mirror of
https://github.com/Theodor-Springmann-Stiftung/lenz-briefe.git
synced 2025-10-28 16:45:31 +00:00
14
This commit is contained in:
@@ -402,24 +402,22 @@ Tarwast den 9ten November 1767.
|
||||
<line type="break" /><align pos="right">Ihrem ergebensten Lenz.</align>
|
||||
</letterText>
|
||||
|
||||
<letterText letter="13"> <align pos="right">Fort Louis, d. 13ten Jul. 1772</align>
|
||||
<letterText letter="13"><align pos="right">Fort Louis, d. 13ten Jul. 1772.</align>
|
||||
<line type="empty" />
|
||||
<line type="break" /><align pos="center">Liebster Bruder!</align>
|
||||
<line type="empty"/>
|
||||
<line tab="1"/>Deine Vorwürfe würden mir so empfindlich nicht seyn, wenn ich sie <del>nicht</del> verdient hätte: aber sie nicht verdient zu haben und doch kein Mittel wissen, die üble Meinung abzulehnen die alle meine vorige Bekannte meines Stillschweigens halber von meinem Herzen zu fassen anfangen das ist in der That niederschlagend. So mürbe ich aber auch von den Streichen des Schicksals bin, so soll doch kein einziger, das hoffe ich zu Gott, mir meinen Mut rauben. Ich habe öfter an Dich geschrieben als Du an mich – wen soll ich anklagen, daß meine Briefe nicht zu Euch kommen? Ich freue mich über Dein morgenröthendes Glück – das meinige liegt noch in der Dämmerung. Es mag ewig darinne liegen bleiben – Dir nähere Nachrichten von meinen Umständen und Begebenheiten zu geben, ist mir unmöglich. Sie geben das anmuthigste Gemählde von Licht und Schatten, wiewohl der letzte bisweilen ein wenig tief ist. Aber im Briefe kann ich Euch nichts davon mittheilen: und ich halte es für besser Euch lieber zu schreiben daß ich noch gesund bin und lebe, sonst nichts, als Euch mangelhafte und unvollkommene Nachrichten zu geben, aus denen Ihr Muthmaßungen und Schlüsse ziehen könntet, die Eurer und meiner Ruhe schaden würden. Ich habe mit Deinem Briefe einen sehr lamentablen von unserm guten Frohlandt aus Königsberg bekommen, worin er mir meldet, daß fast die ganze Landsmannschaft <ul>davon gelauffen.</ul> In der That, ich werde bald anfangen zu erröthen, mich aus unserm Vaterlande zu bekennen, wenn unsere Landsleute sich Deutschland in einer solchen Gestalt zeigen. Baumann, Hesse, Zimmermann, Hugenberger, Kühn, Meyer – ich habe meinen Augen nicht trauen wollen. Und der arme Frohlandt ist in der That fast aufs äußerste gebracht – Hipprich und Marschewsky sind gleichfalls aus Berlin mit Schulden davon gelauffen, der letzte hat dieses schon in Leipzig und Jena getan. Das sind denn die würdigen Subjekte, mit denen in unserm Vaterlande Ehren- und Gewissens-Aemter besetzt werden. Ich wünschte meine Verwandten und Freunde heraus, in der That, ich wende keinen Blick mehr hin. Doch will ich Deinen Vorschlag mit der <aq>Condition</aq> überlegen und Dir in dem nächsten Briefe von meinem völligen Entschluß Nachricht geben, bloß um nur noch einmal, einmal das Glük zu haben meine Eltern und Euch alle wiederzusehen. Vor künftigen Frühjahr, also jetzt über 10 Monate kann ich mich auf keine Weise allem Anscheine nach von Kleists loß machen. Ins künftige wenn Du schreibst, so laß sie doch grüßen, liebster Bruder! es ist in der That
|
||||
<page index="2"/>zu spröde, daß Du thust, als habst Du sie nie gekannt. Ich dependire einmal in gewisser Absicht von ihnen. – Kurz in meinem nächsten Briefe werde ich Dir von meinem Entschluß positivere Nachricht geben. Reisegeld aber würde der Herr Etatsrath mir wohl schicken müssen, denn die <ul>Reise</ul> – <del>macht</del> legt meiner Zurükkunft die größte Schwierigkeit in den Weg. Du weißt die Oekonomie der jungen Herrchen und wie viel sie baar liegen haben. – Von Henisch kriege ich noch beständig Briefe, von Miller aber keine, auch von Pegau nicht, wenn Du an einen von ihnen schreibst, so grüße doch beide von mir 1000mahl und sage ihnen, daß ich gegen alle meine Freunde unter allen meinen Umständen der alte Lenz bleibe. Vielleicht thu ich mit dem ältesten Herrn v. Kleist auf den Herbst eine Reise auf einen Monath nach <aq>Nancy</aq> und mit dem jüngsten auf den Winter eine auf ein paar Monate nach Mannheim. Warum hast Du die Bedienung in Dorpat nicht angenommen. Eine gute Einschränkung <del>versp</del> erwirbt oft mehr als ein hohes Gehalt und wenn zu dem ersten die Gesellschaft der zärtlichsten Freunde kommt und bey dem andern jede Freude des Lebens darbt, so sollte billig der erste Zustand der vorzügliche seyn. – Jetzt kann ich unmöglich weiter schreiben – die <del>Post</del> <insertion pos="bottom">Gelegenheit</insertion> geht – o Himmel wie viel muß ich unterdrüken! Das sey aber versichert, mein theurer Bruder, daß ich Dich vorzüglich liebe und unter allen Umständen meines Lebens lieben werde. Die Gelegenheit mit der ich Dir diesen Brief schicke ist der Baron von Grothusen, welcher Morgen nach Curland zurükreiset und mit dem ich anfangs mitzugehen mir schmeichelte, diese Hofnung ist aber durch allerley <aq>Contretems</aq> zu Wasser geworden. Die vorigen Briefe habe ich Dir theils auf der Post, theils durch Pegau (wo mir recht ist) teils durch einen Landsmann der auch nach Hause reiste teils durch Herrn v. Sievers zugeschickt. Daß keiner angekommen, weiß ich auf keine Art zu begreiffen. Schreibe mir durch Frohlandt oder H. v; <aq>Sievers</aq>, fast möchte ich itzt die erste Gelegenheit für besser – oder nimm doch die andere – Mache wie Du es für gut findst. Meine Adresse ist <del>an H</del> abzugeben beym Herrn Actuarius Salzmann, nahe bey der Pfalz. Actuarius ist hier eine der ersten Magistratsbedingungen, nicht wie in Liefland – Ich muß schließen. Ich hoffe gewiß daß wenigstens dieser Brief Dich antreffen wird. Melde mir doch wie die Bedingungen Deiner <aq>Condition</aq> lauten. Bitte Papa um ein paar Zeilen von seiner Hand, dies ist die einzige Wohlthat die ich mir von ihm ausbitte. Küsse ihm und Mama 1000mal die Hand allen meinen theuren Geschwistern Freunden und Freundinnen 1000000mal den Mund von
|
||||
<line type="empty" />
|
||||
<line type="break" />Deinem zärtlichsten Bruder Lenz.
|
||||
<line type="break" /><align pos="center">Deinem zärtlichsten Bruder Lenz.</align>
|
||||
<sidenote pos="top left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">Kleists lesen alle meine Briefe. Wir sind aber Freunde und Du darfst alles frey schreiben, nur nichts von ihnen.</sidenote>
|
||||
</letterText>
|
||||
|
||||
<letterText letter="14">Fort Louis, August 1772
|
||||
<line type="empty"/>
|
||||
<line tab="1"/>Sie bekommen heut’ einen sehr elenden Brief von mir, darum wollt’ ich anfangs lieber gar nicht schreiben. Aber <aq>non omnia possumus omnes</aq> dacht’ ich, mit Herrn Rebhuhn und geantwortet muß doch seyn. Ich komme eben aus der Gesellschaft dreier lieben Mädchen und einer schönen, schönen Frau und in allen solchen Gesellschaften wird das Fleisch willig und der Geist schwach. Wie dieser Brief in Ihre Hände kommt weiß ich noch nicht. Es soll ein Hauptmann nach Straßburg gehen, der dorthin allerlei mitnehmen wird, unter anderm Ihren <aq>Hobbes civem Malmesburgiensem</aq>, den ich mich nicht überwinden kann zu Ende zu bringen. Es geht mir wie einem Kinde, das über ein neues Spielzeug eines alten vergißt, das es doch so fest mit seiner kleinen Patsche umklammert hatte, als ob es ihm erst der Tod herausreißen sollte. Der Zustand meines Gemüthes ist wie er ist; den Haß kann man wohl auswurzeln, aber die Liebe nie, oder es müßte ein Unkraut seyn, das nur die äußere Gestalt der Liebe hätte. Wenn mir Einer Mittel vorschlagen wollte, Sie nicht mehr zu lieben, glauben Sie, daß diese Mittel bey mir kräftig sein würden? Vergeben Sie mir mein böses Maul, ich wünschte es allemal böser als mein Herz. Ich habe einen vortrefflichen Fund von alten Liedern gemacht, die ich Ihnen, sobald ich nach Straßburg komme, mittheilen werde. Wollen Sie meine letzte Uebersetzung aus dem Plautus lesen, so fodern Sie sie unserm guten Ott ab, denn ich glaube schwerlich, daß sie so bald in der Gesellschaft wird vorgelesen werden. Sie haben mir keine Nachricht gegeben, wie sie mit der Ietztern gegenwärtig zufrieden sind. Vernachlässigen Sie diese Pflanzschule Ihrer Vaterstadt nicht, theurer Freund, vielleicht könnten wohlthätige Bäume draus gezogen werden, auf welche Kindeskinder, die sich unter ihrem Schatten freuten, dankbar schnitten: Auch dich hat Er pflanzen helfen. Es sieht noch ziemlich wild und traurig in Ihrer Region aus – aber der erste Mensch ward in den Garten Eden gesetzt um ihn zu bauen. Wollten Sie wohl einst so gütig seyn, mir, zum <aq>aequivalent</aq> für <aq>Hobbes</aq>, noch eine glühende Kohle aufs Haupt zu sammeln und etwa Puffendorfs <aq>historiam juris</aq> zu schicken. Oder ein anderes juristisches Buch, denn Jurist muß ich doch werden, wenn mir anders die Theologie nicht verspricht mich zum Papst von Rom zu machen. Ich halte viel auf die Extreme und Niklaus Klimm’s <aq>aut</aq> Schulmeister <aq>aut</aq> Kaiser ist eine Satire auf Ihren Ihnen stets ergebenen
|
||||
<line type="empty"/>
|
||||
<line type="break"/>Lenz.
|
||||
<line type="empty" />
|
||||
<line type="break" />Herr von Kleist befindet sich wohl und empfiehlt sich Ihnen bestens.
|
||||
<letterText letter="14">
|
||||
<line tab="1"/>Sie bekommen heut’ einen sehr elenden Brief von mir, darum wollt’ ich anfangs lieber gar nicht schreiben. Aber <aq>non omnia possumus omnes</aq> dacht’ ich, mit Herrn Rebhuhn und geantwortet muß doch seyn. Ich komme eben aus der Gesellschaft dreier lieben Mädchen und einer schönen, schönen Frau und in allen solchen Gesellschaften wird das Fleisch willig und der Geist schwach. Wie dieser Brief in Ihre Hände kommt weiß ich noch nicht. Es soll ein Hauptmann nach Straßburg gehen, der dorthin allerlei mitnehmen wird, unter anderm Ihren <aq>Hobbes civem Malmesburgiensem</aq>, den ich mich nicht überwinden kann zu Ende zu bringen. Es geht mir wie einem Kinde, das über ein neues Spielzeug eines alten vergißt, das es doch so fest mit seiner kleinen Patsche umklammert hatte, als ob es ihm erst der Tod herausreißen sollte. Der Zustand meines Gemüthes ist wie er ist; den Haß kann man wohl auswurzeln, aber die Liebe nie, oder es müßte ein Unkraut seyn, das nur die äußere Gestalt der Liebe hätte. Wenn mir Einer Mittel vorschlagen wollte, Sie nicht mehr zu lieben, glauben Sie, daß diese Mittel bey mir kräftig sein würden? Vergeben Sie mir mein böses Maul, ich wünschte es allemal böser als mein Herz. Ich habe einen vortrefflichen Fund von alten Liedern gemacht, die ich Ihnen, sobald ich nach Straßburg komme, mittheilen werde. Wollen Sie meine letzte Uebersetzung aus dem Plautus lesen, so fodern Sie sie unserm guten Ott ab, denn ich glaube schwerlich, daß sie so bald in der Gesellschaft wird vorgelesen werden. Sie haben mir keine Nachricht gegeben, wie sie mit der Ietztern gegenwärtig zufrieden sind. Vernachlässigen Sie diese Pflanzschule Ihrer Vaterstadt nicht, theurer Freund, vielleicht könnten wohlthätige Bäume draus gezogen werden, auf welche Kindeskinder, die sich unter ihrem Schatten freuten, dankbar schnitten: Auch dich hat Er pflanzen helfen. Es sieht noch ziemlich wild und traurig in Ihrer Region aus – aber der erste Mensch ward in den Garten Eden gesetzt um ihn zu bauen. Wollten Sie wohl einst so gütig seyn, mir, zum <aq>aequivalent</aq> für <aq>Hobbes</aq>, noch eine glühende Kohle aufs Haupt zu sammeln und etwa Puffendorfs <aq>historiam juris</aq> zu schicken. Oder ein anderes juristisches Buch, denn Jurist muß ich doch werden, wenn mir anders die Theologie nicht verspricht mich zum Papst von Rom zu machen. Ich halte viel auf die Extreme und Niklaus Klimm’s <aq>aut</aq> Schulmeister <aq>aut</aq> Kaiser ist eine Satire auf Ihren
|
||||
<line type="break"/><align pos="center">Ihnen stets ergebenen</align>
|
||||
<line type="break"/><align pos="right">Lenz.</align>
|
||||
<line type="break" /><line tab="1"/>Herr von Kleist befindet sich wohl und empfiehlt sich Ihnen bestens.
|
||||
</letterText>
|
||||
|
||||
<letterText letter="15">Mein theurer Sokrates!
|
||||
|
||||
Reference in New Issue
Block a user