Einpflegung von Brief 126.

This commit is contained in:
GregorMichalski
2024-11-21 13:37:40 +01:00
parent 62cb8bbe2b
commit 15019edda5
3 changed files with 76 additions and 0 deletions

View File

@@ -5172,5 +5172,60 @@
Herrn Herrn <ul>Lenz,</ul> Gelehrten<line type="break"/>
in <ul>Straßburg</ul></letterText>
<letterText letter="126"><line tab="1"/>Ich danke Ihnen lieber guter Mann für Ihren treugemeynten Brief herzlich. Wir wollen also mit
einander beginnen, u. es soll uns beyde nicht reuen. Laßen Sie sichs nicht leid seyn, daß die<line type="break"/>
<del>Leute</del> Welt Ihren Namen kennen weiß. Sie haben mehr Freunde als Sie glauben, u. wer Ihre Bücher
goutirt, ist ein guter Mensch. Denn den flachen Köpfen u. Herzen sind sie so unausstehlich. Und der
guten Menschen giebts doch viel, u. der unverdorbenen, besonders unter den Weiblein. Hätten Sie nicht
geschrieben, so wüßte z. E. unser Einer nicht zu seinem Troste, daß ein so guter Mensch mehr lebt, wie
Sie, ob ich gleich glaube daß der Poeten mehr sind, die nicht schreiben, als die da schreiben, u. daß
von jedes Menschen Empfindung so viel verraucht, biß s aufs Papier kommt u. <aq>dabel</aq> wird, daß nichts übrig
bleibt als caput mortuum. Selbst Goethe mahlt oft mit Wasserfarbe Geschichte der Menschheit, wenigstens an
manchen Stellen, um sein Fascikel voll zu machen. Das weis er auch selbst, und ich habs ihm auch gesagt.
Mit ihm hab ich offt Ihre Liebes-Gedichte gelesen, u. gefunden was das ist, wahre Leidenschafft. Sie waren
dem äussern Schnitt des todten Buchstabens nach Menantisch, Ta<page index="2"/>landrisch u. Gottschedisch, dafür
hätte sie gewiß Ramler gebrandmarkt. Aber innen wehte der grose Wind heraus, der uns mitschaudern machte.
Von meinen Lumpreyen hab ich jezt nichts zum Absenden, weil ich so schreibe daß s kein Mensch lesen kan,
u. zum Copiren hab ich keine Zeit eben. Dafür schick ich Ihnen Herders Rhapsodie. Sie ist von dem grosen
Gebrauch sehr schadhaft geworden, bitte sie wohl in acht zu nehmen. Er hat sie gleich nach Empfang des
Reimhards geschrieben. Ich hab den zweyten Th. begonnen, von dem nächstens. Etwas Rhypographisches auch von
oder nach Swift. Die Romanzen führt Goethe alle in einem Bande mit sich. Ich habe keine weiteren Abschriften,
u. die ersten Aufsäze sind mir alle verloren gegangen. Ich hab ihm aber darum geschrieben. Von Herdern hab
ich noch viele Gedichte, die ich Ihnen alle nach u. nach sub Rosa mittheilen kan. Wann ich künftig was
schnizele sollen Sies sehen; ich denke es wird mir doch aufmunterung u. Trost seyn, wenns in Ihnen wiederhallt.
Könnten Sie uns nicht einmal besuchen, besonders wenn Claudius hier wird seyn? Bleiben Sie ja ich bitte Sie in
Deutschland. Vor unser einem ist in Rußland kein Heil u. Seegen. Wir haben keine Körper, um in <page index="3"/> jenem
Lande zu <ul>geniessen</ul> mit vielem huren, spielen, fressen u. sauffen. Und <ul>unsere</ul> Seelen, so wie alle Arten überhaupt,
die auf etwas mehr als dem Miste thierischer Bedürfnisse wühlen, kann man dort ganz entbehren. Ich lebe hier,
wenn Goethe in Weimar bleiben solte, freylich auch auf einem verwünschten Sand<ul>fleck,</ul> wo nie was gescheutes keimen
kann u. wird. Aber die liebe Noth ist das beste täglich Brod. Die hat mir noch beständig mein Dach geflikt, u.
wirds auch so fort fliken. Lebten wir im Überfluß, so würden wir <aq>Gens aisés,</aq> u. ennuyirten uns, hätten außer unsern
eigen, noch standsmäßige obstruction. Ausserdem bin ich zu verschiedene malen von Madame Fortuna tüchtig gewamset
worden, wofür ihr aber mit Yorik herzlichen Dank sage. Ich gäbe meine jezige Existenz nicht um aller Welt Güter
willen weg, u. wenn ich noch einmal in Mutter Leibe zurückgehen, u. die <ul>Reihe von mir selbst unabhängiger <insertion pos="left">mich
angehende</insertion> Begebenheiten</ul> wählen sollte, so solts in Gottes Namen nicht anders seyn, als es gewesen ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von Goethen hab ich allerley hübsche u. gute Sachen. Haben Sie <page index="4"/> das Stük von Wieland
Goethe u. die jüngste Niobe Tochter? wo nicht will ichs schiken. Sie schreiben <insertion pos="top">jezt</insertion> dort Farcen (sub
Rosa) die sie Matineés nennen, haben Sie nichts davon? Eine schöne Zeichnung von Krause hab ich
auch wo er sizt, u. den Faust vorließt, der Herzog u. alle andere um ihn herum. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich denke unter der Adreße der Mlle König u. der Frau Geh. Räthin <aq>Heße</aq> könnten wir immer einander
schreiben, ohne daß es Postgeld verursacht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Leben Sie wohl u. gedenken Sie meiner offt z. E. wenn etwas von Ihnen nach Weimar geht, könnts
nicht vorher ein bißchen hier anhalten? Ihre Posten hat mir Goethe nie wollen mittheilen. <line type="empty"/>
So eben scheint die liebe Sonne u. ich denke es ist besser Gottes Angesicht schauen als schreiben. <line type="empty"/>
Leben Sie wohl u. halten Sie Ihr Versprechen nächstens zu schreiben. <line type="empty"/>
Ihr ganz eigener <line type="empty"/>
<align pos="center">Merck</align> <line type="empty"/>
D. 8ten Mart. 1776.
</letterText>
</document>
</opus>

View File

@@ -1890,6 +1890,22 @@
<isDraft value="false" />
</letterDesc>
<letterDesc letter="126">
<date value="Darmstadt, 8. März 1776" />
<sort value="1776-03-08" />
<location ref="20" />
<senders>
<sender ref="29" />
</senders>
<receivers>
<receiver ref="20" />
</receivers>
<hasOriginal value="true" />
<isProofread value="true" />
<isDraft value="false" />
</letterDesc>
</descriptions>
</opus>

View File

@@ -777,6 +777,11 @@
</app>
</letterTradition>
<letterTradition letter="126">
<app ref="4">
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 32, Nr. 39
</app>
</letterTradition>
</traditions>