie bitten kann mir das was ich brauche, herauszunehmen; denn ich denke wirklich nicht den Winter hier zuzubringen, worüber ich mich in dem Briefe an Dero Frau Gemalinn näher erklären werde.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Noch eins. Ich höre von Herrn Rathsherrn Geßner, Herr Rathschreiber lselin habe noch eine Sammlung origineller Briefe des seeligen von Kleist, Dichter des Frühlings liegen. Ich würde diesen vortreflichen Mann, dem ich noch in Ansehung meiner Reise im <aq>pays de Vaud</aq> soviel Erkenntlichkeit schuldig bin, in einem Brief um die Mittheilung derselben ersuchen, wenn ich es nicht für besser hielte, ihm lieber gar nicht zu schreiben und die Schuld meiner Verbindlichkeiten gegen ihn bis zur höchsten Höhe aufsummen zu lassen, als
<page index="14"/>in der Eile in der ich gegenwärtig bin meine Correspondenz mit einem so würdigen Freunde mit einem Gesuch anzufangen wiewohl er hoffentlich beyliegenden Brief, wenn Sie ihn ihm selbst einhändigen, besser aufnehmen wird. Vielleicht händigt er Ihnen die Briefe ein, um die ich ihn ersuche; wollten Sie alsdenn so gütig seyn sie gleichfalls mir aufs geschwindeste zu übermachen, ich bringe sie aufs heiligste wieder ungekränkt nach Basel zurück und einen Dank der nicht endigt Ihnen und unsern lselin zum Ersatze. Die Absicht wozu ich diese Briefe brauche können Sie sich beyde nicht vorstellen, könnt ich Ihnen beyden auch nicht begreiflich machen, da ich sie mir selber nicht in Worte fassen kann genug mir <ul>liegt unbegreiflich viel daran.</ul>
<line type="empty" />
<line type="break" />Meine beste Empfehlung wenn Sie ihm schreiben unserm Freunde Pfeffel und allen die sich in Basel meiner erinnern.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meine beste Empfehlung wenn Sie ihm schreiben unserm Freunde Pfeffel und allen die sich in Basel meiner erinnern.
<line tab="1"/>Heben Sie meinen Brief doch auf. Es könnte seyn daß ich mir ihn in Basel wieder einmal von Ihnen ausbitten müßte, um verschiedene Erinnerungen hinzuzuthun.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hn. von Mechel gleichfalls meine besten Empfehlungen. Ich habe herzlich gelacht, über die Erzehlung eines Herrn aus Solothurn, der sagte daß er beym Rheinfall einen doppelten Adler mit dem Kayser gemacht. Diesen Kupferstich hätt ich sehen mögen u. drunter schreiben
<line type="empty" />
<line type="break" />Das geht nur beym Rheinfall an
<line tab="1"/>Das geht nur beym Rheinfall an
</letterText>
<letterText letter="302">
<letterText letter="302"><page index="1"/>
<line tab="1"/>Bester Freund! ich erwarte mit nächster Post auf Zürich unter Herr Lavaters Adresse das Blättgen <ul>Ueber die launigten Dichter“</ul> zurück, um Ihnen etwas bessers dafür über denselben Anlaß in die Stelle zu schicken.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie haben durch das letztre Musäum einige Dissonanzen angeschlagen die ich wohl durch einen öffentlichen Schritt werde aufzulösen gezwungen seyn, weil ich sonst wenigstens solang ich in der Schweitz bin, Ihnen nichts mehr schicken dürfte. Lassen Sie also dadurch Ihr Zutrauen zu meinem Willen sowohl als Vermögen (welches in gewissen Fällen wenn man nicht abgewogen <aq>quid humeri valeant</aq> noch schlimmer ist.) nicht irre machen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Viele Empfehlungen Hn. Zimmermann. Ich habe Tissot in Lausanne gesprochen der mir leyder viel vergebliche Fragen seinethalben gethan hat. Einen Landsmann von Ihnen sprach ich hier, der Ihnen auch manches von hier erzehlen kann, worüber ich mich jetzt nicht auslassen darf.
<line type="break"/><align pos="center">Ihr Freund</align>
<line type="break"/><align pos="right">Lenz.</align>
<line type="break"/>Zürich d. 29sten 7br.
</letterText>
<letterText letter="303"><align pos="right">Den 10. 8br. 1777.</align>
<letterText letter="303"><page index="1"/><align pos="right">Den 10. 8br. 1777.</align>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich befinde mich nicht wohl, lieber Freund! und will deßwegen Morgen eine kleine Reise zu Hn. von Salis thun. Füeßli war sehr gerührt über das Lob das Sie ihm beylegen. Herrn Rathschreiber Iselin bitte doch gelegentlich zu sagen, die Briefe die Herr v. Kleist empfangen haben könnte, würden mich eben so sehr interessiren, da überhaupt sein Leben selbst unter seinen Verwandten mit denen ich in Verbindung stehe viel zu wenig bekannt ist. Er wird mich dadurch ungemein verbinden. Was Küttner anbetrift, so muß ihm die Bekanntmachung eines Briefs aus seinem Portefeuille eben so unangenehm seyn, als mirs vorkommen würde, wenn man Particularbriefe von mir ohne mein Wissen drucken liesse. Er wird am besten thun, wenn er ganz stille dazu schweigt, es ist des Lärmens ohnehin genug.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier folgen die verlangten Silhouetten mit den wärmsten Empfehlungen von dem mit Geschäften überladenen Lavater und seiner erst matt aufkriechenden Frau. Ihrer Frau Gemalinn aber in dem Zustande zu schreiben in dem ich bin, wage ich nicht. Dürft ich um Ihre beyden Silhouetten bitten, Lavater will sie mir nicht geben.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wohl Ihnen daß Sie mit Ihrer neuen Anstalt nicht so
<page index="2"/>poetisch anfangen, wie der arme Salis den ich itzt besuchen will und der letzt hier war. Pfeffeln einen Kuß für mich, Herr Peil hat mir mit seinen Erzehlungen von Colmar viele Freude gemacht, besonders bey Geßnern wohin ich ihn führte u. wo er recht in der Laune war.
<line type="empty" />
<line type="break" />Ist Schlosser bei Pfeffeln gewesen und in welcher Laune? Seyn Sie so gütig mich darüber zu berichten.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ist Schlosser bei Pfeffeln gewesen und in welcher Laune? Seyn Sie so gütig mich darüber zu berichten.
<line tab="1"/>Hier in Ermangelung eines Liedgens an <ul>„Ihr Weib und Schinznach“</ul> das ich schuldig bleibe bis Cörper und Gemüth bey mir in bessern Umständen sind (den Vornahmen der ersteren möchte ich mir doch ausbitten) ein Liedgen auf Schlossers jüngstes Kind.
<line type="empty" />
<line type="break" />Lassen Sie sichs wohl seyn, der Himmel hat noch viel für Sie aufgehoben.
<line type="empty" />
<line tab="1"/>Lassen Sie sichs wohl seyn, der Himmel hat noch viel für Sie aufgehoben.
<line type="break" /><align pos="right">JMR Lenz.</align>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Kaufmann muß allem Vermuthen nach hieher unterwegs seyn, es sind schon Briefe für ihn da. Er hat viel Ungemachs erlitten, Seesturm u. s. f.
<page index="3"/>
<line type="break"/><align pos="center">
<line tab="5"/>Willkommen kleine Bürgerin
<line tab="5"/>Im bunten Thal der Lügen!
<line tab="5"/>Du gehst dahin, du Lächlerin!
<line tab="5"/>Dich ewig zu betrügen. <align pos="center">x</align>
<line tab="5"/>Dich ewig zu betrügen.
<line type="break"/><align pos="center">x</align>
<line type="break"/>
<line tab="5"/>Was weinest Du? die Welt ist rund
<line tab="5"/>Und nichts darauf beständig.
<line tab="5"/>Das Weinen nur ist ungesund
<line tab="5"/>Und der Verlust nothwendig. <align pos="center">x</align>
<line tab="5"/>Und der Verlust nothwendig.
<line type="break"/><align pos="center">x</align>
<line type="break"/>
<line tab="5"/>Einst wirst du, kleine Lächlerin!
<line tab="5"/>Mit süsserm Schmerze weinen
<line tab="5"/>Wenn alle deinen treuen Sinn
<line tab="5"/>Gott! zu verkennen scheinen. <align pos="center">x</align>
<line tab="5"/>Gott! zu verkennen scheinen.
<line type="break"/><align pos="center">x</align>
<line type="break"/>
<line tab="5"/>Dann wirst du stehn auf deinem Werth
<line tab="5"/>Und blicken, wie die Sonne
<line tab="5"/>Von der ein jeder weg sich kehrt
<line tab="5"/>Zu blind für ihre Wonne. <align pos="center">x</align>
<line type="break"/>
<line tab="5"/>Zu blind für ihre Wonne.
<line type="break"/><align pos="center">x</align>
<line tab="5"/>Bis daß der Adler kommen wird
<line tab="5"/>Aus fürchterlichen Büschen,
<line tab="5"/>Der Welten ohne Trost durchirrt
<line tab="5"/>Wie wirst du ihn erfrischen!</align>
<line type="empty" />
<line type="break" /><note>Schnörkel</note>
<line type="break" /><align pos="center"><note>Schnörkel</note></align>
<line type="empty" />
<line type="break" />Viel Empfehlungen Ihren kleinen Eydgenossen in Pumphosen. Auch deren Namen schreiben Sie mir doch einmahl auf.
<line type="empty" />
<line type="break" />Ich bitte die Verse nicht weiter zu weisen.
<line tab="1"/>Viel Empfehlungen Ihren kleinen Eydgenossen in Pumphosen. Auch deren Namen schreiben Sie mir doch einmahl auf.
<line tab="1"/>Ich bitte die Verse nicht weiter zu weisen.
</letterText>
<letterText letter="304">
<letterText letter="304"><page index="1"/>
<line tab="1"/>Hier lieber Sarasi sitz ich wieder an La-Vaters Tisch, darf mit seiner Feder an Sie schreiben, einen Gruß an Sie schicken, obschon er Ihren Brief nicht gelesen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre Anmerkung über meine Silhouette hat mich traurig gemacht. Freylich muß ich suchen mich noch besser kennen zu lernen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich komme aus Marschlins wo ich nichts als Ruinen und so dann aus dem Valtelin, wo ich den Minister Salis fand. Von da über Bergen Gottes zurückeilte Bernina und Julier, in das Glarnerland, wo wieder, so wie überall, so viel Gutes und Böses durcheinander liegt. Immer Schauplatz, um Engel darauf handeln zu sehen und die handelnden Personen <insertion pos="top">grossentheils</insertion> Teuffel, auch oft in Lichtsgestalt.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wollten Sie so gütig seyn und den Coffre den Herr Schlosser mir geschickt hat, so gleich aufmachen und ein versiegeltes Buch an Herrn Lavater herausnehmen, das er ausserordentlich nöthig braucht. Sie sind so gütig es aufs schleunigste hierher zu übermachen mit reitender oder fahrender Post wie es am schnellsten geht. Ich habe keinen Augenblick weiter zu versäumen, die Post geht ab.
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="right">Lenz</align>
<line type="empty"/>
<line type="empty" />
<line type="break" />Verzeyhen Sie die Eilfertigkeit.
<line type="empty" />
<line type="break" />
<sidenote pos="left" page="1" annotation="Am linken Rand, vertikal">Verse künftig und viel Empfehlungen auch Pfeffeln u. Lersen</sidenote>
</letterText>
<letterText letter="305">Mein Lieber Lentz
<letterText letter="305"><page index="1"/>Mein Lieber Lentz
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihr werthes kleines Briefgen hat mich aus vieler Unruh herausgerißen dan Ihre Berg Reiße und das kalte Wetter und daß ich dazu gerathen hat mir rechtschaffen bange gemacht Da Sie nun aber in Sicherheit ausert unserem gesegneten Land wider in der Christenheit sind so darf ich desto ehender frisch von der Leber weg mit Ihnen reden. Sie sind mir ein feiner Man. Sie haben Aufträge, Sie haben Absichten bey Ihrer Reise, und Sie sagen mir kein Worth davon. Etwas habe ich geargwohnt deswegen geargwohnt weil Sie mir von Ihrem Besuch bey dem Hn Bawier zu
<page index="2"/>Chur nichts gesagt. geargwohnet weil mich die Verräthereyen vieler Halbfreunde besonders Grewens schreklicher Mißbrauch meines offen Herzens, gegen jederman mißtrauisch gemacht. Ich war denoch mehr als Zehen mahl auf dem Sprung mein Herz in Ihren Busen ganz auszuschütten dan ich leide unausstehliche Höllenpein, Höllenpein, bey der mir von Gott (kan ich das ohne Lästerung denken) oder von Menschen auferlegten Nothwendigkeit verschlossen seyn zu müssen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Genug wir haben einander noch vieles zu gestehen und zu verzeihen. fangen Sie an mir zu sagen was
<page index="3"/>Sie vor Absichten vor Aufträge bey Ihrer Reise gehabt haben mir zu erklären was die Vorwürfe bedeuten ich habe meine Undernemung bis dahin ohne Gott ausführen wollen und dan will ich mich Ihnen ganz zeigen so wie mich Gott kent und wie Sie mich am Tag des Hn. sehen werden. Biß wir so weit sind sende ich Ihnen keine Geschicht des Philanthropins, es würde ihr immer die unnachahmliche unauslöschliche Phisionomie der Wahrheit fehlen, dan wan ich Ihnen schon nichts gesagt habe das nicht wahr sey so hab ich Ihnen dennoch nicht alles was wahr ist gesagt. Ich umarme Sie mit wahrer Freundschafft
<line type="empty" />
<line type="break" /><align pos="right">Ihr. Salis</align>
<line type="empty" />
<line type="break" />Castion den 11 9bris 1777
<line type="break"/>
<page index="4"/>
<line type="empty"/>
<line type="break"/><address>An Herrn
<line type="break"/>Herrn Lenz
<line type="break"/>bey Herrn Lavater
<line type="break"/>in
<line type="break"/><ul>Zürich.</ul></address>
<line type="break"/>in <ul>Zürich.</ul></address>
</letterText>
<letterText letter="306"><align pos="right">Schloß Hegi d. 17ten 9br. 1777.</align>
<letterText letter="306"><page index="1"/><align pos="right">Schloß Hegi d. 17ten 9br. 1777.</align>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie werden Ehrmanns Brief nun erhalten haben; wenn Sie mir den Coffre bald schicken kann ich das für Lavatern bestimmte selbst herausnehmen. Der Brief aus Zürich sollte eigentlich nicht an Sie fortgehen, weil ich die Einwohner von Glarus zu schlimm abgemahlt. Lavater der ihn nicht gelesen und wegen der Commission die er mir gegeben pressirt war, riß ihn mir, weil die Post eben abgieng unter den Händen weg, machte ihn schnell zu und verschwand damit aus dem Zimmer; welches mir hernach aus vielen Ursachen sehr leyd that, hauptsächlich um seinetwillen.
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<line tab="1"/>Das Geld hoff ich Ihnen in wenig Wochen zu schicken. Grüßen Sie Ihre Gemalinn und Kinder. Einlage bitte an Lersen zu besorgen.
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<line type="break" /><align pos="right">Lenz.</align>
</letterText>
<letterText letter="307"><align pos="right">Schloß Hegi d. 26. 9br. 1777.</align>
<letterText letter="307"><page index="1"/><align pos="right">Schloß Hegi d. 26. 9br. 1777.</align>
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<line tab="1"/>Es würde meine innere Ruhe auf ewig stöhren, wenn ich, Verehrungswürdigster Herr Doktor! durch meine gutgemeinten Gespräche über Religiose Gefühle und dann über Ihren Freund Lavatern Anlaß zu einigem Verdacht gegeben haben könnte als ob auch nur ein einziges Wort das ich gesprochen, durch etwas anders als die damalige Lage meiner Seele die durch meine eben vollendete Bergreise gespannt war, könnte veranlaßt worden
<page index="2"/>seyn; auch bin ich überzeugt, daß Sie dieselbe in diesen Augenblicken so wenig verkannt haben, als Sie sie noch jetzt, wenn Sie sich alles das was damals vorgegangen, in einem ruhigen Augenblick vergegenwärtigen wollten, verkennen werden und können. Mein Aufenthalt in dem Hause des Herrn Pfarrers Lavaters sollte mich freylich in meinen Reden und Handlungen ein wenig fürsichtiger gemacht haben, wenn man bei einem dringendem Herzen nur fürsichtig bleiben könnte
<page index="3"/>und ich durch fatale Schriftstellerverhältnisse hinaufgeschraubt, alle politischen <aq>Reservationes mentales</aq> für Cruditäten in meinem Gewissen zu halten, nicht beruffen gewesen wäre. So wenig aber Herr Pfarrer Lavater von meinem Besuch bey Ihnen wußte, da ich eben von ihm auszuziehen willens war und schon die Nacht ausser seinem Hause geschlaffen; so wenig, wie ichs mit dem theuresten Eyde bekräftigen kann, hat er an irgend einem Wort das ich bey Ihnen gesprochen Antheil gehabt, vielmehr bin ich versichert, daß er meine ganze Art zu seyn, nach seinem Gesichtspunkt diesesmal äusserst tadelhart ge
<page index="4"/>funden haben würde. Da nun aber jeder für <ul>sich</ul> Rede stehen muß und ich übrigens im Schooß Ihrer Familie für allen Mißdeutungen meiner Absicht sicher zu seyn glaubte; so habe ich diesesmal lieber eine scheinbare Unbescheidenheit wagen, als über gewisse Punkte Ihrer Art zu denken und zu fühlen unaufgeklärt und in meinem Urtheil von Ihnen falsch bleiben wollen. Nahmen Sie einen Anstand an dieser Behandlungsart, so bitte ich Sie ganz und gar an mir zu ahnden, als aus dessen Charakter und Genie sie <ul>ganz allein</ul> geflossen, übrigens aber versichert zu seyn, daß mich fremde Meynungen, wenn sie nicht schon vorher in diesen gelegen, niemals verändern können Uebrigens brauch ichs Ihnen, würdigster Herr Doktor! nicht zu versichern daß meine Absichten bey meiner Schweitzerreise, da das Richteramt mein Beruf nicht ist niemanden zum Schaden gereichen können. Mit der ehrerbietigstell Empfehlung an Ihre Gemalinn und Familie nenne mich
<line type="break"/>Dero gehorsamsten
<line type="break"/>Diener Lenz.
<line type="break"/><align pos="right">Dero gehorsamsten
<line type="break"/>Diener Lenz.</align>
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<letterText letter="308"><align pos="center">Winterthur. Den 12.ten Dcbr. 1777.</align>
<letterText letter="308"><page index="1"/><align pos="center">Winterthur. Den 12.ten Dcbr. 1777.</align>
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<line tab="1"/>Eine kleine Streiferey an den Bodensee herab, durch St. Gallen nach Appenzell von der ich eben wiederkehre hat die Nachricht von Empfang des durch Sie gütigst übermachten Coffres verzögert. Mich freut Ihre Entbindung mit der Frauenzimmerschule, die ich um sie ihrer Vollkommenheit näher zu sehen immer weiter von <insertion pos="top">dem Plan</insertion> der Zürichschen entfernt wünschte. Wir haben unter andern mit Hn. von Salis radotirt (schon in Schinznach, und itzt wieder im Valtelin) über eine Moralische Kochkunst, den Bedürfnissen des Körpers und der Jahrszeit angemessen, wozu denn freylich einige Kenntniß des Menschlichen Körpers und der Natur in Tier- und Pflanzenreich vorausgesetzt würde, die auch in hundert anderen Fällen, vorzüglich bey Erziehung der Kinder Dienste thun könnte. Allein ein Lehrer von dieser Art, <aq>NB</aq>. der sich den jungen Zöglinginnen verständlich machen könnte, wird sich auf der Baselschen Akademie wohl schwerlich finden. Und doch sind auch schon zur Selbsterhaltung die Medicinischen Kenntnisse, wären sie gleich nicht weiter als aus <ul>dem Arzt,</ul> Tissot und <ul>Plattner<fn index="3"><anchor>*</anchor></fn></ul> (ein Buch das ich nicht genug empfehlen kann) abgeschöpft, unentbehrlich. Diese werden gewiß in hundert Fällen bessere Dienste tun, als der Jgfr. Goswyl Commentar über Gellerts Oden (die ich übrigens weder tadle noch überflüssig finde) denn wie oft Moral nur von Diät abhängt, ist noch bey weitem nicht genug eingesehen geschweige ausgeübt worden.
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<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand">Plattners Handbuch der Physiologie, teutsch, in einem sehr angenehmen Styl, zu Leipzig herausgekommen</sidenote>
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<line tab="1"/>Es ist ein Pasquill auf Lavatern und seine Freunde herausgekommen, in das ich nur flüchtige Blicke gethan und zu meinem grossen Leidwesen finde daß man sehr säuberlich mit mir umgegangen. Die Herren mit ihrer fingerlangen Vernunft wollen es dem lieben Gott durchaus nicht zugestehen, daß er über Bitten und <ul>Verstehen</ul> thun könne. Doch läuft unter dem <dul>niedrigsten</dul> Zeuge, manche nöthige Wahrheit mit unter
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<line type="break" />Empfehlen Sie mich der Frau Engelwirthin nebst den kleinen künftigen Bewohnern der Engelburg.
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<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich der Frau Engelwirthin nebst den kleinen künftigen Bewohnern der Engelburg.
<line tab="1"/>Herren Rathschreiber Iselin machen Sie doch gelegentlich auch von mir viel Empfehlungen u. Glückwünsche zu der endlich beglückten Heurath seiner Dem. Tochter, die ich noch oft in Gedanken das Schweitzerliedgen in Meyenfels singen höre. Kaufmann und die Seinen empfehlen sich Ihnen allen.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Einrichtung seiner künftigen ländlichen Haushaltung beschäftigt ihn sonst führen wir alle ein sehr ruhiges u. still fröhliches Leben in Hofnung. Lavater wird Ihnen geschrieben haben; ich komme seit meiner letzten Glarnerreise fast nie wieder nach Zürich
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<line type="break" /><align pos="right">Lenz.</align>
</letterText>
<letterText letter="309">
<letterText letter="309"><page index="1"/>
<line tab="1"/>Wollten Sie, Würdiger Freund! die Gütigkeit für mich haben, mir, solange ich noch in diesen Gegenden zu bleiben gezwungen bin wiewohl ohne irgend ein Versprechen von mir dagegen zu nehmen, als meinen herzlichsten Dank einige Hefte Ihrer Schweitzergeschichte die ich noch nicht gelesen, einzupakken und unter folgender Adresse A Lenz, Schloß Hegi! durch den Winterthurerboten zuzuschicken, in 23 Tagen sollen Sie sie hier wo ich keine andere als willkührliche Zerstreuungen habe, unfehlbar wiedererhalten. Etwa das vom Schwabenkriege
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<line type="break" /><align pos="right">Lenz</align>
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<line type="break" /><note>Mit anderer Tinte hinzugefügt</note>
<line type="break"/><ink ref="2">wenn Sie etwa kein Plagiat </ink>
</letterText>
<letterText letter="310"><align pos="right">777. 31. Xbr. in Basel</align>
<letterText letter="310"><page index="1"/><align pos="right">777. 31. Xbr. in Basel</align>
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<line tab="1"/>Nun da der ganze stürmische Xbr. zu Ende ist u. ich ein ganzes Jahr Geschäffte ab mir geladen habe, muß ich noch ein paar Worte mit meinem Freundt Lenz reden.
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<line tab="1"/>Ich danke Ihnen vor die Fragmente die Sie mir noch immer zur Frauenzimmer Schule lieffern. Vor <ul>mich</ul> will ich sie benuzen, aber vors allgemeine da bin ich Ihr gehorsamer Diener.
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe jezt meine sämtliche Projeckte aus Händen gegeben. Sie liegen jezt hinter dehnen Weisen der Erde die sie untersuchen u. berathen sollen ob es rathsam seye etwas gutes zu stifften od. ob man <ul>besser</ul> noch ein halb Jahr Hundert die Menschen auf bisherigen Fuß solle leben lassen
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<line type="break" />An dehnen neu außgekommenen Streit Schrifften. <aq>Pro et contra</aq> habe ich wed. Freude noch Wohlgefallen.
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<line tab="1"/>An dehnen neu außgekommenen Streit Schrifften. <aq>Pro et contra</aq> habe ich wed. Freude noch Wohlgefallen.
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<line tab="1"/>Man muß wenig Achtung vors ganze Menschen-Geschlecht haben um dergleichen Zeug aufzuhefften u. wann man noch vollends mit dergleichen Knäbel-Schlägen die <ul>Gerechte Sache</ul> vertheidigen will so möchte man bersten. Die gerechte Sache braucht nie keine Vertheidigung braucht nur ihren Weg gerade fort zu gehen. Stillschweigen ist da Triumph.
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<line tab="1"/>Es freut mich daß Sie vergnügt leben. Fahren Sie im neuen Jahren so fort u: fahren Sie fort mein Freundt zu seyn. Grüssen Sie nun Kaufmann, schreiben Sie mir zuzeiten u. leben Sie wohl!
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<line type="empty"/>
<line type="break" /><align pos="right">Jacob Sarasin.</align>
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<line tab="1"/>Fast hätte ich in der Eile vergessen daß Sie mein Weibgen grüssen läßt. Sie war einige Tage krank, hat aber keine bößen Folgen.
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<line tab="1"/>Pfeffel war vorgestern bey mir. Der liebe Mann war äusserst niedergeschlagen. Es ist ihm der junge Stocken gestorben den Er von Schinznach mitnahm.
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<date notBefore="1777-12-15" notAfter="1777-12-31">Schloss Hegi, Zweite Dezemberhälfte 1777</date>
<date notBefore="1777-12-15" notAfter="1777-12-31">Schloss Hegi, zweite Dezemberhälfte 1777</date>
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