Einpflegung von Brief 238.

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GregorMichalski
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gehors. Diener<line type="break"/>
Schenk</align></letterText>
<letterText letter="238"><align pos="center">Bester Vater!</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es war die Mutter vom nunmehrigen geheimen Legationsrath Goethe, die ich in · Frankfurt auf der
Durchreise das erstenmal kennen gelernet, von der ich Mamaen das schrieb. Seine Schwester, eine
gleichfalls sehr würdige Dame ist lange verheurathet mit einem Manne der ihrer werth ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich Ihrer spotten das ist ein Gedanke, der mich tödten würde, wenn ich nicht hoffen dürfte,
daß er nur aus Ihrer Feder, nicht aus Ihrem Herzen gekommen ist. Ich sehe mein Vater! daß es ein
Schicksal ist, das ich nicht ändern kann, wegen Entfernungen der Zeit und des Orts von Ihnen und
allen den Meinigen mißverstanden zu werden. Wie heilig mir Ihre Briefe sind, mag Gott Ihnen durch
einen andern Weg als durch meine Feder künftig bekannt machen, oder auch nur ahnden lassen. Fahren
Sie fort mir diese <ul>höchsten</ul> Beweise Ihrer Güte noch zuzuschicken wenn Sie mich dessen werth glauben. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Wie <dul>Goethe</dul> und die Seinigen sich zu allen Zeiten gegen mich bewiesen und wieviel ich ihnen schuldig
bin, kann ich nie genug erkennen und rühmen.</sidenote><line type="break"/>
<page index="2"/><line type="empty"/>
<line tab="1"/>Goethe ehrt Sie wie ich. Die Welt ist groß mein Vater, die Wirkungskreise verschieden. Alle Menschen
können nicht einerley Meynungen oder vielleicht nur einerley <ul>Art sie auszudrücken</ul> haben. So unvollkommen
das was man in jedem Fach der menschlichen Erkenntniß <ul>modern</ul> nennt, seyn mag, so ist es, wie Sie selbst
mir nicht ganz absprechen werden, jungen Leuten doch nothwendig, sich hinein zu schicken, wenn sie
der Weit brauchbar werden wollen. Glücklich sind sie wenn sie Väter haben wie ich, deren Beyspiel auch
bey veränderten Umständen und Zeiten immer und ewig ihnen Muster bleiben muß. Das sage ich weder aus
Heucheley noch aus Schmeicheley, denn <ul>was für Vortheile könnte mir beydes bringen,</ul> sondern aus Erkenntniß
der Wahrheit, aus <page index="3"/> inniger Verehrung und Anbetung des Geists der in Ihnen webt und würket. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der zweiten Seite, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Bitten Sie doch Bruder Carl um die <ul>einzige Freundschaft</ul> mir in einer guten Stunde aus Ihrem und meiner
Mutter Munde historische Nachrichten von meinen Großeltern # sowohl von <ul>Ihrer</ul> als von mütterlicher Seite
aufzuschreiben und zuzu<del>setzen</del>senden, er wird <ul>unserm Herzog</ul> damit <ul>Freude</ul> machen. Die Gnade dieses Fürsten
für mich ist Gottes Werk.</sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote pos="top" page="2" annotation="am oberen Rand der zweiten Seite, spiegelverkehrt"><line type="break"/>
<line tab="1"/>NB. # Wollten Sie mich <ul>würdigen,</ul> etwas von Ihrer eigenen Lebensgeschichte dazuzuthun, würd ichs mit
dem <dul>höchsten</dul> Dank erkennen.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Briefe meiner Geschwister stärkten mich gleichfalls. Sagen Sie Fritzen ich werde Sorge für seinen
Auftrag haben, fürchte aber, er werde ein wenig unthulich seyn, falls nicht etwa ein Landsmann nach
Lief- oder Curland hineingeht, der einen Burschen mitnimmt. Mein Bruder Christian ist immer der einzige
Mensch der mich noch am besten verstehen kann; sein Glück, seine Zufriedenheit sind die meinigen.
Schwester Lottgen und Liesgen bitte ihre Munterkeit nicht zu verlieren, das Leben wird heutzutage immer
bitterer und immer süßer. Ein Augenblick ersetzt Jahre voll Kummer auch ein Augenblick wie der
wenn ich Nachrichten von Ihnen erhalte. Schwester Norgen möchte ich sehen, Bruder Carl wird die Hofnungen
seines Vaters nicht so grausam hintergehen als ich. Dürft ich bitten alle ihre Schattenbilder zu nehmen,
und sie mir verkleinert mit einem Instrument das man Storchenschnabel nennt, im Briefe zuzuschicken. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand der dritten Seite, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>ich küsse Schwester Norchen und bitte sie das Glück ganz zu fühlen und zu schätzen, der letzte Trost
ihrer Eltern zu seyn.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich muß noch hinzusetzen, daß ich jetzt durch die Bekanntschaft Wielands eines der grössesten Menschen
unsers Jahrhunderts, dessen Werth aber freilich nur erst die Nachwelt ganz schätzen wird und ich darf
sagen durch sein Herz und seine Freundschaft eine der glücklichsten Aquisitionen meines Lebens gemacht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Darf ich nochmals um Ihre Lebensgeschichte flehen. Nur auf einem Blättgen, wenns Ihre Zeit nicht erlauben
will. Ich küsse Mama und Ihnen die Hand und alle Geschwister tausendmal. Ihr gehorsamster Sohn <line type="empty"/>
<align pos="right">JMR Lenz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand der vierten Seite, vertikal"><line type="break"/>
im Merkur werden Sie mich bisweilen auch finden.</sidenote></letterText>
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</opus>