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Einpflegung vom französischen Brief 359 und Übersetzung.
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Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, NL Lenz, Bd. 2, (Nr. 235), Bl. 62–63
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<align pos="center">Mein Wohltäter!</align> <line type="empty"/><!-- Hier nicht zentriert? -->
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<line tab="1"/>Die Reise, die Herr Reimann ohne mein Wissen und ohne mir zu erlauben, ihn zu
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begleiten, unternommen hat, gibt mir ein wenig Hoffnung; denn ehrlich gesagt war
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mein Herz recht bedrückt. Man behauptet hier, dass Ihre Hoheit Madame die
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Großherzogin sich sehr selten zu lachen erlaubt: dass sie aber bei der anmaßenden
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Forderung der Schweden, die ganze Armee solle ihre Waffen übergeben und in diesem
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Fall verpflichte sich der Herzog von Suderm., mit den Türken über Frieden zu
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verhandeln, sich nicht habe enthalten können, laut herauszulachen. Diese Episode
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hat mir den Stoff für ein kleines Drama geliefert, das ich dem einzigen Zensor
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vorlege, den ich kenne. –<line type="break"/>
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Weinender Czarlot und lachender Czarlot, kleines Drama über den Krieg der Schweden<line type="break"/>
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Lachender Czarlot: Man sagt, dass unsere ganze Armee die Waffen niedergelegt hat.<line type="break"/>
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Weinender Czarlot: Ja, Mama, hiiiii.<line type="break"/>
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Lachender Czarlot: Und die Schweden stehen weiter unter den Waffen<line type="break"/>
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Weinender Czarlot: Ja da Mama, hiiiii<line type="break"/>
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Lachender Czarlot: Aber was gibt das? Unsere ganze Armee wird gefangengenommen: und
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mein Gatte, weit entfernt, die Schweden zu entwaffnen, wird ihnen noch neue Waffen
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liefern.<line type="break"/>
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Weinender Czarlot: Das gibt eine schöne Geschichte, Mama hihiiiii<line type="break"/>
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Czarlot (ausbrechend): Aber habt ihr nicht gehört, dass die Waffen der Schweden Scheren
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und Maßbänder sind und dass sie gerade wie die Wahnsinnigen daran arbeiten, unsere ganze
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Armee und selbst meinen Gatten mit Hosen zu versorgen<line type="break"/>
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Weinender Czarlot: Was soll das bedeuten, hiiiii – unsere ganze Armee entwaffnet<line type="break"/>
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Lachender Czarlot: Aber begreifst Du Verrückte nicht, dass man ihnen keine Kleider machen
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kann, während sie bewaffnet sind und kämpfen. Wenn nicht genug Scheren da sind, wird man
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welche aus Tula kommen lassen<line type="break"/>
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Weinender Czarlot: Aber der Herzog von Sudermannland will uns unser Land wegnehmen, das ist
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nicht zum Lachen!<line type="break"/>
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Lachender Czarlot: Aber er gibt uns dafür Tuch und Eisen und dient selbst in unserer Armee,
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reicht das nicht? Er ist ein von Kopf bis Fuß bewaffneter Gefangener.<line type="break"/>
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Weinender Czarlot: Hiiiii.<line type="break"/>
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Lachender Czarlot: Du bist ja verrückt, hättest Du dafür Blut vergießen wollen. Es reicht
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jetzt mit deinem Geheule<line type="break"/>
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Weinender Czarlot: Aber unser Land, unser Land<line type="break"/>
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Lachender Czarlot: Du Verrückte, unser Land gehört weiter uns: Wir leihen es einem Freund,
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der zu wenig davon hat, dafür aber zu viele Einwohner und Handwerker, die kein Brot haben.
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Mögen sie es in Russland suchen<line type="break"/>
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Weinender Czarlot: Aber letztendlich werden wir so zu Schweden<line type="break"/>
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Lachender Czarot: Du Verrückte, die Schweden werden keine Russen werden und die Russen keine
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Schweden, aber sie werden von nun an in guter Freundschaft miteinander leben.<line type="break"/>
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Bote (ganz außer Atem): Oh weh oh weh, die Schweden haben unsere ganze Armee entwaffnet, und
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anstatt sich zu verteidigen, sind sie bis aufs Hemd ausgeplündert. Man ordne öffentliche
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Gebete an<line type="break"/>
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Weinender Czarlot (lässt sich in einen Sessel fallen): Nun ist es also geschehen<line type="break"/>
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Lachender Czarlot: Aber sie werden kommen und auch uns ausplündern.<line type="break"/>
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Weinender Czarlot: Ich sterbe!<line type="break"/>
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<line tab="1"/>Ich hatte wirklich mehr Recht als jeder andere, die Rolle des weinenden Czarlot zu spielen,
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die mir vielleicht gar nicht schlecht gelungen ist, da ich meine Verhältnisse in ihrem ganzen
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Wert und Gewicht kenne. Das bedrückte mich, und ich gestehe, dass ich, wäre ich der Mann,
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meinen werten Landsleuten männlichen Geschlechts meine Gefühle einzuflößen, sie nicht so schnell
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entwaffnen lassen hätte. Sie haben Schneider ganz wie die Herren Schweden, die übrigens im
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ganzen Reich Brot finden werden, ohne uns allzu sehr zu belästigen. Der beiliegende Brief gibt
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vielleicht Aufschluss darüber; er war an den Grafen von Anhalt adressiert und wenn mein Wohltäter
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ihn ihm zukommen lassen kann, wird das eine schwache Huldigung sein, die unsere Herzen heimlich
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dem legitimen Erbe der Rechte Peters des Großen entgegenbringen. Er hätte uns ein Tübingen geben
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können. <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Man hat mir berichtet, dass der auf der Insel Rügen geborene Herr Gadebusch gestorben ist; ich
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bedaure das wegen der livländischen Annalen, die er mir gütigerweise geschickt hat, obwohl ich
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das Unglück hatte, dass die weinenden Herren Czarlots aus Moskau mich fast all meiner Bücher
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beraubt haben. Das wird mich nicht daran hindern, irgendeine Lektüre zu suchen, die mir Stoff
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für die Werke liefern könnte, die ich den jungen Hoheiten bei der ersten günstigen Gelegenheit
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zu Füßen legen werde.<line type="break"/>
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<align pos="right">Lenz.</align></app>
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</letterTradition>
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<letterTradition letter="360">
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