Einpflegung von Brief 41.

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GregorMichalski
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seegne sie Gott für den guten Willen Amen.
<align pos="right">Jakob Michael Reinhold Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="41"><line tab="6"/>NachtSchwärmerey <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Ach rausche rausche heiliger Wasserfall
<line tab="5"/>Rausche die Zeiten der Kindheit zurück in mein Gedächtnis
<line tab="5"/>Da ich noch nicht entwöhnt von deinen Brüsten
<line tab="5"/>Mutter Natur mit dankbar gefühliger Seele
<line tab="5"/>Dir im Schoos lag dich ganz empfand
<line tab="5"/>Schämst du dich Wange von jenen Flammen zu brennen
<line tab="5"/>Schämst du dich Auge, von jenen geheimen Zären
<line tab="5"/>Jenen süssen süssesten aller meiner Zären
<line tab="5"/>Wieder still befeuchtet zu werden?
<line tab="5"/>Nein so hab ich, so hab ich die Menschheit
<line tab="5"/>Noch in der wilden Schule der Menschen
<line tab="5"/>Nein so hab ich sie noch nicht verlernt.
<line tab="5"/>Kann gleich mein Geist mit mächtigerm Schwunge
<line tab="5"/>Unter die Sterne sich mischen die damals
<line tab="5"/>Nur als freundliche Funken mich ganz glücklich
<line tab="5"/>Ganz zum Engel lächelten.
<line tab="5"/>Aber itzt steh ich, nicht lallendes Kind mehr,
<line tab="5"/>Itzt steh ich dar ein brennender Jüngling,
<line tab="5"/>Blöße mein Haupt vor dem Unendlichen
<line tab="5"/>Der über meiner Scheitel euch dreht
<line tab="5"/>Dank ihn, opfr ihm in seinem Tempel
<line tab="5"/>All meine Wünsche mein ganzes Herz.
<line tab="5"/>Fühle sie ganz die große Bestimmung
<line tab="5"/>All diese Sterne durchzuwandern
<line tab="5"/>Zeuge dort seiner Macht zu seyn.
<line tab="5"/>O wenn wird er, wenn wird er der glücklichste der Tage
<line tab="5"/>Unter allen glücklichen meines Lebens
<line tab="5"/>Wenn bricht er an, da ich froher erwache
<line tab="5"/>Als ich itzt träume o welch ein Gedanke <page index="2"/>
<line tab="5"/>Gott! noch froher als itzt! ists möglich,
<line tab="5"/>Hast du soviel dem Menschen bereitet
<line tab="5"/>Immer froher tausendmal tausend
<line tab="5"/>Einen nach dem andern durchwandern und immer froher
<line tab="5"/>O da verstumm ich und sink in Nichts
<line tab="5"/>Schaffe mir Adern du Allmächtiger dann! und Pulse
<line tab="5"/>Die dir erhitzter entgegen fliegen
<line tab="5"/>Und einen Geist der dich stärker umfaßt.
<line tab="5"/>Herr! meine Hofnung! wenn die letzte der Freuden
<line tab="5"/>Aus deiner Schaale ich hier gekostet
<line tab="5"/>Ach denn wenn nun die Wiedererinnrung
<line tab="5"/>Aller genossenen Erdenfreuden
<line tab="5"/>Unvermischt mit bittrer Sünde
<line tab="5"/>Wenn sie mich einmal noch ganz überströmt
<line tab="5"/>Und dann, plautz der Donner mir zu Füßen
<line tab="5"/>Diese zu enge Atmosphäre
<line tab="5"/>Mir zerbricht, mir Bahn öfnet, weiter
<line tab="5"/>In deinen Schoos Unendlicher
<line tab="5"/>Ach wie will ich, wie will ich alsdenn dich
<line tab="5"/>Mit meinen Glaubensarmen umfassen
<line tab="5"/>Drücken an mein menschliches Herz
<line tab="5"/>Laß nur ach laß gnädig diesen Antheil von Erde
<line tab="5"/>Diese Seele von Erde mich unzerrüttet
<line tab="5"/>Ganz gesammlet dir darbringen zum Opfer
<line tab="5"/>Und dein Feuer verzehre sie.
<line tab="5"/>Ach dann seht ihr mich nicht mehr theure Freunde,
<line tab="5"/>Lieber Göthe! Der Freunde erster
<line tab="5"/>Ach dann siehst du mich nicht mehr. <page index="3"/>
<line tab="5"/>Aber ich sehe dich, mein Blick dringt
<line tab="5"/>Mit dem Strahl des Sterns zu dem ich eile
<line tab="5"/>Noch zum letzten mahl an dein Herz
<line tab="5"/>An dein edles Herz. Albertine
<line tab="5"/>Du auch, die meiner Liebe Sayte
<line tab="5"/>Nie laut schallen hörtest, auch dich
<line tab="5"/>Auch dich seh ich, seegne dich wär ich
<line tab="5"/>Dann ein Halbgott, dich glücklich zu machen
<line tab="5"/>Die du durch all mein verzweiflungsvoll Bemühen
<line tab="5"/>Es nicht werden konntest die du vielleicht es wardst
<line tab="5"/>Durch dich selbst ach die du in Nacht mir
<line tab="5"/>Lange lange drey furchtbare Jahre
<line tab="5"/>Nun versunken bist die ich nur ahnde
<line tab="5"/>Euch mein Vater und Mutter Geschwister
<line tab="5"/>Freunde Gespielen fort zu vielfache Bande
<line tab="5"/>Reißt meine steigende Seele nicht wieder
<line tab="5"/>Nach der zu freundlichen Erde hinab.
<line tab="5"/>Aber ich sehe dich dort meine Doris
<line tab="5"/>Oder bist du vielleicht trüber Gedanke!
<line tab="5"/>Nein du bist nicht zurückgekehrt
<line tab="5"/>Nein ich sehe dich dort ich will in himmlischer Freundschaft
<line tab="5"/>Mit dir an andern Quellen und Büschen
<line tab="5"/>Sternenkind! ach wie wollen wir Kinder
<line tab="5"/>Hand in Hand dort spazieren gehn!
<line tab="5"/>Aber Göthe und Albertine
<line tab="5"/>Nein ihr reißt mich zur Erde hinunter
<line tab="5"/>Grausame Liebe! ihr reißt mich hinunter.
<line tab="5"/>Reißt denn geliebte! reißt denn ich folge
<line tab="5"/>Reißt und macht mir die Erde zum Himmel! <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="linke Spalte"><!-- Wie kann ich bei der Tabellendarstellung vorgehen? -->
<line tab="1"/>Hier mein Bruder ein Brief den ich Dir schicken muß, warm wie er aus dem Herzen kommt. Dich wird
das Porto nicht dauern lieber obschon kein Geschäft darinnen ist außer eine Commission von Hafner
der mich lange gebethen hat. Ist doch uns kein höher Glück auf der Erde gegönnt als uns zu
unterreden mir ists das höchste. Denn alle meine Wirksamkeit ist für andre aber mein Gefühl für
Dich und einige Liebe ist für mich.</sidenote><line type="empty"/>
<line tab="1"/>Warum gibst Du uns denn nicht Neuigkeiten von Dir. Haben genug in unsern Briefen itzt von meinen
Schmieralien gesprochen nun laß mich wieder ausgehen von dem kleinen Dreckhauffen Ich und
Dich finden <line type="break"/> <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz</align>
<sidenote pos="right" page="4" annotation="rechte Spalte"><!-- Wie kann ich bei der Tabellendarstellung vorgehen? -->
<line tab="1"/>Ich habe viel in der Societät zu überwinden, auf einer Seite ists Unglauben, Zerrüttetheit, vagues
Geschnarch von Bellitteratur wo nichts dahinter ist als Nesselblüthen: auf der andern steife leise
Schneckenmoralphilosophie die ihren grosmütterlichen Gang fortkriecht, daß ich oft drüber die Geduld
verlieren möchte. Da konnte Götz nicht durch dringen, der beyden gleich abspricht. Daher fing ich an
<aq>ut vates</aq> den Leuten Standpunkt ihrer Religion einzustecken, daß itzt unter viel Schwürigkeiten vollendt
ist, die Erfolge wird die Zeit lehren. Und nun stürm ich mit Ossians Helden hinein das alte Erdengefühl
in ihnen aufzuwecken, das ganz in französische <aq>Liqueurs evaporirt</aq> war. Daß wirs ausführen können was
ich mit ganzer Seele strebe, auf Heid und Hügel Deine Helden wieder
naturalisiren.</sidenote>
<align pos="center">Addio </align></letterText>
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<date value="Straßburg, Februar 1775" />
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Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, NL Lenz, Bd. 2, (Nr. 193), Bl. 1011
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