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Einpflegung von Brief 327.
This commit is contained in:
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Dem Herrn Cousin, Herrn Amtmann Schöll meine verbindlichste Empfehlung</letterText>
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Dem Herrn Cousin, Herrn Amtmann Schöll meine verbindlichste Empfehlung</letterText>
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<letterText letter="327"><align pos="center">Meine theureste Freundin</align> <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Da Ihnen mein Abschieds und Danksagungsschreiben, das ich nach der Genesung aus einer schweren
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Krankheit an Sie schickte, vermuthlich aus dieser Ursache nicht zu Händen gekommen; so hoffe ich,
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diese Schuld aus der Entfernung wo nicht abtragen zu können, doch wenigstens durch mein
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Stillschweigen nicht zu vermehren. Sie und Ihre fürtrefliche Familie waren es, die in einem
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fremden Lande, auf immer, wie es schien, getrennt von den Meinigen, an einem kleinen ungesunden
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Ort, ohne Umgang, ohne Verbindungen den trübsten Stunden meines Lebens diejenige Aufmunterung gaben,
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deren Eindrücke mich über das Grab hinaus begleiten wer. den. Sie waren es, die mein Herz zu jedem
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zärtlichen Verhältniß wiederstimmten, das ich in meinem Vaterlande abgerissen. Der geschmackvolle und
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lehrreiche Umgang mit Ihren würdigen Cousinen, Ihre gegenseitige Freundschaft, die glücklichen
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Wendungen, die Ihr eigenthümlicher Geschmack, Ihr Witz und Ihre Empfindung jedem Zug in ihrem Karakter,
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so wie dem Karakter abwesender Freunde von denen wir uns offt unterhielten, zugeben mußte; mich
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anzuspornen wußte, ihnen nachzu eyfern, um Ihres unbestechlichen Beyfalls würdiger zu werden, waren
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damals die Muse meiner glücklichsten Stunden und sind nachher noch offt der Gegenstand meiner einsamen
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Unterhaltung gewesen. Sie hatten die Züge einer meiner geliebtesten Schwestern und wenn die Verschwisterung
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der Seelen keine Schimäre ist; so erlauben Sie mir, Sie unter diesem Karakter noch abwesend zu verehren.
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Ja theure sanfte Seele, wenn ich Sie mir unter diesem Klima denken könnte, hier wo der Mangel der lieblichen
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Witterung und Früchte, fremde Sitten und eine fremde Sprache, Ihren Lebensgeistern vielleicht den glücklichen
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Umlauf wehren und Sie hindern würden, Sie selbst zu seyn: so würd ich sie <insertion pos="top">ganz</insertion> in Ihnen <del>allein ganz</del>
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wiederfinden. Wenigstens sagen Sie denen, die itzt ein näheres Recht auf Ihre <page index="2"/> Theilnehmung und
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Freundschaft haben, daß der Eindruck Ihres Karakters, das Nachahmungswürdige desselben, mir offt die schwürigsten
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Knoten des Lebens habe lösen können: ein Vorzug, den Sie mit noch einer Freundin aus jenen Gegenden, die itzt in
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erhabenere versetzt ist – theilen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Meine Reise darf ich Ihnen nicht beschreiben: sie war, wie die Reise durch die Welt, langsam und beschwerlich,
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mit manchen angenehmen Ruhepunkten. Ich sah endlich die Thurmspitzen von Riga und die Ufer meines Vaterlandes
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mit einer wunderbar vermischten Empfindung. Alles fremdete mich an – – bis ich die Meinigen wiedergesehen, von
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denen ich dennoch einige bis jetzt noch nicht umarmt habe. So zerstreut sind sie und an so verschiedenen Enden
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des Landes haben sie sich niedergelassen. Gegenwärtig bin ich in einer der größten Städte, abermal wie ein Fremdling
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und es wird Zeit brauchen, ehe ich über Personen und Sachen gehörig urtheilen kann. Ach wie viel ruhiger und schöner
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ist es in dem Gärtgen zu S – – als an den getümmelvollen Häfen. Geniessen Sie dieses Glücks ohne erst durch den Contrast
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versuchen zu wollen, ob es auch wirklich wahr sey, daß man es der sogenannten großen Welt vorziehen könne.
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Unglücklich genug <page index="3"/> ist der, der durch seine Situation dazu gezwungen ist. Er hat sich aufgezehrt, eh er zu
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leben angefangen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Ich werde schwerlich die glücklichen Ufer des Rheins wiedersehen; sie die so viel Wesen, als die grossen Städte
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Schein haben – aber ich werde mich noch offt der Rheininseln erinnern, wo wir tanzten, des freundschaftlichen
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Lichtenau, wo die Freude wohnte, deren Maske hier niemand mehr betrügen kann, der Plätze alle, wo wir uns offt
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von x x besprachen, oder mit Ihren Cousinen ein gutes deutsches Lied sangen. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Lassen Sie mich hier abbrechen und nur noch fragen, was Ihr Herr Bruder macht – – was Ihre würdigen Schwestern machen.
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Die schalkhafte Selma u. die altkluge Sophie – konnte es ein schöneres Conzert für Ihre weiche sanfte Seele geben,
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als der Rath, der Umgang die Laune solcher Schwestern. Wie? sie sollten sich verändert haben? Nimmermehr! so wenig als
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F. B. sich verändern kann – von den Veränderungen des Karackters zu verstehen, denn das andere, deucht mich, würde
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nur dann nicht zu verzeyhen seyn, wenn es eine Veränderung zum Schlimmen wäre. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich Ihren theuresten Eltern und sagen ihnen, daß seit meiner letzten Krankheit meine Munterkeit so
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ziemlich hin ist – welches Sie auch meinem Brief wohl anmerken werden – und ich jetzt in den <page index="4"/> Pfänderspielen
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zu S. eine sehr traurige Figur machen würde. Ich habe eine Mutter verloren – ich habe mehr verloren – – Gegenstände
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genug, die mir das Grab anfangen könnten lieb zu machen – wenn nicht noch Personen auf dieser Oberwelt wären, an deren
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Glück ich anwesend oder abwesend von Herzen Theil nehmen könnte – <insertion pos="top">es</insertion> mich vielleicht anstecken würde mit Lebensfreude. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Und so leben Sie denn wohl theureste Freundin und findet sich eine Gelegenheit mit einem reisenden Freunde oder sonst –
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mir eine Nachricht von Ihnen – von Ihnen allen zukommen zu lassen – von Ihren Strasburgschen Freunden nicht zu vergessen–
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so werden Sie mich sehr glücklich dadurch machen. <line type="empty"/>
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Ich aber werde unter jeder Veränderung bleiben<line type="break"/>
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<align pos="center">ein</align> <line type="empty"/>
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<align pos="right">mit ganzer Seele theilnehmender Bruder <line type="empty"/>
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J M R Lenz.</align><line type="break"/>
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St. Petersbg. den 27 Merz 1780. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand der vierten Seite, vertikal">Dem verehrungswürdigen Herrn Onkel und ihren sämmtlichen fürtreflichen Strasb. Cousinen bitte meine beste Empfehlung zu
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versichern. Wenn Ihr Herr Bruder an mich schreiben will, so lassen Sie ihn nur die Adresse an meinen Bruder machen: den
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Oberpastor Lenz in Dörpat p. Francfort, <aq>Memel et Riga,</aq> weil ich noch keine Bestimmung habe</sidenote></letterText>
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</opus>
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@@ -4914,5 +4914,20 @@
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<letterDesc letter="327">
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<date value="St. Petersburg, 27. März 1780" />
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<sort value="1780-03-27" />
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Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 19 (Der Brief erreicht Friederike
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Brion nicht)
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Reference in New Issue
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