Einpflegung von Brief 371.

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GregorMichalski
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Teilen Geld nieder legt wird eine Schimäre seyn. Doch genug Dero gehor. Sohn<line type="break"/>
<align pos="right">Jacob R. M. Lenz</align></letterText>
<letterText letter="371"><align pos="right">Moskau, den 9ten <ul>9br.</ul> 1791.</align><line type="empty"/>
<align pos="center">Mein theurester Bruder!</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich schike diesen Brief offen, weil ich nicht glaube Mißdeutungen zu besorgen zu haben. Erbetrift mit
wenig Worten einen dem Ansehen nach armen und durch einen verstümmelten Körper doppelt
unglüklichen Liefländer, der, in dem Hause beym Compt. der <aq>Assignationen</aq> unvermuthet aus <aq>Kadom</aq>
erschien und sagte er wollte nach <aq>Riga</aq> und zwar über <aq>Smolensk Polotzk Witepck</aq> und <aq><ul>Plescou</ul></aq>
reisen, ich möchte ihm Briefe mitgeben. Dieses that ich und schrieb (nachdem einige Anstösse
von Unpäslichkeit gehabt, die mich hindem selbst zu Euch zu kommen), sehr weitläuftig, weil alles
doch in einem hingeht. Nun erfahre ich daß seine Reise theils durch eingefallenes Thauwetter, theils
wegen Mißverständniß mit seinem angenommenen Fuhnnann einen Stillstand gewinnt und da er mir eine
silberne Uhr zum Verkauf anbot, schliesse, daß es ihm auch am Gelde fehlen muß. Seine Reise über
<aq>Plescou</aq> war mir doppelt erwünscht, da ich dort an einem Herrn <aq>Albert</aq> oder <aq>Albrecht</aq> und am <aq>Baron
Dietz Commendanten,</aq> dessen du dich aus den Kinderjahren doch wohl vielleicht nicht mehr erinnerst
Bekannte habe und diese mit unserm Bruder in Derpt und dem dasigen Adel verschiedene Geschäfte von
Wichtigkeit in Richtigkeit bringen könnten, die sich anders nicht einfädeln lassen, als durch einen
<aq>Internuncius,</aq> wozu ich aus wesentlichen Hindernissen <ul>persöhnlich</ul> diesmal nicht dienen konnte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da mir also wirklich diese Reise gut und nützlich scheint, auch derselbe mehr Lust nach <aq>Riga</aq> wo er
Verwandte hat als hier zu bleiben bezeuget, allein wahrscheinlich zu den Reisekosten Beyhülfe braucht,
so habe mich des <aq>Couverts</aq> unsers gemeinschaftlichen Freundes Reimmann bedienen wollen, Dich und unsere
sämtlichen Geschwister aufs inständigste zu bitten, etwa auf Abschlag der gütigen Beyhülfe, die mir
durch Eure Güte und unsers lieben theuren Vaters zukommt, ihm, im Fall er in Umstände kommen sollte,
seine Uhr zu versetzen, oder andere Schulden des Fortkommens halber zu machen, selbiges zu vergüten
weil der Allwissende schon die Umstände so zu lenken wissen wird daß mir und Euch kein empfindlicher
Verlust daraus erwachsen kann. Der Fuhrmann hat 26 Rubel bis Riga bedungen und ist ein gewöhnlicher,
der nach Riga zu gehen pflegt: die besondren Umstände des H. v. Schröders sind mir nicht bekannt, er
hat mir zwar einige Namen aus Curland genannt, die ich in Straßburg kennen gelernt, als einen von
Bohlschwing mit dem er weitläuftig verwandt <insertion pos="top">zu</insertion> seyn aussagt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich hoffe daß er, welcher in 7 Tagen in <aq>Plescou</aq> seyn will und in 12 in Riga, wenn er auch Aufhaltungen
findet, dennoch spätestens in 14 Tagen oder 3 Wochen bey Euch eintreffen und meine Briefe richtig abhändigen
wird, woran mir mit alledem gelegen ist weil viele Dinge darinn auch meine eigene Persohn betreffen. Er hat
Verwandte in <aq>Kockenhusen,</aq> wo, wenn ich nicht irre ein Prediger ist, dessen sich Bruder <aq>Carl</aq> erinnern wird,
der allerley kleine Stükchen erzählte, als Papa der silberne Becher wegkam. Es war, wo ich nicht sehr irre
damals ein Landtag oder Adelsversammlung in Riga, von der ich mit meinen hiesigen Zerstreuungen den
eigentlichen Termin vergessen habe. Die Derplische Universität ist zu Wasser geworden, so sehr ich mich
in St. Petersb. bey der Akademie bemüht, sie wieder in Andenken zu bringen, allein ich hoffe, der Liefländische
Adel wird nichts dabey verlieren, weder der Rigische noch des Dörptschen Kreises bey welchem unser lieber
Bruder Friedrich soviel <aq>Influenza</aq> hat. Ist nicht eine Verordnung daß der Adel zu gewissen Zeiten sich in <aq>Riga</aq>
aufhalten muß, besonders der in <aq>Collegicis.</aq> Und dehnt sie sich nicht etwa auch auf die Landgeistlichkeit aus,
die Geschäfte in <aq>Riga</aq> haben? Ich küsse dich mein theurer Bruder und deine liebe Gemalinn und Haushaltung zum
neuen Jahr mit tausend warmen Bruderküssen und bin ewig<line type="break"/>
<align pos="right">Dein getreuer obwohl offt kränklicher Bruder<line type="break"/>
Jacob Michael Reinhold Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>[am linken Rand, vertikal]Der Buchhandel würde auch bey Pieskau gewinnen, so wie die Bankgeschäfte, da diese Stadt mit allen Städten an der
Düna durch die Polota, Ewst u. s. f. und durch den Urnensee mit dem Kanal und der Schifflände Gschat zusammenhängt,
wo ein starker Handel von Moskau auch nach Liefland ist. Amnestie aller meiner alten Thorheiten in Liefland und ein
neues Jahr. <line type="empty"/>
<page index="2"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>N.S. Es ist ein Schwager (Bruder der andren Frau) des Herrn Past. Brunner in St. Petersburg, der bey einem Feldregiment
Offizier war und, wo ich nicht irre See Dienste bey den Landtruppen zur Bewahrung der Küste genommen: er heißt Neumann
und hat viele Empfehlungen. Sollte derselbe dem Bruder Carl nicht zu Gesicht gekommen seyn? Oder den Kindem des Bruder
Friedrich in Petersburg. Ich habe seine Adresse nicht aus der man mir ein Geheimniß macht, wenn er nach Liefland reiste,
würde ihm gern einen Brief an den Herrn von Engelhardt in Odennyer auf den Gütern des Grafen Romanzoff mitgegeben
haben: dieser Herr von Engelhardt ist dem Bruder Benjamin in Reval bekannt geworden, wo er Verwandte unter dem Adel
hat. Ich habe noch einen Brief von ihm. Wie sehr wäre zu wünschen, daß eine hohe Schule im <ul>Lande</ul> in der Nähe
entstünde, wo die jungen Liefländer ehe sie herausreisten und ihr Geld in der Fremde verschwendten, ein oder zwey
Jahre das <ul>Vaterland seine Sprache</ul> und <ul>Gerechtsame</ul> kennen lernten. Es sind nur <ul>20</ul> die ins Cadettencorps aufgenommen
werden. An <ul>Gelehrten</ul> auch im <ul>Lande,</ul> besonders auch in <ul>Moskau</ul> wo viele gelehrte Russen besonders der <ul>Medizin</ul> auch auf
eigene und der Käiserin Kosten fremde Länder besucht haben und alle Sprachen, die deutsche nicht ausgenommen sprechen,
<ul>fehlt es nicht</ul> aber nur an <ul>Eltern</ul> und <ul>Kindern</ul> die ihre tausend und über tausendjährige Vorurtheile überwinden. <line type="empty"/>
<align pos="center">**</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe Pappa von dem neuen Projekt einer <aq><ul>Polyglotta</ul></aq> oder allgemeinen <ul>Bibelübersetzung</ul> in alle Sprachen mit stehenden
Pressen zum Besten der Armen geschrieben, welcher Vorschlag hier im <ul>Senat</ul> durchgedrungen. Dieser Brief importirt mir
also imgleichen von einer französischen <ul>Zeitung</ul> die ich auszugeben gedenke, zur Erleichterung der allgemeinen Sprache
für Rußland von der alle 44 nach Herrn Tschulkoff, als <ul>Dialekte</ul> anzusehen, welches dem schönen Geschlecht das schon
Sprachen kennt, <ul>spielend</ul> zu beweisen mich getraue. Zugleich werden einige Fragmente der <ul>Geschichte,</ul> zu der ich gesammlete
<ul>Materialien</ul> nicht bekannt machen darf, des allgemeinen <ul>Vaterlandes,</ul> und Auszüge aus <ul>Herrn Tschulkoffs Handelsgeschichte</ul>
und den neusten Handelsverordnungen, mehr <ul>dem Sinn </ul>der Gesetze nach als dem todten Buchstaben zum Besten der Landekonomie
und des <ul>innern Handels auf Flüssen,</ul> diese Blätter vielleicht auch in Liefland <ul>begehren</ul> machen wo doch beinahe in jedem
feineren Hause irgend eine Französinn oder Hofmeister ist (der kein <ul>Lauffer</ul> war) und Französisch wenigstens gelesen
wird. Sollte unsrer theurer Altgens bey <aq>Consistorial</aq>geschäften sich seines Sohnes nicht erbannen und mein langes
Geschmier etwa von Bruder Carl vorlesen lassen? Die Herrn Erzieher des Menschengeschlechts und die Theologischen Krittler
und Zänker, welche aus <ul>Tag Nacht,</ul> aus <ul>Erdichtungen Wahrheit</ul> und aus Wahrheit Lüge machen möchten, nur um zu <ul>disputiren</ul>
und Recht zu haben ohn zu wissen <ul>was sie eigentlich wollen,</ul> werden mir verzeihen, daß ich bey den <ul>unendlichen Schrauben</ul>
der sogenannten Gewissens und Ehrgerichte, an meinen <ul>Vater selbst Zuflucht</ul> nehme und mir seinen Väterlichen Seegen
ausbitten muß welches zu einem neuen Jahr (mit der innigsten Reue über alle meine auch in Liefland begangenen Fehler,
die ich aus dem was mir von seinen Briefen übrig geblieben, die vielleicht aus guter aber irrender Meynung ein Freund
von mir ohne mein Wissen verbrannt hat, noch itzt ersehe) mir eine ganz neue und andere Existenz schaffen wird. Ich fürchte
nur daß die Briefe <ul>nicht eher</ul> in des Derpischen Bruders als in Eure Hände lieben Geschwister! gerathen, deswegen ich eins
und das andere davon hier einführe, das wichtigste aber diesem Briefe nicht anvertrauen kann, welches meine ganze irdische
und <del>vielleicht</del> <ul>zukünftige Existenz</ul> betrift. Ich glaube bemerkt zu haben daß meine Rigischen Geschwister über diesen
Punkt weit einsichtvoller und menschenfreundlicher denken, als die andem deren Herz umzulenken ich dem lieben Gott
allein überlassen muß, weil ich kein Herzenskündiger bin. Vielleicht hat eine Lecture aus ganz verschobenen Gesichtspunkten
und allzu rasche Schlüsse die durch eine alte liefländische Dame die taub war und über Pieskau nach Derpt zurükkehrte,
dazu beigetragen worunter ich allein am meisten und unsäglich leiden mußte, da diese Schlüsse sehr thätig und wirksam
würden. Mit einem Worte, ich konnte und durfte mich mit keiner Liefländerinn verbinden. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<adress><sidenote pos="bottom" page="2" annotation="am unteren Rand, spiegelverkehrt">Herrn Johann Christian Lenz. Sekretär des K. Gouvernements und Rath in <aq>Riga</aq></sidenote></adress></letterText>