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@@ -402,9 +402,9 @@ darf den Bogen nicht zu hoch spannen, weil er dir in d. Noth geholfen p. Du hast
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<line type="break" />Nur daß keiner meiner Briefe zu Ihnen gelangt, daß Sie durch dieses Stillschweigen nicht allein an meinen Schicksalen, sondern auch an meinem Charakter irre werden: das kränket mich. Ich habe seit Ihrem letzten Briefe schon zweymal an Sie geschrieben, und dennoch krieg ich einen Vorwurf über den andern wegen meines Stillschweigens. Und können Sie glauben, daß mein sonst doch weiches Herz sich auf einmal in einen Stein verwandelt – Gott, du weißts. Ich schätze kein zeitliches Glück so hoch als dasjenige, Sie noch einmal zu sehen. Was soll ich Ihnen sonst noch von meinen äussern Umständen sagen. – Die Vorsehung Gottes hat mir einen liebenswürdigen Cirkel von Freunden geschenkt, mir Ihren Verlust zu ersetzen: sie sind aber das was die Wachslichter gegen das Tageslicht sind. Einen Nahmen muß ich Ihnen hersetzen, damit Sie seiner in ihren Seufzern für mich erwähnen: er ist mir zu theuer. <ul>Salzman</ul> – o wenn ich einen so erfahrenen liebenswürdigen Mentor nicht hier zur Seite gehabt, auf welcher Klippe würde ich jetzt nicht schon schiffbrüchig sitzen? – Wenn <ul>Ehre</ul> ein wahres Gut ist, so bin ich glücklich, denn die wiederfährt mir hier genug, ohne daß ich sie verdienet habe. Sie ist aber vielmehr ein Joch, als ein Gut, und sie allein würde mich nie abhalten, in den stillen Schooß meines Vaterlandes unbemerkt wieder zurückzukehren. So aber sind mir jetzt noch Hände und Füße dazu gebunden, ich möchte lieber sagen, abgehauen. Ich bringe meinen Sommer in Fort Louis, einer Festung sieben Stunden von Strasburg zu, auf den Winter werde ich wieder dahin zurückkehren. Jetzt bin ich also in einer fast gänzlichen Einsamkeit. Auf den künftigen Frühjahr hoffe ich mit Nachdruck und Succeß an meine Heimreise zu denken. Bis dahin, theuresten Eltern, geben Sie sich noch zufrieden. Ich wünsche Ihnen den großen Gott, auf den ich bisher noch nie zu meinem Schaden gerechnet, und, ich glaube es unverändert, auch niemals ins künftige rechnen werde. Wenn ich meine Lebens Geschichte aufsetzte, würde sie vielen unglaublich scheinen. Ich setze dis aufs Alter aus – vorher aber auf unsere mündliche Unterredung. Freuen Sie sich in dieser Zeit Ihrer wohlgerathenen anwesenden Kinder, theurester Vater, schließen Sie einen abwesenden Flüchtling in Ihr Herz und Gebeth, aber schließen Sie ihn aus Ihrer Sorge, und übergeben ihn dem großen Gott, der am besten weiß, was für ein Gefäß er aus ihm machen will – Ich falle Ihnen und meiner theuresten Mama mit den zärtlichsten Thränen in die Arme, als Ihr bis ins Grab gehorsamster und getreuester Sohn Jac. Mich. Reinh. Lenz.
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<letterText letter="12"><page index="1"/><align pos="right">Fort-Louis, den 28. Juni</align>
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<letterText letter="12"><page index="1"/><align pos="right">Fort-Louis, den 28. Juni.</align>
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<line type="break" /><align pos="center">Gütigster Herr Aktuarius!</align>
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<line tab="1"/>Ich habe einen empfindlichen Verlust gehabt, Herr Kleist hat mir Ihren und meines guten Ott’s Briefe recht sorgsam aufheben wollen und hat sie so verwahrt, daß er sie selbst nicht mehr wieder finden kann. Ich bin noch zu sehr von der Reise ermüdet, als daß ich Ihnen jetzt viel Vernünftiges schreiben könnte. Denn ich habe noch fast keine Minute gehabt, in der ich zu mir selbst hätte sagen können: nun ruhe ich. Eigene und fremde, vernünftige und leidenschaftliche, philosophische und poetische Sorgen und Geschäfte zerteilen mich. Mein Schlaf selber ist so kurz und unruhig, daß ich fast sagen möchte, ich wache des Nachts mit schlafenden Augen, so wie ich des Tages mit wachendem Auge schlafe. In Sesenheim bin ich gewesen. Ist es Trägheit oder Gewissensangst, die mir die Hand zu Blei macht, wenn ich Ihnen die kleinen Scenen abschildern will, in denen ich und eine andere Person, die einzigen Akteurs sind. Soviel versichere ich Ihnen, daß Ihre weisen Lehren bei mir gefruchtet haben und daß meinen Leidenschaft dieses Mal sich so ziemlich vernünftig aufgeführt. Doch ist und bleibt es noch immer Leidenschaft – nur das nenne ich an ihr vernünftig, wenn sie mich zu Hause geruhig meinen gewöhnlichen centrischen und excentrischen Geschäften nachhängen läßt, und das thut sie, das thut sie. Die beiden guten Landnymphen lassen Sie mit einem tiefen Knicks grüßen. – – Mein Trauerspiel (ich muß den gebräuchlichen Namen nennen) nähert sich mit jedem Tage der Zeitigung. Ich habe von einem Schriftsteller aus Deutschland eine Nachricht erhalten, die ich nicht mit vielem Golde bezahlen wollte. Er schreibt mir, mein Verleger, von dem ich, durch ihn, ein unreifes Manuscript zurück verlangte, habe ihm gesagt, es wäre schon an mich abgeschickt. Noch sehe ich nichts. Lieber aber ist mir dies, als ob mir einer einen Wechsel von 1000 Thalern zurückschenkte. Lesen Sie dieß andere Blatt in einer leeren Stunde. Unsere letzte Unterredung und die darauf folgende schlaflose Nacht, hat diese Gedanken veranlaßt. Schreiben Sie Ihr Urtheil drüber
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<line tab="1"/>Ich habe einen empfindlichen Verlust gehabt, Herr Kleist hat mir Ihren und meines guten Ott’s Briefe recht sorgsam aufheben wollen und hat sie so verwahrt, daß er sie selbst nicht mehr wieder finden kann. Ich bin noch zu sehr von der Reise ermüdet, als daß ich Ihnen jetzt viel Vernünftiges schreiben könnte. Denn ich habe noch fast keine Minute gehabt, in der ich zu mir selbst hätte sagen können: nun ruhe ich. Eigene und fremde, vernünftige und leidenschaftliche, philosophische und poetische Sorgen und Geschäfte zertheilen mich. Mein Schlaf selber ist so kurz und unruhig, daß ich fast sagen möchte, ich wache des Nachts mit schlafenden Augen, so wie ich des Tages mit wachendem Auge schlafe. In Sesenheim bin ich gewesen. Ist es Trägheit oder Gewissensangst, die mir die Hand zu Blei macht, wenn ich Ihnen die kleinen Scenen abschildern will, in denen ich und eine andere Person, die einzigen Akteurs sind. Soviel versichere ich Ihnen, daß Ihre weisen Lehren bei mir gefruchtet haben und daß meinen Leidenschaft dieses Mal sich so ziemlich vernünftig aufgeführt. Doch ist und bleibt es noch immer Leidenschaft – nur das nenne ich an ihr vernünftig, wenn sie mich zu Hause geruhig meinen gewöhnlichen centrischen und excentrischen Geschäften nachhängen läßt, und das thut sie, das thut sie. Die beiden guten Landnymphen lassen Sie mit einem tiefen Knicks grüßen. – – Mein Trauerspiel (ich muß den gebräuchlichen Namen nennen) nähert sich mit jedem Tage der Zeitigung. Ich habe von einem Schriftsteller aus Deutschland eine Nachricht erhalten, die ich nicht mit vielem Golde bezahlen wollte. Er schreibt mir, mein Verleger, von dem ich, durch ihn, ein unreifes Manuscript zurück verlangte, habe ihm gesagt, es wäre schon an mich abgeschickt. Noch sehe ich nichts. Lieber aber ist mir dies, als ob mir Einer einen Wechsel von 1000 Thalern zurückschenkte. Lesen Sie dieß andere Blatt in einer leeren Stunde. Unsere letzte Unterredung und die darauf folgende schlaflose Nacht, hat diese Gedanken veranlaßt. Schreiben Sie Ihr Urtheil drüber
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<line type="break" /><align pos="right">Ihrem ergebensten Lenz.</align>
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