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<opus>
<document>
<letterText letter="1">
<page index="1" /> Hoch Edelgeborner Hochgelahrter Herr <aq>Secretair</aq> <line type="break"
tab="7" /> Verehrungswürdigster Gönner! <line tab="7" />
<line type="empty" /> Ew.
HochEdelgebh: haben mich durch die neue Probe von Dero schätzbaren Gewogenheit ausserorndtlich
beschämt. Meine Feder ist zu schwach, Denenselben die regen Empfindungen meines Herzens
darüber zu schildern. Ich weiß Ew. HochEdelgebh: meine Dankbegierde auf keine andere Art an
den Tag zu legen, als daß ich meine gestrigen Wünsche für Dero Wohlseyn wiederhole, und die
gütige Vorsicht um die Erhörung derselben anflehe. Der Herr überschütte Dieselben und Dero
wertes Haus im künftigen Jahr mit tausend Seegen und Heil. Er erhalte Ew. Hoch Edelgebh: bis
zu den spätesten Zeiten im ersprießlichsten Wohlergehen. Er bewahre Ew. HochEdelgebh: für alle
widrige Zufälle in den künftigen Jahren, und <page index="2" />lasse mich noch lange das Glück
genießen, Dieselben in dem blühendsten Wohlstande zu sehen, und mich mit dem erkenntlichsten
Herzen nennen zu dürfen <line type="empty" /> Hoch Edelgeborner Hochgelahrter Herr <aq>
Secretair</aq> <line type="break" tab="7" /> Verehrungswürdigster Gönner <line type="break"
tab="7" /> Ew. Hoch Edelgebh: <line tab="7" />
<line type="empty" /> gehorsamsten Diener <line
type="break" tab="7" /> JLandau, den 7. September.
So wenig Zeit mir auch übrig ist, so muß ich Ihnen doch sagen, daß ich Sie in Landau noch eben so hoch schätze, ebenso liebe, als in Fort-Louis. Unser Marsch war angenehm genug: vor Tage zu Pferde, und vom Mittag, bis in die Nacht gerastet. Ich möchte so durch die Welt reisen. Weißenburg hat mir gefallen, die dortige Schweizergarnison glich den Priestern der Cybele, so erfreute sie die Ankunft eines deutschen Regiments. Landau kann in der That das Schlüsselloch von Frankreich heißen, da es nur zween Thore hat, eins nach vorne, das andere nach hinten. Unsern Ausgang segne Gott, unsern Eingang Ich wohne bei einem Herrn Schuch, der ein naher Verwandter vom Herrn Türkheim seyn will. Seine Frau und er spielen mir alle Abende Komödie, wobei mein Herz mehr lacht, als bei allen Farcen des Herrn Montval und Ribou. Er ist ein gutwilliger Schwätzer, gegen seine Frau, ein rechter Adventsesel und auch gegen die Füllen bei ihr. Sie trägt Hosen und Zepter, eine Teintüre von Andacht und koketter Prüderie in der That, meinen kleinen Plautus hinterdrein gelesen und ich brauche kein Theater. Melden Sie mir doch, was das Ihrige in Straßburg macht und ob dort kein deutsches zu erwarten sei. Beim Herrn Senior, der fast die alleinige Materie des Gesprächs meiner Wirthsleute ist (ausgenommen den gestrigen vortrefflichen Abend, wo wir lauter Haupt- und Staatsaktionen ausmachten) bin ich noch nicht gewesen. Der Bürgermeister Schademann soll schon seit geraumer Zeit todt seyn. Vielleicht erlange ich die Bekanntschaft seines Sohnes, der sehr reich sein soll. Ein Rektor bei der hiesigen Schule, der im Kloster einen Sohn hat, der schon Magister ist (wo mir recht ist, hab ich ihn dort gesehen) soll eine gute Bibliothek haben: da muß ich suchen unterzukommen. Seyen Sie doch so gütig und schreiben mir in Ihrem nächsten Briefe den Namen des Churfürsten von der Pfalz; wie auch den Charakter und die Adresse des Herrn Lamey, ein Name, den ich in Straßburg oft gehört. Sie lachen wozu das? Nun, nun, es hat nichts zu bedeuten, ein guter Freund hat mich um beide in einem Briefe ersucht. Einen Nachmittagsprediger habe ich hier gehört, der keine Pfeife Toback werth vorgebracht. Ich ging nach Hause und las Spalding, vom Werth der Gefühle im Christentum. Welch ein Kontrast! Dieses Buch müssen Sie auch lesen, mein Sokrates! es macht wenigstens Vergnügen zu finden, daß Andere mit uns nach demselben Punkt visiren. Ich freue mich, daß man in einem Tage von hier nach Straßburg kommen kann, wer weiß wenn ich Sie überrasche. Fahren Sie fort mit Ihrer Gewohnheit für mich.
Lenz.
acob Michael Reinhold Lenz <line tab="7" />
<line type="empty" />
Von Hause, d. 2 Jenner, 1765. </letterText>
<letterText letter="2">
<page index="1" /> Bester Bruder! <line tab="2" /> Wie kann ich einen Augenblick anstehn, Dir
bey der freudigsten Begebenheit Deines Lebens ein Bruderherz auszuschütten, das von Seufzern
und Tränen wallet! Ich preise die Vorsicht mit Dir, die Dir die liebenswürdigste Gattin
zuführt und unsere Familie in einem Jahre mit sovielem Glück überhäuft, daß wir für gar zu
großer Freude wie betäubt sind und nichts als jauchzen und stammeln können. So sind denn nun
Deine Wünsche erfüllt: so schmeckest Du nun zum erstenmal alles Süße, alles Entzückende einer
Liebe, die keine Angst, kein Kummer, keine Träne verbittert. So belohnt denn die ächte, die
reine, die wahre Zärtlichkeit endlich einmal ein Herz, das nur für sie geschaffen war und das
schon von Jugend auf sich heimlich nach einem Gegenstande hat sehnen müssen, dem es sich ganz
überlassen könnte. 0 gütige Vorsicht! so erhöre denn alle unsere Wünsche, alle unsere Tränen,
für dies Paar, das du selbst durch wunderbare Wege geknüpft hast. Lebe, liebster Bruder! lebe
lange, lebe glücklich in den Armen Deiner Cristinchen: seyd ein Muster der schönsten Ehe, ein
Trost Eurer für Freude weinenden Eltern, eine Freude Eurer Geschwister: jeder Eurer Tage müsse
mit neuem Entzücken für Euch geschmückt seyn, jedes Eurer Jahre müsse so heiter hinfließen,
wie ein Bach, der durch Rosen fließt. Nie müsse ein Gram Eure Seele umwölken, nie müsse ein
Elend euch niederschlagen, da es euch nicht mehr allein, sondern verbunden, von der Hand
Gottes verbunden, trifft, da eure Zärtlichkeit und eure Küsse euch trösten und selbst im
Unglück beglücken werden. Eure Liebe sey so feurig, so rein, aber auch so unauslöschlich, wie
das Feuer der Vesta: sey so dauerhaft, als ein Felsen, auf den das Meer vergeblich loßstürmt:
eure Liebe lebe mit euch, sie leide mit euch: ihr werdet zwar sterben, aber eure Liebe wird so
wie eure abgeschiedenen Seelen ewig währen, sie wird um euer Grab wachsen, und so wie eure
Seelen dereinst wieder mit euren Körpern vereinigt werden; alsdann kann kein Tod sie mehr
aufhalten, alsdann dauert sie bis in undenkbare Aeonen. <line type="empty" /> Ich seh euch
schon im Geist, ihr liebenswerthen Beyde, <line tab="5" /> Ihr wandelt Hand in Hand durch
Tarwasts frohe Flur. <line tab="5" /> Aus euren Mienen lacht nur Freude, <line tab="5" /> Und
reine Lust und Lieb und Unschuld nur. <line tab="5" /> Euch wird der Lenz sich jetzo schöner
schmüken, <line tab="5" /> Ihr findt ihn auf der Flur, findt ihn in euren Bliken. <line
tab="5" /> Euch wird der Bach jetzt mit mehr Anmuth rauschen, <line tab="5" /> Mit froherm
Ohr werdt ihr aufs Lied der Wälder lauschen, <line tab="5" /> <page index="2" /> Und mit
entzükterm Blick, werdt ihr von goldnen Höhn, <line tab="5" /> Die Morgensonn zur Erde lächeln
sehn. <line tab="5" /> Und weht der stürmsche Herbst und tobt der kalte Winter <line tab="5" />
So wird nur euer Herz und eure Lieb entzündter; <line tab="5" /> Im ländlich stillen Sitz
werdt ihr, auch ganz allein, <line tab="5" /> Auch unter Schnee und Sturm, euch durch euch
selbst erfreun: <line tab="5" /> Und wird denn in der Stadt der Tag zu trübe seyn, <line
tab="5" /> Dringt ihm die Nacht zu früh herein, <line tab="5" /> Wird er des Abends Länge
scheun: <line tab="5" /> Dann werdet ihr bei sanftem Lampenschein <line tab="5" /> Euch selbst
Gesellschaft, Lust und Scherz und Frühling seyn. <line tab="5" /> Wird euch ins künftige ein
neues Glüke lachen, <line tab="5" /> So werdet ihr vereint, es euch noch süßer machen: <line
tab="5" /> Und naht ein Unglückssturm euch zärtlichen Erschroknen, <line tab="5" /> So wird
des einen Trän des andern Tränen troknen. <line tab="5" /> Und einst wenn Jahre euch, wie Tage
hingeflossen, <line tab="5" /> Und ein unschuldig Kind hält eure Knie umschlossen <line
tab="5" /> Und stammelt seinen Segen euch: <line tab="5" /> Dann ist nicht Ehr und Gold,
dann ist nicht Thron und Reich <line tab="5" /> Dann ist kein Glük dem euren gleich. <line
tab="5" /> Dann soll sich eur Geschlecht dem unsrigen begegnen <line tab="5" /> Und unsre
grauen Eltern seegnen: <line tab="5" /> Dann wollen wir uns freun, wie sich ein Engel freut, <line
tab="5" /> Voll Wehmut und voll Zärtlichkeit, <line tab="5" /> Voll Wonne und voll
Dankbarkeit. <line tab="5" /> Und werden einst … Gedank voll Bitterkeit! <line tab="5" />
Und werden einst sich eure Augen schließen, <line tab="5" /> (Doch dann erst, Gott! wenn sie
das Alter halb schon schließt) <line tab="5" /> Dann drükt mit traurigen und doch noch traurig
süßen, <line tab="5" /> Und euch im Tod noch angenehmen Küssen <line tab="5" /> Euch eure
Augen zu. O Bild voll Schmerz! Dann fließt! <line tab="5" /> Ihr Tränen meiner Wang, fließt
um sie! Dann begießt <line tab="5" /> Ihr mir geliebtes Grab, aus seiner Erde schießt <line
tab="5" /> Dann eine Ros herfür, die traurig reizend blühet, <line tab="5" /> In der mein
Aug das Bild von ihrer Ehe siehet. <line tab="5" /> Dann sag ich doch mein Lied, zu
traurig Lied! halt ein! <line tab="5" /> Sonst muß ich dieses Blatt mit Tränen überstreun. <line
tab="5" />
<line type="empty" />
<note>vertikal am linken Rand</note> Ich umarme Dich und
küsse Dich 1000mahl als Dein <line type="break" /> allergetreuester Bruder <line type="break" />
Jacob Michael Reinhold Lenz.<line type="break" /> Dorpat den 11ten October 1767. </letterText>
<letterText letter="3">
<page index="1" />
<align pos="center">Verehrungswürdigste Eltern! </align>
<line type="empty" />
<line
type="empty" />
<line type="empty" /> Nach einer langsamen und ziemlich beschwerlichen Reise
sind wir endlich am verwichenen Mittwochen Nachmittags um zwey Uhr glüklich und gesund zu
Tarvast angekommen. Der Weg ist fast <aq>inpassabel</aq>, und die ersten Tage hatten wir
ungemein starke Stürme und Regen. Wir wurden von der Wittwe recht artig aufgenommen und
speiseten den ersten Abend mit dem Lieutenant Krüdner von Arrohoff und seiner Gemahlin, die
sich Ihnen empfehlen ließen und mit dem Rittmeister Pietsch und der Fräulein Krüdner. Wir
werden auch noch immer zum vor und nachmittäglichen Kaffee und zur Mahlzeit herein gebethen,
weil der älteste Bruder mit seiner Wirtschaft noch nicht völlig im Stande ist und wir erst mit
dem Anfange der künftigen Woche unsre eigne <aq>Menage</aq> <page index="2" />anfangen wollen.
Die Wittwe ist eine <aq>simple</aq> Frau mit der der Umgang ziemlich langweilig wird: aber die
Kinder sind rechte Unholde, und ich habe sie noch in meinem Leben so ungezogen nicht gesehen.
Die jüngere Tochter strich ohne uns zu grüßen mir wie ein Wirbelwind vorbey und nahm ihren Weg
gerade nach dem Tisch zu, auf den sie mit einem Satz sich heraufschwung und die Älteste machte
es eben so, nur mit dem Unterschied daß sie bei jedem Schritt eine Art von Kniks machte, wie
ihn ihr die Natur gelehrt hatte. Bey Tisch schreyt alles so untereinander, daß wir stumm seyn
müssen, weil wir unser Wort nicht hören können. Der Bruder läßt sich recht sehr entschuldigen,
daß er nicht mitgeschrieben: er ist von Morgen bis Abend zu mit Arbeiten und Bräutigammen und
Lehrlingen überhäufft, überdem auch mit seiner Wirthschaft beschäftigt, mit der es noch nicht
in<page index="3" /> den Gang kommen will, weil die alte Jungfer noch immer Rasttage hält und
überhaupt ein bisgen unlustig ist, weil sie, wie sie sagt und sich einbildt, unter lauter
Feinden hier leben muß. Er befindet sich aber sonst nach der Reise, so wie auch ich und die
Jungfer, Gottlob recht gesund und läßt Sie, das junge Paar und alle Geschwister aufs
ehrerbietigste und zärtlichste grüßen. Ich bitte gleichfalls den Neuverbundnen und allen
Geschwistern meinen zärtlichsten Gruß zu vermelden und küsse Ihnen die Hand als <line
type="empty" /> Meiner verehrungswürdigsten Eltern <line type="empty" />
<line type="empty" />
gehorsamster Sohn <line type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz Tarwast den 9ten November
1767. <note>am linken Rand, vertikal</note> Der Frau Obristin und ihrem würdigsten Hause, wie
auch dem Herrn Pastor Oldekopp bitte unser beyder gehorsamste Empfehlung zu machen und
letzterem zu seinem Namenstage zu gratuliren. Ich werde meine Kur erst mit der künftigen Woche
anfangen und mache mir deswegen in der jetzigen bisweilen eine <aq>Motion</aq>, mit Reiten und
Spazierengehen. Auf den Sonntag wird der Bruder teutsch predigen. <page index="4" />
<note>
Adresse</note> Dorpat. <line type="empty" />
<line type="empty" />
<line type="empty" />
<aq>A
Monsieur Monsieur <ul>Lenz</ul> Prevot ecclisiastique et Ministre du St. Evangile a leglise
de St. Jean </aq>
</letterText>
<letterText letter="4">
<page index="1" />
<align pos="center">Verehrungswürdigster Herr Papa!</align>
<line
type="empty" />
<line
type="empty" />
<line type="empty" /> Ich weiß nicht, ob der Bruder bey seinen
Amtsgeschäften, Catechisiren etc. Zeit haben wird, an Sie zu schreiben: ich nehme mir also die
Freyheit, Ihnen abermals von dem was uns angeht, gehorsamst Nachricht zu geben. Der Bruder ist
wie gesagt, sehr beschäftigt, befindet sich aber bey seinen Arbeiten noch immer Gottlob! recht
gesund und vergnügt. Auch mir bekommt meine Kur recht gut und außer der kleinen
Unbequemlichkeit, die mir der <aq>Diät</aq>, das Warmhalten, das Laxieren u. dgl. <page
index="2" />machen, bin ich hier so vergnügt, wie man es in der Einsamkeit sein kann. Ich
lese, oder schreibe, oder studire, oder tapeziere oder purgiere, nachdem es die Noth erfodert.
Uebrigens hoffen und wünschen wir beyde von ganzem Herzen, daß dieser Brief sowohl Sie, als
meine hochzuehrende Frau Mamma recht gesund, vergnügt und zufrieden antreffen möge. <line
tab="1" /> Doch! eine Bitte, gütigster Herr Papa! zu der mich die Noth und Dero väterliche
Gewogenheit berechtigen. Ich habe bey der neulichen Herreise empfunden, wie wenig ein bloßer
Roquelor bey Reisen in kühler und windiger Witterung vorschlage. Ich kann mir also leicht
vorstellen, wie es anziehen muß, wenn man im Winter im bloßen Mantelrock reiset. Ich weiß
wirklich nicht, wie ich einmal nach Derpt zurückkommen oder falls des Bruders Hochzeit im
Janauar seyn sollte, zu der er mit seiner Equipage mich mitnehmen will, wie ich die Reise
dorthin werde thun können. Ueberdem ist mir ein Pelz allezeit nöthig: ich nehme mir also die
Freyheit, Sie ganz gehorsamst zu bitten, ob sie mir nicht könnten für 3 Rubel das Futter dazu,
nämlich einen Sak <insertion>schwarzen</insertion> Schmaßchen aus den Russischen Buden
ausnehmen lassen. Das Oberzeug darf nur Etemin seyn: und da Sie in dieser Zeit sich <page
index="3" />ohnedem ausgegeben haben, <insertion>so</insertion> daß ich mich billig gescheut
haben würde, mir von Denenseiben was gehorsamst auszubitten, wenn mich nicht die Noth zwänge:
so könnte es ja solange in Peukers Bude auf Conto gesetzt werden, bis es Ihnen weniger
beschwerlich fiele, das Geld dafür zu bezahlen. Ich überlasse dies übrigens ganz Ihrer eigenen
gütigen Disposition und werde mich auch alsdenn zufrieden geben, wenn die Umstände es für
diesmal nicht erlauben sollten. <line tab="1" /> Uebrigens küsse ich Ihnen und meiner besten
Mamma ganz gehorsamst die Hand und bin nach 1000 Grüßen an allen meine Geschwister und nach
gehorsamen Empfehl an die Frau Obristin Albedille nebst Ihrem ganzen würdigsten Hause, an den
Herrn Pastor Oldekopp und alle übrige Gönner und Freunde <align pos="right">Meines
verehrungswürdigsten Herrn Papas</align>
<line type="empty" />
<line type="empty" />
<align
pos="right">gehorsamster Sohn <line type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz. </align>
Tarwasts Pastorath den 24ten November 1767 <page
index="4" /> P. S. Der Bruder läßt sich nochmals gehorsamst entschuldigen, daß er diesmal
nicht mit geschrieben. Er hat gestern den ganzen Tag mit Brautsleuten und Lehrlingen zu thun
gehabt, gestern abend um 12 Uhr in aller möglichen Eile noch nach Reval geschrieben, welchen
Brief er gehorsamst zu bestellen bittet und ist heut früh schon bey dem scharfen Frost den wir
seit einiger Zeit gehabt haben und bey dem Schnee und Sturm der verwichenen Nacht,
catechisiren mit Schlitten gefahren. Er läßt unterdessen Ihnen und seiner würdigsten Frau Mama
seinen kindlichen Handkuß und allen seinen Geschwistern besonders dem jungen Paar, wie auch
allen guten Freunden seinen zärtlichsten Gruß versichern. <line tab="1" />
<note>Friedrich
David Lenz Hand</note>
<hand ref="3">P. S. Theurester Papa. Diesen Augenblick komme von der
Catechesation. Von 8 Uhr heute Morgen bis 4 Uhr Nachmittag habe ich in der Kälte zugebracht,
und bin vom Frost und Ungestüm so durchgenommen, daß ich kaum die Fingern rühren kann. Ich bin
sonst Gottlob gesund, und werde mich innigst freuen, wenn Sie und meine geliebteste Frau Mama
es auch sind. Sie haben doch meiner gehorsamsten Bitte gemäß schon nach Reval an meine
Schwieger-Eltern geschrieben, und für mich eine Vorbitte in puncto der Hochzeit im Januario
eingelegt? 100000 Grüße und Küße an <insertion>Sie beyde verehrungswürdigten</insertion> alle
Geschwister Freunde und Gönner von Ihrem gehorsamsten Sohn. F. D. Lenz. Mit steifen Fingern </hand>
</letterText>
<letterText letter="5">
<page index="1" />
<align pos="center">Mein liebstes junges Paar!</align>
<line type="empty" />
<line
type="empty" />
<line type="empty" /> Wie sind Sie angekommen? Wieviel Glieder und Sinne
haben Sie noch übrig? (denn Ihren Leuten wird wohl Verstand und alle Sinne erfroren seyn). Wie
haben Sies zu Wasser und zu Lande gehabt? Sind Sie auch geirret? Und wie haben Sie alles zu
Hause gefunden? Wie lassen sich die Schwedischen Reichsräthe an? Und wie gefällt Ihnen, meine
liebe junge Frau, das einsame Tarwast? <line tab="1" /> Zum andern befinden wir uns alle so,
wie Sie uns gelassen haben. Papa ist Papa, und Mamma ist Mamma, und Moritz und seine Frau und
alle übrige sind gesund und vergnügt, und ich, ich sey Jakob. <line tab="1" /> Zum dritten,
vierten und zehnten habe ich auch die Ehre zum Geburstag zu gratuliren und zu wünschen <aq>
mmmmmmm</aq> und wieder der Herr <aq>mmmmm</aq> und wieder der Heiland <aq>mmmmm</aq> und
wieder sitzo. <note>am linken Rand, vertikal</note> Mamma bittet den Sak zurück in welchem
Dein Junge Salz mitgenommen hat. Sie grüßet Sohn und Tochter aufs zärtlichste und bittet sehr
um angeführten Sak. <page index="2" /> Oder besser: ich wünsche auch, daß Sie möchten zu einer
glüklichen Stunde geboren seyn ….. und nicht nur dieses sondern viele folgende zu erleben und
mit Gesundheit zu verzehren. <line tab="1" /> Oder dito feiner: Wünsche auch, daß der
barmherziger Gott verleihen wolle einen kräftigen Geist des <aq>Danielis</aq> und wenn es
sollte dermaleinst zum Jahre des Nestors kommen, dieselben; Sie gehen nimmer aus meinem
Gemüthe weg. Anbey wünsche auch daß in künftiger Zeit benebenst guter Gesundheit dermaleinst
mancher kleiner Herr Söhnlein um die Eltern wimmeln mag, benebst den Oelpflänzlein um dero
Tisch, sie grünen und blühen. Abkürze hier meine Gratulation, dieweile der drange Raum mich
verweigert, hierüber weiter herauszulassen. <line tab="1" /> Ernsthaft zu reden so ist es
Schade, daß wir an diesem Tage nicht hier zusammen vergnügt sein konnten. Doch ich bin jetzt
im Geist auf Tarwast und schwatze Ihnen was vor, dann werde ich ganz ernsthaft und wünsche
Ihnen beyden so viele und so angenehme Geburtstage, als Sie sich selbst wünschen, und soviel
Vergnügen, als Ihnen die ersten Umarmungen in Reval gaben, an dem heutigen Tage. Es sey euch
dieser Tag an tausend Zärtlichkeiten<line tab="5" /> An tausend sanften Freuden reich.<line
tab="5" />
<page index="3" /> Mit Küssen grüßet ihn: spielt ihm auf sanften Sayten<line
tab="5" /> Ein zärtlich Lied und unter Zärtlichkeiten<line tab="5" /> Verfließ er euch!<line
tab="5" /> Dies ist der Tag, müß jetzt Ihr Fritzchen sagen,<line tab="5" /> Der Dich mir
gab, mein Leben, meine Lust.<line tab="5" /> Für mich hat unter ihrer Brust<line tab="5" />
Die beste Mutter Dich getragen.<line tab="5" /> Für mich hat Deinen ersten Tagen<line tab="5" />
Gott jene teure Pflegerin geschenkt<line tab="5" /> Die zärtlicher, als hundert Mütter denkt<line
tab="5" /> Und deren Abschied noch Dich kränkt.<line tab="5" /> Für mich wuchs Deine holde
Jugend<line tab="5" /> Wie Frühlingsrosen auf: und Zärtlichkeit und Tugend<line tab="5" />
Keimt damals schon für mich in Deiner Brust empor.<line tab="5" />
<line type="empty" /> Dann
müß auch sie mit sanften Küssen sagen:<line tab="5" /> Geliebter, ja, ich bin nur da für Dich.<line
tab="5" /> Für Dich fing dies Herz an zu schlagen<line tab="5" /> Und ewig schlägt es nur
für Dich.<line tab="5" />
<line type="empty" /> So sey euch dieser Tag an unschuldsvollen
Freuden,<line
tab="5" /> So sey er euch an Liebe reich.<line tab="5" /> Wie mancher Hagstolz muß euch eure
Lust beneiden,<line tab="5" /> Wie manches Ehepaar wünscht heimlich eure Freuden!<line tab="5" />
Werd ich einst auch ein Mann, will ich euch nicht beneiden:<line tab="5" /> Allein zum Muster
nehm ich euch.<line tab="5" />
<page index="4" /> Neuigkeiten! <aq>Madem. Smoljan</aq> und die
Majorin Graß sind weggereist. Die Oldekoppin ist recht böse auf Dich, lieber Bruder, und auf
Deine junge Frau, daß ihr nicht bey ihr gewesen seyd. <line tab="1" /> Papa und Mama, die
sich Gottlob! noch erträglich befinden, Moritz und seine Frau, die vielleicht selbst auch
schreiben werden, Lieschen, Christian und die kleinen Geschwister, alle Freunde besonders die
Frau Obristin und die Fräuleins grüßen und küssen 1000mal Fräu- und Männlein. Auch wird die
alte Jungfer begrüßt. Leben Sie gesund und vergnügt mein liebstes Paar! und behalten Sie immer
lieb <line type="empty" />
<note>Albedylls Hand</note>
<hand ref="7">Ihres Herrn Bruders seine
grüsse von mich sind zu kalt, hier folgen die zärtlichsten die aufrichtigsten die feurigsten
von mich und meiner Tochter, von meiner eigenen Hand. <ul>
<aq>Albedyll</aq>
</ul></hand>
<line type="empty" /> zärtlichsten Bruder <line
type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz<line type="break" /> Am Geburtstage 1768. <line
type="break" /> P.S. Wenn Du, liebster Bruder! einige <aq>Exemplare</aq> von <insertion>
den</insertion> hochzeitlichen Gedichten hast, so schicke sie mir doch, ich habe kein
einziges. Onkel Kellner vergaß auch uns welche mitzugeben. Die <aq>Capit. Sege</aq> und die
Lieutnantin Brandt von Fetenhof und die Majorin Toll von Wissus haben junge Söhne. Die alte
Oldenkoppin ist ziemlich krank. Heut hat H. Rektor für Reichenberg gepredigt. <aq>Adieu!</aq>
Dieses am Sonntage. </letterText>
<letterText letter="6">
<page index="1" /> Königsberg 1769. Octbr 14. <align pos="center">Gütigster Herr Papa.</align>
<line
type="empty" /> Um den Brief nicht überflüssig groß und dick zu machen, muß ich mich
begnügen, nur gegenwärtigen kleinen Zettel in denselben an Sie einzuschließen. Christian wird
vermutlich in seinem Schreiben weitläuftiger <del>zu</del> seyn und ich habe also nur noch
einige kleine Supplemente zu meinem vorigen Briefe zu geben. So sehr ich Ihnen für die gütige
Besorgung eines Theils meines jährlichen <aq>Fixi</aq> verbunden bin, so sehr sehe ich mich
genöthigt, Sie nochmals gehorsamst um die so viel möglich baldige Beförderung dessen, was Ihre
Gütigkeit zu unserer Kleidung bestimmt hat, zu bitten. <aq>Pranumeration</aq> ist nothwendig,
wenn ein Student gut wirthschaften will und also ist ihm im Anfange des Jahrs immer Geld
unentbehrlich. Noch einige Ausgaben habe Ihnen schon vorhin specificiren wollen, für die ich
gleichfalls von Ihrer Gewogenheit einigen Ersatz hoffe, wenn es Ihre Umstände zulassen. Der
Band einiger <aq>Exemplare</aq> meiner Landplagen, insonderheit der letzte, der nach Petersb.
bestimmt und den ich schon dem Herrn v. Schulmann an Sie mitgegeben: kostet mir wenigstens bis
2 Dukaten. Hernach haben alle Landsleute zum Begräbnis des seel. Herrn Langhammers was
beitragen müssen: weil seine Mutter eine Wittwe ist, die sich selbst nicht ernähren kann, und
derjenige, der ihn studiren lassen, nicht einmal so viel, als zu den Ausgaben, an Doctor etc.
in seiner Krankheit erfordert worden, überschickt<page index="2" /> hat. Dieser Beytrag war
bis über 4 Thlr. Wenn Sie von dem Obristen Bok was gehört haben, so seyn Sie so gütig, es
mir bey Gelegenheit zu melden. Neulich haben wir einen gewissen Bar. Cloth, Ihren gewesenen
Eingepfarrten, 2 Bar. v. Baranow und den jungen H. D. Stegemann, der vielleicht schon jetzt in
Dorpat angekommen seyn, allhier gesprochen. Der Catalogus lectionum ist zwar jetzt heraus,
allein ich fürchte er würde den Brief zu sehr anschwellen, wenn ich ihn hier beylegte. Ich
werde dieses halbe Jahr, außer den philosophischen und andern Collegiis von theologicis das
Theticum bey D. Lilienthal und ein Exegeticum über die Ep. Pauli an die Römer bey D. Reccard
hören. Die andern theologischen Collegia bedeuten in diesem halben Jahr nicht viel. Ueberhaupt
wenn man nebst einigen wenigen Professoren die Magister von Königsberg nähme, würde die
Akademie wenig oder gar nichts werth seyn. Nächstens werde ich weitläuftiger sein. Vergeben
Sie unser öfteres unverschämtes Geilen nach Geld: die Noth lehrt hier beten und betteln. Gegen
den Winter kommen viel neue Ausgaben. Holz: ein neuer Schlafrock, Tisch Grüßen Sie doch
alle Verwandte und Freunde, besond. aber meine theureste Frau Mama 100000mal von Ihrem <line
type="empty" /> gehorsamsten Sohn<line type="break" /> J.M. R. Lenz. <note>auf der ersten
Seite am rechten oberen Rand</note> P. S: Wenn Sie an den Tarwastschen Bruder schreiben, so
sagen Sie ihm doch, daß ich recht sehr begierig bin, einmal einen Brief von ihm zu sehen. </letterText>
<letterText letter="7">
<page index="1" /> I. <aq>Ni Deus fere miraculum fecisset, hae pecuniae non confluxissent.</aq>
1) Ursachen, Wenigkeit der <aq>Communicanten</aq>: armselige Beschaffenheit, die größten
Ausgeblieben, kein Rathsherr, keiner von den Aeltesten-Leuthen; <aq>excepto</aq> P.ker und
Teller das wenige Gesammelte zu Bezalung der Handwerker im Auditorium, die schon lange zu
Halse gegangen. 2) Art u. Weise, wie sie zusammen geflossen. <aq>Fick</aq> 20 Rbl.
Treuer 20 Rbl. Stryck 10 Rbl. Raths-Stipend. 20 Rbl. 3) <aq>Distributio.</aq> a) <aq>Jacob
Fick</aq> 10 Rbl. Raths<aq>Stip.</aq> 10 Rbl. S. 20 Rbl. b) <aq>Christian Fick</aq>
10. <aq>Treuer</aq> 20. <aq>Stryck</aq> 10. Raths-<aq>Stip.</aq> 10 S. 50 Rbl <line
tab="1" />II. Hiermit aber sind auch nun die vorigen Quellen verschlossen. Jacob hat Boks u.
der <aq>Baronne Wolf Stipendia</aq> weg <aq>Fick</aq> sagte 50 Rbl. habe er destinirt, 30
Rbl. hätte er vorher gegeben, nun die letzten 20. <aq>Treuer</aq> ein vor alle mal das
Raths-<aq>Stipendium</aq> für dich geschlossen, tritt nun So .. <aq>jun.</aq> an. <aq>Stryck</aq>
auch aufs letzte Jahr. Auf mich gar keine Rechnung zu machen. Denn da meine Erntezeit nichts
getragen u. ich also fast in allgemeinen Schulden sitzen bleibe, so ist auf die übrigen Teile
des Jahres wenig zu rechnen: u. es wird e. Wunder-Gnade Gottes seyn, wenn noch so viel
zusammen soll, als bis Michaelis nöthig ist. <page index="2" />
<line tab="1" /> III. <aq>
Porismata</aq> hieraus, daß sie 1) durchaus nicht länger als bis gegen Michaelis sich ihren <aq>Terminum
Academicum</aq> setzen, denn es wird ohnehin schwehr genug seyn, sie noch so hinge zu
unterstützen 2) sich nicht in Schulden einfressen, sonst sich so vest fressen, da ich sie
unmöglich würde lösen können u. da wären sie ganz verloren, denn ich könnte nicht, wenn sie
auch ins <aq>Carcer</aq> kämen 3) daß sie mittlerweile sehr fleissig seyn pp. <line tab="1" />
IV. Nachricht, so ich gehöret, daß Prof. Cant ihn nach Rehbinder in Danzig <aq>recommendiret</aq>
. <line tab="1" /> 1) Vorläufige Bestrafung, daß er nicht mit mir solche Sachen <aq>
communicire</aq>, böses Gewissen: Ich würde ihm Väterl. und aus reifer Ueberlegung und
Erfahrung rathen: Aber damit wäre ihm vielleicht nicht gedient, sondern Rath d. Jungen, die
auch noch flüchtig denken u. sich durch den anfängl. Falschen Schein, Dunst u. Glast blenden
lassen. Er mache es wie Rehabeam p. Vielleicht unsere Väter und mütterliche Zärtlichkeit
würde es nicht zulassen, ob es gleich dein Bestes wäre: Aber a) <aq>Si Supponis</aq> so viel
väter- u. mütterl. Zärtlichkeit; <aq>male</aq>, daß du nicht eben so viel kindl. Zärtlichkeit
hast, u. deine Eltern dadurch erfreuen wilst, daß du in deinem Vaterlande Gott und deinen
Nächsten, ihnen zur Ehre und Freude nützl. seyn wilst Zeigt wenig <aq>patriotismus</aq> an.
Ist doch auch wol e. Tugend <aq>Exempl.</aq> <page index="3" />Griechen, Römer. Was haben
wir, was alle Freunde, was alle deine hiesigen Compatrioten, bey denen du das beste Vorurth.
erweckt hast, von allen ihren Erwartungen. b) Aber wenn es dein wahrer Vorteil wäre; abnegarem
Alle mein eignes und der Meinigen Vergnügen p. So affenliebisch bin ich nicht pp. Allein <aq>
Suppono</aq>, daß d. <aq>H. Resident</aq>, als <aq>Resident</aq> (denn das bringt diese s. <aq>
Charge</aq> schon mit sich) in Danzig bliebe. Was wilst du dann bey ihm machen? Erst
Hofmeister, das hier auch, dann <aq>Secretair</aq>. Ein schlechter wol nicht, damit er
dich abdanken könne. Nein e. gut., folgl. e. ewiger <aq>Secretair</aq>, so wie dein
Mutterbruder <aq>Neoknapp</aq>, e. ewiger freier Unterthan s. Hauses, der nie s. eignes
anfangen, nie heiraten, nie selbst e. Wirtschaft fuhren kann, immer die Füsse unter e. fremden
Tisch stecken muß. Taugst du nichts u. must ihn verlassen, so jägt er dich ohne <aq>
Recommendation</aq> weg. Taugst du was, u. hat er dich lieb, so wird er aus Eigennutz dich
in s. Hause ewig festhalten wollen, u. ich weiß nicht, zu welchen <aq>emplois</aq> er dir in
Danzig helfen könnte, da es doch dort wol von geschickten Landes Leuten krimmelt u. wimmelt,
die nothwendig vor fremden den Vorzug haben. Vielleicht rechnest du darauf, daß er dich dort
in e. gute Pfarre helfen solle. In was für eine Etwa in e. Stadtpfarre in Danzig selbst? Nein
dazu nehmen die Herren Danziger wahrhaftig <aq>praejudicio</aq> keinen blossen und noch dazu
fremden Candidaten, wenn er auch Apoll selbst wäre, auch nicht jeden geschickten wahren
Prediger einmal, sondern verschrieben sich immer große <aq>Professores</aq> und <aq>Doctores
Theologiae</aq> von fremden Academien, wie so z.E. <aq>D.</aq> Kraft a.d. großen Pfarrkirche;
und D. Bertling aus Helmstädt dahin kamen. Nun wo dann hin? Aufs Land, aufs Dorf. 1) kannst du
das hier auch u. viel besser haben: denn wir haben hier 10mal bessere Land-Pastorate, als die
dortigen Dorf-Pfarren sind, wo die armen Prediger fast das Hungerbrod fressen. 2) ist nichts
Verachteteres, als e. dasiger Dorf-Pfaffe. <aq>In urbibus pastores magis honorantur,<page
index="4" /> quam hic. At in pagis quoque centies magis spernuntur, quam hic.</aq> Es
ist überhaupt die Frage, ob d. <aq>H. Resident</aq> dich dort zu e. geistl. od. weltl. Amt
befördern könne, oder wolle: (1) ob er könne! Denn warum solten sie sich <aq>Subjecta</aq> von
e. fremden Herrn vorschlagen lassen, da es ihnen weder an eignen <aq>consiliariis</aq> noch <aq>
Subjectis</aq> zu Aemtern fehlet b) ob er wolle! Denn gefällst du ihm, so wird er kein Thor
seyn, sich auf die Art von dir zu trennen u. sich selbst deiner guten Dienste zu berauben.
Gesetzt du wollest da nicht länger bey ihm bleiben; wo dann hin! da du dort fremd u. unbekannt
bist: hier aber (da dein Vat. überall und du auch schon zieml. weit und breit bekannt ist) dir
das ganze Land offen steht. <aq>Ergo plane dissuadeo ut amicus, at si non vis,</aq> befehle
ichs dir als Vater, daß du dies Project fahren lassest u. mit deinem Bruder hereinkommst. <line
tab="1" /> V. Anderwärtiger Vorschlag, den ich ihm gebe. D. H. Obrister Bok bey mir, hat e.
Schwester in Lettland, <aq>nomen nescio</aq> hat noch klein. Kind., fordert nur den ersten
Unterricht in Bstabiren, Lesen, Schreiben, Rechnen u. sonderl. im französischen, <aq>offerirt</aq>
selbst nicht das <aq>Salarium</aq>: du solst es fixiren. Ich meine im ersten Jahre, da dte
Kind. klein 150 rthl. Alb. (weil dort im lettischen Alberts-Tahler) so nach Rubeln doch zum
allerwenigsten 180 Rbl. ausmachen, und dabey 20 Rthl. zu freyem <aq>Thee</aq> und Zucker. Im
anderm Jahre wenn du bleiben wilst und kanst, aber 200 rthl. Alb. welches zum allerwenigsten
240 Rbl. ausmachet, u. abermal 20 rthl. Thée und Zucker. Ich wil auch suchen das Reisegeld für
dich mit zu verdingen, weil ich sorge, ich möchte es kaum aufbringen können. Wilst du dies, so
wil ich an Bok schreiben. Denn er wartet sehnl. auf Antwort u. bittet sehr darum. Wer weiß, wo
dieser Gönner auch wegen s. grossen Bekanntschaft mit den Größten des Hofes u. Einfluß bey d.
Majestät selbst dir hier noch beförderl. seyn könnte? Antworte bald. Das <aq>Salarium</aq>
däucht mir <aq>convenable</aq>. Man<page index="5" /> darf den Bogen nicht zu hoch spannen,
weil er dir in d. Noth geholfen p. Du hast Freiheit, kanst bleiben u. auch gehen, wenn dir die <aq>
condition</aq> nicht länger ansteht. <line tab="1" /> VI. Der Mamma Zustand: Marter von Viel.
1000 Plagen, schlechtes OsterFest. Meine Gesundheit auch schlecht. Kopfschmerzen vom Dunst. <line
tab="1" /> VII. Meine neue Verfolgung, wegen 1) d. Ober-Consistorial-Schrift 2) des
Kirchenbuches. <line tab="1" /> VIII. Erbärml. Zustand d. <aq>Sczibalski</aq> auf Rüggen. Sie
werden wol nicht mehr sehen. <aq>Extract</aq> aus den beyden letzten <aq>Sczibalskischen</aq>
Briefen. Unsere vielen Tränen. <line tab="1" /> IX. Lieschen 3 Tage schon krank.
Ueberhaupt dort viel Patienten, desgleichen in Lemsal von den <aq>Recruten</aq>. <line tab="1" />
X. Gestorben: 1) General Di..t.. ..: Schreckl. Krankheits-Umstände seel. Tod. Grots
Leichen-Predigt 2) Landrath <aq>Igelstrohm</aq> 3) <aq>Axel</aq> Bruiningk 4) d. <aq>Candid.</aq>
Hoffmann, d. euch auf dem Claviere informirte, in Lemsal 5) d. junge Reichenberg. <aq>Ejus
ultima</aq> Vorm Jahrd. junge Helm. <line tab="1" /> XI. Neuer General-<aq>Superint.</aq>
Sein guter Character. Nicht ein solcher Pedant. Neuer Grund einzukommen. <line tab="1" />
XII. <aq>Copulandi</aq> Inspect. Petersen mit e. Jungfer Rosenthal. <line tab="1" /> XIII.
Frage, obs wahr, daß die Preußen in Curland eingerückt sind? Ob sie <aq>communiciret</aq>
haben u. wann? <line tab="1" /> XIV. Schluß-Ermahnung. 3 Stangen fein. schwarzen Lak. Zu 40
Trauer-Briefen Pappier mit schwarzen Ränd. 2 Buch Pappusch Pappier von No. 1. </letterText>
<letterText letter="8"> Theurester Freund! <line tab="1" />Sie werden mir ein kleines
Stillschweigen zu gut halten, das auf eine Abreise ohne Abschied seltsam genug aussieht. Die
gegenwärtige Lage meiner Seele wird mich entschuldigen. Sie kriecht zusammen, wie ein Insekt,
das von einem plötzlichen kalten Winde berührt worden. Vielleicht sammelt sie neue Kräfte,
oder vielleicht ist dieser Zustand gar Melancholey. Sey es was es wolle, ich befinde mich eben
nicht unglücklich dabey, es ist kein Schmerz den ich fühle, sondern bloß Ernst und obschon
dieser den Jüngling nicht so sehr ziemet als den Mann, so denk ich, ist er auch für jenen
unter gewissen Umständen vortheilhaft. Geben Sie mir doch Nachricht von Ihrem Befinden, ändern
Sie Ihr sonst so gütiges Zutrauen gegen mich nicht. Meine Umstände können meine Oberfläche
zwar ändern, aber der Grund meines Herzens bleibt. Ich beschäftige mich gegenwärtig
vorzüglich mit Winkelmanns Geschichte der Kunst, und finde bei ihm Genugtuung. O daß dieser
Mann noch lebte! Schaffen Sie sich sein Werk an, wenn Sie einmal auf Verschönerung Ihrer
Bibliothek denken. Wenn seine Sphäre nur nicht von der Art wäre, daß er sich durch einen
großen Nebel von Gelehrsamkeit in derselben herumdrehen muß, der den gesetzten und edlen Flug
seines Geistes merklich niederschlägt. In der Jurisprudenz habe ich nur noch eine kleine Saite
in meiner Seele aufgezogen, und die gibt einen verhenkert leisen Thon. Der waltende Himmel mag
wissen, in was für eine Form er mich zuletzt noch gießt und was für Münze er auf mich prägt.
Der Mensch ist mit freien Händen und Füssen dennoch nur ein tändelndes Kind, wenn er von dem
großen Werkmeister, der die Weltuhr in seiner Hand hat, nicht auf ein Plätzchen eingestellt
wird, wo er ein paar Räder neben sich in Bewegung setzen kann. Ist Ihre Abhandlung schon
vorgelesen? Und wie haben sich <aq>Ott</aq> und <aq>Haffner</aq> das letztemahl gehalten; ich
zähle auf Ihr Urtheil davon. <line tab="1" />Ihre weisen Rathschläge über einen gewissen
Artikel meines Herzens, fang ich an mit Ernst in Ausübung zu setzen: allein eine Wunde heilt
allemahl langsamer, als sie geschlagen wird. Und wenn ich die Leidenschaft überwände, wird
doch der stille Wunsch ewig nicht aus meinem Herzen gereutet werden, mein Glück, wenn ich
irgend eines auf dieser kleinen Kugel erwarten kann, mit einer Persohn zu teilen, die es mir
allein wird reitzend und wünschenswerth machen können. Ich habe heut einen dummen Kopf, aber
ein gutes und geruhiges Herz: aus der Fülle dieses Herzens will ich Ihnen sagen, daß ich bin
Ihr <line type="break" /> unaufhörlich ergebenster Freund <line type="break" /> J. M. R. Lenz. <line
type="empty" />
<note>Am Rand</note> Von Herrn von Kleist ein ganz ergebenstes Compliment.
Wollen Sie so gütig seyn, mich Ihrer Tischgesellschaft zu empfehlen, vorzüglich Herrn <aq>
Leibhold</aq> und <aq>Hepp</aq>. <line type="empty" />
<note>Nachschrift</note> Ich sehe daß
mein guter Ott mich nicht versteht und durchaus glaubt, wenn ich nicht lustig bin, müsse ich
unglücklich seyn. Benehmen Sie ihm doch dieses schlechte Zutraun zu mir, welches mich in der
That schamroth machen muß. Der Himmel ist noch nie so strenge gegen mich gewesen, mir größeren
Kummer aufzulegen, als wozu er mir Schultern gegeben, und wenn ich jetzt die feige Memme
machte, der Ungedult und Thorheit über die Backen liefen, so verdient ich in Essig eingemacht
zu werden, damit ich nicht in <aq>putredinem</aq> überginge. Ich fürchte, weil ich an ihn
jetzt nicht mehr mit lachendem Munde schreiben kann, sein gar zu gutes und empfindliches Herz
wird glauben, ich sey niedergeschlagen und ich bin es doch niemals weniger gewesen als itzt. <line
tab="1" />Neulich als ich einige Stunden einsam unter einem Baum gelesen, sah ich
unvermuthet eine erschreckliche Schlange ganzgeruhig zwei Zoll weit neben mir liegen. Ich flog
schneller als ein Blitz davon, und dachte es muß doch noch nicht Zeit für dich sein Diese
Anekdote schreibe ich meinen Freunden nur darum, damit sie sich in Acht nehmen, unter einem
Baum auszuruhen denn sonst denk ich interessirt sie niemanden als mich. <line tab="1" />Ich
schick Ihnen zur Ausfüllung einer vegetirenden Stunde nach dem Essen, eine kleine Romanze, die
ich in einer eben so leeren Stunde gemacht habe. <line type="empty" />
<align pos="center">Piramus
und Thisbe.</align>
<line tab="4" />Der junge Piramus in Babel <line tab="4" />Hat in der Wand <line
tab="4" />Sich nach und nach mit einer heissen Gabel <line tab="4" />Ein Loch gebrannt. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Hart an der Wand, da schlief sein Liebchen, <line tab="4" />Die
Thisbe hieß, <line tab="4" />Und ihr Papa auf ihrem Stübchen <line tab="4" />Verderben ließ. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Die Liebe geht so, wie Gespenster, <line tab="4" />Durch Holz
und Stein. <line tab="4" />Sie machten sich ein kleines Fenster <line tab="4" />Für ihre Pein. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Da hieß es: liebst du mich? da schallte: <line tab="4" />Wie
lieb ich dich! <line tab="4" />Sie küßten Stundenlang die Spalte <line tab="4" />Und meynten
sich. <line type="empty" />
<line tab="4" />Geraumer ward sie jede Stunde, <line tab="4" />Und
manchen Kuß <line tab="4" />Erreichte schon von Thisbens Munde <line tab="4" />err Piramus. <line
type="empty" />
<line tab="4" />In einer Nacht, da Mond und Sterne <line tab="4" />Vom Himmel
sahn, <line tab="4" />Da hätten sie die Wand so gerne <line tab="4" />Beyseits gethan. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Ach Thisbe! weint er, sie zurücke: <line tab="4" />Ach
Piramus! <line tab="4" />Besteht denn unser ganzes Glücke <line tab="4" />In einem Kuß? <line
type="empty" />
<line tab="4" />Sie sprach: ich will mit einer Gabe, <line tab="4" />Als wär
ich fromm, <line tab="4" />Hinaus bei Nacht zu Nini Grabe, <line tab="4" />Alsdann so komm! <line
type="empty" />
<line tab="4" />Dies wird Papa mir nicht verwehren, <line tab="4" />Dann
spude dich. <line tab="4" />Du wirst mich eifrig bethen hören, <line tab="4" />Und tröste
mich. <line type="empty" />
<line tab="4" />Ein Mann ein Wort! Auf einem Beine <line tab="4" />Sprang
er für Lust: <line tab="4" />Auf Morgen Nacht da küß ich deine <line tab="4" />Geliebte Brust. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Sie, Opferkuchen bei sich habend, <line tab="4" />Trippt
durch den Hayn, <line tab="4" />Schneeweiß gekleidt, den andern Abend <line tab="4" />Im
Mondenschein. <line type="empty" />
<line tab="4" />Da fährt ein Löwe aus den Hecken, <line
tab="4" />Ganz ungewohnt, <line tab="4" />Er brüllt so laut: sie wird vor Schrecken <line
tab="4" />Bleich wie der Mond. <line type="empty" />
<line tab="4" />Ha, zitternd warf sie
mit dem Schleyer <line tab="4" />Den Korb ins Graß <line tab="4" />Und lief, indem das
Ungeheuer <line tab="4" />Die Kuchen aß. <line type="empty" />
<line tab="4" />Kaum war es
fort, so mißt ein Knabe <line tab="4" />Mit leichtem Schritt <line tab="4" />Denselben Weg zu
Nini Grabe <line tab="4" />Der rückwärts tritt, <line type="empty" />
<line tab="4" />Als
hätt ein Donner ihn erschossen: <line tab="4" />Den Löwen weit <line tab="4" />Und weiß im
Grase hingegossen <line tab="4" />Der Thisbe Kleid. <line type="empty" />
<line tab="4" />Plump
fällt er hin im Mondenlichte: <line tab="4" />So fällt vom Sturm <line tab="4" />Mit
unbeholfenem Gewichte <line tab="4" />Ein alter Thurm. <line type="empty" />
<line tab="4" />O
Thisbe, so bewegen leise <line tab="4" />Die Lippen sich, <line tab="4" />O Thisbe, zu des
Löwen Speise <line tab="4" />Da schick ich mich. <line type="empty" />
<line tab="4" />Zu hören
meine treuen Schwüre <line tab="4" />Warst du gewohnt; <line tab="4" />Sey Zeuge, wie ich sie
vollführe, <line tab="4" />Du falscher Mond! <line type="empty" />
<line tab="4" />Die kalte
Hand fuhr nach dem Degen <line tab="4" />Und dann durchs Herz. <line tab="4" />Der Mond fing
an sich zu bewegen <line tab="4" />Für Leid und Schmerz. <line type="empty" />
<line tab="4" />Ihn
suchte Zephir zu erfrischen <line tab="4" />Umsonst bemüht. <line tab="4" />Die Vögel sangen
aus den Büschen <line tab="4" />Sein Todtenlied. <line type="empty" />
<line tab="4" />Schnell
lauschte Thisbe durch die Blätter <line tab="4" />Und sah das Graß, <line tab="4" />Wie unter
einem Donnerwetter, <line tab="4" />Von Purpur naß. <line type="empty" />
<line tab="4" />O
Gott, wie pochte da so heftig <line tab="4" />Ihr kleines Herz! <line tab="4" />Das braune
Haupthaar ward geschäftig, <line tab="4" />Stieg himmelwärts. <line type="empty" />
<line
tab="4" />Sie floh hier zieht, ihr blassen Musen, <line tab="4" />Den Vorhang zu! <line
tab="4" />Dahinter ruht sie, Stahl im Busen: <line tab="4" />O herbe Ruh! <line type="empty" />
<line
tab="4" />Der Mond vergaß sie zu bescheinen, <line tab="4" />Von Schrecken blind. <line
tab="4" />Der Himmel selbst fieng an zu weinen <line tab="4" />Als wie ein Kind. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Man sagt vom Löwen, sein Gewissen <line tab="4" />Hab ihn
erschröckt, <line tab="4" />Er habe sich zu ihren Füßen <line tab="4" />Lang hingestreckt. <line
type="empty" />
<line tab="4" />O nehmt, was euch ein Beyspiel lehret, <line tab="4" />Ihr
Alten, wahr! <line tab="4" />Nehmt euch in Acht, ihr Alten! störet <line tab="4" />Kein
liebend Paar. <line type="empty" />
<note>Auf einem beiliegenden Zettel</note>
<line tab="4" />Man
sagt daß keine Frau dem Mann die Herrschaft gönnt; <line tab="4" />So nicht Frau Magdelone. <line
tab="4" />Sie theilt mit ihm das Regiment: <line tab="4" />Behält den Zepter nur und lässet
ihm die Krone. </letterText>
<letterText letter="9"> Fort Louis, den 3ten Juni 1772. <line type="empty" /> S. T. Mein
theurester Freund. <line tab="1" />So nenn ich Sie, die Sprache des Herzens will ich mit
Ihnen reden, nicht des Ceremoniels. Kurz aber wird mein Brief werden, denn sie ist lakonisch,
lakonischer als Sallustius, lakonischer als der schnellste Gedanke eines Geistes ohne Körper.
Darum hasse ich die Briefe. Die Empfindungen einer so geläuterten Freundschaft als Sie mich
kennen gelehrt, gleichen dem geistigen Spiritus, der wenn er an die Luft kömmt, verraucht. Ich
liebe Sie mehr verbietet mir mein Herz zu sagen, der plauderhafte Witz ist nie sein
Dolmetscher gewesen. Ich bin wieder in Fort-Louis, nach einigen kleinen Diversionen, die meine
kleine Existenz hier, auf dem Lande herum, gemacht hat. Ob ich mein Herz auch spazieren
geführt <line tab="1" /> Ich habe die guten Mädchen von Ihnen gegrüßt: sie lassen Ihnen
ihre ganze Hochachtung und Ergebenheit versichern. Es war ein Mädchen, das sich vorzüglich
freute, daß ich so glücklich wäre, Ihre Freundschaft zu haben. Mündlich mehr. Ich komme in der
Fronleichnamswoche zuverlässig nach Straßburg. Schon wieder eine Visite und schon wieder
eine Ich bin mit einigen Offiziers bekannt und diese Bekanntschaft wird mir schon, in ihrer
Entstehung lästig. Ich liebe die Einsamkeit jetzt mehr, als jemals und wenn ich sie nicht in
Straßburg zu finden hoffte, so würde ich mein Schicksal hassen, das mich schon wieder zwingt,
in eine lärmende Stadt zurückzukehren. <line tab="1" /> Was werden Sie von mir denken, mein
theuerster Freund? Was für Muthmaßungen Aber bedenken Sie, daß dieses die Jahre der
Leidenschaften und Thorheiten sind. Ich schiffe unter tausend Klippen auf dem Negropont, wo
man mir mit Horaz zurufen sollte <line type="empty" />
<line tab="4" /><aq>Interfusa nitentes <line
tab="4" />Vites aequora Cycladas.</aq>
<line type="empty" />
<line tab="1" />Wenn ich auf
einer dieser Inseln scheitre wäre es ein so großes Wunder? Und sollte mein Salzmann so
strenge ·sein, mich auf denselben, als einen zweiten Robinson Crusoe, ohne Hilfe zu lassen?
Ich will es Ihnen gestehen (denn was sollte ich Ihnen nicht gestehen?), ich fürchte mich vor
Ihrem Anblick. Sie werden mir bis auf den Grund meines Herzens sehen und ich werde wie ein
armer Sünder vor Ihnen stehen und seufzen, anstatt mich zu rechtfertigen. Was ist der Mensch?
Ich erinnere mich noch wohl, daß ich zu gewissen Zeiten stolz einen gewissen G. tadelte und
mich mit meiner sittsamen Weisheit innerlich brüstete, wie ein welscher Hahn, als Sie mir
etwas von seinen Thorheiten erzählten. Der Himmel und mein Gewissen strafen mich jetzt dafür.
Nun hab ich Ihnen schon zu viel gesagt, als daß ich Ihnen nicht noch mehr sagen sollte. Doch
nein, ich will es bis auf unsere Zusammenkunft versparen. Ich befürchte, die Buchstaben
möchten erröthen und das Papier anfangen zu reden. Verbergen Sie doch ja diesen Brief vor der
ganzen Welt, vor sich selber und vor mir. Ich wünschte, daß ich Ihnen von Allem Nachricht
geben könnte, ohne daß ich nöthig hätte zu reden. Ich bin boshaft auf mich selber, ich bin
melancholisch über mein Schicksal ich wünschte von ganzem Herzen zu sterben. <line tab="1" />Den
Sonntag waren wir in Ses. den Montag frühe ging ich wieder hin und machte in Gesellschaft des
guten Landpriesters und seiner Tochter eine Reise nach Lichtenau. Wir kamen den Abend um 10
Uhr nach S. zurück: dieser und den folgenden Tag blieb ich dort. Nun haben Sie genug. Es ist
mir als ob ich auf einer bezauberten Insel gewesen wäre, ich war dort ein anderer Mensch, als
ich hier bin, alles was ich geredt und gethan, hab ich im Traum gethan. <line tab="1" />Heute
reiset Mad. Brion mit ihren beyden Töchtern nach Sarbrücken, zu ihrem Bruder auf 14 Tage, und
wird vielleicht <b>ein Mädchen</b> da lassen, das ich wünschte nie gesehen zu haben. Sie hat
mir aber bei allen Mächten der L geschworen, nicht da zu bleiben. Ich bin unglüklich, bester
bester Freund! und doch bin ich auch der glücklichste unter allen Menschen. An demselben Tage
vielleicht, da sie von Saarbrük zurük kommt, muß ich mit H. v. Kleist nach Straßburg reisen.
Also einen Monath getrennt, vielleicht mehr, vielleicht auf immer Und doch haben wir uns
geschworen uns nie zu trennen. Verbrennen Sie diesen Brief es reut mich, daß ich dies einem
treulosen Papier anvertrauen muß. Entziehen Sie mir Ihre Freundschaft nicht: es wäre grausam
mir sie jetzt zu entziehen, da ich mir selbst am wenigsten genug bin, da ich mich selbst nicht
leiden kann, da ich mich umbringen möchte, wenn das nichts Böses wäre. Ich bin nicht schuld an
allen diesen Begebenheiten: ich bin kein Verführer, aber auch kein Verführter, ich habe mich
leidend verhalten, der Himmel ist schuld daran, der mag sie auch zum Ende bringen. Ich
schließe mich in Ihre Arme als Ihr <line type="break" /> melancholischer <line type="break" />
Lenz. <line type="empty" />
<note>am Rand</note> Haben Sie die Gütigkeit, der ganzen
Tischgesellschaft meine Ergebenheit zu versichern. … Ums Himmels, um meines Mädchens und um
meinetwillen, lassen Sie doch alles dies ein Geheimnis bleiben. Von mir erfahrt es niemand als
mein zweites Ich. </letterText>
<letterText letter="10"> Fort Louis d. 10ten Junius 1772 <line type="empty" /> Guter Sokrates! <line
tab="1" />Schmerzhaft genug war der erste Verband den Sie auf meine Wunde legten. Mich
auszulachen ich muß mitlachen, und doch fängt meine Wunde dabey nur heftiger an zu bluten.
Nur fürchte ich soll ich Ihnen auch diese Furcht gestehen? Ja da Sie mein Herz einmal offen
gesehen haben, so soll kein Winkel Ihnen verborgen bleiben. Ich fürchte, es ist zu spät an
eine Heilung zu denken. Es ist mir wie Pygmalion gegangen. Ich hatte mir zu einer gewissen
Absicht in meiner Phantasie ein Mädchen geschaffen ich sah mich um und die gütige Natur
hatte mir mein Ideal lebendig an die Seite gestellt. Es ging uns beyden wie Cäsarn: <aq>veni,
vidi, vici</aq>. Durch unmerkliche Grade wuchs unsere Vertraulichkeit und jetzt ist sie
beschworen und unauflöslich. Aber sie sind fort, wir sind getrennt: und eben da ich diesen
Verlust am heftigsten fühle, kommen Briefe aus Strasburg und Vergeben Sie mir meinen tollen
Brief! Mein Verstand hat sich noch nicht wieder eingefunden. Wollte der Himmel ich hätte nicht
nöthig, ihn mit Vetter Orlando im Monde suchen zu lassen. Ich bin um mich zu zerstreuen, die
Feyertage über bei einem reichen und sehr gutmüthigen Amtsschulz in Lichtenau zu Gast gewesen.
Ich habe mich an meinem Kummer durch eine ausschweiffende Lustigkeit gerächt: aber er kehrt
jetzt nur desto heftiger zurück, wie die Dunkelheit der Nacht hinter einem Blitz Ich werde
nach Strasburg kommen und mich in Ihre Kur begeben. Eins muß ich mir von Ihnen ausbitten:
schonen Sie mich nicht, aber lassen Sie meine Freundin unangetastet. Der Tag nach meinem
letzten Briefe an Sie, gieng ich zu ihr: wir haben den Abend allein in der Laube zugebracht;
die bescheidne und englisch gütige Schwester unterbrach uns nur selten und das allezeit mit
einer so liebenswürdigen Schalkheit - Unser Gespräch waren Sie ja Sie, und die
freundschaftlichen Mädchen haben fast geweint für Verlangen Sie kennen zu lernen. Und Sie
wollten mit gewaffneter Hand auf sie losgehen, wie Herkules auf seine Ungeheuer Nein Sie
müssen sie kennen lernen und ihre Blicke allein werden Sie entwaffnen. Ich habe meiner
Friedrike gesagt, ich könnte für Sie nichts geheim halten. Sie zitterte, Sie würden zu wenig
Freundschaft für eine Unbekannte haben. Machen Sie diese Furcht nicht wahr, mein guter
Sokrates! Uebrigens tun Sie was Ihnen die Weißheit räth. Ich will mich geduldig unterwerfen.
Es ist gut, daß Sie meinen freundschaftlichen Ott nicht mit meiner Torheit umständlich bekannt
machen. Ich verbürge mich gern vor mir selbst nur nicht vor Ihnen. Leben Sie wohl, Ihr <line
type="break" />unaufhörlich ergebenster Freund <line type="break" />JMRLenz. <line
type="empty" /> Gestern ist der Herr Landpriester bei mir zu Gast gewesen. Er ist ein
Fieldingscher Charakter. Jeder andere würde in seiner Gesellschaft Langweile gefunden haben;
ich habe aber mich recht sehr darin amusirt; denn ein Auge, womit ich ihn ansah, war poetisch
das andere verliebt. Er läßt sein Leben für mich und ich für seine Tochter. </letterText>
<letterText letter="11"> Fort Louis, d. 15ten Junius n. St.<line type="empty" /> Mein theurester Vater!
<line tab="1"/>Abermal muß ich eine Gelegenheit kahl aus meinen Händen lassen, mit der ich in Ihre Arme zu
fliehen hoffte. Wenigstens soll mein Brief mitgehen, wenn ich mein Herz in denselben einschließen
könnte, ich thät es mit Freuden. Ich schreibe jetzt unter den grausamsten Kopfschmerzen an Sie, die
die hier jetzt unausstehliche Hitze und zugleich die Weindiät verursachen, und von denen ich sonst,
wie von andern Krankheiten, Gott sey Dank! nichts weiß: obschon äußere Umstände, Sorgen,
Kummer und Geschäfte mir sie oft genug hätten zuziehen können. Noch immer bete ich die
Vorsehung an, und noch immer muß ich Sie aufmuntern, sie mit mir anzubeten und alle Ihre
zärtlichen Sorgen auch in Ansehung meines Schicksals auf sie zu werfen. Bedenken Sie daß wir in
einer Welt sind, wo wir durch tausend in einander gekettete Mühseligkeiten zum Ziel gelangen und
niemals eine vollkommene Befriedigung auch unserer unschuldigsten und gerechtesten Wünsche
erwarten können. Wenn ich so eitel sein darf, zu glauben, daß meine Abwesenheit eine kleine Wunde
in Ihrer Seele macht: welch eine Wunde muß denn die Ihrige in der meinigen machen? Die
Abwesenheit meiner theuresten Mutter und Geschwister, meiner zärtlichsten Freunde die allezeit
Arme und Herz für mich offen hielten, da ich sie jetzt als Fremdling allenthalben für mich
verschlossen sehe. Umstände dazu, die ich Ihnen weder schildern will noch kann dennoch,
dennoch halte ich meine Augen zum Vater im Himmel emporgerichtet, der mir an jedem Ort
nachfolgt, und wenn ich entfernt von Himmel und Erde wäre und Leib und Seele mir verschmachtete. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Im Herzen rein hinauf gen Himmel schau ich <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Und sage Gott, dir Gott allein vertrau ich <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Welch Glück, welch Glück kann größer seyn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nur daß keiner meiner Briefe zu Ihnen gelangt, daß Sie durch dieses Stillschweigen nicht allein
an meinen Schicksalen, sondern auch an meinem Charakter irre werden; das kränket mich. Ich habe seit
Ihrem letzten Briefe schon zweymal an Sie geschrieben, und dennoch krieg ich einen Vorwurf über
den andern wegen meines Stillschweigens. Und können Sie glauben, daß mein sonst doch weiches
Herz sich auf einmal in einen Stein verwandelt Gott, du weißts. Ich schätze kein zeitliches Glück so
hoch als dasjenige, Sie noch einmal zu sehen. Was soll ich Ihnen sonst noch von meinen äußern
Umständen sagen. Die Vorsehung Gottes hat mir einen liebenswürdigen Zirkel von Freunden
geschenkt, mir Ihren Verlust zu ersetzen: sie sind aber das was die Wachslichter gegen das Tageslicht
sind. Einen Namen muß ich Ihnen hersetzen, damit Sie seiner in Ihren Seufzern für mich erwähnen: er
ist mir zu teuer. <aq><ul>Salzman</ul></aq> o wenn ich einen so erfahrenen liebenswürdigen Mentor nicht hier zur
Seite gehabt, auf welcher Klippe würde ich jetzt nicht schon schiffbrüchig sitzen? Wenn Ehre ein
wahres Gut ist, so bin ich glücklich, denn die wiederfährt mir hier genug, ohne daß ich sie verdienet
habe. Sie ist aber vielmehr ein Joch, als ein Gut, und sie allein würde mich nie abhalten, in den stillen
Schoß meines Vaterlandes unbemerkt wieder zurückzukehren. So aber sind mir jetzt noch Hände und
Füße dazu gebunden, ich möchte lieber sagen, abgehauen. Ich bringe meinen Sommer in Fort Louis,
einer Festung sieben Stunden von Strasburg zu, auf den Winter werde ich wieder dahin zurückkehren.
Jetzt bin ich also in einer fast gänzlichen Einsamkeit. Auf den künftigen Frühjahr hoffe ich mit
Nachdruck und Succeß an meine Heimreise zu denken. Bis dahin, theuresten Eltern, geben Sie sich
noch zufrieden. Ich wünsche Ihnen den großen Gott, auf den ich bisher noch nie zu meinem Schaden
gerechnet, und, ich glaube es unverändert, auch niemals ins künftige rechnen werde. Wenn ich meine
Lebens Geschichte aufsetzte, würde sie vielen unglaublich scheinen. Ich setze dies aufs Alter aus
vorher aber auf unsere mündliche Unterredung. Freuen Sie sich in dieser Zeit Ihrer wohlgeratenen
anwesenden Kinder, theurester Vater, schließen Sie einen abwesenden Flüchtling in Ihr Herz und
Gebet, aber schließen Sie ihn aus Ihrer Sorge, und übergeben ihn dem großen Gott, der am besten
weiß, was für ein Gefäß er aus ihm machen will. Ich falle Ihnen und meiner theuresten Mama mit
den zärtlichsten Tränen in die Arme, als Ihr bis ins Grab gehorsamster und getreuester Sohn Jac. Mich.<line type="break"/>
Reinh. Lenz.</letterText>
<letterText letter="12"> Fort-Louis, den 28. Juni <line type="empty"/> Gütigster Herr Aktuarius!
<line tab="1"/>Ich habe einen empfindlichen Verlust gehabt, Herr Kleist hat mir Ihren und meines guten Otts Briefe
recht sorgsam aufheben wollen und hat sie so verwahrt, daß er sie selbst nicht mehr wieder finden
kann. Ich bin noch zu sehr von der Reise ermüdet, als daß ich Ihnen jetzt viel Vernünftiges schreiben
könnte. Denn ich habe noch fast keine Minute gehabt, in der ich zu mir selbst hätte sagen können:
nun ruhe ich. Eigene und fremde, vernünftige und leidenschaftliche, philosophische und poetische
Sorgen und Geschäfte zerteilen mich. Mein Schlaf selber ist so kurz und unruhig, daß ich fast sagen
möchte, ich wache des Nachts mit schlafenden Augen, so wie ich des Tages mit wachendem Auge
schlafe. In Sesenheim bin ich gewesen. Ist es Trägheit oder Gewissensangst, die mir die Hand zu Blei
macht, wenn ich Ihnen die kleinen Scenen abschildern will, in denen ich und eine andere Person, die
einzigen Akteurs sind. Soviel versichere ich Ihnen, daß Ihre weisen Lehren bei mir gefruchtet haben
und daß meinen Leidenschaft dieses Mal sich so ziemlich vernünftig aufgeführt. Doch ist und bleibt es
noch immer Leidenschaft nur das nenne ich an ihr vernünftig, wenn sie mich zu Hause geruhig
meinen gewöhnlichen centrischen und excentrischen Geschäften nachhängen läßt, und das thut sie,
das thut sie. Die beiden guten Landnymphen lassen Sie mit einem tiefen Knicks grüßen. Mein
Trauerspiel (ich muß den gebräuchlichen Namen nennen) nähert sich mit jedem Tage der Zeitigung.
Ich habe von einem Schriftsteller aus Deutschland eine Nachricht erhalten, die ich nicht mit vielem
Golde bezahlen wollte. Er schreibt mir, mein Verleger, von dem ich, durch ihn, ein unreifes
Manuscript zurück verlangte, habe ihm gesagt, es wäre schon an mich abgeschickt. Noch sehe ich
nichts. Lieber aber ist mir dies, als ob mir einer einen Wechsel von 1000 Thalern zurückschenkte.
Lesen Sie dieß andere Blatt in einer leeren Stunde. Unsere letzte Unterredung und die darauf
folgende schlaflose Nacht, hat diese Gedanken veranlaßt. Schreiben Sie Ihr Urtheil drüber <line type="empty"/>
Ihrem ergebensten Lenz.</letterText>
<letterText letter="13"> <align pos="right">Fort Louis, d. 13ten Jul. 1772</align> <line type="empty"/>
<align pos="center">Liebster Bruder!</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Deine Vorwürfe würden mir so empfindlich nicht seyn, wenn ich sie <del>nicht</del> verdient hätte: aber sie
nicht verdient zu haben und doch kein Mittel wissen, die üble Meinung abzulehnen die alle meine
vorige Bekannte meines Stillschweigens halber von meinem Herzen zu fassen anfangen das ist in der
That niederschlagend. So mürbe ich aber auch von den Streichen des Schicksals bin, so soll doch kein
einziger, das hoffe ich zu Gott, mir meinen Mut rauben. Ich habe öfter an Dich geschrieben als Du an
mich wen soll ich anklagen, daß meine Briefe nicht zu Euch kommen? Ich freue mich über Dein
morgenröthendes Glück das meinige liegt noch in der Dämmerung. Es mag ewig darinne liegen
bleiben Dir nähere Nachrichten von meinen Umständen und Begebenheiten zu geben, ist mir
unmöglich. Sie geben das anmuthigste Gemählde von Licht und Schatten, wiewohl der letzte
bisweilen ein wenig tief ist. Aber im Briefe kann ich Euch nichts davon mittheilen: und ich halte es für
besser Euch lieber zu schreiben daß ich noch gesund bin und lebe, sonst nichts, als Euch mangelhafte
und unvollkommene Nachrichten zu geben, aus denen Ihr Muthmaßungen und Schlüsse ziehen
könntet, die Eurer und meiner Ruhe schaden würden. Ich habe mit Deinem Briefe einen sehr
lamentablen von unserm guten Frohlandt aus Königsberg bekommen, worin er mir meldet, daß fast
die ganze Landsmannschaft <ul>davon gelauffen.</ul> In der That, ich werde bald anfangen zu erröthen, mich
aus unserm Vaterlande zu bekennen, wenn unsere Landsleute sich Deutschland in einer solchen
Gestalt zeigen. Baumann, Hesse, Zimmermann, Hugenberger, Kühn, Meyer ich habe meinen Augen
nicht trauen wollen. Und der arme Frohlandt ist in der That fast aufs äußerste gebracht Hipprich
und Marschewsky sind gleichfalls aus Berlin mit Schulden davon gelauffen, der letzte hat dieses schon
in Leipzig und Jena getan. Das sind denn die würdigen Subjekte, mit denen in unserm Vaterlande
Ehren- und Gewissens-Aemter besetzt werden. Ich wünschte meine Verwandten und Freunde heraus,
in der That, ich wende keinen Blick mehr hin. Doch will ich Deinen Vorschlag mit der <aq>Condition</aq>
überlegen und Dir in dem nächsten Briefe von meinem völligen Entschluß Nachricht geben, bloß um
nur noch einmal, einmal das Glük zu haben meine Eltern und Euch alle wiederzusehen. Vor künftigen
Frühjahr, also jetzt über 10 Monate kann ich mich auf keine Weise allem Anscheine nach von Kleists
loß machen. Ins künftige wenn Du schreibst, so laß sie doch grüßen, liebster Bruder! es ist in der That
<page index="2"/>zu spröde, daß Du thust, als habst Du sie nie gekannt. Ich dependire einmal in gewisser
Absicht von ihnen. Kurz in meinem nächsten Briefe werde ich Dir von meinem Entschluß positivere
Nachricht geben. Reisegeld aber würde der Herr Etatsrath mir wohl schicken müssen, denn die <ul>Reise</ul>
<del>macht</del> legt meiner Zurükkunft die größte Schwierigkeit in den Weg. Du weißt die Oekonomie der
jungen Herrchen und wie viel sie baar liegen haben. Von Henisch kriege ich noch beständig Briefe,
von Miller aber keine, auch von Pegau nicht, wenn Du an einen von ihnen schreibst, so grüße doch
beide von mir 1000mahl und sage ihnen, daß ich gegen alle meine Freunde unter allen meinen
Umständen der alte Lenz bleibe. Vielleicht thu ich mit dem ältesten Herrn v. Kleist auf den Herbst
eine Reise auf einen Monath nach <aq>Nancy</aq> und mit dem jüngsten auf den Winter eine auf ein paar
Monate nach Mannheim. Warum hast Du die Bedienung in Dorpat nicht angenommen. Eine gute
Einschränkung <del>versp</del> erwirbt oft mehr als ein hohes Gehalt und wenn zu dem ersten die Gesellschaft
der zärtlichsten Freunde kommt und bey dem andern jede Freude des Lebens darbt, so sollte billig
der erste Zustand der vorzügliche seyn. Jetzt kann ich unmöglich weiter schreiben die <del>Post</del>
<insertion pos="bottom">Gelegenheit</insertion> geht o Himmel wie viel muß ich unterdrüken! Das sey aber versichert, mein theurer
Bruder, daß ich Dich vorzüglich liebe und unter allen Umständen meines Lebens lieben werde. Die
Gelegenheit mit der ich Dir diesen Brief schicke ist der Baron von Grothusen, welcher Morgen nach
Curland zurükreiset und mit dem ich anfangs mitzugehen mir schmeichelte, diese Hofnung ist aber
durch allerley <aq>Contretems</aq> zu Wasser geworden. Die vorigen Briefe habe ich Dir theils auf der Post,
theils durch Pegau (wo mir recht ist) teils durch einen Landsmann der auch nach Hause reiste teils
durch Herrn v. Sievers zugeschickt. Daß keiner angekommen, weiß ich auf keine Art zu begreiffen.
Schreibe mir durch Frohlandt oder H. v; <aq>Sievers</aq>, fast möchte ich itzt die erste Gelegenheit für besser
oder nimm doch die andere Mache wie Du es für gut findst. Meine Adresse ist <del>an H</del> abzugeben
beym Herrn Actuarius Salzmann, nahe bey der Pfalz. Actuarius ist hier eine der ersten
Magistratsbedingungen, nicht wie in Liefland Ich muß schließen. Ich hoffe gewiß daß wenigstens
dieser Brief Dich antreffen wird. Melde mir doch wie die Bedingungen Deiner <aq>Condition</aq> lauten. Bitte
Papa um ein paar Zeilen von seiner Hand, dies ist die einzige Wohlthat die ich mir von ihm ausbitte.
Küsse ihm und Mama 1000mal die Hand allen meinen theuren Geschwistern Freunden und
Freundinnen 1000000mal den Mund von <line type="empty"/>
Deinem zärtlichsten Bruder Lenz.
<sidenote pos="top left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">Kleists lesen alle meine Briefe. Wir sind aber Freunde und Du darfst alles frey schreiben, nur nichts
von ihnen.</sidenote></letterText>
<letterText letter="14">Fort Louis, August 1772 <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie bekommen heut einen sehr elenden Brief von mir, darum wollt ich anfangs lieber gar nicht
schreiben. Aber <aq>non omnia possumus omnes</aq> dacht ich, mit Herrn Rebhuhn und geantwortet
muß doch seyn. Ich komme eben aus der Gesellschaft dreier lieben Mädchen und einer schönen,
schönen Frau und in allen solchen Gesellschaften wird das Fleisch willig und der Geist schwach. Wie
dieser Brief in Ihre Hände kommt weiß ich noch nicht. Es soll ein Hauptmann nach Straßburg gehen,
der dorthin allerlei mitnehmen wird, unter anderm Ihren <aq>Hobbes civem Malmesburgiensem</aq>,
den ich mich nicht überwinden kann zu Ende zu bringen. Es geht mir wie einem Kinde, das über ein
neues Spielzeug eines alten vergißt, das es doch so fest mit seiner kleinen Patsche umklammert hatte,
als ob es ihm erst der Tod herausreißen sollte. Der Zustand meines Gemüthes ist wie er ist; den Haß
kann man wohl auswurzeln, aber die Liebe nie, oder es müßte ein Unkraut seyn, das nur die äußere
Gestalt der Liebe hätte. Wenn mir Einer Mittel vorschlagen wollte, Sie nicht mehr zu lieben, glauben
Sie, daß diese Mittel bey mir kräftig sein würden? Vergeben Sie mir mein böses Maul, ich wünschte es
allemal böser als mein Herz. Ich habe einen vortrefflichen Fund von alten Liedern gemacht, die ich
Ihnen, sobald ich nach Straßburg komme, mittheilen werde. Wollen Sie meine letzte Uebersetzung
aus dem Plautus lesen, so fodern Sie sie unserm guten Ott ab, denn ich glaube schwerlich, daß sie so
bald in der Gesellschaft wird vorgelesen werden. Sie haben mir keine Nachricht gegeben, wie sie mit
der Ietztern gegenwärtig zufrieden sind. Vernachlässigen Sie diese Pflanzschule Ihrer Vaterstadt nicht,
theurer Freund, vielleicht könnten wohlthätige Bäume draus gezogen werden, auf welche
Kindeskinder, die sich unter ihrem Schatten freuten, dankbar schnitten: Auch dich hat Er pflanzen
helfen. Es sieht noch ziemlich wild und traurig in Ihrer Region aus aber der erste Mensch ward in
den Garten Eden gesetzt um ihn zu bauen. Wollten Sie wohl einst so gütig seyn, mir, zum
<aq>aequivalent</aq> für <aq>Hobbes</aq>, noch eine glühende Kohle aufs Haupt zu sammeln und etwa Puffendorfs
<aq>historiam juris</aq> zu schicken. Oder ein anderes juristisches Buch, denn Jurist muß ich doch werden,
wenn mir anders die Theologie nicht verspricht mich zum Papst von Rom zu machen. Ich halte viel auf
die Extreme und Niklaus Klimms <aq>aut</aq> Schulmeister <aq>aut</aq> Kaiser ist eine Satire auf Ihren
Ihnen stets ergebenen <line type="empty"/><line type="break"/>
Lenz. <line type="empty"/>
Herr von Kleist befindet sich wohl und empfiehlt sich Ihnen bestens.</letterText>
<letterText letter="15">Mein theurer Sokrates!
<line tab="1"/>Ich umarme Sie mit hüpfendem Herzen und heiterer Stirne, um Ihnen eine Art von Lebewohl zu
sagen, das in der That nicht viel zu bedeuten hat. Einige Stunden näher oder ferner machen, für den
Liebhaber erschrecklich, für den Freund aber nichts. Der Erste ist zu sinnlich eine körperliche
Trennung zu verschmerzen, der andere aber behält, was er hat, die geistige Gegenwart seines
Freundes, und achtet die zwei Berge oder Flüsse mehr oder weniger nicht, die zwischen ihm und
seinem Gegenstande stehen. Nur das thut mir wehe, daß ich nicht so oft werde nach Straßburg
kommen können, indessen soll es dafür jedesmal auf desto längere Zeit geschehen. Ich denke, Sie
werden mich nicht vergessen, meinerseits sind die Bande der Freundschaft so stark, daß sie noch
hundert Stunden weiter gedehnt werden können, ohne zu reißen. Bis in mein Vaterland hinein bis
ins Capo de Finisterre, wenn Sie wollen. In Ihrem letzten Briefe haben Sie mir Unrecht gethan. Wie,
mein liebenswürdiger Führer, ich sollte wie ein ungezähmtes Roß allen Zaum und Zügel abstreifen,
den man mir überwirft? Wofür halten Sie mich? Ach jetzt bekomm ich einen ganz andern
Zuchtmeister. Entfernung, Einsamkeit, Noth und Kummer, werden mir Moralen geben, die weit
bitterer an Geschmack seyn werden, als die Ihrigen, mein sanfter freundlicher Arzt. Wenn ich mit
Ihnen zusammenkomme, werde ich Ihnen viel, sehr viel zu erzählen haben, das ich jetzt nicht mehr
der Feder anvertrauen kann. Auftritte zu schildern, die weit rührender sind, als alles, was ich jemals
im Stande wäre zu erdichten, Auftritte, die, wenn Sie Ihnen zugesehen haben würden, Sie selbst noch
(meinen Sokrates) zu weinen würden gemacht haben. Noch ist meine Seele krank davon. Sie sind
mein bester Freund auf dem Erdboden, Ihnen, aber auch nur Ihnen, will ich Alles erzählen, sobald ich
Sie spreche. Zeigen Sie diese Stelle meines Briefes, nicht meinem guten Ott wenn er nicht noch
Jüngling wäre, wenn er die Stufe der Weisheit erstiegen hätte, würde ich über diesen Punkt nicht
gegen ihn zurückhaltend sein. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Heute komme ich von Lichtenau, aus einer sehr vergnügten Gesellschaft, in welcher ich vielleicht
allein die Larve war. Ich will meinen Brief an Sie bis zum Ende bringen, ich erwarte heute abend noch
einen Gnadenstoß. O lassen Sie mich, mein beschwertes Herz an Ihrem Busen entladen. Es ist mir
Wollust zu denken, daß Sie nicht ungerührt bei meinem Leiden sind, obschon es Ihnen noch
unbekannt ist. Denn Trennung ist nicht die einzige Ursache meines Schmerzens. Wir wollen von
andern Sachen reden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich werde noch, vor meiner Abreise, einmal aus Fort-Louis an Sie schreiben und alsdann aus Landau,
sogleich nach meiner Ankunft. Mein Studiren steht jetzt stille. Der Sturm der Leidenschaft ist zu
heftig. Ich wünsche mich schon fort von hier, alsdann, hoffe ich, wird er sich wieder kümmerlich
legen. In Landau will ich, so viel es mein zur andern Natur gewordenes Lieblingsstudium erlaubt, das
<aq>Jus</aq> eifrig fortsetzen. Auf den Winter denk ich mit Herrn von Kleist, der sich Ihnen gehorsamst
empfehlen läßt, einige Monate in Mannheim, einige in Straßburg zuzubringen. Wo zuerst weiß ich
nicht. Seyen Sie so gütig und sagen es der Jungfer Lauthen noch nicht, daß ich von Fort-Louis
weggehe, ich will es ihr, wenn ich noch einen Posttag abgewartet, selber schreiben. Das weibliche
Herz ist ein trotzig und verzagt Ding. Leben Sie wohl bis auf meinen nächsten Brief. Ich bin von
ganzem Herzen
Ihr
Sie ewig liebender <aq>Alcibiades</aq><line type="break"/>
J. M. R. L.</letterText>
<letterText letter="16">Mein theuerster Freund! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Auf einem Fuß, wie ein reisefertiger Kranich, steh ich jetzt und schmiere Ihnen mit dem anderen
mein Adieu aufs Papier. Ich glaube zum wenigsten, daß dies mein letzter Brief von Fort-Louis seyn
wird. Ich gehe jetzt nach Sesenheim hinaus, um den letzten Tag recht vergnügt dort zuzubringen.
Recht vergnügt Nicht wahr, Sie lächeln über meine stolze platonische Sprache, mittlerweile mein
Herz mit dem Ritter Amadis (oder was weiß ich, wie der Liebhaber der Banise hieß) von nichts als
Flammen, Dolchen, Pfeilen und Wunden deklamirt. Was soll ich sagen? Ich schäme mich meiner
Empfindungen nicht, wenn sie gleich nicht allezeit mit festem Schritt hinter der Vernunft hergehen. O!
und Salzmann bedauert mich sehen Sie die Schürze von Feigenblättern, die meine gefällige Vernunft
mir allezeit vor die Blöße meines Herzens bindet. Ich habe in Sesenheim gepredigt, sollten Sie das
glauben? Den Sonnabend nachmittags karessirt; nach Fort-Louis gegangen; das Thor zu gefunden;
zurückgegangen; den Pfarrer am Nachtessen unruhig gefunden, daß er so viel zu thun habe; mich
angeboten; bis vier Uhr in der Laube gesessen; mich von meinen Fatiguen erholt; eingeschlafen; den
Morgen eine Bibel und eine Concordanz zur Hand genommen und um 9 Uhr vor einer zahlreichen
Gemeine, vor vier artigen Mädchen, einem Baron und einem Pfarrer gepredigt. Sehn Sie, daß der
Liebesgott auch Candidaten der Theologie macht, daß er bald in Alexanders Harnisch wie eine Maus
kriecht, bald in die Soutane eines Pfarrers von Wackefield, wie ein der Liebesgelahrtheit Beflissener.
Mein Text war das Gleichniß vom Pharisäer und Zöllner und mein Thema die schädlichen Folgen des
Hochmuths. Die ganze Predigt war ein Impromptu, das gut genug ausfiel. Himmel die Uhr schlägt
sechs und ich sollte schon vor einer Stunde in S. seyn. Diesmal sollen Sie mich dort entschuldigen.
Ihren <aq>Heineccius</aq> nehme ich mit. Ohne Erlaubniß ach, mein Freund, <aq>dura necessitas</aq> läßt mich nicht
erst lange fragen, ich greife zu aber ich gebe auch wieder. Allein was werden Sie sagen, wenn ich
Ihnen Ihren <aq>Tom Jones</aq> noch nicht zurückschicke? Ich bin schuld daran, daß ihn mein faules Mädchen
noch etwas länger behält, er soll sie für meinen Verlust entschädigen, denn wenn man gute
Gesellschaft hat, sagte sie, so kann man nicht viel lesen. Ich habe so brav auf Ihre Güte gethan, daß
ich ihr mein Wort drauf gegeben, Sie würden es verzeihen, wenn sie Ihnen denselben erst durch
Mamsell Schell zuschickte; ja Sie würden sogar so gütig seyn und ihr noch die zween letzten Teile
alsdann dazu leihen, wenn sie die ersten wieder gegeben. Das heißt gewagt, mein bester Sokrates,
aber Jugend ist allezeit ein Waghals, und bricht doch nur selten den Hals; ich denke, Sie werden
meine tollkühne Freundschaft noch nicht fallen lassen: wenn sie älter wird, soll sie weiser und
vorsichtiger werden. Für Ihre Adressen in Landau danke ich Ihnen unendlich, wer weiß, wozu sie gut
sind. Ich hoffe eher nach Straßburg zu kommen, als nach Mannheim. Ich kann nicht mehr, theuerster,
bester, würdigster Freund! ich bin schon ein Jahr über meine bestimmte Stunde ausgeblieben. Leben
Sie recht sehr glücklich; mein Großfürst heirathet eine darmstädtische Prinzessin; leben Sie allezeit
gleich heiter und vergnügt; ich möchte gerne den Namen des Russischen <aq>Envoyé</aq> an diesem Hofe
wissen; erinnern Sie sich meiner zuweilen; der Friede soll auch schon geschlossen seyn; grüßen Sie
die Lauthsche Gesellschaft und die Mademoiselles tausendmal; doch was berichte ich Ihnen
Neuigkeiten, die bei Ihnen schon in der Hitze werden sauer geworden seyn und bleiben Sie
gewogen
Ihrem verschwindenden <aq>Alcibiades</aq><line type="break"/>
J.M.R.L.
</letterText>
<letterText letter="17">Weissenburg im Elsaß d. 2ten Septbr. 1772. <line type="empty"/>
Mein Vater!
<line tab="1"/>Ich schreibe Ihnen diesen Brief auf dem Marsch von Fort Louis nach Landau, wohin das Regiment
Anhalt, bey dem sich der H. v. Kleist, (der jüngere) befindt, den letzten des vorigen Monaths
aufgebrochen. Weil der letztere, dessen zärtliche Freundschaft für mich täglich zunimmt, mich immer
um sich haben will, so thue ich mit ihm und zugleich mit dem Regiment, zu Pferde eine zwar sehr
langsame aber auch nicht minder angenehme Reise.
<line tab="1"/>Ich bin Ihnen noch einige Striche von meinem Lebenslauf in Fort Louis schuldig, denn meinen letzten
Brief schrieb ich Ihnen, als ich eben dahin abgieng. Ob ich gleich nicht weiß, ob jemals einer von
meinen Briefen in Ihre Hände gekommen ist, oder kommen wird, so will ich doch meiner Seits nichts
ermangeln lassen. Vielleicht trägt ein gutherziger Wind doch eine Nachricht von mir wie ein
Blumenstäubchen fort, läßt sie noch bey Ihnen niederfallen, und zu einer kleinen Blume der Freude
aufgehn. Ich spähe hier vergebens jeden Winkel nach Nachrichten von Ihnen aus, fast keinen
Fremden, der aus Norden kömmt, laß ich entwischen, allein von Dorpat habe ich doch seit einem
halben Jahr nicht das mindeste erfahren können.
<line tab="1"/>Es ist mir in Fort Louis recht sehr wohl gegangen: eine Wirkung Ihres väterlichen Gebeths und der
Verheißung Gottes, frommen Eltern auch an ihren Kindern noch wohlzuthun. Denn was meine Person
betrifft, so bin ich viel zu gering alles dessen was die Barmherzigkeit des Herrn an mir getan hat. Je
länger ich mit d. Hrn. von Kleist umgehe, desto mehr spüre ich, daß seine Freundschaft zu mir wächst,
anstatt wie es sonst bei jugendlichen Neigungen gewöhnlich ist, durch Gewohnheit und Sättigung zu
erkalten. Ich habe mit seinen Nebenofficiers, die fast alle Deutsche sind, einen recht sehr artigen
Umgang, ob schon ich mich soviel möglich allezeit in mich selbst zurückziehe. Nahe bey Fort Louis
war ein Dörfchen, das ein Prediger mit drey liebenswürdigen Töchtern bewohnte, wohin sich die
Unschuld aus dem Paradiese schien geflüchtet zu haben. Hier habe ich den Sommer über ein so süßes
und zufriedenes Schäferleben geführt, daß mir alles Geräusch der großen Städte fast unerträglich
geworden ist. Nicht ohne Thränen kann ich an diese glückliche Zeit zurück denken! O wie oft hab ich
dort Ihrer und Ihres Zirkels erwähnt! O wie gern wollte ich in den schönen Kranz Ihrer Freunde eine
Rose binden, die hier in dem stillen Tale nur für den Himmel, unerkannt blühet. Ich darf Ihnen diese
Allegorie noch nicht näher erklären, vielleicht geschieht es ins künftige. Mündlich dereinst hoffe ich,
Ihnen das ganze Gemälde von meinem Lebenslauf aufzustellen, das in einem Briefe Ihnen viel zu
seltsam und romanhaft vorkommen würde. Glauben Sie mir aber, daß die menschliche
Einbildungskraft lange nicht so viel erdichten kann, als das menschliche Leben oft erfahren muß.
<line tab="1"/>Ich habe an diesem Orte kurz vor meiner Abreise eine Predigt, fast aus dem Stegreif gehalten. Sie fiel
für den ersten Versuch und für ein Impromptu gut aus, allein ich entdeckte einen wesentlichen Fehler
fürs Predigtamt an mir, die Stimme. Ich ward heiser und fast krank, und jedermann beschuldigte mich
doch, zu leise geredet zu haben, da überdem die Kirche eine der kleinsten war. Was für eine Stelle mir
also dereinst der Hausvater im Weinberge anweisen wird, weiß ich nicht, sorge auch nicht dafür. Noch
arbeite ich immer nur für mich und lerne von den Vögeln frei und unbekümmert auf den Armen der
Bäume den Schöpfer zu loben, gewiß versichert, das Körnchen das sie heute gesättigt, werde sich
morgen schon wieder finden. Nach Straßburg schicke ich von Zeit zu Zeit kleine Abhandlungen an
eine Gesellschaft der schönen Wißenschaften, die mich zu ihrem Ehrenmitgliede erwählt hat, und die
davon mehr Aufhebens macht, als mir lieb ist. Ob sich auch in Landau für mich ein Feld eröffnen wird,
in dem ich ein wenig graben kann, weiß ich nicht. Ich werde keinen Wink der Vorsehung aus der Acht
lassen, aber auch nicht murren, wenn ich dort noch eine Weile unerkannt und ungedungen am Markt
stehen bleibe. Meine Freundschaften und Verbindungen in Strasburg werden durch diese Reise, die
mich Ihnen einige Stunden näher bringt, nicht zerrissen, sondern nur noch enger zusammengezogen,
da auch bei Freunden und Gönnern immer das Sprichwort wahr bleibt <aq>Major ex longinquo reverentia.</aq>
Doch seit einiger Zeit, (ich rede von Herzen mit Ihnen) bin ich ziemlich gelassen auch bei den
empfindlichsten Trennungen und Verlusten. Ich habe ihrer schon so viel erfahren. Einige menschliche
Thränen, und alsdenn fröhlich <insertion pos="top">wieder</insertion> das ganze Herz dem übergeben, der uns für den Verlust einer
Welt entschädigen kann. Die große Moral, die ich aus meinen bisherigen Schicksalen mir abgezogen,
soll immer mein Hauptstudium bleiben: Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und
Erden. Jetzt will ich hier abbrechen und den Beschluß auf einige Tage weiter sparen, da ich Ihnen
auch etwas von Landau melden kann. <line type="empty"/>
Landau den 2ten October.
Viele Vorfälle, die mich ganz foderten, haben mir nicht soviel Zeit gelassen, meinen Brief an Sie zu
endigen. Hier muß ich ihn eben stehendes Fußes zum Ende bringen, da sich eine gute Gelegenheit
findet, ihn fortzuschaffen. Ich habe in Landau noch sehr wenig Bekanntschaft gemacht. Der Senior
Herr Mühlberge, ein Schwager meines geliebten Freundes, des Herrn Licentiats Salzmann in
Straßburg, scheint ein wackerer Mann zu sein. Ich bin bey ihm gewesen, habe ihn aber nicht
angetroffen. Seyn Sie doch so gütig, und lassen einliegenden Brief nach Reval kommen, er ist von
einem Feldwebel aus unserm Regiment, der mein Landsmann ist, und als solcher mich gar zu
inständigst gebeten, doch einmal einen Brief von ihm an die Seinigen zu schaffen. Er ist itzt schon 30
Jahr von Hause, verschiedene Landsleute haben seinen Brief angenommen, keiner aber bestellt. O
dacht ich, so werden deine saubern Landsleute es mit deinen Briefen auch gemacht haben
wenigstens will ich so leichtsinnig nicht sein. Sie werden mir vergeben, daß ich Ihnen dadurch Kosten
mache. Der Mann heißt Hönn, ist eines Predigers Sohn, und hat unter die Soldaten gehen müssen,
weil seine unmenschliche Stiefmutter, sogleich nach dem Tode seines Vaters, ihm da er kaum 1 Jahr
auf der Akademie gewesen, weder Geld noch Brief noch Anweisung mehr geschickt. Er macht noch
Ansprüche auf das Vermögen seines Vaters, wenn anders welches da ist, indem sie sich verheirathet
haben soll und zwar an einen gewissen Past. Oldekop: ich kann nicht begreifen, ob dieser Past.
Oldekop ein weitläuftiger Verwandte von unserm liebenswürdigen Freunde sein sollte. Übrigens führt
dieser Mensch sich ganz ordentlich.
<line tab="1"/>Jetzt muß ich abbrechen, wenn Sie anders diesen Brief noch erhalten sollen. Es heißt, das Regiment
soll auf den Winter nach Straßburg. Wenn ich nach Liefland komme, weiß Gott, indessen sorgen Sie
nie für mich, überlassen Sie dieses ihm. In dessen Vorsorge ich auch Sie empfehle. Tausend Grüße an
alle gute Freunde, tausend Küsse an alle meine Geschwister. Meine beste Mama! o könnte mein
Gebeth Sie gesund machen. Ich küsse Ihr und Ihnen aufs zärtlichste die Hände
als
Dero<line type="break"/>
gehorsamster Sohn<line type="break"/>
J. M. R. Lenz.</letterText>
<letterText letter="18">Landau, den 7. September. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>So wenig Zeit mir auch übrig ist, so muß ich Ihnen doch sagen, daß ich Sie in Landau noch eben so
hoch schätze, ebenso liebe, als in Fort-Louis. Unser Marsch war angenehm genug: vor Tage zu Pferde,
und vom Mittag, bis in die Nacht gerastet. Ich möchte so durch die Welt reisen. Weißenburg hat mir
gefallen, die dortige Schweizergarnison glich den Priestern der Cybele, so erfreute sie die Ankunft
eines deutschen Regiments. Landau kann in der That das Schlüsselloch von Frankreich heißen, da es
nur zween Thore hat, eins nach vorne, das andere nach hinten. Unsern Ausgang segne Gott, unsern
Eingang Ich wohne bei einem Herrn Schuch, der ein naher Verwandter vom Herrn Türkheim seyn
will. Seine Frau und er spielen mir alle Abende Komödie, wobei mein Herz mehr lacht, als bei allen
Farcen des Herrn Montval und Ribou. Er ist ein gutwilliger Schwätzer, gegen seine Frau, ein rechter
Adventsesel und auch gegen die Füllen bei ihr. Sie trägt Hosen und Zepter, eine Teintüre von Andacht
und koketter Prüderie in der That, meinen kleinen Plautus hinterdrein gelesen und ich brauche kein
Theater. Melden Sie mir doch, was das Ihrige in Straßburg macht und ob dort kein deutsches zu
erwarten sei. Beim Herrn Senior, der fast die alleinige Materie des Gesprächs meiner Wirthsleute ist
(ausgenommen den gestrigen vortrefflichen Abend, wo wir lauter Haupt- und Staatsaktionen
ausmachten) bin ich noch nicht gewesen. Der Bürgermeister Schademann soll schon seit geraumer
Zeit todt seyn. Vielleicht erlange ich die Bekanntschaft seines Sohnes, der sehr reich sein soll. Ein
Rektor bei der hiesigen Schule, der im Kloster einen Sohn hat, der schon Magister ist (wo mir recht
ist, hab ich ihn dort gesehen) soll eine gute Bibliothek haben: da muß ich suchen unterzukommen.
Seyen Sie doch so gütig und schreiben mir in Ihrem nächsten Briefe den Namen des Churfürsten von
der Pfalz; wie auch den Charakter und die Adresse des Herrn Lamey, ein Name, den ich in Straßburg
oft gehört. Sie lachen wozu das? Nun, nun, es hat nichts zu bedeuten, ein guter Freund hat mich um
beide in einem Briefe ersucht. Einen Nachmittagsprediger habe ich hier gehört, der keine Pfeife
Toback werth vorgebracht. Ich ging nach Hause und las Spalding, vom Werth der Gefühle im
Christentum. Welch ein Kontrast! Dieses Buch müssen Sie auch lesen, mein Sokrates! es macht
wenigstens Vergnügen zu finden, daß Andere mit uns nach demselben Punkt visiren. Ich freue mich,
daß man in einem Tage von hier nach Straßburg kommen kann, wer weiß wenn ich Sie überrasche.
Fahren Sie fort mit Ihrer Gewohnheit für mich.
Lenz.</letterText>
<letterText letter="19">Landau, den 18ten. <line type="empty"/>
Guter Sokrates!
<line tab="1"/>„Ohne mich nicht ganz glücklich“ Fürchten Sie sich der Sünde nicht, einen jungen Menschen stolz zu
machen, dessen Herz noch allen Passionen offen steht und durch Zeit und Erfahrung nur noch sehr
wenig verbollwerkt ist? Da ich so tief in Ihr System geguckt, da ich weiß, daß Ihre Religion die
Glückseligkeit ist so konnte mir kein größeres Compliment gemacht werden, als, daß ich im Stande
sey, mit etwas dazu beyzutragen, wenns auch nur so viel ist, als ein Mäuschen zum Rhein. Spaß bei
Seite, die Glückseligkeit ist ein sonderbares Ding, ich glaube immer noch, daß wir schon hier in der
Welt so glücklich seyen, als wir es nach der Einrichtung unseres Geistes und Körpers werden können.
Die Tugend ist das einzige Mittel diese Glückseligkeit in ihrer höchsten Höhe zu erhalten und die
Religion versichert uns, sie werde auch nach dem Tode währen und dient also dieser Tugend mehr zur
Aufmunterung, als zur Richtschnur. Da kommt nun aber die verzweifelte Krankheit, von der Sie
schreiben und wirft mir mein ganzes Kartenhaus über den Haufen. Allein sie muß doch auch wozu
heilsam seyn, vielleicht, wie Sie sagen, ist sie das Fegfeuer unserer Tugend, wenigstens macht sie uns
die Gesundheit desto angenehmer und trägt, durch den Contrast, also zu dem Ganzen unserer
Glückseligkeit auch mit das Ihre bei. Wiewohl, ich habe gut philosophiren, da ich sie, dem Himmel sey
Dank, schon seit so langer Zeit, bloß vom Hörensagen kenne. Ich bin jetzt auch von lauter Kranken
eingeschlossen und denke dabei beständig an Sie. Wiewohl ich aus dem Schluß Ihres letzten Briefes
zu meiner Beruhigung schließe, daß Sie jetzt wieder völlig hergestellt seyen. Sie werden von Herrn Ott
hören, wie ich mich amusire. Wenig genug und doch sehr viel. Wenn man Käse und Brod hat,
schmeckt uns die Mahlzeit eben so gut, als wenn das Regiment <aq>de Picardie</aq> traktirt, vorausgesetzt,
daß wir in einem Fall, wie im andern, recht derben Hunger haben. Um also glücklich zu seyn, sehe ich
wohl, werde ich künftig nur immer an meinem Magen arbeiten, nicht an der Mahlzeit, die ich ihm
vorsetze. Die Umstände, in denen wir uns befinden, müssen sich schon nach uns richten, wenn wir
selbst nur fähig sind, glücklich zu seyn. Bin ich doch ganz Philosoph geworden, werden Sie nur über
mein Geschwätz nicht von Neuem krank! Den Herrn Senior habe ich nur in seiner Kirche besucht und
noch nicht recht das Herz, ihn näher kennen zu lernen. Den Rektor der hiesigen Schule hab ich in
seinem Hause besucht und möchte wohl schwerlich wieder hingehen. Ich fragt ihn nach den hiesigen
Gelehrten: er lachte. Das war vortrefflich geantwortet, nur hätte der gute Mann die betrübte
Ahndung, die dieses Lachen bei mir erregte, nicht bestätigen sollen. Er beklagt sich über den
Schulstaub und die häuslichen Sorgen da, da, mein theuerster Freund, fühlte ich eine Beklemmung
über die Brust, wie sie Daniel nicht stärker hat fühlen können, als er in den Löwengraben hinabsank.
In seiner Jugend, sagt er, hätte er noch <aq>fait</aq> vom Studieren gemacht, jetzt o mein Freund, ich kann
Ihnen das Gemälde nicht auszeichnen, es empört meine zartesten Empfindungen. Den heiligen
Laurentins auf dem Rost hätt ich nicht mit dem Mitleiden angesehen, als diesen Märtyrer des
Schulstandes, eines Standes, der an einem Ort wie Landau, mir in der That ein Fegfeuer scheint, aus
dem man alle guten Seelen wegbeten sollte. Er hatte seine Bibliothek nicht aufgestellt, es waren
bestäubte, verweste Bände, die er vermuthlich nur in seiner Jugend gebraucht ausgenommen die
allgemeine Welthistorie figurirte, in Franzband eingebunden, besonders. Vielleicht daß ich da mich
einmal bei ihm zu Gast bitte. Er scheint übrigens der beste Mann von der Welt o Gott, eh so viel
Gras über meine Seele wachsen soll, so wollt ich lieber, daß nie eine Pflugschaar drüber gefahren
wäre. Jetzt bin ich ganz traurig, ganz niedergeschlagen, blos durch die Erinnerung an diesen Besuch.
Nein, ich darf nicht wieder hingehen. Wie glücklich sind Sie, mein Sokrates, wenigstens glänzt eine
angenehme Morgenröthe des Geschmacks in Straßburg um Sie herum, da ich hier in der ödesten
Mitternacht tappend einen Fußsteig suchen muß. Keine Bücher! ha Natur, wenn du mir auch dein
großes Buch vor der Nase zuschlägst (in der That regnet es hier seit einigen Tagen anhaltend), was
werd ich anfangen? Dann noch über die Glückseligkeit philosophiren, wenn ich von ihr nichts als das
Nachsehen habe? Doch vielleicht kriegt mich ein guter Engel beim Schopf und führt mich nach
Straßburg. Meine Lektüre schränkt sich jetzt auf drey Bücher ein: Eine große Nürnbergerbibel mit
der Auslegung, die ich überschlage, ein dicker Plautus, mit Anmerkungen, die mir die Galle etwas aus
dem Magen führen und mein getreuster Homer. Ich habe schon wieder ein Stück aus dem Plautus
übersetzt und werd es ehestens nach Straßburg schicken. Es ist nach meinem Urtheil das beste, das
er gemacht hat (doch ich kenne noch nicht alle). Noch an eins möcht ich mich machen: es ist eine Art
von Dank, den ich dem Alten sage, für das herzliche Vergnügen, das er mir macht. Ist es nicht reizend,
nach so vielen Jahrhunderten, noch ein Wohlthäter des menschlichen Geschlechts zu sein?<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Heut möcht ich Ihnen einen Bogen voll schreiben, aber ich besinne mich, daß das, was mir ein
Präservativ für eine Krankheit ist, Ihnen leicht ein Recidiv geben kann. Ich bin ganz der Ihrige<line type="break"/>
Lenz.</letterText>
<letterText letter="20"><align pos="right">Arensburg in der Insel Oesel d. 24. Septbr: a. St. 1772</align> <line type="empty"/>
Mein zärtlich geliebter Bruder, <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Um die Freude auszudrücken, die Dein Brief mir verursachet, müßte ich mehr Muße und einen
größern Raum haben. Der Anblick einer Hand, die ich zwey lange Jahre zu sehn entwöhnt bin, war das
für mich, was Robinson auf einer wüsten Insel der erste Anblick einer Menschen-Gestalt nur immer
seyn konnte. Ich weiß jetzt daß Du lebst, daß Du wo nicht glücklich doch auch nicht ganz unglücklich
bist, und dieß ist alles. Aber die Schicksale, die Du verschweigst, mir verschweigst, in dessen Busen
Deine Geheimnisse, wenn Du welche hast, so gut verwahrt wären, wie in der Deinigen, gewiß diese
machen mich unruhig. Gott weiß, daß ich Dein Glück wünsche, und so sehr wünsche, als es vielleicht
keiner außer mir thut. Könnte ich zu Deiner Zufriedenheit was beytragen, wie sehr würde meine
eigne vergrößert werden. Sey offenhertzig gegen mich, wenn Du von meiner Zärtlichkeit überzeugt
bist; Und der Himmel verzeyhe es Dir, wenn Du es nicht bist. Sollte vielleicht Deine Rückreise durch
kleine Verwickelungen aufgehalten werden, so entdecke Dich mir, vielleicht kann ich Mittel erfinden,
Dir zu helfen? Denn was würde ich nicht dran wenden, Dich noch einmahl zu sehen, einmahl alle
meine bisherigen Schicksale in Deinen Busen auszuschütten, und aus Deinem Munde die Deinigen zu
hören, die mich wo nicht mehr doch eben so sehr <aq>intereßiren</aq> wie meine eignen. Unser guter alter
Vater, ich weiß, daß er Dich sehr liebt, es würde ihn tief beugen, wenn Du Hülfe nöthig hättest, und er
Dir nicht helfen könnte. Verschone ihn also, wenn Du in Verlegenheit bist, eben so wie unsere
Geschwister, die selbst in Schulden, eben so wie er begraben sind. Wende Dich an mich, mich wird
die Last nicht niederdrücken, die ich für meinen Bruder trage, den meine ganze Seele liebt. Ich bin
auch jünger wie sie, und habe keine Frau und Kinder, die mir Vorwürfe machen können. Was für ein
Verdienst, Dich unserm Vaterlande, unsern frommen Eltern, unsem frohen Geschwistern und
Freunden wiederzugeben, wie weit überwiegt es alle Ungemächlichkeiten! Und dieß erwarte ich
von Deiner Liebe, wenn es wahr ist, daß Du mich liebst. Laß mich immer bey meiner Einbildung
<page index="2"/> daß unter den vielen Ursachen, die Dich bewegen müssen, zurückzukommen, <insertion pos="top">ich</insertion> auch eine
kleine seyn könnte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich zweifle nicht, daß Du ebenso ungeduldig bist, meine Geschichte zu hören, wie ich die Deinige. Ich
mache Dir keinen Vorwurf. Aber genung es ist traurig für mich, so wenig von Dir zu wißen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Du weißt, daß ich in meiner vorigen Condition einen Antrag zum Fiscalat in Dörpt bekam, den ich aus
vielen kleinen Ursachen ausschlug, die die Vorsehung vielleicht mir zu meinem Glück in den Weg
legte. Einige Wochen drauf kam ich in Vorschlag zum <aq>Stadts-Secretariat</aq> in <aq>Arensburg</aq>. Wunderbar hat
unser große u. gute Vater mich bisher geführt. Alle Hindernisse mußten gehoben werden, und seit
dem Anfange des vorigen Monats bin ich würklich ein 20jähriger <aq>Secretaire</aq>. Einige Ausarbeitungen,
die ich <aq>loco</aq> eines <aq>examinis</aq> machen muste, geriethen gut, weil ich mühsam in der Condition das
nachgeholt hatte, was ich auf der Akademie versäumt. <aq>Turzelmann</aq>, Ratsherr, u. ein Mutterbruder von
unsrer Tarwastschen Schwiegerin ist das Werkzeug meiner Beförderung, bey dem ich wohne und
speise, und der mich in allem, was mir noch am Schlendrijan fehlt, unterstützt und leitet. Meine
Bedienung trägt 300 Rbl. auch wohl beyguten Jahren gegen 400 Rbl. ein, ernährt also, wenn eine gute
Advokatur dazu kömmt, ihren Mann. Aber gegen 500 Rbl. die ich schuldig bin, und die ich ehrlich
bezahlen will, und die schlechten, armseligen Zeiten werden mich lange noch nicht in den Stand
setzen, meine eigene Hütte, zu verstehen mit einer zärtlichen Freundinn, die die Mühseeligkeilen
dieses Lebens mit tragen hilft, zu bewohnen. Es sey drum. So groß mein Begriff von einer solchen
Glückseeligkeit ist, so ist doch die Erfüllung unsrer Pflichten, und das nicht Bewustseyn einer bösen
Handlung <insertion pos="top">eine</insertion> nicht viel kleinere. Der Character dieser Nation, die Beschaffenheit der Stadt und
des Landes, und die kleineren Umstände meiner Geschichte, verspare ich bis zu unserer Gott gebe
baldigen Umarmung. Ich wiederhole noch einmahl, was ich wegen <insertion pos="top">der</insertion> Hinderniße die Dich abhalten
könnten, so bald als möglich in unsre Arme zurückzufliegen, gesagt habe. Eile mein Bruder. Du bist
Dich Deinem Vaterlande schuldig mir u. o wie vielen anderen. Der Himmel wird Dir hier schon
Brodt geben, und vielleicht, gleich sobald Du ankömmst. Ich erwarte bald Nachricht von Dir. Wenn sie
aber so wäre, daß sie unsern Vater kränken könnte, so <aq>adreßire</aq> den Brief nicht an ihn, weil er ihn
aufbrechen würde, sondern schicke ihn durch den jungen Sievers in Strasburg, wenn Du sicher bist,
daß er ihn gut bestellt. Ich unterhalte mit einigen aus dem Hause eine Corres<page index="3"/>pondence, und
bekomme ihn also gewiß, wenn er nur von dort abgeht. Sein Vater ist Land-Rath u. auf Euseküll.
Wenn Du ihn nicht kennst, so mache eine Gelegenheit zur Bekanntschaft. Ich habe viel Gutes von ihm
gehört. Die Condition, von der ich Dir schrieb, u. die ich gehabt habe, ist nun besetzt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meine Geschäfte, deren eine ungeheure Menge ist, laßen mir nicht Zeit, mehr zu schreiben. Ich
wünsche, daß dieser Brief zu Dir komme. Doch aus Deinen Briefen sehe ich, daß meine Briefe immer
angekommen sind. Aber die Deinigen ein feindseliger Dämon läßt sie nicht zu mir. Dieß war der
erste, wer weiß wie lange ich wieder werde schmachten müssen. Ein froher Tag wird es seyn, wann
wieder ein Brief von Dich kömmt. Unser leichtsinniger Freund <aq>Begau</aq> hat alle Einlagen an Papa u. an
mich, ich weiß nicht wo gelaßen. Er ist in Curland in Condition u. hat seinen Vater verloren. Genung
für dießmahl. Lebe wohl. Der Himmel erfülle die Wünsche, die die wärmste, feurigste Zärtlichkeit
eines Bruders für Dich thut. Es ist um desto schmertzhafter, daß die besten Herzen nicht die
glücklichsten sind, weil ihrer so wenige sind. Ich umarme Dich. Wie kalt ist diese Umarmung! O Gott!
wenn wird sie würklich werden. Wie dunkel ist die Zukunft unsrer Schicksale! Eine Anlage die ich
immer zur Melancholie gehabt, macht mich traurig, und beklemmt <del>mich</del>, wenn ich an eine so große
Entfernung denke, u. <insertion pos="top">an</insertion> alle Möglichkeiten, alle die <aq>Fantomes</aq> die sich schaarenweise einer
aufgebrachten Einbildung vordrängen. Wenn wird dieser frohe Tag kommen? Oder wird er j emals
kommen? Wozu der Vorwitz? Die Wege der Vorsehung führen uns am besten. Und noch ein
Lebewohl, ein Abschieds-Kuß, eine wollüstige kleine Thräne mit der Versicherung meiner innigsten
Zärtlichkeit, u. daß die Deinige eine der größten Glückseeligkeiten meines Lebens ist. <line type="empty"/>
Johann Christian Lenz. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Tausend Grüße an die Herrn v. Kleist. Ich wünsche sehr, u. mit dem aufrichtigsten Herzen, daß sie
meine Freunde sind, u. sich meiner noch erinnern. Sey glücklich! mein Bruder. Von der Seite der
Freunde bist Du es mehr als ich. Traurig genung, daß ich keinen eintzigen Busenfreund habe. Und was
ist ein Leben ohne Freundschaft? Du hast es nie empfunden, ich liebe Dich auch zu sehr, um es zu
wünschen. Laß mich bald in Dir meinen ersten und fast meinen eintzigen Freund wiederbekommen.
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
A Monsieur <line type="break"/>
Monsieur J. M. R. Lenz. <line type="break"/>
Kandidat der Theologie, <line type="break"/>
presentement a Fort Louis <line type="break"/>
P. Cond.
<note>nicht identifizierte Hand</note>
Capitaine Lieutenant Salomon Bodmer in der Mühle zu Wölflingen im Canton Zürich.<!-- "<hand>" benötigt zwingend eine Referenz. Wie kann dabei in dem Fall vorgegangen werden, wenn keine Hand identifiziert wurde? Eine unbekannte definieren?--></letterText>
<letterText letter="21"> <line tab="1"/>Herr Simon kommt zurück eh ich ihn haben will: ich kann Ihnen also das Versprochene nicht
zuschicken. Es war mein Trauerspiel, welches ich jetzt eben für Sie abschreibe. Ich werde schon eine
andre Gelegenheit finden es Ihnen zukommen zu lassen. Nicht einmal einen langen Brief erlaubt mir
seine beschleunigte Abreise. Gut, daß ich dann und wann, bei Lesung des Leibnitz ein hingeworfenes
Blatt für Sie beschrieben habe. Vergeben Sie mir, daß ich es nicht abschreibe und meine Gedanken in
Ordnung bringe. Ihnen, als einem unverwöhnten Auge, darf ich sie auch im Schlafrock zeigen; wenn
sie wahr sind, werden sie Ihnen auch alsdann besser gefallen, als falsche in einem Gallakleide. Wie
ich Ihnen gesagt habe, meine philosophischen Betrachtungen dürfen nicht über zwo, drei Minuten
währen, sonst tut mir der Kopf weh. Aber wenn ich einen Gegenstand fünf-, zehnmal so flüchtig
angesehen habe, und finde, daß er noch immer da bleibt und mir immer besser gefällt, so halt ich
ihn für wahr und meine Empfindung führt mich darin richtiger als meine Schlüsse. Nro. 11. ist eine
Apologie meines allerersten Briefes über die Erlösung. Nachdem ich aber Ihre Antwort wieder
durchgelesen, finde ich, daß wir fast einerlei gedacht und dasselbe mit andern Worten ausgedrückt
haben. Sie haben mich unrecht verstanden, wenn Sie glaubten, ich ließe Gott die übeln Folgen der
Sünde auf den Mittler lenken, bloß um seine strafende Gerechtigkeit zu befriedigen. Leibnitz dieses;
er sagt, es ist eine Convenienz, die ihn zwingt Gutes zu belohnen und Böses zu bestrafen. Ich denke
aber, es geschieht bloß um unsertwillen, weil, auf das moralische Uebel kein physisches Uebel, als
eine Strafe folgt; wir lieber Böses als Gutes tun würden, da das Böse leichter zu tun ist. Und warum
Gott das Gute für unsere Natur schwerer gemacht hat, davon ist die Ursache klar, damit wir nicht
müßig gehen; unsere Seele ist nicht zum Stillsitzen, sondern zum Gehen, Arbeiten, Handeln
geschaffen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Doch <aq>seriosa in crastinum</aq>. Ich werde hoffentlich noch mit Ihnen diesen Winter zusammenkommen;
wiewohl das Regiment jetzt die letzte Ordre erhalten hat, hier zu bleiben. Wenn ich Sie Sehe Jetzt
fühle ich, daß die ideale Gegenwart eines Freundes die persönliche nicht ersetzen kann, so werde ich
Ihnen viel zu sagen haben. Meine Seele hat sich hier zu einem Entschlusse ausgewickelt, dem alle Ihre
Vorstellungen dem die Vorstellungen der ganzen Welt vielleicht, keine andere Falte werden geben
können. Wenn ich anders ihn einem Menschen auf der Welt mittheile, ehe er ausgeführt ist. Mein
guter Sokrates, entziehen Sie mir um dessentwillen Ihre Freundschaft nicht; bedenken Sie, daß die
Welt ein Ganzes ist, in welches allerlei Individua passen; die der Schöpfer jedes mit verschiedenen
Kräften und Neigungen ausgerüstet hat, die ihre Bestimmung in sich selbst erforschen und hernach
dieselbe erfüllen müssen; sie seie welche sie wolle. Das Ganze giebt doch hernach die schönste
Harmonie die zu denken ist und macht daß der Werkmeister mit gnädigen Augen darauf hinabsieht
und <it>gut findet</it> <!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? -->was er geschaffen hat. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nicht wahr, ich rede mystisch, Ihnen fehlten die Prämissen, um meine Folgesätze zu verstehen. Sie
werden sie verstehen, nur Geduld. In der Erwartung will ich Ihnen nur mit der größten logischen
Deutlichkeit sagen, daß ich von ganzem Herzen bin und bleibe <line type="empty"/><line type="break"/>
Ihr drollichter <aq>Alcibiades</aq>. <line type="empty"/>
Sagen Sie doch dem Ott, daß er den <aq>Lenz</aq> nicht über dem <it>Herbst</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> vergesse.</letterText>
<letterText letter="22">Würdiger Mann!
<line tab="1"/>Ich sehe in Ihrem Raritätenkasten alles, was uns die Herrn Modephilosophen und Moralisten, mit
einer marktschreierischen Wortkrämerei, in großen Folianten hererzählen, in zwei Worten
zusammengeraßt und so glücklich zusammengefaßt, daß sich dazu weder zusetzen noch davon
abnehmen läßt. Das ist vortrefflich also das Ziel ist gesteckt, nun Ihre Hand her, mein Sokrates, wir
wollen darauf zugehen, wie auf ein stilles und friedelächelndes Zoar und die hinterlassenen
Vorurtheile immer in Feuer und Schwefel aufgehen lassen, ohne uns darnach umzusehen. Mögen
furchtsame Weiber sich darnach umsehen und drüber zu Salzsäulen werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Um noch eine Stelle Ihres ohnendletzten Briefes zu berühren, wo Sie mir zu bedenken aufgaben, ob
Gott wohl uns das Gute könne schwerer machen, als das Böse, oder (um mit Ihren Worten mich
auszudrücken) ob er wohl die <aq>vim inertiae</aq> in uns stärker könne gemacht haben, als die <aq>vim activam</aq>,
so antworte ich, daß ich keine <aq>vim inertiae</aq> glaube. Bedenken Sie doch, mit welchem Fug, wir wohl für
die Unthätigkeit eine Kraft annehmen können? Vereinigung einer Kraft ist sie, Vernachlässigung der
<aq>vis activa</aq>, welche in Wirksamkeit und Thätigkeit zu setzen, allemal in unserm Belieben steht oder
nicht. Es ist aber die Natur einer jeden Kraft, daß sie nur durch Übung erhalten und vermehrt, durch
Vernachlässigung aber, so zu sagen eingeschläfert und verringert wird. Und daß die Übung dieser
Kraft schwerer, als ihre Vernachlässigung sey, liegt in der Natur der Sache und konnte von Gott nicht
verändert werden. <aq>Positio</aq> ist allemal schwerer als <aq>negatio</aq>, wirken schwerer als ruhen, thun schwerer
als nicht thun. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was die Einwirkung Gottes in die Menschen betrifft, so kann ich mir nur vier Arten davon denken. Er
unterstützt und erhält die in uns gelegten Kräfte und Fähigkeiten diese ist <it>natürlich</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? -->, das heißt,
unsere Vernunft kann sie auch ohne Offenbarung erkennen; und <it>unmittelbar</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> hernach, er leitet die
äußern Umstände und Begebenheiten in der Welt so, daß eine oder die andere Fähigkeit in uns
entwickelt oder vergrößert werde, je nachdem es sein Rathschluß für gut befindet, diese ist gleichfalls
<it>natürlich</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> aber mittelbar. Zum dritten wirkt er durch die in uns geoffenbarten Wahrheiten diese ist
also, ihrem ersten Ursprung nach, <it>übernatürlich</it>, aber zugleich <it>mittelbar</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> und den Gesetzen der Natur
gemäß. Zum vierten wirkt er übernatürlich und unmittelbar, wie in den Propheten und Aposteln;
diese Einwirkung ist über die Gesetze der Natur erhaben, läßt sich also nicht mehr erklären (wiewohl
wir auch nicht das Recht haben, sie noch jetzt aus der gegenwärtigen Welt auszuschließen, im Fall die
Gottheit gewisse außerordentliche Endzwecke dadurch befördern wollte, welchen Fall aber, meiner
Meinung nach, unsere Vernunft nie determiniren kann, sondern vielmehr jedes Phänomen für
verdächtig halten muß, welches nicht die dazu erforderlichen Kennzeichen bei sich hat). <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Jetzt möge meine philosophische Muse ruhen, sich still zu Ihren Füßen setzen und von Ihnen lernen.
Spekulation ist Spekulation, bläset auf und bleibt leer, schmeichelt und macht doch nicht glücklich.
Zusammen mögen sich die Fittige des Geistes halten, und im Thal ruhen, ehe sie, wenn sie der Sonne
zu nahe kommen, in zerlassenem Wachs heruntertröpfeln und den armen Geist, welcher auf dem
Lande so sicher und lustig hätte einher gehe'n können, aus der Luft in das Meer herab wirft. <line type="empty"/>
Hier ist mein Trauerspiel mit dem Wunsch: möchte dieser Raritätenkasten des Ihrigen werth seyn.
Das beste ist, daß wir beim Tausch nicht verlieren, denn unter sympathisirenden Seelen ist <aq>communio
bonorum</aq>. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es ist wahr, meine Seele hat bei aller anscheinenden Lustigkeit, jetzt mehr als jemals, eine tragische
Stimmung. Die Lage meiner äußern Umstände trägt wohl das Meiste dazu bei, aber sie soll sie, sie
mag sie nun höher oder tiefer stimmen, doch nie verstimmen. Eine sanfte Melancholei verträgt sich
sehr wohl mit unserer Glückseligkeit und ich hoffe nein ich bin gewiß, daß sie sich noch einst in
reine und dauerhafte Freude auflösen wird, wie ein dunkler Sommermorgen, in einen wolkenlosen
Mittag. Auch fehlen mir jetzt öftere Sonnenblicke nicht, nur kann freilich ein Herz, dem die süßen
Ergötzungen der Freundschaft und der Liebe sogar einer vernünftigen Gesellschaft genommen
sind, bisweilen einen Seufzer nicht unterdrücken. An den Brüsten der Natur hange ich jetzt mit
verdoppelter Inbrunst, sie mag ihre Stirne mit Sonnenstrahlen oder kalten Nebeln umbinden, ihr
mütterliches Antlitz lächelt mir immer und oft wird ich versucht, mit dem alten Junius Brutus, mich
auf den Boden niederzuwerfen und ihr mit einem stummen Kuß für ihre Freundlichkeit zu danken. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In der That, ich finde in der Flur, um Landau, täglich neue Schönheiten und der kälteste Nordwind
kann mich nicht von ihr zurückschrecken. Hätt ich doch eines göttlichen Malers Pinsel, ich wollte
Ihnen gleich einige Seiten von diesem vortrefflichen Amphitheater der Natur hinmalen, so lebhaft
hats sich in meiner Fantasei abgedrückt. Berge, die den Himmel tragen, Thäler voll Dörfnern zu ihren
Füßen, die dort zu schlafen scheinen, wie Jakob am Fuß seiner Himmelsleiter.
Doch ich würde nur schwärmen, wenn ich fortführe und dafür muß ich meinen Geist in Acht nehmen.
Ich hatte vor einigen Tagen einen Brief an Sie fertig, aber ich verbrannte ihn, denn ich hatte darin
geschwärmt. Ich habe schon viel Papier hier verbrannt ein guter Genius hat über dies Trauerspiel
gewacht, sonst und vielleicht hätten Sie nichts dabei verloren. So viel muß ich Ihnen sagen, daß ich
es bei diesem ersten Versuch nicht werde bewenden lassen, denn ich fühle mich dazu Ich muß
abbrechen und Ihnen gute Nacht sagen. Möchten Sie doch aus Ihren Träumen lachend
erwachen, wie ich heute Morgen aus den meinigen.
Lenz.</letterText>
<letterText letter="23"><line tab="1"/>Ich will Sie auch drücken, mein Sokrates, aber erst, wenn ich Sie ganz kennen gelernt und von ferne
bewundert habe. Recht so wir stehen ganz beisammen; allen Ihren übrigen Meinungen
unterschreibe ich. Wir müssen das Ordentliche von dem Außerordentlichen, das Natürliche vom
Uebernatürlichen unterscheiden, nur müssen wir das Uebernatürliche nicht für unnatürlich halten,
oder aus einer Welt verbannen, in der Gott nach einem höhern Plane arbeitet, als unser kurzsichtiger
schielender Verstand übersehen kann. Ich bin sehr für das Ordentliche, für das Natürliche nur eine
aufmerksame Lesung der Briefe Pauli (der wirklich ein großer ein übernatürlicher Mann war) zwingt
mich eine übernatürliche Einwirkung nicht allein für möglich, sondern auch in gewissen Fällen (wie das
z. E. da die Religion erst im Keimen war) für nothwendig zu halten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Um auf dem hohen Berge nicht stehen zu bleiben, sondern auch im Thale herumzuhüpfen muß ich
Ihnen sagen, daß Friedericke aus Straßburg an mich geschrieben und mir gesagt hat, sie habe dort
eine besondere Freude gehabt, die ich vielleicht boshaft genug seyn würde, zu errathen. Und das war
die, Sie am Fenster gesehen zu haben. Sie schreibt ferner, sie wäre durch Ihren bloßen Anblick so
dreist geworden, nach dem andern Theile des <aq>Tom Jones</aq> zu schicken und bittet mich sie desfalls zu
entschuldigen. Ist das nicht ein gutes Mädchen?
Und doch muß ich meinen Entschluß vor Ihnen verbergen. <line type="empty"/>
Was ist das für ein Zusammenhang? Ein trauriger <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin dazu bestimmt, mir selbst das Leben traurig zu machen aber ich weiß, daß, so sehr ich mir
jetzt die Finger am Dorne zerritze, daß ich doch einmal eine Rose brechen werde <line type="empty"/>
Zu allem diesem werde ich Ihnen die Schlüssel in Straßburg geben <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der älteste Hr. von Kleist hat mir geschrieben, daß Briefe von meinem Vater da wären; er schickt sie
mir aber nicht, ich soll sie selbst abholen. <line type="empty"/>
Nun aber stößt sich meine Hinreise noch an vielen Dingen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich muß schließen, ich sehe, ich kann dies Blättchen nicht mehr zusiegeln, aber wenn es auch nicht
unser Freund Ott wäre, durch dessen Hände es gienge, so sind unsere Briefe von der Art, als die
spartanischen Ephori an ihre Feldherrn schickten, die an einen gemeinschaftlichen Stab mußten
gewickelt werden, wenn man sie lesen wollte.
Ich bin bis ins Grab<line type="break"/>
Ihr<line type="break"/>
Lenz.</letterText>
<letterText letter="24">Mein <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Doch ich will, von jetzt an, immer ohne Titel an Sie schreiben. Wenn Geister zu einander treten und
sich miteinander besprechen, so können sie, mein ich den Scharrfuß wohl weglassen. Ich schreibe an
Sie, um Ihnen eine Veränderung zu melden, die mit mir vorgegangen. Ich bin ein Christ geworden
glauben Sie mir wohl, daß ich es vorher nicht gewesen? Ich habe an allem gezweifelt und bin jetzt, ich
schreib es mit von dankbarer Empfindung durchdrungenem Herzen, zu einer Ueberzeugung
gekommen, wie sie mir nöthig war, zu einer philosophischen, nicht bloß moralischen. Der
theologische Glaube ist das <aq>complementum</aq> unserer Vernunft, das dasjenige ersetzt, was dieser zur
gottfälligen Richtung unsers Willens fehlt. Ich halte ihn also blos für eine Wirkung der Gnade, zu der
wir nichts beitragen, als daß unser Herz in der rechten Verfassung sey, sie anzunehmen; diese
Verfassung aber besteht in einer vollkommen ernstlichen Liebe zur Tugend, zum Wahren, Guten und
Schönen. Dieser Glaube ist eine nothwendige Gabe Gottes, weil bei den meisten Menschen die
Vernunft noch erst im Anfange ihrer Entwicklung ist, bei vielen aber niemals entwickelt wird. Je mehr
sich aber unsere Vernunft entwickelt (das geht bis ins Unendliche), desto mehr nimmt dieser
<aq>moralische</aq> Glaube, der in der That mehr in den Empfindungen als in der Erkenntnis gegründet ist, ab
und verwandelt sich in das Schauen, in eine Ueberzeugung der Vernunft. Ueberhaupt bedürfen wir
nicht mehr und nicht weniger moralisch zu glauben, als zur Seligkeit nothwendig ist, das übrige haben
wir immer noch die Freiheit in <aq>suspenso</aq> zu lassen. Aber auch dieses müssen wir viel mehr suchen in
Erkenntnis und Anschauen zu verwandeln, weil, nach Ordnung Gottes, unser Wille sich nach unserer
Erkenntniß richtet. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dieses sind die Prämissen, die ich Ihnen voranschicke, um Ihnen eine vollständige Idee von meiner
Ueberzeugung von unsrer Religion zu geben. Ich habe bisher die Erlösung unsers Heilands für nichts,
als ein in die Augen fallendes Beispiel der Folgen der Sünde gehalten, das uns an der Person des
vollkommensten Menschen, zur heilsamen Warnung aufgestellt worden. Denn, hab ich gedacht, die
Idee eines Verdienstes, und wär es auch des vollkommensten, widerspricht der allervollkommensten
Barmherzigkeit Gottes, als welche nicht braucht erst durch ein Verdienst sich die Vergebung unserer
Sünden gleichsam abfodern und abzwingen zu lassen. Aber ich habe gefunden, daß ich sehr irrte.
Gott ist die Liebe allein die übeln Folgen der Sünde aufzuheben (denn das heißt Sünde vergeben)
ohne die Sünde durch eben diese übeln Folgen zu strafen, hieße die Natur dessen, was gut und böse
ist, verändern und uns eben so viel Aufmunterung zum Bösen, als zum Guten, geben. Aber diese
übeln Folgen der Sünden einer ganzen Welt, auf einen dritten Gegenstand lenken, das konnte Gott,
das wird der Vernunft nicht schwer zu begreifen, das war das einzige Mittel, Sünde zu vergeben, ohne
sie zu strafen. Und eben dies läßt seine Barmherzigkeit in dem nämlichen Glanze. Freilich könnt es
scheinen, daß sie, gegen diesen dritten Gegenstand, welchen wir so lange unsern Heiland nennen
wollen, nicht ausgeübt worden, allein eben dieses ist der Gegenstand unsers Glaubens, hier kann die
Vernunft nicht weiter. Die Offenbarung sagt uns, dieser Heiland sei ein ganz reiner vollkommener
Mensch, vielleicht das Ideal der menschlichen Natur gewesen, dem sich die Gottheit selbst, auf eine,
uns unbegreifliche, Weise offenbart und mitgeteilet (das Wort vereinigt find ich nicht in der Bibel und
ist schon ein Schritt zu weit von unsern Theologen), den die Gottheit selbst, zu diesem großen
Geschäft unterstützt; den die Gottheit selbst, nach Vollendung desselben belohnt und ihm einen
Namen gegeben, der über alle Namen ist. Dieser Heiland aber, hat uns, außer seiner Lehre und
Beispiel, auch sein Verdienst gelassen, dessen er uns durch die Sakramente theilhaftig macht. Indem
er sich besonders durch das Sakrament des Abendmahls auf eine, zwar unbegreifliche, aber doch der
Vernunft nicht widersprechende, Art, mit uns geistig verbindet, so daß wir jetzt gleichsam alle an
seiner vollkommnen menschlichen Natur Antheil nehmen. Die Pflichten des Christenthums aber,
laufen alle dahin zusammen, diese Wahrheiten, die Christus uns verkündigt, zu glauben, gegen ihn
voll Liebe und Dankbarkeit sein Leben immer besser zu studieren, damit wir ihn immermehr lieben
und nachahmen, von ihm aber (welches die Hauptsache ist) zu Gott, als dem höchsten Gut, hinauf zu
steigen, ihn immer besser erkennen zu lernen, ja, alle Erkenntnisse, die wir hier erwerben, zu ihm, als
dem letzten Ziel zu lenken, um ihn als die Quelle alles Wahren, Guten und Schönen mit allen Kräften
unserer Seele zu lieben und (das ist die natürliche Folge davon) seinen Willen auszuüben, d.h. ihn von
ferne, im Schatten, nachzuahmen, wie er ganz Liebe und Wohlthätigkeit gegen das menschliche
Geschlecht, so kein größeres Glück kennen, als andere glücklich zu machen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sehen Sie hier den Extrakt meiner Religion, das Fazit einer aufmerksamen Lesung der Evangelisten,
deren göttliche oder menschliche Begeisterung ich unausgemacht lasse, und sie bloß als aufrichtige
Erzähler ansehe. Denn dieses ist gut zu wissen, aber nicht verderblich nicht zu wissen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe es für nöthig gehalten, Ihnen den Zustand meiner Seele zu schildern, damit wir uns ganz
kennen lernen. Ich bin also jetzt ein guter evangelischer Christ, obgleich ich kein orthodoxer bin. Kann
ich in meiner Überzeugung weiter kommen, so will ich dem Gott dafür danken, der es weiß, daß
dieses das Lieblingsstudium meiner Seele ist und ewig bleiben wird. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Doch hoffe ich, niemals Prediger zu werden. Die Ursachen da müßt ich Ihnen Bogen voll schreiben.
Ich fühle mich nicht dazu. Dies ist aber kein dunkles, sinnliches sondern das Gefühl meines ganzen
Wesens, das mir so gut als Überzeugung gilt. Aber ich fühle mich als Ihren Freund <line type="empty"/><line type="break"/>
Lenz.</letterText>
<letterText letter="25"><line tab="1"/>Hier haben Sie wieder ein Blättgen mit einer Hypothese. Untersuchen Sie sie, halten Sie sie an den
Probierstein der Wahrheit Der menschliche Verstand muß von der höchsten Wahrscheinlichkeit zur
Wahrheit übergehen; ich habe zu dieser schärfern Untersuchung keine Zeit auch keine Fähigkeit, ich
überlasse sie Ihnen. Sie sagten in Ihrem letzten Briefe, Gott thue alles zu unserer Besserung mittelbar
und könne dazu nicht unmittelbar in uns wirken. Ich bin Ihrer Meinung, doch nur in einer gewissen
Einschränkung. Sie sollen sie sogleich hören. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Leibnitz, da er den Ursprung des Bösen mit der höchsten Güte Gottes reimen will, hält viel auf diese
unmittelbare Einwirkung, oder Einfluß der Gottheit, welchen er eine immerfortwährende Schöpfung
nennt. Er vergleicht ihn einem Strom, der seinen Lauf hält, die Freyheit des Menschen aber einem
Boot auf diesem Strom, das, je nachdem es schwerer oder leichter beladen, langsamer oder
geschwinder auf demselben fortgeht. Da die Sünde eigentlich in einer Privation des Guten besteht
und also die Quelle derselben nichts als Trägheit ist, die von unsern Fähigkeiten nicht den gehörigen
Gebrauch machen will, so gleicht diese Trägheit der Last oder Schwere des Boots und kann die Schuld
warum letzteres nicht so geschwinde fortgeht, nicht dem Strom, sondern dem Boot zugeschrieben
werden. Man kann ihm aber, und mich deucht mit Recht, einwenden, warum der Strom nicht mit
einer solchen Geschwindigkeit und Kraft fortfliesse, daß er die kleine Schwere des Boots überwinde
und aufhebe? und da bleibt bei Zulassung des Bösen von Seiten Gottes immer dieselbe Schwürigkeit.
Ich glaube weit sicherer zu gehen, wenn ich mich bei der einmal angenommenen Lehre von der
Erhaltung Gottes (welche allerdings wahr ist), an dem Wort <it>Erhaltung</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> halte, und also keine
fortwährende Schöpfung unter derselben verstehe. <it>Fortwährend</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> ist freilich ein Begriff, der der
Gottheit angemessen ist, allein eine solche <it>Schöpfung</it><!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? --> nicht. Wenigstens kann sich unser Verstand
keine Schöpfung denken, die in Ewigkeit fortgeht, denn Schöpfung ist nach der einmal
angenommenen Bedeutung des Wortes, eine <it>Hervorbringung<!-- Handelt es sich hier um einen Kursivschreibung in der Drucküberlieferung, da hier nicht-lateinische Wörter kursiv gesetzt sind? Wichtig! Frage gilt für den gesamten Abschnitt--> aus Nichts</it>, die nur einen Augenblick
währen könnte, nemlich den, da Gott sprach: Es werde! <it>Bildung</it> dieses Etwas, die kann fortgehen in
Ewigkeit, aber nicht die unmittelbare Schöpfung. Nun hat Gott uns gewollt, das heißt er hat uns
geschaffen, als freywillige und selbstständige Wesen, versehen mit gewissen Kräften und Fähigkeiten,
von denen wir einen Gebrauch machen können, welchen wir wollen, und wenn wir einen Einfluß
Gottes in uns annehmen wollen (welches uns Vernunft und Offenbarung heißet, weil wir <it>abhängige</it>,
geschaffene Wesen sind), so ist dieses kein anderer, als der allgemeine, den Gott in die ganze Natur
hat, vermöge dessen er nach den ewigen Gesetzen der Natur, die in ihr gelegten Kräfte und
Fähigkeiten <it>unterstützt, erhält</it>, daß sie nicht ins vorige Nichts zurückfallen. Wenn wir diese Handlung
auch eine <aq>Schöpfung</aq> nennen wollen, so mag es hingehen, nur muß man alsdann die <it>fortgehende
Wirksamkeit Gottes</it> von diesem Begriff absondern. Diese Einwirkung Gottes ist die allgemeine und
wird schon in der Bibel, durch den mystischen Ausdruck angezeigt: der <it>Geist</it> Gottes schwebte auf den
Wassern. Ich kann diese Stelle nicht anders erklären als: die allerhöchste Kraft Gottes unterstützte die
in die Natur gelegten Kräfte, daß sie ihre ihnen beschiedenen Wirkungen hervorbringen konnten. Bei
dieser Erklärung bleibt also Gott in Ansehung des Ursprungs des Bösen vollkommen gerechtfertigt.
Wir konnten unsere Kräfte gebrauchen oder nicht, in der von ihm gesetzten oder in einer entgegen
gesetzten Ordnung gebrauchen; er konnte nicht anders thun, als da er nach seiner Allwissenheit
unsern Fall voraussah, ihm durch äußere Mittel zu <it>Hülfe</it> kommen. Hier ist das Geheimniß unsrer
Erlösung, das in der That immer ein Geheimniß bleibt und wir ganz zu entziffern uns nicht
unterziehen dürfen. So viel ist aber klar dabei, daß durch die Offfenbarung seiner Gnade in Christo
Jesu, er nichts anders abzwecken will, als unsere Wiederherstellung in den Stand der Unschuld,
welches gleichsam die weisse Tafel ist, welche hernach beschrieben werden soll, und aus diesem in
den Stand der Glückseeligkeit, der Aehnlichkeit mit ihm, der höchsten Liebe zu ihm, und der höchsten
Freude, die aus der zunehmenden Erkenntnis seiner Vollkommenheiten und der immer näheren
Annäherung zu ihm fließt. Christus redt aber auch von einem Geist Gottes den Er uns senden will, der
uns alles vollkommen lehren und unsere Freude vollkommen machen soll, den auch wirklich die
Apostel in hohem Maß empfiengen. Dieses kann nicht anders erklärt werden, als durch eine
unmittelbare Einwirkung der Gottheit, die unseren natürlichen Fähigkeiten wenn wir sie unermüdet
recht anwenden zu Hülfe kommt, doch allezeit in dem Grade, als es der höchsten Weisheit Gottes
und der Uebereinstimmung der von ihm angerichteten Schöpfung angemessen ist. Die Wirkungen
dieses Geistes sind vorzüglich: Der unerschütterliche Glaube an Gott, als die höchste Liebe (es mögen
alle äusserlichen Anscheine auch dem zuwider seyn), an Christum, als den Vermittler dieser Liebe,
der sie uns nicht allein kennen gelehrt, sondern auch in gewissem Sinn erworben; hernach eine aus
diesem Glauben fliessende Liebe zu Gott, denn wer sollte den nicht lieben, von dem er <it>glaubt</it>, daß er
ihn unendlich glücklich machen will und eine geschwinde Fertigkeit, dem von ihm erkannten Willen
nach zu leben. Diese Wirkungen des Geistes Gottes müssen wir aber nicht mit Augen sehen wollen,
oder darauf warten; sie sind Trost und Belohnung unserer guten Aufführung, auch <it>Aufmunterung</it>
(dies scheint vorzüglich ihre Absicht), weil die menschliche Natur so viel Trägheit hat, daß sie in den
allerbesten erlangten Fertigkeiten doch wieder müde wird, sie sind das <it>complementum moralitatis</it>
und können uns in diesem ganzen Leben dunkel und unerkannt bleiben und uns dennoch ohne unser
Wissen, forthelfen und glücklich machen, wie ein unbekannter Wohltäter, der einem Bettler Speise
und Trank reichen läßt, ohne daß er weiß, wo es herkommt; genug er befindet sich wohl dabey und
überläßt es der Zukunft ihm seinen Wohltäter zu zeigen, damit er ihm alsdann den Dank ins Gesicht
sagen kann, den er jetzt für ihn in seinem Herzen behält. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich gebe diese Hypothese, die noch dazu so roh und undeutlich ausgedrückt worden, als sie in
meinem Verstande ausgeheckt ward, Ihnen hin, sie zu bearbeiten, alles zu prüfen und das Beste zu
behalten. Wenigstens müssen wir doch suchen in die Ausdrücke der Bibel einen <it>Sinn</it> zu legen, der mit
unserm Verstande übereinkommt; Geheimnisse bleiben immer Geheimnisse, doch müssen die Linien
unserer Vernunft hineinlaufen und sich hernach drin verlieren, nicht aber eine Meile weit seitwärts
vorbeygeführt, hernach mit Gewalt hineingebogen werden, welches eine <it>krumme Linie</it> geben würde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Um über eine so wichtige Materie mit der höchsten Aufrichtigkeit zu schreiben, muß ich Ihnen nur
schreiben, daß ich bey meiner einmal angenommenen Erklärung der Lehre vom Verdienst Christi
bleibe, und daß ich mir keine andere denken kann, die mit dem was die Schrift davon sagt und mit
dem was unsere Vernunft von Gott und seinen Eigenschaften erkennt, übereinkommt. Lassen Sie uns
sie nur deutlicher machen und Sie werden mir Recht geben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was ist das Gute anders, als der gehörige und rechtmäßige Gebrauch, den wir von unsren Fähigkeiten
machen? Und das Böse, als der unrechtmäßige übelübereinstimmende Gebrauch dieser Fähigkeiten,
der, wie ein verdorbenes Uhrwerk, immer weiter im verkehrten Wege davon fortgeht; so wie der gute
Gebrauch immer weiter in dem graden und richtigen Wege. Wir sind selbstständig Gott <it>unterstützt</it>
die in uns gelegten Kräfte, wie in der ganzen Natur, ohne sie zu <it>lenken</it> Wir (sey es nun die Schuld
einer uns angebohrnen Trägheit, die die Theologen Erbsünde nennen, oder des bösen Beyspiels,
welche ich fast eher dafür halten möchte), wir brauchen die Fähigkeiten verkehrt. Gott kommt durch
eine ganze Folgenreihe äußerer Mittel (welche ich <it>Gnade</it> nenne und wohin in der Jugend besonders
die Tauffe und das Wort Gottes zu rechnen), wozu besonders auch die zeitlichen Umstände gehören,
in die er uns versetzt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wir hören nun, daß ein vollkommener Mensch gelebt hat, durch den sich Gott uns ehemals sichtbar
geoffenbart und angekündigt hat; daß, wenn wir den <it>rechten</it> Gebrauch von unsern Fähigkeiten
machen wollen, wir schon hier und in Ewigkeit glücklich oder seelig sein sollen ; wir hören, daß,
nach dem Ausdruck der Bibel, alle bisher begangenen Sünden der Menschen auf ihn gelegt werden,
daß er sie trägt (was kann dies Anderes heißen, als daß alle üblen Folgen der Sünde auf ihn gelenkt
worden? Darin bestand sein <aq>Leiden</aq>) Wir sollen nur glauben, daß Gott uns um seinetwillen gnädig
sei; dies soll uns also nicht mehr beunruhigen, nicht mehr zurückhalten an unserer Besserung mit
allen Kräften unserer Seele zu arbeiten, weil das Alte alles vorbei und wir gleichsam jetzt neue Glieder
an einem großen Ganzen sind, wovon der allervollkommenste Jesus das Haupt war (hieher geht eine
gewisse geistliche Vereinigung vor, die mir im Abendmahl scheint zum Grunde zu liegen, denn wer
wollte alle Geheimnisse der Religion ergründen?) <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Also, <aq>voilá tout</aq>. Wenn wir diese Hülfsmittel alle, die uns die Gnade darbeut, annehmen, bon <aq>ça</aq>, es
soll nicht dabei bleiben; wir sollen einmal einer unmittelbaren göttlichen Einwirkung fä hig werden,
die in der Bibel die Sendung des h. Geistes heisset, die uns Gott immer mehr erkennen und lieben
lehren wird, die uns, wenn wir dazu reif, zum Anschauen Gottes bringen wird aber dazu gehört
freilich Zeit! <line type="empty"/>
Lenz.</letterText>
<letterText letter="26"><line tab="1"/>Es scheint, daß Sie dazu gemacht sind, mir meine kleinen Systeme alle zu zerstören und zu schleifen.
Kaum habe ich eine recht artige bunte Seifenblase vor dem Munde, so fahren Sie unbarmherzig
drüber her und lachen mich aus, wenn ich stehe und den Kopf kratze. Ich muß Ihnen aber auch sagen,
daß ich meine Kartenhäuser gern niederreißen lasse, weil in einer Stunde wieder ein neues da ist. An
mir ist von Kindesbeinen an ein Philosoph verdorben, ich hasche immer nach der ersten besten
Wahrscheinlichkeit, die mir in die Augen flimmert, und die liebe, bescheiden nackte Wahrheit kommt
dann ganz leise von hinten und hält mir die Augen zu. Eine lange Kette von Ideen, wo eine die andere
gibt, bis man, wenn man eine Weile gereist hat, die letzte findt und sich seines Zieles freuen kann, ist
für meine Seele eine wahre Sklavenkette wie glücklich bin ich, wieder an Ihrer Hand zu gehen, wenn
ich lange genug auf blumigten Wiesen herumgesprungen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Welch ein Wust von Allegorien! kann ich doch nicht davor, daß meine Seele jetzt so gestimmt ist.
Mein Hauptsystem bleibt dennoch unverrückt, und das ist freilich einfach genug, aber . darum für
meine Seele zuträglicher, weil sie Pein empfindet, wenn sie sich <it>lange</it> bei Wahrheiten aufhalten soll.
Und das ist dieß: es geht mir gut in der Welt und wird mir in Ewigkeit gut gehen, so lang ich selbst gut
bin, denn ich habe dort oben einen sehr guten Vater, der alles was er gemacht hat, sehr gut gemacht
hat und wenn sich dies letztere mir nicht allezeit so darstellt, so liegt die Schuld an meinem
dummen Verstande. Eine gewisse Offenbarung bestätigt dies mein Gefühl <aq>tant mieux</aq>! sie sagt mir,
das anscheinend und wirklich Böse, in der Welt, fang jetzt schon an und solle dereinst ganz
aufgehoben werden, und das hab ich dem Sohne Gottes zu danken, ob nun seiner Lehre allein, oder
auch wirklich seinem Verdienste (wenn anders, um von Gott nicht menschlich zu reden, bei Gott ein
Verdienst statt finden kann, denn bei ihm ist alles Gnade), <aq>tant mieux</aq>! sage ich, das ist eine schöne
frohe Botschaft (Evangelium); ich glaube sie herzlich gern und freue mich darüber und dies, denk ich,
ist der Glaube, der mich selig machen soll und schon hier glückselig oder selig macht, denn diese
beiden Wörter, denk ich, sind auch eins. So werden wir, denk ich, in dem Extrakt unserer Religion
ziemlich nahe bei einander stehen. Freilich haben Sie in vielen Punkten, die ich mir unterstrichen
habe, mich so unter sich gekriegt, daß ich mich kaum noch rühren kann, in andern bin noch <aq>in
suspenso</aq>, als daß Gott gar nichts in uns wirken kann u. a. m., wovon ich mündlich mehr mit Ihnen zu
reden hoffe. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das Eine bitt ich mir aus, nicht so verächtlich von dieser Welt zu sprechen. Sie ist gut, mein Gönner,
mit allen ihren eingeschlossenen Uebeln, das Reich Gottes, wovon Christus immer redt, ist nicht
allein in jenem Leben zu hoffen, denn er selbst hat uns im Vaterunser beten gelehrt „dein Wille
geschehe im Himmel, wie auf Erden“. Wenns Glück gut ist, bin ich noch immer ein heimlicher
Anhänger vom tausendjährigen Reiche, wenigstens glaub ich gewiß, daß der Zustand unserer Welt
nicht immer derselbe bleiben wird. Und christlichphysisches Uebel muß immer mehr drin
abnehmen, wenn das Moralische darin abnimmt, und das wollt ich beinahe beweisen, wenn anders
eine Seele, die immer <aq>entrechats</aq> macht, wie eine Närrin, in ihrem Leben jemals etwas wird beweisen
können. <line type="empty"/>
<line tab="1"/> Eine Lieblingsidee haben Sie, mein Theurer, und das freut mich, weil ich auch <it>eine</it> habe. So bin ich
Ihnen doch in einem Stück ähnlich, denn, wenn es auf eine Aussicht in eine aneinanderhangende
Reihe von Wahrheiten ankömmt, da kann ich mich mit Ihnen nicht messen. Wissen Sie worin unsere
Lieblingsideell bestehn? Die Ihrige ist die <it>Liebe</it> und die Meinige, die <it>Schönheit</it>. Vielleicht stehn
diese, beide, nahe bei einander, oder fließen gar zusammen wenn nur meine Brille schärfer wäre!
So viel ist gewiß, daß die letztere die einzige Idee ist, auf die ich alle andern zu reduzieren suche. Aber
es muß die echte Schönheit sein, die auf Wahrheit und Güte gegründet ist, und in der höchsten und
faßlichsten Uebereinstimmung der Henker mag sie definieren; ich fühle sie und jag ihr nach; freilich
tritt sie mir noch oft hinter eine Wolke, aber ich werde sie einmal finden diese allein kann mein Herz
mit Liebe gegen Gott (die Schönheit <aq>in abstracto</aq>) und gegen alles was geschaffen (die Schönheit <aq>in
concreto</aq>) füllen. Freilich so nach Graden, so wie die Schönheit selber Grade hat. Da haben Sie meine
Brille Ihre ist vortrefflich, aber ich kann noch nicht dadurch sehen, darum sind wir Individua. Genug,
wir passen in das Ganze das Gott geschaffen hat und das ihm gefallt, so verschieden wie es ist, denn
in der Natur sind keine vollkommene Aehnlichkeiten, sagen die Philosophen. Genug, ich fühle eine
Affinität zu Ihnen, die ganz erschrecklich ist und obgleich ich die Lichtstralen, die Sie mir zuschicken,
nicht mit den meinigen vereinigen kann, so mag ich sie doch gern damit verschwägern. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nun ists Zeit, daß ich vom Pegasus herabsteige, sonst wirft er mich ins Meer. Kaum hab ich so viel
Athem Ihnen zu sagen, daß ich, zu der höchsten Uebereinstimmung der Welt das Zutrauen habe, daß
sie mich nach Straßburg in Ihre Armen führen wird. <line type="empty"/>
Lenz.</letterText>
<letterText letter="27">Landau d. 10ten Dec. 1772. <line type="empty"/>
<line tab="1"/> Der Ausdruck in einem Briefe an meinen Bruder, mein Glück mag ewig in Dämmerung liegen
bleiben, ist mir leid: doch hab ich nur damals an das zeitliche Glück gedacht und dieses braucht
freilich nicht zu glänzen und kann dennoch solid seyn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dass ich mir auch selber wohl viele Leiden zugezogen, gestehe ich gerne, und wer sollte wohl so
weislich handeln, dass er nie erst durch Erfahrung nöthig hätte klug zu werden. Die Liebe eines in der
That liebenswürdigen Frauenzimmers kann ich aber keine Klippe nennen, an der meine Tugend
Gefahr gelaufen. Soviel ist richtig, dass die Klugheit will, dass ein Reisender sein Herz auch vor der
reinsten Leidenschaft verwahre, und das war der Rath meines Mentors, meines weisen Salzmanns,
für den ich keine Bewegung meiner Seele geheim hielt. Schade, dass er diese zu spät erfuhr, denn das
kann ich nicht leugnen, dass sie bei aller ihrer Süßigkeit, ihre Bitterkeiten hat. Unglücklich aber macht
sie mich nicht und soll auch in dem Plan, den die gött· liche Schickung mir zu durchlaufen
vorgezeichnet hat, nichts verändern, sollte gleich die Wunde, die sie in meiner Seele zurückgelassen,
unheilbar seyn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie traurig ist es für mich, dass ich Ihren Vorschlag, ungesäumt ins Land zu kommen, nicht so·
schnell vollziehen kann, als es Ihr Vaterherz zu wünschen scheint. Aber Sie schreiben mir, Sie
wünschten mich vor Ihrem Ende noch zu sehen und zu seegnen haben Sie denn nur einen Seegen,
mein Vater? Ich hoffe zu Gott, dass er Ihr und meiner besten Mutter Leben noch eine Weile fristen
wird. Meine Verbindungen mit den Herrn von Kleist sind von der Art, Dass ich den eigentlichen
Zeitpunkt meiner Zurückkunft nicht bestimmen kann. Der älteste besonders will nichts davon hören,
dass ich ohne ihn heimreise. Sie werden mir vergeben, Dass ich über diesen Punct ein Stillschweigen
beobachte das ich für meine Pflicht halte. Noch einmal aber bitte ich Sie, sich über mein Schicksal
und meine gegenwärtigen und zukünftigen Umstände, keine vergebliche Unruhe zu machen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dem guten Herrn Pastor Müthel danke ich für das schmeichelhafte Zutrauen, das er in mich zu setzen
beliebt. Er könnte sich aber auch vielleicht irren, wenn er zu viel Gutes von mir erwartete. Wenn ich
im Lande wäre, sollte mich nichts abhalten, so freundschaftliche und vorteilhafte Anträge
anzunehmen. So lange das aber nicht ist, wird er die Bildung seines Sohnes dem überlassen, der ihn
erschaffen und auch die unscheinbarsten Mittel zu seinen ewig nothwendigen Zwecken anzuwenden
weiß. Versichern Sie diesen mir so werthen Mann übrigens von meiner ganzen Hochachtung,
und sagen ihm, Dass ich nicht ohne Widerspruch meines Herzens, welches in schöner
Uebereinstimmung mit dem seinigen, gern für seinen Sohn voll süßer, kleiner Sorgen klopfen möchte,
seinen Vorschlag ablehne. Andere Sorgen fordern dieses Herz, die sich freilich nicht so durch sich
selbst belohnen, wie jene wohl tun würden. Kann ich aber in der Folge der Zeit irgend etwas
beytragen seine Wünsche zu befördern, so will ich es mit Freuden thun.</letterText>
<letterText letter="28"><line tab="1"/>Mein Schatten soll Ihnen Rö schiken ich bin froh mich Ihnen als Physiognom nur im Profil zeigen
zu dürfen, von meinem Brustbild machte Ihnen die <aq>Güte Ihres Herzens</aq> eine viel zu vortheilhafte
Zeichnung. Dafür bin ich aber Herz genug gewesen, das Ihrige an meine Lippen zu drüken u: einen
Wunsch gen Himmel zu schiken, den Mann von Angesicht zu sehen, mit dem ich einen Briefwechsel
scheüe, bis ich ihn inniger u: vertrauter führen kann das heißt bis Ihre <aq>gute</aq> Meynung von mir nicht
mehr Vortheil ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin den Armen eines Vaters entschlüpft, der so redlich dachte als Sie, obgleich nicht so aufgeklärt.
Seyen Sie mein Vater! Lenz.</letterText>
<letterText letter="29"><line tab="1"/>Hören Sie liebster Papa! ich habe eine Schrift von Ihnen gelesen die den Tittel führt … Keine
Versöhnung geschieht ohne Blutvergießen ich sag Ihnen nichts von den schönen Sachen die ich
drin gefunden selbst die Hauptidee die vielleicht manchen kalten Grübler erwärmen aber mir
gefällt es nicht, daß Sie unsern Gott wollen sterben lassen, weil es so seyn muß und in dem ganzen
Naturreich alles Leben durch Tod eines andern erhalten werden muß <line type="empty"/>
Wie wär es, wenn wir den Tod Christi vielmehr als ein Symbol und Vorbild von den Erfolgen unsrer
Mor oder Immoralität ansähen? Die Idee ist apostolisch, das weis ich, zweyten Thessalonicher
lesen Sie nur. Christus war Gesetzgeber mehr durch sein Leben und Thaten als durch seine Worte. Er
heilte Kranke mit seinem Athem, mit seinem Anrühren (hier kommen Sie mir zu Hülfe) alles
symbolisch, ich bin der Herr dein Arzt nennt er sich im 2 Buch Mose und <gr>ίησουσ</gr> in den Evangelisten.
Heißt: folgt ihr meinen Gesetzen voll Liebe, so verlieren sich, verschwinden alle Krankheiten Cörpers
und Geistes (merken Sie wohl die unsaubern Geister) jenachdem ihr meinem Cörper <ul>homogener</ul>
werdt (siehe Lavater) <line type="empty"/>
<page index="2"/>
Das ist gelallt. Uebersetzen Sie es in Männersprache. <line type="empty"/>
Ich küsse Ihnen die Hand für den Februar und bitte um weiters. <line type="break"/>
Adieu Adieu <line type="empty"/>
<align pos="right">JMR Lenz</align></letterText>
<letterText letter="30">Hier, meine liebe Freunde <aq>Lenke</aq> und <aq>Röderer</aq> den März.
April ist nich nicht gemacht. Habt ihr <aq>Herders älteste Urkunde des Menschengeschlechts</aq>, so lest
miteinander, und sättigt Euch, und wärmt euch an der Morgensonne.
Ach! daß er mir mein tiefster Wunsch so gut würde, dieß Jahr Euch auch nur eine Stunde zu sehn
Lebet und leidet, und liebt! <line type="empty"/>
L.<line type="break"/>
Den 22. April 74.</letterText>
<letterText letter="31"><line tab="1"/>O ihr gute Kinder nicht <ul>meine</ul> Gottes!! Kinder, denn wir alle sind <ul>Brüder</ul>, wie gewinn ich euch so
lieb! wie gern mögt ich euch sehen u: ans Herz drücken und ich glaub, es wird uns so gut u:
wenns nur in 16. Wochen u: dann nur ein Stündchen möglich ist, ists VaterZärtlichkeit deßen, in
dem wir leben, weben u: sind <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenns Gott ausführt, was er angefangen hat, so reis ich in 7. oder 8. Wochen ins Schwalbacher, oder
ein ander Bad in der Gegend. Auf Briefe, die ich alle Posttage von Zimmermann erwarte, wirds
ankommen, wohin eigentlich, wann u: welchen Weg ich reisen werde? Aber entweder in der Hinreise
oder Rückreise werd ich, wenns Gott will, über Straßburg gehn nun mögt ich ehestens, so sicher
wie möglich wißen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wann es Ihnen, mein lieber Lenkze, am schicklichsten wäre, daß ich Sie besuche? Wann ich Sie am
wenigsten verfehle? am sichersten genießen könne? in 6 oder in 12. Wochen? Sodann wies zu
machen, daß ich den einen, oder die anderhalb Tage, die ich zu Straßburg seyn soll, denn länger kann
ich nicht, Sie unter der Zahl der 6. oder 8. Freunde, die ich besuchen soll u: wilI, nicht verliere. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mir ist ein wenig bange. Den schwachen ehrlichen Seelen mögt ich zum Seegen seyn; es liegt mir viel
dran aber, wo mehr Freyheit ist, mögt ich ruhen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Rathen Sie mir, wie ichs einrichten soll! könnten Sie allenfalls mir erst ein paar Meilen
entgegenkommen oder mich sodann ein paar Meilen begleiten oder, wo ich aussteigen, <aq>Logis</aq>
nehmen soll. Salzmann hat mich zu sm Vater eingeladen. Herr Hebeisen wird mich vermuthlich auch
wollen. Ich aber sehe, daß ich schrecklich schenirt wäre, wenn ich zu dem einen oder andern, oder
irgend einem meiner Bekannten gienge. Also werd ich, wo möglich, in ein öffentliches Wirthshaus
gehen, das Ihnen am nächsten u: bequemsten ist. In welches? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sodann wollen wir reden, was wir im Herzen haben, wie wenn wir schon 30. Jahre mit einander auf
und niedergiengen und uns unsers Seyns, und Miteinanderseyns u. Ewigseyns freuen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aber Ihr Bild muß ich noch vorher haben von der Hand, die Röderern zeichnete, etwas größer als seins
seins u: schärfer gezeichnet. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Weiter schreib ich izt nichts. Mein Vater ward vorgestern begraben. Ich erhielt Ihren Brief eben, da
sein Sarg verschlossen war. Des redlichen Manns Todtenbild sollen Sie haben. Grüßen u: Küßen Sie
Röderer. Er ist mir Bruder. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Weil ich entweder vor oder nach Schwalbach durchs würtembergische muß, so muß ich bäldest
meine Einrichtungen machen, u: also schnell Antwort von Ihnen haben. Ich bin, so lang ich bin, Ihr <line type="break"/>
Lavater <line type="empty"/>
Zürich d. 10. May 1774.</letterText>
<letterText letter="32"><line tab="1"/>2. Worte! Nur Ihr seyt m: Herzen nahe, kommt mir aber kommt mir allein wenn ichs Euch sagen
werde bis auf Basel entgegen: Ich gedenke, so Gott u: m. Gesundheit will in 4. Wochen abzureisen.
<nr> </nr> bin ich solche Freunde zu haben doch ist mir bange, Kinder, daß Ihr Waßer aus der Dürre, u:
Leben von dem Todten erwartet o wie tief unter aller Erwartung bin ich obs falsche oder wahre
Bescheidenheit uns oder <ul>Wahrheit</ul> sey, werdet Ihr sehen. Doch bring ich Euch ein redlich offenes
Herz, das eures schrecklich gern kennt giebt durchs Empfangen u: empfängt durchs Geben <line type="empty"/>
<line tab="1"/><ul>Lentz</ul> bey Dir also steig ich ab bey Dir leb u: wes ich, aber ach! Nur einen Tag u. einen Sonntag
Sagen darf ichs hoff ich <ul>Dir</ul> o daß ich vor einigem Wiederwillen <nr> </nr> würde, wenn Du etwas mehr als
Teller Waßer, Gabel u. Löfel um meinetwillen auf Deinen Tisch legen würdest.
<ul>Goethe</ul> will mich auch bey sich haben in Erfurth thu, was du willst ihn fortzureitzen: doch wär
ich vielleicht der <ul>Schwächere</ul> Straßburger Freunde wagts denen ich <ul>Freyheitsgeist</ul> mitbringen
mögte, <nr ></nr> doch thue was du willst. Gott stärke dich Du edler Schwacher! Es ist eine der bittet, daß
dein Glaube nicht abnehme u: der ist mehr als L</letterText>
<letterText letter="33"><line tab="1"/>Wir haben Deinen Brief vom 29ten zwey Tage später erhalten als den vom 4ten Junii Mein ganz
Conzept ist verrückt durch Deine beschleunigte Kunft. Neue Geduldübung für Dich ich sehe Du
kennst weder mich noch Röderer der Situation nur dem Herzen nach. Und wir haben beide oft die
Augen größer als den Bauch. Ich bin Gesellschafter eines Curländischen Cavaliers der im Begrif steht
nach Hause zurückzugehen, mich hierzulassen. Ich zählte drauf wenn Du laut Deiner vorigen Briefe in
drey vier Wochen abreisetest, er würde gegen diese Zeit verreist und ich frey seyn. Also würden wir
Dir förmlich entgegen reisen, dich herholen können etc. So aber muß grad itzt das Schicksal seinen
jüngern Bruder der bey einem andern Regiment steht mit seinem Regiment gegen den Tag Deiner
Abreise hieherführen (den 11ten haben sie Ordre erhalten auszumarschiren) der Bruder erwartet ihn
um ihn noch das letzte Mal vor seiner Heimreise zu sprechen und ich in die allergeringsten ihrer
beyden Geschäfte verwickelt darf mich nicht von ihnen trennen besonders da diese Reise in dem
ganzen Lebenslauf des ältesten Epoque macht. Jetzt mein lieber theurer Lavater wirst Du noch
zürnen daß ich nicht Wort halten kann? Die Deutschen faßten ihre Entschlüsse im Rausch und
überlegten sie nüchtern. Aber hör etwas. Wir wollen uns so Gott es will mit Röderer <page index="2"/>
aufmachen und nach Colmar gehn, wo Du Donnerstags (falls Du mit der <aq>Diligence</aq>) zu Mittag
eintreffen mußt. Da essen wir zusammen und reisen bequemlich nach Strasburg wo Du nichts desto
weniger (wenn nicht in meinem Hause, in dem anstoßenden, das schon gerüstet dazu und noch
bequemer weil Du keine Treppen zu steigen und bessere Aussicht hast) absteigst, damit wir allein
sein, frey ununterbrochen. Siehst Du da feyren wir den ganzen ersten Abend und drauf folgenden
Morgen in süßer stiller Einsamkeit, hernach wird freilich das Geräusch Deiner Bekanntschaften
angehn, das Du nicht ganz vermeiden kannst. Das Begleiten ins Schwalbacher Bad ist nun ganz
unmöglich, mein Herz und alle meine Wünsche sollen Dich begleiten, aber ich bin nicht frey ich
bin vieles nicht. Nimm vorlieb wie ich bin, Du der Du vom Apostel Paulus auch Verträglichkeit mußt
gelernt haben, meine Freiheitsstunde (das hoff ich zu Gott) wird auch schon einmal schlagen und
dann will ich anders seyn. Das Gesicht von Deinem verklärten Vater hab ich alleweile vor mir und
kann mich nicht satt dran sehen. Solche Köpfe können nur in einer Republick gebildet werden, das
sind <page index="3"/> Züge die in keinem monarchischen Staat gesehen noch gehört noch empfunden werden
können. Ach daß er lebte! Hat er uns doch seinen Sohn gelassen und ein Brutusherz in ihm. Lebe
wohl! <line type="empty"/> <line type="break"/>
JMR Lenz
<sidenote pos="bottom" page="2" annotation="am unteren Rand der zweiten Seite">
<align pos="center">ich wünscht ich könnte den Kopf in mein innerstes Herz hineinzeichnen damit er mir zu allen Stunden
und Augenblicken gegenwärtig wäre</align> </sidenote>
<line tab="1"/>Sollte das Schicksal meinen Willen bis auf den Grad zwingen daß ich auch nicht bis Colmar
entgegen, wie denn grad die Tage kritisch sind und überhaupt ich nicht gern mehr versprechen als
halten mag so kommt doch Röderer gewiß, der kein Diener des göttlichen Worts noch; doch seine
Verhältnisse wird er Dir selbst detailliren. <line type="empty"/>
<hand ref="11"><line tab="1"/>Ich Röderer umarme Sie tausendmal und will auch itzt lernen zufrieden seyn in mancherley Fügungen
Es genese Ihr Knabe! Guter Gott erfreue einen Vater der schon manche Freude manchen denen
Kindern gemacht hat. </hand>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
An Herrn <line type="break"/>
Herrn Diaconus Lavater<line type="break"/>
zu Zürich</letterText>
<letterText letter="34"><line tab="1"/>Morgen also, Sonntags den 12. und nicht Montags vereis ich auf Basel bin ich nicht wenn ihr
kommt, Brüder, bey den 3. Königen, so bin ich bey Hrn. Wilhelm Brenner bey der <aq>St. Clara</aq> in Basel. <aq>Ihr</aq>
seyd das Ziel meines Verlangens Ihr meine künftigen baldigen Mitarbeiter Kommt sobald ihr
könnt, trefft ihr mich nicht mehr in Basel an, weil ich Euch entgegen eile, so ists auf dem Wege, daß
ich Euch treffe am Staub Eures Wagens wird ich Euch kennen und das Schnauben Eurer Rosse wird
auch nicht täuschen. Am Montag Mittag bin ich q. g. in Basel also verlirt keine Zeit, wenn ihr micht
sehen wollt. Lebet und liebet <line type="empty"/>
Z. den 11. Jun. 74. <line type="empty"/>
Lavater. <line type="empty"/>
<note>Adresse</note>
An Herrn Röderer, Candidat, bey der neuen Kirche in Straßburg
<note>Nach FSt I, S. 294, hat Lenz auf der Außenseite notiert: „Hofrath Deinet in Frkfurt am Mayn“</note></letterText>
<letterText letter="35"><line tab="1"/>Seelen! Ich komm erst am Donnerstag Abend auf Straßburg. Wenn ihr dieß leset, bin ich in Colmar
bey dem blinden <aq>Pfeffel</aq> zu erfragen Ich kann nicht anderst. Lieber <aq>Lenz</aq>, schenire dich keinen
Augenblick! Du kannst nicht glauben, wies mich freut, wenn du an meinen Gauben, an mich
glaubest. Euere Umstände sagt Ihr mir so, wie hr sie fühlt. Ich kann wenig, nichts ändern, aber
tragen helfen, durch Mitgefühl. Adieu. <aq>Passavant</aq> ist auch ein Mensch. Was du willst will ich dir
erzählen. Adieu. <line type="empty"/>
Den 14 Juni 74. spät.</letterText>
<letterText letter="36"><hand ref="11">
<line tab="1"/>Liebster Bruder! Ihre zwo Sturmtage sind vorbey, und Sie wieder fort. Sie reisen ja wie die Apostel,
und die Ruhe die Sie haben bleibt in den Reiswägen sitzen wo sie noch obendrauf der Staub stöhrt.
Mag die Lebenskraft Gottes ob Ihnen schweben und den Saamen befeuchten den Sie ausstreuten,
mag vstündiger Schlaf bey Ihnen die Wirkung von längerem haben und Ihnen der Glaube helfen der
mir Wunderglaube ist. Ihnen folgt mein Herz nach nicht meine Worte. Dunkle! dunkle Wünsche
drinne die ich denen zugesellen die mir noch immer erfüllt wurden. Sie waren mir so nahe so nahe!
so sprachvoll und so stumm! Nicht Mangel an Vertrauen wars, denn ich weiß es, mein Herz steht
Ihnen offen aber ich weiß es was es ist: meine Empfindung ist noch nicht aufgelöst! Und ich seufze
nach dem. Wos geschehn wird weiß der der über meine Existenz wacht und in dem ich allein ruhen
möchte!! Dort drüben denke ich, wohin mir ein Alpenhohes Gebürg den Blick verbeut. Ich bin nicht
unruhig ängstlich wollt ich sagen bin ich nicht, aber ich strebe. O mein lieber! Nicht stöhre itzt
Mitgefühl die ganze Wonne, die ich über Sie hin wünsche und die Ihnen der Geber schenkt! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Grüssen Sie Goethe. Eine Ode auf Erwins himmeldeutenden Finger versprachen Sie. Ihr … Herr Pf.
Bekommt am <note>Planetensymbol für Mittwoch</note> Ihr Billet in einem von Lenz und ein Paar Worte von mir
laufen mit. Ihnen aber blick ich nach und bin <line type="break"/>
O mein Theuerster! <line type="break"/>
Ihr Röderer.<line type="break"/>
Straßburg d. 18. Junius 74.
Physiognomik lehrt Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Gott und Natur effervesciren mit
einander auf unaussprechliche Arten, die sich nie unter allgemeine Regeln bringen lassen.
Das neue Testament ist mir eben so dürre Wüste ohne das alte, als das alte ohne das neue.
Die Opfer waren kein Vorbild auf Christum aber Christus war ein Gegenbild der Opfer.
Die Opfer waren Gesetzgebung für die Juden, Schwung ihre Gesetzgebung in Gang zu bringen.
Christus hob die Opfer auf um durch diese Wohlthat uns die Gottheit lieb zu machen.
Das Leiden Christi ist ganz und gar symbolisch. Die Juden litten für ihre Sünden am Vermögen, wir an
Leib und Seele und Christus leidet mit uns.
Tauffe und Abendmahl haben gar keinen Zweck, wenn sie nicht täglich wiederholet werden. Die
Worte: „Das ist mein Leib“ sind unter allen Worten Christi ganz allen buchstäblich zu verstehen. Bey
jedem Bissen den ich in Mund stecke, jedem Tropfen den ich trinke, wünscht ich so zu denken
meinen Genuß zu vergöttlichen.
<aq>1 Joh. III. 9.</aq> pekriqhsan proV auton sperma Abraam esmen ist das gründlichste was jemals von
Psychologie ist gesagt worden.</hand>
<note>Lenz Hand</note>
In Röderers Brief hin wie, was von Dank? Ich Dir ja ich Dir tausend Dank für tausend
tröstliche Gedanken, die Du mir in meiner Einsamkeit nachgelassen alle auf die Zukunft verfolge
Deinen Weg am Ziel hängt der Kranz, am Ziel und wenn Du fortstürmst, wird Dich niemand
überholen.
Hier gehst Du durch gute u. böse Gerüchte, wie es allen Warheitsausbreitern, wo Licht hinfällt tritt die
rückweichende Nacht desto dichter zusammen. Die Kopfhänger ärgern sich daß Du grade gehst,
weissagen Dir Hochmuth und Fall falsche Propheten. Der bessere Theil Menschen bewundert Dich,
liebt Dich viel fragen nach Dir, die Dich nie gekannt heut ist ein Franzos bey mir gewesen sich
Deine Schrift wider den Landvogt Grewel auszubitten. Die Geistlichen sind zwar noch über Dich
geteilt doch hast Du bei den meisten durch Deine Gegenwart Dich unaussprechlich legitimirt
Lies Röderers Gedanken und schreib ihm zurück drüber Meine Hausleute wollten ihren Augen nicht
trauen daß Du sie grüßtest und danken mit Tränen u. Enthusiasmus. Mit Tränen haben manche Deine
Klage wider den Landvogt schon angehört und Dich geseegnet.
Fleuch fort fleuch auf Deinem Wagen Lavater! und laß Dich von niemand überholen. <line type="break"/>
<align pos="right">Lenz</align>
<sidenote pos="top" page="1" annotation="am oberen Rand, horizontal gespiegelt">
Willstu mir eine süsse Stunde machen so schick Kleisten einen Gruß. - Aber bring bring Göthen von
mir was? Dich. Ich möcht ihm meine Seele schicken denn ich habe Hofnungen zu ihm, die wie die
Sonne vor Tage nur noch den Antipoden sichtbar. Ach ich leide aber Bruder Eure Hofnung
schimmern mir in meiner Nacht, daß ich den zögernden Tag nicht anklage.</sidenote></letterText>
<letterText letter="37"><hand ref="10">
[…] Herrliches Briefchen von Lenze an Goethe etc. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Giebst mir ein, ich soll dich bitten.
<line tab="5"/>Wie der König <aq>Salomo</aq>.
<line tab="5"/>Herr, ach, Herr was soll ich bitten,
<line tab="5"/>Geh hinauf zu deinem Himmel,
<line tab="5"/>Bitt um dieses Stückgen Himmel!
<line tab="5"/>Und ein wenig Sonnenschein!
<line tab="5"/>Aber laß mir Bruder Goethen,
<line tab="5"/>den du mir gegeben hast.
<line tab="5"/>Dessen Herz so laut zu dir schlägt.
<line tab="5"/>O für ihm bitt ich mit Thränen
<line tab="5"/>Halt ihm nur den Rücken frey
<line tab="5"/>Platz wird er sich selber machen
<line tab="5"/>Nur beschirm mit deinem Schilde
<line tab="5"/>Ihn vor Feinden, mehr vor Freunden
<line tab="5"/>Die an seinen Arm sich henken
<line tab="5"/>Und den Arm ihm sinken machen
<line tab="5"/>Ach! bewahr ihn nur vor Freunden
<line tab="5"/>Die ihn nicht verstehn, und gerne
<line tab="5"/>Ihn zu ihrem Bilde machen.
<line tab="5"/>Oder kanns nicht seyn, so mache
<line tab="5"/>Mich nur nicht zu seinem Freunde!</hand></letterText>
<letterText letter="38">Zürich, Mittw. den 31. Augstm. 1774. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe Deinen Brief vom 12. Aug. den ich so gern weitläufig beantwortete; meine Umstände
wollens nicht und ich muß mit Ernst nach einer laconischen Kürze ringen, sonst muß ich mir manche
dergleichen Freuden, wie z. B. Briefe an Dich, versagen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von meinen Vorlesungen nichts mehr; sie sind gewiß nüzlich: aber ich sollte mehr wißen, vor mich
und das Publikum, denn <aq>mundus vult decipi</aq>. O hätt ich Gelehrsamkeit genug, um mit mehr Ansehen
zu zeigen, daß man ohne Gelehrsamkeit Philosoph Christ Kenner des Geistes der Götti.
Offenbarungen glückselig seyn kann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Raisonnir mir, mein Liebster, über den Menschen so viel Du willst; nur vergiß künftig nie: daß, wenn
der Mensch, das Menschengeschlecht allenfalls in einem Zustande des Verfalls, der Krankheit ist,
und aus diesem Gesichtspunkte angesehen wer· den muß, daß dieß alsdann in manches Urtheil
vom Menschen gewaltigen Einfluß hat. So, wenn der Mensch <aq>krank</aq> ist, so darf man ihm Diätregeln
vorschreiben, über die er sich nicht als eine grausame Einschränkung seiner Freyheit zu beschweren
hat. Nimm, Lieber! den Begriff der menschlichen Freyheit aus dem Reich der Idealen herunter ins
Reich unserer schlecht und rechten Wirklichkeiten! so wirst finden: Ohne Befehle und Verbote kannst
kein Kind auferziehen; also Einschränkung der Freyheit. Es werde nur Liebe und Zutrauen zum Vater
zum Grundtrieb gemacht. Wär nun Analogie zwischen Vater und Kind, und Gott und Menschen (und
ich glaube es ist größer als man denkt) so muß <aq>geboten</aq> und <aq>verboten</aq> sein; nur liege auch da Liebe
und Zutrauen zum Grund, sonst ists Sclaverey (und doch auch so wäre nur noch die wenigste,
erträglichste und unumgänglichste Sclaverey wovon die Schuld nur <aq>einseitig</aq> ist). <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aber freylich hat Gott nicht so eingeschränkt, als der Eremit und die Nonne es wähnen; darüber,
Liebster, sind wir ganz einig. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Weinen mögt ich mit Dir, wie die Mönchstugend tausend gute Samen in der Menschennatur erstickt.
Ich irrte ehedem hierin auch sehr. Gott zog zurück. „Christus hat nichts ausrotten wollen, was Kraft
und Anlage im Menschen ist!“ Goldene bestäubte verkannte Wahrheit! Aber, Liebster! wie manches
Scrüpelchen, das Dir vielleicht doch mehr als recht ist, im Wege steht, müßt wegfallen, wenn wir uns
nur einige Zeit sähen. Von d. Apocalypse izt nichts. Aber „draußen sind die Hunde <aq>etc.</aq>“ das ärgert
dich? Gibts einst eine Sammlung der Guten die sich einen Himmel machen, willst Du denn die
Hunde wider drinnen haben, und die Ehebrecher? u. die Bösewichter? In den Spital mit ihnen, und
sie curirt mit scharfen Mitteln, wenns so seyn muß. pppp. <line type="empty"/>
Donnerstag morgen um 7 Uhr.
So eben empfang ich Deinen Brief an mich und <aq>Paß</aq>. und <aq>Clavigo</aq>. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Bin ich nicht ein gerechter Mensch, daß ich Clavigo liegen lasse und erst gehe den Brief an Dich zu
vollenden?
<line tab="1"/>Noch eins auf den vorletzten. Man hats in unseren Tagen besonders sehr schwierig machen, wie
Jesus und daß er nicht buchstäblich zu verstehen sey pp. und ist die Sache so simpel! so schlecht
und recht, so buchstäblich wie möglich, nur ohne Eulenspiegel-Chicane, alles in der Bahn des
gemeinen <aq>bon sens</aq> wie Kinder einen Vater verstehen. (Ausgenommen was seiner Natur nach
räthselhaft seyn mußte, prophetisches und was er genirt war herauszusagen.) <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Z.B., wenn ich Dir sagte, ich hab <aq>Deinen Hofmeister</aq> neulich gelesen ich rathe Dir, schreib nichts
mehr!“ (was ich aber weder in der gegenwärtigen, noch zukünftigen Welt nie zu Dir sagen werde).
Nun sieh, wie simpel buchstäblich das zu verstehen wär. Wie gefiel uns nun folgendes Raisonnement
(der neumodischen Theologen) darüber: „das könne unmöglich im eigentlichsten Wortverstande
genommen werden, daß Du keine Feder mehr anrühren, keinen Brief u.s.w. <aq>schreiben dörfest u.s.w.</aq>
also, weils nicht buchstäblich zu verstehen sey, so werde es sagen wollen, Du sollest eben keine
Folianten mehr in Druck geben, bisweilen ein Drama habe just nichts zu sagen, es sey ja nicht
buchstäblich zu verstehen das nichts“ <aq>etc.</aq><line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lav. ist höchst vergnügt von seiner Reise zurückgekommen, hatte herrliche Seelen angetroffen
Engelseelen in weiblicher und männlicher Gestalt die Dich, Bruder, mit der Welt aussöhnen würden.
pp. Aber des Wiedersehens Wonne, o mein Lenz! hättst Du auch einen Lavater, von dem Du Dich 10
Wochen trennen könntest, und ihn wiedersehen! Sonst hast Du Lavatern, so sehr Du ihn haben
kannst. Er spricht mit Enthuasiasmus von Lenzen. Und wir werden uns alle noch recht nahe kommen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Studierst Theologie? predigest? bist ordinirt? <aq>etc.</aq> Sag mir was hievon. Schick mir auch Deine und
Röderers <aq>Silhouettes</aq>. Grüß mir ihn brüderlichst. <aq>Paß</aq>. wird selbst schreiben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie verstehst das „Was Gott an Goethe getan –“? Doch versteh ichs vielleicht, wenn ich <aq>Clavigo</aq>
gelesen habe. <line type="empty"/>
Verzeih mein Sudeln. Mein Kopf und Herz und Hand sudeln bisweilen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Siehst meine offenen Arme? Komm ich drücke Deine Brust an meine, und küsse Dich! Kannst beten,
so bitt auch für mich. <line type="empty"/>
Conr. Pfenninger. <line type="empty"/>
Deine Schriften erwart ich mit Verlangen. Es ist kein Zürcher so verliebt darein, wie ich. <line type="empty"/>
<note>Adresse</note>
Herrn <aq>Lenz</aq> durch Herrn <aq>Candid. Röderer</aq>, neben der Neu Kirch in Straßburg.</letterText>
<letterText letter="39"><note>gedrucktes Rundschreiben</note>
<line tab="1"/>Ich muß, ich muß es allen meinen nahen und fernen Freunden und Gönnern sagen, daß ich nicht
mehr im Stande bin, nebst meinen übrigen, ohne dieß sich täglich häufenden Geschäften, eine
weitläufige Correspondenz fortzusetzen. Weder meine Zeit, noch meine Gesundheit, noch meine
Vermögensumstände gestatten es. Zu dem kommen itzt besonders noch neue Hinderniße Ohne alle
Verletzung also der Menschenliebe glaub ich, mir wenigstens ein halbes Jahr alle Briefe von
meinen bisherigen und etwa neuen Correspondenten, <it>sehr dringende Fälle ausgenommen</it> brüderlich
verbitten zu dürfen. Helfet mir, liebe Freunde, und alle die mir wol wollen, wieder zu der
Ruhe, ohne welche ich weder mich, noch die mich hören ober lesen, selig machen kann. Wenn
ich gar zu vieles sen soll, so bin ich keinem Etwas, und mir selber nichts. Am allermeisten
bitt ich jeden, dem dieß zu Gesichte kommen mag, zuzusehen, daß mir mit Buchhändlerischen
Aufträgen, Subscriptions-Sammlungen und dergleichen durchaus für ein allemal, und mit
Zusendung aller Manuskripten zur Lesung und Beurtheilung — wenigstens bis Ostern 1775.
gütigst verschont werde. Gott wirds denen, die aus Liebe zu mir, mir diese Gefälligkeit
erzeigen, gewiß nicht unvergolten lassen. <line type="empty"/>
Zürich,<line type="break"/>
den 1. des Herbstmonats. 1774. <line type="break"/>
<aq>Johann Caspar Lavater.</aq> <line type="empty"/>
<note>Lavaters oder andere zg. Hand</note>
<line tab="1"/>Nur ein Zeichelchen, daß ich an Dich, und Röderer, als liebe Brüder denke! Ich kann, ich kann nicht
schreiben! Nicht danken! Ich habe nicht einmal Zeit, Arbeiten zusammen zu suchen, dich ich Euch
auftragen möchte, für mich zu thun. Verzeihet mir, glaubet an meine Liebe, obgleich Ihr wenig oder
nichts sehet. Schreibet mir viel, aber erwartet keine Antwort. Macht Ihr physiognomische
Beobachtungen; theilt sie mir <aq>Sans ápropos</aq> halb, quart, <aq>octav</aq> wie Ihr sie macht nur auf
<aq>octav</aq>blätchen mit. Auch Monatgedanken hab ich keine mehr gemacht. Liebet einander Brüder,
und mich, und grüßt alle und entschuldigt mich bey allen, daß ich Ruhe suche, nicht die Ruhe der
Trägheit. <line type="empty"/>
<aq>Z. den 2. Sept. 1774.</aq> <line type="empty"/>
<note>Adresse</note>
An Herrn Lenze im Finkweiler, in <ul>Straßburg.</ul></letterText>
<letterText letter="40"><align pos="center">Straßb. d. 7 Novbr. 1774.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Konnt ich mein edler Bruder! einen bessern Gebrauch von Deinem Briefe (den ich erst im August
erhielt) machen, als daß ich ihn einem zweyten Du, durch die Bande der Freundschaft näher mit
mir verbunden als durch die Bande des Bluts, meinem Bruder Goethe# <!-- Was bedeutet "#"? --> in Frankfurt zuschickte
und Dein Glück mit ihm theilte. Wie ich denn nichts geheimes für den haben kann. Dafür ward
aber auch Deine Verbindung von zwey gleich warm theilnehmenden Seelen hier doppelt gefeyert.
Was soll ich Dir viel drüber sagen? Glückwünsche zeigen von einer armen Seele, deren Leerheit
der Witz und strafbare Gefälligkeit zu bepappen sucht, aber das wahre Gefühl bindet die
Zunge, kehrt die Augen gen Himmel und läßt Tränen reden. Verstehst Du diese Sprache mein Brüderchen!
Einziger aus meiner Familie der mich versteht. Der Himmel belohnt Dich dafür. Er gab Dir ein
Weib und ich beneide Dich nicht. Ich segne ihn, daß er Dich vorzüglichen Glücks würdigt da Du es
vorzüglich verdienst. Kein wildes Zielen nach einem ungewissen Zweck, edles starkes Bestreben
einen kleinen glücklichen Zirkel um dich her zu machen und von ihm wiederbeglückt zu werden.
Dein vorjähriger Brief mit diesem zusammengehalten welch ein Gemählde von Deinem Herzen stellt
es mir auf! Dein letzter Wunsch, <ul>„eine eigene Hütte mit einer Freundin die die Mühseeligkeiten
dieses Lebens“</ul> p. er ist erfüllt, Du bist <page index="2"/> belohnt, edler Freund! kleiner großer Mann
in Deiner Genügsamkeit. Du wirst nach Deinem Herzen gewählt haben, also glücklich täglich neue
Vorzüge werdt Ihr aneinander entdecken, täglich neuer Beruf zu lieben und geliebt zu werden. Und
so unsterblich, noch übers Grab hinaus o ich muß mich wegwenden von Eurem Glück, wem zu essen
versagt ist steht mit Verzweiflung vor dem Gemähld eines Banquets. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation=" am linken Rand der ersten Seite, vertikal">
#<!-- Was bedeutet "#"? --> Verfasser des Goetz v. Berlichingen, Clavigo, Leiden des jungen Werthers und einiger Kleinigkeiten. <line type="empty"/></sidenote>
<line tab="1"/>Du willst mein Schicksal wissen. Liebe Seele! was ist Dirs gedient damit. Daß ich Dich liebe weist du,
darum hätt ich immer noch länger schweigen können. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin jetzt frey, athme das erstemal dreist aus. Der älteste Kleist ist nach Kurland gereist, um
wiederzukommen, woran ich doch schon itzt zu zweifeln anfange. Sein jüngster Bruder aus Frankfurt
Oder kam grad an als der andre abgieng und ich mußte ein viertel Jahr bey ihm bleiben. Jetzt bewohn
ich ein klein Zimmer allein, speise täglich an einem Tisch wo einige meiner Freunde mitessen (die
einzigen die in Straßb. Liebhaber der ächten Wissenschaften zu sein sich nicht schämen) und unterhalte
mich ein wenig mühseelig von Lektionen die ich meinen Landsleuten in der deutschen Sprache und in der
Geschichte ihres Vaterlands <page index="3"/> ich meine Pohlen Curland Rußland gebe, da hier sehr theuer zu leben ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein Herz geht nicht müßig. Ich hab einige vorzügliche Freunde und Freundinnen und denk auch oft
an Euch. Wiewohl mir Papa und der Tarwaster das zum Verbrechen machen wollen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Grüße Papa! Sag ihm nur daß es mir ein wenig fremd vorkam, da ich nichts von ihm foderte nichts
von ihm erwartete, als Erwiederung meiner warhaftig zärtlichen Gesinnungen für ihn und meine
Blutsfreunde, mich dafür von ihm und Fritzen mit Ruten abpeitschen zu sehen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich will Dir hier ein klein Verzeichniß meiner Schriften anhenken, damit Du sie Dir anschaffest und
mich und meinen Lebenslauf daraus beurtheilest. Auf Kosten der Sozietät wurden gedruckt:
Lustspiele <del>des</del> <insertion pos="top">nach dem</insertion> Plautus. Auf Kosten der Weygandschen Buchhandlung: Der Hofmeister,
oder Vortheile der Privaterziehung, eine Komödie. Darnach, der neue Menoza oder Geschichte des
Cumbanischen Prinzen Tandi, eine Komödie. Darnach Anmerkungen über Theater, nebst
angehängtem Shakespearischem Stück. Diese drey könntest Du Dir zusammen binden lassen. Ostern
kommt mein letztes Stück heraus: der Poet, Weg zum Ehemann, das meinem Herzen am nächsten ist . <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Auch werden herauskommen Meynungen eines Layen zum <page index="4"/> Besten der Geistlichen: und
Stimmen eines Layen auf dem letzten theologischen Reichstage. Die Du Dir anschaffen sollst. wovon
aber der Verfasser unbekannt bleiben will. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Laß Dir die drey Komödien zusammen binden, den Hofmeister, den Menoza und den Poeten und
schenk sie Deiner lieben Frauen auf den Nachtisch als ob sie von mir kämen. Schreib ihr hinein von
meinetwegen <line type="empty"/>
<align pos="center"><line tab="5"/>Fühl alle Lust, fühl alle Pein
<line tab="5"/>Zu lieben und geliebt zu seyn
<line tab="5"/>So kannst du hier auf Erden
<line tab="5"/>Schon ewig seelig werden. </align><line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und nun lebt wohl lieben Kinder! und laßt mich euch um den Hals fallen und mein Gesicht zwischen
euren verbergen. Laßt mich eure Küsse euch zubringen und indem ich so euch beyde zwischen meine
Arme an mein Herz drücke und Gott um Unsterblichkeit bitte für euch so schickt eure warmen
brüderlichen Seufzer auch für mich empor, daß auch mir es so gut werde oder wenn ich dies Glück
nicht verdiene daß ich müd von des Tages Hitze einst am Abend <insertion pos="left">meines Lebens</insertion> in euren Armen
ausruhe und sterbe. Ich behalte mir den Platz aus mein Bruder! willigen Sie drin meine Schwester? So
seegne sie Gott für den guten Willen Amen. <line type="break"/>
<align pos="right">Jakob Michael Reinhold Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="41"><line tab="6"/>NachtSchwärmerey <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Ach rausche rausche heiliger Wasserfall
<line tab="5"/>Rausche die Zeiten der Kindheit zurück in mein Gedächtnis
<line tab="5"/>Da ich noch nicht entwöhnt von deinen Brüsten
<line tab="5"/>Mutter Natur mit dankbar gefühliger Seele
<line tab="5"/>Dir im Schoos lag dich ganz empfand
<line tab="5"/>Schämst du dich Wange von jenen Flammen zu brennen
<line tab="5"/>Schämst du dich Auge, von jenen geheimen Zären
<line tab="5"/>Jenen süssen süssesten aller meiner Zären
<line tab="5"/>Wieder still befeuchtet zu werden?
<line tab="5"/>Nein so hab ich, so hab ich die Menschheit
<line tab="5"/>Noch in der wilden Schule der Menschen
<line tab="5"/>Nein so hab ich sie noch nicht verlernt.
<line tab="5"/>Kann gleich mein Geist mit mächtigerm Schwunge
<line tab="5"/>Unter die Sterne sich mischen die damals
<line tab="5"/>Nur als freundliche Funken mich ganz glücklich
<line tab="5"/>Ganz zum Engel lächelten.
<line tab="5"/>Aber itzt steh ich, nicht lallendes Kind mehr,
<line tab="5"/>Itzt steh ich dar ein brennender Jüngling,
<line tab="5"/>Blöße mein Haupt vor dem Unendlichen
<line tab="5"/>Der über meiner Scheitel euch dreht
<line tab="5"/>Dank ihn, opfr ihm in seinem Tempel
<line tab="5"/>All meine Wünsche mein ganzes Herz.
<line tab="5"/>Fühle sie ganz die große Bestimmung
<line tab="5"/>All diese Sterne durchzuwandern
<line tab="5"/>Zeuge dort seiner Macht zu seyn.
<line tab="5"/>O wenn wird er, wenn wird er der glücklichste der Tage
<line tab="5"/>Unter allen glücklichen meines Lebens
<line tab="5"/>Wenn bricht er an, da ich froher erwache
<line tab="5"/>Als ich itzt träume o welch ein Gedanke <page index="2"/>
<line tab="5"/>Gott! noch froher als itzt! ists möglich,
<line tab="5"/>Hast du soviel dem Menschen bereitet
<line tab="5"/>Immer froher tausendmal tausend
<line tab="5"/>Einen nach dem andern durchwandern und immer froher
<line tab="5"/>O da verstumm ich und sink in Nichts
<line tab="5"/>Schaffe mir Adern du Allmächtiger dann! und Pulse
<line tab="5"/>Die dir erhitzter entgegen fliegen
<line tab="5"/>Und einen Geist der dich stärker umfaßt.
<line tab="5"/>Herr! meine Hofnung! wenn die letzte der Freuden
<line tab="5"/>Aus deiner Schaale ich hier gekostet
<line tab="5"/>Ach denn wenn nun die Wiedererinnrung
<line tab="5"/>Aller genossenen Erdenfreuden
<line tab="5"/>Unvermischt mit bittrer Sünde
<line tab="5"/>Wenn sie mich einmal noch ganz überströmt
<line tab="5"/>Und dann, plautz der Donner mir zu Füßen
<line tab="5"/>Diese zu enge Atmosphäre
<line tab="5"/>Mir zerbricht, mir Bahn öfnet, weiter
<line tab="5"/>In deinen Schoos Unendlicher
<line tab="5"/>Ach wie will ich, wie will ich alsdenn dich
<line tab="5"/>Mit meinen Glaubensarmen umfassen
<line tab="5"/>Drücken an mein menschliches Herz
<line tab="5"/>Laß nur ach laß gnädig diesen Antheil von Erde
<line tab="5"/>Diese Seele von Erde mich unzerrüttet
<line tab="5"/>Ganz gesammlet dir darbringen zum Opfer
<line tab="5"/>Und dein Feuer verzehre sie.
<line tab="5"/>Ach dann seht ihr mich nicht mehr theure Freunde,
<line tab="5"/>Lieber Göthe! Der Freunde erster
<line tab="5"/>Ach dann siehst du mich nicht mehr. <page index="3"/>
<line tab="5"/>Aber ich sehe dich, mein Blick dringt
<line tab="5"/>Mit dem Strahl des Sterns zu dem ich eile
<line tab="5"/>Noch zum letzten mahl an dein Herz
<line tab="5"/>An dein edles Herz. Albertine
<line tab="5"/>Du auch, die meiner Liebe Sayte
<line tab="5"/>Nie laut schallen hörtest, auch dich
<line tab="5"/>Auch dich seh ich, seegne dich wär ich
<line tab="5"/>Dann ein Halbgott, dich glücklich zu machen
<line tab="5"/>Die du durch all mein verzweiflungsvoll Bemühen
<line tab="5"/>Es nicht werden konntest die du vielleicht es wardst
<line tab="5"/>Durch dich selbst ach die du in Nacht mir
<line tab="5"/>Lange lange drey furchtbare Jahre
<line tab="5"/>Nun versunken bist die ich nur ahnde
<line tab="5"/>Euch mein Vater und Mutter Geschwister
<line tab="5"/>Freunde Gespielen fort zu vielfache Bande
<line tab="5"/>Reißt meine steigende Seele nicht wieder
<line tab="5"/>Nach der zu freundlichen Erde hinab.
<line tab="5"/>Aber ich sehe dich dort meine Doris
<line tab="5"/>Oder bist du vielleicht trüber Gedanke!
<line tab="5"/>Nein du bist nicht zurückgekehrt
<line tab="5"/>Nein ich sehe dich dort ich will in himmlischer Freundschaft
<line tab="5"/>Mit dir an andern Quellen und Büschen
<line tab="5"/>Sternenkind! ach wie wollen wir Kinder
<line tab="5"/>Hand in Hand dort spazieren gehn!
<line tab="5"/>Aber Göthe und Albertine
<line tab="5"/>Nein ihr reißt mich zur Erde hinunter
<line tab="5"/>Grausame Liebe! ihr reißt mich hinunter.
<line tab="5"/>Reißt denn geliebte! reißt denn ich folge
<line tab="5"/>Reißt und macht mir die Erde zum Himmel! <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>linke Spalte</note>
<line tab="1"/>Hier mein Bruder ein Brief den ich Dir schicken muß, warm wie er aus dem Herzen kommt. Dich wird
das Porto nicht dauern lieber obschon kein Geschäft darinnen ist außer eine Commission von Hafner
der mich lange gebethen hat. Ist doch uns kein höher Glück auf der Erde gegönnt als uns zu
unterreden mir ists das höchste. Denn alle meine Wirksamkeit ist für andre aber mein Gefühl für
Dich und einige Liebe ist für mich.<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Warum gibst Du uns denn nicht Neuigkeiten von Dir. Haben genug in unsern Briefen itzt von meinen
Schmieralien gesprochen nun laß mich wieder ausgehen von dem kleinen Dreckhauffen Ich und
Dich finden <line type="break"/> <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz</align>
<note>rechte Spalte</note>
<line tab="1"/>Ich habe viel in der Societät zu überwinden, auf einer Seite ists Unglauben, Zerrüttetheit, vagues
Geschnarch von Bellitteratur wo nichts dahinter ist als Nesselblüthen: auf der andern steife leise
Schneckenmoralphilosophie die ihren grosmütterlichen Gang fortkriecht, daß ich oft drüber die Geduld
verlieren möchte. Da konnte Götz nicht durch dringen, der beyden gleich abspricht. Daher fing ich an
<aq>ut vates</aq> den Leuten Standpunkt ihrer Religion einzustecken, daß itzt unter viel Schwürigkeiten vollendt
ist, die Erfolge wird die Zeit lehren. Und nun stürm ich mit Ossians Helden hinein das alte Erdengefühl
in ihnen aufzuwecken, das ganz in französische <aq>Liqueurs evaporirt</aq> war. Daß wirs ausführen können was
ich mit ganzer Seele strebe, auf Heid und Hügel Deine Helden wieder
naturalisiren. <line type="break"/>
<align pos="center">Addio </align></letterText>
<letterText letter="42"><align pos="right">D 8ten Aprill 1775.</align> <line type="empty"/>
Hier mein theurer Eifferer für unser Haus einige Versgen die ich dies Jahr in Calender setzen lasse. <line type="empty"/>
<line tab="6"/>Ueber die kritischen Nachrichten vom Zustand des deutschen Parnasses (der Verf. ist Gotter der bey Dir war
<line tab="6"/>Gotter. Es wimmelt heut zu Tag von Sekten
<line tab="5"/>Auf dem Parnaß
<line tab="6"/><ul>Lenz</ul> Und von Insekten. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Ueber die Dunkelheiten im Klopstock und andern
<line tab="6"/><ul>Der Schmecker.</ul>
<line tab="5"/>Ich bitte gebt mir Licht
<line tab="5"/>Herr ich versteh euch nicht
<line tab="6"/>Antwort.
<line tab="5"/>Sobald <ul>ihr</ul> mich versteht
<line tab="5"/>Herr, bin ich ein schlechter Poet. <line type="empty"/>
<line tab="6"/>Klopstocks Gelehrten Republick
<line tab="5"/>Ein götterhaft Gerüst
<line tab="5"/>Der Menschen Thun zu adeln
<line tab="5"/>Wer darf, wer mag da tadeln?
<line tab="6"/>Antwort
<line tab="5"/>Wems unersteiglich ist.
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Nichtsdestoweniger aber wünscht ich, daß Deine herzhafte Prügelsuppe den Leuten ganz warm über
die Schultern regnete und will deshalb eine Abschrift dieser Rezension Gottern grad zuschicken sie in
den deutschen Merkur zu rücken Wielanden vielmehr, mögen die es verdauen so gut sie können und
zu ihrer Besserung anwenden denn es ist unerträglicher Leichtsinn daß ein solcher Schmecker sich
untersteht von solchen Sachen auch nur einmal zu reden, geschweige so abzuweisen. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal"><line tab="1"/>#<!-- Was bedeutet #? --> Ich schick es Gottern nicht eher als bis Du mir die Erlaubnis gegeben hast. Sonst wollt ich schon für
ein <aq>vehiculum</aq> sorgen ihm die Medicin beyzubringen</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier noch was von Goethe über diese Abgeschmacktheiten in seiner neusten Satyre,
die ich zugleich die glücklichste nennen möchte: „Prometheus Deukalion und seine Rezensenten“ bey Gelegenheit der
Deraisonnements in Deutschland über seinen Werther <line type="empty"/>
<align pos="center"><line tab="6"/>Plötzlich erscheint Herr Merkurius pp
<line tab="5"/>Wirst hier kritische Nachrichten hören
<line tab="5"/>Kannst dich wahrhaftig des Lachens nicht wehren
<line tab="5"/>Sehn aus als wärens im hitzigen Fieber gemacht
<line tab="5"/>Haben hübsch alles in Klassen gebracht
<line tab="5"/>Aufgeschaut und nit gelacht. <line type="empty"/>
<line tab="6"/>Merkur
<line tab="5"/>Sieh da ihr Diener Herr Prometheus
<line tab="5"/>Seit Ihrer letzten M Reis
<line tab="5"/>Sind wir ja Freunde so viel ich weiß
<line tab="5"/>Ist mirs vergönnt den Sporn zu küssen <line type="empty"/>
<line tab="6"/>Prometheus (Verf. des Werthers
<line tab="5"/>Werd euch zur Zeit damit zu dienen wissen
<line tab="5"/>Wie stehts um d. Fenster die ich eingeschmissen
<page index="3"/>
<line tab="6"/>Merk.
<line tab="5"/>Mein Herr wird sie halt machen lassen müssen
<line tab="5"/>Waren ja über das nur von Pappier <aq>etc.</aq> <line type="empty"/>
</align>
<line tab="1"/>Seegen Gottes über Dein Amt! Wer bin ich, daß ich Dir Glück wünsche? Dich, Deinen Standpunkt,
Deinen Wirkungskreiß nach Würden erkenne und ausmesse. Wirkt miteinander Du und Dein
Pfenninger und betet für einen betrübten Verlassenen <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal"><line tab="1"/>Warum hast Du mir denn nicht die Vollendung Deines Mskpts. für Freunde zugeschikt? Doch Dank
dafür! Und für alle die reichhaltigen Gedanken in diesem Mkspt. ewigen Dank.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin bey Zimmermann gewesen und freue mich über seine Freude über Dir. Er hat einen wakern
Stubengesellen, den Sohn des Meckels der seinen Vater kurirt hat. Es hat mich in der Seele gerührt so
den Geist der Liebe der Väter auf den Kindern ruhen zu sehen. Sie fühlen beyde dies schöne
Verhältniß, wie mich deucht, die edlenjungens. Wieviel haben wir auch von Dir und Deiner ersten
Erkennung mit Zimmermann in Schinznach gesprochen!
<line tab="1"/>Der Herzog von Weymar kommt (wie ich nun leyder gewisse Nachrichten eingezogen) in 4 Wochen
zurück, aber nicht über Lyon und durch die Schweitz, weil er sehr kränkelt und daher nach Hause eilt.
Hast Du ihm was zu sagen, meld mirs, wenn ich Knebeln hier spreche, solls sicher bestellt werden.
<page index="4"/>
<line tab="1"/>Wie sehr wünscht ich nur einen Tag bey Dir zu seyn, wenn Du Physiognomik arbeitest. Ich freute
mich schon im Geist Dich vielleicht mit einem Exemplar hier zu sehen, doch werd ich das Buch wohl zu
sehen bekommen, nur des Verf. Erläuterungen fehlen. Klopstock ist auch wieder nach Hause gekehrt zu
seinen alten Freunden, ich hatt ihn so nahe und sah ihn nicht. So waltet ein uns unbekanntes Schicksal
über unsre liebsten heiligsten Wünsche und Neigungen und leitet sie nach seinen Absichten. Goethe schweigt
auch gegen mich, vermutlich weil ihn Geschäfte überwältigen. Nächstens sollst Du eine Künstlerromanze von
ihm lesen, die ich seiner Schwester zugeschickt.
<line tab="1"/>Melde mir doch aufs eheste ob der Herzog von Weymar mit unter den Subskribenten auf Deine
Physiognomik ist. Und für wieviel Exemplare? Und denn ob ich die Wielandias dem Gotter schicken
darf, dem ich eine Antwort schuldig bin. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Grüß den edlen Passavant und dank ihm mit der heissesten Umarmung für all seine Freundschaft für
mich. Die Lieder von denen er mir schrieb sind meistens nicht von mir, sondern von einem jungen
Schweighäuser einem Jüngling von vollem Herzen. Dank ihm noch mehr für seine schönen Mühwaltungen für
meine Kosakin, die ihm selbst auf einem Zettel ihren Dank stammeln wollte, aber jetzt krank zu Bette liegt.
Sie hat von dem bewußten Freunde nun auch schon selbst seine <it>Adresse</it> in London erhalten, indessen bittet
sie Passavanten doch gütigst fortzufahren, und sobald er Neuigkeiten erfährt, sie ihr mitzutheilen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Grüß den theuren Pfenninger und sag ihm, ich arbeite gegenwärtig an einer neuen Auflage meines
Menoza mit sehr wesentlichen Verbesserungen, der liebe Kritiker soll ihn zuerst haben. Überhaupt bitte
ich meine Freunde mir ungeheuchelt und strenge ihre Meinung, ihr wahres uneingenommenes Gefühl über
alle Stücke die ich künftig dem Publikum vorlegen werde zu schreiben. Es ist der gröste, der einzige
Liebesdienst, den sie einem Künstler erweisen können. Und wißt Ihr lieben Brüder, daß der Tadel des
Publikums auch auf Euch zurückfällt? „Hat er denn nicht Freunde?“ <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und nun, Lavater, laß mich Dich an mein Herz drücken, solang ich noch nahe bey Dir bin und Dir ein
Wörtgen über die Schweitzerlieder zurufen, von denen ich neulich wieder gesprochen. Mit dem
Büchlein in der Tasche komm ich einmal in eure Gebirge. Tausend Grüße Deiner verehrungswürdigen
Gehülfin. Daß doch das Blatt schon zu Ende ist <line type="break"/><line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">
Der gute Röderer Nathanael empfiehlt sich euch allen aufs zärtlichste. Adieu! Adieu!</sidenote></letterText>
<letterText letter="43"><aq>Den 14. Aprilis 75.</aq> <line type="break"/>
An Lenze.
<line tab="1"/>Grüße <ul>Röderern</ul>, den edeln! Dank für <ul>Zimmermann,</ul> daß Du ihn besuchtest; Laß ihn Dir sehr
empfohlen seyn! Prometheus kennen wir. Mir gefällt er nicht. Was soll ein <it>Autor,</it> der so gelesen wird,
spotten? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sende <ul>Gottern</ul> meinen Aufsatz, <ul>nicht zum Druck,</ul> aber sonst als eine unterdrückte Effusion des
Herzens dann in die Flamme! So eben ist ein <ul>Sendschreiben</ul> herausgekommen wider mich von
einem geistlichen Mitbürger. Ein Denkmal des rasendsten Neides vollgestopft von Lügen, die mich der
ganzen Welt lächerlich machen sollen. Soll ich schweigen? Soll ich reden? Noch will ich schweigen
und warten. aber, das heißt doch wirklich rasen! doch wieder wen? wider sich selbst! <line type="break"/>
adieu! <line type="break"/><line type="empty"/>
Johann Caspar Lavater.</letterText>
<letterText letter="44"><note>Adresse</note>
An den Verfasser der <ul>Meynungen eines Layen</ul> schleunigst abzugeben. <line type="empty"/>
<sidenote annotation="auf dem roten Lacksiegel">
panta dynata tō pisteuonti @<!-- Was bedeutet @? --> </sidenote><line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eine und viele der seeligsten Stunden meines Daseyns hab ich Ihnen, sey Sie wer Sie wollen, zu
danken. In einer Lage, wies wenige giebt am Sterbebeth einer nahen, eben nicht warm doch redlich
geliebten Schwägerinn fieng ich an, Ihre wolerhaltnen <aq>Meynungen eines Layen</aq>, zu lesen, mit inniger
Freud in der Stille der Mitternacht Meine Schwägerinn entschlummerte sanft Ich ging schnell nach
Hause; an einem hellen doch kühlen Frühlingsmorgen fuhr sogleich, morgens vor 5 Uhr fort zu lesen;
vor Freude zu zittern, vor Freude zu weynen, bald eine Zeile draus an meinen Bruder <aq>Pfenninger,</aq> der
auf dem Lande ist, zu schreiben! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sturm von Seite der Cabale, <ul>die das Sendschreiben eines zürcherschen Geistlichen</ul> geboren hat
stürmte dazwischen! aber Ihre prophetische Geisteskraft trug mich. Nun hab ichs vollendet; nun
liests neben mir <ul>Passavant</ul> und den Abend noch (warum ich nicht an seiner Seite) <ul>Pfenninger?</ul>
Ich kann nichts, nichts sagen, als Sie <ul>sind</ul> mein Freund, ich bin der Ihrige. Nicht bitt ich
Sie um Ihre Freundschaft; nicht trag ich Ihnen die meinige an wir sind schon Freunde.
Lichtstral darf nicht Lichtstral bitten: „Fließe mit mir zusammen.“ Das geschieht, in dem
sie einander begegnen aber <ul>das</ul> ist ein Ziel meiner Bitte, daß Sie mir bäldest eine Zeile
schreiben und zu mir sagen: „Lavater! hier und dort hast du geirrt; das Ziel nicht erreicht,
vorbey geflogen bist angeprallt. Vor dem hüte dich! da ist Quell deines Irrthums! da
Fallstrick für deine Imagination, deinen Verstand, dein Herz –“ Dann will ich auch sagen,
welche <ul>Zeilen</ul> Ihrer Schrift unter die Gottesgeistigkeit herabsinken, hinausgleiten,
nach meinem Sinn.
Den 20 April 75. <line type="break"/>
Lavater <line type="break"/>
Zürich, Donnerstags, Abends nach 3 uhr.</letterText>
<letterText letter="45"><line tab="1"/>Dein kostbares Briefgen habe erhalten ist mir ein theures theures Zeugniß der Güte und innern
standhaften Grösse Deines Herzens die keiner falschen Bescheidenheit braucht um damit Cabale zu
machen. Lache doch Lavater der Wolken die Freunde und Feinde an Dir vorbeyziehen lassen, Du wirst
immer durchscheinen. Durchscheinen durchscheinen mein lieber Getreuer bis auf lange Nachwelt
hinunter. Mich freut der Eiffer Deiner jungen Freunde. Fürchte nichts von mir, ich konnte und kann
Dich nie kompromittieren, mein Blut ist kalt, aber mein Herz fühlt warm. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Alles das was Du mir schreibst hat mein Herz grade so geahndet, das war mir ein Siegel, daß auch ich
Dein oder Deines Gottes bin. Ich konnte aber und werde nun keinen üblen Gebrauch davon
machen, dessen sey sicher. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Laß Deine Freunde machen was sie wollen und für gut und nöthig finden, ich mische mich nicht
darunter, gewiß nicht aus Menschenfurcht, denn was können mir Deine Menschen helfen oder
schaden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aber was ich in einer Entfernung für Dich hinaus thun kann, das thu ich und nichts kann mich
abhalten. Ich kenne Deine Sphäre nicht, aber ich <page index="2"/> kenne die Fassungsart und Gesinnungen
der meinigen, in die ich freilich sehr langsamen und halb imperceptiblen Einfluß habe. Also hast Du
nichts von mir zu hoffen noch zu fürchten gegenwärtig. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Deine Physiognomik lieber der Wunsch mir ein Exemplar geben zu können, was geb ich Dir dafür?
Mein ganzes Herz mehr hat mir der Himmel nicht gelassen. Ich glaube aber dennoch, ich glaube, ich
werde sobald es heraus ist, hier eines zu Gesicht bekommen und das ist ja <ul>aIIes</ul> was ich wünsche. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lebe wohl mein lieber Leidender! Meine Freunde werden mir denn erst recht theuer, wenn sie ein
wenig dulden und schweigen müssen und das ist das Gefühl aller honetten Leute. Also nutzen Dir
Deine Feinde bei der honetten Welt und bey der erleuchteten können sie Dir auch nicht schaden.
Was bleibt ihnen denn übrig, als ein halbgelehrter schaler feindseliger Anhang, den <ul>ich Dir</ul> nicht
wünschen möchte.
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Leb wohl hier ist ein physiognomischer Gedanke der mir durch den Kopf gezogen ist und über den ich
Deine Meynung zu hören wünschte. Es ist manchmal gut allerley <ul>anzuhören,</ul> wenn man über gewisse
Sachen nachdenkt also wirst Du mir mein Gelall und Gestammel nicht übel nehmen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Grüsse Passavant (dessen Enthusiasmus für Dich mich entzückt), Pfenninger, das Kind Gottes in
Blumen spielend und Kaysern. Ich erwarte von den beyden ersten die nächsten Briefe mit vieler
Sehnsucht. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align>
<page index="4"/>
<line tab="1"/>In unsern Tagen ist eine gewisse Faulheit und Niedergeschlagenheit besonders in monarchischen
Ländern so <ul>häuffig</ul> anzutreffen, daß die Gesichtszüge daher fast alle auf eins hinauslauffen und von
keiner Bedeutung sind. Die zu geläuterten Religionsbegriffe, die übermässige Verfeinerung in den
Künsten und Zweiffel und Ungewißheit in den Wissenschaften geben ganz andere Gesichter und ganz
andern Ausdruck der Empfindungen als ehemals. Das Feuer sitzt bey uns nur in den Augen, bey den
Alten aber in allen Mienen und der Stellung derselben. Ueberhaupt scheinen mir alle heutige
<ul>bedeutende</ul> Gesichter nur <ul>aufgeschürzt</ul>, das heißt die <ul>herunter</ul>gesunkenen Lineamenten mit Mühe
wieder <ul>empor</ul>gearbeitet da die Alten das zu wilde Emporsteigen der Mienen vielmehr zu hemmen
und zu mässigen suchen mußten. Das waren <ul>gesammlete Gesichter</ul>, bey uns sind es <ul>angestrengte.</ul>
Derselbe Unterscheid, der zwischen einem <ul>berittenen</ul> wilden Hengst und einem mit <ul>Sporn und
Kourierpeitsche in Galopp</ul> gebrachten Karrengaul ist.</letterText>
<letterText letter="46"><align pos="right">D. 1sten May 1775.</align><line type="empty"/>
<align pos="center">Gnädige Frau!</align><line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich halte mich für eben so berechtigt Ihnen zu schreiben, als ein freyer Geist über alle
Unterscheidungszeichen und Verhältnisse in der Welt herausgehoben, Ihnen seinen Beyfall zulispeln
würde, wenn er Sie irgend eine edle grosse Handlung ausüben sähe. Ich habe von Ihnen weder zu
hoffen <insertion pos="top">noch</insertion> zu fürchten, und um Ihnen die Warheit dessen und die Ungezwungenheit und Freywilligkeit
meines Urtheils zu beweisen sollen Sie meinen Namen nicht erfahren, aber erlauben Sie mir
auch jetzt mit aller der Hochachtung zu Ihnen zu treten, die das Anschauen Ihrer wundernswürdigen
Eigenschaften in mir rege macht. Ich habe hie und da Nachrichten von Ihnen eingezogen die alle
dunkel und unzuverlässig waren, besser wust ich mich nicht zu wenden als an Goethe der mir einmal
einen Brief in Coblenz aus Ihrem Dintenfaß geschrieben hat. Und wie entzückt ich darüber seyn
muß die Züge Ihrer Hand in meinen Händen zu sehen, dieser Hand die die Sternheim schrieb, und
von dieser soviel Gütiges für mich! „Das Gleichgestimmte meines Carakters“ wissen Sie auch was
das auf sich hat gnädige Frau? Die göttliche Güte hat mich, da ich eben durch andere Vorfälle
meines Lebens und Verirrungen meines Kopfs und Herzens bis <page index="2"/> zu Boden gedrückt war, auf
einmal wieder erhöhen wollen, ich fühle ein neues Leben in mir, neue Aussichten, neue Hoffnungen
und ach Gott! wie selten kommt mir das, etwas von Ihrer Selbstzufriedenheit. Erschrecken Sie
über dies Wort nicht, Sie allein können es ohne Gefahr brauchen. Solange konnten Sie zusehn daß
Ihre Sternheim unter fremdem Namen möchte ich beynahe sagen vor der Welt aufgeführet wurde und
mit halb sovielem Glück, als wenn jedermann gewußt, aus wessen Händen dieses herrliche Geschöpf
entschlüpfte. O wahrhaftig starke Seele, müssen doch Männer Ihnen erröthen und zittern.
Lassen Sie mich aufrichtig reden, der Name des Verfassers komischer Erzehlungen war keine gute
Empfehlung für einen Engel des Himmels der auf Rosengewölken herabsank das menschliche Geschlecht
verliebt in die Tugend zu machen, dieser Name warf einen Nebel auf die ganze Erscheinung und
ich danke Ihnen eben so eyfrig, daß Sie ihn mir von den Augen genommen als ich Ihnen das
erstemahl für Ihre Schöpfung gedankt haben würde. Und wie es mir in die Seele hinein Vergnügen
macht, daß ich mich in der Ahndung auch um kein Haar <page index="3"/> verschnappt, W. habe nur die
Noten und die Vorrede gemacht, denn sie sind so ganz sein würdig. Ich verkenne diesen Mann nicht,
aber er hätte mit mehrerer Ehrfurcht dem Publikum ein Werk darstellen sollen, dessen Verfasserin
zu groß war selber auf dem Schauplatz zu erscheinen und dies soll geahndet werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Gnädige Frau! nennen Sie Ihr Mädgen nicht phantastisch, ich hoffe es werden Zeiten erwachen die
itzt unter dem Obdach göttlicher Vorsehung schlummern, in denen Leserinnen von Ihnen Ihr Buch
das sie jetzt noch als Ideal ansehen, zur getreuen Copey machen werden. Wenn Sie doch für jedes # <!-- Was bedeutet #? -->
Alter dergleichen Ideale schüfen! Sie würden alle einen Thon haben, weil sie aus Ihrem Herzen
kämen, das sich in dergleichen Gemählden nur selbst abdruckt. Liebe gnädige Frau! der Himmel
belohne Sie. Wär es auch nur für all die wollüstigen Tränen die Sie mir haben aus den Augen
schwärmen machen und in denen die ganze Welt um mich her verschwand <line type="empty"/>
<sidenote pos="left bottom" page="3" annotation="links unten">
#<!-- Was bedeutet #? --> weibliche
<page index="4"/>
<line tab="1"/>Wenn ich bedenke, daß und womit ich Ihnen Freude gemacht habe, so werde ich stolz auf mich
selber und danke dem Himmel für die Stunde in der er mich hat geboren werden lassen, für die
Leiden, den schönen krummen Pfad durch den er mich bis zu Ihnen hinaufführte, daß ich wenigstens Ihr
Angesicht sehen kann. Ich habe nur den ersten Brief in der Iris gelesen und Sie gleich wieder darin gefunden.
Lebt solch eine Freundin wirklich die mit den geheimsten Bewegungen Ihrer grossen Seele vertraut ist,
so sei sie dem Himmel gesegnet, mit Ihnen die Zierde unsers Säculums. Was sollen wir schmeicheln liebe
gnädige Frau, mich däuchte der erste Brief mit mehr Feuer geschrieben als die nachfolgenden. Binden
Sie doch Goethen ja recht ein, mir wenns möglich die nächstfolgenden im Mskpt mitzutheilen, ich werde
mit diesem Heiligthum gewissenhafter umgehen als W. Nicht ein Wort in diesem ganzen Briefe habe ich
gesagt, das nicht mit der vollen Empfindung meines Herzens ausgesprochen, das ich nicht vielleicht
weit stärker gebraucht haben würde wenn ich in einer andern Himmelsgegend und Zeitraum <ul>von Ihnen</ul>
gesprochen hätte <line type="empty"/></sidenote>
<align pos="right">x x x</align><!-- Was bedeutet "x x x" -->
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Alles alles schicken Sie mir was Sie gemacht haben, auch das französische. Ich muß Sie ganz kennen
lernen und das grad in dieser Lage meines Herzens. Hier ist meine Adresse. Was kannֹ<aq>S</aq>s mir auch schaden
Ihnen meinen Namen zu sagen. Es ist so der <ul>kürzeste</ul> Weg. Und ich habe viele Namensvetter,
die auch Goethen kennen. <line type="empty"/></sidenote></letterText>
<letterText letter="47"><line tab="1"/>Mein Lenz Ich schreib Dir aus dem Bett, wo ich den zweiten Fieber <aq>paroxysmus</aq> erwarte. Kaum war
Lindau weg, so gieng ich nach Ihringen; schon seit Deiner Ankunft lag aber das Fieber in mir. Durch
die Bewegung brachs aus, das wollt ich! Ich must in Ihringen fast Tag und Nacht zu Bette liegen.
Am Dienstag macht ich mich fort, und ritt zuruk, 5 Stunde in zwo. Als ich ankam fand ich meine Frau
besser. Ich must mich aber legen weil ich Kopfweh hatte wie ein Teufel der in mir hämmerte. Ich
thats und fiehl die Nacht zum zweitenmahl in einen Schweis worinn ich wie schwomm. Mittwochs kam
das Fieber ordentlich an. Ein Syberischer Frost schüttelte mich 4 Stunden lang, die Hitz war gering.
Nun denk dir mich mit allen meinen Arbeiten am Hals, und angenagelt im Bett. Ich schrieb mitten im
Frost dem Doktor; wie etwa Alexander aber es war kein Philippus. Ganz sachtgen kam er geschlichen
und sagte ich müßte <aq>purgiren. Vomiren</aq>, sagt ich Herr Doctor, <aq>vomiren</aq>, den Teufel wegspeyen das
geht schneller. Aber es war umsonst, und so gros ist unsre Sclaverey daß wir nicht einmahl <aq>vomiren</aq>
dürfen wans uns lüstet. Gestern war also der <aq>Evacuations</aq> Tag. In der Nacht schlief ich wenig,
aber heut ist mirs erträglich; wenn nicht das Fieber sich wieder meldet. In der Nachtinsomnie
hab ich Verse gemacht. Hier hast Du sie, wenn sie Dir gefallen, so laß sie in einen Almanach wandern;
gefallen sie Dir nicht, so schenk sie <aq>sans façon</aq> dem Herrn Kamm. Meine Verse sind lauter <it>Huren
Kinder</it> denen man nicht einmahl gern die <aq>Alimente</aq> giebt. <line type="empty"/>
<line tab="6"/><it>Über Werthers Leiden</it> <line type="empty"/>
<line tab="6"/>an seine Widerleger, Berichtiger, Vertheidiger und Recensirer. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Ists Bild; so hats Urania gemahlt;
<line tab="5"/>Lebt er; so streute sie des Jünglings Grab mit Rosen.
<line tab="5"/>Trübt nicht den Glanz der Himmlischen, der Grosen,
<line tab="5"/>Ihr wüst wie selten sie uns strahlt. <line type="empty"/>
<line tab="6"/><it>Die Journalisten.</it> <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Da sitzen sie und sprechen
<line tab="5"/>Wie Stimm der Nation,
<line tab="5"/>Um den Geschmack zu rächen
<line tab="5"/>Stürzt niemand sie vom Trohn? <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wie Püter decidiret
<line tab="5"/>Und Götz andächtig flucht,
<line tab="5"/>Und Kästner calculiret
<line tab="5"/>Und Haller Kräuter sucht; <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Das möchtet ihr durchsichten
<line tab="5"/>Und messen Tag und Nacht;
<line tab="5"/>Hier darf der Kaltsinn richten,
<line tab="5"/>Der Kaltsinn hats gemacht. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wann Gott den Dichter wärmet,
<line tab="5"/>Wann seine Seele glüht,
<line tab="5"/>Da fragen: wo er schwärmet
<line tab="5"/>Und wo er Wahrheit sieht; <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wie Schülern auf den Bänken
<line tab="5"/>Dem deutschen Weib und Mann
<line tab="5"/>Beschreiben was man denken
<line tab="5"/>Und fühlen wird und kann, <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wohl gar die Gränz vormachen
<line tab="5"/>Wie weit man fühlen soll,
<line tab="5"/>Ist selbst in Aristarchen
<line tab="5"/>Blasphemisch oder toll. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wen Gott für künftge Welten
<line tab="5"/>Zum Dichter eingeweiht,
<line tab="5"/>Hör nicht ihr Lob und Schelten,
<line tab="5"/>Seh nur die Ewigkeit. <line type="empty"/>
Samstags.
<line tab="1"/>Ich hab dem Doktor sehr Unrecht gethan! kaum hatte ich gestern so weit geschrieben so befiehl mich
eine Üblichkeil die sich gerade auf die Art äuserte als ich wollte. Ich hoffe das Fieber ist zu allen
Henkern. Ich aß gestern Abend schon wieder ein wenig; schlief ruhig und habe nun wirklich Hunger!
Meine kleinen Leiden werden durch die wieder täglich wachsende Gesundheit meiner besten Frau wieder
doppelt vergolten, und auch an mir werden sies, denn ein Fieber, wenns fort ist, läßt immer die beste
Gesundheit nach sich. Adieu, lieber Lenz, auf den Herbst also sehn wir Dich gesünder, fröhlicher,
besser wieder. Versags uns nicht! Wie sollst Dus? Da wirds eine wirklich seelige FamilienGruppe werden <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier hast du die vermutl. Übersetzung aus einem Englischen Stük von der <aq>Collection</aq>, die du drin hast
liegen lassen. Ich hätte das Original gern finden mögen, sie scheint mir sehr glükl. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier ist auch die Übersetzung der <aq>Sappho</aq> an <aq>Phaon</aq>; oder vielmehr die Nachahmung der ganze
Unterschied besteht aber nur daß das ein Bube zum Mädchen sagt, was man der Sappho zum Buben
gesagt zu haben zuschreibt. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Zevs der auf den Wolken fart
<line tab="5"/>Ist nicht seelger als wer hier,
<line tab="5"/>Holdes Mädchen, neben Dir,
<line tab="5"/>Deine süße Stimme hört
<line tab="5"/>Und Dein himmlisch Lächlen sieht
<line tab="5"/>Das mein schmelzend Herz durchglüht. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Götter, als ich sie gesehn,
<line tab="5"/>Stockte mir die Zung, die Ohren
<line tab="5"/>Klangen mir, von Sehn zu Sehn
<line tab="5"/>Rollten Flammen und ein Flohr
<line tab="5"/>Zog sich beyden Augen vor. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Kalter Schweis des Todtes tropfte
<line tab="5"/>Von der Stirne, Schauer klopfte
<line tab="5"/>Mir im Busen, starr und bleich
<line tab="5"/>Wurden Mund und Wang zugleich,
<line tab="5"/>Und wie wenig fehlte mir,
<line tab="5"/>Ach! so starb ich neben ihr! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Dus billigst, so laß auch das in einen Almanach laufen, aber in keinen als Boyes. Ich mag mit
den Hrn. Hölty und Consorten nichts zu thun haben. Die Kerls haben die Lehrjungen gespielt, und
richten nun einen eigenen <aq>Shop</aq> auf; das ist mir nicht geniesbar.
<line tab="1"/>Noch einmahl adieu; grüß die Jungfer Königen vielmahl von uns beyden. Meine Frau wird ihr bald
wieder schreiben Als ich heut nachmittag auf dem Bett lag, rauschten meine alten Ideen vom
Selbstmord wieder vor mir vorbey. lch schick sie Dir, mach mit was Du willst. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Höhr ist Herr Kamm nicht so etwas von einem Juden? Ich hab einen Ring davon der Raupstein <aq>Nacre
marin</aq>, von sehr schönen Grün, rund um mit Brillanten schön <aq>coronoisirt</aq>, ist, er ist etwa von der Form und
Gröse […] Um 89 D <aq>or</aq> geb ich ihn! Will er, so schik ich ihn dir. <aq>Adieu</aq></letterText>
<letterText letter="48"><line tab="1"/>Ich höre, Du willst nach Strasburg kommen Lavater! Kupfer zu Deiner Physiognomik hier stechen zu
lassen. Ich seegne diesen Vorsatz und wünschte ihn in die Zeit hinaus da Goethe gleichfalls sich
vorgenommen hie durch zu seiner Schwester zu reisen, wohin ich ihn begleiten könnte. Das Haus in
welchem Du ehemals hier geherbergt, wartet daß ich so sagen mag mit offenen Armen auf Dich, in der
That darfst Du in Strasburg nirgend anders hin wohnen. Du würdest die Leutgen seufzen machen. Ich
wohne zwar selbst nicht mehr da indessen steh ich doch noch immer in Zusammenhang mit ihnen und
sie sind es die mir den Auftrag gethan, Dir zum voraus ein Liebesseil an den Hals zu <page index="2"/> werfen,
damit Du unsern Hofnungen nicht entgehen könnest. Ich habe unter der Zeit manches erfahren und mich
auch ein kleinwenig mit der Welt aussöhnen lernen, vielleicht weil mein Schicksal besser worden. So
sind wir Helden, die ein Lüftgen dreht Du aber bleibest wie Du bist. Meine größten Leiden
verursacht mir itzt mein eigen Herz und der unerträglichste Zustand ist mir mit alledem doch,
wenn ich gar nichts leide. Viellleicht ist alle Glückseeligkeit hier nur immer Augenblick und
Ruhepunkt den man nimmt um sich in neue Leiden zu vertiefen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lieber Lavater! ich muß hier abbrechen, Geschäfte bestürmen mich, denn ich führe mein Schiff itzt
selber. Leb wohl. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align><line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Ich imaginire mir Deine Physiognomischen Beschäftigungen in der Stille so reitzend daß ich daran
nicht denken kann ohne in Feuer zu gerathen. Du wirst bald den Herzog von Weymar sprechen, in
dessen Gefolg ein Mann ist, der ausserordentlich von dieser Gesichtsschwärmerei auch angesteckt ist
und dessen Bekanntschaft überhpt Dich freuen muß. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier ein Paar meiner Gesichtsanmerkungen wieder, über die wie über die vorigen Du mir Deine
Meynung mündlich sagen magst. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>„Alle Linien die heraufgehen zeigen Vergnügen, alle die heruntergehen Verdruß und Traurigkeit an. Es
scheint der Himmel hat den Menschen auf die Gesichter zeichnen wollen, wo der Sitz der Freuden zu
suchen wäre. <line type="empty"/>
„Je kleiner der Mund, desto unschuldiger das Herz; je grösser, desto erfahrener. P <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
An Lavatern. <line type="break"/>
in Zürich.</letterText>
<letterText letter="49"><align pos="right">Strasb. den 10ten May 1775.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es ist wohl wunderbar daß ich einen Brief vom Jenner erst im May beantworte: aber ich muß Ihnen
gestehen Gotter, daß ich Sie im Verdacht hielt, Sie hätten die kritischen Nachrichten im Merkur
gemacht und die gefallen mir nicht. Darum schwieg ich. Meine Autorschaft läßt mir gute Ruh und
kann mich einen Freund nicht vergessen machen. Das ist kein Vorwurf für Sie mein Lieber, denn
Sie hatten mich darum nicht vergessen, obschon Sie mir nicht schrieben und auf die Versprechungen
der Freundschaft halte ich so streng nicht, weil ich mich selbst auf den Punkt nichts
zuverlässiger kenne. Wir sind in gewissen Augenblicken so seelig, so trunken vom Gefühl unsers
Daseins daß wir die ganze Welt mit einem Blick übersehen mit einem Schritt überschreiten da
fühlen wir uns eine gewisse Größe unmögliche Dinge in einem ganz leichten Roman zu kombiniren
wie meine Reise nach Gotha war. #<!-- Was bedeutet#? --> Nehmen Sie das Projekt für ein Zeichen meines Vergnügens in
Ihrer Gesellschaft an wie ich Ihr Versprechen mir aufs geschwindeste zu schreiben dessen Erfüllung
und die Nachrichten von Ihrer fürtrefflichen Schwester mir nun ein unvermutetes Geschenk sind
wofür ich sehr danke obwohl etwas spät. Was aber langsam kommt kommt gut und mein Dank ist
aufrichtig. Ich habe alle Ihre Aufträge ausgerichtet und von alle den Herrn viel Gegenkomplimente
zu versichern. Gerhardi ist Rath worden bei den Prinzen von Hessen die er itzt hofmeistert.
Ich hab ihn seit unsrer guten letzten Zusammenkunft nur einmal gesehen und von beyden Seiten
sehr zerstreut. Ich gehe <page index="2"/> so meinen Gang fort über Stock und Stein und bekümmere mich
eigentlich nur um die Leute deren Herz und Geschmack sich mit meinem berühren kann. So waren
Sie mir recht was Sie mir auch übern Menoza schreiben können, den ich selber eine übereilte Comödie
zu nennen pflege. Mein Theater ist wie ich Ihnen sage unter freyem Himmel vor der ganzen deutschen
Nation, in der mir die untern Stände mit den obern gleich gelten die <aq>pedites</aq> wie die <aq>equites</aq>
ehrenwürdig sind. Findt sich niemand in meinen Stücken wieder so bedaure ich Oel und Mühe ob sie
übrigens spielbar sind bekümmert mich nicht, so hoch ich ein spielbares Stück schätze wenn es gut
gerathen ist. Sich nächst an die Natur hält und doch Herz und Auge fesselt. Neugier auf einen Grad
der Leidenschaft zu treiben weiß und doch durch Befriedigung derselben mich nicht unlustig macht,
weil ich sie möglich und wahr finde. Das letzte könnte Thema zu einer Kritik meines Menoza geben
und ich danke Hn. Wieland für einige Winke in der seinigen. Wiewohl er hoffe ich bei der nächsten
Auflage das zu harte: <ul>„Mischspiel“</ul> zurücknehmen wird. Ich hatte bloß versäumt einige Erzehlungen
deutlicher zu machen die <ul>das Ganze</ul> in ein besseres Licht stellen
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">
<line tab="1"/># Der Kurländer sitzt schon lang unter seinen Hausgöttern und ist auf dem Wege gestorben und
wieder auferstanden. Ich war wirklich auf den Punkt ihn zu begleiten, aber all meine Anstalten
wurden zu Wasser. Doch trag ich mich immer noch mit einer Ausschweiffung nach Deutschland.
Warum haben Sie mir denn nichts von Ihnen zukommen lassen? Das Versprechen hätten Sie doch
halten sollen. Sie wissen wie es uns armen Poeten geht, die die Bücher lesen wie Vögel unter dem
Himmel ein Korn finden. Ich habe noch keins von Ihren Stücken in die Hände bekommen Von der
Seilerschen Gesellschaft verseh ich mir sehr viel Gutes Gott weiß wenn ich <aq>exul</aq> wieder einmal
deutsches Schauspiel zu sehn bekomme</sidenote>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Grüßen Sie mir Ihre verehrungswürdige Schwester und den lieben Doktor. Wenn Sie aber nach Lyon
schreiben, oder Himmel führe Ihre Hand alsdenn, meiner im besten zu gedenken. Kann ich nicht
erfahren wenn sie zurückkommen. Lieber Freund! wären doch alle Oerter in der Welt so nah bey
einander als in Shakespears Stücken! Lion, Strasburg, Gotha ich denk, ich erwarte Sie alle.</sidenote>
<sidenote page="2" annotation="am oberen Rand, spiegelverkehrt">
<line tab="1"/>Was sagen Sie zu all dem Gelärms übern Werther? Ist das erhört einen Roman wie eine Predigt zu
beurtheilen. O Deutschland mit deinem Geschmack!</sidenote></letterText>
<letterText letter="50">Straßburg, d. 20. May, 1775. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie sind vielleicht schon jezt auf der Reise, deren Sie in dem Briefe an Göthe Erwähnung thaten.
Nehmen Sie dahin meinen Dank mit, (wenn anders der Dank eines Menschen wie ich, Sie erwärmen
kann,) für den braven Mylord <ul>Allen;</ul> ein Portrait, das ich in meiner Gallerie hoch anstelle. Er hat
Erdbeben in meinen Empfindungen gemacht. Lassen Sie sich das neue linke Wort nicht verdrießen;
ich rede einmal so, wenn ich mich nicht zwingen mag. Und gegen Sie zwinge ich mich nicht eher, als
bis Sie mir dazu winken. Darf man mit Personen, die außer unserm Stande sind, nicht reden, wies
einem ums Herz ist, sage ich immer. Wie traurig wäre ihr Loos dann? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Göthe bey Ihnen ist, so möcht ich eine Viertelstunde zuhorchen. Warum lassen Sie ihn denn
so viel Operetten machen? Freilich kann mein kaltes Vaterland großen Antheil daran haben, daß ich
mehr für das Bildende als Tönende der Dichtkunst bin. Doch kann ich auch weinen bei gewissen Arien
die mir ans Herz greifen, und verloren bin ich, (wenigstens in jeder Gesellschaft von gutem Ton,)
wenn sie gerad die Stimmung meiner Situation treffen. Wenn Sie denn doch seine Muse seyn wollen,
so verführen Sie ihn in ein <ul>großes</ul> Opernhaus, wo er wenigstens <ul>Platz</ul> für seine Talente finden
könnte, wenn man es erst von <ul>Metastasios</ul> Spinneweben rein ausgefegt hätte. Nur weiß ich nicht,
wie Göthe übers Herz bringen sollte, Helden anders als im Rezitativ singen zu lassen; oder die
Arien müßten von einer Art seyn, wie ich sie mir nicht zu denken im Stande bin. Ich schreibe
<ul>Ihnen</ul> das, weil er <ul>mir</ul> ganz stille schweigt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was mir wieder einmal eine Zeile von Ihrer Hand seyn würde das darf ich Ihnen doch nicht erst
sagen. Aber nur, wenn es Niemand, Niemand Eintrag thut. Ich will gern hinten an stehen. <line type="empty"/></letterText>
<letterText letter="51"><line tab="1"/>Hier hast Du die Seele m: Seele die immer geheime Triebfeder alles deßen was gut u: wirksam an
mir ist ohne die ich als ein kalter toter Klumpe dahinfallen würde, der nur die Erde zu beschweren nicht aber
zu beglüken im Stande ist, mit der ich, wenn ich eine Weile lieber Flamman so weit ich reichen kann ausgebreitet
vor ihr gern als ausgebrante Asche hinsinken will, glüklich genug m: Zeitraum hindurch von ihr erwärmt worden zu
seyn. Sie kann mehrere so Erwärmte so begeistert haben, aber niemand mit der ungetheilten Empfindung als mich.
Ich kenne auf der Welt nichts Schöneres als Sie, ein Gedanke an ihr ist mir Belohnung, der ich nichts auf der Welt
zu vergleichen weiß. Und so gehen alle meine Arbeiten so ruhig so heiter, so frey von andern Leidenschaften, u:
doch so munter u: voll der großen Hoffnung irgend einmahl ihren Beyfall zu erhalten Ach L.! wie glücklich! wenn
der Zustand dauern könnte. Wenigstens will ich mich durch meine Handlungen auch des Vorzugs würdig machen, sie
geliebt zu haben u: ihr nicht Ursache geben darüber zu erröthen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Doch wenn Du nicht m: Unglück willst, schweige, sie ist in einer Lage u: unter Menschen, wo diese
Gedanken selber zu denen sie weiter nicht die geringste Gelegenheit gegeben, aber dadurch daß sie so
vollkommen ist, ihr zum äußersten Nachtheil ausgelegt werden würde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mit allen Talenten geschmükt die das weibliche Herz nur bilden können, sie spricht 5. Sprachen, auch
das Latein sie macht zeichnet als eine Meisterin, sie spielt den Flügel treflich, sie tanzt, reitet jetzt
sogar u: hat täglich alle ihre Sunden so eingetheilt daß keine Minute unangewendet bleibt. Und diese tiefe
Empfindung von Religion von Familien Banden von freundschaftlichen Verhältnißen selbst fast zu
partheyische Vaterlandsliebe. Ich werde Dir einmal einige ihrer Brfe lesen die ich erbeütet habe (ich habe m:
Freundin einige durch besondere Wege gestolen) sie schreibt gern u: immer aus Bedürfniß sich mitzutheilen,
nie aus kalt erschriebner Höflichkeit oder eigennuzer Veranlaßungen ehe sie m: Namen wußte u: die zuerst m: ganze Seele ausgespannt ein solches Frauenzimmer von Angesicht zu
sehen. Mehr als 4 Wochen habe ich eine andere überall für sie angesehen, weil ich nicht Gelegenheit hatte in
ihre Gesellschaft zu kommen. So wenig war es körperlicher Reiz allein der mich feßelte, hätte sie in der Marke
einer Olinde gestekt, ich würde sie verehrt haben. Wie sehr wünsche ich Du kämest nach Strasburg u: hättest
Gelegenheit wie sie Dir denn nicht fehlen kann sie zu sehen u: zu sprechen. Eben höre ich daß Göethe nach
Italien gereist sey, für die Wahrheit dieses Gerüchs kann ich nicht stehen. Seye daran was es wolle, was er
thut ist mir immer recht, ich erwarte nächstens schriftliche Nachrichten davon Viel u: mancherley Weh ruht
an diesem Herzen</letterText>
<letterText letter="52"><note>Königs Brief vom 14. Juni 1775 enthält folgende Notiz</note>
<hand ref="15"><line tab="1"/>Lentz hat mir auch geschrieben; die Achtung von Herder u seiner Frau rührt ihn gar sehr, er sagt mir
„ich bitte sie sagen Sie doch der theuren Herderin viel Gutes von mir, u welche Aufmunterung u
Erquickung mir ihr Beyfall ist. ich wünschte ich kennete ihren Geschmack u könnte für sie allein
ein Stück schreiben, sie sollte mir so viel werth seyn als das ganze Publicum. sagen Sie ihr ich
habe eine Lucretia geschrieben, vieleicht daß Götte sie drucken läßt, sie möge alsdann auf die
Sceenen acht haben in welchen Flavia vorkommt, u mir ihre Meinung drüber wissen lassen. ihr Gefühl
allein soll mir der Probierstein all der weiblichen Characktere sein die ich mir vorzüglich geglückt
glaube“</hand></letterText>
<letterText letter="53"><line tab="1"/> So führen Sie mich denn! Und da es einmal so weit gekommen ist, so muß ich Sie bitten, Sie
mögen an mir Beobachtungen und Entdeckungen machen, welche Sie wollen; entziehen Sie mir Ihre
Freundschaft nicht! Ich nehme das Wort in der strengsten, eigentlichstell Bedeutung; nichts mehr,
aber auch nichts weniger ist mein Herz stolz genug von Ihnen zu verlangen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ein gewisser Leichtsinn, der oft nah an Unbesonnenheit grenzt, ist eine Gabe, die die Natur für gut
befunden hat mir besonders aufzuheben. Welchen Wert die hat, kann ich noch nicht bestimmen,
aber mir ist sie bisher oft unentbehrliche Wohltat gewesen. Ich lege mich immer zu Bett, als ob
ich den andern Morgen nicht aufstehen würde, und jedes Schicksal ist mir gleich. Sagen Sie mir,
könnten Sie die Freundin eines solchen Menschen seyn? So viel muß ich Ihnen dabey sagen, daß mir
andre Menschen, deren Wert ich erkannt habe, heilig sind. Mag auch das Leben noch so barocke Szenen
mir vorbehalten, und überhaupt das Schicksal über mich ergehen lassen, was es wolle, diese angenehme
Sensationen, und die Erinnerung derselben, kann es mir doch nicht nehmen, und das ist meine Genügsamkeit.<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich muß mich doch auch ein wenig ausstreichen; was meynen Sie? Damit Sie wissen, was Sie von
meinen Urteilen zu halten haben. So muß ich Ihnen denn sagen, daß ich nicht der einzige bin, der
Erkundigungen nach Ihnen macht; vielleicht nicht alle aus dem Motiv; indessen wer kann Motive beurtheilen.
Die Erscheinung einer Dame von Ihrem Range auf dem Pamaß, (die so viele andre Sachen zu thun hat,) mußte
jedermann aufmerksam machen. Mich ärgerte nichts mehr, als Gott weiß, daß ich die Warheit sage, als die
dummen Noten, die mich allemal bey den seligsten Stellen in meinem Gefühle unterbrachen, gerad als wenn einem
kalt Wasser aufgeschüttet wird. Gleich fühlte ich, daß in den Noten die Verfasserin nicht war; einige dunkle
Klätschereyen sausten mir um die Ohren, Sie hätten dem Umgange mit Wieland vieles zu danken; ich muß Ihnen aber
zur Beruhigung sagen, daß alle diese Nachrichten von Frauenzimmern kamen, bey denen ich die Quelle leicht
entdeckte. Verzeihen Sie mir! Auf den Punkt ist ein kleiner Neid auch manchmal bey edlen Personen Ihres
Geschlechts sehr natürlich, und mir also gar nicht einmal auffallend; nur ärgerte michs, daß ich Niemand
von meinem Geschlecht hörte, der gesunden Menschenverstand oder Edelmuth genug gehabt hätte, im Gegenteil zu
behaupten: Wieland müsse Ihrem Umgange alles alles vielleicht zu danken haben, was ihn schätzbar macht.
Ich sagte noch neulich, (und das rechne ich mir nicht zum Verdienst an) einer Frau von Stande, die auch mit
dem zweideutigen Tone von Ihrer Sternheim sprach: „Wieland könnte wohl viel Antheil daran haben“ sehr trocken,
(ohne damals die geringste Nachricht zu haben,) ich hielte W. nimmermehr für fähig, in seinem ganzen Leben so
feine moralische Schattierungen zu mahlen; In der That muß es jedem nur halb gesunden Auge auffallen, daß sein
Pinsel viel zu grob dazu ist. Noch habe ich in einem Frauenzimmer-Briefe, (wo mit außerordentlichen Lobe von
Ihrem äußern Betragen gesprochen wird) die seltsame Bemerkung gelesen, Wieland könne Sie wohl bey seiner
Musarion in Gedanken gehabt haben. Das wußt ich wohl, daß er Ihnen unter dem Namen Danae, die Grazien
dedizirt hatte. Mit allen dem hätten Sie von einem ganz andem Pinsel gemahlt werden sollen, wenn er Reitze
der Seele zu malen verstanden hätte. Ein Rousseau O geben Sie mir doch Schlüssel zum Verborgenen! Wie
hat Wieland Sie kennen gelernt? Und war seine Empfindsamkeit für Sie mehr Prahlerey, als innere Rührung?
Ich habe bisweilen wunderliche Ideen im Kopf, und bin nicht umsonst so aufdringend, so neugierig. Bedenken
Sie, daß auch ich älter werden kann, und daß der Wunsch jeder gut meinenden Seele Erhörung verdient, in den
Standpunkt gesetzt zu werden, hochgeschätzte Personen in ihrem <ul>wahren</ul> Lichte zu sehen. Auf meine
Verschwiegenheit können Sie zählen; wenigstens <ul>die</ul> Tugend hat mich meine Situation gelehrt, da ich als
Vertrauter junger Herren gereiset, und vier Jahre mich bloß dadurch bey ihnen erhalten habe. Ich habe keine
Maitresse, und keine Ergießungen des Herzens als vor Gott. Bisweilen auch an dem Busen meines Göthe, der nun
freilich viel von mir weiß. Was könnt ich nicht in dem Fall! Rosalia! Erlauben Sie mir diesen Namen!
Seyn Sie so gütig, und fahren fort. Ach welchen Tag, welche Sonne Sie in diesem
Herzen ausbreiten. Rosalia!</letterText>
<letterText letter="54"><!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="55">Strass. d. 13t julii 75 <line type="empty"/>
<hand ref="15"><note>Königs Hand</note>
<line tab="1"/>Eben komme ich von Buchsweiler zurück. desswegen eine so späte Antwort auf Ihr liebes herrliches
Briefehen ja wohl Briefchen! aber liegt nicht Dein gantzes, liebendes Herz darinne dies ersetzt mir
alles meine ganze Seele umfaßt Dich dafür, u. seegnet laut Amen Amen! ich habe Freunde in Buchs.
verlassen den würdigen Rathsemhausen verlassen, ländliche Freuden u doch ist mir wohl daß ich
hier bin ich bin in, <it>meinem Eigenthum</it>. diess geht mir über alles Raths. will ich soll ihn in Ihr
Andenken zurückrufen, es ist ihm kostbar, er verehrt Sie, dann er kennt Ihren ganzen Wert er hat es
mir oft wiederholt ihn nicht bei Ihnen zu vergessen dieser liebe Mann! warum kann ich nicht immer
um ihn leben! so einen Mann u ich heurate noch unsre Rehfeldin ist noch immer das muntre
schwindliche Weib, aber dabei redlich u gut ich habe ihr die Stelle aus Ihrem Brief für sie
gelesen u es hat ihr wohl gethan sie wollte mir einen Brief für Sie mitgeben, aber unter den
Freuden u Herrlichkeiten des Lebens, vergass sie ihn. unsre beyden jüngern Printzen waren da,
die haben alles froh gemacht hat Ihnen unsre Hessin die Stelle aus Lentzens Brief an mich, ausgeschrieben?
hier ist noch einmahl „ich bitte sie sagen Sie doch der theuren Herderin viel Gutes von mir, u welche
Aufmunterung u Erquickung mir ihr Beyfall ist. ich wünschte ich kennete ihren Geschmack u könnte für sie
allein ein Stück schreiben, sie sollte mir so viel werth seyn als das ganze Publicum. sagen Sie ihr ich
habe eine Lucretia geschrieben, vieleicht daß Götte sie drucken läßt, sie möge alsdann auf die Sceenen acht
haben in welchen Flavia vorkommt, u mir ihre Meinung drüber wissen lassen. ihr Gefühl allein soll mir der
Probierstein all der weiblichen Characktere sein die ich mir vorzüglich geglückt glaube“ u dencken Sie
diessen neuen lieben Freund verliehre ich vielleicht bald u auf lange hier fühle ich mich wieder in der
Welt, ob ich schon in Augenblicken von oben herunter auf sie blicke ich soll eine Fürbitte bey Ihnen für
ihn einlegen Eurer beyden Schattenriß soll ihm Stärkung Trost u Freude auf seiner langen Reise seyn
wären sie auch nur halb gut er will das übrige hinzusetzen u glücklich dabey seyn doch hier kommt er
selbst, zu bitten zu flehen ich will ihm noch einmahl die Conditionen weisen unter welchen er sie haben
soll aber dafür will <it>ich</it> davon frey sein selbst mein Gesicht das <it>Sie kennen,</it> sagt Ihnen warum u dazu
habe ich es unsrer Fridericke abgeschlagen, sie hat die Ursachen gebilligt, sie mag sie Ihnen sagen
kriechet immer mit Eurem Buben auf Teppichen herum da wo Agesilaus unter seinen Kindern auf einem
Steckenpferde herum reitet, ist er mir am grössten
Luise. <line type="empty"/>
Das Geld ist ganz recht, noch rechter daß <it>Sie</it> mit mir zufrieden sind. <line type="empty"/></hand>
<note>Lenz Hand</note>
<line tab="1"/>Ich bin itzt ganz glücklich da ich das beste Paar unter der alles anschauenden Sonne auch das
glücklichste weiss. Die Freude die aus Ihrem ganzen Briefe athmet würdigste Sterbliche! und die
selbst mehr Tugend als Genuss ist, hat auch mein Herz das ihr nun lange schon verschlossen schien,
wieder erfüllt und erwärmet. Gönnen Sie mir Ihr und Ihres Mannes und Ihres Kindes Gesichter. Wenn kein
unsichtbarer Zug dem Maler die Hand führen sollte, so schicken Sie mir sie auch halb ähnlich, ich hoffe
noch so viel Imagination übrig zu haben, aus dem was ich von Ihnen gelesen und gesehen mir das übrige zu
ergänzen. Sagen Sie Ihrem Mann, er soll mich wenn ich weit bin, unter seine Kinder aufnehmen und manchmal
einen freundlichen Wunsch für mich thun. Ich kann nicht mehr schreiben, Goethe ist bey mir und wartet
mein schon eine halbe Stunde auf dem hohen Münsterthurm. <line type="empty"/>
Lenz.</letterText>
<letterText letter="56"><note>Katalogstext</note>
<line tab="1"/>Lenz empfiehlt Lindau die Nachbarschaft Lavaters auszunutzen, er erwähnt Goethe u. Schlosser,
Goethes Schwager, die grüßen lassen, u. spricht von einer weiten Reise, die er vielleicht Ende des
Winters vornehmen wird. <line type="empty"/>
<note>Nachschrift Lavaters</note><hand ref="10">
<line tab="1"/>Zwei Dinge sind unter der Sonne, die du zu meiden hast allzustille Einsamkeit u.
allzulautes Geräusch dass du in jener nicht dich selbst, in anderer nicht andre versehrest. d. 29. Jul. 75.</hand></letterText>
<letterText letter="57"><line tab="1"/> Ich sage immer: die größte Unvollkommenheit auf unsrer Welt ist, daß Liebe und Liebe sich so oft
verfehlt, und nach unsrer physischen, moralischen und politischen Einrichtung, sich fast immer
verfehlen muß. Dahin sollten alle vereinigte Kräfte streben, die Hindernisse wegzuriegeln; aber leider
ists unmöglich. Wer nur eines jeden Menschen Gesichtspunkt finden könnte; seinen moralischen Thermometer;
sein Eigenes; sein Nachgemachtes; sein Herz. Wer den Augenblick haschen könnte, wo sich seine Seele mit der andern
zu vereinigen strebt. Wer seine ganze Relation von seinem Character absondern, und unterscheiden könnte, was er
zu seyn gezwungen ist, und was er ist. Stille, Stille gehört dazu; stille, heitre, ruhige, göttlichertragende
Beobachtung. Rosalia! In jeder Gesellschaft zieht nichts mein Aug auf sich, als Sie, wenn Sie einem andern
zuhören, und etwas aus ihm heraus zu schweigen suchen. Fahren Sie so fort, meine liebe Gnädige; es wird Ihnen
immer wohler dabei werden. Aufzumuntern ist eine göttliche Eigenschaft, und was muntert mehr auf, als
Aufmerksamkeit hochachtungswürdiger Personen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre deutsche Diction bewundre ich. Personen aus Ihrer Sphäre, (das will noch ganz etwas anders
sagen, als: von Ihrem Stand) sollten doch unsrer treuen Muttersprache die Hand bieten. Wär es auch
nur, um einen gewissen Ton in unsre Gesellschaft zu bringen, wo deutsch-französisch Geplauder mit
rätselhaften Kränzchen-Witz abwechseln, und so mancher ehrliche Fremde auf der Folter liegt, welches einen
am Ende ganz und gar mistrauisch in seinen eigenen Verstand machen kann. Ich häre eine Deutsche mit
Vergnügen fremde Sprachen wie ihre eigene reden und schreiben; aber Schriftstellerin darin zu werden, ist
doch zu viel Herablassung. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Werden Sie nicht glauben, ich höre mich gern, daß ich so viel rede? Ach freilich, so ist es! Mit
gewissen Personen fühlt man sich so offen, besonders wenn es selten kömmt. Wenigstens lernen Sie
nun auch mich ertragen, der freilich es selbst wohl fühlt, wie sehr er nicht mit Wieland allein, (denn
das würde mir Ehre machen,) sondern mit hundert Tausend bessern Personen absticht. Bei allen dem
bin ich mir keiner Absichten bewußt, und das erhält mich. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihr Ausdruck: neuer Freund, soll mich lange, lange durch heiße Sandwüsten begleiten und erfrischen,
denn ich sehe deren vor mir. Ich will niemals fodern; aber ich bitte Sie, ach! gnädige Frau, sagen Sie
mir Ihre ganze Meinung; aber ich werde mich niemals ändern. Modifiziren kann sich der nur, der nicht
von Jugend auf, wie ich, mit dem Kopf gegen die Wand gerennt ist. Aber sagen Sie mir alles; ich
beschwöre Sie. Ewig <line type="empty"/><line type="break"/>
Ihr Freund und Verehrer, <line type="empty"/>
M. R. <ul>Lenz.</ul></letterText>
<letterText letter="58">Den 22. Jul. 75 <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nun hast Du Zimmermann, und ich die Grafen von Stollberg genoßen. Zimmermann ich die andere
Woche. Dank für Deine Freude. Ich leb itzt im Taumel. Nachher die Ruhe herrlich. Ich sammle itzt
Kraft. Mehr physiognomische Bemerkungen! Lieber! Sie sind trefflich, die Du mir sandtest. auch 1
<it>schweizerliedchen!</it> <line type="empty"/>
Itzt mach ich ein Drama <it>Abraham</it> zurecht <line type="empty"/>
adieu <line type="break"/>
Lavater.</letterText>
<letterText letter="59"><line tab="1"/>Hier, Hierophant! in Deinen heiligen Händen das Stück, das mein halbes Dasein mitnimmt. Es ist wahr
und wird bleiben, mögen auch Jahrhunderte über meinen armen Schädel verachtungsvoll
fortschreiten. Amen. <line type="empty"/>
Den 23. Julius 1775.</letterText>
<letterText letter="60"><line tab="1"/><aq>Respectable pauvreté! Japprendrai par mon experience a ne jamais blesser vos caurs par des idees et
des termes insultants.</aq> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da wollt ich Sie haben, gnädige Frau! Hier leg ich Ihr Buch zu, und umarme Sie im Geist. Sehen Sie
da den ganzen Plan meines Lebens, meines Daseyns, meines Comödienschreibens, vielleicht einst
meines Todes. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ach, fürtrefliche Frau! So ist denn dieser Nerve des Gefühls bei Ihnen auch angeschlagen. Könnten
aber Personen von Ihrem Stande, Ihren Einsichten, Ihrem Herzen, sich jemals ganz in den
Gesichtskreis dieser Armen herabniedrigen, anschauend wie Gott erkennen, was ihnen Kummer, was
ihnen Freude scheint, und folglich <ul>ist,</ul> und ihren Kummer, der oft mit einer Handwendung eines
erleuchteten Wesens, wie der Stein von dem Grabe Christi weggewälzt werden könnte, auf die ihnen
eigenthümliche Art behandeln. Ach! das große Geheimniß, sich in viele Gesichtspunkte zu stellen, und
jeden Menschen mit seinen eigenen Augen ansehen zu können! Sie wären die erste Frau von Stande,
die das gefühlt hätte. Ich bitte Sie, lassen Sie mich Sie umarmen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie sollen einmal ein Stück von mir lesen: <ul>Die Soldaten.</ul> Überhaupt wird meine Bemühung dahin
gehen, die Stände darzustellen, wie sie sind; nicht, wie sie Personen aus einer höheren Sphäre sich
vorstellen, und den mitleidigen, gefühlvollen, wohlthätigen Gottesherzen unter diesen, neue
Aussichten und Laufbahnen für ihre Göttlichkeit zu eröffnen. Dazu gehört aber Zeit, und viel
Experimente. <ul>Menoza</ul> ist ein übereiltes Stück, an dem nichts als die Idee schätzbar ist. Das hier
beygelegte ist gleichfalls nur ein Gemählde aus meinem Leben heraus gehoben. Sie könnten mir
keinen höhern Beweiß Ihrer Freundschaft geben, als wenn Sie mir Ihr strengstes Urtheil darüber
zuschickten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie haben recht; Ihre Anmerkung über meine Stücke habe ich mir zuweilen selbst gemacht, und in
meinen künftigen sollen auch keine solche Schandthaten mehr vorkommen. Doch bitte ich Sie sehr, zu
bedenken, gnädige Frau! daß mein Publikum das ganze Volck ist; daß ich den Pöbel so wenig
ausschließen kann, als Personen von Geschmack und Erziehung, und daß der gemeine Mann mit der
Häßlichkeit feiner Regungen des Lasters, nicht so bekannt ist, sondern ihm anschaulich gemacht
werden muß, wo sie hinausführen. Auch sind dergleichen Sachen wirklich in der Natur; leider können
sie nur in der Vorstellung nicht gefallen, und sollens auch nicht. Ich will aber nichts, als
dem Verderbnis der Sitten entgegen arbeiten, das von den glänzenden zu den niedrigen Ständen hinab
schleicht, und wogegen diese die Hülfsmittel nicht haben können, als jene. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie sehen, warum ich Wieland als Menschen lieben, als komischen Dichter bewundern kann, aber als
Philosophen hasse, und ewig hassen muß. Er glaubt, den Menschen einen Dienst zu erweisen, wenn
er ihnen begreiflich macht, ihre Kräfte seyn keiner Erhöhung fähig. Und wer läßt sich das nicht gern
einbilden, und beharrt gern auf dem Sinnlichen, zu dem er die meiste Gravitation fühlt. Daß W. Sie lieben,
und doch so philosophiren konnte, bleibt mir, wie viele andre Dinge in seinem Character, noch immer
ein unauflösliches Räthsel, wenn ich nicht den Aufschluß in dem großen Motiv aller im Schwang
gehenden Autoren fände, daß er seine Rechnung dabei findet. Ich verdamme ihn deswegen nicht, ich
zittre nur vor der Gefahr, einst in dieselbe Schlinge zu fallen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Er liebte Sie in seinem siebenzehnten Jahre; O Wieland! daß du diese Eindrücke heilig gehalten
hättest, daß sie sich nie aus deinem Herzen und Imagination verwischt hätten. Freundschaft ist nicht
genug; er hätte Sie sein ganzes Leben durch lieben sollen, und er hätte die Tugend geliebt. Sie hätten
allen seinen Gemälden die hohe himmlische Grazie gegeben, die man izt an so vielen vermißt. Sagen Sie
mir, welche Bewandniß hat es mit seinem Agathon, und spielen Sie auch eine Rolle darin? Durch welche
wunderbare Mechanik in dem Kopfe des Dichters, ward Psyche so in den Schatten gestellt? Und ist Danae
dieselbe, der die Grazien gewidmet wurden? Er malt sie so vorteilhaft als möglich, und doch schlägt
jedes Herz für Psychen, so gern auch die Phantasey bey der Hauptfigur verweilet. Wie war seine erste
Liebe, und wo lernte er Sie kennen? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Verzeihen Sie meine Effronterie. Doch mein Herz straft mich, so bald ich mich darüber entschuldige.
Das aber verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen durch manche Ausdrücke meines letzten Briefes Ihr
Publicum wider meinen Willen verleumdet habe. Wölkchen hangen immer noch vor Ihnen, (wie es
denn auch so seyn muß, von Moses Zeiten an, dessen Angesicht das Volck nicht ertragen konnte);
aber ganz verkannt sind Sie doch auch nicht, besonders von denen, die Sie gesehen und gehört haben,
wie denn das sich auch leicht begreifen läßt. Überhaupt red ich auch nur einseitig, und der
Zirkel meiner Bekanntschaften ist immer eingeschränkt gewesen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre Erzehlung: die Gouvernante, ist ganz vortreflich, und gerad das Seltsame des Einfalls veranlaßt
die rührendsten Situationen. Ich liebe alle seltsame Einfalle; sie sind das Zeichen nicht gemeiner
Herzen. Wer in dem gebahnten Wege forttrabt, mit dem halte ichs keine Viertelstunde aus. Nur,
meine liebe gnädige Frau, wie kommen doch alle Ihre Heldinnen dazu, die heilige Sternheim ausgenommen,
sich immer nur auf Hörensagen zu verlieben. Es freut mich; aber sollte das wirklich ein Zug in dem
Character aller empfindsamen Damen seyn? Ich kann mirs freilich wohl denken: Ihre Phantasey erschafft
sich den Gegenstand sogleich in der glücklichsten, gefalligsten Gestalt. Aber sollte das allemal der
beste Weg seyn, und könnte er nicht manchmal sehr fehl führen? Wie wärs, wenn Sie einmal ein Exempel
von der Gegengattung dichteten, liebenswürdige Schwärmerin! (O Gott! ich kenne keine höhere Klasse
erschaffener Wesen!) auf allen Fall auch zu warnen, wenigstens vorsichtig zu machen. Denken Sie,
wenn ein Geschöpf wie Ihre Gouvernante, in die Klauen eines gewöhnlichen Officiers gefallen wäre
doch weg mit diesem Gedanken! Er zieht mich von der Sonne ins Meer hinab. <line type="empty"/></letterText>
<letterText letter="61"><line tab="1"/>Lavater! ich habe Dir einen Vorschlag. Du hast einen Buchhändler dem Du aufhelfen möchtest. Ich
habe ein Gedicht das mir am Herzen liegt, hier ist eine Probe davon. Ich möchte Deinem Buchhändler
das Gedicht schenken, wenn er mir sauberen Druck, sauberes Pappier und allenfalls ein Paar
gutgestochene Vignetten, die zum Text paßten und bey denen Du ihm mit Deinem Geschmack zu Rathe
giengest verspräche. Es wäre mir sehr viel dran gelegen das Gedicht noch vor meiner Abreise in fremde
Länder fertig zu sehen, um es jemanden überreichen lassen zu können, der sehr viel Antheil
daran nehmen wird. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Antworte mir bald mein würdiger Bruder! Ich hoffe und wünsche mein Brief werde Dich an keinem
Geschäft unterbrechen. In die Iris ist nun der Anfang gemacht worden meine Uebersetzung von
Ossianen einzurücken <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe nach Liefland geschrieben, Dir Subskribenten zur Physiognomik anzuwerben. Ich hoffe es
geht. Mit Gott. Sollte ich einst fort seyn, erkundige Dich nur bey Röderern
<align pos="right">L </align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Laß das Blatt Gedicht nicht aus Deinen Händen kommen. Wie schmeckt Dir die Ruh auf den Lorbeern!</sidenote></letterText>
<letterText letter="62"><align pos="right">D. 29sten Julius</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Schreibe Lavater! Fridrich Stollbergen, daß ich mich freue ihn von Angesicht kennen gelernt zu haben
und mir wohl seine Silhouette wünschte. Nenn ihn deutschen Alcäus in meinem Namen, biet ihm
Deine Hand. Sag ihm daß eine deutsche Seele ihn empfunden hat, die zwar im Verlöschen ist, aber
doch in sich fühlt daß auch sie Glanz und Wärme hatte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich ein Schweitzerlied und ist dies nicht genug an diesem Theurer! Und wenn Du diese Foderung
thun wolltest, sie ar: mir? einem verunglückten Komödienschreiber. Laß den bittern Spott weg. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich dank danke Dir für die Silhouette, sie hätte mir nicht gelegner kommen können. Schicke mir Dich
und Deine Frau noch einmal. Vielleicht verreise ich gegen den Winter. <line type="empty"/>
<note>am linken Rand, vertikal</note>
Danke auch Kaysern für seine Freundschaft. Ich habe nichts von seinen Musikalien gesehen. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Weil Dus so haben willst, so heft ich einige meiner Phys. <ul>Beobachtungen</ul> an. Weise aber ich bitte Dich
diesen Brief niemanden. Es würde sonst über den Lacher allenfalls gelacht werden, und dazu ist es
ihm zu weh ums Herz. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Behalt mich in Deiner Liebe oder Freundschaft oder Mitleiden wie Dus nennen willst. Noch einmal,
es ist Rede eines Sterbenden: Deine Physiognomik ist das Werk Deiner Werke und, der Zweck, auf
den Du losgehst der, den nur die erhabenste Seele sich vorsetzen konnte. Du weißt es vielleicht selbst
so nicht. <line type="empty"/>
Auch das kann ich Gottlob noch fühlen. Nochmalen Dank für Goethens Silhouette Und nun leb wohl.
<align pos="right">Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="63">Straßburg, d. 31.Juli 1775. <line type="empty"/>
<line tab="1"/> Wenn ich mich recht erforscht habe, so ist der höchste Wunsch unseres Geschlechts bey dem
Ihrigen auf eine <ul>schmeichelhafte</ul> Art geliebt zu sein; vielleicht ist der höchste Wunsch des Ihrigen bei
unserm, auf eine vorzüglich edle Art geschätzt zu werden <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ganz inwendige Thränen muß ich Ihnen über Ihren 37sten Brief schreiben, der die andern alle
verschlingt. Das Höchste und Beste, was eine weibliche Hand jemals nieder geschrieben hat. Ja,
meine Mutter! Die Männer wollen nicht geliebt, nur geschmeichelt seyn. Die größesten sind für die
Besten Ihres Geschlechts verloren, und das kämmt, weil sie das schöne Gebiet des moralischen
Kreises zu durchwandern verachten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>So wollustvoll mir der 27ste, so unterrichtend war mir der 25ste, der mit dem 26sten das Kleeblatt
ausmacht, das ich aus diesem Blumenstrauße vorzüglich an mein Herz drücke. Welch ein Licht wirft er
auf Ihr Bild, erhabene Seele! Ja! sollten Sie mich hassen, so würde mir Ihr Haß werter sein, als die
Liebe einer andern Frau. <line type="empty"/>
<line tab="1"/> welcher Simplicität da eine Wahrheit in die Welt hineingewälzt ist, die so lange dauren wird, als
die Welt steht. In dem ganzen Briefe ist mehr Weißheit und tiefe Weltkenntniß, als in hundert
Alphabeten, die ein Wieland geschrieben hat, und schreiben könnte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der hat eine vortrefliche Advocatin an Ihnen und ich wünschte, ich könnte mich nun wieder mit ihm
aussöhnen, obschon von seiner Seite dazu nun wohl keine Wahrscheinlichkeit mehr seyn möchte,
nachdem ich <ul>öffentlich</ul> sehr polternd mit ihm gebrochen. Wie gesagt; er soll uns nicht Philosoph und
Lehrer des menschlichen Geschlechts seyn wollen, und seine Sachen für das geben, was sie sind. Die
Ursache, die Sie angeben, von dem Wege, den er genommen, macht mir ihn auf dieser Seite von neuem
liebenswürdig, und vom Himmel herab kann nichts anders zu seiner Vertheidigung gesagt werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Warum gehen Sie denn so freundlich mit mir um, da ich in Ihrem Briefe, mit der gefaßtesten Seele,
nichts als den strengsten mütterlichen Tadel über mein Stück erwartete? Wie? Sie Ihren Einsichten
nicht trauen? Oder wollten Sie vielleicht, so auf eine höchst feine Art, das wieder zurück nehmen,
was Sie mir zur Aufmunterung sagten, und das in der That mir für mein ganzes Leben neuen Schwung
gegeben hat. O! Sie, im allereigensten Verstande, meine Mutter! Lassen Sie mich nun auch Ihre
mütterliche Züchtigung erfahren! Ich keime den Zirkel der feinem Welt noch nicht so genau, oder
vielmehr, ich habe meine Achtsamkeit noch nicht so anhaltend auf denselben gewendet. Ihrem zarten
und feinem Gefühl muß manches in meinen Stücken hart, unanständig und ungezogen auffallen. Das
war es, was ich von Ihnen zu meiner künftigen Besserung zu erfahren wünschte; denn an meinen
einmal geschriebenen Stükken feile ich nie. Ich habe es einmal thun wollen, es hätte mich aber
fast das Leben gekostet, und Göthe ist auch da mein Retter gewesen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dürfte ich Sie um Ihre Gouvernante Deutsch bitten, da Ihr deutscher Styl so unzählige Grazien hat
was auch der mir <ul>darum</ul> so verhaßte Wieland in seinen Vorreden darüber deraisonnirt. Sie können
das Feine und doch dabei so Simple, (das eigentlich das wahre Erhabene macht,) in Ihrem deutschen
Styl so wenig selber sehen, als Ihr Gesicht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe mit Göthen Göttertage genossen, von denen sich nichts erzählen läßt. Sie werden ihn,
meyne ich, nun bald sprechen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Um Wielands willen bitte ich Sie auf meinen Knieen, sagen Sie mir alles, was zwischen ihm und Ihnen
jemals vorgefallen ist. Ich möchte dem Mann nicht Unrecht tun, und wenn ich ihn zu hart gestoßen
habe, und er eher Mitleiden verdient, ihm gern wieder Genugthuung geben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>N. S. Ich habe Ihren Brief erhalten, gnädige Frau. Ja! ich gehe nach Italien. Diesen Winter werde ich
wohl in Genf zubringen, um mich zu dem großen Fluge anzuschicken. Wenn ich in der Schweiz die
Berge, in Italien die Statuen, in Holland die Festungen, in Frankreich Rousseau, in Engelland das
Theater werde gesehen haben, so komm ich zurück zu Ihren Füßen; Sie, meine Muse, sollen mich auf
neue Bahnen leiten. O die Ruhe dann! Götteraussichten, wie kräftig durchströmen, erfrischen Sie mich.
Wie? Sie wünschen mir eine Geliebte? Welche Güthe der Seele ließ Sie gerade den Wunsch thun. O daß
die Ihr Bild trüge obschon ich Sie beide nicht kenne. Nach Ihrer beider Briefen zu urtheilen,
muß eine wunderbare Übereinstimmung in Ihrer ganzen Art zu denken, zu leben, und die Sachen
anzusehen seyn. Eine Gnade! Fragen Sie nie nach ihrem Namen; auch Göthen nicht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihr Bild, gnädige Frau! Hintergangene Hoffnung ist das größte Unglück. Und wer kann wissen, ob ich
lebendig wieder komme.</letterText>
<letterText letter="64">D 28sten August
<line tab="1"/>Herder und es ward das Wort des Herrn zu mir es ist Herder Kein Mensch hat mir, Vater! etwas
Deiner Geschichte erzehlt gehabt itzt sieh in die Wolken aber Dich Dich ich schwörs bey dem der
oben herrscht, hab ich immer im Busen gehabt dabey wenn Herder lieben sollte, freyen sollte
müßts ihm so seyn. Und wie heilig wäre mir die Scene mit dem Baum wenn die Wünschelruthe des
Dichters historische Wahrheit entblößt haben sollte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nimm hier meinen Dank. Am meisten für <ul>die Belehrungen</ul>. Ach ich bin in einer fürchterlichen grausen
Einöde lange gewesen. Kein Laut überall edler Empfindung, die aus dem Herzen kommt, die nicht
Wiederhall ist. Und mit den Guten, die ich immer die Grossen nenne, durft ich mich noch nicht
anbinden. Kann auch, wenn das Gefühl meines Unwerths mich nun verliesse, nach meinem Beruf
nicht. Das wirst Du wohl einsehn grosser göttlicher der Männer. Ich webe und wühle unter den
elenden Hunden um was aus ihnen zu machen. Daß Aristophanes Seele nicht vergeblich in mich
gefahren sey, der ein Schwein und doch bieder war. Du sollst auch die erste <page index="2"/> Abschrift <ul>meiner</ul>
Wolken bekommen, über welche sich wohl das Blatt umkehren und ich von Sokrates vergiftet werden könnte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Du hast meine Soldaten, ein Wörtlein Deines Gefühls darüber, zur Stärkung auf der langen
dreyjährigen einsamen Reise, die ich mit einem Juden machen werde. Das ist nach dem strengsten
Verstande wahrer Geschichte in den innersten Tieffen meiner Seele aufempfunden und geweissagt.
Aber so hoffe ich maskiert, daß das Urbild selber, (das nun kein Herder ist ) sich nimmer wieder
darin erkennen wird <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was für Sümpfe habe ich noch zu durchwaten. <insertion pos="left">Wenn wird</insertion> Wenn wird die Zeit kommen da ich Dich
von Angesicht sehen werde Herr der Herrlichkeit in Deinen Erwählten. Ach so lange ausgeschlossen
unstet, einsam und unruhvoll. Den ausgestrekten Armen grauer Eltern all meinen lieben
geschwistern entrissen. Meinen <page index="3"/> edelsten Freunden ein Rätzel mir selbst ein Exempel der
Gerichte Gottes, der nie unrecht richtet und selbst wenn er züchtigt, mir einen Heraufblick zu
ihm erlaubt. Das hatte ich um Sokrates verdient. Bedaure mich Herder und liebe mich <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie kann ich Dich loslassen? Du der mir zum Trost in diese Einsamkeit herabgesandt worden, mir ein
paar Tropfen himmlischer Stärkung zu geben. Schick mir Dein Gesicht Deiner Frauen Gesicht Ach
wie ich meinen Menoza aus dem Innersten meines Schranks wieder hervorlangte und Gott dankte
denn ich war mutloß daß ich ihn geschrieben und er nicht erkannt worden war. Auch Fromme wenden
ihr Antlitz von mir dacht ich <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich verabscheue die Scene nach der Hochzeitsnacht. Wie konnt ich Schwein sie auch mahlen. Ich der
stinkende Athem des Volks, der sich nie in eure Sphäre der Herrlichkeit zu erheben wagen darf.
Doch soll mirs ein Wink seyn. O ja auch ich werde mein Haupt aufheben. Daß Du im Coriolan eben
die Scene aufnimmst, die ich gestern der Königin übersetzt, über die ich seit drey Tagen brüte. <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<line tab="1"/>Es ist als ob Coriolan bey jedem Wort daß er wieders Volk sagte, auf mich schimpfte und doch kann
ich ihn ganz fühlen und all seinen Grundsätzen entgegen handeln. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><aq>worthy voices</aq> das Wort des Herrn das höchste Ziel alles meines Strebens ach <aq>worthy voices</aq> und
es waren doch Philister, aber der Gott hatte sie gezwungen. Sieh das, das mein Herder <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Laßt mich an euren Busen sinken, erste der Menschen, laßt mich von eurem Ambrosia schlürfen ach
sehn sehn eine Scene der Liebe wie sie mein Geist nicht ahnden konnte denn er hatte noch kein
Vorbild gesehn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Jetzt ahnd ich sie besser aber schweige schweige bis zur grossen ehrenvollen Zeit da ich reden
werde zum Volk von den Edlen die unter ihm wandeln, die sein todtes Auge nicht sehen kann. Da ich
in ein himmlisches Band sie ziehn und ihm darstellen stille. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Niemanden was davon. Ich muß Dich und Dein Weib einmal sehn. O ich hab all ihre Briefe an ihre
Freundinn aufgehascht. Welche Jagd! Gott mache mich der Offenbarungen würdig. <line type="empty"/>
Ich werde nicht sterben sondern leben und des Herrn Werk verkündigen <line type="empty"/>
<align pos="right">J M R Lenz</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">
Ich befehle Dir den ich anbethe daß Du mir Dein und Deiner Frau und Deines Sohns Gesicht schickest
denn <ul>ich brauche sie.</ul></sidenote></letterText>
<letterText letter="65"><line tab="1"/>Lavater! Du hast mir jüngst etwas von Herrscher geschrieben. Hier etwas das unserer ganzen
Litteratur wohl andern Schwung geben möchte. Und somit ihrem Einfluß auf die Gemüther. Thut
darnach was Ihr wollt. Nur setzt mir ein Denkmal von Rasen und ein weisses Steinchen drauf. Da liegt
dessen Laune bey all seinem harten Schicksal die Riesen von dem Schauplatz lachte. Daß die Edlen
drauf wurzeln und grünen hoch über das Gesträuch hinaus. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nesseln vorweg zu hauen ist von Jugend auf mein höchstes Vergnügen gewesen. Kann ich das, sterb
ich seelig. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der Buchhändler wirds an Pappier und Druk hauptsächlich aber an Korrecktur nicht ermangeln
lassen. Und mir zehn Dukaten Honorarium zahlen, damits doch heißt, es ist verkauft worden und er
den Umsatz des Dinges eyfriger betreibt. Darauf kommt alles an. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align>
<align pos="right"><aq># verte</aq></align>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>D. 3 September. 1775. Zwölf bis funfzehn Exemplare bekomme ich. Bin ihm aber Bürge dafür, daß
<ul>die</ul> nicht nachgedruckt werden sollen.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Die Hauptsache ist die Korrecktur. Und sollt er mir nichts geben, ich bins auch zufrieden, besorgt er
mir die Correcktur nur mit der größten Genauigkeit, bey einem sehr verständigen Correcktor und der
meine Hand kennt. Ein Buchstabe fließt mir oft dicker und grösser in die Feder als der andere und
wenn das Auge der Figur nicht nachgeht wie sie ursprünglich gewesen ist, kann sie leicht für eine
andere genommen werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Passavant den Liebesdienst übernehmen wollte, er verbände mich ihm auf ewig. Nur muß es
niemand bey ihm zu sehen bekommen, bevor es gedruckt ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Oder laß Dir den Korrektor erst offenherzig schreiben, ob er das Ganze gelesen und jedes Wort drin
verstanden. Was er nicht verstanden schreibt mir nur, zugleich Akt und Szene und wie er es
verstanden.</letterText>
<letterText letter="66"><line tab="1"/>Hast Du Masuren gelesen, Lavater! die elendeste Satyre die je auf Goethen, Dich, Klopstock und
andere ist geschmiedet worden? Hast Du die Zeitungen gelesen in denen Herder auf die
niederträchtigste Art gemißhandelt wird? Fühlst Du ganz welch eine Wirkung der über Frömmigkeit
hohnlachende Verfasser des Notbankers aufs Publikum haben muß. Ernst ist kein Waffen dagegen, je
ernsthafter man sich gebehrdet, desto lauter lachen sie. Es muß wieder gelacht werden, und
lauter als sie oder Ihr müßt beschämt vom Schauplatz wo euch niemand hören mag. Euch niemand
hören und wen denn? Wehe über mein Vaterland, wenn die Wolken nicht gedruckt werden.
Laß Dich durch nichts irre machen Frommer! was drin vorkommt; kühne Striche sind nothwendig
oder das ganze Bild wird ein Schild am Wirthshause. Und sind wir nicht frey? Und soll
Gewissenhaftigkeit uns binden, gerecht zu seyn? Gewissenhaftigkeit uns zu Sklaven machen?
Daß doch das nicht der Fall bey den meisten Christen wäre. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es bleibt also und wird ewig meine grosse Bitte an Dich bleiben, die Wolken drucken zu lassen. Alle
Folgen nehme ich auf mich. Und aufs geschwindeste und ohne Entgeld, mag sich Steiner Vortheile
davon machen, wie er <page index="2"/> am besten kann. Wenn es nur balde in Deutschland herumkommt.
Noch diese Messe und nothwendig diese Messe, schick mir ein Giftpulver lieber als daß Du mir diese
Bitte abschlägst. Werd ich gewürdigt für dies Stück zu leiden, wer ist glücklicher als ich? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und gerad itzt muß es ins Publikum, oder alle Gemählde verlieren ihre Anzüglichkeit Stärke und
Wahrheit. Du darfst Dich nicht damit bemengen. Verbiete dem Buchhändler zu sagen, daß Dus ihm
gegeben hast, nenn ihm meinen Namen, weiß ihm diesen Brief. Bitte Passavant daß er die Korrektur
übernimmt, er muß aber eydlich versichern es niemand zu weisen, auch Kaysern nicht, ders nicht
zurechtlegen kann. Wenns gedrukt ist, dann theilts alle den guten Seelen aus <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Auch Goethen sag nichts davon, diesmal laß uns was alleine thun. Desto mehr Freude hat er dran
wenn er überrascht wird. Ich hab ihm geschrieben ich arbeitete aber nicht was?</sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote page="2" annotation="am unteren Rand">
<align pos="center"><gr>παντα δε δυναμενα δια την πισιν.</gr></align></sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es ist Gegengift Lavater! das mir lang auf dem Herzen gelegen und wo ich nur auf Gelegenheit gepaßt
es anzubringen Diese Gelegenheit <page index="3"/> ist meine Persönliche Schriftsteller-Rache aber (es
bleibt bey uns): <ul>diese Gelegenheit hab ich selbst gemacht.</ul> Geradzu läßt das Publikum seiner
Sinnesart, seinem Geschmack nicht gern wiedersprechen, man muß einen Vorwand, eine Leidenschaft
brauchen, sonst nimmt es nimmer Antheil. Und meine Kunst, meine Religion, mein Herz und meine
Freunde alles fodert mich jetzt dazu auf jetzt ausgelassen, auf ewig ausgelassen. Wer
ersetzt mir den Schaden? Wer ersetzt ihn euch. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>So genug, Du der Du Landvögte in ihrem Frevel antastetest, für Dich. Es muß einmahl ein Ende haben
oder wir arbeiten alle vergeblich und die Thoren ruffen laut, es ist kein Gott. Ich kenne die Lässigkeit
des Publikums und daß wer am lautesten ruft immer recht bey ihm behält. Und sollten wir uns
scheuen zu ruffen? Wir uns irre machen lassen Lavater, wenn sie nicht gedruckt werden, so hab ich
kein Theil an Dir. In eine Wüsteney will ich gehn zweiffelhaft über wen ich seufzen soll. <line type="empty"/>
Gute Nacht! Wie süß werde ich träumen! wie leicht morgen an meinen Frohndienst gehn<line type="break"/>
<align pos="center">Donnerstags. 1775</align><line type="break"/>
<align pos="right">J M. R. Lenz.</align> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn <line type="break"/>
Herrn Johann Caspar<line type="break"/>
<ul>Lavater,</ul> Pfarrer <line type="break"/>
am Waysenhause <line type="break"/>
in <line type="break"/>
<ul>Zürich.</ul></letterText>
<letterText letter="67">Mein allerliebster Jacob
<line tab="1"/>Wie vergeblig habe ich nun so viele Jahre auff Deine zu Hause Kunft gewartet, wie oft habe ich nicht
umsonst aus dem Fenster gesehn, wenn nur ein Fragtwagen ankam, ob ich Dich nicht erblickte, allein
vergebens. Wie manche Tränen und <del><nr> </nr></del><!-- Ist das ein Anwendungsfall für <er>? --> Seufzer, habe ich nicht zu Gott geschickt, das er Dich führen
und leiten mögte.
<line tab="1"/>Ach wenn ich Dich auch noch ein mahl sehen könte, vor meinem Ende, und Dich segnen, ehedenn ich
sterbe, so wollte ich zufrieden sein. Wie lange wiltu so herum irren, und Dich in solche nichtswürdige,
Dinge vertiffen, ach nimm es doch zu Herten was Dein Vater Dir schreibt, es ist ja die Wahrheit, nimm
es nur zu Hertzen, und dencke nach, was wil aus Dir werden? ich billige alles was Papa geschrieben
hat. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Melde mir auch, ob Dujetzo gantz gesund bist mit Deinen Halse und Zähnen, ich bin Deinentwegen
sehr besorgt gewesen.
<line tab="1"/>Pastor <aq>Oldecob</aq> und seine Frau laßen Dich hertzlig, grüßen, sie wohnen jetzt im Garten Hauß weil sie
<insertion pos="top">ganz</insertion> abgebrannt sind und alles verlohren haben die Häuser auff dem Margt sind alle abgebrannt,
wie auch das Rathaus, und Löwensterns Haus, die Russische Buden und straffhalter, nebst der großen
Brücke sind alle abgebrant. es ist alles wüste Die Frau Oberst Albedill ist noch in Curland, sie
hat ihre älste Freilen Tochter, als Hoff Freilein bei der Alten Herzogin, hingebracht, wir warten
sie täglig zurück. Ubrigens Grüße und Küsse ich Dich Zährtlig mein liebes Kind. Gott segne Dich und
leite Dich auff seinen wegen. Verbleibe<line type="break"/>
<align pos="right">Deine Zärtliche Mutter <line type="break"/>
<it>Dorothea Lenz</it></align></letterText>
<letterText letter="68"><line tab="1"/> Indessen deucht mich, ist doch die Natur der meisten Leidenschaften gewöhnlicher Seelen, nur
ein vermischtes Gewebe von Eitelkeit und Gefühl des Werths im Gegenstande. Und ich kann doch
antworten, dieser Mensch liebt aber eigennützig. Ich unterscheide ihn von dem hartherzigen M.,
der bloß aus Eitelkeit, geliebt zu werden wünschte. Dieser wünscht bloß zu erfahren, ob und wie das
Herz empfinde, um es lieben zu können. Freilich bleibts unredlich. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ach! gnädige Frau! Wie oft liebte ich ohne Hoffnung! Wie oft mit der Hoffnung, und immer
unglücklich! Meine gefährlichsten Bekanntschaften sind allezeit mit den liebenswürdigsten Personen
Ihres Geschlechts gewesen. Jede neue Freundin kostet mich einen Theil meines Lebens. Doch kenn
ich keinen glücklichem Tod. Kenne sonst kein Glück auf dieser Altagswelt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was aber meines Herzens Geheimniß betrifft, so wird es mit mir begraben werden. Verzeihen Sie
meine Offenherzigkeit und meine Discretion. Oder vielmehr, lassen Sie diesen schwachen Augenblick
Niemanden bekannt von mir werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe von Herrn <ul>Huber</ul> verschiedene kleine Umstände erfahren, die mir Ihr Bild viel vollkommener
auszeichneten. Wenn es keine unverzeihbare Dreustigkeit ist, einige Züge Ihrer ersten Jugendjahre in
dem Hause des Grafen sodann Ihrer ersten und zweiten Liebe, mir aus zu bitten Gnädige Frau!
diese Gewogenheit wäre unschätzbar! Ich schwöre Ihnen ewige Verschwiegenheit, wenn Sie sie
fodern, doch weiß ich, Sie verlangen keinen Eid von einem, dem Sie Gefühl zutrauen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das Band womit Sie mich binden <aq>care laccie, amate pene</aq> mein Vaterland! Was werde ich in dir
verlassen müssen? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie haben Familie. Dürfte ich mir ein kleines Portrait davon ausbitten? Warum erlaubt mir mein
Schicksal doch nicht, Sie in dieser liebenswürdigen Gruppe zu sehen? Das Portrait Ihres Gemahls
habe ich in der Sternheim gefunden; eine Freundin gab mir den Schlüssel. Auch hat er das Bild
seines Geistes in den Briefen über das Mönchswesen, für mich von einer Seite abgedruckt, die
mich ihn ewig wird verehren machen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meine Eltern sind ob böse auf mich, oder bloß kaltsinnig genug seit mehr als sechs Monaten
schweigen sie mir. Meiner Mutter hab ich alle mein Phlegma mein ganzes Glück meinem Vater
alle mein Feuer mein ganzes Unglück zu danken. Beide verehre ich als in ihrer Sphäre die
würdigsten Menschen, die je gelebt haben. Beide hab ich Armer beleidiget muß sie beleidigen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich schreibe an einer Schulmeisterchrie in Knittelversen, in einer neuen Monatsschrift,
die unter der Aufsicht des Hrn<ul>. Boje</ul> in <ul>Göttingen,</ul> herauskömmt. Meine Soldaten liegen in <ul>Herders</ul> Händen. Es
kömmt eine Gräfin La Roche drin vor, der ich etwas von Ihrem Charakter zu geben versucht habe, wie
ich ihn aus Ihren Schriften und Briefen kenne.</letterText>
<letterText letter="69"><align pos="right">D 29sten Sptbr.</align>
<line tab="1"/>Herder! Ich will und muß ein <aq>Recepisse</aq> haben, ob Du <ul>Die Soldaten, eine Komödie</ul> erhalten hast, ich
habe sie Dir schon seit acht Wochen unterm <aq>Couvert</aq> der Jungfer König über Darmstadt zugeschickt,
wie das Pandemonium: es ist mein <ul>einzig Manuskript</ul> und wenn es verloren ist, so ist mein Leben mit
verloren. Reiß mich aus diesem quälenden Zweiffel durch eine kleine Erkundigung bey Herrn Geh.
Rath Heß und durch die geschwindeste Antwort, nur in zwey Zeilen. <line type="break"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich darf in dieser Gemüthslage keinen Menschen grüssen lassen. Ich rase nicht. In guter Prosa: Die
Soldaten eine Komödie habe ich Dir über Darmstadt zugeschickt und will wissen, <ul>wo</ul> sie ist. Meine
Reise ist auch wahr. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Vor einem Jahr wenigstens darf sie aus tausend Ursachen nicht gedruckt werden. Mehr als ein Leben verlier ich damit </sidenote>
<page index="2"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Herder<line type="break"/>
Consistorialrath<line type="break"/>
in Bückeburg</letterText>
<letterText letter="70"><line tab="1"/>Hier ein Briefchen von Herder Lavater! Er ist gebeugt #. Gott zögert hinter der Wolke. Wenn wird er
wieder mild umfliessen die Seinen! Daß Du Welt kennetest Lavater <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe aus dem Zettelchen geahndet Du habst was wider Fränkeln, dessen Umstände da er am
Ende seiner Laufbahn ist, Empfehlung brauchen. Seine Führung kenne ich freilich ganz und gar nicht,
da ich den ganzen Tag wie ein Postpferd herumlauffe und Lektionen gebe. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich sehe seegnend entgegen euren Entwürfen. Wünschte freilich bisweilen unsichtbar hinter Dir zu
stehn und Dir über die Achsel ins Ohr zu flüstern, wenn Dich Dein gutes Herz nicht alle trefliche
Jungen scheinen treflich. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Leb wohl und erfreue mich bald durchs Anschauen Deines 2ten Theils Physiognomik. Ich warte
sehnlichst auf Nachrichten aus Liefland <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<align pos="center">D 29sten 7br</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
# tief gebeugt.</sidenote></letterText>
<letterText letter="71"><line tab="1"/>Warum ich schweige Herder? Weil die Freude keine Sprache hat. Weil die Liebe keine hat. Schweige
mir gleichfalls. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Den 30sten Sept. Es ist mein Namenstag Und heute heute erhielt ich Deinen zweyten Brief. Herr nun
lässest du deinen Diener in Frieden fahren. Vor dem Hafen lag mein Schiff ein Sturm erhub sich auf
immer schiffbrüchig und nun lauf ich ein <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ach wenn du meine Soldaten hast, wenn Deine Frau ihn Dir vorliest genug. Und auch Dich ehren die
Könige? AIIes. Aber quacken sollen sie doch, die Dich antasteten wenn ich meinen Fuß ihnen
aufden Nacken setze. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es war mein Bruder der Dich in Königsberg kannte. Und mein halber Feind. Doch hoff ich, auch er
wird Freund werden . Ach ich darf nicht mehr schreiben, mein Herz schilt mich schon itzt. Aber gieb
Deiner Frau einen Kuß wenn sie Dir die Soldaten gelesen hat. Unsere Seelen sind wahre
Schwesterseelen. Und ich zittre vor Euer beyder erstem Anblick. Dann wird kein Wort gesprochen,
keine Lippe muß das entheiligen. <line type="break"/>
<align pos="right">J M R Lenz.</align>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Es will und <ul>darf</ul> kein Mensch meine Wolken drucken lassen Sobald ich aber zu Gelde komme laß ichs
auf meine Kosten drucken in Kehl, wo ich Götter, Helden und Wieland drucken ließ. Dann sollst Dus
haben. Bis dahin ich beschwöre Dich schweig davon.</letterText>
<letterText letter="72"><line tab="1"/>Ihr wollt die Wolken Wiel. zuschicken. Lieben Freunde, wo ist euer Verstand, wo ist eure Freundschaft
für mich? Was hab ich mit W. zu schaffen! Kennt Ihr die süßlächelnde Schlange mit all ihren
Krümmungen noch nicht. Unsere Feindschaft ist so ewig als die Feindschaft des Wassers und Feuers,
des Tods und des Lebens, des Himmels und der Hölle. Und ihn zu bekehren wäre Lästerung. Ihn durch
dies Stück bekehren wollen Freunde ich fahre aus der Haut. Alle seine Absichten befördern, sagt, und
mich zerhauen, im Mörser zusammen stossen. Schreib ich denn das Stück für mich? Oder hab ich hier mit W.
<ul>dem Menschen,</ul> nicht mit Wiel. <ul>dem Schriftsteller</ul> zu thun? Thu ich <ul>mir</ul> nicht den grösten Schaden <del>th</del>
damit? Und jetzt W. in die Hände geben, damit er <ul>frohlocken kann</ul> über mich? Und das meine eignen Freunde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Jeder Autor <ul>hat ein Recht auf das was er</ul> geschrieben. Ich bitte euch also mirs zurückzuschicken und
mich meinem Schicksal zu überlassen. <line type="empty"/>
Ich schreibe dies mit dem kältsten Blut und der gelassensten Ueberlegtheit von der Welt. <line type="break"/>
<align pos="right">Lenz <line type="break"/>
<aq>verte</aq></align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Und W. der euch allen im Herzen Hohn spricht, die Achseln über Euch zuckt u lächelt mit dem wollt
Ihr Vertraulichkeit machen, sobald es wieder ihn geht. Liebe liebe Freunde überlaßt mich
wenigstens mir allein.</sidenote>
<page index="2"/>
Wieland der Mensch wird einst mein Freund werden aber Wieland der Schriftsteller, das heißt der
Philosoph der Sokrates nie. <line type="empty"/>
Schickst Dus aber ihm so ist es <del>seyn</del> sein und euer aller Verderben. <line type="empty"/>
# Mit einer Welt Dukaten kannst Du mir dies Stück nicht abkauffen. <line type="empty"/>
# # Wenn ist mir selbst noch unbekannt. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<note>mit Abstand</note>
<line tab="1"/>Lieber, laß uns doch nicht alle unsere Köpfe über einen Leisten schlagen wollen. Gott hätte sonst nur
einen Menschen auf dem ganzen Erdboden schaffen müssen Ich seegne euer Projekt und bin voll
Erwartungen. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Lavater erster aller Knechte Gottes, wenn Du noch Freundschaft für mich hast, so schweig schweig
ewiges tiefes Stillschweigen von den Wolken und leg dies auch Passavanten auf. Er ist ein
guter Junge, unser aller Freundschaft leidt hiedurch kein Haar, gewinnt aber ich <ul>kann, will</ul> und <ul>werde</ul> die
Wolken drucken lassen # # und <ul>begehre sie hiemitzurück.</ul> # Nicht aus meiner Autorität, sondern aus
einer <ul>höheren.</ul> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was Du von den Individuen sagst, ist vortreflich, aber paßt nimmer und in Ewigkeit auf Wieland,
nimmer und in Ewigkeit auf diesen Fall. Ich hab hier eben grad mit keinem einzigen Individuum auf
der ganzen Welt zu thun, sondern mit dem Ganzen, das mir am Herzen liegt. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Daß ich Dein <aq>admonitorium</aq> einst Gottern zuschicken wollte, war nicht, um ihn zu bekehren, sondern,
um ihm zu weisen, wie sehr ich ihn mit samt seinen Lobeserhebungen und Autoreinfluß und Macht
verachte. Er sollte widerrufen das <ul>kann</ul> aber W. nicht.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn <line type="break"/>
Herrn J. C. Lavater <line type="break"/>
Pfarrer am Waysenhause <line type="break"/>
zu Zürich.</letterText>
<letterText letter="73">Lies es durch beser Schlosser! Dann mach damit was du willst, aber nie, nie müsse es bekannt
werden.</letterText>
<letterText letter="74">Kehl am 2. Oct. 1775 <line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich schreibe dieß auf deutschem Grund und Boden. Sie sind ein Deutscher und ein Mann. Ich danke
Ihnen für Ihr Zutrauen. Ich habe keine kritischen Aufsätze, habe aber in Strasburg eine Gesellschaft
junger gelehrter Freunde die ich durch Ihren Brief aufgemuntert habe, etwas fürs Vaterland zu
arbeiten. Aus dem was sie bei unsern Zusammenkünften schon vorgelesen, läßt sich viel viel hoffen
und welche Wonne würde ich haben, mit dieser Baumschule dereinst Ehre einzulegen. Ihrem Urtheil
wird es anheim gestellt seyn, anzunehmen oder zu verwerfen, was Ihnen zugeschickt wird. Nun
noch ein Wort unter uns beyden. Sie haben Buchhändlerverbindungen, ich will kann und werde
nie welche haben. Vielmehr suche ich Journalisten und Buchhändler zu turlupiniren so viel
ich kann, bis sie gescheidter werden, und denen Leuten, von denen sie Leben und Othem haben,
mit mehr Ehrfurcht begegnen lernen. Können Sie mir, deutscher Mann, einen Jungen in die Welt
bringen helfen, der rasch und wild und frey ist wie sein Vaterland? Sie sollen einst spät seinen
Dank dafür haben. Alles was Sie für ihn einnehmen, ist Ihre oder der Leute, denen Sie es gönnen
wollen. <it>Mir ist nur</it> darum zu tun, daß er in die Welt kommt wirkt und lebt, sollt er seinem Vater
auch selber durch seinen Muthwillen den Hals brechen. Er heißt die Wolken, aus dem Griechischen
des Aristophanes. Lerm macht er das ist gewiß denn ich habe kein Feuer an ihm gespart und der
Ausgang wird gut seyn. Sie haben alle Ansprüche auf die Erkenntlichkeit eines zärtlichen und
besorgten Vaters. Können Sie ihn nur die schröckliche Küste der Censur vorbeiführen. Denn Anomalien
sind genug darin. Wäre das nicht, so würd ich ihn nicht für meinen Sohn erkennen. Ich erwarte
aufs geschwindeste eine kategorische Antwort damit ich meine Maßregeln nehmen kann! Denn hier ist
<aq>periculum in mora.</aq> Sollte denn in Deutschland keine Presse sein, wo etwas unzensiert könnte gedruckt
werden. Auch in Lemgo nicht z. E. oder in irgend einer Reichsstadt? Wie gesagt, ich nehme keinen
Heller, nur daß mein Name vor der Hand verschwiegen werde. <line type="break"/>
Jacob Michael Reinhold Lenz. <line type="break"/>
Ich bitte um baldmöglichste Antwort.</letterText>
<letterText letter="75">Den 5. Oct. 1775. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lenz! Du bist n braver Junge! Lieb Dich noch n mahl mehr seit den Wolken; kanns aber doch nicht
finden, daß Du durch <ul>Ungerechtigkeit</ul> gerecht handelst! .. und dann denken wir von <ul>Wieland</ul>
verschieden. Ich hab ihn noch nicht gesehn; also behalt ich mir Urtheil vor. Hätt ich ihn <ul>gesehn,</ul>
spräch ich ab. Hast Du ihn gesehn, gelte Dein Urtheil. Ich hab ihn wohl gesehn vor 20. Jahren;
aber das war nichts. Ich halt ihn für das Reizbarste, wankelmüthigste Geschöpfe, aber für
keinen Heuchler; keine Schlange. wär ers hohl ihn der Schlangenzüchter! Bitte, lieber
Lenz kämpfe, aber kämpfe mit wahrheit, und unterdrüke das Gute nicht! Hierauf hast Du mir
nicht geantwortet. Sey so strenge Du sein willst; nur sey nicht <ul>ungerecht.</ul> Kann ich lieber,
weniger sagen? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe Paßavanten noch nicht gesehen. Aber ich weiß zum voraus, daß er noch gerechter ist, als
ich. Er wird die Wolken nicht zum Druck befördern. Das weiß ich. Thut Ers, mag er! Ich bin rein. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Kannsts läugnen, Bruder, daß W. unendlich viel um den deutschen <ul>Geschmack</ul> verdient hat. Und ist
<ul>Geschmack</ul> nicht <ul>Glückseligkeit?</ul> Sollst ihn nicht bessern, wenn Du ihn unverbeßerlich glaubst; aber
sollst ihn auch nicht mit Füßen treten, der doch, hab er geschadet, so viel er will, so viel genützt hat,
und so viel hat nüzen <ul>woIlen.</ul> Wielanden fürcht ich nicht. Würd ers in meinem Sinne verdienen, und ich
hielt ihn für unverbeßerlich; # Ich will Wielanden nicht schonen; aber ich will nicht ungerecht
seyn. Du hast Macht über Dein Mspt. Du sollst Deine eigne Wege haben. Habe sie, und handle nicht nach
den unsrigen! Aber handle gerecht! Du sollst nicht denken, wie ich aber Du sollst Dich, wenn Du
strafest, zehnmal fragen: „Straf ich nicht ungerecht?“ Handle; Ich bin Dein Richter nicht. Ich will
Dich nicht verdammen. Aber freundschaftlich will ich Dir weißagen: „Du bereusts, <ul>wenn die Wolken
gedruckt werden!“</ul> <line type="empty"/>
<sidenote pos="bottom" page="1" annotation="am unteren Rand">
# ich ließ die Wolken druken.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wielanden send ich sie nicht, ohne Deine Erlaubniß; obgleich tausend gegen Eins wette, daß
Wieland, der Schriftsteller dadurch gebessert, und Wieland der Mensch nicht verschlimmert würde. <line type="empty"/>
Dank für Herders Brief und die Nachricht. <line type="empty"/>
Schreibst Du auf Erfurt, so laß Dir den <ul>Abraham</ul> senden. Nun kommts bald an den II. Teil der
Physiognomik. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Stollberg hat mir die Schweizerlieder vollenden geholfen. Nun noch geistliche Lieder. Dann noch
eine kleine Reise auf Marschlins. Dann verschlossen in die Physiognomik. Inzwischen <line type="empty"/>
<note>Auflösung der Hieroglyphen, vgl. Haustein, Jens: Jacob Michael Reinhold Lenz als Briefschreiber. In: Stephan/Winter 1994, S. 337-352, hier S. 349 >
Inzwischen Plan zu grossen allgegenwärtigen Würkungen</note>. <line type="break"/>
Lindau hab ich angeworben. <line type="break"/>
Stolbergs werd ich anwerben. <line type="break"/>
Dein Brief an Kayser treflich! <line type="break"/>
Röderers Schuldner bin ich noch immer. Adieu. <line type="empty"/>
<ul>J. C. L.</ul></letterText>
<letterText letter="76"><line tab="1"/>Wie begierig ergreiffe ich gegenwärtige Gelegenheit, Ihnen, mein liebens- und verehrungswürdiger
Freund, das Vergnügen auszudrücken, das mir Ihre letztere gütige Zuschrift gemacht. Ihre kleine
Capelle sollte mir in der That die erwünschteste Zuflucht für meine Weihnachtsandacht seyn, wenn
sich meine äußerlichen Umstände nur im Geringsten darnach fügen wollten. So aber kann ich nur noch aus
der Entfernung Ihnen zur völligen Wiederherstellung Ihrer Kräfte den herabströmenden Himmel anwünschen.
So viel Nachrichten von Ihrer Person, von Ihren Schiksalen, von Ihrer Verbindung haben schon seit
langer Zeit den Wunsch in mir rege gemacht, eine Wallfarth zu Ihnen anzustellen und Sie in der Sphäre,
die Sie anfüllen, zu sehen; ich behalte mir diese Freude auf bessere Zeiten vor. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dürft ich Ihnen einen Antrag thun. Es verbindet sich hier eine Gesellschaft schätzbarer Gelehrter,
unter denen auch Offiziere und hier angesessene Personen sind, zur Verbesserung der hiesigen
deutschen Mundart sowohl als zur möglichsten <page index="2"/> Bereicherung unsers in Schriften gebräuchlichen
Hochdeutsch. Wollten Sie würdiger Mann mit von unserer Anzahl seyn. Herr Lizenziat Ott wird Ihnen
mündlich eine ausführlichere Beschreibung von diesem Institut machen können. Wir erbitten uns von Ihnen
nichts als von Zeit zu Zeit, sobald es Ihre Geschäfte verstatten, einige Zeilen als Beytrag zu einem Idiotikon
vom Elsaß, Vorschläge etwan wie ein und anderes kräftiges Wort, der guten Sprache unbeschadet, in
dieselbe aufgenommen und vor dem ewigen Verdammungsurteil Provinzialwort gerettet werden könnte. Ich muß
Ihnen gestehen, daß bey dem ersten Vorschlag einer deutschen Gesellschaft im Elsaß mir der Beystand
eines seiner ersten Schriftsteller unentbehrlich scheint und also dieser Antrag ganz und gar eigennützig ist.
Herr Hofrath Schloßer wird Ihnen die <page index="3"/> erste Schrift mittheilen, die ich bei Eröfnung dieser
Gesellschaft in dem Hause des Herrn Aktuarius Salzmann abgelesen. Sie sind so gütig, mir sie wieder, nebst
einer geneigten Antwort auf unsern Antrag, zukommen zu lassen, weil sie in unser Archiv eingetragen <insertion pos="top">werden</insertion>
soll und ich noch keine Abschrift davon genommen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herr Lerse ist nach Zweybrücken abgegangen, und ich habe leyder bey meinen häufigen
Zerstreuungen seines Umgangs nicht so häuffig genießen können als ich wohl gewünscht hätte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich unbekannter Weise Ihrer würdigsten Gemalin und Familie. Ich bin mit der
ungeschminktesten Hochachtung <line type="break"/>
<align pos="right">Dero<line type="break"/>
ganz ergebenster<line type="break"/>
Diener u. Verehrer<line type="break"/>
J M R Lenz.<line type="break"/></align>
Strasb. den 13ten 8br 1775.<line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note> <line type="empty"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Hofrath<line type="break"/>
Pfeffel<line type="break"/>
in Colmar.<line type="empty"/>
<note>Empfangsnotiz Pfeffels</note>
M. Lenz<line type="break"/>
Den 13.8.br 1775.</letterText>
<letterText letter="77"><line tab="1"/>Lieber Müller, ich kann mich nicht halten, ich muß in dem Augenblick da ich Ihren Satyr Mopsus lesen,
in dem Augenblick der Leidenschaft Ihnen schreiben. Ich umarme Sie. Sie haben eine so muthige so
feuervolle Sprache, daß mirs kalt und warm wird. Und brünstig wär ich den <ul>Maler</ul> zu sehen der so
<ul>schreiben</ul> kann. Daß Ihnen doch weder Lob noch Tadel der Kritiker weder Wind noch Sonnenhitze
schadeten und der Nachkomm unter Ihrem Schatten fröhlich ruhte.<line type="break"/>
<align pos="right">Lenz.</align>
<page index="2"/>
<note>rechte Spalte</note>
Dank für das Lied in der Schafschur vom Garten der Liebe ewigen Dank! <line type="empty"/>
<note>linke Spalte</note>
Dem jungen kühnen Maler in <ul>Mannheim.</ul></letterText>
<letterText letter="78"><line tab="1"/>Ich danke Ihnen für Ihre Freundschaft und Ihr Andenken. Mein Schicksal ist jetzt ein wenig hart. Ich
gebe vom Morgen bis in die Nacht Informationen und habe Schulden. Alles was ich mit Schweiß
erwerbe fällt in einen Brunnen, der fast keinen Boden mehr zu haben scheint. Mein Glück in meinem
Vaterlande ist verdorben, weil es bekannt ist, daß ich Komödien geschrieben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sehen Sie dies offenherzige Gemählde meines Zustandes als einen Beweiß meiner Freundschaft an
und gehn behutsam damit an. Sie haben kein Herz, das eines unglücklichen Freundes Vertrauen zu
mißbrauchen, achzehnjährhundrigt genug seyn könnte. Ich habe in der That ein kleines Stück in
meinem Schrank liegen das allenfalls auch spielbar seyn würde. Fragen Sie Herrn Sei<del>del</del>ler,
ob er mir sechs sieben Dukaten dafür geben möchte, ich bin nie gewohnt gewesen, meine Sachen
zu verkauffen, die höchste Noth zwingt mich dazu. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Doch hoff ich Herrn <del>Seidel</del> Seiler wird der Kauf nicht reuen. Es ist eine Nachahmung der <aq>captivei</aq> im
Plautus. Noch einmal Gotter Verschwiegenheit. So umarmet Sie <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="break"/>
<align pos="center">Strasb. d. 23ten 8br. 1775.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Sie machen, höre ich, eine Sammlung von Ihren Gedichten. Das wird mich freuen. Auf Subskribenten
könnten Sie hier zählen. Geben Sie mir allenfalls Nachricht davon. <line type="empty"/></sidenote>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Gotter</ul><line type="break"/>
Archivarius<line type="break"/>
in <ul>Gotha.</ul></letterText>
<letterText letter="79">Ulm<line type="break"/>
Hier aus dem Zimmer des liebenden Millers muß ich Dir lieber was schreiben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich kenne Deine <ul>Wolken.</ul> Ich weiß daß Du sie gedruckt wolltest haben p p Ich bin sehr dafür portirt
und <ul>liegt mir viel dran.</ul> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier hab ich nun durch Millern der mein <ul>wahrer</ul> Freund ist, schon Gelegenheit gehabt, für mich und
auch andern etwas geheim drukken zu lassen und dieß wär hier auf die Art zu machen.
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Sage nun mein Freund Deine Meynung und Sinn. Millern kann man alles <ul>ohne</ul> den Freundschaftseid
anvertrauen. <ul>Er</ul> liebt Dich sehr sehr! Trug mir längst auf, Dirs heftig zu versichern. Närrchen sey gut!
Obwohl er Dichter ist, so ist er doch herrlich, und man kann immer die Liebe eines Kerls mitnehmen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Stolbergs die edle grosse Seelen haben mich gezwungen sie nach Schaffhausen zu begleiten, und da
zwang mich Miller mit nach <page index="3"/> Ulm. So kam ich hieher! Ist mir sehr wohl. Finde in Schwaben
viel Simplicität, Religion und Tugend. Mädchens sind Gotteskinder. <line type="empty"/>
50 fr wie Du sie fordertest will ich Dir für die Wolken schaffen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Schreib mir gleich nach Zürch wie Du meinst. Am Donnerstag geh ich hier ab, und treff dann gewiß
Antwort von Dir in meinem Nest.
<line tab="1"/>Stolbergs sind <ul>Deiner Liebe gewiß werth.</ul> Du hast kein Wort nicht <page index="4"/> gedankt für den
Freyheitsgesang. Mänchen Du bist ein eigen Geschöpf! Um Lavatern wirds mir Tag täglich wohler.
Doch ein ander mal in Zürch Antwort auf Deinen lezten Brief. Kuß und Gruß an Röderer. Ade! <line type="empty"/>
Den 13 9<ul>br</ul> 75.<line type="break"/>
<align pos="right"><aq>Kaiser.</aq></align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Hab Ordre von Klingern Dir ein Drama zu senden. Kommt nächstens. Lebe wohl Lieber!</letterText>
<letterText letter="80">Den 15ten Nov. 1775.<line type="break"/>
<line tab="1"/>….. Deutschland wird in wenigen Jahren erstaunliche, unglaubliche Revolutionen in Litteratur,
Geschmack, Religion u.s. f. erfahren. Ich weis, daß in fünf Jahren, denke dran 1780, wenn ich vielleicht
nicht mehr bin, Deutschland alle Nationen um sich her und alle Zeitalter vor sich verdunkeln und
überfliegen wird. Dieß ist nicht Weissagung, oder Gesicht des Propheten; es ist Vermutung, auf Data
gegründet, die wenige wissen. ……. </letterText>
<letterText letter="81"><line tab="1"/>Gieb mir den gemißbrauchten Namen Gottes zurück Herder! mein böser Genius ließ mich das
schreiben <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Soldaten können noch nicht gedruckt werden. Erröthen muß ich freilich über den Unverstand
meines letzten Briefes. Gott wo war ich, als ich ihn schrieb. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mache Dir keine Gedanken über die Ebbe und Fluth meines Entschlusses. Es sind lauter
Lokalverhältnisse die mich so peinigen. Die aber aufhören werden. Ein Poet ist das unglücklichste
Wesen unter der Sonnen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Grüsse Deine Frau. Sollte ich von hier reisen oder sollte es einst Zeit seyn das grosse Trauerspiel
aufzudecken, so werd ich Dir vorher schreiben. Bis dahin muß ich noch stumm die Zähne
zusammenbeißen und die Leiden meines Volks in meinem verborgensten Herzen wüthen lassen.<line type="break"/>
Strasburg den 18ten Nvbr. 1775.<line type="break"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Solltest Du es einst künftig drucken lassen, so muß auch alsdann mein Name im Anfange
verschwiegen bleiben. Ich sag es Dir hier voraus, falls ich es etwa alsdann zu erinnern vergessen
sollte.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Herder</ul><line type="break"/>
Consistorialrath<line type="break"/>
in <ul>Bückeburg.</ul></letterText>
<letterText letter="82">Den 18ten November. 75. <line type="empty"/>
Mein Vater! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Unaussprechl. glücklich haben Sie mich durch Ihren Brief gemacht und durch die Zeilen meiner
Mutter. Fahren Sie fort, ich bitte Sie auf den Knien, mir ein zärtlicher Vater zu bleiben, Sie mögen
sehen und hören von mir was Sie wollen. Weisen Sie mich aufs strengste zurecht, Sie, meine Mutter,
meine lieben Geschwister; alles dient, alles frommt, und von Ihrer Hand mein Vater, die ich mit
Thränen benetze, alIes <ul>doppelt und vierfach.</ul> Fodern Sie aber nicht, daß ich auf alles antworte,
es müßte mich <ul>zu weit</ul> führen. Umstände verändern die Sache, ich kann nicht mehr sagen, aber
alles, was Sie mir schreiben, was mir meine Mutter schreibt, sind güldene Aepfel in silbernen
Schalen. Lange lange hab ich die Züge dieser Mutterhand mit stummer Innbrunst an meine Lippen
gehalten und in Gedanken war ich bey Ihnen und fühlte Ihre seegnenden Küsse an meinen Wangen.
Ach wie viel haben Sie mir in diesem Augenblick geschenkt. Sie sind also wieder mein,
Sie lieben mich noch. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Durch zwey Freunde die diesen Brief bis Leipzig bringen. Millionen Neujahrswünsche! Grüße an
alle gute Freunde, alle. Wie kann sie der Brief auch fassen. </sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und sind nicht abgebrannt und sind so gesund daß Sie mir schreiben können und sind so gerecht,
daß Sie mich außer Landes nicht durch Gewaltsamkeiten nach Hause ziehen wollen, so lang ich den
innern Beruf dazu nicht habe. Das ist mein höchster Wunsch gewesen. Wir sind in allen Stücken
<ul>einerley Meinung,</ul> beste Eltern, die Zeit wirds lehren. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn man zu einem Ziel schwimmen soll und Wasser liegt vor einem, muß man das Wasser nicht
durcharbeiten? Trockenes Fußes konnten nur die Israeliten durchs rothe Meer gehen, als Gott der
Herr noch Wunder that. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie thun Herdern unrecht, er ist <ul>kein Socinianischer Christ.</ul> Lesen Sie doch ich bitte Sie seine <ul>Urkunde</ul>
über das erste Kapitel I B. M. und seine Erläuterungen des Neuen Testaments. Er kommt als Professor
der Theologie nach Göttingen. Haben Sie ein klein Büchelgen gelesen: Meynungen eines Layen zum
Besten Geistlichen. Der Verfasser ist nicht bekannt. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Wenn Sie können, lassen Sie sich die <ul>Iris</ul> eine periodische Schrift fürs Frauenzimmer kommen. Die
Frau geheime Staatsräthin Ia Roche, eine der ersten Frauen des Jahrhunderts, schreibt die
freundschaftl. Briefe darinn, die Oper Erwin und Elmire ist von Goethen, die Uebersetzung des
Ossians von mir.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihr Rath in Ansehung Strasburgs ist noch zur Zeit unausführbar; doch schwöre ich für die Zukunft
nicht. Wenigstens schmeichelt mir die Freundschaft einer ganzen Stadt (die im Grunde mich allein
ernährt) so sehr, daß ich sehr vortheilhafte Anträge von andern Orten wie mich dünkt mit Recht
ausgeschlagen habe. <aq>Patria ubi bene.</aq> Doch hat es mich freilich Sorgen und Nachtwachen gekostet, es
dahin zu bringen und noch jetzt, ich schwör es Ihnen, sind die Wißenschaften und das Theater selbst
nur meine Erholung. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Was sagen Sie zu Lavaters Physiognomik? Haben Sie meinen Brief durch H. v. Medern nicht erhalten?
Und können L. etwan bey Edelleuten um Dörpt herum Subskribenten verschaffen. Es ist freil. theuer,
doch haben hier in Str. ganze Gesellschaften zusammen das Werk gekauft.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Vielleicht thue ich auf den Frühjahr eine Reise nach Italien und Engelland in Gesellschaft eines
reichen jungen Berliners (unter uns des Sohns des Münzjuden Ephraim) doch kränkt michs, daß ich
den Hang dieses sonst so vortreflichkarakterisirten Menschen zu einer unüberlegten Verschwendung
so stark sehe. Wer kann etwas vollkommen unter dem Monde wünschen. Und Gott der mich ich muß es
dennoch wiederholen durch so viel geführt hat, bleibt meine Zuversicht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herr v. Kleist ist wieder bey seinem Vater (durch meine lntriguen) um haushalten zu lernen. Daß ich
von seinen hiesigen Verschwendungen keinen gar keinen Vortheil gehabt, daß er mich vielmehr
bishero nur noch mit Versprechungen für alle mit ihm übernommene Müh u. Leiden belohnt hat,
weiß der droben ist bitte ich aber, <ul>beschwöre</ul> ich Sie dennoch, für sich zu behalten. Was
uns hier entzogen wird, kommt uns an einem andern Orte wieder Ans Heyrathen kommt mir
noch kein Gedanke, es war Sturm der Leidenschaft der mich Ihnen die Briefe schreiben
machte, die itzt in Freundschaft sehr ernsthafte Freundschaft verwandelt worden, aber
nie wieder Liebe werden kann. Ich hatte damals nichts auf der ganzen Welt, an das ich
mein Herz hängen konnte, meine Freundin war im nehml. Fall, unsere Herzen verschwisterten
sich, ihren harten Stand einander erträglicher zu machen. Entfernung u. Umstände haben
auf beyden Seiten vieles verändert, meine Dankbarkeit und Freundschaft aber bleibt
ihr ewig. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meinen lieben lieben kritischen Moritz und sein dickes drolligtes rundes Weib küssen und seegnen
Sie doch von mir. Sagen Sie ihm, Goethe könnte und müßte in Absicht seiner Sprache nur von seinen
nächsten Landesleuten beurtheilt werden, und so lang Deutschland noch keine allgemeine Sprache
hat, müsse er entfernten Provinzen noch solitär scheinen. Ich bitte mir aber dereinst sein Urtheil
über meine <ul>Soldaten</ul> aus, die jetzt in Herders Händen liegen und noch wohl ein Jahr liegen
dürfte, weil ich nicht eben gut finde damit ins Publikum zu eilen. Und meine liebe Märtyrin Lieschen?
War das der omineuse traurige Abschied den sie mir gab. Sagen Sie ihr, daß „<ul>Leiden</ul> das große
Geheimniß unserer Religion sey. Und daß ich für sie grüßen Sie den Tarwaster und sein liebes
Weibgen. Goethe hält besonders viel auf ihn. Vor allen Dingen aber vergessen Sie nicht meinen
lieben Bruder Christian. Daß er doch mir näher käme Ich werde Sie alle noch einmal sehen hier,
hier, wünsche, glaube, vertraue ich. Sie mein Vater, Sie meine Mutter ich werde Gott schauen. <line type="empty"/>
J M R Lenz. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Klopstocks Republik ist eine verborgene Geschichte und Gesetzbuch der deutschen Dichter und der
deutschen Kritik. Alle diese Dunkelheiten waren nothwendig, nur niemand öffentl. zu beleidigen.</sidenote></letterText>
<letterText letter="83"><line tab="1"/>Ich freue mich himmlische Freude, daß Du mein Stück gerade von der Seite empfindest auf der ichs
empfunden wünschte, von der Politischen. Doch es konnte nicht fehlen, überall auf Deine
Meynungen und Grundsätze gepfropft <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was die letzte Szene betrfft, so viel ich mich auf sie zurückerinnere, deucht mich könnte allen
verdrießlichen Folgen durch Weglassung oder Veränderung einiger Ausdrücke des Obristen begegnet
werden. Z. E. das mit den Konkubinen, medischen Weibern, könnte ganz wegfallen und der Obriste
dafür lieber von Soldatenweibern sprechen, die wie die Landmilitz durchs Looß in den Dörfern
gezogen würden und sodann wie die Römischen Weiber die nicht <aq>confarreatae</aq> waren, auf gewisse
Jahre sich verheuratheten. Die Kinder erzöge der König. Sie giengen auch wohl wieder in ihr Dorf
zurück und blieben ehrlich, es war <aq>sors.</aq> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Doch darf und kann vor einem Jahr von diesem 20sten Novbr. an das Stück nicht gedruckt werden.
Und auch dann wenn ich noch hier bin, frage mich. Verzeyh Grosser! meine närrische <ul>Ordre.</ul> Welch
Wort!</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ordentliche Soldatenehen wollen mir nicht <page index="2"/> in den Kopf. Soldaten können und sollen nicht
mild seyn, dafür sind sie Soldaten. Hektar im Homer hat immer recht gehabt, wären der Griechen
Weiber mit ihnen gewesen, sie hätten Troja nimmer erobert. Ich hab einige Jahre mit den Leuten
gewirthschaftet in Garnisonen gelegen gelebt handthiert <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Du anstehst Theurer, so schick mir die letzte Scene abgeschrieben zu, daß ich sie ändere. Doch
könntest Dus so leicht thun, nur in den <ul>einen</ul> Dialog des Obristen einschieben pp Laß mich die
Fürsten erst fragen, ich will Ihnen mein Projeckt schon deutlicher machen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was ich verlange? Nichts verlange ich, einen Dukaten zwey Dukaten was der Kerl geben will. Wär ich
meiner kleinen Schulden erst frey, nähm ich durchaus auch gar kein Buchhändler <ul>honorarium,</ul> das
mir jedem Schriftsteller äusserst <ul>schimpflich</ul> scheint. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein Reisegefährt ist ein guter wachsweicher Mensch, der sich itzt so an Strasb. angeklebt hat, daß
ich nicht weiß ob er je loßkommen wird. Es ist der Sohn des Münzjuden Ephraim, der sich aber nicht
dafür ausgiebt, sondern Flies nennt. Sein voriger Reisegefährt hat ihn beym Mitleiden angepackt, da
zappelt er nun. Ich sage kein Wort wie Du Dir leicht vorstellst wer weiß ob ich gar reise. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
Abgötterey treib ich mit euren Silhouetten. Sage Deiner Frau, daß ich jeden Buchstaben von ihr küsse.
Sie und die Schlossern (von der ich eben komme) sind die Frauen meiner Freunde, an deren
Liebenswürdigkeit ich mich auf keine andere Art <ul>zu rächen</ul> weiß als daß ich sie einmal wie Aristoph.
aufs Theater ziehe. <gr>έλχειν</gr> aber erschrick nicht. Auf <ul>meine</ul> Art.</sidenote></letterText>
<letterText letter="84"><line tab="1"/>Sehen Sie wie mein armer Bube durch die Moralisten ist zugerichtet worden. Desto besser. Lassen Sie
ihn ohne Namen in die Welt lauffen, jedermanns Hand seye wieder ihn und seine Hand wieder
jedermann. Der Nachkomm dankts uns. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier haben Sie auch was von Schlossern und einen Schulmeisterbrief in Knitteln. Schlossers Namen
bitte nicht zu nennen. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Bitte mir die Bedingungen für Schlossern zu schreiben, damit sie ihm melden kann, weil ichs ihm
abgeschwatzt habe. Er will, wie Ihr erster Brief es versprach, nur einen Louisdor für den Bogen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>ich habe ein Mittel alles das bey Wiel. und seinem Publiko wieder gut zu machen, das ich aber <aq>in
petto</aq> behalte. Ableugnen werd es gewiß nicht, so sehr ich vor der Hand meinen Namen verschwiegen
wünschte. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Daß doch der Abdruck des Possenspiels recht korrekt wird. ich kann und darf sie hier weder
abschreiben noch abschreiben lassen.</sidenote></letterText>
<letterText letter="85"><line tab="1"/>Sie sehen lieber Gotter! hier ein Stück wo alle Characktere gleichsam nur angedeutet sind, dem
Schauspieler nur Winke geben was er zu thun habe und ihm auf keine Weise zuvorgreiffen. Ich habe
alles wohl überdacht, es läßt sich nicht anders für ein heutiges Theater einrichten, es würde sonst zu
lang, zu groß, zu unbändig. Wollten Sie den Herren vorschlagen einen Versuch damit zu machen, das
Sujet ist wenigstens ganz neu und wie mich deucht geschickt genug die Talente eines Schauspielers
zu üben. Die beyden Freunde handeln unendlich mehr als sie reden und ihr ganzes Spiel setzt langes
Studium voraus. Zwey Leute die determinirt sind in allen Fährlichkeiten einander mit ihrem Leben
beyzuspringen, müssen in jeder Bewegung in jeder Mine <page index="2"/> Enthusiasmus für einander weisen, sonst
wird das ganze Spiel frostig und kalt. Auf diese kommt nun alles an, was das Stück heben oder fallen machen
kann. Eben so enthusiastisch für seinen Sohn muß der Vater seyn, oder er wird abscheulich. Die Freude
bey der Hofnung seinen Sohn wieder zu bekommen so ausschweiffend als die Wuth bey Fehlschlagung dieser
Hofnung. Und das alles keine Grimasse unsers gleichgültigen Jahrhunderts, sondern wahres inniges Gefühl
seyn. Unter diesen Voraussetzungen allein kann das Stück gefallen. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">
Sechs Exemplare bitt ich mir aus.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Verzeyhn Sie mir meine lange Paranäse, ich weiß wohl daß der Dichter viel vom Schauspieler lernen
muß, aber wiederum kann er doch dem Schauspieler am besten in den Standpunkt stellen aus dem er
gearbeitet. Findt Herr Seiler es unspielbar, so lassen <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="Fortsetzung am linken Rand, vertikal">
Sie es etwa drucken, es möchte doch wohl auch im Lesen hie und da gefallen. Lenz.</sidenote></letterText>
<letterText letter="86"><line tab="1"/>In der grösten Eilfertigkeit kann ich Ihnen nur bester Gotter sagen, daß ich Ihr edles liebes Schreiben
erhalten, für Ihre Theilnehmung danke und Sie bitte mir das Schicksal und die Aufnahme meiner
<aq>Captivei</aq> in zwey Worten zu berichten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Vor allen Dingen sagen Sie aber Goethen kein Wort von alledem, wenn Ihnen meine Freundschaft
noch werth ist. Ich erwarte die Missive mit der fahrenden. Oder das Mskpt. wieder. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Warum geben Sie mir denn keine Nachricht von Ihrer Fräulein Schwester. Werden wir nicht das
Versprechen erfüllt sehen, daß Sie sich thaten, Strasb. zu dem Mittelpunkt ihrer Zusammenkunft zu
machen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und warum haben Sie an das nicht gedacht, woran mein Brief wenigstens Erinnerung seyn sollte? Ich
sage Ihnen Sie erweisen Vaterlande und Freunden einen Dienst damit. Von Ihren theatralischen
Sachen hör ich soviel reden u. kann sie kann sie nicht zur Ansicht bekommen. Leben Sie wohl Bester
und antworten balde <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihrem äußerst zerstreuten<line type="break"/>
aber stets redlichen JMR Lenz</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
im Begrif zu Pferde zu steigen Wenn Sie Stolbergs sprechen, tausend Empfehlungen von mir, die
ihnen Lavater auszurichten vergessen hat.</sidenote> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<page index="4"/>
Ihr Urtheil! <line type="break"/>
Es ist hier in großer Gesellschaft vorgelesen worden und hat Glück gemacht. Doch ists das einzige
Mskpt. das ich habe</letterText>
<letterText letter="87"><line tab="1"/>Ich schreibe Dir dieses unter dem Gestürm der Feuerglocken und Feuertrommeln in der Nacht um 4
Uhr. Kayser wenn Du Stollberg schreibst, so sag ihm, ich hätte Lavatern einen Dank für die mir
überschickte Freiheitshymne geschrieben, den er ihm noch auszurichten hat. Doch mögt er
bedenken daß ein guter Wein keines Kranzes bedarf, am wenigsten von meiner Thespishand. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es wird bald ein tüchtiges Geschimpf und Geschmäh über mich in Deutschland loßgehn. Kaiser! willst
Du auch von der Parthey seyn? Nein lieber Junge Du hast mich zu lieb, Du hast Dich zu lieb. Wenns
überstanden ist, so lachen wir doch. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Millern hab ich geschrieben, ich lieb ihn wie meinen Augapfel, er ist zum Poeten geboren. Schick mir
Klingers Schauspiel, aber mit Gelegenheit. Ich bin durch meine Correspondenz hier in tiefe Schulden
gerathen, die mir auch wacker zusetzen. Das sollte mich freuen, wenn Du was von Deinen Musikalien
hättest drucken lassen, und das wär ich zu sehen, am meisten begierig. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In Bojens Monathsschrift kommt eine Schulmeisterchrie in Versen von mir die Dich auch freuen wird.
Bester wenn Du doch bey Gelegenheit Dich erkundigen könntest, was aus meinem Petrarch <page index="2"/>
geworden ist. Es wäre der beste Wundstillende Balsam in diesem für mich kritischen Zeitpunkt um
des Publikums Wuth gegen mich ein klein klein wenig zu besänftigen. <line type="empty"/>
<align pos="center">Grüsse <ul>Lavatern.</ul></align> <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>auch kommt bey Gottern ein neues Lustspiel nach dem Plautus von mir zum Vorschein, worinn ich
dem Faß vollends den Boden ausschlage. Es muß diesmal bauen oder brechen auf immer. Ich bin zu
allem gefaßt Unser aller Freiheit <ul>hängt vom Petrarch</ul>ab. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie schön man eben vom Münster ein Danklied abbläst. Das Feuer war grad der Kirche gegen über
und ist Gottlob!! glücklich gelöscht. Herr Gott dich loben wir. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
Frage doch Lavatern ob er mein letztes Briefgen erhalten hat, in dem von der Physiognomik die Rede
war. Ich gab ihn jemanden bis Basel mit, dessen mir bekannte Nachlässigkeit mir itzt Sorgen macht.</sidenote></letterText>
<letterText letter="88"><line tab="1"/>Ich habe noch etwas für Sie Boje! daß ich aber unter zehn Dukaten baare Bezahlung nicht
herausgeben kann. Es ist eine Erzehlung in Marmontels Manier, aber wie ich hoffe nicht mit seinem
Pinsel. Sie können (wie zu allem was ich Ihnen schicke) dreist meinen Namen nennen, wenn Ihnen
das rathsamer deucht. Auch hat es in der That fünf Bogen, sehr kompreß geschrieben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Verzeyhn Sie mir meinen Ungestüm, ich sitzejetzt recht mitten in der Noth drin. Meine Schulden sind
nach meiner Proportion beträchtlich und wenn ich nicht geschwinde Rath schaffe, muß ich
befürchten an einem Ort wo meine Reputation mir bisher meinen ganzen Unterhalt verschafft hat,
für immer und unwiederbringlich prostituirt zu werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Leben Sie wohl Lieber! und antworten mir sobald es seyn kann. Sobald ich Ihre Meynung mit dem
Vorschuß erhalte, sollen Sie meinen Zerbin unfehlbar ehe Sie sich umsehen, in die Arme schließen,
der Ihnen mehr Freude machen wird als alles was Sie noch bisher von mir gesehen.<line type="break"/>
<align pos="right">Ihr Freund Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="89"><hand ref="20">
Empfangen den 2ten Jan. 1776.</hand> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier lieber Freund, Zerbin, den ich aber unverzüglich zurück haben muß, wenn Sie ihn nicht brauchen
können, wollen, was weiß ich. Ich habe mehr als einen, der mir zehn Dukaten dafür giebt und was ich
thue, thu ich um Ihrentwillen. Mit den Knitteln, dacht ichs doch daß es nicht gehen würde
neinzuwerfen, Sie schicken mir aber, ich bitte, sie wieder, es wartet hier jemand mit Ungeduld auf
sie. Meine grösseren Sachen können eine Weile ruhen, unterdessen bitte Hellwiegen einen warmen
Gruß von mir zu sagen. Meinen letzten Brief an Sie und meine Umstände bitte verschwiegen
zu halten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herr Blessig den Sie noch aus Göttingen kennen werden arbeitet an etwas das wir Ihnen auch
zugedacht haben und von dem er den ersten Bogen in einer unserer Versammlungen mit
allgemeinem Beyfall vorgelesen. Sein Sujet ist die Bildung der Griechischen Sprache durch die Poeten
und Philosophen und er sammelt noch fleissig Materialien zu künftiger Bearbeitung. Sie kennen vielleicht
schon die ganze Feinheit und Stärke seiner Diktion. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Unsere deutsche Gesellschaft vergrössert sich von Tage zu Tage. Schlosser ist auch davon und in
Colmar Freyburg und andem benachbarten Oertern bekommen wir Zuwachs. In Erwartung baldiger
Antwort und <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Nachricht von Zerbins Schicksal, das ich ganz ohne Umstände mir als ein Biedermann zu bestimmen
bitte, bin mit wahrer Freundschaft</sidenote><line type="break"/>
Ihr ehrlicher Fr. u. Diener Lenz.</letterText>
<letterText letter="90"><line tab="1"/>Ists möglich Herder, daß ich Dir, ich mit gesammter Vaterlandsstimme noch nicht für Deine Ursachen
des gesunkenen Geschmacks gedankt habe. Aber so gehts mir mit alle Deinen Sachen, ich geniesse so
freudig so feurig daß ich allemal den grossen Dank darüber vergesse. Vergesse? Verhüte der Himmel das
abscheuliche Wort, den Dank meines Herzens mußt Du gefühlt haben, nur gehts mir wie einem blöden Liebhaber im
Angesicht seiner Vollkommenen dem die Zunge mit Bleygewichten gebunden ist der <it>zu reden</it> zittert. Nein ich kann
nicht reden. Kann nur immer mit tränendem Aug in die Wolken sehn fröhlich glücklich seelig, daß Du da
bist, daß Dein Weib, das süssere Weibliche Du Dir zur Seite schwebt also immer Werth und Belohnung mit
Blumenketten aneinander gebunden geht. Herr Herr Gott barmherzig und gnädig, von grosser Liebe und Treue. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Ich hatte über die Geschichtsphilosophie ein Gestammel in Versen an Dich aufgesetzt, das ich aber als
ein kindisch Lallen unterdrückte. Liebe Posaune des Erzengels, schmettere schmettere Tod und
Gericht in tausend unbereitete Busen, mir bist Du Gesang ewigen ewigen Lebens. Daß ich einmal ein
Mann würde und Ordnung um mich her sähe und mir die Schriften meiner Lieblinge alle nach ihrem
individuellen Werth um mich her stellen könnte, wie groß und stark würde ich denn seyn. So
aber genieß ich immer im Fluge, doch seelig <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Darf ich Dir zu dem Hügel Glück wünschen auf dem Du itzt Batterien anlegen wirst, grosser Freund
des Herrn? Mein Herz wallt und schwingt sich für Freude über alle die Aussichten, ich aber ich mein
Bruder ach eine Träne aus Deinem Männerauge ich werde untergehen und verlöschen in Rauch und
Dampf. Doch will ich die Liebe mitnehmen. Sie allein wird mich # <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
# zur Hölle hinabbegleiten u. noch da tröstend zur Seite stehn. Meine Reise nach Italien könnte sich
wohl noch machen, aber sobald nicht. Der Stein des Anstosses ist fort, nur hängt mein Mann noch zu
stark an Strasburg. Diese Reise ist mir eine wahre Höllenfahrt. Von allem mich loszureissen und doch
muß es gerissen seyn. Herder laß Deine Seele, Deine Vaterwünsche mir folgen, mich nie verlassen.
Und Deiner Frauen ach wenn sie mir wohl will, so kann ich Gott nicht unangenehm seyn.</sidenote><line type="break"/>
Lenz.</letterText>
<letterText letter="91"><hand ref="18">
<line tab="1"/>Mein lieber Lindau <note>Textverlust</note> zu Herrn v. Kniestätt. Er ist der einzige am Hof den ich kenne, und
der wird Sie mit allen ehrlichen Leuten bekannt machen! Ich küße Sie herzlich; hier haben Sie einen
Brief für ihn. Leben Sie wohl. Schl.<line type="break"/>
E. d 23 Dec. 1775.</hand> <line type="empty"/>
<hand ref="1">
<line tab="1"/>Den Einschluß gieb doch Zuckerpüppgen unserm Goethe ab. Sollt er noch nicht da seyn, laß es nur
seinen Eltern <line type="empty"/></hand>
<hand ref="18">
<align pos="center">vive St. Thomas!</align></hand> <line type="empty"/>
<hand ref="1">
<line tab="1"/>Hier bester Lindau ein Paar Zeilen von Schlossern von denen ich wünschte, daß sie Dich noch vor
Carlsruh ereilten. Ich hatte die Nacht mit jungen Franzosen geschwärmt und nach der Mette mit
ihnen frühstücken müssen. Nach dem Frühstück legt ich mich schlaffen und erwachte erst um zehn,
da ichs denn für zu spät hielt, zu Dir zu gehen. Deine Bestellungen zeugen von der Güte Deines
Herzens, leyder hab ich bey all unsern drey Buchhändlern nach den angezeigten Büchern vergebens
gefragt. Einer aber hat mir versprochen, sie mir aufs höchste in drey Wochen aus Leipzig kommen
zu lassen. Solltest Du Deine Meynung ändern, so schreib mirs daß Schlosser das Geld abgeben
kann. Er kommt vielleicht auf die Neujahr hieher.<line type="empty"/></hand>
<line tab="1"/>Ich habe auch noch das Original des Briefes von Deinem treflichen Freunde Greven hier, von dem Du
mir erlauben wirst, eine Kopey zu nehmen. Ich schick es durch Goethe, versiegelt wieder; ihn hab ihn
2, 3 mal durchgelesen und kann mich nicht genug weiden daran. Dein Peter ist mir # <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Auch immer vor den Augen und ich beneide Dich um den ganzen <del>Fu</del> Stolz solch eines Funds und solch
eines Projeckts. Denk an mich, wenn Du Deine Schwester umarmst. Hernach vergiß mich, ich werde
drum nie weniger seyn aus ganzer Seele Dein Freund Lenz</sidenote> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<page index="2"/>
<hand ref="18">
An<line type="break"/>
<nr> </nr> von Lindau.</hand><line type="empty"/>
<hand ref="12">
<line tab="1"/>Lieber Lindau nur ein Wort auf diesen Brief. Seegne Dich Gott ferner mit gutem Glauben und Freude
an Dir selbst. Wir sehn einander wohl wieder. Schreib mir nur ein Wort hierher wie Dirs geht, und
wohin Du ziehst grüse den Engel. Weimar d. 8. Jan 1776.</hand></letterText>
<letterText letter="92"><line tab="1"/>Ich kann mich nicht enthalten gnädige Frau, Ihnen den ganzen ganzen Brief der Gräfin Waldner über
den Beschluß Ihrer Henriette zuzuschicken. Sie werden in jedem Zuge das unaussprechliche sehen,
das ich nicht als Mannsperson, das ich nach der kältesten Erkenntniß drin finde. Haben Sie die Gnade
ihn mir wiederzuzuschicken, weil ich der Person der er gehört, ihn nur unter dem Vorwand abgeschwatzt habe
um die Stelle die Ihre Henriette angeht, für mich auszuschreiben, nichtweniger die über Hn. von Bismark Denkmal
auf seine verstorbene Frau, das ich bey dieser Gelegenheit Ihnen nicht genug empfehlen kann. <line type="empty"/>
<aq>il trouve bien toutes ses pensées toutes ses actions il semble </aq>denken Sie, <aq>il semble</aq> (wie wenig sie
mit dieser Empfindung prahlen will) <aq>il semble quon voudroit avoir eté cette femme et etre morte pp.</aq>
<line tab="1"/>Kurz um gnädige Frau, ich werfe mich Ihnen zu Füssen, daß Sie mir dieses Heiligthum von Abdruck
einer schönen Seele (wie wenig vermutet sie, ihren Brief in andern Händen zu sehen) wieder
zukommen lassen, damit ich bey seiner Besitzerin kein Kirchenräuber werde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie schreibt alle ihre Briefe auf der Hand, grad wie sie ihr aus dem Herzen kommen,
nun zählen Sie auf die Wahrheit der Ausdrücke <aq>ilest impossible de rendre</aq> und des <aq>jy ai pleuré de bien <ul>bon coeur.</ul></aq>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Ich darf Ihnen nicht mehr Zeit wegnehmen gnädige Frau nur eines bitten will ich noch, bitten und
betteln, Nachrichten von Ihrer Familie und die Wölkgen die vor Ihrem Angesicht hängen werden
balde zerteilt seyn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von mir darf ich nichts sagen, meine Reise nach Italien könnte durch die magnetischen Kräfte die
meinen Reisegefährten an Strasburg heften, noch auf ein Jahr hinausgeschoben werden. Mittlerweile
werden sich erschröckliche Nebelwolken vor meine Stirne lagern und ich Freunden und Feinden ein
Ungeheuer scheinen bis Gott andere Zeiten schafft. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Entziehen Sie mir, ich mag Ihnen erscheinen wie ich wolle, wenigstens nachdem was ich gewesen bin,
oder Ihnen anfangs schien, entziehen Sie mir, gnädige Frau den kleinen Funken gütiger Achtung,
Nachsicht nicht, den mein guter Genius in Ihrem Herzen für mich erhalten wolle, der immer immer
mein ganzes Glück ausmachen wird. Bedenken Sie, ich flehe, daß ich grosse lange Büssungen im
Fegefeuer vor mir habe vielleicht mehr <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align><line type="break"/>
Strbg d 28sten 10br 1775<line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Haben Sie die Gütigkeit Ihre mir unschätzbare Zuschriften künftighin immer unter folgender Adresse
an mich kommen zu lassen <line type="empty"/>
<aq>A Messieurs Meuille et Perrin<line type="break"/>
Marchands trés renommés<line type="break"/>
pour rendre a Mr. Lenz<line type="break"/>
a Kehl</aq>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
An die Frau<line type="break"/>
Geheimde-Räthin von <ul>La Roche</ul><line type="break"/>
in Coblenz.<!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="93"><align pos="right">G. den 2. Jenner. 76.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein erster Brief in diesem Jahre ist an Sie, liebster Lenz. Ich habe keinen Posttag versäumen wollen,
Ihnen die Ankunft Ihrer Algierer zu melden und die versprochenen 4. Louisdor zu schicken. Zwar hab
ich noch keine Antwort von Seyler, aber ich bin gewiß, daß er mir für den Händel Dank wißen wird.
Was ich sonst noch mit dem Stücke bey dem hiesigen oder Hamburger Theater erwuchern kann, sollen
Sie ohne Verzug haben; alles mit dem gehörigen Anstand und Dekorum. Deshalb können Sie außer
Sorge seyn. Übrigens seh ich aber nicht recht ein, warum wir Schriftsteller, da wir von dem
Publikum überhaupt so wenig Belohnung zu hoffen haben, mit den Theaterdirektoren Komplimente
machen oder vielmehr uns eines Händels schämen sollen, der in der ganzen Welt eingeführt ist.
Doch wer hierunter Delikateße hat, muß geschonet werden. Goethe war vorige Woche hier; aber wie kurz!
Er kam nach Mitternacht auf der Redoute an, brachte den folgenden Tag bey Hofe zu und reiste sodann
mit der Weimarischen Herrschaft wieder zurück. Ich hab ihn in allem kaum eine Viertelstunde gesprochen.
Er weiß noch nicht, wie lang er in Weymar bleiben wird, wo er den Günstling in bester Form und Ordnung
spielt und den ihm eignen vertraulichen, nachlässigen, hingeworfnen Ton überall eingeführt hat.
Ich muß ehestens hinüber, um mich selbst von dem Fuß zu über<page index="2"/>zeugen, auf welchem er mit
Wiel. steht. Was man davon hier erzählt, ist nicht zum Vortheil des leztem. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein Urtheil über die Algierer? Noch kann ich nichts, als sie loben. Zum urtheilen muß ich erst ein
wenig kälter werden. Wenn dieses Stück keine Würkung thut, so geb ich mich nie wieder mit
theatralischer Nativitätstellung ab. Solch ein warmes, ungetheiltes Intereße! Solche gedrängte
Handlung! Solche Einfalt in Gang und Sprache! Mich dünkt ich höre schon Ekhof Alonzo. Daß ich,
durch Hülfe eines Mittlern Vorhangs die Akte zusammengerückt und aus fünf, 3. gemacht, auch
ein paar Ausdrücke gelindert habe, werden Sie mir verzeihen. Und dann einen einzigen Einwurf.
Pietro ist seinem Vater ungefähr in seinem zehnten, zwölften Jahr entrissen worden. Sollt er
sich so sehr verändert haben, daß Alonzo nicht die geringste Spur von Ahnlichkeit mehr fände
und wenn das wäre, auch der Vater? Pietro hört sich von seinem Vater nennen und sein Herr sollte
diese bekannte Stimme nicht wieder erkennen? <line type="empty"/>
<line tab="1"/><ul>Meine</ul> theatralischen Sachen lohnen des Postgelds nicht, sonst schickt ich sie Ihnen mit Vergnügen;
aber sobald sich eine Gelegenheit zeigt, solls geschehen. Das Beste darunter ist noch nicht gedruckt;
der <ul>Jahrmarkt,</ul> eine Operette und <ul>Mariane,</ul> ein bürgerliches Trauerspiel, nach der Melanie des Ia Harpe,
aber so umgearbeitet, daß ich es <page index="3"/> so gut mein nennen kann, als Racine seine aus dem
Euripides gestohlnen Tragödien. Ich weiß selbst nicht, warum <insertion pos="top">ich</insertion> es noch nicht über mich gewinnen
kann, nach eignem Plane zu arbeiten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre Anmerkungen wegen des von den beyden Freunden zu beobachtenden Spiels sind vortreflich
und ich werde sie gehörigen Orts mittheilen.<line type="empty"/>
Empfehlen Sie mich den beiden Hhn. Salzmann u. H. Michaelis, wenn sie ihn sehen. <line type="empty"/>
Mein Freund Sulzer ist auf einer Reise ins Hannöverische, um die Beschaffenheit der dortigen
Viehseuche zu untersuchen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und meine Schwester in Lion bald hätt ich Ihre ver<note>Textverlust</note>liche Nachfrage nicht beantwortet
befindet sich wo<note>Textverlust</note> wünscht aber sehnlich, künftiges Frühja<note>Textverlust</note> land
zurückzukommen. Es wäre freylich <note>Textverlust</note> ich ihr bis Straßburg entgegen reisen kön<note>Textverlust</note>
Die Stollberge sind schon vor einigen Woch<note>Textverlust</note> gereist und haben sich nur zwey Tage
a<note>Textverlust</note> Fahren Sie fort mein Freund und von der Red<note>Textverlust</note> meines Herzens überzeugt zu
seyn! Der Himmel laß es Ihnen sowohl gehen, als es Ihnen wünscht <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihr G.</align> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
An Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Lenz</ul><line type="break"/>
mit 4. Louisdor<line type="break"/>
in <ul>Strasbourg.</ul><line type="break"/>
abzugeben bey Jngfer <ul>Lutte</ul> in der Knoblochsgaße.</letterText>
<letterText letter="94"><align pos="right">D. 2ten Jenner 76. Strabg</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich kann denen Leuten die meinem Herzen am nächsten sind am wenigsten sagen. Wir steuren
vielleicht auf einer See unter dem nehmlichen Winde nach einem Ziel. Lassen Sie uns nie vergessen
wenn Dunkelheit weit um uns her auf dem grossen Ocean liegt, daß wir uns lieben, wenn wirs uns
schon nicht sagen können und alles für einander zu thun und zu leiden entschlossen sind. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Daß einmal Schönheit an Höfen aufgehe, wenn der rasende Sturm sich gelegt hat, der itzt durch die
schwüle Mittagshitze zusammengezogen wird. Innere wesentliche ewige Schönheit deren Reitz nicht
veraltet. <line type="empty"/>
<align pos="center">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>ich höre Sie arbeiten an einem Trauerspiel etwa auch Pastoral? Oder aus der Welt? Oder aus der
Geschichte? Was es wolle, daß Sie nur unterstützt würden und ich mehr als Fauler seyn könnte
dürfte der über seinen Wünschen stirbt. So aber da ich selbst in Ihrem Fall bin, fremd und ganz ohne
Zuflucht hier ausser der in mir selbst Courage!</letterText>
<letterText letter="95"><line tab="1"/>Lieber Bruder ich trag etwas im Sinn das ich Dir sagen will und wozu ich all Deine Liebe und
Theilnehmung auffordre mir beyzustehn! Ich habe Bedürfniss nach einem Stück dramatischer Poesie,
das ich ganz nach meinen Ideen und Phantasien voll und prächtig componieren mögte. Und lass Dir jezt
klagen liebster Junge daß unter dem hellen Haufen gedrukten Wesens nicht ein Blatt für mich ist! Da bin ich
drauf gefallen mich an Dich zu wenden und Dir mit allem trauen und wähnen die Grille zu entdecken, ob Du
was machen willst. Es wär ein schönes Ding drum wann Du mir und Dir und allen die Du liebst, so was gäbst und
ich drinn auch das treiben meines Geists da abreiben könnte. Ich mag für diessmal nicht lang von reden, denn
alles beruht nur für erst darauf ob ich Dir so was zumuthen darf und wie sich Dein inneres darzu geberdet wann
Dus überdenkst. Es b<note>Textverlust</note> nicht Cantate nicht Lied nicht <note>Textverlust</note>rium und all das Ge<note>Textverlust</note>
solte würkliche <aq>Opera</aq> <note>Textverlust</note> <aq>Drame heroique</aq> der <note>Textverlust</note> Fühle hier meinen <note>Textverlust</note>
fürchte mich nicht mehr z<note>Textverlust</note> wie ihr Leute seyd <note>Textverlust</note> was das heißt: <note>Textverlust</note> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Vielleicht begegnet Dein Geist hier unmittelbar dem meinen und Du verstehst mich dann gleich. Könt
ich Dir so sagen wie das doch Verdruss ist wann man so was braucht und nichts hat. Siehe das schöne
heroisch, simple, verliebte Zeitalter der Griechen, und was so ein Süjet da heruasgenommen für liebe
Reize darböte Ich will nur schweigen! Bitte Dich antworte mir gleich auf meine Idee und lass es gut
aus fallen. Wilst Du Dich mit einlassen so reden mehr, und wilst Du noch etwas weiter fragen wie ichs
für die Macht der Darstellung der Musik am besten halte so rede und ich antworte. Nur schlag mir
wenigstens den Zunder nicht aus der so gut gefangen hat, und lass es dann während so langs will biss
Feuer gibt. Adieu. Adieu. <line type="empty"/>
<align pos="right">K.</align></letterText>
<letterText letter="96"><align pos="center">Göttingen. Den 10ten Januar. 1776.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie soll ich Ihnen meinen Dank sagen für Ihre vortrefliche Erzählung, mein liebster Lenz!
vortreflicher, als ich noch eine in unsrer Sprache kenne, und die, durch Ihre Freundschaft, in mein
Museum! Ich habe das erste Stück noch nicht, und weiß nicht eigentlich, was darin steht. Da ich mehr
Mspt schicken mußte, als hineingeht, fürcht ich hat der Verleger aus eigner Bewegung was ausgelaßen,
was nicht ausgelaßen werden sollte. Ich habe ihm heut Ihren Zerbin zugeschickt, und er kömmt ins
zweyte Stück. Aber, um des Himmels willen, Freund, laßen Sie sich nicht merken, was ich Ihnen schicke.
Ich kann keinem andern das geben, oder ich bin verloren mit dem ganzen Unternehmen, von dem ich mir
jetzt selbst schon was zu versprechen anfange. Dank für die schönen Aussichten, die auch Sie mir machen.
Freylich kenn und schätz ich Herrn Bleßig. Er hatte schon hier, so viel ich weiß, die Idee, von der
Sie mir schreiben, und es soll mir sehr willkommen seyn, wenn er die Ausführung ins Museum geben will.
Grüßen Sie ihn. Ich freue mich, daß sie einander kennen. Ein herrlicher Einfall mit Ihrer Gesellschaft
von Freunden der Litteratur! Ich werde, wo ich hinkomme, auch eine zu veranlaßen suchen, wenn ich
gleich solche Aussichten nicht vor mir habe, wie Sie. Es ist fast entschieden, daß ich nach
Hannoverunter recht guten Bedingungen komme. Indeß bleib ich noch diesen Monat hier. Sehr viel hab ich,
bey meinem lezten Aufenthalt, mit Zimmermann von Ihnen gesprochen. Wo sehen wir uns einmal? Ich
brenne vor Begierde, Sie persönlich kennen zu lernen. Sagen Sie mir Ihre Aussichten. Werden Sie
je eine Bedienung suchen. Und von welcher Art? Daß das, was Sie mir lezt schrieben, bey mir bleibt,
versteht sich von selbst … Ist Pfeffel in Colmar auch unter ihnen? Schloßer hat mir neulich durch
Prof. Meiners, mit dem er in Kor<page index="2"/>respondenz steht, etwas Neues versprechen laßen, welches ich mit
Begierde erwarte. Nun Göthe sich mit W. verbunden, darf ich mir von ihm nichts versprechen. Voß schickt
mir eben einen Almanach für Sie. Ob Sie damit zufrieden seyn werden, daß er Sie unter dem Epigram
genannt, weiß ich nicht. Ich bin nicht Schuld daran. Da es nicht mehr Postgeld macht, und ich das Geld
desto bequemer beypacken kann, schließ ich das Paket an Pfeffel bey, und bitte, es gütigst zu besorgen.
Sie werden sich über die Nachricht freuen, daß Gerstenberg endlich aus seinem litterarischen Schlaf
aufwacht, und daß wir diesen Sommer ein paar Bände Schriften, so viel ich weiß ungedruckte, von ihm zu
erwarten haben. Es ist eine Oper darunter. Wißen Sie etwas von einem jungen Genie, das in Kostnitz
aufgewacht seyn soll, und von dem mir Zimmermann sehr viel erzählt hat? Von Klopstock bekommen wir
Ostern eine deutsche Grammatik. Wie weit es mit dem zweyten Theil der G. R. ist, weiß ich nicht. Ein Versuch
über die Biegsamkeit unsrer Sprache, den ich daraus gelesen, war herrlich. K. hatte darin Stellen aus
den besten Griechen und Lateinern, jede in ihrem eignen Ton, übersetzt. Eine vollkommere Uebersezung
ist vielleicht nicht, als die von dem berühmten Briefe des Brutus an den Oktavius. Wie gefallen Ihnen
Voßens Idyllen? Er macht izt neue. Und Stolbergs Felsenstrom im Alm? Sein Meisterstück nach meinem
Gefühle! Wißen Sie, daß Claudius eine Bedienung im Darmstädtischen bekommt? Ich erwart ihn nächstens hier.
Die Stolberge sind izt wieder auf ihrer Reise nach Dänemark. Die armen Kammerherrn in der Antichambre!
Wenn das erste Stück des Museums in <page index="3"/> Ihre Hände kömmt, sagen Sie mir Ihre Gedanken. Anbey folgt
der Schulmeister zurück. Ich hätte gern das Original als ein Andenken von Ihrer Hand behalten, und habs
abschreiben laßen. Wenn die Abschrift leserlich ist, schick ich Ihnen die. Leben Sie wohl, und bleiben Sie
mir gut. Ohne Falsch, <insertion pos="top">ohne</insertion> alle Nebenabsicht der Ihrige Boie. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von den W. noch keine Nachricht. Wüßt ich, daß sie bald kämen, hätt ich das Packet bis dahin
aufgehalten, um Postgeld zu ersparen. Wenn Sie doch solcher Erzählungen, wie Zerbin, noch mehr
machten! Auch den Anschluß an Hn. Schneider bitte zu besorgen. Ich habe keine Dukaten, und hoffe,
Sie werden auch die L. brauchen können. 4 <aq>Louisd.</aq> machen 7 Duk.</letterText>
<letterText letter="97"><line tab="1"/>Ich schreibe Dir, lieber <it>Lenz,</it> dießmahl in einer wunderlichen Verfassung Ich habe da ein anderthalb
Hundert Bürger um mich deren Wohlfart ich besorgen soll; und die doch selten selbst wissen was ihre
Wohlfart ist doch wer weis es? warlich, lieber Freund, es ist sehr schwehr, es ist fast unmöglich in
der Welt Leute glücklich zu machen, die so in tausend und tausend Verhältnisse verwickelt sind, so in und ausser
sich immer zu kämpfen haben, daß sie alle 2 Schritte anstoßen. Auch ist wirklich das Gebäude von menschlicher
Mühseeligkeit so zusammen gesetzt daß an dieser dädalischen Maschine alle Augenblicke etwas fehlen muß. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Doch in der That, mein Lieber, wenn ich mir recht auf den Puls fühle, so ist der gröste Defect an
Glückseeligkeit meiner und ich glaube auch wohl aller Menschen negatif. Es ist nicht so viel Schmerz
und Leiden, als vielmehr Oede an herzrührenden herzfühlenden Freuden, das uns drückt. Daher
kommt das Gähnen die größte Quaal des Lebens, das Jagen nach falscher Glückseeligkeit oder Freude, das
Haschen nach Ehre, der Durst der Eitelkeit, das Koketiren des Mädchens, des Dichters, des Autors, und die
tausend Schmetterlinge nach denen wir immer greifen, und die uns nie gnügen, wenn wir sie haben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und woher dünkt Dich kommt das? Meinst Du daß es an Armut der Welt, oder glaubst Du daß es an
Schlaffheit der Mode liegt? Sterben wir aus <aq>inedia</aq> oder <aq>ex fame</aq>? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mich dünkt es fehlt mehr an uns als an der Welt. Die Freuden der Liebe, der Freundschaft, des ächten
Wohlthuns, des Lebens mit Gott, die Freude des Künstlers an Ton, an Farbe, an Gestalt, sollte uns das
nicht überzeugen daß die Welt reich genug ist und daß nur wir zu schwache Magen haben. Und ists
nicht blos die Erziehung die uns diese geschwächt hat? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin einmal in der Meinung daß kein Philister gebohren wird. In allen sind einige Nerven vorzüglich
gespannt, die durch die Erziehung so vest und sicher gestimmt werden können, daß die seelige
Vibration nie fehlen kann, wir mögen uns in der Welt hinwenden wohin wir wollen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Leb wohl! Der Augenblick den ich während des Schreibens des Actuarii erwischte, ist vorbey! Ich
küsse Dich herzlich! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Du schreibst mir nichts von den Büchern die ich verlangte: Herodot, Diod. Sic. und Plutarch. Kannst
Du sie nicht haben <it>Lindau</it> ist ein Stockfisch. Ich habe ihm keinen Auftrag gegeben. Er soll sich besser
erklären. Adieu. <line type="empty"/>
Schlosser. <line type="empty"/>
Auf dem <it>Emmendinger</it> Rathhaus, den 13 Jänner 1776, Abends 7 Uhr.</letterText>
<letterText letter="98">Hochgeehrtester Herr!<line type="break"/>
Hier die Offenbarung Johannis von Lavater an <aq>Herder.</aq> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><aq>Lavater</aq> grüßt Sie herzlich hat nicht Zeit zu schreiben. Bittet Sie die Offenbarung, so bald möglich an
<aq>Herder</aq> durch Hrn. Geheimen Rath <aq>Heß</aq> in Darmstadt zu überschicken nebst <aq>Stollberg</aq> eins vor Sie
samt <aq>Passavant</aq> und <aq>Pfenninger.</aq> Leben Sie wol. Ihr ergebener Diener bey <line type="empty"/>
<aq>Johann Caspar Lavater.</aq><line type="break"/>
befindt sich sehr wol. <line type="empty"/>
Zürich. d. 14. Jan. 76. <line type="empty"/>
<note>Adresse</note>
An Hrn. <aq>Lenz</aq></letterText>
<letterText letter="99"><align pos="right">Den 14ten Jenner</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich danke Ihnen mit ganzem Herzen, Bester! für die freundschaftliche Mühwaltung die Sie sich haben
geben wollen, meinen Seeräuber in die Hosen zu bringen. Ich habe die Vier alte Louisdor richtig
erhalten, für die mein Dank zurückkommt. Lassen Sie mir meine Gefühlsart (so übersetz ich
Delikatesse) das mehrere was Sie dafür von den Schauspielern erhalten können, mehr um Sie nicht zu
verwöhnen, als um zu gewinnen, Ihnen mein bester Freund zu Ihrem selbstbeliebigen anderweitigen
Gebrauch anzubieten. Ich bin zufrieden mit dem was man mir freywillig gab. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da Sie doch einmal so freundlich sind und sich mit dem Buben zu thun geben wollen, so bitte ich Hn.
Seiler oder wem Sie ihn anvertrauen auch noch folgende kleine Einschiebsel in den Dialog
zuzusenden, die das Ganze überschaulicher machen und vielleicht manche kleine Hindernisse an die
sich die Täuschung stieß, wegräumen werden. Etwa in der <page index="2"/> ersten Szene ersten Akts, sobald
Alonzo Marianen den Anschlag entdeckt hat, den er mit dem Sklaven hat (wie die Stelle heißt kann
ich mir nicht mehr erinnern) könnte der antworten, eh er ihm noch den Glückwunsch thut <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">
Meine Adresse ist an Hn Lenz, abzugeben bey Hn. Miville Vater und Sohn in Kehl.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><ul>Mar.</ul> Wie aber wenn Sie alles dies nicht nöthig hätten und Ihr Sohn etwa gar mit unter den Sklaven
wäre, die der Ritter Ackton eingebracht hat<line type="break"/>
<ul>Alonzo</ul> Er würde mich sogleich aufgesucht haben<line type="break"/>
<ul>Mar.</ul> Er vermuthet Sie aber noch in Barcellona<line type="break"/>
<ul>Alonzo</ul> Würd ihm denn da nicht mein alter Freund Ramiro Nachricht von mir gegeben haben?
Hören Sie, er ist Ihr Correspondent, Sie könnten allenfalls doch, wenn Sie an ihn oder jemand anders
in Barcellona schrieben, <del>allenfalls</del> Nachfrage thun. Sie erwiesen mir einen Dienst dadurch. Doch was
wollen wir uns mit Schimären den Kopf zerbrechen. Ich weiß daß sein Herr ihn nicht von sich läßt,
wie sollte er denn jemals in Spanierhände gerathen? So aber bekomm ich ihn wieder und wenn er in
Beelzebubs Klauen steckte. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>wenn es gedruckt wird bitt ich mir einige Exemplare für meine Freunde aus ich wäre sehr begierig
von einem nicht schonenden Freunde die Wirkung zu erfahren, die das Stück auf dem Theater thut.
Es könnte vielleicht mir Gelegenheit geben Ihnen etwas anders zuzuschicken, daß sonst kein Mensch
auf der Welt würde zu sehen bekommen haben. ich bin entsetzlich fürs <ul>gespielt werden</ul> wenn es
unbeschadet anderer Sachen seyn kann.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und weiter unten etwa in der zweyten Scene zweyten Ackts, wo die Verwechslung der Kleider <page index="3"/>
geschieht, als Osmann Pietro fragt: Und was soll aus dir werden? und dieser antwortet: Kümmerts
mich doch nicht„ könnte er frostig lachend hinzusetzen, „ich hab ja auch noch Verwandte in
Spanien die ich aufsuchen kann wenns aufs höchste kommt“ <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie sehen daß dies die Folgen von Ihren Anmerkungen sind, für die ich Ihnen herzlichst danke. <del>Doch</del>
Man arbeitet bisweilen so flüchtig weg, ohne sich genug umzusehen nach Lesern und Zuschauern
und nach ihren Ideefolgen. Doch fällt Ihre Beschuldigung Plautussen unendlich mehr zur Last als mir,
der <insertion pos="top">ich</insertion> durch die Veränderung des Au<note>textverlust</note>halts des alten Alonzo, durch die lange Zeit des
Ausbleibens, durch die türkische Kleidung, am meisten aber durch den alle andere Erinnerungen
verschlingenden Enthusiasmus der Freundschaft in der Seele Pietros (wohin auch die Aufschrift des Stücks
weiset) allen Störungen der Illusion wie mich deucht itzt wohl hinlänglich ausgebeugt habe. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Für die Nachrichten von Goethen, Wieland, danke ich zärtlichst. Die von Ihnen bitte aber sobald es
seyn kann mit Urkunden zu belegen, damit ich sie hier meinen Freunden mittheilen kann. Fahren Sie
fort mir Ihren schätzbaren Briefwechsel zu gönnen, und von Zeit zu Zeit was von Ihrer Fräulein
Schwester was einzumischen die ich dem leichtsinnigen Gallien mißgönne. Ich lebe hier ziemlich wohl
und <ul>ausgebreitet,</ul> nur muß ich alles was mich etwas preßt sehr sorgfältig verstecken. Meine <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Situation ist eine der wunderbarsten die ich mir jemals hätte können träumen lassen. <ul>Soviel</ul>
gesellschaftliche Freunde und keinen fürs Bedürfniß. Und beydes nimmt nach dem Maaß zu nach
dem ich hier bekannter werde. Es wird Ihnen nicht besser gehn nur daß die Stadt so groß nicht ist.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Gotter</ul><line type="break"/>
Archivarius<line type="break"/>
in Gotha.</letterText>
<letterText letter="100"><line tab="1"/>Daß ich Deinem Peter viel sagen könnte ist wahr. Daß ich von ganzem Herzen gern seinem Genie den
ersten Stoß und die erste Richtung geben, ihn bey seinem Eintritt in das was <ul>man WeIt</ul> nennt
begleiten, die neuen Gegenstände die er sehen wird all in ihrem wahren Licht weisen und mit allen
den Muth herunterspannenden Gefahren die auf ihn warten bekannt machen möchte, ist auch wahr,
denn es wäre Schade wenn ein Mensch wie der durch Gesichter die nicht denken wie er jemals heruntergespannt oder
gleich im Anfange seiner Laufbahn für immer gelähmt würde <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aber nun die Kosten lieber Lindau! die Kosten. Ihr seyd nicht reich, ich bin ein Bettler Apostolisch zu
reisen leidet die Jahrszeit nicht. Ich muß hier hundert Bändergen zerhauen die ich nachher schwer
wieder anknüpfen kann. <page index="2"/> Doch <ul>kann ich sie</ul> anknüpfen und an eine Entschädigung will ich
nicht denken, nur freye Reisekosten hin und zurück, freyer Aufenthalt in Weymar und Cassel sind
Sachen die ich verlangen muß. Den Hof zu Weymar zu sehen, der jetzt ein Zusammenfluß der schönen Geister
in Deutschland wie der Medicis ehemals in Florenz wird, wäre mir freylich mit eine große Belohnung
für die Beschwerlichkeiten der Reise. Also rechnet nun nach dem Postkalender die Meilen, rechnet
die Tage unsers Aufenthalts, rechnet die Rückreise, ein zwölf Louisdor werdt Ihr müssen in die Hand
nehmen, von Ernmedingen nichts zu sagen und dem Umweg auch darüber. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Ihr geht also sicher nach Amerika. Auch darüber hätt ich viel mit euch zu reden. NB. das läßt sich nur
reden. Wenn ihr nach Amerika geht, müßt Ihr nicht <ul>umsonst dagewesen</ul> seyn, so wenig als euer Peter
der euch in allem unterstützen wird. Mein Rath soll Euch bis dahin begleiten <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Kennt Ihr Gaudi Anweisung für Offiziers von der Infanterie Feldschanzen anzulegen p. Schafft euch
das an, es kann euch brauchbar seyn und ist nicht schwer. Hier ists nicht zu h<note>Textverlust</note> sonst
schickt ichs euch. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meldt mir wenigstens was aus eurem Projekt und aus eurem Peter wird und wenn ihr nach Weymar
kommt, grüßt Goethen. Ists wahr daß er ganz dableibt? Sagt ihm ich könnte ihm noch nicht schreiben.
Ihn mündlich zu sprechen wünschte sehr. Auch soll er Wieland grüssen von mir. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
Seinen Egmond habe noch nicht bekommen. <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
<aq>A Monsieur
Monsieur Henri Jules<line type="break"/>
de <ul>Lindau,</ul> chez Monsieur<line type="break"/>
Logis Inspecteur des églises<line type="break"/>
françoises de la Hesse<line type="break"/>
á Cassel.</aq></letterText>
<letterText letter="101"><line tab="1"/>Lieber Bruder! ich bin in grausamer Beklemmung. Es ist die Frage ob ich v lieben darf. Sie ist diesen
Morgen so mächtig in meinem Herzen worden daß sie mir das innere Leben meines Geistes
anzugreiffen drohte. Ich fragte mich ist es nicht Eitelkeit, Eigennutz oder noch was schlimmers was in deinem
Herzen dies unheilige Feuer angezündet hat warum willst Du der ganzen Welt und allem was darinn auf Liebe
Anspruch macht Unrecht thun. Die innenwendige Moralische Schraubenbewegung ward aufs höchste getrieben
ich lag auf der Folter. Gott der Gedanke in dem ich eben Trost meines Lebens fand dieser einzige Gedanke
Sünde. Etwas für sie zu thun Du weißt daß dies noch das einzige war das mich an dies Leben band. Denn für
andre glaub ich auch nach dem Tode wirken zu können. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin wieder hergestellt. Die Ungewißheit konnte nicht dauern und gottlob der unsre Seelen so
eingerichtet hat. Einem Leiden von der Art wenn es anhielt wär auf der Welt nichts zu vergleichen
und endliche Kräfte zu schwach dafür <page index="2"/> Ich bin nicht gehalten etwas zu lieben, das nicht einen
mir fühlbaren Werth hat. Und das was ich bis auf den Grad meiner Geliebten lieben darf muß einen Werth
haben, der sich auf mich bezieht. Sonst müst ich die ganze Welt heurathen. Ich bin also fest entschlossen
meine heilige Grille sie mit keinem Geschöpf auszutauschen in den Sarg mitzunehmen sag mir drüber
was Du willst. Denn ihren Werth kann und wird sie hoffe ich nicht verlieren u. wohl mir wenn sie mich
nie liebt als nach Beziehung des Meinigen auf sie. <line type="empty"/>
L <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was ihr Werth in Beziehung auf mich ist? Alles. Ich behalte keinen Werth übrig wenn ich den ihrigen
zu lieben aufhöre. Meine Existenz ist vergeblich. Ich handelte für sie sie allein ist und kann
zuverlässige Richterin meiner Handlungen seyn und wer mein Verhältniß zu ihr versteht. Ob sie es
seyn wird ist die Frage nicht.</letterText>
<letterText letter="102">Mein bester Lavater! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eben habe ich ein paar Seiten in Deiner Gastpredigt gelesen Auch ich hoffe ich baue auf dem Grunde
in welchem Jesus Christus der Eckstein ist. Alle Verschiedenheiten aber wird und muß Gott einigen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe Lindau an mein Herz gedrückt. Er ist viel besser zurückgekommen als er hinreiste und sein
Herz fühlt sehr sehr dankbar gegen Dich. Könnt ich Dir nur mehrere zur Kur zusenden <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier hast Du eine Layenepistel von Schlossern, hast Du einen ruhigen Augenblick so ließ sie und sag
mir wie sie Dir gefallen hat. Ich muß sie wieder haben weil sie weiter geht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Goethe hat mir ein Zettelgen aus Weimar geschrieben und ist sehr zufrieden mit Wielanden. Bindet
mir auch ein, ich soll ihn ungeschoren lassen. Er hat mich auf meinen Posten nicht hingestellt, und
ich kann nicht wider meine <aq>Consigne</aq> handeln, was auch Freund und Feind dazu sagen mag. Soviel
weiß ich aber daß Wiel. mein Freund werden wird wenn alles unter uns abgethan ist. Nur das letzte
Wort darf ich ihn nicht behalten lassen, weil es nicht meine Sache ist die ich treibe. Sobald der Streit
nur mich <page index="2"/> angeht, werd ich zu schweigen wissen. Das kannst Du allenfalls auch Wiel.
selber sagen und ihm das Schwert gegen mich in die Hand weyhen. Nur schone er was heilig ist unter
<ul>Göttern</ul> und <ul>Menschen,</ul> ich will nicht geschonet seyn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lavater! möchtest Du ein Bild in Deine Physiognomik, mit dem Du das Ideal weiblicher
Vollkommenheit ausgedruckt bekommst. Von einem erhabenen Stande, durch persöhnliche
Eigenschaften unendlich weit über denselben erhaben, die Gelassenheit, die Bescheidenheit, die
Aquieszenz in alles was die ihr gewiß innig vertraute Gottheit über sie verhängt mit allem
Feuer des ungewöhnlichsten erhabensten Genies, den scharfen Blick durch das Innerste aller Sachen,
das Eigentümliche, das unumstößlich Feste, das Weitumfassende aller ihrer Urtheile, die Kenntniß
der Welt die sich nicht allein auf die Denkungsart der Grossen deren Herzen sie alle wie in Händen
hat, sondern bis auf das Fassungs- und Empfindungsvermögen des Allergeringsten ausdehnt, so daß
alle ihre Befehle und Aufträge <page index="3"/> an ihre Untergebenen aus den Wünschen derselben hervorgeholt
scheinen, so daß sie eine Welt regieren könnte ohne daß sie es inne würde alles dieses, alles
alles und mehr willst Du sie bethe <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Durch verborgene Wirkungen höherer Mächte muß sie dazu gebracht werden denn es ist nicht
falsche Bescheidenheit es ist das zärteste Gefühl weiblicher Schüchternheit, das sie so gänzlich
abgeneigt macht, irgend einem Menschlichen Anhalten ihren Schattenr<note>Textverlust</note> mitzutheilen.
Gott welche Seele mahlt sich in dem Profile welch ein Meisterstück von edler Erziehung unter den
Grossen, mit alledem verbunden was ein unauslöschlicher Durst nach allem was vollkommen ist, was
Kenntniß heißt und das Herz eröfnet, aus uns selber machen kann. Und denn alle die Hülfsmittel, die
Constellation aller äußern Umstände auf dem Lande gepflanzt, erzogen, an einem Hofe zur Reiffe
gebracht und jetzt in seiner ganzen Liebenswürdigkeit vollendet um Tausend Elend und Einen zu
einem Gott zu machen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Verzeyh mir Lavater! die Romantische Sprache. lsts Idololatrie so kann sie mir Gott nicht zurechnen,
es ist sein Geschöpf: sein Bild. In einem Jahr reis ich wohl nach Italien um alles das an den todten
Werken der Kunst zu vergessen zu suchen. Noch ist mein Reisegefährt zu sehr an Strasbg. geheftet. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Vorher komm ich aber gewiß noch zu Dir und lasse mich heilen, weyhen und stärken Ob zu Leben
oder Tod ist hier nicht nöthig zu fragen, Euripides sagt, vielleicht ist das Leben ein Tod und der Tod das
Leben Sey glücklich lieber Herzensforscher und antworte mir ob Du das Bild möchtest. Dein Glaube
erzwingt Dirs gewiß. Immerweg und ewig Dein Lenz.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn Herrn Joh. Casp. <ul>Lavater</ul><line type="break"/>
Pfarrer am Waysenhause <ul>zu Zürich.</ul><line type="break"/>
Durch einen Freund.</letterText>
<letterText letter="103"><line tab="1"/>Hier haben Sie lieber Freund meine Aussöhnung mit Wielanden, die Sie sogleich Herrn Hellwing in
Lemgo zuschicken werden, sie an die Wolken andrucken zu lassen. Sie ist zwar ein wenig
Normännisch, wird aber wie ich hoffe zu seiner wahren Beruhigung mehr beytragen, als tausend
leere Lobeserhebungen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die beyden Sachen gehören ganz nothwendig zusammen, eins steht und fällt mit dem andern und ich
habe bloß <insertion pos="top">darum</insertion> damit bisher zurückgehalten um einige Nachrichten aus dem Publikum
einzuziehen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier ist auch etwas von Schlossern für Ihre Sammlung das Ihnen gewiß Vergnügen machen wird. Sie
dürfen das Geld dafür mit dem dem für dem ersten Mskpt. Sobald Sie es bequemlichst thun können,
ihm unmittelbar nach Emmedingen zu schicken. Darüber aber ist er ein wenig empfindlich gewesen, daß
Sie seinem ausdrüklichen Verbot zuwieder, seinen Namen bekannt gemacht und ihn so mit Wielanden
über den Fuß spannen. Von diesem können Sie ihn immer als Verfasser nennen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aus unserer Gesellschaft die täglich anwächst, kann ich Ihnen mit der Zeit einige <ul>sehr artige</ul> Sachen
mittheilen. Verschiedene Professoren unserer Akademie haben sich zu uns gethan von denen wir
auch allerley hoffen. Herr Blessig schreibt hier an einem Strasburger Wochenblatt, <ul>der Bürgerfreund,</ul>
das aber ganz und gar <ul>lokal</ul> ist. Auch ich schreibe hinein. Aber wie Sie sich wohl vorstellen
können, alles <aq>ad captum</aq> unserer Leute. Indessen wollen wir hoffe ich andern Schriftstellern dadurch
Feld bearbeiten. Leben Sie wohl u. antworten Ihrem <line type="empty"/>
<align pos="right">L.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Das Soliloquium des Wetterhahn könnte füglich wegbleiben. Es ist <ul>zu</ul> schmutzig. Sorgen Sie doch
dafür bester! <ul>Wenigstens muß er in Kleidern</ul> am Tisch sitzen. es wäre mir <ul>aber sehr lieb</ul>wenns ganz
wegbliebe. <aq>verte</aq></sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<align pos="right">Den 21sten Jenner</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eben jetzt erhalte Nachrichten, daß Herr Leibarzt Zimmermann in Hannover bey jemand nachfragt,
ob die Wolken von mir seyn. Sollte er sie gesehen haben? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Soeben läßt er mir durch seinen Sohn sagen, er habe ein Mskpt von mir in Händen, das er in Leipzig
bey Reichen werde drucken lassen. Sollten das etwa gar die Wolken selber seyn? Es sey was es
wolle so geben Sie mir Nachricht davon und wenn Sie etwa auf die Art der Freundschaft für Hn.
Wieland eine Schmähschrift hätten unterdrücken wollen, <ul>die ihm soviel Ehre macht</ul> und mit der
ich <ul>ganz andere</ul> Zwecke zu erreichen hoffe, als die Schriftstellerreputation eines Mannes herunterzusetzen
von dessen wahrem Werth kein Mensch in Europa eine so anschauende und richtige Erkenntniß haben
kann als ich so bedaure ich daß Sie meine wahren Absichten meine Einsichten und mein Herz so
mißkennet haben und bitte mir beydes Pasquill und Apologie die wie gesagt beyde <ul>nothwendig</ul>
waren, beyde ohneinander nicht <ul>bestehen konnten</ul> ungesäumtst wieder zurück. So ist eines der edelsten
Anschläge meines Lebens über den Hauffen geworfen. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/> Das Packet mit den 10 Dukaten habe erhalten und danke <insertion pos="top">sehr</insertion> für die schleunige und
freundschaftliche Bezahlung. Aber wie gesagt ein Dolchstich von der Hand des Freundes wäre mir
angenehmer als Hintertreibung <ul>guter und edler</ul> Absichten unter dem Schein sie zu befödern <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Doch wenn ich mich geirret habe so verzeyhen Sie! Oder sollte selbst im befürchteten Fall, Herr
Leibarzt Zimmermann auch <ul>meiner Meynung</ul> # seyn O welche Freude für einen Jüngling, die
Stimme eines solchen Mannes gewonnen zu haben. Sonst mach ich diesen ganzen Lärm nicht
eben um der Männer willen; die über Lärmen dieser Art gewöhnlich hinauszuseyn pflegen. Wenn sie
aber Söhne haben Söhne in meinen Jahren und in meinem Fall Söhne für die ich alles
das thue <line type="empty"/>
# und es ihm mit dem Druk in Leip. ein Ernst seyn <line type="empty"/>
<align pos="center">L</align> <line type="empty"/>
<align pos="right">Den 22sten</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Wie gesagt, vor allen Dingen, wenn meine Furcht wahr ist, bitte mir die Apologie wieder. Sie ist meine
einzige Schutzwehr, der einzige Schlüssel aller meiner Absichten, auf den ich alle meine Freunde die
über diese Sache an mich geschrieben verwiesen. Bekomme ich sie nicht so bin ich in einer
verzweiflungsvollen Lage und das durch Freunde denen ich mich ohne Zurückhaltung anvertraut <line type="empty"/>
<align pos="center">Lenz</align> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<line tab="1"/>Bester Freund wenn meine Furcht ungegründet ist, so verzeyhen Sie nochmals bitte ich, den
Ausbrüchen meiner Leidenschaft. Mir ist an Endigung dieser Sache und an Aufklärung des
Publikums über meine Gesinnungen und Handlungen gegen Wiel. alles alles gelegen. Um dieses
Schrittes willen that ich all meine bisherigen Schritte dieser Schritt entscheidet von
allen meinen künftigen. Ich kenne mein Publikum, ich habe es vorbereitet ich habe die ganze
Wirkung berechnet die das thun <ul>kann</ul> thun soll und muß und wenn nun am Ende der Unternehmug
sich mir der Freund entgegen stellte und <ul>unter dem Schein</ul> mir zum Ziele zu helfen ich kann
den Gedanken nicht aushalten entreissen Sie mich dieser gewaltsamen Gemüthsverfassung
durch die geschwindigste Zurücksendung des unglücklichen Mansukripts das sodann freilich nicht
in Freundshände hätte fallen sollen. <line type="empty"/>
Viel lieber hätte ich Wiel. selber zugeschickt. Beruhigen Sie mich, ich beschwöre Sie <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">
Von Blessig und andern nächstens</sidenote></letterText>
<letterText letter="104"><line tab="1"/>Liebster Lenz, Dank für Deine Herzens Brief, Deine Herzenssachen. Nur dieß: wie kann ich den
Schatten verlangen? vielleicht, wenn Du mir die Person nennest kann ich, darf ich an sie schreiben?
Sag mir, was Du willst u: kannst. Dein Petrarch ist endlich fertig. Aber hinten am <ul>Bücher Catalog,</ul> ist
zum toll lachen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Friz <ul>Stollberg</ul> (Porträte von beyden bekommst Du durch Emmerich!) ist Cammerherr in Weymar.
Bravissimo. Wann kommst Du? Du u: Zimmermann. Schloßers Epistel herrlich, göttlich … aber nicht
ganz. Muß alles ungöttliche weg. Solche Sachen halb, sind sehr schädlich. Soviel dießmal. Adieü.
Paßavant ist wol u: brav, und ich ein zertretner Wurm <line type="empty"/>
D 24. Jan: 76. <line type="empty"/>
J. C. L.</letterText>
<letterText letter="105"><line tab="1"/>Fast sollte selbst das Äusserliche dieses Briefes Ihnen das unterscheidende und wenn mein Blick nicht
ganz trügt nicht eben Ihnen unangenehme meines Karackters vor Ihre Augen bringen. Der innigsten
Verehrung der Schönheit und ihrer Priester fähig zwingt mich eben diese Leidenschaft die ich für sie
trage und die im eigentlichsten Verstande die Leidenschaft des Liebhabers heissen kann eine meinem Gesicht
wiedersprechende Maske, die Maske des kalten Philosophen vielleicht wohl gar des unorganisirten vorzunehmen um den
zufälligen Schaden der durch zu grosse Sonnenhitze entsteht unwirksam zu machen um Ihnen m H. meine mir heilige
Pflanzen den Boden zu säubern und einem neben dem andern Platz zu machen. Sie kennen sich zu sehr und Ihr Publikum
zu wenig als daß Sie dieses Geschäft selber übernehmen könnten wenn jemand dazu tüchtig seyn konnte mußte ich es
seyn dessen eigene kauderwelsche Gestalt ihn von aller Partheylichkeit und Eigennutz freyspricht. Glücklich möcht
ich mein Vaterland gern sehen, glücklich durch Sie und Ihres gleichen weh Ihnen wenn Sie das nicht auch wollen.
Nur lassen Sie der Sie der Imagination alles absprechen sich nicht durch Ihre eigene zu schön gestimmte verleiten
Gedichte die entzücken für Wahrheit zu halten, die nur wie sorgfältige Eltern mit Ernst und Strenge langsam und
unmerklich beglücken kann und deren Dank nicht in dem Beyfall ihrer Zeitgenossen sondern im Beyfall ihres eignen
Herzens liegt. Geben Sie uns den Dichter W. wieder den wir durch unglückliche äussere Verhältnisse vielleicht des
Alters und einiger Ihrer Zeitgenossen verloren zu haben schienen und lassen Sie denen Philosophen die Sie zu
schätzen und zu fühlen wissen Gerechtigkeit wiederfahren, wenn sie gleich oft die Leute für die keine andere Kur
da ist lehren müssen <page index="2"/> auf allen Vieren zu gehen. Eben diese sind es die Ihnen Ihr Publikum machen und Sie
sollten durch Ihre lucianische Gabe zu spotten nicht den Undank gegen sie soweit treiben daß er Ihnen am Ende selbst
gefährlich wird. Einem Nervengebäu das nicht gespannt ist kann Cramer und Lolli Jahrhunderte lang vorgeigen. Das
ist eine Frage ob ein heutiger Orfeus sich nicht lieber Höllenhunde und Furien zu Zuhörern wünschen wollte. Sie
also der Sie soviel kaltes Blut haben, sehen Sie also einmal Ihren eigenen Werth und Ihr eigenes Interesse mit kaltem
Blut an, setzen Sie sich in unsern Gesichtspunkt und fragen Sie nun nicht als Künstler sondern als Kunstliebhaber Ihr
eigen Herz ob Sie nöthig haben zu Ihren aufgestellten Gemählden <line type="empty"/>
<align pos="right"><aq>ultro emptorem adducere Pl. Poen.</aq></align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>ob Sie bey diesem Betragen nicht Ihnen Schaden gethan ob Sie denen nicht Verbindlichkeit haben die
Sie dieser Mühe überheben und zugleich Ihre Zuschauer in den Gesichtspunkt stellen wo sie bloß mit
der stärkeren Phantasey das schöne Ganze Ihrer Produktionen auff<note>fegen</note>assen nicht aber zu ihrem
eigenen und der Kunst und des <dul>Geschmacks</dul> Verderben an einzelnen Theilen derselben hängen
bleiben die nur durch die üble Anwendung die man davon macht gefährlich werden <line type="empty"/>
Ihr Freund und Diener <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Daß das was ich Ihnen hier sage nicht blosse Prahlerey sond. schon vollführte Handlungen sind,
werden Sie nun bald öffentlich erfahren. Und sollen es inskünftige noch besser erfahren wenn </letterText>
<letterText letter="106"><line tab="1"/>Bester L. es ist die Gräfin Waldner Tochter des Presidenten der Ritterschaft im Sündgau u: Elsaß eine
der innigsten Freundinnen der Prinzeßin von Fürstenberg in Mümpelgard, an welchem Hof sie sich
den vorigen Sommer aufgehalten u: den nächst Kommenden wieder hingehen wird. Du darfst nur
einen Brf: an sie machen, u: mir schiken, ich kenne eine hiesige Freundin von ihr, die sie sondiert hat,
Du wirst große Freude damit machen u: die Silhouette mit einer Antwort sogleich erhalten, die Dir
schmeken wird. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wirst Du mich für den Helden Metromanie halten? Sey es wenn ichs einem Freund wie Dich habe,
muß ich ihm alles bis auf m: Thorheiten gestehen. Ich befinde mich sehr wohl dabey, wenn es eine ist:
nur hoffe ich wirst Du niemand Gelegenheit geben darzu erfahren was ich mir selbst zu gestehen
kaum das Herz habe. Wenigstens soll mich alles das zu Handlungen führen die mir u: Dir m: Freund
Ehre machen werden, u: nach deren Vollführung ich ger<nr> </nr> gelebt haben will.</letterText>
<letterText letter="107"><align pos="right">Kopenhagen d: 3ten Febr. 1776.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich wollte daß ein Brief Ihnen sagen könnte, mein Freund! Wie sehr ich Sie liebe, u: so lebhaft es
sagen könnte als ich es empfinde. Zwar hab ich Sie nur kurze Zeit gesehen, aber gleich liebte ich Sie
herzlich, fand Sie gleich so wie ich mit Ahndung <nr><del> </del></nr> gehofft hatte sie zu finden. Seitdem hab ich viel
gesehn, viel genossen, viel empfunden. Aber all das hat dem Eindruck welchen Sie auf mich machten
im geringsten nichts von seiner Stärke genommen, ich fühle noch eben so lebhaft daß Ihre herzliche
Freundschaft meinem Herzen ein Bedürfniß ist. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Könnt ich doch einen Nachmittag nun mit Ihnen zubringen, es liegt mir auf dem Herzen daß Sie
vielleicht es nicht <it>ganz</it> sehen wie sehr ich Sie liebe. Das möchte ich Ihnen mündlich sagen. Auch
möchte ich mit Ihnen schwatzen vom GottesLande Schweiz u: vom Gottes Manne Lavater. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In Deutschland ist mir in Weymar vorzüglich wohl worden. Der Herzog ist ein herrlicher Junge, beide
Herzoginen, Mutter u: Frau, sind zween Engel. Unser lieber Wolf lebt dort herrlich u: in Freuden, weil
von allen geliebt, ist sogar ein Herzens-Freund von Wieland. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Ich hätte wohl die erste Umarmung sehen mögen, mir kamen sie zuweilen vor wie der Herkules in der
Alceste u: der Herkules in Wolfs Farce. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich muß Ihnen doch sagen daß Wieland weit besser ist als ich dachte, sein Herz ist würklich gut. Er
<del>selbst</del> würde ganz gut sein wenn man ohne Liebe für Religion u: Sitten es sein könnte. Ich habe viel
öfter mit ihm sympathisiren können als ich geglaubt hatte, es gieng so weit daß ich, welcher so viel
Gefallen sonst hatte an allem Herzeleid so Sie u: Voß ihm anthun, endlich Mitleiden mit ihm kriegte,
u: es mir schien Sie beide hätten ihm zu viel angethan. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wolf geht viel weiter als ich, u: ist <page index="4"/> sein wahrer Herzensfreund. Ob ich ihm gleich gut
geworden bin so wollte ich doch daß er nicht in Weimar lebte. Ich komme dorthin als Kammerherr,
zwar traurig meine Geschwister u: eine Hand voll Freunde zu verlassen, aber froh das knechtische
Dännemark mit meinem lieben Vaterland zu vertauschen. Unsern treuen Wolf hoffe ich oft zu sehen. Mit
Klopstock haben wir seelige Tage gelebt, über die Belte sind wir mit Eisbooten gegangen, man zieht
das Boot nach sich, u: springt hinein sobald das Eis bricht. Schwestern haben wir hier wie sie im
Himmel nicht besser sein können. Mein Bruder liebt Sie zärtlich. <line type="empty"/>
Lieben Sie mich wie ich Sie liebe, u: verzeihen Sie wenn ich zu viel fodre. <line type="empty"/>
<align pos="right">F. L. Stolberg.</align></letterText>
<letterText letter="108"><hand ref="20">
<align pos="right">Empfangen. Den 12 Febr. 1776.</align></hand> <line type="empty"/>
<align pos="center">Bester Freund!</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eben jetzt erfahre ich von Me. Ia Roche, was ich noch nie gewußt, daß sie einen Sohn bey Wiel. im
Hause gehabt. Ein Donnerschlag hätte mir nicht empfindlicher kommen können als eine Nachricht,
die so viel Beziehung auf meine Pasquinade hat, denn ich wollte eher alles in der Welt als diese Frau
oder etwas das ihr angeht beleidigen oder kompromittieren. Können Sie es also auf irgend eine Art
machen, daß die Wolken entweder gar nicht oder wenn dies <it>unmöglich</it> ist, statt der deutschen Namen die
Griechischen aus dem Aristophanes: <ul>Strepsiades und Phidippides</ul> (für Leopold Sauk <aq>etc:</aq>) gesetzt und
die Vertheidigung W. gegen die Wolken durchaus <ul>nicht an</ul> <ul>diese</ul> angehängt, sondern <ul>detachirt</ul> gedruckt
werden als Palinodie nicht als prämeditirte versteckte Apologie derselben. Wie gesagt ich bin über
die Nachricht ausser mir denn sie zertrümmert mein ganzes Projekt, das nichts weniger war als irgend
eine Privatperson durch meine Possenreissereyen zu beleidigen sondern nur W. aus seinen Schriften
turlupiniren wollte. <line type="empty"/>
<align pos="right">L.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Wenn der Druck der Wolken ganz inhibirt werden kann, ich gebe was darum. Die Palinodie kann und,
muß deswegen doch in die Welt. Desto origineller ist sie. Man kann dazu setzen, der V. habe den
Druck der W. verhindert und weil viele sie im Mskpt. gelesen, dies zu seiner Rechtfertigung
geschrieben. Ich will nichts dafür.</sidenote></letterText>
<letterText letter="109"><hand ref="20">
<align pos="right">Den 15ten Febr. 1776.</align></hand> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eben jetzt mein lieber bester Freund, erfahre ich von verschiedenen hiesigen Freunden, daß Sie
Stabsekretär in Hannover werden. Es thut mir wehe, daß meine Privat- oder Publick-Geschäfte
vielmehr mir so den Kopf eingenommen, daß ich mich bey Ihnen deßfalls nicht näher erkundigen
konnte. Von ganzem Herzen umarm ich Sie, wünsche Ihnen Glück, wünsche Ihnen zur Vollendung Ihres
Glücks eine Gattin die Ihr ganzes Herz auf ewig in Besitz nimmt und es so in Enkeln bis auf folgende
Jahrhunderte hinausdehnt. Mir wird dies Glück sobald nicht werden, denn zu jedem öffentlichen Amt
bin ich durch meine Schwärmereyen verdorben.<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lassen Sie sich dies Wort nicht schröcken. Ich kenne Herr Wielands Unterscheid vielleicht besser als
er, <ul>will aber</ul> lieber Schwärmer für die Tugend als Enthusiast für das Schöne seyn, solang das Schöne
sich mit der Tugend nicht vertragen kann. Sind die ersten Chymischen Operationen erst vorbey, so
wollen wir auch schon sublimiren und ich hoffe mit ein wenig besserem Glück aber das unter uns,
es giebt Leute, wie Werther sagt, die das übel nehmen würden. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Zu Ihrem Museum werde Ihnen mit Beyträgen die Ihnen lieb seyn werden nicht entstehen. Ich bin
sehr begierig aufs erste Stück. Sorgen Sie nicht, Sie sollen meine Freunde hier, die sich durch Sie
produziren, nicht mit Geld bezahlen.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lassen Sie, ich bitte Sie, wo möglich die Wolken nicht drucken, wenigstens verändern Sie die
deutschen Namen <page index="2"/> dagegen soll und muß (vergeben Sie dem Patrioten, Ihrem Freunde, den
Ton) die Vertheidigung Wiel. gedruckt werden, die seinen Hauptgesinnungen mehr schaden wird als
alle Anschuldigungen. Ich kenne mein Publikum und jetzt ist es Zeit. Wenn das Eisen ausgeglüht
hat, fällt der Hammer zu spät. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lassen Sie sich durch keinen menschlichen Rath davon abbringen, suchen Sie aber den Druck der
Wolken zu hintertreiben (sollt es auch auf meine Kosten geschehen) wenn Sie mich und mein
Wohlseyn lieb haben. Kann es aber nicht mehr seyn, so ists Schicksal und ich ergebe mich darinn. Nur
die deutschen Namen, die Namen! und daß die Vertheidigung nicht angedruckt wird. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Gotter läßt ein Schauspiel von mir drucken: Die Algierer, eine Nachahmung der <aq>Captivei</aq> im Plautus.
Lavater hat ein Gedicht von anderthalb Bogen von mir herausgegeben: <ul>Petrarch</ul> <ul>aus seinen Liedern
gezogen</ul>. eine kleine Ergiessung des Herzens die Ihnen Freude machen wird. Beyde werden wohl in
Leipzig zu haben seyn. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Machen Sie mir doch die Freude und schicken mir einige Anzeigen von Ihrer <insertion pos="top">Monaths</insertion>Wochenschrift
nach der mich hier so manche Leute gefragt haben an denen Ihnen gelegen ist. Ihre Litterarischen
Neuigkeiten sind mir und meinen Freunden sehr willkommen.<line type="break"/>
Unsere deutsche Gesellschaft breitet ihren Wipfel immer weiter aus, so daß ich unter ihrem <del>Wipfel vo</del>
Schatten von der Hitze des Tages offt herrlich abgekühlt werde. Einige Mitglieder derselben, unter
andern eine sehr liebenswürdige Magistratsperson (Herr v. Türkheim) arbeiten an der Wochenschrift
der <ul>Bürgerfreund</ul> der ich an manchen Orten Deutschlands Nachahmer wünschte. Besonders in Ansehung
des Lokalen. In der Schweitz kommen auch noch flüchtige Aufsätze von mir heraus, in denen ein Familiengemählde:
Die beyden Alten, ein Drama Ihre Augen füllen wird. Das Kostnitzergenie kenne ich nicht, in Colmar
kenne ich einen jungen Franzosen, von dem ich etwas in Lausanne werde drucken lassen, das Ihnen die
Beschaffenheit des Bodens im Elsaß zur Hervorbringung poetischer Köpfe näher bezeichnen wird. Wissen
Sie daß <ul>Stella</ul> von Goethen in Berlin gedruckt wird und er in <del>Gotha</del> Weymar bleibt? Vielleicht komm
ich auch bald in Ihre Gegenden. Lieben Sie immer <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihren Freund Lenz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
Herrn Zimmermann wenn Sie ihn sehen, meine ganze Hochachtung. Ich wünschte mehr Zeit zu
haben, ihn in seinem Sohn zu geniessen.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Boje</ul><line type="break"/>
Gelehrten<line type="break"/>
in <ul>Göttingen</ul></letterText>
<letterText letter="110"><align pos="right">Den 9ten Februar</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein lezter Brief wird Dich <del>ge</del><insertion pos="top">ver</insertion>wundert haben. Ich habe die Antwort noch nicht haben können
weil ich noch nicht in Cassel gewesen bin: ich irre noch immer auf dem Lande herum. O daß sie doch
nicht abschlägich ist! Die Ursachen warum ich es wünsche habe ich besser gefühlt als ich sie Dir jezt
sagen werde. Erstlich, wird der kleine Lindau Gelegenheit haben (so kömmt es mir <del>je</del> vor) auf dieser Reise
Bilder und Ideen zu samlen die vielleicht nun nicht mehr könten in seine Seele gebracht werden da wir
Europa verlassen, und wahrscheinlich es nie wiedersehen; er kommt auch in eine ganz fremde Sphere;
<del>bräuchte</del> wäre es ihm den nicht gar gut wen Du könntest bey ihm seyn. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Du <nr> </nr> Sein Umgang mit Dir wär ihm vielleicht eine Vorrede zu <align pos="top">einem Theil</align> <del>eines folgender
Exißtenze</del> künftigen Lebens. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Zweitens köntest Du mir manchen guten Rath geben in Absicht auf die Art wie ich mit ihm umgehen
soll. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Du aber gerne <insertion pos="top">bis</insertion> nach Weimar gegangen wärest, Lieber, so habe ich gros Recht gehabt Dich
für Schlösser in der Luft zu warnen. Mit diesen armselgen 9 Carolinen <insertion pos="top">alles was ich missen kann</insertion>
muß Peter bis nach Frankfurt kommen. Nimm Du davon soviel möglich, und geh so weit mit als Du hin
und her mit dem Gelde auf der <aq>Diligence</aq> zureicht. Könte es doch bis Mannheim zum wenigsten seyn
und paste es sich so, daß Ihr köntet die Oper sehen! Da ich <del>im Sch</del> auf der Reise schlafe so wie
in meinem ganzen Leben, weis <page index="3"/> ich gar nicht was es kostet. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der kleine Lindau ist nicht Officier geworden: weil <insertion pos="top">er</insertion> mir zu viel gekostet hätte: Ich nehme ihn blos
als Reisegefährte mit. Ich hoffe er wird acht oder vierzehn Tage nach diesen Brief in Strasburg
eintreffen. Es hat grosse Eile, den die Truppen marschieren vor Ende dieses Monats: und drey Wochen
drauf embarquiren sie sich den Tag kan ich aber nicht bestimmen <del>Wenn Du zum Unglük nicht m</del> Peter <del>Peter</del>
wird mich wohl schwerlich in Cassel <insertion pos="top">noch</insertion> antreffen und wird mir müssen nachreisen. Er muß sich dort
an Herr Lagis adressiren. Wenn Du zum Unglück nicht mit kanst so wird der Peter Geld genug übrig haben,
so sey doch so gut und kaufe ihm <page index="4"/> einen kleinen Degen mit einer guten <del>Lane</del> <aq>Lame a dos</aq> wenn
Du eine kriegen kan, einen hübschen <aq>Chapeau corse,</aq> und hauptsächlich ein paar Stiefeln, wenn es moglig
ist. Schreibe mir ja bald. <line type="empty"/>
In Frankfurt <del>addres</del> meldet Ihr euch gleich bey dem Herrn Rath Göthe. Ist Peter allein so wird er wohl bey ihm logieren</letterText>
<letterText letter="111">Habe ich Zeit so will ich noch heute an Salis schreiben daß er Dir Nachricht von Peter giebt. <line type="empty"/>
Deine Ungewisheit thut mir Weh.</letterText>
<letterText letter="112"><hand ref="20">
<align pos="right">Den 20 Febr. 76.</align></hand> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich muß Ihnen bekennen, daß ich sehr mit den Wolken gefehlt habe. Ich habe an hunderttausend
Sachen nicht gedacht die mir aus denselben auf ewig zur Last gelegt werden könnten und ich sehe
jetzt nur zu sehr ein, wie gefährlich die Lesung eines Alten einem Jüngling werden kann der den
Sturm der Leidenschaft im Busen hat. Seine Vernunft die ihm alle Gegenstände beleuchtete, verdunkelt
sich, er sieht sich und seinen Feind allein und die ganze Welt nimmt eine andere Gestalt vor ihm an. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Sie noch mein Freund sind Boje, wenn Sie noch Freund des Guten sind das ich aus allen Kräften
zu befordern wünsche, hindern Sie noch den Druck dieser Mißgeburt meiner Galle. Warum mußte ich
doch in dem Augenblicke überm Aristophanes sitzen, als Wiel. mich beleidigte. Wenn sie gedruckt
wird, wünschte ich nicht mehr zu leben. Nicht wegen der Gefahr der ich mich aussetze, sondern
wegen des Guten das ich sonst ausrichten könnte und das sie auf ewig verhindert. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Schreiben Sie mir auf das geschwindeste Bester, o nun mein entscheidender Freund ob das
hintertrieben werden kann. Ich will gern alle Kosten tragen. Und verzeyhen Sie mir meine häuffigen
Briefe und wie ich Sie mit alle den Aufträgen mißhandele. Ich hoffe daß einmal gut zu machen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und schicken Sie mir, ich bitte das Mskpt der Wolken zu, damit es in keine andere Hände durch Zufall
jemahls gerathen könne. Es verwölkt und umnebelt meine ganze Bestimmung <insertion pos="left">alle meine Entwürfe</insertion>
auf immer. <line type="empty"/>
<note>am rechten Rand aller Zeilen des Absatzes Anführungszeichen; wohl irrtümlich und für den darauf folgenden Absatz gedacht</note>
<line tab="1"/>Nichts destoweniger können und sollen die Blätter gedruckt werden die den Wolken als Anhang
bestimmt <insertion pos="left">waren:</insertion> sie sind fürtrefflich und für unsere Zeiten, für Wieland, für die Kunstrichter und das
Publikum nothwendig. Mit denen biete ich allen Gefahren die meinem Namen daraus entstehen
<insertion pos="top">könne</insertion> frölich Trotz, von meinem eigenen Herzen gerechtfertigt. Wenn Sie doch Herrn Helwig bereden
könnten die Wolken dagegen auszuwechseln und sie ungefähr mit folgendem Vorbericht drucken zu lassen. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der Verfasser dieser kleinen Schrift hatte mir ein Manuskript zugesandt, dessen Druck er aus
wichtigen Gründen zu hintertreiben <del>und es der <nr> </nr></del> für nöthig <insertion pos="top">gut</insertion> fand. Da dieses Mskpt. aber doch
durch verschiedene Hände gegangen war, fürchtete er es könnte bey einigen seiner Leser nicht nur
wiedrige Eindrücke gegen die darin <del>vorgestellten</del> <insertion pos="top">vorkommenden</insertion> Personen sondern auch wieder den
Verfasser selbst, der in dem Augenblick als ers schrieb seiner Einbildungskraft und seinen Leidenschaften
Zügel anzulegen nicht im Stande war, zurückgelassen haben. Diese auszulöschen schrieb er folgende
Vertheidigung der in den Wolken <del>geschilderten</del> <insertion pos="top">vorgestellten</insertion> Personen und seiner selbst, weil er einen
Schritt den er in Aristophanischem Spleen zu weit gethan auf keine andere Art gut zu machen wuste, um
zugleich durch sein Exempel allen seinen jungen Landsleuten die in ähnliche Umstände kommen könnten, einen
Wink der Warnung zu <del>geben.</del> hinterlassen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bitte Sie um baldige Antwort Boje, weil eine mir sehr wichtige Reise davon abhängt. Unterdessen
umarmet Sie aufs zärtlichste <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Boje</ul><line type="break"/>
Gelehrten in <del>G</del><line type="break"/>
<ul>Göttingen</ul></letterText>
<letterText letter="113"><align pos="right">Cassel den 16ten Feb.</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Es hat so keine grosse Eile mit eurem Marsch; mein lieber <del>diese</del> <insertion pos="top">unsere</insertion> Truppen marschiren nur den
15ten Merz zum frühesten Mit Erstaunen habe ich gesehen das Du die ganze Reise mit 12 Louisdór
bestreiten willst. Ich werde Dich also noch vielleicht können umarmen, wenn mir möglich ist noch 3
nach Frankfurt zu schicken Reiset von dort nicht nach Cassel sondern nach Wommen das bey Eisenach
liegt und wo ich zwei liebe Schwestern habe, von dort würdest Du auch können nach Weimar Reisen. Du
weißt doch daß <page index="2"/> Grewen in Hanau Hanöwrischer Fändrich ist. <del><nr> </nr></del>
</letterText>
<letterText letter="114"><align pos="right">Strasb. den 19ten Febr. 1776.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><line tab="1"/>Hier haben Sie etwas lieber Freund das Sie unserm Hellwieg für die unterdrückten Wolken anbieten
können, die er denke ich nicht sehr bedauern wird. Ich habe deßwegen mit einem andern
Buchhändler in Unterhandlungen gestanden der sich über 10 neue Louisdor nicht mit mir einigen
wollte, Herr Hellwieg aber als Freund soll es für den Dukaten den Bogen haben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe nicht Zeit gehabt, es abschreiben zu lassen, die kleinen Aenderungen aber die ich in dem
Ausdruck hie und da gemacht sind deutlich genug als daß <note>S</note>sie hoffentlich den Korrecktor verwirren
könnten. Für Druck und Pappier lasse ich die Freundschaft sorgen. Ich wünscht es sobald als möglich
gedruckt weil es schon in manchen Händen gewesen die sehr begierig auf die Bekanntmachung sind. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Schreiben auch Sie mir Ihre Sensation. Ich umarme Sie vom ganzen Herzen u. ganzer Seele
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Die Wolken bitte ich mir doch zurück. Vielleicht komm ich noch dieses Jahr in Ihre Gegenden. Mein
Name wird nicht genannt.</sidenote></letterText>
<letterText letter="115"><line tab="1"/>Daß mich Ihr gütiges, mehr als mütterlich herablassendes Zutrauen, gnädige Frau! bis zu Thränen
gerührt hat, warum muß ich es Ihnen so spät sagen? Anstatt meine fürwitzigen Erkundigungen mit
dem Ernst der Weisheit abzuweisen, geben Sie Ihnen mütterlich gütig nach, und beschämen auf die
Art meine Dreistigkeit bis zum Verstummen. Indessen war mir alles auf der Welt an diesen Nachrichten gelegen, und
ich bedaure nichts weiter, als daß ich mit Einziehung derselben bisher so saumselig gewesen. Die geringste
Kleinigkeit von Ihnen und Ihrer würdigen Familie Umständen, ist mir von jeher äußerst wichtig gewesen; nur
waren die Nachrichten, die ich, als ein in diesen Gegenden völlig fremder, halber Lapländer, bisher davon hatte
einsammlen können, alle so mangelhaft, so wiedersprechend, in einem so hohen Grade wiedersprechend gewesen, daß
dieses Bedürfniß meines Herzens auf keine andre Art befriediget werden konnte, als von Ihnen selbst. Wollte
Gott, ich hätte eher so glücklich seyn können! Werden Sie es einem Kopf, der von hundert nothwendigen, und zehn
Tausend unwichtigen Dingen gezerrt wird, verzeihen, daß ich mit meinem Dank so spät komme? Und dennoch Keckheit
genug habe, so viel es möglich, und so weit eine solche Bitte von mir, ohne unbescheiden zu werden, geschehen
kann, Sie um nähere Aufhellungen einiger Stellen Ihres lezten Briefes anzuflehen? Wer war der Hohepriester, der
bey dem Schicksal der liebenswürdigsten Person Ihres Geschlechts eine so unliebenswürdige Rolle spielte? Und war
die Leidenschaft des Andern edel, die, wie ich aus allem ahne, unglückliche Folgen hatte? Ich las alle diese
Worte, wie die Passionsgeschichte unsers Heilandes. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie entzückt bin ich über die Familienportraite, die Sie mir aufgestellt haben. Noch oft spaziere ich in
Gedanken in dieser Gallerie herum, und freue mich über die mannigfaltigen, und doch einartigen Abdrücke des treflichsten
Vaters, (den ich zwar nur von der Seite seiner Erholungen und Vergnügungen, ich meyne die Briefe über das Mönchswesen,
kenne, dessen ganzen Werth ich aber, nach Maaßgabe dieser, mit einem angenehmen Schaudern ahne,) und der fühlbarsten,
weisesten und aller Verehrung würdigsten Mutter. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Könnte ich Ihnen doch alles sagen, was mir auf dem Herzen liegt. So viel müssen Sie wissen, daß Ihre
Nachrichten mir in einem Augenblicke kamen, wo sie mich fast zu Boden schlugen. Ich wußte nie, daß
Sie einen Sohn hatten, geschweige einen würdigen Sohn, der bey Wieland im Hause gewesen, und
also auch ihm manches zu danken hat. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein Wiederwillen gegen W., schrieb sich bloß aus einigen seiner Schriften her; seine
Privatverhältnisse habe ich nie gewußt, mich freilich mit großen Unrecht zu wenig darum
bekümmert. Erst jezt geht mir über viele Stellen in Ihrer unsterblichen Sternheim ein Licht auf, das
mich in einen wunderbaren Zustand versetzt, den ich Ihnen lieber, vielleicht sehr dunkel und unvollkommen,
zu ahnen überlassen, als beschreiben will. Auch wären vielleicht noch viel fatalere Sachen erfolgt,
wenn ich nicht, (ich denke, aus Fügung der Providenz,) noch im kritischen Augenblicke, diese Winke erhalten,
die mir nun, von Ihnen, um so viel heiliger sind. Nehmen Sie mehr als wörtlichen Dank, würdige Frau! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich hoffe, daß auch ich Wieland kennen lernen, und mit ihm, zwar zu seinem Vorteil, werde
ausgesöhnt werden. Indessen hat doch alles das zu manchem gut seyn müssen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Gegenwärtig gehe ich mit einer kleinen Reise nach Deutschland um, die die nach Italien wohl noch
vorher kreuzen, vielleicht ganz auf eine andre Zeit aussetzen könnte. Ich bin nicht so ganz Dichter
allein, als Sie wohl glauben werden, und fühle es wenigstens sehr lebhaft, daß zum gut und artig
seyn, auch nothwendig das <ul>seyn</ul> gehöre. <line type="empty"/></letterText>
<letterText letter="116">Es hat mich gefreuet und geschreckt, daß die Soldaten bereits gedruckt werden. Indessen da es
so ist, so hat es wohl so seyn müssen. Nur hab ich höchst wichtige Ursachen (nicht des Eigennutzes allein,
sondern etwas mehrern) meinen Namen nicht bekannt werden zu lassen. Wollten Sie also die einzige
Gewogenheit für mich haben, Herrn Reich zu bitten, daß er, um alles desto besser zu maskiren, auf den Titel setze:
eine Komödie von Steenkerk aus Amsterdam; der drolligte Name wird nichts zu sagen haben, er hebt alle meine
Privatbesorgnisse alIein. In der Folge wird es sich erweisen, warum diese Vorsicht nöthig war, und jeder Menschenfreund
wird mir Recht geben. Auch bitte ich Herrn Reich meinen Namen nie zu nennen, denn Buchhändler schweigen nicht
gerne, mag ihr persönlicher Charakter noch so edel sein. Wie können sies auch wissen oder ahnden, was für Wunden sie
oft dem Verfasser schlagen.</letterText>
<letterText letter="117"><line tab="1"/>Ueber die Soldaten habe ich auch nachgedacht. Wäre es möglich Herrn Reich zu überreden,
daß er das gantze Stück nicht eher als bis künftige Michaelismesse bekannt machte, so würde mir und ihm
ein großer Gefallen geschehen. Ich habe etwas (nicht seit gestern) im Kopfe, das allem diesem
ein größeres Gewicht und einen ganz andern Ausschlag geben soll. Zudem ist ein gewißer Privatumstand,
den ich Ihnen nicht nennen kann, der diese Vorsichtigkeit mehr als notwendig macht. Wollen Sie die Gütigkeit
haben und Herrn Reich nur sagen, Herr Steenkerk in Amsterdam bitte ihn angelegentlichst, er wollte zwar
alles nur abdrucken lassen, aber wichtiger Ursachen halber nichts eher bekannt machen als auf
die Michaelismesse.</letterText>
<letterText letter="118">Liebster Lenz! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Weiß gar nicht, was Dich ankommt, Lärm von mir zumachen. Bin son armer Tropf, als Einer seyn kann
Du kaum seyn kannst. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich erwart also die <aq>Silhouette.</aq> Bitte Dich, n<ul>icht</ul> Kaufmanns <ul>Nachricht,</ul> d. i. von seiner Hand, an R.
gesandt, sondern <ul>diese</ul> hier zu verbreiten. Die erstere zerreiße. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Diesen Brief, den Du, damit Du nicht nichts habest, lesen kannst, bitte Dich schleunigst, franco zu
spediren, und Dir das Port von Emmerich bezahlen zu lassen. Verzeihe. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin itzt ganz zerrißen. Also nichts von Deinen That-Entwürfen. Der erste Abend an meinem Arm
wollen wir Thaten bestimmen. D 28. Febr. 76. <line type="empty"/>
L.</letterText>
<letterText letter="119"><note>am oberen Rand</note>
<align pos="center">Weise diesen Brief nicht Bester, wie alle meine Briefe.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lieber Lavater! mein Kopf ist eingenommen von tausend Dingen und ich kann Dir nichts weiter sagen,
als ich liebe Dich, ich danke Dir. Hier ist der Brief von der C. Waldner# <insertion pos="top">(ihr Onkel ist Graf, sie nur
Baronesse.)</insertion> kannst Du mirs verzeyhen daß ich, der vielleicht bald von hier reist, ihn erbrochen und
mit meinem Siegel wieder zugesiegelt. Ich weiß wie innig sie Dich hochschätzt und ich wollte doch
gern den Ausdruck davon lesen. Du mußt wissen, daß sie alle ihre Briefe französisch schreibt und
ihr daher ein deutscher Brief an Dich nicht wenig Müh gekostet. Doch auch hier wirst Du ihre ganze
schöne Seele finden die eben durch die für Dich so mühsam aufgesuchten Ausdrücke durchscheint, es ist
die Sprache die nicht mit Worten redt Lavater, die Sprache die zwey befreundte Seelen stammeln die
nicht von einer Nation sind. Ach wenn Du sie kenntest <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich gehe wohin mich Wink der Vorsicht ruft, mein Ziel kann ich Dir noch nicht bestimmen. Ich kenne
es und der Tod soll mir Bruder seyn, wenn er mich dahin führt. Grüß Kaysern, sag ihm, es ist mir
unerträglich daß ich an ihn nicht schreiben kann, nicht kann, so wenig als an den redlichen Kaufmann.
Ich habe keinen Augenblick zu feyren. <line type="empty"/>
# sie hat ein Canonikat von dem sie sich schreibt. Sey vorsichtig. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Doch beschwör ich den ersten bey Dir <insertion pos="top">bey dem lebendigen Gott:</insertion> und allem was ihm heilig ist, alles
zu thun, was ich ihm gesagt habe. Stollberg schreibt mir aus Koppenhagen, schmachtet nach
Nachrichten aus dem <ul>„Gotteslande Schweitz und vom Gottesmann Lavater“.</ul> Ganz Dein Lenz</sidenote>
</letterText>
<letterText letter="120"><line tab="1"/>Hier ist die erwünschte Silhouette. Ich meyne in dem Leben u: der Blüthe der Farben wird sie Dir
beßer gefallen; könntest Du das alles in die Physiog: übertragen. Mache doch beßer
verehrungswürdiger, einziger gemeinschaftlicher Freünd unserer Seelen, daß ihr Gesicht von
niemand geringerm als <aq>Chodowieki</aq> gestochen wird. Wer sonst könnte ihre Seele auf diesen meinen
faßen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn der Große Schlüßel der Natur zu allem was hier eingewirkt u: für die Zukunft verborgen liegt
gefunden werden könnte so ahnde weiß ich Dein Urtheil zum Voraus. Schreib es mir heimlich zu
gleicher Zeit ihr wen Du es für gut findest mir aber ohne Zurükhaltung. Noch einmal bitt ich Dich
beherzige alle die Data die ich Dir in m: vorigen Briefen geben. Ich kann nicht anders als immer zu
wenig schreiben. Dein übrigens sehr gedrükter L.
</letterText>
<letterText letter="121"><line tab="1"/>Gnade und Seegen Gottes ruhen auf Dir Herder! eh ich ein Wort von Deiner Offenbarung sage zu der
<ul>Du allein den Schlüssel</ul> <ul>geben konntest</ul> muß ich ein Paar Worte Geschäfte bey Dir ins Reine bringen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In den Soldaten muß der Name Ia Roche in die Gräfin von Rochau verwandelt werden ich wußte es
nicht daß sie einen Sohn hatte, geschweige einen der bey Wieland im Hause war. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Daß Du doch immer so geistlich deutest und so einfach, wer hat Lob genug dafür? Ich hatte mir viele
noch viel zu sinnliche Deutungen gemacht die ich nun gern aufopfere. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Vor allen Dingen das Wort „Der Geist der durch alle Gemeinen blickt und in dem Herzen aller
Gläubigen ruffet: <ul>das Sensorium</ul> <ul>Gottes in aller Welt:</ul> Echo des Himmels in menschlichen Seelen.
Seelig wem dies antwortende Ja, dieser Himmelsnachklang im tiefsten Grunde seiner Seele zur Zeit
der Duldung wurde!“ Herr, es sind Worte des ewigen Lebens. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Am meisten freut mich die behutsame schöne Deutung des Endes der Dinge. Der heilige Mystische
Schleyer Gott seegne Dich <line type="empty"/>
<page index="2"/>
Jetzt bin ich fertig. Als ichs gesehen und gehöret fiel. Ich nieder anzubethen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie wunderbar einig in allem! Wie Du alle meine dunklen Ahndungen mit Licht trifst. Ach das Bild
vom neuen Jerusalem und seiner Sonne und Mond tausend tausend Dank. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich arbeite jetzt in mancherley Strömen wieder den Strom. Habe Licht und Hofnung im Herzen, die
durch Deine Offenbarung auf Ewigkeiten hinaus gemehrt worden. Ist Dir das nicht angenehm. Ein
Schaaf ist dem Hirten auch lieb wenn er gleich noch neun und neunzig in der Wüsten hat. <line type="empty"/>
Doch hab ich einen grossen alten Drachen in mir, mit dem ich noch viel zu ringen haben werde. Er soll immer hinunter. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
Ich hoffe ich glaube ich lebe. Komm bald Herr Jesu!
<note>Schnörkel</note> <line type="empty"/>
Aus Deiner Göttingerstelle nichts geworden? Schüttle den Staub über sie!!! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ist denn die Regierung Gottes arm? Oder fehlts ihm an Werkzeug und Mittel? Bedaur und belächle
der ohnmächtigen Thorheit Rache. <line type="empty"/>
<align pos="center"><note>zwei Schnörkel</note> Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line/> <line type="empty"/>
Grüsse sie. die einzige. Und küß Dein Söhnlein <line type="empty"/>
Verzeyhung daß ichs solang behalten, es war mir zu lieb. Wenn wirds gedruckt? Wenn darf es in die Welt?</letterText>
<letterText letter="122"><line tab="1"/>Ich habe Deine Manus. ewiglieber Freund durch Schloßern erhalten und was <ul>kann</ul> was darf ich
sagen? wie will ich was sagen? Du mir die Sachen schenken mir das Glück das ich noch vor einem Jahr
kaum wähnen dürfte daß Glück Dein Freund zu seyn, vor der Welt mich nennen zu dürfen?
<ul>Herausgeber</ul> Deiner Sachen Warlich warlich ich muß schweigen! Ich kann nichts sagen fühle
mich! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Du weißt Theurer wie Du in meinem Herzen stehst, aber darf, kann ich das wollen, daß Du mir <ul>die
Sachen gibst?</ul> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Wolken sind unterdrückt. Verlaß Dich auf mein <ul>Blut</ul> wenns nöthig ist, ists Dein! Diese flüchtige
Aufsäzze hoff ich noch auf Ostern herauszubringen. Doch allenfalls schreib mir, <ul>wer</ul> Dir
Anträge gethan hat, wenn ja mein Buchhändler Mäuse machen solte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Schreib mirs gewiß. Papier, Druck etc. wird werden; <ul>wie Petrarch?</ul> Korektur <ul>ich selbst</ul>!! Nur bitt ich
Dich um alles berichtige mir folgendes: <line type="empty"/>
1) Im Matz Höcker von der Stelle: <ul>D Bücher <del>un</del> nu und die Gesellschaften heuer</ul> bis zu dieser:
<page index="2"/> <ul>Sagt man sie sollen Schuld dran seyn.</ul> <line type="empty"/>
2) Diese Stelle ebend: Und die Moral Aesthetik u. Tatik. Ist Tatik recht? Ich versteh das Wort nicht! <line type="empty"/>
3) <ul>In den beeden Reden über die deutsche Sprache, all die französischen Stellen sauber u. korekt geschrieben.</ul> <line type="empty"/>
Du siehst selbst Schaz daß das nöthig ist, wenn ich was guts liefern will thus also! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was anlangt den innern Werth der Stücke selbst, so schweig ich. Von <ul>Dir Dir!</ul> Dessen Werth ich kaum
(wie Goethe auch nicht) kaum in den Augenblicken der trunkensten Phantasey aussprechen kann!
laß mich. Ich weiß was die Welt an Dir hat. Fluch ihr! weil sie fähig ist Dich zu verkennen. Lieber laß
Dir genügen an uns Deinen Treuen! O unser hiesiger kleiner Hauf, der <ul>Gott in Menschengestalt unser
Lavater</ul> da bist Du oft mitten inne. Wir wißen was Du bist! Amen! <line type="empty"/>
<align pos="center">×<!-- Markiert dieses Zeichen einen bestimmten Auszeichnungsfall? --> <ul>Klinger</ul></align> <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Das Drama ist ein Meisterstück. Aber die Musik war nicht dabey. Sende sie mir lieber ob ich gleich
nicht weiß ob sie mit darzu kan gedruckt werden. Die Vertheidigung der Wolken wird hier unter uns
circulieren. Schloßer schrieb drunter: <aq>Helas tais toi Jean Jaq. ils ne tentendront pas</aq> und das ist
herrlich wahr! Darf ich mich unterstehen Dir aufzutragen eine Empfehl. vor meines Goethes herrliche
Schwester zu bringen. O! o! Kl. dankt Dir 1000 mal für <note>Textverlust</note> Petrarch. Er hat an Petrarch
diesen <note>Textverlust</note> ter sein ganzes Labsal gefunden <note>Textverlust</note> die <aq>Canzonette sorella</aq> übersetzt
die Du einmal sehen sollst. Steiner wird Dir Expl. zugeschickt haben. Er <insertion pos="top">×</insertion> grüßt Dich und ist Dein
wie ich! Kaufm. macht mir viel Freude denn er ist eine kostbare Seele. Lavater wird immer mehr mein! O
was er von seinen Feinden gepeinigt wird! Gut u. wohl Dir daß Dus nicht so weißt. Du würdest Höllenangst
für ihn leiden wie wir alle. Ich will was für ihn thun u. wärs mein Blut und Leben, das ich ihm willig
darbringe weil er ein <ul>Heiliger</ul> ist. Harre es wird werden!!! <line type="empty"/>
<align pos="center">Leb wohl ewiglieber Bruder. K <line type="empty"/>
Zürch 3 Merz 76.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
<ul>Herrn Lenz</ul><line type="break"/>
abzugeben bey M. Röderer an der neuen Kirch<line type="break"/>
zu <ul>Strasburg</ul></letterText>
<letterText letter="123">Straßburg, den 6. März <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hochwohlgeborner Herr, schätzbarster Freund und Gönner! Wie oft habe ich den Gedanken gefaßt
und wieder fahren lassen, den Genuß der wenigen glücklichen Augenblicke, die Sie mir in Straßburg
haben schenken wollen, wieder zu erneuern: aber verschiedene Rücksichten haben mich bisher zu
schüchtern dazu gemacht. Unser Verhältniß ist nicht mehr dasselbe, dacht ich, es war vielleicht mehr
die Neugier eines philosophischen Reisenden, der unterwegens nichts aus der Acht läßt, als wahre
unbefriedigte Bedürfniß des Herzen und Geistes, was Ihre Aufmerksamkeit auf mich lenkte, und ich konnte
Ihnen in meiner Situation wohl nicht anders vorkommen als ein Zeitungsblatt oder eine unbedeutende Broschüre,
die man nicht gern zum zweitenmal liest. So resignirte ich mich endlich, in einem Herzen in
Vergessenheit zu gerathen, das ich in den wenigen Stunden unsers Umgangs von so viel liebenswürdigen
Seiten kennen gelernt hatte und das ich nicht so leicht vergessen konnte. Hundert Arten peinvolle Zerrungen
der tausend kleinen Fäden kamen dazu, die an dem Nervensystem eines Menschen angeknötet sein müssen, der
nur durch und in andern Menschen existirt der Ihrige war einmal abgerissen, und ich sahe kein Mittel, bei
einem verzettelten Knäuel seiner wieder habhaft zu werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Vielleicht hat die Gegenwart meines Freundes Goethe durch die unerklärbare Association der Ideen
einige schwache, dunkle Erinnerungen von mir wieder bei Ihnen rege gemacht. Ich muß diese
Gelegenheit haschen, sollte ich sie auch nicht zu halten im Stande sein. Wenigstens habe ich denn alles
gethan, was mein Herz von mir foderte. Sie haben in der Zeit viel neue Gegenstände aufgefaßt, die Ihrer
Beobachtung und Bearbeitung würdiger waren, als alles, was Straßburg Ihnen (den Münsterthurm ausgenommen)
anbieten konnte. Eine Stadt, deren Bürger nur die Ausgelassenheit der Sitten denen Franzosen scheinen abgelernt
zu haben und mit den wahren Vorzügen dieser Nation unbekannter als Deutschland und Moskau sind. Nur auf dem
Lande hätten Sie (wenn die Absicht Ihrer Reise es erlaubt,) vielleicht Charakter und Sitten angetroffen,
die Sie zum Neide gegen einen Boden verleitet hätten, der, wenn er nicht verdorben wird, in seinen
physischen sowohl als moralischen Producten einer der mildesten und reichhaltigsten unter der
Sonne ist. <line type="empty"/>
<note>am Rand</note>
<line tab="1"/>Doch muß ich auch Straßburg Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ich habe hier neulich eine Dame von
Adel kennen lernen, die nun freilich über alle mein Lob erhaben ist. Verzeihen Sie, daß ich alle Ränder
vollschreibe; ich konnte es nicht über mein Herz bringen, diese große Ausnahme von der Regel nicht
anzuzeigen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Sr. Durchlaucht der Herzog sich noch des unbedeutendsten aller Eindrücke zurückerinnern
können, den ein Mensch in einem damals gewiß seltsamen Aufzuge und noch seltsamem Lage auf Sie
gemacht haben muß, der, wie Diogenes aus seinem Schneckenhause geschüttelt, in einer sehr
unphilosophischen Verlegenheit dastand, als ihm die zuvorkommende Herablassung <b>eines solchen
Prinzen</b> alle seine weitausgesponnenen Ideen von Verläugnung der Welt mit einemmal zerschnitt und
ihn außer der Sonne noch etwas Besseres schätzen lehrte, so legen Sie mich Höchstebenselben unterthänigst
zu Füßen. Wie nicht weniger Sr. Durchlaucht dem Prinzen und unbekannterweise den Durchlauchtigsten
Herzoginnen. Ich bewundere einen Hof, der Deutschland das erste Muster von Beschützung der deutschen
Musen aufstellt, das in der bekannten Wanderung der Wissenschaften gewiß Epoche machen wird. Ich
wollte lieber sagen, wie sehr ich ihn dafür verehre, wenn es hier nicht rathsamer wäre, meine Empfindungen
in mein Herz zu schließen, als damit Geräusch zu machen und den Argwohn eines Clienten zu erregen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Haben Sie denn auch wohl so hübsche Mädchens in Sachsen, als unter unsern Flechten stecken? Ich
weiß, daß Sie über die rothen Backen hier manche boshafte Anmerkung machten. Sie haben aber
diese Nymphen der Diana noch nicht sprechen, noch nicht die O und A trotz den Italiänern schleppen
hören, besonders wenn ihre Sittsamkeit, oder wie soll ich es nennen? Durch artige Sachen, die man
ihnen vorsagt, in Verlegenheit gesetzt wird. Da soll mir einer sagen, daß die deutsche Sprache keines
Wohllauts fähig sei. <line type="empty"/>
<note>am Rand</note>
Ich habe einen <b>Petrarch</b> geschrieben, für den mich die hiesigen Damen steinigen, weil sie alles das für
geistliche Lieder halten. In Goethens <b>Werther</b> ist ihnen nur die Stelle verständlich, als er losdrückt
und darnach im Blut gefunden und hinterm Kirchhof begraben wird. Wenn er nur ehrlich begraben
wäre, hätt alles nichts zu sagen.</letterText>
<letterText letter="124"><line tab="1"/>Ich habe vergessen, Sie neulich zu bitten, den barokken Titel Komödie, der in einigen individuellen
Grillen seinen Grund hatte, vor den Soldaten wegstreichen zu lassen und statt dessen darauf zu
setzen: Ein Schauspiel von Steenkerk aus Amsterdam. Es könnte außer der Seltsamkeit noch den
Schaden haben, daß ein ganzer Stand, der mir ehrwürdig ist, dadurch ein gewisses Lächerliche, das
nur den verdorbenen Sitten einiger Individuen desselben zugedacht war, auf sich bezöge.</letterText>
<letterText letter="125">Hannover. Den 8ten Merz. 1776.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Empfangen Sie, liebster Lenz, meinen besten, warmen Dank für Ihr Schauspiel. Ich hab es mit
Entzücken gelesen, und es hat mich gerührt und getroffen, wie irgend eines. Ich wollt es heute mit
Zimmermann lesen, aber wir haben uns verfehlt, und aufhaltennwill ichs nicht, damit Helwing es ja
früh genug erhalte. Sie sehen aus der Ueberschrift, daß ich hier bin. Ich habe meine Stelle angetreten,
und befinde mich ganz wohl.darin, wenn ich nur erst aus dem Wirbel von Zerstreuungen heraus wäre,
worin ich jetzt schwebe. Wenn ich nur erst die nöthige Routine in den mir ganz fremden militarischen
Geschäften habe, werd ich auch Muße für mich zu leben und zu arbeiten find en. Zimmermanns Umgang,
so wenig ich auch noch ihn genießen kann, ist mir große Wonne. Sie sind oft der Inhalt unsrer Gespräche
gewesen. Er liebt Sie mit Wärme wie ich. Wären Sie doch bey uns! Helwing hat mir endlich, zwar
ziemlich verdrießlich und unzufrieden, aber doch geschrieben, daß er die W. unterdrücken will. Der
erste Bogen der Vertheidigung war angedruckt. Auch der muß umgedruckt werden. Er verlangt 29 1/2 Rthl,
so viel ihm Druck und Papier gekostet, zur Entschädigung. Das soll sich aber schon <page index="2"/> geben.
Wenn er die Vertheidigung, für die ich, wie für die W. einen Duk. für den Bogen gefodert hatte, nun
umsonst erhält, und für das Schauspiel nur 1 Duk. bezahlt, wird er sich schon zufrieden geben. Ich
hab ihm geschrieben, der V. bekäme sonst 4. Ich habe die W. gedruckt, und würde sie Ihnen schicken,
wenn ich nicht das Postgeld schonte. Die andern Exemplare sind versiegelt, und H. hat mir sein Wort
gegeben, daß niemand sie gelesen hat, noch lesen soll. Auch mein heiliges Wort geh ich Ihnen hier.
Doch dächt ich Z. dem Sie selbst davon geschrieben haben, könnte sie wohl lesen. Nach dem, was er mir
gesagt, fürcht ich nur, daß sie durch die genommene Abschrift bekannt werden, und da wärs doppelt
Uebel. Stella hab ich endlich. Welch ein Stück! Welch ein Zauberer dieser Göthe! Ich hab auch
versucht, auch gedichtet seitdem ich Euch beide kenne, lese, fühle, ihn und Dich, Du, zweyter
Zauberer! nichts mehr versucht! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Haben Sie denn nun unser Mus. gesehen? Ihr Zerbin ist nun ganz abgedruckt. Nochmals meinen
besten, wärmsten Dank dafür! Hier hat er große Sensation gemacht, und allgemeinen Beyfall
gefunden. Wenn Sie noch die Deklamation des Schulmeister Hieronymus nicht angebracht haben, so
laßen Sie sie mir für eins der folgenden Stücke. Ich hab ihm Unrecht gethan. Schreiben Sie mir
doch Ihre Meynung übers Mus. Haben Sienun nicht bald wieder was dafür! Zimm. hat mich, wie er
sagt, bey Schloß. gerechtfertigt. Sobald ich vom Verleger Geld habe, schreib ich ihm und
danke selbst. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Gestern hat mich Lindau sehr unerwartet überrascht. Er geht, wie Sie vielleicht wißen, als hessischer
Lieutenant, mit nach Amerika. Sonderbar und unbegreiflich! Von Herdern weiß ich lange nichts. Ob er
nach Göttingen geht oder nach Weymar? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihr Brief findet mich hier, unter der Adreße an den Stabs Sekretair Boie. Ich umarme Sie mit vollem
Herzen. Ewig der <line type="empty"/>
<align pos="center">Ihrige Boie.</align> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn Herrn <ul>Lenz,</ul> Gelehrten<line type="break"/>
in <ul>Straßburg</ul></letterText>
<letterText letter="126"><line tab="1"/>Ich danke Ihnen lieber guter Mann für Ihren treugemeynten Brief herzlich. Wir wollen also mit
einander beginnen, u. es soll uns beyde nicht reuen. Laßen Sie sichs nicht leid seyn, daß die<line type="break"/>
<del>Leute</del> Welt Ihren Namen kennen weiß. Sie haben mehr Freunde als Sie glauben, u. wer Ihre Bücher
goutirt, ist ein guter Mensch. Denn den flachen Köpfen u. Herzen sind sie so unausstehlich. Und der
guten Menschen giebts doch viel, u. der unverdorbenen, besonders unter den Weiblein. Hätten Sie nicht
geschrieben, so wüßte z. E. unser Einer nicht zu seinem Troste, daß ein so guter Mensch mehr lebt, wie
Sie, ob ich gleich glaube daß der Poeten mehr sind, die nicht schreiben, als die da schreiben, u. daß
von jedes Menschen Empfindung so viel verraucht, biß s aufs Papier kommt u. <aq>dabel</aq> wird, daß nichts übrig
bleibt als caput mortuum. Selbst Goethe mahlt oft mit Wasserfarbe Geschichte der Menschheit, wenigstens an
manchen Stellen, um sein Fascikel voll zu machen. Das weis er auch selbst, und ich habs ihm auch gesagt.
Mit ihm hab ich offt Ihre Liebes-Gedichte gelesen, u. gefunden was das ist, wahre Leidenschafft. Sie waren
dem äussern Schnitt des todten Buchstabens nach Menantisch, Ta<page index="2"/>landrisch u. Gottschedisch, dafür
hätte sie gewiß Ramler gebrandmarkt. Aber innen wehte der grose Wind heraus, der uns mitschaudern machte.
Von meinen Lumpreyen hab ich jezt nichts zum Absenden, weil ich so schreibe daß s kein Mensch lesen kan,
u. zum Copiren hab ich keine Zeit eben. Dafür schick ich Ihnen Herders Rhapsodie. Sie ist von dem grosen
Gebrauch sehr schadhaft geworden, bitte sie wohl in acht zu nehmen. Er hat sie gleich nach Empfang des
Reimhards geschrieben. Ich hab den zweyten Th. begonnen, von dem nächstens. Etwas Rhypographisches auch von
oder nach Swift. Die Romanzen führt Goethe alle in einem Bande mit sich. Ich habe keine weiteren Abschriften,
u. die ersten Aufsäze sind mir alle verloren gegangen. Ich hab ihm aber darum geschrieben. Von Herdern hab
ich noch viele Gedichte, die ich Ihnen alle nach u. nach sub Rosa mittheilen kan. Wann ich künftig was
schnizele sollen Sies sehen; ich denke es wird mir doch aufmunterung u. Trost seyn, wenns in Ihnen wiederhallt.
Könnten Sie uns nicht einmal besuchen, besonders wenn Claudius hier wird seyn? Bleiben Sie ja ich bitte Sie in
Deutschland. Vor unser einem ist in Rußland kein Heil u. Seegen. Wir haben keine Körper, um in <page index="3"/> jenem
Lande zu <ul>geniessen</ul> mit vielem huren, spielen, fressen u. sauffen. Und <ul>unsere</ul> Seelen, so wie alle Arten überhaupt,
die auf etwas mehr als dem Miste thierischer Bedürfnisse wühlen, kann man dort ganz entbehren. Ich lebe hier,
wenn Goethe in Weimar bleiben solte, freylich auch auf einem verwünschten Sand<ul>fleck,</ul> wo nie was gescheutes keimen
kann u. wird. Aber die liebe Noth ist das beste täglich Brod. Die hat mir noch beständig mein Dach geflikt, u.
wirds auch so fort fliken. Lebten wir im Überfluß, so würden wir <aq>Gens aisés,</aq> u. ennuyirten uns, hätten außer unsern
eigen, noch standsmäßige obstruction. Ausserdem bin ich zu verschiedene malen von Madame Fortuna tüchtig gewamset
worden, wofür ihr aber mit Yorik herzlichen Dank sage. Ich gäbe meine jezige Existenz nicht um aller Welt Güter
willen weg, u. wenn ich noch einmal in Mutter Leibe zurückgehen, u. die <ul>Reihe von mir selbst unabhängiger <insertion pos="left">mich
angehende</insertion> Begebenheiten</ul> wählen sollte, so solts in Gottes Namen nicht anders seyn, als es gewesen ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von Goethen hab ich allerley hübsche u. gute Sachen. Haben Sie <page index="4"/> das Stük von Wieland
Goethe u. die jüngste Niobe Tochter? wo nicht will ichs schiken. Sie schreiben <insertion pos="top">jezt</insertion> dort Farcen (sub
Rosa) die sie Matineés nennen, haben Sie nichts davon? Eine schöne Zeichnung von Krause hab ich
auch wo er sizt, u. den Faust vorließt, der Herzog u. alle andere um ihn herum. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich denke unter der Adreße der Mlle König u. der Frau Geh. Räthin <aq>Heße</aq> könnten wir immer einander
schreiben, ohne daß es Postgeld verursacht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Leben Sie wohl u. gedenken Sie meiner offt z. E. wenn etwas von Ihnen nach Weimar geht, könnts
nicht vorher ein bißchen hier anhalten? Ihre Posten hat mir Goethe nie wollen mittheilen. <line type="empty"/>
So eben scheint die liebe Sonne u. ich denke es ist besser Gottes Angesicht schauen als schreiben. <line type="empty"/>
Leben Sie wohl u. halten Sie Ihr Versprechen nächstens zu schreiben. <line type="empty"/>
Ihr ganz eigener <line type="empty"/>
<align pos="center">Merck</align> <line type="empty"/>
D. 8ten Mart. 1776.</letterText>
<letterText letter="127"><line tab="1"/>Mit Schimpf u. Schande, lieber Lenz, schicke ich Euch so spät und doch nur einige Bogen Deiner
Komödie und noch ohne Geld. An demselben Tage, da sie mir kamen, kam Dein Brief, daß die Ia
Roche v. Rochau werden sollte u. Du siehst selbst, Bruder, die Ändrung ist nicht möglich. Welcher
Wahn oder Argwohn ists auch ändern zu wollen, als einer so weit hergesuchten Ursach. Wie die Ia Roche
erscheint, ists ja wie ein Engel u. was gehört der andre hieher ? Nothfalls laß mich zeugen u. es
bei ihr verantworten: das ganze Ding müßt umgedruckt werden u. welcher Kerl thut das? Dazu hab ichs
(um nicht neu Gerede zu erwecken) durch einen andern (Zimmermann) besorget: daher die Trödelei, darüber
ich mich genug geärgert habe. Der Kerl von Buchh. wollts nicht vor der Meße erscheinen laßen u. dazu hatte
er wohl Recht: im Grunde war mir das auch lieb, <del>aber</del> mit den letzten Bogen sollst Du gewiß das Geld
haben, den Bogen 2. Duk. so hab ichs <insertion pos="top">ihm</insertion> gegeben. Ich ärgere mich, daß ich in der ersten Kommission
so läßig bestehe, liegt aber nicht an mir. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Dank für Deine Kantate u. für Dein Wort über meine Apokalypse. Jedes Wort von Dir ist mir
wahrhaftig Laut des Geistes, Zittern des großen Sensoriums auf Einer Saite. Auch Deine unorthodoxe
Kantate hat uns enzückt. Mein Weib liebt dich 3.fach als Bruder u. mein Kleiner grinzt den Namen
Lenz, wenn ich ihm Dein Schattenbild zeige, mit einem so feinen Ton aus, wie Du seyn mußt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Zurückziehung aus Gött. ist wahre Gotteserrettung. Den Tag, da die zweite Antwort aus London
kam (mich ging die Sache von Anfang nicht an u. ich wünschte, daß sie zurückginge) kam mir Göthens
Brief aus Weimar zur dortigen Gener.-Superint. Der Herzog hat feierlich bei mir angefragt, ich sage Ja
u. nun stockts wieder stockts! Gott wird mir helfen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und Du, was zitterst Du, wie ein Irrlicht zu erlöschen. In Dir ist wahrlich Funke Gottes, der nie
verlöscht u. verlöschen muß. Glaube! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ach u. schriebst Du mir doch manchmal ein <page index="3"/> Wort, was Du machtest, würktst, dichtetst,
sorgtst. Wie gern wollt ich Dir näher leben. Auch sehn wir uns einmal wahrlich! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ehgestern ging ich an meine Urkunde in Druck u. Nebel; am Tage da Dein Brief kam. Er <del>zer</del> schoß
einen Stral hindurch! Gebe Gott daß ich thue, was ich thun soll. <line type="empty"/>
Hast Du die Meinungen des Layen geschrieben? Ich bitte Dich um Deines Herzens willen, sag mir. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Gott mit Uns dort am Ufer des Rheins u. hier am Bach Krith, wo die Raben mich hacken statt mich zu
ernähren. Schadt aber nichts und wird helfen! <line type="empty"/>
<align pos="right">H.</align> <line type="empty"/>
9. Mz.</letterText>
<letterText letter="128"><line tab="1"/>Es freut mich daß gegenwärtiger Brief den mir Lavater offen für Dich zugeschickt hat, mir Gelegenheit
giebt bester Herder! Dir in die Arme zu fallen. Zwar ein wenig zerrissner noch als er zu seyn
behauptet, aber doch meines Zwecks gewiß. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich danke Dir daß Du die Soldaten zum Druck befördert hast, ich habe nun alle dem Uebel das daraus
hätte entstehen können, vorgebeugt ich <ul>danke Dir</ul> und für den Weg den Du sie hast nehmen
lassen. Reich wird sie hoffentlich vor Michaelis nicht bekannt machen und alsdenn wird das mit
Fingern deutende Publikum auf nichts mehr zu deuten haben. Auch wenn Gott mein Gebeth aus der
Tieffe erhört, von mir eins und anderes geschehen seyn, das denen die ich geissele, weist wo
<del>es</del> <insertion pos="top">ich</insertion> mit ihnen hinaus will. Ich habe eine Schrift über die <ul>Soldatenehen</ul> unter Händen, die
ich einem Fürsten vorlesen möchte, und nach deren Vollendung und Durchtreibung ich wahrscheinlichst
wohl sterben werde. Gott laß mich mit Freudigkeit Dein Wille <line type="empty"/>
Grüsse und umarme Dein Weib. Geseegnete unter den Weibern. Lange mit Dir geseegnet. <line type="empty"/>
Ich hoffe euch zu sehen, eh ich gehe. Lebt wohl! <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Weise niemand diesen Brief. Er ist für kein Auge das nicht durchdringt. Selbst für Deines <ul>müssen</ul> itzt
noch Dunkelheilen bleiben.</sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote pos="top" page="1" annotation="am oberen Rand, spiegelverkehrt">
<line tab="1"/>Wegen der Soldaten sey ruhig! Ists wahr daß Du nach Weymar kommst so werde ich wieder einmal
eine Freude haben. Eine.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Herder<line type="break"/>
Oberkonsistoralrath<line type="break"/>
in Bückeburg</letterText>
<letterText letter="129"><line tab="1"/>Laß Dich umarmen Es sey vergeßen das Unrecht das man meinem Gottheits Bilde anthat. Du hast
mir das Leben wieder gegeben da Du ihr ihr Gesicht wiedergabst. So wie es sich m: Herzen auf ewig
eingegraben hatte u: wunderbar! bis auf Züge die der Mahler <aq>Balay</aq> ganz u: gar unausgedrükt ließ. So
ist das Auge doch Du wirst glauben ich schwärme u: das ärgert mich. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dein Urtheil that mir entsezlich weh. Nimm mich krank wie ich bin auf Dein Herz, u: übe Dich an mir
in der göttlichen Kunst zu verzeyhen. Sage mir ob Du nicht 2. Bilder von ihr unter meiner Aufschrift
erhalten. <line type="empty"/>
Tausend Dank Vater! Ich kann jetzt kein Wort mehr sagen. Ach daß ich einen Wunsch äußern dürfte.s <line type="empty"/>
<line tab="1"/>O wie theuer mir Dein Bild ist, Du Einziger der meinen Schmerz nicht entehrt. Es soll mich so wie das
ihrige bis ans Ende der Erde begleiten. Deins u <aq>Goethens</aq></letterText>
<letterText letter="130">Den 11ten Merz 76. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie wär es bester Freund! wenn Sie Die Freunde machen den Philosophen dem Herrn Leibarzt
Zimmermann gäben (der mich schon darum angesprochen), daß er Sie bey Reichen in<line type="break"/>
Leipzig noch auf die Ostermesse könnte drucken lassen. Von dem Honorario gäb er Ihnen soviel für
Ihren Freund Herr Hellwieg ab, als ihm der Druck der Wolken gekostet, <ul>„zugleich</ul> <ul>versprächen Sie ihm
aufs heiligste ein ander Stück</ul> <ul>von mir das vielleicht gegen Michael fertig wird</ul> <ul>gewiß, kann ich sagen,
da es nur noch an der letzten Hand fehlt die ich dran lege“</ul> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es wäre mir aus Ursachen die auch Herr Leibarzt Zimmermann weiß lieber die Freunde diese Ostern
in Leipzig erscheinen zu sehen überdem muß ich Ihnen aufrichtig gestehen daß ich gegenwärtig durch
Schulden und andere wunderbare Verwickelungen mich in einer Geldnoth befinde die <ul>üble Folgen</ul> auf
mein ganzes künftiges Schicksal haben könnte. Umarmung. <line type="empty"/>
<align pos="center">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<align pos="right"><aq>verte</aq></align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Herr Reich würde vielleicht auch die Correktur, Pappier und Vignetten besser besorgen können und
bey meinem ersten Wiedereintritt in das Publikum seit meinen verdrieslichen Autorhändeln muß mir
daran gelegen seyn. Wie befinden Sie sich in Ihrem neuen Zusammenhange. Die Nähe des Herrn
Leibarzt Z. wird Ihnen sehr erquicklich seyn. Machen Sie diesem verehrungswürdigen Mann meine
wärmste Empfehlung. Auch Herrn Hellwieg empfehlen Sie mich.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Könnte ich auf das möglichst geschwindeste ein Exemplar der Vertheidigung W. sobald es schwarz auf
weiß ist (oder vielmehr einige) bekommen, ich bin ihrer höchstbedürftig, besonders da ich Wielanden
selber davon geschrieben und ihn von der Wahrheit meiner guten Gesinnungen gegen ihn
überzeugen möchte. <line type="empty"/>
Die Wolken sind doch schon <ul>so gut als vernichtet</ul> worden? Ich stütze mich auf Ihr Wort. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wollten Sie allenfalls sich selber die Mühe nehmen Herrn Wieland ein Paar Vertheidigungen ohne
Namen und Ort zuzuschicken, damit er sie desto eher bekommt und sein Mißtrauen gegen uns
entwaffnet wird. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Womit habe ich es bey Ihnen verdient Sie so dreist mit meinen Commissionen zu beschweren. Sie
einen Mann im Amt, <page index="3"/> ein wirksames Glied des Staats mit den Commissionen eines
Ebentheurers. Doch hoffe ich wird es Sie <ul>am Ende</ul> nicht gereuen, sich mit mir abgegeben zu haben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihr Musäum dürfen Sie nur dem ersten besten Buchhändler herschicken, für den Abg<note>Textverlust</note>
stehe ich Ihnen. Etwa Herrn <ul>Stein</ul> oder Herrn <ul>Bauer</ul> oder beyden, zugleich legen Sie noch einige
Anzeigen für die auf dem Lande und in den andern Städten von Elsaß befindliche dabey, auch für
Mümpelgard die Schweitz hinunter wo ich überall Zusammenhang habe. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Auch dafür werde ich Sie künftig schon mit mehrerem versorgen. Keine Erzehlung wie Zerbin aber
ein kleiner Roman in Briefen von mehreren Personen, der einen wunderbaren Pendant zum Werther
geben dürfte. Doch ist alles dies nur noch Entwurf. Von Fremden aber hab ich manche interessante
Aufsätze liegen. Melden Sie mir doch gütigst mehr literarische Neuigkeiten. <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Staabssekretär<line type="break"/>
<ul>Boje</ul><line type="break"/>
in <ul>Hannover</ul><line type="break"/>
abzugeben im <ul>Churhut</ul> bey der Post.</letterText>
<letterText letter="131"><hand ref="20">
Empf. den 16ten März. 1776.</hand> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich danke Ihnen lieber wahrer warmer Freund! für alle Ihre freundschaftlichen, soll ich lieber sagen,
patriotischen Mühwaltungen. Alles ist <ul>gegangen wie ichs wünschte</ul> und das, weil das Geschäft Ihnen
anvertraut war. Lassen Sie die abgedruckten Exemplare <ul>alle zu</ul> sich kommen und heben Sie sie sorgfältiger
<ul>als Schießpulver auf #</ul> bis ich Ihnen sage was damit anzufangen. Eins möcht ich doch zur Probe
haben mehrere Vertheidigungen aber halte ich mir ja aus. Der Verlust kränkt mich nicht, so beträchtlich
er für einen Poeten ist. Und nun nehmen Sie nochmals meinen Dank und meinen Kuß und meine Umarmung
für das Vollziehenhelfen einer Sache deren Folgen ich alle zu rechter Zeit zu benutzen wissen werde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Jetzt will ich Ihnen gestehen, daß dem armen Hellwieg ohnehin bey den Wolken ein Nachdruck
würde zuvorgeeilt seyn den ich mit allen Kräften die ich anwandte nicht würde haben verhindern
können. Es hatte jemand durch die dritte Hand das Mskpt. bekommen eine Abschrift davon
genommen und schrieb mir er würde es drucken lassen, ich möchtes erlauben oder nicht. Jetzt ist
auch das durch eine Aufopferung verhindert <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
# Kein Mensch darf sie zu Augen bekommen, oder unsre Freundschaft ist todt.</sidenote></letterText>
<letterText letter="132"><line tab="1"/>Ja lieber Lindau es ist geschehen das Luftschloß ist gebaut und auf Deine Unkosten. Sag mir nur wem
ich die 9 Louisdor wieder einhändigen soll die Du mir geliehen hast. Deinen Fräulein Schwestern oder
Schlossern oder Lavatern daß sie sie zur Erziehung Deines Peters anwenden. Sobald ichs im Stande
bin will ich auch weiter für ihn sorgen und in Deine Stelle treten. Was sollte er auch jetzt in Amerika:
Wenn er reiffer ist kann er Dir schon nachreisen. Ueberhpt hast Du mit Dir genug zu thun und so gern ich
gewollt hätte, so war Deine Idee doch unmöglich auszuführen. Ich bekam das Geld erst den 15ten nach der Schweitz
nach Zürch hätt es 8 Tage gehen müssen von da nach Marschlins, ehe Dein Bube in Straßbg ankommen wäre warst
Du über alle Berge geschweige denn ehe wir beyde die Reise hinaufgemacht <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Zu dem hatte ich dringende Angelegenheiten die meine Gegenwart in Weymar nothwendig machten
und die Du auch einmal erfahren und Dich drüber freuen sollst. Mach nur daß Du bald wieder nach
Europa kommst. Sey brav aber nicht zu verwegen. Vor allen Dingen behalte kaltes Blut und
Augenmaaß die Grenzen der Gefahr abzumessen und dann ihrer zu lachen. Gewöhne Deine Soldaten dem
Musketenfeuer geschlossen und mit aufgepflanzten Bajonetten entgegenzugehen ihr werdt die Feinde
aus der Fassung bringen sie werden schiessen aber nicht treffen. Kommt ihr nah so schießt auch
aber zielt nicht zu hoch, in einer Entfernung von 50 Schritt zielt nach dem Bein. Vor allen Dingen
marschirt fest und gerade daß die Linie nicht an zu schwanken fängt. Die kreutzenden Feuer sind die
besten wenns doch geschossen seyn soll. Im Marschiren schießt gar nicht Könnt ihr den Feind mit Bäumen
die halb umgehauen halb noch an den Wurzeln hängen und mit Strömen die ihr an einem Ort dämmen
könnt, damit sie am andern austreten aufhalten so thut es. Kehrt Euch an die Kanonen nicht die mehr
Lärmen machen als Schaden thun verändert eure Bewegungen und eure Märsche beständig so verwirrt und
dekontenancirt ihr den Feind. Und seht ihr die Colonisten einmal so sagt ihnen daß sie Narren sind
daß sie für eine Freiheit fechten die in der Natur der Englischen Verfassung nicht liegt die nur ein
eingeschlichener Mißbrauch ist. Das Unterhaus hat nie Stimme im Parlament gehabt als da die Könige
Geld von ihnen brauchten <page index="2"/> und den Adel scheeren wollten. Sie hatten nie ein anderes Recht
als zu bitten Suppliken einzureichen und das behalten sie ja noch. Wenn der König sie nöthig hat und
sie ihm Geld stossen wird er ihnen schon mehr bewilligen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Unterdessen gehabt euch wohl und Gottes Schutz walte über euch. <ul>Er wird walten über euch.</ul> Und
hab ich euch beleidigt verzeyht mir. Der Peter wär auch nur zur Last dort geworden und nach Europa
sollt und müßt Ihr wieder zurückkehren mein lieber lieber Lindau. <line type="empty"/>
<align pos="right">mit innigster Wehmuth <line type="empty"/>
Lenz</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Macht die Distanzen zwischen euren Divisionen immer grösser und grösser, so sehen sie euch immer
für noch einmal soviel an. Ich schike das Geld Deinen Fräulein Schwestern mögen sie damit
disponiren oder Lavatern wie Dus befiehlst. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In der Magna charta von England steht kein Wort vom Unterhause. Nur durch das Geld das sie dem
König Eduard stiessen brachten sie es bey ihm dahin <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Auch werden es die Kolonisten nicht lange machen alles rüstet sich wieder sie und das Geld wird
ihnen in die Länge auch schon fehlen. Schreibt aus Amerika an mich wenn ihr euren Peter verlangt
kann er künftiges Frühjahr ein wenig gescheuter mit den Schiffen zu euch kommen <line type="empty"/>
Greven ist bey euch, grüßt ihn feurig wenn er mich gleich nicht leiden kann.</letterText>
<letterText letter="133"><line tab="1"/>Ich bin in der größten Verbüsterung herzlich geliebter innig geschätzter Mann! wegen einer Reise zu
der ich mich über Hals und Kopf anschicken muß und auf der ich auch Sie zu sprechen und zu
umarmen hoffe <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Daß mir Ihr Brief Vergnügen und welches er mir gemacht könnte ich Ihnen doch jetzt nicht gleich so
sagen wie ich es wünsche. Bey meiner Jugend Schwachheit und Thorheit führt mir der Himmel doch
immer weise reiffe und grosse Freunde zu die mich wieder auf die Beine bringen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Für all die Nachrichten die den Grund meines Herzens interessiren danke tausendfach. Wenn ich von
heut über acht Tagen nicht bey Ihnen bin, so schicken Sie mir, ich bitte, nur unter Adresse der Jgfr.
König die versprochenen Manuskripte auch wenn es seyn kann das Kupfer, es soll gleich wieder
zurück. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mir gehts wie Ihnen, ich bin arm wie eine Kirchenmaus, von verschiedenen Sachen die theils unter
der Presse theils noch in Goethens Händen sind, hab ich gar keine Abschrift; die andern sind noch
nicht gestaltete Embryonen denen ich unterwegs Existenz geben will. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Meine Gemählde sind alle noch ohne Styl sehr wild und nachlässig aufeinander gekleckt, haben
bisher nur durch das Auge meiner Freunde gewonnen. Mir fehlt zum Dichter Musse und warme Luft
und Glückseeligkeit des Herzens das bey mir tief auf den kalten Nesseln meines Schicksals halb im
Schlamm versunken liegt und sich nur mit Verzweiflung emporarbeiten kann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Alles das muß gut seyn, weil es mir in jenem geheimen Rath oben so zugesprochen ward. Ich murre
nicht, habe auch nicht Ursach, weil ich alles das mir selber zugezogen. Vielleicht schreibe ich in dem
ersten Augenblick wahrer Erholung eine Catharina von Siena mit ganzem Herzen die schon in
meiner <aq>pia mater</aq> fertig, aber noch nicht geschrieben ist <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Aber Sie Sie und alles was werth ist kann ich schätzen, kann ich mit ungeschwächten Nerven fühlen
und das ist mein Vorzug mein Glück und mein Hochmuth. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mündlich ein mehrers. Dank für Herders Knittelverse, ich wünschte mehr in der Art von ihm zu lesen.
Ihren fortgesetzten Reimhardt aber will und muß ich zu mir reissen denn auf die Art Verse bin ich nun
einmahl bestürzt, da heurig die ganz ausgeglätteten neuitalienischen so Mode wurden, besonders im
Merkur die mir das Herzweh machten, eine Krankheit die sonst nur Frauenzimmer haben wenn ein
unausgefülltes Leere in ihrer Brust ist. Sonst liebe Wieland von Herzen wegen seiner Jugendsünden
und bitte mir sein Drama aus. Wohl ihm wenn er mit Goethen zusammen schmilzt. <line type="empty"/>
D. 14ten Merz. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="5"/>Der Dichter, verliebt.
<line tab="5"/>Ich <ul>dich</ul> besingen Phillis? Nein
<line tab="5"/>Ich fühle dich zu sehr, um jetzt nicht stumm zu seyn.</sidenote>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <dul>Merk</dul><line type="break"/>
in <ul>Darmstadt.</ul></letterText>
<letterText letter="134"><hand ref="51">
<align pos="right">Empf. 23. März 1776.</align></hand> <line type="empty"/>
<align pos="center">Den 15ten Merz</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eine Reise deren Folgen für mein Vaterland wichtiger als für mich seyn werden, zwingt mich bester
der Menschen Sie zu beschwören daß Sie bey Herrn Reich alles anwenden mir das Geld das er <ul>für die
Soldaten</ul> versprochen, sogleich durch Ihre gütige Vermittlung zu übermachen und zwar unter <ul>dem
Couvert</ul> <ul>des Herrn Merk in Darmstadt</ul> mit dem ich deswegen schon die gehörige Abrede genommen.
Sollte es auch unter der mir schmerzlichen Bedingung seyn, daß er das Stück schon auf Ostern bekannt
machen müßte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich brauche Geld nöthiger als das Leben und das zu einem entscheidenden Augenblick der hernach
nicht wiederkommt. Könnt ich auch für die andere Piece etwas vorausbezahlt bekommen von der
Ihnen Boje gesagt haben wird so geschäh mir <ul>auf ewig</ul> eine Wohlthat. Ich bin auf der Hälfte des
Weges der meine Laufbahn endet und komme zu kurz. Helfen Sie! <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihrem<line type="break"/>
aufs Äusserste gebrachten<line type="break"/>
JMRLenz.</align> <line type="empty"/>
Richten Sie den Brief nur an Herrn Merk in Darmstadt. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rande, vertikal">
<line tab="1"/>könnte es aufs späteste in 14 Tagen da seyn. Verzeyhen Sie das erste und letztemal daß mich die Noth
zwingt in dem <ul>Grad unbescheiden</ul> zu seyn. Wie werd ichs in meinem ganzen Leben gut machen?</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Leibarzt<line type="break"/>
<ul>Zimmermann</ul><line type="break"/>
in <ul>Hannover</ul></letterText>
<letterText letter="134"><line tab="1"/>Ehe Du die Pap<note>h</note>piere lie<note>ß</note>st muß ich Dir sagen daß ich noch lebe und vors erste auch noch init dem
Quartier in der Welt verliebt nehme. <line type="empty"/>
Nun kannst Du lesen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Den <del>dritten</del> <insertion pos="top">zweiten</insertion> gieng ich zu meinem Vormund, <del>den vierten</del> <insertion pos="top">und</insertion> nach Cassel wo <del>ich</del> Gaudot
auf meine Bitte gekommen war, um meinen lezten Willen zu vollbringen, und mich alles in Ordnung
zu bringen helfen. Hier ist etwas von einem Brief den ich an Grewen schreiben wollte … … . <aq>Still
unsetteld Two cruel Days yet I must live for my affairs sake. Still unsetteld undetermined. Wether that I
live or that I die. I must make <page index="2"/> great sacrifices. And what party I chose I will not be
determined by weekness but by Strenth of soul. Great God that art in heaven send thou me that
strenth I want yet.</aq> <line type="empty"/>
<aq>The third <line type="empty"/>
<line tab="1"/>I have no strenth, whether to act, nor to omit the action Gaudot teils me I must expect the time,
where I am far from my family. But no, this is the moment or not in a long while. Now I am to begin
……..</aq> (viel Uhrsachen) …… <aq>Now Death would be a new kind of life or a new kind of torture If I am
obliged to try this yet, I shall be obliged to try all others till my death. But If I know myself
enough for to be sure that I kan <insertion pos="top">never</insertion> get existentiam unoquoque momento debitam it ist weekness
andfolly to wait for an other time <page index="3"/> ……… Now Death wo<insertion pos="top">u</insertion>ld be the seal of my existence,
which else will never have a certain determination. Could all those ideas, be clear, active and
lively in my soul at the last instant and till then, I would not be undecided. But this I pretend
from my soul, before she <nr> </nr> can claim the right from my hand to break <insertion pos="top">be untied from</insertion> her prison.</aq> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Gaudot machte mich immer mehr <del>um</del> wankelmüthig. Ich bekam Geschäfte denen ich der in
Ungewissheit obliegen mußten. Ich reißte nach Zell. Der Engel, meine Schwester, die nur mich auf der
Welt hat neue Fesseln. Zimmermann den ich in Hannover gesprochen habe tadelt <page index="4"/> meinen
Schlus <del>w</del> von dem Vergangenen auf das Zukünftige. Er will ich soll hoffen, und behauptet es sey mir noch
erlaubt zu leben, Summa, ich wandle noch unter die Lebendigen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Du wirst nunmehr meinen Brief mit die 9 Carolinen <del>benennen</del>kommen haben und <del>deine</del> an Me <aq>Gothe</aq>
in Frankfurt habe ich noch sechs geschickt. Von Peter höre ich aber noch nichts. Wollte Gott er käme
nicht. Ich bin seiner nicht werth und eben deswegen wird er mir oft zu Last seyn. Ich habe <aq>Salis</aq>
gebethen selbst zu entscheiden was ihm am zuträglichsten ist. Nach der Entscheidung also kommt er
mit oder nicht. Schreib mir nur frey was Du mir zu sagen hast. O daß Du doch Gaudot kenntest. <line type="empty"/>
Gudensburg in Hessen den 16 Merz 1776</letterText>
<letterText letter="136"><align pos="right">Darmstadt d. 17ten Mart. 1776.</align><line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nur ein paar Worte Freude u. Danksagung treflicher Mann über die gute Nachricht von Ihrer baldigen
Ankunft. War das nicht ein herrlicher Einfall von Ihnen an mich zu schreiben, so daß wir einander nun
als gute alte Bekannte umarmen können. Wo Sie hinreisen, möge Segen u. Glück Ihnen folgen, nur
wünsche ich nicht daß Sie in die große Weltwirthschaft geworfen werden, wo alle Eigenthümlichkeit
des Menschen verloren geht. Selbst die Lage in Str., worüber Sie in anderem Betracht Ursache haben,
mißvergnügt zu seyn, machte Sie doch mit zum Dichter, der sich Drang fühlte, Menschen zu bilden, u.
mit Geistern, mit Unbekannten zu reden, weil alles um Ihn her tod war. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>7Jezo hab ich keine Zeit was abzuschreiben, kaum noch so viel Ihnen <isnertion pos="top">zu sagen daß ich Sie</isnertion> mit der
wärmsten Umarmung erwarte. Mein Haus ist der nächste Nachbar am PostHaus, also sehn Sies ganz
als das Ihrige, u. Gott gebe, auf etwas mehr, als kurze Zeit an. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<align pos="right">JHM.</align></letterText>
<letterText letter="137"><line tab="1"/>Hier, mein lieber L. sind Deine <ul>Soldaten</ul> mit dem Refrain 15. <ul>Dukaten.</ul> Eben schreibt mir
Zimmermann, Dein grosser Freund, was Du mir eben in dem heutigen Briefe auch schreibst, daß
Reich sie zur Michaelsmesse sparen soll. Er wirds thun, glaub ich, wenn er sich nur nicht vor
Nachdruck fürchtet, der seinem Vordruck zuvor kommt: die Leute sind ja vor einander nicht sicher.
Halt also Deine Ex. wenigstens ein. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aber bist Du nicht zu sorgfältig und selbstquälend? Ziehst Spinnweb von Beziehungen im Kopfe
herum, die niemand vielleicht als Du siehest u. wenn sie dann auch jemand sähe Herostrat muß die
Hand nicht zurückziehen, wenns nun brennen will. Und dann brennts ihm doch wohl zum Possen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sei muthig u. hülle Dich in Deinen abgeschabten Mantel: alles geht vorüber u. dem Muthigen mehr
vorüber als dem Sorgsamen. Ich höre, daß die Wolken nicht gedruckt oder unterdrückt werden
sollen; gut, aber ich wollt doch ein Ex. haben. Sei frohen Herzens, wie es auch gehe; gnug, Du hast
sie nicht heraus wollen u. Deine Pflicht ist erfüllet. Das Ubrige ist nun Schicksal. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie mich der stumme Wink Deines Briefes freut u. betrübet was redst Du vom Verschwinden! Du
mußt noch Morgenstern werden u. Gott loben. Deine Briefe sind mir, wie die Herzensbeicht eines
Mädchens nach dem ersten Fehltritt, heilig! O daß ich näher an Dir seyn könnte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mit Weimar stockts wieder (doch das unter uns) ich muß nach Ostern erst hin denke!
Probpredigen. Nicht für den Herzog, versteht sich, sondern für die Stadtphilister u. mich ahndets, ich
komme nicht los. Da werd ich sie alle sehen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein Paradies ist fertig es geht zur Katastrophe wollt es würd Ostern fertig, oder läge schon da!
Tausendmal wohl, lieber Junge, Gott mit Dir. <line type="empty"/>
<align pos="right">H.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Daß die Wolken Dein sind, weiß niemand: das Gerücht geht, es ist Göthe. Wir umarmen Dich beide.
Stella ist ein liebes Mädchen und Zug für Zug eine wahre Person. Das Stück hat Flügel der
griechischen Aurora. <line type="empty"/>
<align pos="right"><del><nr> </nr></del> Mz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Die anderen Ex. mit der Fuhrpost.</sidenote></letterText>
<letterText letter="138"><line tab="1"/>Lenz! Dir gebührt von mir Lob u. Dank u. Preis, um all Deine schöne herrlichen Dinger, die mir von Dir
zu Durchsicht kamen Zu Herzen kamen für die Dinge, die Du mir letzten Sommer schenktest, u: für
den letzten Gruß durch Röd: o Lenz! wie ich allen die fern sind abgestorben bin, s schmerzt
bisweilen nicht wenig. Doch könnt ich nur Dich nahen, Dich nächsten genießen, daß es heißen könnt
<ul>genuß!!</ul> Liebster! Du sendest Kaisern bisweil ein Liedchen, worein unser einer schließen mögte, Du
hättest viele, schwere, giftige Leiden; Todeswunden Ich leide oft mit Dir nach Maaßgab meiner
Kälte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Laß uns auf das was kommen soll, das edle große Werk <del>nicht sol</del> „das in d. Leben Epoque machen
soll“ nicht so lange warten, als unser Herr Gott auf den Meßias. Und Du kommst gen Zürich! Das soll
mir in meiner unseligen Abgeschiedenheit von Dir Trost seyn; so ich nicht krank seyn werde, u: das
mich an Deinem Genusse stören sollte, wie ao 75 an Göthe p: <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Veracht die 2 Worte nicht; sie sind im Bethe geschrieben mit viel Liebe u: Anstreben Deiner wovon
Dinte nichts zeigt. <line type="empty"/>
<align pos="center">Pf.</align> <line type="empty"/>
Zürich 19 März 1776. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<note>Adresse</note>
Herrn Lenz.<line type="break"/>
abzugeben<line type="break"/>
bey Herrn Mag. Röderer.<line type="break"/>
an d Neuen Kirche<line type="break"/>
in Straßburg.</letterText>
<letterText letter="139"><line tab="1"/>Dein Abraham hat mich unendlich erbaut. Freylich ist alles mehr religiös als poetisch. Das letzte
Gebeth Abrahams vor der Opferung hat mir die größte Sensation gemacht.</letterText>
<letterText letter="140">Hannover, den 22ten März. 1776. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich freue mich nicht wenig, daß Sie mit der Art zufrieden sind, wie ichs gemacht habe. Auch Ihr Mspt.
habe ich wieder, ich wills aber nicht so auf die Post geben, um Ihnen nicht unnöthige Kosten zu
machen; es liegt versiegelt da; so bald Sie mir schreiben, liegts im Feuer. Ich schicke Ihnen das
Exemplar der Wolken, das ich habe, und die Vertheidigung noch unkorrigiert, wie er sie mir geschickt.
Auch die hat wieder umgedruckt werden müssen, wie Sie aus seinem letzten Briefe sehen werden, den
ich der Seltenheit halber beylege, und mir wieder ausbitte, weil er bey den Akten bleiben muß. Sie
sehen, daß er Göthen noch immer für den Verf. der W. hält. Vor der Meße muß ich ihm seinen Irrthum
benehmen. Aber, wie kann ich, ohne Sie zu verrathen? Daß H. Zimmermann den Abdruck der W. gesehen,
werden Sie nun auch aus seinem Briefe wißen, und können nichts dawider haben, eben so wenig, als Sies
ihm verdenken werden, daß er mir die Soldaten gezeigt. Er sowohl, als ich, wollen, wenn sie erst ins
Publikum kommen, gern den Holländer Steenkerk für den Verf. ausgeben. Aber wer wirds glauben? Lenz
ist in jeder Szene kennbar. Das Stück hat mir sehr viele Freude gemacht. Es ist ganz Natur, Wärme
und Leben von Anfang bis zu Ende, und bis zu den Fingerspitzen hervor. Ein paar Szenen sind mir nur
zu sehr Soldatennatur. Ich Sie werden mich auslachen meyne nämlich, die Farben seien hie und da
zu stark aufgetragen, und man könne nun keinem Mädchen das Stück vorlesen, oder <page index="2"/> sies
lesen lassen. So weit hatt ich geschrieben, als ich Ihren Brief vom 11. Merz erhalte. Lieber Freund,
was Sie verlangen, ist, wahrlich! nicht möglich. Hellw. hat vielleicht izt schon einen Theil des
Mspts. abgedruckt. Wird ers wieder hergeben? Die abgedruckten Bogen in Makulatur werfen? Und bey Reichen
erhalten Sie nicht mal Ihre Absicht, wie Ihnen schon unser Zimmermann wird geschrieben haben. Auch
ökonomisch betrachtet ist es besser, daß H. das Stück behalte. Hören Sie. 30 Rthl. verlangt er für seinen
Schaden, wenn die W. nicht ins Publikum sollen. 15 Duk., die Sie von R. bekommen, machen 40 Rthl.
10 Rthl. bekämen Sie also heraus. Hier bekommen Sie noch 1 Duk. für den Bogen, und ich hoffe, es sollen
7 bis 8 werden, da das Stück weitläuftiger u. besser gedruckt, als der hier übersandte Probeabdruck
der W. Ich geriet nur an Helw., mit dem ich sonst wenig bekannt war, weil ich dachte, es wäre besser,
daß die W. in einem Winkel gedruckt wurden. Eine Vignette hätt auch Reich zur Messe wohl nicht fertig
geschafft, wenigstens keine gute. … Könnt ich Ihnen sonst nützlich seyn zu Verbeßerung Ihrer Lage,
mein liebster Lenz! Der Himmel weiß, wie warm, wie ganz ich diesen Wunsch thue. Wo Sie mich brauchen
können, sagen Sie mirs ohne Rückhalt, ohne Besorgnis, wie Sie in dem lezten Briefe äußern, mir beschwerlich
zu fallen, und was ich kann, geschieht gewiß. Sobald Abdrücke der Vertheidigung fertig sind, schick ich
sie Ihnen. Helw. Schrieb ich, eben so geschwind zwei Exempl. an Wieland zu senden. Vielleicht kostet das,
was ich izt schicke, Ihnen zu viel Postgeld für was es ist, aber Sie wollen, und ich gehorche.
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Ich befinde mich in meiner neuen Lage hier ganz wohl, habe viele Bekannte, und schon einige
Freunde, und hoffe, es soll mir immer besser werden. Zimmermann ist ein vortrefflicher Mann, mit
dem ich immer mehr zusammenstimme, je länger ich ihn kenne. O wären Sie, wenigstens auf eine
Zeit auch in unserm Zirkel! Es sollt Ihnen schon gefallen. Erst izt habe ich den Brief des Prinzen
Tandi gelesen, und mit wieviel Vergnügen! Er wird so einzeln nicht genug bekannt. Warum war noch
kein Museum, da er herauskam? An Ihren Freund Schloßer hab ich noch nicht schreiben können, weil
Weygand mir noch kein Geld geschickt hat. Machen Sie doch bey dem würdigen Mann, daß er mir zuweilen
noch was schickt. Ich, wenn ich ihm schreibe, kann nur danken; wie dürft ich mehr bitten? Aber, im
Ernst, wenn Sie jezt ein Paket für mich zusammen hätten, thäten Sie mir einen Gefallen, wenn Sies
bald schickten. An statistischen, historischen, philosophischen Aufsätzen fehlts nicht, aber für
Unterhaltung hab ich noch wenig. Unsre Göttingischen Philosophen schreiben so wenig fürs allgemeine
Publikum. … Von Bürgern indeß sollen Sie bald was Prosaisches lesen, das Ihnen Freude machen wird.
Sie wißen vielleicht noch nicht, daß man in Weimar für seinen Homer eine Subskription von 65 Louisd.
zusammengebracht, die zahlbar ist, so bald er ankündigt, daß er vollenden will. Der Herzog steht
oben an mit 20. Göthe ist sicher der Urheber davon. Daß Herder nun auch dahin geht, wißen Sie wohl
schon. Mir geht viel dadurch weg, da er mir jezt so nahe war. Claudius erwart ich nun alle Tage auf
seiner Durchreise nach Darmstadt. Haben Sie für Voßens Alm. nicht einige kleine Beyträge? Sie erweisen
mir eine Freundschaft, wenn Sie ihm welche geben. <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<line tab="1"/>Göthe las mir in Frankf. Vor zwei Jahren Verse an Ihren Badewirth vor, die mir sehr gefielen, und die
Sie mir schicken müssen, wenn Sie sie noch haben. … Bald hätt ich vergeßen Ihnen für Ihren Petrarch
zu danken. Ich habe mich sehr daran ergözt, ob ich gleich das Ganze nicht faße, vielleicht weil es zu
unvollendet ist. Von Litteratur weiß ich eben nicht viel neues. Einer meiner Freunde läßt ein Trauerspiel
Julius von Tarent, das noch Einen Deutschen mehr ankündigt, der der Nation Ehre macht. Eben da ich weiter
schreiben will besucht mich H. Z. und zeigt mir Ihren Brief. Ich schicke diesen also auch nach Darmstadt,
adressirt an H. Merk, dem Sie ja recht viel Gutes von mir sagen. Z. ist verhindert heut zu antworten, weil
er eine Krankenreise thun muß. Er bittet mich, Ihnen mit dem wärmsten, freundschaftlichsten Gruße zu schreiben,
daß er Geld u. 12 Ex. der Soldaten den 11ten März an Herdern geschickt, und ihm gestern gleich darum geschrieben,
u. gebeten habe, beydes an Merk zu adressiren. Ich bin unendlich begierig, wieder von Ihnen zu hören. Der Himmel
leite Sie. Könnt ich nur was mehr als wünschen! Ich lege 6 Duk für den Philosophen bey, will mir sie von Helw.
wiedergeben lassen, u. Ihnen das übrige nachschicken, wenn es mehr betragen sollte. Ich umarme Sie. Wunderlich
Zeug hab ich da durcheinander geschrieben, und hatte noch mehr aber ich reiße mich los. Ewig der Ihrige B.</letterText>
<letterText letter="141">Lieber Lentz, <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>alle Deine Briefe hab ich, verstehe sie und spotte Deiner nicht. Ich habe <ul>ein</ul> Bild von der Waldnern,
nicht <ul>zwey</ul> erhalten. Das von Baly leicht u: schlecht gemahlt übrigens noch <ul>so,</ul> daß ich all Dein
Zittern u: Sehnen verstehe u: natürlich finde. Es ist unmöglich, daß ich Dir izt was drüber sage. Es ist
Samstag, u: ich kann nicht aufsehn. Das Engelsbild kam erst vorgestern. Hätt aber lieber eine bloße
Silhouette gehabt. Das muß ein ganz ander Gesicht seyn, in der Wahrheit. Das Bild ist, wie sehr mans
kenntlich nennen mag, abscheulich verschwemmt; der große göttliche Umriß so zaghaft unbestimmt herabgepinselt,
daß ich über den Mahler recht unwillig wurde unmöglich ists, Lieber, daß ich Dir das Bild mit der ersten
<del>fah</del> Landkutsche zurücksende. Ich habe nur Eines. Dieß laß ich sogleich, so gut, als möglich kopiren. Ich
erhielts erst Mittwoch Abends, Donnerstag ließ ichs anfangen. Soll ichs <ul>Dir</ul> senden das Original, als <ul>Dein</ul>
oder <ul>mein</ul> Eigentum. Hats die W. <ul>mir</ul> oder <ul>Dir</ul> geschenkt? Thut nichts, es ist immer <ul>Dein.</ul> Nur daß ich, des Dankens
wegen es wiße. Hierauf deutl. bestimmte Antwort. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Vorläufig werd ich ihr schreiben. Ihr Brief ist <ul>entsetzl. kalt.</ul> recht so im Fürstenstyl das thut aber
nichts. Ihr Gesicht ist tausendmal beßer, als ihr Brief. Die Nase allein ist mehr werth, als tausend
andre Gesichter, obwohl auch diese verzeichnet ist. <line type="empty"/>
Kayser wünscht zu wissen, wo Du bist. Ich bin ruhig. Er nicht so.<line type="break"/>
<ul>Kaufmann</ul> wird ein herrlicher Mensch <ul>werden.</ul><line type="break"/>
Alles was ich izt schreiben kann. <ul>Lebe</ul> u: <ul>Liebe.</ul> Amen! D 22 Mz 76. L.
<page index="2"/>
<note>Adresse</note>
<note>Textverlust</note>rn <ul>Lenz</ul>
in <ul>Straßburg.</ul></letterText>
<letterText letter="142"><line tab="1"/>Ew. Hoch Edelgebohren werden gehorsamst ersucht gegenwärtiges Päckgen gedruckter Sachen mit
eilf Dukaten beschwert an Dero Herrn Bruder Hn. Hofrath Schlosser in Emmedingen aufs
geschwindemöglichste gütigst zu befördern<line type="break"/>
L.<line type="break"/>
Lenz.<!-- Lenz ist hier in der Transkription in größerer Schrift. Wie kann dieser Fall ausgezeichnet werden? --></letterText>
<letterText letter="143">D 25 Mertz <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sagen Sie doch Lentz daß Frl. von Waldner eine Braut ist, mit einem Mann der nicht ganz ihrer werth
ist, ohne die feinen Empfindungen die ihren Haupt Character bezeichnen und besser gemacht ein
alltags Geschöpf glücklich zu machen wie <ul>sie</ul>, ihr Hertz hat ihn auch nicht gewählt, Vernunft und
starcke Ursachen die sich nicht sagen lassen, haben die Sache entschieden ich hoffe aber doch sie
soll glücklich seyn wann sie will <del>ich ken</del> dieß ist das Geheimniß das <del>sie</del> Lentz so sehnlich zu wissen
verlangte, nun hat er es es ist H. v. Oberkirch der älteste der ihn sie heurathet, gleich nach Ostern
wird sie ihr Glück entscheiden, o es werde vollkommen!! ich kann Ihnen heute nichts nichts sagen, ich
habe keinen <page index="2"/> Augenblick Zeit dazu, doch wollte ich Lentzen den Antheil belohnen den er an
meiner Freundin Schicksal nimmt. Versichern Sie ihn meiner Freundschaft Sie wißen daß Sie sie auf
ewig haben <line type="empty"/>
<align pos="right">Luise</align></letterText>
<letterText letter="144"><align pos="right"><aq>Sub iuramento mysterii</aq></align> <line type="empty"/>
<align pos="center">Darmstadt</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich will Dir alles sagen Herder! Das Mädchen das die Hauptfigur meiner Soldaten ausmacht, lebt
gegenwärtig in der süßen Erwartung ihren Bräutigam, das ein Offizier ist getreu wiederkehren zu
sehen. Ob ders thut oder sie betrügt steht bei Gott. <ul>Betrügt er sie,</ul> so könnten die Soldaten
nicht bald genug bekannt gemacht werden um den Menschen zu zerscheitern oder zu seiner Pflicht
vielleicht noch zurück zu peitschen. <ul>Betrügt er sie nicht,</ul> so könnte vielleicht das Stück ihr
ganzes Glück und ihre Ehre verderben, obschon nichts als einige Farben des Details von ihr entlehnt
sind und ich das Ganze zusammengelogen habe. <line type="empty"/>
Das ist die Bewandniß nun entscheide! <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>es ist mir Last der Verzweiflung wenn man meine Wolken Goethen auf den Rücken schieben wollte.
Er weiß nicht einmal daß ich die <ul>Idee</ul> gehabt welche zu schreiben. Ueberhaupt stehe ich allein.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<sidenote pos="top" page="2" annotation="am oberen Rand, horizontal gespiegelt">
auf das Paradies wär ich begierig Könnt ichs nicht bekommen Vater Herder?</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenigstens müßte <ul>in ein Zeitungsblatt</ul> gesetzt werden, das Stück wäre von einem gewissen
Theobald Steenkerk aus Amsterdamm geschrieben worden, damit wenigstens bey den Stadtwäschern die
nichts weiter als Detail drin sehen vor zu großen Unverschämtheiten eine Sperrkegel gelegt
würde. Meine Exemplare kommen nicht aus den Händen. Für die Bezahlung danke. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der Passage, vertikal">
nichts von Schicksal hier!</sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am äußeren linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Solltest Du ein Exemplar der Wolken selber zu Handen bekommen, so halt es unter sieben Siegeln.
Sie könnten mir alles verderben was ich thun will kann werde. Deinem Weibe Heil!!!</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin auf dem Wege nach Weymar wo ich auch Dich zu <page index="3"/> sehen hoffe. Armer Herder mit den
verdrüßlichen Schritten die Du durch Koth machen mußt, da Du zum Fliegen Fittige und Bestimmung
fühltest. Aber vergiß nicht Liebgen daß wir auch Thiere bleiben und nur Klopstocks Engel und
Miltons und Lavaters Engel auf den Sonnenstrahlen reiten. Ich bin <dul>stolz darauf</dul> Mensch zu seyn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich hoffe heut beym Geh. Rath Dein und Deines Weibes Angesicht zu schauen und viel mehrers
zu eurem Bilde zu sagen. Liebe mir doch den Merck bey dem ich dies schreibe. <line type="empty"/>
Lenz. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Probebredigen? lustig genug aber sieh das als eine Farce an, und denk an Coriolan im Candidatenrock.
Ulyß gar in Bettlerslumpen. Küß Deinen Sohn!!! <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Die Wolken <ul>dürfen</ul> nicht eher als nach meinem Tode ans Licht kommen. Es sind wahre Wolken voll Schnee
und Hagel die Gott wegwehte. Der Anhang wird Dir besser gefallen, und <ul>den solltu haben</ul>. <line type="break"/>
Grüsse Zimmermann.</sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote pos="top" page="3" annotation="am oberen Rand, horizontal gespiegelt">
Die Meynungen sind von mir.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Oberkonsistorialrath <dul>Herder</dul><line type="break"/>
in Bückeburg. <line type="empty"/>
durch Einschlag</letterText>
<letterText letter="145"><align pos="right">Giesen, den 27sten Merz. 1776</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das Frankfurter Zeitungs-Unwesen hat doch was Gutes gestiftet, da mirs einen Brief von Ihnen
erworben. Wenn Ihnen was dran gelegen ist, zu wißen, wie ich dran gekommen, so hören Sie. Mit
Anfang 1775 beredte mich Doctor Bahrdt, das für Herrn Deinet zu thun, was er bisher gethan,
nemlich die hier für ihn gemachte Recensionen einzusammeln, und zuweilen selbst eine zu machen.
Ich probirte das einige Wochen, sah aber bald, daß Herr Deinet hineinsetzte, was er wollte;
darum ließ ich unter meine Anzeigen meinen Namen setzen. In jenen ersten Wochen machte ich
auch eine Anzeige von Herders Schrift über die G. d. M. unter der mein Name nicht steht, und
die Sie überzeugen könnte, daß ich die Schrifft achte, wie sie es verdient. Desto frappanter
war es, daß Ihr Aufsatz in ders. Z. mich beschuldigte, ich sehe Herder nicht über die Achsel
an. Ueber den Aufsatz hätte ich ganz <nr> </nr><!-- Werden die unleserlichen Zeichen hier besonders ausgezeichnet (rote Farbmarkierung in der Transkription)? --> können, ich wollte aber zeigen, daß ich
mich von einer Zeitung nicht sogleich los sagte, deswegen weil sie etwas gegen mich enthielt.
Das Gerede wegen des Merkurs rührte von dem Verfaßer eines elenden Dramas Wilhelmine von
Blondheim her, der da glaubte, niemand könne ihn tadeln, als gerade ich. Daß Götze in Hamburg
sich selbst recensirt, weil Sie es gethan, ist freilich entsetzlich. Doch Nicolai in Berlin
hat in diesen Tagen auch Sie über die Selbstrecension angebellt, so wie er überhaupt Ihnen,
wie einem Schüler die Lection gelesen. Der Henker hole die Kritick, möchte ich da selbst
als Kritiker ausrufen! Auch hat Nikolai die Brochure über den Götz wacker ausgeschändet.
Eben derselbe hat auf meine Rechnung einen Aufsatz über Geßners Idyllen geschrieben, der in
der F. Z. stand, als sie noch Herr Merk besorgte. Doch weg mit dem Geplauder über die Poßen. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Die eigentl. Absicht meines Briefs ist, meine Freude zu bezeugen, daß <ul>Petrarch,</ul> von dem bisher unter
uns manche Karrikatur erschienen, durch Sie dargestellt worden, wie er ist. Ziehen Sie doch ja von
<ul>Oßian</ul> und <ul>Shakspear</ul> Ihre Hände nicht ab. Ein Ehrenretter Petrarchs, Oßians und Shakspears gewesen
zu seyn, ist eine Hauptblume in Ihrem Kranz. Im deutschen Museum habe ich eben Ihren Zerbin gelesen,
und die Messe bringt uns wieder ein Schauspiel von Ihnen. Göthens Stella fliegt jetzo durch Deutschland.
Herr Klinger hat ein Stück in Hamburg spielen lassen. Ein denkwürdig Jahr! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In wenig Wochen wird Taschenbuchs sechste Abtheilung, unerachtet der vielen Almanache fertig,
und, wenn ich öfters Geschenke, wie die von Ihnen erhalte, kann es noch lange dauern. Ich halte es
für verdienstlicher, Taschenbücher und dergleichen zu sammeln, als zu kritisiren. Dies behauptet mit
Aufrichtigkeit <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<algin pos="center">Ihr<line type="break"/>
Verehrer<line type="break"/>
Christian Heinrich Schmid.</algin></letterText>
<letterText letter="146"><line tab="1"/>Als ich den Antikensaal in Mannheim sah Bruder Goethe so durchdrung durchbebte überfiel mich
Dein Geist, der Geist alles Deines Thuns und aller Deiner Schöpfungen mit einem Entzücken dem sich
nichts vergleichen läßt. Ich sah Dich an meiner Seite stehn ich sah wie sich Dein Blick an den Zähren
letzte die ich vor Laokoon vergoß wie alle die himmlische Begeisterung dieser Gestalten denen ich
o wie gern die Ehre der Anbetung erwiesen hätte auch Dein Herz zu höherer Freundschaft für mich
emporhub da ich ihrer nun würdiger war. Ach wer sollte den Gott in diesen Bildern nicht anbethen,
wer sollte das Herz haben das Idololatrie zu nennen Nur Du auf der Rechten und sie die Hofnung meiner
letzten Seeligkeit an meinem Herzen fehlten mir noch um nun wirklich das erstemal die Freuden des
ewigen Lebens zu fühlen</letterText>
<letterText letter="147"><p><line tab="1"/>Und Sie Freundin von Fräulein Waldner und Vertraute ihrer Geheimnisse und können zugeben daß sie
einen Mann heurathe, der ihrer nicht werth ist, den ihr Herz nicht wählen kann. Sie die alle die
fürchterlichen Folgen von dergleichen Verbindungen nicht allein durch ihr eigenes Gefühl sondern
durch soviel neue Erfahrungen einsehen Sie können den Ausdruck brauchen, auf Ostern wird ihr Glück
entschieden mir das offen zuschicken <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe keinen Namen meine Verachtung und meine Wuth auszudrücken. Sie mir <page index="2"/> das
zuschicken und lachend um mir den Antheil zu belohnen den ich an Ihrer Freundinn Schicksal
genommen? Also beleidigte Sie das? Und Sie nennen sich Freundinn? Und Ihre freundschaftlichen
Rathschläge haben vermutlich den Entschluß des Fräuleins bestärken helfen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nun wohl! da die Sache nicht mehr zu hintertreiben ist so hinterlaß ich Ihnen dies Blättgen
zur schuldigen Danksagung. Mein Schicksal ist auch entschieden <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Mein Antheil war kein andrer als den jede edle Seele an dem Schicksal eines Frauenzimmers wie das
nehmen mußte: Ein Teuffel müste ich seyn ruhig zuzusehen, daß sie unglücklich seyn soll</sidenote></p></letterText>
<letterText letter="148"><align pos="right">Einige Stunden hinter Frankfurt nach Weymar.</align>
<line tab="1"/>Lavater! mitten auf meinem Wege bekomm ich den Todesstreich, die Nachricht daß Fräulein v.
Waldner Braut, ist mit einem <dul>Menschen</dul> der sie nicht <ul>verdient,</ul> nicht zu schätzen weiß, ohne <ul>Nerven</ul>
für schön und <ul>gut,</ul> bloß eigennützig vielleicht unter der Maske der <ul>Liebe.</ul> Mein Schicksal ist nun
<ul>bestimmt,</ul> ich bin dem Tode geweyhet, will aber rühmlich sterben daß weder meine Freunde noch der Himmel
darüber erröthen soll. Aber sie sie in den <dul>Armen eines andern</dul> und <dul>unglücklich</dul> zu wissen das ist ein
<dul>verdammender</dul> Gedanke. Strecke aus Deine Hand Knecht Gottes und rette nicht mich sie damit ich ruhig
gehen kann <page index="2"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Stelle ihr vor, ich flehe Dich, welch ein Schritt, welch ein Schritt es sey den sie thut von welchen
Folgen für ihre ganze Ruhe für ihren Charackter für den Reitz selber der ihre große Seele jetzo
von den Sklavenseelen des Unglaubens auszeichnet für alle ihre Vollkommenheiten die sie auf immer
aufopfert Gott und wem? Sie ist für die Welt verloren wenn sie keinen Mann hat der sie zu schätzen
weiß, sie ist vielleicht auch für die Zukunft verloren, der Schritt ist entscheidend, Lavater rette
wenn Schönheit mit allen Eigenschaften der Seele vergesellschaftet je Anspruch auf Mitleiden und
Enthusiasmus machten. Mit welcher Wollust sterben wollte ich <page index="3"/> wenn ich wenigstens wüste daß
sie in dem Besitz eines Mannes wäre, der sein Glück zu fühlen zu schätzen, der sie durch seine innige
Verehrung auf der Laufbahn zu erhalten wüste, auf der unsichtbare Engel sie geleitet die jetzt
vergeblich um sie zittern, sie von einem Irrwege abzuleiten der ihnen eine Schwester entreißt. Ach
Lavater! wenn Du je eine edle That gethan hast, so ist es diese, ein Sterbender bittet Dich darum, ein
Sterbender der Dir lieb war, dem Du Beurtheilung und Vernunft zutraust, selbst wenn er dem
unerträglichen Gewicht seiner Schmerzen erliegt. Thu was Du kannst, und Du hast alles gethan
thust Dus nicht so wird Dichs reuen. Ein Frauenzimmer von ihrem Stande, von ihrem Vermögen
<page index="4"/> von ihren in Strasburg ganz ganz verkannten höheren Vorzügen des Geistes kann und darf
sich nicht übereilen, kann und <ul>muß wählen</ul> Ach ich bin zu erschöpft von meiner Verzweiflung als daß
ich mehr schreiben kann. Nur laß nicht merken daß <ul>ich es Dir gemeldet habe.</ul> Schreib ihr unmittelbar
unter ihrer Adresse in Strasbg. Sie hat eine so weitläuftige Correspondenz daß sie Deinen Brief ohne
Gefahr erhalten kann. <aq>(A Madame Madame de Waldner, Chanoinesse a Strasbourg)</aq> Nur wenn Du merken läßest
daß ich dahinterstecke, so bin ich verloren. Red ihr als Geistlicher als ihr Freund ans Herz
weiter nichts als daß Du sie auf die Wichtigkeit des Schritts aufmerksam machst auf die Gefahren
denen sie sich aussetzt einen Mann zu nehmen den sie nicht lieben kann, der sie nicht liebt wie
sie es verdient. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe Deinen Abraham an die Prinzessin Louise mitgenommen. Wie glücklich wäre meine Reise wenn
ich nicht die Hölle im Herzen trüge. Mit welchem Gesicht werde ich bei Hofe erscheinen! Herder kommt
auch dahin, wird dort die Probepredigt halten. Goethens Eltern grüssen Dich zärtlich auch Merk.
Schick mir doch das Bild bald damit ich nicht untergehe. Durch Röder lieber gerade. <line type="empty"/>
Lenz <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="Am linken Rand, vertikal">
ihr Bild oder ich sinke eh alles gethan ist.</sidenote></letterText>
<letterText letter="149"><line tab="1"/>Wollen Sie eine Schrift, die ich unter Händen habe: <ul>Ueber die Soldatenehen:</ul> drucken. Ich verlange
weiter nichts als 2 Dukaten den Bogen und saubern Druck und Pappier weil sie sich in Versailles und
an andern Höfen produziren soll. Die Sache hat Eile und ich sähe gern wenn sie sobald als möglich im
Meßcatalogus angezeigt werden könnte. Wüsten Sie mir allenfalls einen guten Uebersetzer ins
Französische vorzuschlagen? <line type="empty"/>
Weimar. Den 1. Aprill. <line type="empty"/>
Lenz Verf. der Soldaten. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
1776 .22. Aug. Weimar <line type="empty"/>
Lenz</letterText>
<letterText letter="150">Weymar d. 2ten Aprill 1776. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wollten Sie mir doch lieber Freund! wo möglich das Geld für die <ul>Freunde machen p</ul>. ungesäumtst
nach Weymar zuschicken, wo ich mich einige Zeit aufhalten werde und folglich zusammenraffen muß
was ich bekommen kann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sagen Sie mir doch auch wenn Sie es wissen bey welcher Division hessischer Truppen Lindau engagirt
ist und wenns seyn kann den Namen des Regiments. Auch wohin man sich zu wenden hätte, wenn
man ihm etwa einen Brief nach Amerika zuschicken wollte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe unterwegs viel wackere Leute kennen gelernt. Von denen allen wir ins künftige mehr
sprechen wollen. Meine Adresse ist an Goethen weil der Name hier bekannter ist. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Lenz. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Nochmals daß doch die Wolken in keines Menschen Hände kommen mag darnach fragen <dul>wer </dul>da will.
Sie sehen selbst die Nothwendigkeit davon ein lieber Freund.</letterText>
<letterText letter="151"><!-- Französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="152">Mein Theurer, Lieber Lenz! <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Unser Philanthropin braucht itzt unumgänglich nothwendig einen besonderen Mann, als teutschen
Schriftsteller. Da wir Ihre Talente und Ihr Herz kennen, glauben wir nirgends beßer, als an Sie uns
wenden zu können. Helfen Sie mit ein Institut befördern, das das Wohl der Menschheit zum einzigen
Gegenstand hat. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Bedingungen sind: Mit uns glücklich zu leben, Ihre Kräfte zum allgemeinen Wohl mit den unsrigen
zu vereinigen, und alle Vortheile mit uns zu theilen, die wir geniesen. Die Reiskosten sind frey,
<page index="2"/> versuchen Sie ein bis zwey Jahre bei uns zu sein, sollten Sie alsdenn (wofür mir nicht
bange ist) mit Ihrem Aufenthalt allhier nicht zufrieden seyn, so sollen Sie kostfrei hingeliefert
werden, wohin Sie wollen. Alle Bedingungen, die Sie noch machen wollen, da Sie keine andere als
billige machen können, sollen erfüllt werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Laßen Sie uns so bald als möglich wißen, ob und wann Sie
kommen wollen. Werden Sie mit ein Vater des Philanthropins,
lieben Sie dasselbe, und denjenigen, der im Namen desselben
schreibt <line type="empty"/>
Ihren <line type="empty"/>
Simon<line type="break"/>
Professor am Philanthropin<line type="break"/>
<ul>zu Deßau.</ul> <line type="empty"/>
Deßau d: 4ten Aprill <ul>1776.</ul></letterText>
<letterText letter="153">am Karfreytage 1776. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In diesem Augenblick, meine theureste Mutter! da ich der Mutter meines Goethe schreibe, in seinen
Armen in seinem Schooß, schreib ich auch Ihnen, sag Ihnen, daß ich jetzt in Weymar bin, wo Goethe
mich heut dem Herzoge vorstellen wird. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Laßen Sie sichs nicht reuen daß ich immer noch so herumschweiffe. Gott führt jeden seinen Weg, es
bleibt dabey daß ich Sie u. meinen lieben Vater überall im Herzen herumführe und Ihnen keine
Schande machen will. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sagen Sie unserm lieben Vater, er soll alle unsere Geschwister und Freunde an einem Sonntage
zusammenbitten und meines Bruders Goethe Gesundheit trinken. Alsdenn seiner Mutter, seiner Schwester,
seines Vaters und dann meine. Die Rangordnung hat ihre Ursachen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich werde Papaen schreiben eh ich von hier wegreise, bitten Sie ihn daß er immer gleich zärtlich
gleich gütig gegen mich bleibt. Küßen Sie alle meine Geschwister von mir. Und all unsere Freunde. <line type="empty"/>
Jakob M R Lenz. <line type="empty"/>
Was macht Schwester Liesgen? <line type="empty"/>
<line tab="1"/><ul>Abends.</ul> Ich bin 2 Stunden beym Herzoge gewesen und werde Morgen Mittag bey ihm essen. Sehr gnädig empfangen
worden. Was für große trefliche Leute kennen gelernt! All das dank ich Ihnen mein Vater! bethen Sie
ferner für mich.</letterText>
<letterText letter="154"><hand ref="10"><line tab="1"/>Ja L.! sie hat Dir das Portrait zugedacht u: geschenkt, u: Du must Dich bey ihr dafür bedanken. Verzeih
mir m: Wildheit, u: Unbesonnenheit, daß ich Dir die Nachricht nicht eher gegeben. Auch verdien ich
freylich das Portrait nicht, aber ich weiß Du schikst mirs aus Gnaden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich werde täglich inniger u: vertrauter mit dem Herzog der einer der besten Menschen auf unserm
Leidenshügel ist. Aber was hilfts mir? desto weher thut die Trennung. Und getrennt muß es seyn.
Verzeih mir mein öfteres Schreiben. Du wird die Ursache leicht begreifen Auch das ist Menschheit.
Sonst dacht ich freylich lieber an Dich als ich Dir schrieb.</hand></letterText>
<letterText letter="155"><line tab="1"/>Wie Lindau ihr wollt in den Lehrjahren Eures Lebens da Ihr auf alles das was groß und edel ist
Ansprüche habt euch hinlegen und sterben? Warum nicht lieber ausschlaffen? Pfuy schämt euch
solchen Entschluß weise zu nennen. Wißt Ihr denn nicht daß die Natur alles langsam reift, daß alles
seine Stuffen u. Grade hinaufgehen muß also auch ihr. Die Schnecke kriecht und kommt endlich zum
Ziel der Löwe läuft und kommt nicht weiter und nur auf das Auge kommt es an, so scheint euch der Löwe
eine Schnecke. Wollt ihr übereilen was seiner Natur nach nicht übereilt werden kann? Wollt ihr im Alter
von achtzehn jahren ein Greiß seyn? Wollt ihr Thaten gethan haben eh andere noch den Gedanken dazu fassen
und wenn sie noch nicht gethan sind verzweiffeln? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Verzweiffelt daß die Erde 365 Tage braucht eh sie um die Sonne geht, verzweiffelt an ihren Kräften. Eure
Kräfte wirken unmerklich, aber eure abgeschmackte Phantasie macht Euch weis daß Ihr keine habt weil Ihr
kein Atlas seyd. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Wollt ihr euch todtschiessen lassen oder juckt euch die Haut so das Leben zu verlieren so geht nach Amerika
und verliert es auf eine edle Art. Wollt ihr alles verlieren so setzt das Leben doch wenigstens auf die
Karte und versucht ob ihr damit nicht alles gewinnen könnt. Verwünscht sey der Thomas wenn er euch nichts
anders lehren kann als deklamiren und Testamenter machen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihr Testamenter machen in einem Alter von 18, 19 Jahren? Die Idee ist so kindisch als wenn die Mädchen die
mit Puppen spielen sich verheurathen. Wer hat euch das Recht gegeben zu sterben da ihr noch nicht gelebt
habt. Wer das Recht euer Vermögen zu testiren und wegzuwerfen, da ihrs noch nicht selber gebraucht habt.
Wer das Recht fremde Kinder anzunehmen da ihr aus euch selbst noch alles mögliche zu machen habt. Ich hasse
die Leute die andere <page index="3"/> erziehen wollen, jeder hat mit sich selbst genug zu thun. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das Schweben ist Mangel des Muths euch zu etwas zu bestimmen, seyd etwas oder seyd nichts. Geht nach
Amerika oder bleibt zu Hause und baut euer Landgut bis euch was Besseres einfällt. Mich deucht aber euer
Geist muß durchaus Beschäftigung haben, macht also meinthalben Projekte nur macht sie nicht so ungeheuer
daß sie Traum bleiben müssen ihr macht euch und eure Freunde lächerlich dadurch. Fangt an auszuführen und
solltet ihr auch zu Nicht gehen drüber, ein Tag giebt den andern. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Euch ermorden und wißt Ihr mein Freund daß jedermann drüber lacht und wenns geschieht noch ärger lachen
wird. Euch ermorden aus langer Weile wie der Engländer der sich vor den Kopf schoß weil er nichts neues in
der Zeitung fand. So schlägt man Flöhe todt aber keine Menschen. So geht denn mit und macht die Expedition u.
bedenkt daß die Natur es ist die Kräfte giebt nicht wir selber, daß sie sie im Augenblick der höchsten
<page index="4"/> Ohnmacht giebt wenn wir uns nur in die Nothwendigkeit setzen welche zu haben u. dem Gott glauben
der in ihr arbeitet. Ihr aber wollt Wasser auf den Berg leiten ohne zu pumpen und wenn es sich nicht von selber
hinaufbegiebt verzweifeln und sterben u. Testamenter machen. Euer Peter ist ein Schurke wenn er euch feig oder
mißtrauisch gegen euch selbst macht. Eure Imagination trägt das in den Jungen hinein was in eurer Seele liegt,
ihr seyd der Peter u. eure Momentane Existenz wird erst unterm Gewehr in Amerika angehn. Laßt was für den
Peter zurück zur Erziehung u. denkt weiter nicht an ihn: wenn es euch wohl geht überm Jahr etwa oder in einigen
Jahren könnt ihr ihn ja nachkommen lassen. Setzt eure Existenz nun einmal dran, im erheischenden Fall wird euch
der Verstand u. die Gegenwart des Geistes schon kommen, euch herauszuhelfen das ist nun aber freilich das Kind
das oft mit vieler Angst geboren wird <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das ist mein Rath u. Goethens u. Wielands u. Salis und aller Menschen Thiere Engel Götter u. Halbgötter. Sterbt
aber sterbt als Mann Lenz</letterText>
<letterText letter="156">Hannover. Den 11ten Apr. 1776. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie sind also nicht nach Darmstadt gekommen, liebster Freund? Dahin haben sowohl H. Zimmermann
als ich Briefe und Geld geschickt. Beides wird hoff ich nun in Ihren Händen seyn. Sagen Sie mir doch
bald, wies Ihnen in Weymar geht, und ob Sie sich da fixiren. Herr Steenkerk gilt hier, durch seine
Soldaten, allethalben für einen sehr glücklichen Nachahmer von Lenz. Wir haben jetzt die Schrödersche
Gesellschaft von Hamburg hier, und ich habe schon einige herrliche Abende in der Comödi zugebracht.
Warum haben Sie nicht ein ungedrucktes Stück in Schröders Hände zu spielen gesucht? Er spielt künftige
Woche eins von Klingern, das ich sehr neugierig bin zu sehen. Ich wollte, Sie ließen sich einmal
verführen, uns hier zu besuchen. Herr Zimmermann wenigstens und ich würden Sie mit offnen Armen
empfangen, und ich könnte Ihnen bey mir ein recht artiges Gartenstübchen anbieten, das Ihnen schon
ge<page index="2"/>fallen sollte. Von Ihren beyden Sachen, die Helw. hat, hab ich noch keine Bogen. Das andre ist
von unsrer Seite völlig unterdrückt. Mein Verleger Weygand schickte mir vor einigen Tagen Anekdoten
zu Werthers Freuden von Göthens Hand geschrieben fürs Museum zu, die ich wieder zurückgeschickt, weil
ich sie Seinet- und Meinetwegen nicht drucken lassen möchte. Auch weiß G. vielleicht nichts davon,
daß ich sie gehabt. Sagen Sies ihm, und bitten Sie ihn, sie wo möglich wegen hiesiger Freunde zu
unterdrücken. Wider N. jetzt auch noch was zu sagen, da die Freuden längst vergessen sind, wäre ja zu
spät. Grüßen Sie Göthen, und machen Sie, daß er mir ein paar Blättchen für Mus. gibt. Werden Sie ihm
in W. auch nicht ganz ungetreu. Wenn Sie eine Woche später nach Darmstadt gekommen wären, hätten Sie
Claudius da getroffen. Wir haben einen herrlichen Abend hier gelebt. Lindau ist Lieutenant im Wutgenauischen
Regiment, das, so viel ich <page index="3"/>weiß, noch nicht in Marsch ist. Ein Brief, an seinen Vetter Lindau,
Lieutenant in der Garde zu Kassel adressirt, kömmt gewiß in seine Hände. Künftig, wenn er in Amerika,
können S<note>Textverlust</note> durch mich so oft schreiben, als Sie wollen, ohne daß <note>Textverlust</note> Ihnen was
kostet. Schreiben Sie mir doch ein bischen v<note>Textverlust</note> Ihrer Reise und Weymar, u. vergessen nicht ganz <line type="empty"/>
Ihres ergebensten <note>Textverlust</note> <line type="empty"/>
Schreiben Sie mir künftig lieber über Braunschweig. <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<!-- Wie viele Leerzeilen können hier ausgezeichnet werden? -->
<note>Adresse</note>
Herrn Herrn <ul>Lenz,</ul> Gelehrten<line type="break"/>
bey Dr. Göthen zu erfragen.<line type="break"/>
<ul>Weymar.</ul></letterText>
<letterText letter="157"><line tab="1"/>Wie steht es liebe Freundin? Wollen Sie mir denn kein einig Wort schreiben? Ich hätte Ihnen tagelang
zu erzehlen von alledem was ich gesehen und gehört und was seit der Zeit mit mir vorgegangen. Ich
schweige aber auch wenn Sie mir schweigen. Ihre Bedenklichkeiteil sind (verzeyhen Sie mir) fast ein wenig
geziert. In Deutschland wenigstens denkt das Frauenzimmer in dem Stück freyer glücklicher und erlauben
Sie mir zu sagen vernünftiger Werfen Sie also ich bitte einmal das Vorurtheil des vorigen Jahrhunderts
über den Zaun. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein Herz würde hier auf Rosen liegen, wenn ein Gedanke an Strasburg nicht feurige Kohlen draus machte.
Melden Sie mir doch ich bitte, allenfalls durch Röderer einige Neuigkeiten von dort aus, ohne die ich vergehen
muß, da ich hier den ganzen Tag im Strudel des Hofs wie im beständigen Taumel lebe. <line type="empty"/>
Lenz. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Ist Fräulein von Waldner noch in Strasburg? ist die Hochzeit schon vor sich gegangen? Ich habe ihre Cousine
hier neulich eine Oper spielen sehen, aber noch nie das Herz gehabt sie anzureden. Warum, ist mir selber
unbegreiflich. Aber es ist mir unmöglich. Sonst kenn ich hier nun alle.</sidenote></letterText>
<letterText letter="158">Weimar d. 14ten April.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Bester Lavater! Dein Kupferstecher hat sich an Fräulein Waldner versündigt. Wenn hatte sie den
Mund (den auch Baley schon gemißhandelt) Daß ich Dir ihren Mund mahlen könnte und all die Güte
die in ihm wohnt. Das gezwungene Lächeln ist <ul>ganz und gar</ul> außer ihrem Karackter. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eben so ist der Schatten der ihre Wange umschreibt ganz entstellend, auch B. hat ihn viel zu
grob gemacht um den Zug von Menschenliebe auszudrücken der darauf wohnt. <insertion pos="left">Das sagt auch der
Herzog und Goethe. </insertion> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wär es <insertion pos="top">denn nicht</insertion> möglich das zu ändern zu bessern Lavater, ich will gern das Bild noch ein
Jahr lang missen, so sauer mirs ankommt. Hab ich doch ihr Bild im Herzen. Aber wenn Du mich <ul>Iiebst</ul>
schickst Du mirs sobald Du kannst. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin hier verschlungen vom angenehmen Strudel des Hofes, der mich fast nicht zu Gedanken kommen
läßt, weil ich den ganzen Tag oben beym Herzog bin. Aber mein Herz bleibt immer dasselbe und kann
seine Richtungen nicht ändern. Das sage auch Pfenningern den Wieland und Goethe sehr lieben und ich
unendlich werth halte. Dein Abraham ist sehr gnädig aufgenommen worden. Herzog u. Herzogin sind wirklich
Engel, mehr hindert mich die Fülle meiner Werthachtung zu sagen. Goethe ist wirklich Mignon hier und
ich ganz glücklich und ganz unglücklich <line type="empty"/>
Lenz. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Deine Physiognomik habe ich mit einem der herrlichsten Geschöpfe auf Gottes Erdboden durchblättert,
der Frau v. Stein Goethens grossen Freundinn. Aber auch nur durchblättert, drum kann ich Dir nichts drüber
sagen. Wenn Du doch hier wärst!</sidenote> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wolltest Du doch die einzige Gütigkeit haben und Käisern bitten, daß er 2 Exemplare von den beyden Alten
einpacke und nach Lausanne schicke unter der <aq>Adrese<line type="break"/>
a Monsieur Monsieur<line type="break"/>
Werthes Gouverneur du jeune Baron de Hompesch<line type="break"/>
a Lausanne</aq><line type="break"/>
<line tab="1"/>abzugeben beym Herrn Professor <aq>Appeln,</aq> wo mir recht ist, ich habe seinen Namen vergessen, Röder könnt
ihn allenfalls unter meinen Briefen auffinden. Vielleicht weißt Du die Namen einiger<line type="break"/>
Professoren in Lausanne. K. könnte ihm schreiben, daß ich itzt in Weimar, ihn aber beordert ihm das zuzuschicken
und dem jungen Hn. v. Hompesch das eine beygeschlossen, dessen Hn. Vater dem Minister in Mannheim ich gewiß die
Aufwartung gemacht haben würde, wenn er nicht eben mit dem Hofe auf der Jagd gewesen als ich durchgieng. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Allenfalls kann er noch ein Exemplar für den Minister beischließen, das ich den jungen Herrn v. Hompesch ersuchte
in meinem Namen seinem Herrn Vater zuzuschicken. Übrigens würde es mich sehr freuen von Werthes ein Briefchen
hieher zu erhalten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meine Soldaten müßt Ihr jetzt schon haben. Sie sind bey Weidmanns Erben gedruckt. Wo nicht so schick ich Euch
bald einige Exemplare hinü<note>Textverlust</note> <line type="empty"/>
Grüß den guten Kaiser. <line type="empty"/>
Sag Pfenniger! sein Zuruf soll nicht vergeblich gewesen seyn. <line type="empty"/>
und wie denn ein Mann wie er krank seyn könne. <line type="empty"/>
Umarme Deine Frau und Deine Kleinen glücklicher Lavater.<line type="break"/>
Wielands Familie habe noch nicht gesehen <insertion pos="top">sie sind alle krank.</insertion> Herder kommt balde <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Melde mir doch Bester! wenns möglich, was Lindaus Peter in Marschlins macht. Und was Herr v. Salis für ein Jahr
zu seiner Erziehung braucht. <line type="empty"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Lavater.</ul><line type="break"/>
Pfarrer am Waysenhause<line type="break"/>
zu<line type="break"/>
Zürch</letterText>
<letterText letter="159"><hand ref="20"><line tab="1"/>L! Verzeihe m: Leidenschaft alle thörichten Ausbrüche m: vorigen Briefe, u: laß es um des Himmels
willen die nicht entgelten die die unschuldige gar zu edle Veranlaßung dazu ist. Laß es doch ich flehe
Dich nicht an einer Antwort u: Dank an sie fehlen. Sie hat sich gegen mich noch im Augenblike m: Abreise so schön u: edel
bewiesen daß ich ganz durchdrungen u: getröstet davon bin. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin in einer Unruh die ich Dir nicht beschreiben kann, bis ich weiß daß Du in Briefwechsel mit ihr stehest. Auch braucht
sie ein Freund deßen Achtung ihr Trost ist. Und wie könntest Du ihr die versagen? Nur von mir nichts merken laßen ich
beschwöre Dich.</hand></letterText>
<letterText letter="160">W. d. 16 Aprill. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was werdt Ihr sagen bester Müller! und was wird Freund Rigol sagen, daß ich solang nichts von mir
hören lassen. Aber ich bin so verschlungen in die wahren wesentlichen gewiß noch unvergleichbaren
Annehmlichkeiten <ul>dieses Hofes,</ul> daß ich meinen Freunden nichts anders als aufs höchste Gedanken
habe widmen können. Grüßt doch alle die treflichen Seelen in Mannheim, Rigol oben an, all seine
Freunde unsern wackern zur Nieden den ich in Fkfurt nicht habe besuchen können weil ich nicht aus
Goethens Hause kommen bin. Schickt mir <ul>doch</ul> <ul>euren Golo,</ul> ich hab ihn dem Herzog vorzulesen versprochen.
Welch ein Herr ist das!! <line type="empty"/>
ich komme den ganzen Tag nicht vom Herrn weg. Lenz. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Wie stehts mit dem Nationaltheater? Das müßt Ihr nun dort vor der Hand allein treiben.</sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote pos="right" page="1" annotation="am rechten Rand, vertikal">
Mit Ekhof ist nichts, er befindt sich allzu wohl in Gotha. Von Wieland ein andermahl.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/> <!-- Wie viele Leerzeilen können hier ausgezeichnet werden? -->
grüßt Herrn und Madame Schwan <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meine Soldaten werdt Ihr jetzt schon haben. Vielleicht seht ihr das nächste Vierteljahr was im
Merkur von mir wenn ich soviel Zeit habe.</letterText>
<letterText letter="161"><hand ref="9">
<line tab="1"/>Mich freuts liebster Mann wenn es Ihnen wohl gehet. Ihr Briefgen habe erhalten und ihre aufträge
sind besorgt bis auf H: Fibich den ich noch nicht gesehen habe. Herr Prof. Koch sagt mir Sie hätten ein
Buch von der Bibliothek, ich dachte Sie hätten alle nach Hause geschickt: Er hat es aber doch nicht
zurück begehrt. Ich denke Sie kommen bald wieder wann nicht allenfalls eine beßere <aq>vocation</aq> Sie uns
weg kapert. Viele<del>n</del> Empfehlungen an meinen Liebsten Goethe, H. V. Knebel, Graf Stollberg und unbekannter
weis an Hn. Hofrath Wieland. Hetzler hat mir den 1ten Bogen von meinen Abhandlungen zugeschickt Sie
werden auf die Meße fertig. Lieben Sie mich<line type="break"/>
Saltzmann <line type="empty"/>
Strasburg den 16ten Apr: <ul>1776.</ul></hand> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<hand ref="11">
D 16. Apr. 76. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Laß mich mit ein paar Worten dieß Blatt profaniren, meine Liebe zu Dir mag's wieder heiligen. Meine Seele
frohlockt drob daß Dirs wohl geht. Deine Grüße sind ausgericht. Alle grüßen Dich wieder und sind herzlich froh
daß sie drüber in die Höh springen möchten wann sie hören daß Du glücklich bist. <aq>Mslle.</aq> König. Lauthin. Fibich.
Zimmermann. Mechel. <aq>Spener. Sano.</aq> Prinz grüßen Dich. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier ist ein Brief aus dem Philanthr. von Simon und Schweigh: es soll eine <aq>Vocation</aq> drinn seyn für Herrn Lentz
den man zum Schriftsteller fürs <aq>Philanth.</aq> wünscht. Schreibst Du ihnen Antwort, so gieb ihnen meinen Gruß ich
werd ihnen bald auch schreiben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wann ich die Woche das Pack aus Zürich nicht bekommen werde, so schick ich Dir Deine verlangten Strasb.
Manuscripte und machs mit den Briefen wie Du verlangst.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Nicht mit meinem Namen aber desto mehr mit meinem Herzen ehre und liebe ich alle verdienstvollen Männer.
Insonders sag Dir wieder mit der wärmsten und immerbleibenden Zärtlichkeit daß ich bin Dein Röderer. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hastu noch nicht 2 Briefe von mir kriegt, der eine auf Darmstadt an Hn. Merk, der andere nach Weimar, in dem
ich Dir sage daß Fräulein von Waldner mit Herrn von Oberkirch den 1sten April um 12 Uhr in der Neuen Kirch
<aq>copulirt</aq> worden sind.</hand></letterText>
<letterText letter="162"><align pos="right">Manheim</align> <line type="empty"/>
Lieber Lenz<line type="break"/>
<line tab="1"/>daß Du mir noch nicht geschrieben eine gewaltige Unart so viele vortrefliche liebe Freunde
fragen, wollen wißen was Lenz macht Kann weiter nichts drauf antworten als ich weiß nichts
Liederlicher Teufel entweder Du liegst an Zaubrer Göthes Busen sinnlos in süßen Phantasien verwickelt
und verstrickt denkst im Wiegen und Liegen und Vergnügen aller Welt Freunde zum Guckguck hin oder
eine listige Hexe mit <ul>grün</ul> schwarzen <insertion pos="top">dämmernden</insertion> Augen und einem erwärmenden seeligen <insertion pos="top">Madonna</insertion>Blick,
da für sie Gott seegnen wolle, hält meinen loßen Flattrer irgendwo gefangen aber närrisch daß
ich eben Dir drum vorpredigen will das arme Herz Bruder Lenz wie Kletten wirft sichs überall an
und ein Mädchen Gesicht Gott sey bey uns bin auch seit Deiner Abreise wieder geschmolzen
ein Mädchen o! ein Engel Lenz <page index="2"/> ein Teufel von einem lieben Mädchen führt mich am
Seile gefangen schwärmen möcht ich gerne und arbeithen soll ich o! Frühling und Liebe und jugend!
ich kreutzig und segne mich über und über und lese meinen Morgen- und Abend Seegen im Werther. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><aq>Apropo</aq> mit dem National Teater wirds hier zu Stand kommen habe einen Plan zur Anlegung einer Teater
Schule machen müßen den ich Dir zuschicken will wenn Dus begehrst der Grund zu einem weitläuftigen
prächtichen Schauspiel Hause wird in aller Hastigkeit gelegt diesen Sommer noch solls fertig seyn und
zukünftigen January schon drauf gespielt werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sag kannstu mir nicht <aq>Adreße</aq> geben wo ich indessen einige guthe brauchbare acteurs und actrißen anwerben
könnte, je geschickter je beßer für uns zum Exempel für folgende Rollen <line type="empty"/>
<ul>Mannspersohnen</ul><line type="break"/>
Erster Liebhaber<line type="break"/>
Bediente<line type="break"/>
Vater<line type="break"/>
Zweiter Liebhaber<line type="break"/>
<aq>oncle.</aq> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<ul>Frauenzimmer</ul><line type="break"/>
Erste Liebhabrin<line type="break"/>
Subrette<line type="break"/>
Mutter. <line type="empty"/> <!-- Gibt es für das Figurenregister eine eigentümliche Formatierung? -->
<!-- Auf welchen Textabschnitt bezieht sich die Tabelle --><tabs></tabs><note>Tabelle, Seitenumbruch</note>
<line tab="1"/>Da ich den Auftrag vom Hofe habe, würd ich gleich mit ihnen unterhandlen können, könnte mich auch dabey um so
viel sichrer <del>sagen</del> <insertion pos="top">einlaßen</insertion>, da <del>ich</del> immer Deine Auswahl hierin die beste seyn wird ein jeder der sich für
hier <del>her</del> anwerben läßt soll nicht allein seine rechnung in ansehung der Besoldung finden, sondern auch, darauf
hab ich in meinem Plane Hauptsächlich loßgedrungen, erhält einen rang, der ihm bey einer guten Lebensarth erlaubt,
die besten Gesellschaften zu besuchen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bitt Dich drum wenn Du kannst lieber sey nicht nachläßig arbeithe mit es geht ja für die gemeine Sache Schreib
mir gleich wenn Du mir einige Schauspieler ausfündig gemacht die sich für mich schicken, daß ich mit Dir gleich
unterhandle, oder sag ihnen daß sie mir selbst schreiben <page index="3"/> findet noch Auswahl statt lieber Lenz so schicke
mir diejenige, die am wenigsten Manier <del>an sich</del> angenommen wenn <del>Sie</del> <insertion pos="top">Ihnen</insertion> nur Feuer und natürliche Wärme vom Himmels
Papa im Busen angezündet ist <line type="empty"/>
An Eckhoff schreib ich so eben auch. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Den anticken Saal hastu doch der Zeit nicht vergeßen Lieber Du bist zu ehrlich und ich traue Dir viel zu viel Gewißen zu,
als daß Du nicht manches Stündchen meinem <del>L<nr> </nr></del> armen <aq>Laocon</aq> meiner lieben Niobe und meinem <del>arme</del> guten Glatiator widmen
solltest Sie sind mir gar zu lieb und ich könnte Dir drum feind werden wenn ich je so was von Dir erführe pfuy das
wär auch zu undankbar für einen Lenz der süßen Augen Blicke so zu vergessen, eher solltestu ein hundert von dem <insertion pos="top">viel tausend</insertion>
Grüßen und Küßen an meine Liebe Wieland und Göthe vergeßen die ich Dir mitgegeben und beym Himmel das ist doch arg genug <line type="empty"/>
Frid. <ul>Müller</ul></letterText>
<letterText letter="163"><note>Empfangsnotiz Boies</note><hand ref="20">
Den 26 Apr. 76.</hand> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Vernichten Sie die Wolken Boje und wenn Sie ein oder zwey Exemplare übrig behalten so lassen Sie
sie keinem menschlichen Geschöpf zu Augen kommen weil sie mir zur Schande gereichen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin hier unendlich wohl. Die vorzügliche Gnade des Hofes und die Freundschaft so vieler herrlichen
Geschöpfe Gottes beysammen machen mich in einem gewissen Grade seelig den nur mein eigen Herz mir
verderben kann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Machen Sie doch daß ich die Freunde p. bald bekomme. Ich hoffe Helwig wird daraus zuviel lösen als daß
er es übers Herz bringen kann mir nur 6 Dukaten dafür gegeben zu haben <line type="empty"/>
Lenz. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Grüssen Sie unsern fürtreflichen Hn. Leibarzt Zimmermann und sagen ihm daß es mir wehe thut nicht
gegenwärtig bey seinem Hn. Sohn in Strasb. seyn und ihm seinen Brief vorlesen zu können. Es geht Goethen
freilich sehr wohl hier wie auch mir jetzt. Sobald ich aus dem lieben Strudel der mich fast bis zur
Betäubung umdreht zu mir selber kommen kann, schreibe ich ihm. Unterdessen dank ich für all seine
gütigen Mühwaltungen innigst. Das mehrere behalt ich mir vor. <line type="empty"/>
L. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">
Der Herzog und der ganze Hof lesen Ihr Musäum mit vieler Liebe.</sidenote></letterText>
<letterText letter="164"><note>Anfang nicht überliefert</note>
<line tab="1"/>und gemeinschaftlich für ihr ganzes zukünftiges Leben zubereitet würden, so daß Gottes Namen
dadurch verherrlicht und seine Liebe in aller Herzen gepflanzt würde sehen Sie das schmeckt allen,
Pietisten und Katholiken und Jansenisten und der Freygeist hat auch nichts dagegen einzuwenden.
So machte es Zinzendorf und Sie müssen eine Kopfhängersprache reden und <dul>von Herzen</dul> oder ich prophezeye
Ihrer Anstalt den Untergang. Wozu bekehren, wozu Erbauungen? Ist es nicht genug, nicht <ul>übererbaulich</ul> genug,
daß alle bey einander wohnen und bey einander <ul>wohnen lernen</ul> wie in Gottes Welt. Gemeinschaftliche Geschäfte
treiben, gemeinschaftliche Ergötzungen haben, laß sie doch meinthalben die Egyptische Katze anbeten. Ihre
Tugend, Ihre Providenz richtet Sie zu Grunde Herr Professor, diese Namen sind <aq>odiosa</aq> obschon kein Mensch
ist, der sie nicht im Herzen glaubt nur immer unter anderer Gestalt und anderen Benennungen. Also still
davon. Und negotiiren Sie bey Pastor Götzen in Hamburg und bey allen Pietisten im Römischen und Russischen
Reich, sie thun tausend mal mehr als die Großen, sie reißen die Großen mit fort. Sagen Sie, Sie hätten mit
Ihren Schriften (denn auch die sind den meisten verhaßt) sich nur bei den Freygeistern den Weg bahnen wollen,
auch sie in Ihre Parthey zu ziehen, damit wenigstens ihre <page index="2"/> <ul>Jugend nicht verloren gienge,</ul> daher bäten
Sie, dieß Geständniß nicht <ul>laut werden zu lassen</ul> und ihnen <ul>ingeheim</ul> mit ihrer Hülfe beyzustehn und alsdann,
Herr Professor, <ul>alsdann</ul> werden Sie Wunder sehen. Die Pietisten sind keine Spitzbuben, ich kenne sie besser.
Sie <ul>thun alles</ul> wenn man in ihre Ideen hineinzugehen weiß und sich nicht offenbar wieder sie erklärt. Nur die
widrigen Gesinnungen der Herren <ul>Denker,</ul> ihr Stolz, der Hohn die Geringschätzung mit der sie ihnen begegnen,
erbittern sie und wen sollten sie nicht? Ich habe einen Vater der Pietist ist, er ist der treflichste Mann unter
der Sonne. Schreiben Sie ihm, er wohnt zu Dörpt in Liefland, aber ich bitte, geben Sie ihm diesen Schlüssel zu
Ihren Schriften und ganzem bisherigen Betragen und er, wie alle guten Pietisten, springen über die Mauer für Sie
und Sie werden die Folgen sehen. Wenn die Leute irren, wenn ihr Kopf zu leicht und dafür ihr Herz desto voller,
ihre Thätigkeit desto nachdrucksvoller und uneigennütziger ist, wollt Ihr Herren sie darum auslachen. Sollt Ihr
nicht vielmehr diese höchst brauchbaren Leute suchen in Eure Parthey zu ziehn. Und was ist denn eure Tugend anders
als die ihrige, nur daß eure Vorstellungskraft anders ist? Laßt doch den Leuten ihre verschobene Einbildungskraft,
wie dem Kinde seine Puppe, und beweißt eure richtigere dadurch, daß ihr euch in sie hineinzusetzen wißt, ohne sie
<ul>verändern zu wollen.</ul> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Eben die Ahndung die die Leute haben, daß sie sich durch ihre vorsetzliche <ul>Unvernunft</ul> bey den Weltleuten verächtlich
machen, welches sie als ein Leiden um Jesu willen ansehen, macht sie desto empfindlicher, desto argwöhnischer. Der
geringste Ausdruck, der eine Bekehrungssucht verräth beleidigt sie, weil sie sich nicht bekehren wollen, bekehren
können, so wenig als Ihr. Redt <ul>ihre Sprache</ul> mit ihnen wenn Ihr beweisen wollt, daß Ihr mehr Vernunft und ein grösseres
Herz habt. Nehmt sie in euer Herz auf und tragt sie, wenn ihr stärker seyn wollt als sie die euch zu tragen meynen.
Nennts Busse und Glauben und Wiedergeburt, was ihr itzt Tugend u. Providenz nennt, sind es denn nicht nur Namen und
für dieselbe Sache. Wenn die Engländer den Franzosen den Krieg angekündigt hätten und ein französischer Kaufmann hätte
einen großen Handel in England zu machen, wär er nicht ein Thor, wenn er nicht mit den Engländern in ihrer Sprache
redte, wenn er auch nur durch einen französischen Laut verriethe von welcher Nation er sey. Sind bey Ihrer Art
Unternehmungen müssen Ihnen nicht alle <ul>Menschen gleich seyn.</ul> Eben so müßten Sie es mit den Katholiken machen, eben
so mit den andern, wie die Apostel jedem in seiner Sprache. Und in ihren öffentlichen Conspeckten von nun an versprechen
alles was Tugend und Herz angeht (und was ist denn die Religion anders?) den Lehrern jeder Parthey zu überlassen. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Die andere Erinnerung ist, daß nicht alle Sacherkenntniß der noch unreiffen Jugend heilsam ist. Gewiß lieber Herr Professor
das schröckt eine Menge Eltern ab, würde mich selber abschröcken. Das Moralische darf eben so wenig übertrieben werden
als das Physische. <ul>Anatomie</ul> Kenntnis <ul>von</ul> <ul>Erzeugung der Thiere</ul> und Pflanzen sind nicht für das Knabenalter. Eine glückliche
Unwissenheit, bis Körper und Moralität zur Festigkeit und Stärke gelangt sind. Giebt es denn nicht andere Sachkenntnisse
die diesen vorangehen können, giebt es denn nicht andere Motive der kindlichen Liebe? Liegen die stärksten nicht in <ul>der</ul>
<ul>Natur?</ul> Macht es denn die Natur selbst anders, hat sie nicht den Schleyer des Geheimnisses weißlich über die Sachen gebreitet.
Laß es seyn daß auch der stärkere Geschlechterreitz in diesem Geheimniß liegt, auch <ul>der</ul> muß Ihnen <ul>heilig seyn.</ul> Lassen Sie
den Kindern die wohlthätigen Alberkeiten der Ammen, klären Sie nur sonst ihre Phantasey auf. Laß sie sich immer über den
Punkt zerrathen und die Köpfe zerbrechen, aber die <ul>starre Verweigerung aller möglichen Antwort darüber</ul> die vorsetzliche
Unwissenheit in der Sie sie darüber lassen, giebt diesem Triebe das <ul>heilige,</ul> das mysterieuse das er haben muß, wenn ihre
Kinder nicht Liliputmenschen werden sollen. Verspahren Sie alle Aufklärung hierüber und über alle Geheimnisse des
Naturreichs, bis auf die letzten Wochen wenn sie auf die hohe Schule gehen, da Sie sie ihnen mit <ul>grosser Feyerlichkeit</ul>
eröfnen können. Mit Freymäurer-<page index="4"/>feierlichkeit und vorhergegangenem <ul>Schwur nichts auszuplaudern,</ul> wenn ich was zu
rathen hätte. Das wären Eleusina, die selbst bey verdorbenen Sitten das einzige Mittel zu ihrer Wiederherstellung wären.
Denn laß es seyn, daß der Knabe selbst es bey unglücklichen Gelegenheiten schon früher erführe, es bliebe seiner Neugier
doch immer noch was zu vermuthen, doch immer noch Zweiffel übrig, wenn man standhaft darauf bestünde, ihm vorher nichts
davon zu verrathen. Uebrigens aber auf sein äusserliches Betragen die schärfste Aufmerksamkeit hätte und seine Phantasey
mit andren Dingen auch mit Ergötzlichkeiten gehörig unterhielt und beschäftigte. Bey der Entdeckung aber müßt er Ihnen
einen Freymäurereid unter den fürchterlichsten äusserlichen Zurüstungen thun, nicht allein den jüngeren von dem was er
erfahren würde nichts zu sagen, sondern auch keinen <ul>unrechten</ul> Gebrauch davon zu machen. In weiterem Detail lassen Sie sich·
alsdenn nicht ein, um keine <page index="5"/> Meineidige zu machen, sondern weisen ihm nur <ul>anatomisc</ul>h die schädlichen Folgen der
Debauche und überlassen das übrige seinem Gewissen. So werden Sie nicht allein aufgeklärte und liebenswürdige sondern auch
gesunde und starke Weltbürger ziehen, deren glückliches Alter sie von selbst bewegt, ihre Kinder niemand als ihnen
anzuvertrauen. Das ist von wichtigem Folgen für Ihre Anstalt, würdigster Mann! als Sie glauben werden. Ich kenne einen
grossen Theil der Eltern auch in meinem Vaterlande. Ich weiß welch ein wichtiger Punkt einem zärtlichen väterlichen Herzen
die Gesundheit seiner Kinder ist. Ich weiß fürchterliche Exempel vom Gegentheil, die den Eltern unaussprechlichen Gram
gemacht haben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bitte meine wortreichen Erinnerungen mit der Liebe aufzunehmen mit der sie geschrieben sind und diese nicht sowohl
in meinen Ausdrücken als in dem Herzen zu suchen aus welchem sie kamen und das mit der wärmsten Ehrerbietung ganz Ihre ist. <line type="empty"/>
Lenz.</letterText>
<letterText letter="165">Brief<line type="break"/>
über Wielanden<line type="break"/>
und einige seiner Gedichte<line type="break"/>
Hauptsächlich über <del>Aga</del> den<line type="break"/>
neuen Amadis. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Endlich hab ich den Mann kennen lernen der allen jungen Leuten in seinen Schriften sowohl als in
seinen Handlungen ein wahrer Probierstein der Gesundheit ihrer Einbildungskraft so <del>wohl als</del><line type="break"/>
<insertion pos="top">wie der Stärke</insertion> ihrer Urtheilskraft seyn kann. Jene kann unersetzlichen Schaden an den ersteren
nehmen, wenn sie schwach, kränkelnd, oder noch nicht zu ihrer gehörigen Reiffe gekommen ist, so
wie diese wenn sie sich zu frühzeitig vermißt mit ihm fertig zu werden, erbärmlich scheitern und
die ganze traurige Schule der Selbsterkenntniß zurückzumachen gezwungen seyn w<note>e</note><aq>i</aq>r<del>den kann</del>.
Dagegen kann jene unendlich an den erstem gestärkt werden und gewinnen, wenn sie sich gewöhnt
gefährliche und reizvolle Gegenstände die ihr in der Welt so oft vorkommen aus ihrem rechten Licht
und nicht mit der unreiffen Hitze und verstohlnern Kützel eines Knaben, sondern mit dem Ernst und
der Kälte eines Kenners anzusehen, der nur denn warm wird wenn die Magie des allgewaltigen Spottes
der aus der tiefsten Philosophie seine Bevollmächtigung und von dem schwelgerischsten Witz seinen
Zauberstab erhielt, ihn mit zum Sokratisch mitleidigen Lächeln über die Thorheiten und Schwachheiten
der Menschen dahin reißt So wie auch die Urtheilskraft an ihm und seinen Handlungen lernen soll sich
nicht in ihren Schlüssen von Personen zu übereilen bevor sie uns in allen ihren Verhältnissen bekannt
geworden sind. Wie oft verwandelt sich dann Nebel in Sonnenschein, Feindschaft in Uebereinstimmung
der Gesinnungen, Haß in Liebe? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich fange so ziemlich in dem Ton eines Schulmonarchen oder Professors der Moral an lieber Freund!
aber ich finde ihn für nothwendig Ihnen meine wahre Meynung von diesem treflichen Mann ein für allemal
aufzuklären und darzustellen. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<del>M<nr> </nr>z</del></letterText>
<letterText letter="166">Ich freue mich bester Graf daß ich Ihnen aus We. schreiben kann <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da unsere Generation dem grossen Zeitpunkt näher rückt da Schwachheit selbst unverzeybares
Verbrechen wird, so hoffe ich seine komischen Gedichte werden immer mehr zu lachen machen und
immer weniger schaden Meine Grimassen gegen ihn verlang ich nicht zu entschuldigen Wenn ich
Vater wäre und einen Sohn hätte der an der Schwelle der Pubertät stünde würde ich in seinen
Morgenseegen eine Bitte um Reinheit und Festigkeit der Imagination setzen um ein mit Verstand und
Entschluß bewafnetes Auge und ein mit zuversichtlichen Hofnungen gesichertes Herz, sich nicht
nur an Statuen und Gemählden die einen momentanen Eindruck machen, sondern auch an Produkten des
Geistes dieser Art üben zu dürfen Und ich hoffe ich brächte es dahin es durch sein Exempel zu
bewähren daß die höhere Physiologie die die Nothwendigkeit der Stillung eines Triebes der wie alle
menschlichen Triebe willkührlich ist, lächerlich macht allgemein zu machen wäre.</letterText>
<letterText letter="167">Brief von Lenzen an Grafen<line type="break"/>
Friedrich Leopold von Stollberg. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wundern Sie sich nicht bester Graf! statt einer geschriebenen eine gedruckte Antwort von mir zu
erhalten? Sie werden begierig seyn zu wissen, wie Wieland mich empfangen hat, Wieland der einzige
unter allen Menschen den ich vorsetzlich und öffentlich beleidigt habe. Sehen Sie da, ob sein
Benehmen gegen mich nicht des menschenfreundlichsten Philosophen würdig ist. Als ich ihn das erstemal
sahe, machte die zutrauenvolle vergnügte Bewegung, mit der <insertion pos="top">er</insertion> mich grüßte, mich schon wirre; es war,
als obs ihm jemand gesagt hätte, ich sey um seinetwillen gekommen, obschon wir uns nur auf der Strasse
antraffen. Wir speisten den ersten Abend am dritten Ort zusammen, es fiel kein Wort von dem Vergangenen
vor und unser Gespräch ward so herzlich und munter ja als es später gegen die Nacht kam so freundschaftlich
als ob wir Jahre lang in dem besten Vernehmen bey einander gewohnet. Diese Amnestie hat er bey allen
Gelegenheiten so unverbrüchlich beobachtet, daß er sogar bei Hofe, wo er am ersten Gelegenheit gehabt,
mich durch feine Vorwürfe aus der Fassung zu bringen und wo ich die Dreistigkeit soweit trieb, ihm über
einige Stellen seiner komischen Gedichte meine Bedenklichkeiteil zu sagen er mich mit der größten Sanftmut
und Ernst zurecht wieß und mir über <page index="2"/> verschiedene Dinge Aufschlüsse gab die ich nebst dem was ich
durch weiteres Nachdenken darüber herausgebracht Ihnen mittheilen will. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In der That bester Freund ist ein wesentlicher Unterscheid unter einem <ul>schlüpfrigen</ul> und einem <ul>komischen</ul>
Gedicht, wie <del>z. E.</del> Wielands Erzehlungen und Ritterromane sind. In den ersten werden die Unordnungen der
Gesellschaft ohne Zurückhaltung mit bacchantischer Frechheit gefeyert und ihnen daß ich so sagen mag Altäre
gesetzt wie Voltäre und Piron thaten, in diesen werden die Schwachheiten und Thorheiten der Menschen mit dem
Licht der Wahrheit beleuchtet und (wie könnte ein Philosoph sie würdiger straffen) dem Gelächter weiserer
Menschen Preiß gegeben. Mich deucht der Unterschied ist sehr kenntbar und nur Leidenschaft konnte mich bisher
blenden ihn nicht zu sehen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Man wirft ihm vor daß seine komischen Erzehlungen zu reitzend, gewisse Scenen darinn zu ausgemahlt sind. Ein
besonderer Vorwurf. Eben darinn bestand sein größtes Verdienst und der höchste Reitz seiner Gemählde ist <ul>der
ächteste Probierstein</ul> <ul>für die Tugend seiner Leser.</ul> Tugend ohne Wiederstand ist keine, so wenig als einer sich
rühmen darf, reiten zu können, wenn er nie auf etwas anderm als einem <page index="3"/> <del>Karrengaul</del> Packpferde gekommen
<del>ist</del>. Eine solche furchtsame träge ohnmächtige Tugend ist bey der ersten Versuchung geliefert. Will also einer an
diesem Eckstein sich den Kopf zerschellen, anstatt sich an ihm aufzurichten, so thut ers auf seine Gefahr. Dasselbe
würde ihm bey der ersten schönen Frau begegnet sein; darf er deßwegen den Schöpfer lästern der sie gemacht hat?
Setzen wir diese nun auch in hundert noch reitzendere Verhältnisse; der Reine dem alles rein ist und der seinen
Entschluß und seine Hofnungen unwandelbar im Busen fühlt, wird wenn wir sie zu Hunderten gruppirten, mit der Trunkenheit
eines Kunstliebhabers wie unter Griechischen Statuen <del>bey Ihnen</del> vorbeygehn, ohne einen Augenblick zu vergeßen, daß nur
eine ihn glücklich machen kann. Ueberhaupt schweigt der thierische Trieb je höher wir die Reitze auch der körperlichen
Schönheit spannen und verliert sich unvermerkt in die seelige Unruhe und Wonne <del>der Brust des Busens</del> <insertion pos="top">des Herzens</insertion> das
alsdenn von neuen menschenwürdigem <del>entzückungsvollen</del> <insertion pos="top">entzückendern</insertion> Gefühlen <del>geht</del> <insertion pos="top">schwillt</insertion> wohin ihn Wieland an
hundert Stellen seiner komischen Gedichte so geschickt <del>hat</del> hinaufzubegleiten wußte. Welche Wohlthat er dem menschlichen
Geschlechte dadurch erwiesen, wird ihm erst die Nachwelt danken: falls seine Gedichte etwa nicht unglücklicherweise
anders gelesen werden <insertion pos="top">sollten</insertion> als er sie gelesen haben will. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Sollten Sie nun vollends diesen Mann in seinen Häuslichen Verhältnissen wie ich fast täglich zu sehen Gelegenheit haben,
wie er ganz Zärtlichkeit gegen seine Gattin und Kinder ist, deren feurige Augen die <del>treflichste</del> <insertion pos="top">beste</insertion> Wiederlegung
aller derer sind, die j emals in seinen Gedichten schlüpfrige Stellen gefunden oder daraus nachtheilige Schlüsse auf
seine Sitten gemacht, sollten Sie sehen, wie aufmerksam und nachgebend er gegen jeden Schatten von Verdienst, wie
bescheiden obwohl immer gerecht gegen sich selbst, wie entfernt von allen Anmaßungen und Foderungen an andere, wie
beynahe zu nachlässig für seinen Ruhm und die Erhaltung desselben, wo ihn nicht die äußerste Noth dazu zwingt (daher
auch alle die falschen Lichter kommen, unter denen er sich bisher immer entfernten Personen gewiesen) wie eyfrig und
emsig das Gute zu befördern wo und wie er kann: so würden Sie sich nicht wundern daß ich, der weder von Schriftstellern
noch vom Publikum etwas zu erwarten hat, einem ohne mich schon berühmten Manne den Hof mache, ich der mit eben der
<del>Unbefangenheit</del> <insertion pos="top">Sorglosigkeit</insertion> in meinem Haß und in meinen Unarten gegen ihn fortgefahren wäre wenn mein Herz mich nicht
erinnert hätte. Ich wünschte sehr noch so lange hier <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>bleiben zu können, daß ich auch Sie unter so viel treflichen und von sovielen Seiten sich auszeichnenden Personen, als
diese glückliche Gegend einschließt, sehen und umarmen könnte</sidenote> <line type="empty"/>
Lenz.</letterText>
<letterText letter="168"><line tab="1"/>Sie sind über Vermuthen geschwinde weggereist lieber Gotter! und ich habe sehr bedauert, daß wir
einander so wenig haben geniessen können. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Schicken Sie mir doch einmal einige von Ihren Sachen: Sie können sich drauf verlassen daß ich den
behutsamsten und Ihnen gelegensten Gebrauch davon machen werde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Sie einen Abdruck von den Algierern haben, bitt ich mir ihn doch auch aus. Das Stück war
eigentlich für gegenwärtige Zeitläufte geschrieben und verliert wenn es liegen bleibt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meinen Empfehl der Demoiselle Schwester auch wenn Sie nach Lion schreiben den liebenswürdigen
deutschen Damen in Frankreich. <line type="empty"/>
Lenz. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sollten Sie ein Exemplar des <aq>barbier de Seville</aq> besitzen so bitt ich Sie doch sehr es mir gütigst
auf 8 Tage zu leyhen. Die Herzoginn Mutter ist sehr verliebt drinn und ich hab ihrs zu übersetzen
versprochen damit wirs hier aufführen können. <line type="empty"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Gotter</ul><line type="break"/>
Archivarius<line type="break"/>
in<line type="break"/>
<ul>Gotha.</ul></letterText>
<letterText letter="169">Hannov. 25sten Apr. 76.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Mattei, der Ihnen diesen Brief giebt, ist mein Freund, und wünscht Sie kennen zu lernen. Ich hoffe, es
wird Ihnen lieb seyn, daß ich ihn zu Ihnen führe. Es ist ein schazbarer, warmer rechtschaffener Mann,
der Welt und Menschen gesehen hat. Kennen Sie nicht Charlotte Seidel? Von ihr sprechen Sie mit
ihm, und von Ihrem Freunde <line type="empty"/>
Boie. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Grüßen Sie Göthe. Vielleicht sind Sie nicht mehr in Weymar. So überschreib ich diesen Brief auch an Göthe,
damit er wenisten Einen von Ihnen sehe. Mich verlangt nach Nachricht von Ihnen. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<note>Adresse</note>
An Lenz oder Göthe<line type="break"/>
Weymar.</letterText>
<letterText letter="170"><line tab="1"/>Hier, liebster Lenz, hast Du einige Flicke in den Merkur. Verrathe mich nicht oder entschuldige mich
wenigstens bei Wieland, daß ich an Ihn nicht schreibe, u. wähle vorsichtig aus Eins oder Keins. Ich
will keinen neuen Hundelärm haben u. Euer Merkur soll ihn nicht durch mich haben. Also wählt vorsichtig
so immer ein Flick zum Einschieben bald schick ich was Anders. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dein Brief lieber Lenz u. Dein <del>P</del> <aq>Epilogus galeatus</aq> zur Urkunde hat mich u. Dich noch näher gebunden.
Du bist der Erste Mensch, für den ich schreibe, und kannst Du herrlich durchblicken, entschuldigen,
überblicken, rathen. Schicke mir doch das Stück, oder mach aus, daß der Merk. von diesem Jahr an
mich geschickt wird ich will auch unter den Abonnenten <insertion pos="top">seyn</insertion> und Du arbeite fleißig dazu,
lieber Junge. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mit dem Zögern in Weimar gehts doch entsetzlich. Ich sitz hier <insertion pos="top">freilich</insertion> nicht auf St. Lorenz
Kohlen, u. doch unsanft, denn das Geträtsch ist überall hier herum und ich sitze. Trage Du doch
bei, daß das Ding so oder so ausgeht, nur daß was gethan wird. Soll ich predigen, wohlan <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und nun noch Eins, lieber Lenz. Da das Glück nicht wollte, daß ich Dich in Weimar vielleicht finde,
so beschwör ich Dich, <dul>komm zu mir</dul>!!! wenn Du von dort zeuchst. Ich will Dir die Reis ersetzen. Ich
wollt gern zu Dir halbenwegs kommen, aber dann sieht Dich nicht mein Weib, u. sie will Dich so gerne
sehn u. was ist im Wirthshaus? Komm her, ich bitt u. flehe Dich, wenn Du nicht so lang in Weimar bleibst,
bis wir erscheinen. Oder bleib immer da, da wir dann herrlich singen wollen Hallelujah. <line type="empty"/>
Nochmals gesagt, daß ich die Fabeln Dir vertraue. Leb wohl, lieber Lenz bester Junge. Grüß Göthen.</letterText>
<letterText letter="171">Den 27. Apr. 76. <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Promemoria</ul><line type="break"/>
an <ul>Wieland, Goethe, Lenz.</ul></align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich kehre mein Viertelstündchen, u: bis es herunter gesandet<line type="break"/>
hat, schreib ich Euch, lieben Drey, was mir einfällt. <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Wieland.</ul></align><line type="break"/>
Den hertzigen Brief vom 15. Apr. empfangen! Dank! <line type="empty"/>
Freude über die Wiedergenesung der Kranken! <ul>Werthes</ul> sagte mir, was Du in solchen Fällen leidest. <line type="empty"/>
Ich bin Erstaunen gesund; aber mein stilles Weibchen hat viele, viele Leibesbeschwerden. <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Goethe.</ul></align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Komm ich dann auch zu keiner Stunde, wo ich Dir wieder einmal mein gedrücktes Herz leeren kann! o<line type="break"/>
Goethe nur noch ein paar Stunden neben Dir aufm Obern Lindengraben oder aufm Bett im Saale! <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Lenz.</ul></align><line type="break"/>
Du hast nun die Briefe vom <dul>nochlebenden Lindau?</dul> <line type="empty"/>
Sey ruhig des Bildes wegen. <ul>Werthes</ul> ist nicht mehr in Lausanne. <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Wieland.</ul></align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Aus Mißverstand ist <ul>Pirkheimer</ul> auf ein klein Täfelgen radirt worden. Ich behalte das vor mich, und laß
einen andern machen. <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Goethe.</ul></align><line type="break"/>
<line tab="1"/>In <ul>Baden</ul> und <ul>Weiningen</ul> hab ich wieder einmal satt von Dir gesprochen. <ul>Goethe</ul> und <ul>Lavater</ul> sind der <ul>Text</ul>
des leztern <ul>Thema Publikums</ul> für die <ul>liebe Studiosi.</ul> <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Wieland.</ul></align><line type="break"/>
Ich bin, Gott weiß, äußerlich der glücklichste Mensch. Was meine Seele inwendig zerreißt weiß nur <ul>Gott.</ul> <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Lenz.</ul></align><line type="break"/>
Ich habe noch nichts von Deinen neuern Dingen gesehen. Ach! mein Lieber! wärst Du bey mir! <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Goethe.</ul></align><line type="break"/>
In 8. Tagen hoff ich <ul>Schloßern</ul> zusehen; verspreche mir viel von ihm. <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Goethe Wieland u. Lenz.</ul></align><line type="break"/>
Wollt Euch gern meinen <ul>Abraham</ul> senden, wenns nicht mehr kostete, als im Buchladen. Verzeiht. <line type="empty"/>
Adieu Ihr guten Lieben! <line type="empty"/>
Laßt uns würken, weils Tag ist! Es kommt die Nacht, da niemand würken kann. Amen. Den 27. Apr. 76. J. C. <ul>Lavat.</ul> <line type="empty"/>
<line/> <!-- Ist ein doppelter waagrechter Strich mit <line/> auszuzeichnen? -->
<line/>
<line tab="1"/>Der Wielandin Kuß für mein Weibchen hab ich noch in <aq>Petto</aq> wollen erst eine Menge andre einziehen.
Hab aber schon ein Lächeln zum voraus durch die Ankündigung erholt. <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Wieland.</ul></align><line type="break"/>
<ul>Kayser</ul> wünscht seine Poesieen in Merkur gedruckt. <line type="empty"/>
<align pos="center"><ul>Urtheile.</ul></align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Briefwechsel dreyer akademischer Freunde. (Ulm bey Wohler) fließend; doch etwas matt fließend;
Bisweilen süßlicht, und etwas fade. Übrigens voll Gutherzigkeit und für Studenten eine treffliche
Lektüre. Sehr selten Geniespuren, desto mehr nüzliche Erinnerungen. Über die vielen Urtheile über
lebende Personen urhteilen wir nicht, nur kann hierüber allen Jünglingen in öffentlichen Schriften
die überlegteste Behutsamkeit nicht genug angerathen werden. <line type="empty"/>
<note>doppelter waagrechter Strich</note>
<line tab="1"/><ul>Ephemeriden der Menschheit</ul> oder Bibl. der <ul>Sittenlehre und Politik.</ul> Erstes Stück 76. Basel. Wirthschaft,
Sitten, Freyheit der Gegenstand dieser Monatschrift. Dieß Stück enthält viel Merkwürdiges. Das
Beste der Brief von <ul>Schloßer</ul> an <ul>lselin</ul> über die <ul>Philanthropinen.</ul> <line type="empty"/>
<note>doppelter waagrechter Strich</note>
Auf den <ul>Mist</ul> mit, wenns nicht gefällt.
<line/> <!-- Ist ein einfacher waagrechter Strich mit <line/> auszuzeichnen? --></letterText>
<letterText letter="172">Den 30sten Apr. 76. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich schick Ihnen hier die Abhandlung oder Vertheidigung und die Komödie. Mit dem Druck der lezten
zumal bin ich wenig zufrieden, aber, ich kanns weder ändern noch helfen. Die W. sind vernichtet. Ich
selbst habe nicht mal einen Abdruck. Von diesen beyden hab ich H. Zimmermann, der sich Ihnen empfiehlt,
ein Exemplar gegeben. Es sind nur 5 1/2 Bogen geworden, u. ich hab Ihnen 6 Dukaten geschickt. Ich hatte
den Druck wie in der Stella bestellt, u. rechnete auf mehr als 6 Bogen. Nach der Meße kommt H. erst hier,
u. giebt mir Geld. Ich will mein möglichstes thun, Ihnen mehr zu verschaffen. Aber ich verzweifle. Ich
kenne die Buchhändler, u. zumal in diesem Falle, wo wir ihn doch menagiren müßen. Ich selbst<page index="2"/>
hab über 1 Duk. Auslage. Wenn Sie mehr Exempl. haben wollen, schreiben Sie an H. nach Leipzig. Von der
Vertheidigung ist nun kein Exemplar an W. gegangen. <line type="empty"/>
Ich schicke Ihnen nächstens einen Freund von mir zu, von dem Sie hören können, was ich mache. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die verlangten Nachrichten sollen Sie haben, aber heut nicht. Sie kosten mich Nachsuchungen, zu denen ich
nicht Zeit habe. Ich bin ge<del><nr> </nr></del>wärtig von Schreybereien wegen der Musterungen wie erdrückt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Daß das Museum in Weymar gelesen wird, freut mich. Wenn ich nur mit keinem Buchhändler zu thun hätte!
Der Meinige ist vollends ein Esel, der immer mit<page index="3"/>sprechen will. Ich hoffe immer mehr intereßante
Sachen zu liefern. Im May lesen Sie ja Lenardo und Blandine. Lic. Webers Beiträge sollten uns ganz willkommen seyn,
wenn ich an ihn zu kommen wüste. Vergeßen Sie Ihre Freunde nicht! <line type="empty"/>
Wenn Sie Zeit haben, schreiben Sie mir weitläufiger, u. mehr von sich u. Weymar. <line type="empty"/>
Der Ihrige <line type="empty"/>
B.</letterText>
<letterText letter="173">Weymar d. 30sten Aprill. 76. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Haben Sie doch die Güte bester Freund bey Hn. Hellwieg zu kontremandiren, daß er keine Exemplare der Vertheidigung
Wielanden zuschicke. Sie würden ihn nur beunruhigen und ich habe den Mann zu lieb, ihm nicht alles zu ersparen
was seine ruhige Dichterexistenz, die er gewiß verdient wenn sie ein Mensch auf der Welt verdienen kann, unterbrechen
könnte. Ich wünschte allen meinen Freunden daß sie diesen Mann kennen lernten, wie ich ihn nun kenne und ihn liebten
in dem Grade als ers werth ist, sie würden sich dabey sehr wohlbefinden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Vom Musäum sprechen wir nicht eher, als bis ich aus Ihrer Liebe und Güte die erbethene Liste von den Appointements
eines Hannöverischen Infanterie- und Cavallerie Regiments habe, woran mir alles gelegen ist. Ich befinde mich hier
so wohl daß mir meine Existenz halb wie ein angenehmer Traum vorkommt. Nichtsdestoweniger werd ich einen Monathen
aufs Land gehn um zu meinen Arbeiten wiederaufzuwachen. Ich umarme Sie nach viel Empfelungen an Hn. Leibarzt
Zimmermann als <line type="empty"/>
Ihr aufrichtigster Freund Lenz</letterText>
<letterText letter="174"><line tab="1"/>Ich sehe mich genöthigt französisch zu schreiben werde also nicht allein längere Zeit sondern
auch weniger Raum brauchen, da man französisch vieles kürzer sagen kann. Diese Umstände zusammengenommen nebst
dem was ich bei meinem Aufenthalt allhier der mir zur Musse nothwendig ist zusetze und durch meine Abwesenheit in
Strasburg einbüsse (wiewohl das letzte mir doch nicht bezahlt werden kann) möchten mich wohl nöthigen den Preiß für
den Bogen höherzusetzen. Wir werden darüber schon zurecht kommen, wie ich hoffe, der Tittel wird <aq>Sur les mariages
des Soldats</aq> <line type="empty"/>
Empfehle mich Ihrer ferneren Freundschaft. <line type="empty"/>
Weymar. D. 6ten May 1776 <line type="empty"/>
Lenz.</letterText>
<letterText letter="175">Am 8ten May Morgens 7 Uhr. <line type="empty"/>
Ich reite um Göthen zu sehen heute Morgen nach Ilmenau. <line type="empty"/>
Begleiten Sie mich Lieber Lenz bey dem schönen Wetter so wir haben dahin. <line type="empty"/>
Morgen oder Uebermorgen sind wir wieder zurück. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Sie Sich zu dieser Reise entschließen so schicken Sie mir Ihr Nacht Zeug und halten Sich um 9
Uhr gestiefelt, ich besorge Ihr Pferd und hole Sie ab. <line type="empty"/>
Der Ihrige <line type="empty"/>
Kalb.</letterText>
<letterText letter="176"><line tab="1"/>Daß Siemein Ausbleiben diesen Nachmittag nicht stuzig macht; noch einmal einen vergebnen Weg zu
unternehmen: so erfahren Sie hiedurch bester Freund daß ich nunmehr auf dem Garten-Hauß bin,
und Sie <ul>sehnlichst</ul> erwarte. <line type="empty"/>
Einsiedel <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<note>vertikal geschriebene, unleserlich gestrichene Zeile von Lenz Hand</note></letterText>
<letterText letter="177"><line tab="1"/>Meinen besten Dank, und könnt Ihnen an meinem Beyfal etwas liegen meinem ganzen Beyfal. Ich war
heut früh bey der Herzogin, sonst würden Sie es eher wieder erhalten haben <line type="empty"/>
G.</letterText>
<letterText letter="178"><align pos="right">Weymar d. 12ten May</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das letzte Wort das ich Ihnen sowohl als Ihrem Freund Hellwig dem ich dies zuzuschicken bitte über
die Wolken schreibe, ist, daß Sie, wenn nicht wie ichs verlange und wie mirs ist <ul>versprochen</ul> worden,
alle noch daseyende Exemplare verbrannt worden, niemand grösseren Schaden thun als <ul>sich selber.</ul> Zu
geschweigen daß <ul>bloß unter diesen Bedingungen</ul> Strephon der mir sonst unter 20 Louysd. nicht feil
gewesen wäre Ihnen überlassen worden ist, so erkenne ich weder die Wolken noch die Vertheidigung derselben
für meine Arbeit und nur <aq>mente captus</aq> könnte sie Goethen zuschreiben der in seinen gegenwärtigen
Verhältnissen sie verabscheuen würde wenn er sie sähe. Sie würden also nur dienen den <ul>Herausgeber </ul>
völlig zu <ul>dekreditiren</ul> der alles auf seine Hörner nehmen müßte und zwischen mir und ihm eine ewige und
unwiederherzustellende Entfernung zu veranlassen die mich nöthigte mich öffentlich als seinen Feind zu
erklären und alle meine Kräfte aufzubieten ihm in mehr als einer Rücksicht ein solches Verfahren reu zu
machen. Welches mir nicht schwer fallen soll <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Sie bekommen von nun an lieber Fr. eher keine Sylbe von mir als bis ich über die Wolken und ihre Vertheid.
völlig beruhigt von Ihnen bin. Wo sie ein Mensch zu sehen kriegt, so weiß ich was ich thue</sidenote></letterText>
<letterText letter="179"><align pos="right">An Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Du lieber Br. würdest mir höchlichst Unrecht thun, wenn Du mich zu einer Klaße von Menschen
rechnen wolltest, die so immer in den Tag hineindenken und handlen ohne sich durch sichtbarliche
Zeichen und Wunder eines anderen belehren zu lassen. d. i. Ich habe längst über gewisse Dinge
ganz anders gedacht und Dein Zettel aus Weimar trift mich nicht, so lieb er mir übrigens aus
Deinen freundlichen Händen und Andenken ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Wolk. warten auf Gelegenheit um <ul>wie Du verlangst</ul> nach Strasburg zu gehen. Im übrigen I. Br.
laß mich nicht lang schwazzen sondern <ul>traue</ul> mir! Sey ohne alle Sorgen wenn ich was <ul>sage</ul> so <dul>thu</dul>
ichs auch! Auch wäre es brav wenn Du schriebst wie Dirs sonst zu Sinn ist. Ob Du bleibst wo wir
glauben Und daß wir Dich also nicht nach Zürch bekommen, wo einige Deiner harrten, und Dich
wahrlich mit Liebe hoch gehoben hätten. Auch gut so! <line type="empty"/>
Schloßer war da und o Du warst<page index="2"/> auch mit dabey. Grüße Goethen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Deine <dul>flüchtige Aufsäzze</dul> sind längst verakkordiert und freylich weil der böse Feind überall
sein Spiel hat, noch nicht angefangen zu drucken. Habe doch Geduld. Wenns kommt ists auch noch
Zeit. Mann hat ja jezt erst einige Nouvellen von Dir wie ich höre aus Leipzig. Auf die Soldaten
freu ich mich. Das ist ein trefflich Sujet für meine arme Seele. Hast Du meine Gefühle <ul>über GIuk</ul>
gelesen? Gluk hat mich niedergedrückt und liegt schwer auf mir. Ich habe Hofnung zu einigen
ungedruckten Sachen von ihm aus Hermannsschlacht! Vielleicht komm ich ihm näher dem Herrlichen. <line type="empty"/>
12 Exemplar von den flüchtigen Aufs. an Dich! Wohin? wenn sie fertig sind. <line type="empty"/>
Fahre wohl. Einen andenkenden Blick zu weilen auf Deine Zürcher! <line type="empty"/>
<align pos="right">K.</align></letterText>
<letterText letter="180">So schreibt er <note>d. i. Lenz</note>, unter andern, ganz cavaliérement:<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Madame! Schicken Sie mir doch einige französische Chansons; ich wünschte mich in den
Abendstunden damit zu delassiren.
</letterText>
<letterText letter="181"><line tab="1"/>Wenn Du die himmliche Freude u: Blüthe dieses Gesichts mit Farben in die Phy: übertragen kannst, so
will ich Dir gern beyde noch lange laßen, aber das erste muß ich einmal wiederhaben oder ich endige schröklich,
meine Vorsäzte sind hierinn ganz kaltblütig u: m: Entschluß unveränderlich. Aber welchen Künstler wirst Du mit diesem
Gesicht beschäftigen? Wenn Du den Schlüßel zu allen den Zügen hättest! Ach wo ist die Meisterhand u: ein ganz
himmelheitrer Augenblik für Dein Urtheil Du verstehst mich, alles was Erziehung, glükliche Umstände von außen u:
eigenthümliches Genie vereingen konnten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nur daß ich das Bild wieder habe u: bald Was wirst Du darüber sagen! Kann ichs Voraus wißen u: insgeheime?
Lieber mein Leben, tausend Leben, als das Bild. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nim mir mein Geschwärm nicht übel, Du bist auf der Welt der Einzige gegen den ich so schwärmen darf. Und doch
bin ich des in mich Hineinschließens an den Leuten hier so gewohnt, daß ich selbst gegen Dich <line type="empty"/>
Wo Du aber gegen sie von alledem was merken läßest, bist Du nie mein Freund gewesen.</letterText>
<letterText letter="182">Hannover. Den 19ten May. 76. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich war im Begriff Ihnen zu schreiben, und Ihnen das zu schicken, worum Sie mich gebethen hatten,
als ich Ihren Brief vom 12ten erhielt. Diesen Brief von <ul>Ihnen an mich!</ul> wo mir was in meinem Leben
unerwartet gewesen ist, so wars dieser Brief. Ich habe gewartet, bis ich kalt geworden bin, und
will Ihnen nun auch von meiner Seite das lezte Wort in dieser Sache sagen, die mir wahrlich! von
Anfang an keine Freude gemacht hat. Was hab ich davon gehabt? Mühe, Kosten, Verdruß, Plackerey! Und
warum? Weil ich Sie schätzte, Sie liebte! Es war Uebereilung von mir, von Einer Seite nicht zu
verzeihende Uebereilung, daß ich mich mit den W. einließ. Hernach hab ich mir nichts mehr vorzuwerfen.
Wenn Sie in irgend einem Vorfall Ihres Lebens einen treuern, wärmern, uneigennützigem Freund finden,
so wünsch ich Ihnen Glück. Mich hat mein Herz wieder zu weit geführt. Ich wills künftig fester halten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein Freund Helwing, wenn Sie wollen (aber nur durch Sie mein Freund! denn vorher kannt ich ihn nicht)
ist ein ehrlicher Mann, und Sie haben von seiner Seite nichts zu befürchten, obgleich die gedruckten
Exemplare der W. noch nicht in meinen<page index="2"/> Händen, und folglich noch nicht verbrannt sind. H. ist
ein wohlhabender Mann, der um eines kleinen Vortheils willen, sein Wort nicht brechen wird; dabey bin
ich ganz ruhig. Hier sind alle seine Briefe. Wenn ich vorausgesehen hätte, was nun geschieht, so hätt
ich auch Abschriften von den Meinigen genommen, und sie ohne ein Wort weiter beygelegt. Bey kältern
Blute würden Sie sich allein daraus Ihres Verdachts geschämt haben. Ich hab Ihnen längst geschrieben,
daß er G. für den V. hielt, aber Sie haben nie darauf geantwortet. Daß G. im Meßkatalogus als V. der
Comedie genannt ist, hat mich wie Sie bestürzt und geärgert. Wenn ich nicht endlich Sie ihm genannt
hätte, hätte H. ihn auch auf dem Titel als Verfasser genannt. Ich hatte H. geschrieben, mir die
Exemplare der W. vor der Meße hieher zu schicken. Er war abgereist, eh ichs wuste, u. wir müßen nun
warten bis er von der Messe zurück kommt. Da soll er sie mir gleich schicken, und sie sollen unter
meinen u. Z.s Augen verbrannt werden, ohne daß Ein Exemplar übrig bleibe. <page index="3"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe mich wohl gehütet, H. Ihren Brief zu schicken, da er noch das Schwert in Händen hat. Er möchte
nicht so kalt seyn können als ich. Daß ich nicht mehr von ihm habe bekommen können, ist mir leyd genug.
Aber kann ich die Buchhändler uneigennüziger machen? Ich habe versprochen, daß ich mehr zu erhalten
suchen würde, wenn ich ihn hier sähe, und das Versprechen halt ich, wie das erste, daß ich nicht eher
ruhen will, als bis die Exemplare verbrannt sind, die Sache mag eine Wendung nehmen, welche sie will.
Sie können mich sogar angreifen, wenn Sie wollen, und deßwegen soll doch keiner durch mich die W. zu
sehen bekommen, wie sie keiner gesehn hat, als Z. der vorher davon wuste. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre Drohungen will ich vergeßen. Es schmerzt mich nur, daß <ul>Sie</ul> sie gegen mich brauchen <ul>konnten.</ul>
Ich habe keinen litterarischen Ruhm zu verlieren; also bin ich gleichgültig dabey. Das Bewustseyn
als ein ehrlicher Mann gehandelt zu haben, können Sie nicht, kann mir keiner rauben. <line type="empty"/>
<align pos="center">Boie</align></letterText>
<letterText letter="183"><line tab="1"/>Wenn Sie lieber Freund! die <ul>Algierer</ul> noch nicht weggegeben haben, so wollt ich Ihnen unmaßgeblich
rathen sie Herrn Bode anzuvertrauen, der sie der Schröderschen Gesellschaft in Hamburg zu spielen
giebt (die Ihnen gewiß reichlicher zahlen wird als keine andere) und sie sodann auch dort kann
drucken lassen, woran mir am meisten gelegen da ich keine Abschrift davon habe und sie doch
wieder einmal lesen möchte. <line type="empty"/>
Meinen Empfehl der Demoiselle Schwester. <line type="empty"/>
Weymar d. 20sten May 1776. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Ich hoffe daß Bodens Bekanntschaft Sie so freuen wird als sie uns Freude gemacht hat <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Archivarius <ul>Gotter</ul><line type="break"/>
in Gotha.</letterText>
<letterText letter="184"><line tab="1"/>Liebster Bruder. Was denkst Du über mein Zögern? Es konnte aber alles auch Deinetwegen nicht eher
geschehen, und wann ich den Pack von Zürich abwarten wollte so könnt ich so wenig den <del>diesen</del>
<insertion pos="top">hiesigen</insertion> Pack abschicken und der erstere in dem unter andem auch die Siena eingepackt ist, würde
auch noch hier seyn vor ongefähr 4 Wochen that ich ihn auf den Wagen. Hastu ihn dann noch nicht
erhalten, schreib mirs doch. Den Pack von Zürich soll ich erhalten haben wie Du mir schreibst
daß Dir Lavater gesagt hätte, und ich habe keinen Staub davon gesehen. Hat ihn etwa der unstäte
Kaufmann mit gekriegt der von Winterthur nach Strasburg abreiste und nach seiner Manier eher
noch einmal nach Zürich zurück kommt. Sobald ich den Pack bekomme, soll ich ihn unerbrochen Dir
zuschicken, unerbrochen? und soll doch 2 Exemplare an <aq>Mslle König</aq> und 1 an <aq>Mslle Schoell</aq> und so
fort abgeben? ich muß Deinen letzten Willen gelten machen, und mich auf Deinen Glauben an meine
<ul>religiöse</ul> Verschwiegenheit verlassen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Theuerster Bruder ich schwöre Dir bey dem einzigen Gran von gutem Herzen den Du bey mir vermuthest
daß ich nicht spasse mit dem ersten April O Lenz wie kannstu das von mir glauben? Warlich warlich
mit all Deiner großen Menschenkenntnis Du kennst mich kaum halb wann Du so was wähnen kannst, aber
ach theure liebe Seele wer kann Dir auch das zumuthen zu glauben, laß mich mit Dir weinen mit Dir
ach verstummen. Kennstu beyliegende Silhouette wovon an Lavater auch eines abgeschickt wurde,
<del>und</del> ich hab den Schattenriß selbst genommen und ihn ins kleine gebracht, und mich aufs sorgfältigste
dabey bemüht. wie gesagt es war am ersten April in der neuen Kirche mittags um 12 Uhr. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die gnädige Frau hat wirklich das bewußte Portrait selbst gemalt aber Sie sagt es sey nach Potsdam
und nicht nach Weymar geschickt worden. Diese Woche wird sie nach Bußweiler abreisen mit dem gnädigen
Herrn und von da auf ihre Güther und so den ganzen Sommer über nicht zu Strasburg seyn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lenz Lenz von der Vocation ins Philanthropin sag ich kein Wort, aber warum nimmst Du die zu Weimar
nicht an? Warum? gieb Acht wo die Ursache her kommt und wo sie hin führt. Lenz mein theuerster, Liebster
sey Lenz und vergieb meiner Liebe zu Dir, ich sage kein Wort mehr hievon, bin kein Redner für Dich.
Freilich sollst Du wieder einmal herkommen und ohn den Gedanken wäre mir Deine Entfernung sehr hart,
aber fixiren kannstu Dich hier wohl schwerlich. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Viel politische Neuigkeiten kann ich Dir wirklich noch keine von hier melden. Von Krieg wird nicht gesprochen,
der Hof ist noch immer zu viel mit sich selbst beschäftigt und scheint alle auswärtigen Angelegenheiten von
sich ablehnen zu wollen. <aq>Mr. Turgot</aq> hat seine Dimission bekommen, vermuthlich daß er sich durch verschiedene
Edicte viel Hasser gemacht denen seine ökonomischen Projekte (die an den meisten Orten bis zur Ausführung
reif waren) für ihre besondere Ökonomie nicht anständig waren. Der König selbst soll, wie man mich
zuverlässig versichert hat, sein letztes <aq>Lit de justice</aq> bereuen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Beym Franzosen bin ich gewesen und hab die Interessen mit 24 Sous besorgt, so bald es sein kann will ich der
Relation ein Ende machen, seh aber noch nicht wann. <line type="empty"/>
<tabs><!-- Bezieht sich die Tabelle auf die Auflistung mitsamt dem Abschluss der Rechnung? -->
Unsere Besatzung. 1 Regiment schwere <aq>Kavalerie</aq> von 350 Mann.<!-- Welche Formatierung kann für die folgenden Zeilen gewählt werden? -->
1 Dragoner<line type="break"/>
1 Regiment Schweitzer-Salis<line type="break"/>
Elsaß<line type="break"/>
Anhalt<line type="break"/>
Quercy<line type="break"/>
Lyonnais in der Zitadelle<line type="break"/>
350 Mann<line type="break"/>
350 Mann<line type="break"/>
1032<line type="break"/>
1032<line type="break"/>
1032<line type="break"/>
1000<line type="break"/>
1000<line type="empty"/>
Das Artillerie-Corps nicht mitgerechnet #5796. <aq>Verte</aq></tabs> <line type="empty"/>
<note>am linken Rand, vertikal Berechnungen von Lenz Hand</note><!-- Die Berechnungen von Lenz sind hier nicht abgebildet -->
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Zu Flies werd ich nächstens gehen. Worinn besteht das Schletweinische Ursystem? ists theologisch? hier
wird nichts Neues von der Art eingeführt, den Theologen hier ist die Ruhe lieb und zu dem verstehn sie
das alte System noch lange nicht genug, ich denke sie würdens alsdann noch eifriger beibehalten wann sies
nach seiner ganzen Spinnigkeit kennten. ists politisch? bestehts in neuen Exercitien? so kann ich Dir sagen
daß die Sache nicht interessant seyn kann, denn es wird bald wieder ein Ende haben, sobald eines erlernt
ist kommt immer wieder ein neues auf. ists ökonomisch? bestehts in der Vertheilung der Almenplätze und
in der Bearbeitung derselben zum Ackerbau, so kann ich Dir sagen daß man hier fast alletage fortfährt dieselben
zu versteigern. Unser Magistrat hatte bei jedem Viertel Frucht das in die Stadt kam ein gewisses Stück
Geld abzufordern das jährlich ein Einkommen von 4050000 Gulden ausmachte und da nun dies auf Königsbefehl
wegfällt, so suchen sie sich durch Versteigerung der almen Plätze Ersatz. Wie sich alles das bey der Veränderung
des Herrn <aq>Turgot</aq> entwickeln werde? mag Zeit lehren. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das Geld für die Brief Porto bey Schönfeld ist 6 l. Er grüßt Dich. Türkheim, Blessig grüssen Dich und von
allen Orten her habe ich Grüsse an Dich. Das Monument ist zum Theil schon angekommen, die Pyramide steht
schon aufgerichtet in einer Mauer <aq>á vue perdue</aq> beydes in schwarzem Marmor, die Statuen aber werden noch erwartet.
Unsere Esel von Dumherrn machen immer Difficultäten, sonst wäre Pikal schon längst hier und eher werden die
Statuen nicht kommen. Der Graf von Artois soll freilich auch herkommen aber bey gegenwärtiger Hofunruhe solls
noch ungewiß seyn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das 2te und 1te Stockwerk des Lauthischen Hauses hat Freunde wahre Freunde von Dir die Dich grüßen, im 2ten
hören sie das Ablehnen Deiner Vokation zu W nicht gern, im ersten wissen sie nichts davon und sind ruhig.
Sie grüßen Dich beyde recht herzlich. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Laß Dich erbitten mir Verzeichnisse von Deinen und Herrn D.Göthens neuen Stücken zu schicken. Claudine?
Von wo muß mans kommen lassen? Dein Engländer? Was ist das? wer verlegts? Ist <aq>Dr.</aq> Faust fertig gedruckt? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wegen den Bauren auf dem Land muß ich erst noch nachfragen. Den Guibert hab ich empfangen, ich glaubte er
sey im Getümmel von Schlachten herum getragen worden doch habe ich ihn dermaßen zurecht legen· und ausheilen
lassen daß man ihm nicht einmal die Wunde ansah die er vom Leser bekam und der Hr. Pr. Koch machte gar ein
freundliches Gesicht als er ihn sah und Deinen Brief bekam und läßt Dir ein höflich Compliment sagen. <line type="empty"/>
<note>am linken Rand, vertikal Berechnungen von Lenz Hand</note><!-- Die Berechnungen von Lenz sind hier nicht abgebildet -->
<line tab="1"/>Die Veränderung die man mit den Regimentern vornehmen wird. Jedes wird aus zwey Bataillons bestehen. Das erste
Bataillon kriegt 5 Compagnien. Jede zu 160 Mann gerechnet, <page index="3"/>davon eine Compagnie aus Grenadirs besteht,
die 4 andern aus Gemeinen. Das zweite Bat. hat statt Grenad. eine Comp. Jäger. Dann kommt noch eine <aq>Compagnie
auxiliaire</aq> zu jedem Regiment, diese eilfte besteht aus <aq>Recrues</aq> die unter dem Kommando von 6 Officiers exerciert
werden und allemal die abgehenden Leute ersetzen. Aus Ursach dessen ist auch die Land Milize abgeschafft worden.
Jede Compagnie hat 2 Capitaine und 4 Officiere. Auch wird der jährliche Sold der Officiere vermehrt so daß statt
500 l. die ein gemeiner Officier jährlich bekam er 700 bekömmt. Jedes Regiment wird also um 600 Mann ungefähr
verstärkt, dann 160 Mann in der Comp. X 11 = 1760 Mann und itzt hat ein Regiment ongefähr 1000 bis 1200 Mann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin beym H v Flies gewesen traf ihn nicht an, morgen. Hr v. Kleist sagt Dir ein Kompliment ich komm itzt.
täglich zu ihm. Zimmermann grüßt Dich, dankt Dir herzlich für den Brief, bittet um Frist zu antworten, hatte das
Fieber und eine <aq>recidive</aq>. liegt noch! und ich kann ihn kaum besuchen. Alle Schweizer grüßen Dich auch. Hafner
grüßt Dich auch, predigt itzt zuweilen, aber nur französisch, sehr fließend über MoraJen <aq>sur la charité, sur la
médisance</aq> Völlig im französischen Geist. Man hört ihm seine Lektür und die Wendung die <aq>polie</aq> die sie seinem Geist
gab an. Was willstu für Akten? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Iris wie Du itzt wissen mußt hat Hr Spener zu Berlin in Verlag genommen und sein Comissionair in Strasburg
ist Bauer &amp; Treitel. Kann also nichts mit machen, nicht Dir zeigen daß Du nicht schreiben sollst <ul>„was du draus
hebst nimmst du zu erst für dich, denn</ul> etc“ Lenz laß mich machen so lang ich machen kann <line type="empty"/>
<page index="3"/> <!-- Die dritte Seite taucht hier ein zweites Mal auf. Soll hier fortlaufend mit der vierten Seite weitergezählt werden? -->
<line tab="1"/>Wohl bekomm Dir Dein <aq>Bucephalus!</aq> Bücher schick ich Dir keine, der Porto kommt Dich höher als sie werth sind.
Shakespear und mein Homer sind hier geblieben, ich hab dem Hr. Schlosser geschrieben daß er sie haben kann,
ich warte auf Antwort. Er ist aber zu Anfang des Monds nach Helvetien gereist. Die Frau Hofräthin ist allein,
vielleicht komm ich hin ich werd ohn das in die Gegend kommen. Wenns möglich ist so abonire mich für den
Merkur auf dies Jahr. Hier ist alles voll Sehnsucht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hastu Lenz die Verse gelesen die Lavater der Frau von Oberkirch auf ihre Copulation geschickt hat ohne
Unterschrift des Namens, die sind herrlich ich will suchen eine Copie davon zu kriegen. Sie sagte sie könnten
nicht an sie adresirt seyn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hastu mit dem Pack von hier nicht auch meine ersten demosthenischen Bögen erhalten, mache damit wie Du vor gut
findest nur sage mir was draus wird, findets An und Aufnahme im Merkur oder Musäum so fahr ich fort. Mit der
Zeit etwa eine Parallel zwischen Demosthenes und Isokrates, und von da eine Provinzialschrift für Prediger wo
ich viel auf dem Herzen habe das alles kann aber nicht miteinander ziehen, man mögte das letzte sonst gar nicht
fassen oder tragen können. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Liebster Bruder noch Nachrichten die ich Dir sagen will von der gnädigen Frau. Gleich nach der Hochzeit wurde
sie auf ein paar Tage krank und bekam die Rötheln. Sie giengen drauf mit dem Herrn (der stark in den 40 ist, nicht
besonders kultivirt, ihren großen Werth kaum ahnden kann, keine Lektur goutirt, sehr eigennützig seyn soll wie er
dann dieß vom alten Herrn Vater geerbt hat doch soll er Ihr sehr attachirt seyn und schon bei 7 Jahren wie man
sagt immer Reflection auf sie gemacht haben sie ist von den reichsten adelichen Familien) nach ihren Güthern, von
da kamen sie wieder in die Stadt, blieben einige Wochen bis diese hier, wo ich sie alle Sonntage in der Neuen Kirche
sah und mich an ihrer Devotion erbaute. Vor ein paar Tagen empfieng ich von Mslle König der ich gesagt hatte daß ich
mit Silhouetten umgehen könnte ein Billett, wo sie mich ersucht Lavatern und Dir zu Gefallen das Profil von einer
Freundin zu nehmen welche beyder Verdienste sehr hoch schätzte, ich kam den Tag drauf auf bestimmte Zeit hin s war
Sonnabend nach der Auffahrtsfeier zwischen 9 u. 10 Uhr morgens, Sie führte mich zur Gnädigen Frau die mich als Deinen
Freund sehr gnädig aufnahm und in einem Zimmer wo man alle<page index="4"/> einbrechenden Schimmer des Tags verstecken konnte
machte ich den Schattenriß. Der Herr war um die Zeit an dem Rathauß dann er soll nichts davon wissen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe seit Deiner Abreise einige mal gepredigt und am letzten Himmelfahrtfest vor einer großen Versammlung,
es gieng mir Gott sey Dank allemal gut, ich hatte nie die geringste Schüchternheit, u. schämte mich daß mir jemals
für der Sache bang war, auch ist mir mein Gedächtnis getreu und nirgends habe ich mehr Lebhaftigkeit und
Entgegenwallung des Herzens als auf der Kantzel. Das letzte macht mich oft mit allem Vorsatz extemporiren und dann
komm ich immer mit <aq>présence desprit</aq> wieder aufs Conzept zurück. Ich glaub itzt mehr als jemals daß die Kanzeln nicht
umsonst gebaut wurden und sie wichtige Bestimmung für den sind der sie würdig betritt, ich hoffe mit der Zeit unter
die gezählt zu werden. Lebe wohl lieber Bruder! Gott tröste Dich! sey mit ihm Lenz wie er gewiß mit Dir ist mein lieber
leidender Heiliger. Vergibe mir wann ich was sagte das in diesem Brief Dir widrigen Eindruck machen sollte entweder
weils Misverstand wäre oder ich Deine <aq>Delicatesse</aq> nicht genug geschont haben sollte, ich schrieb in großer Unordnung,
wie ich eine Seite Deiner lieben Briefe nach der andern wie sie mir vorfielen beantwortete. Vergieb das lange Zaudern
und Zögern, wann ich Dich nicht kennte so würde ich glauben, daß deswegen ein fulminanter Brief auf dem Weg sey, aber
liebe mich und glaube daß ich nicht sowohl Deine Freundschaft zu verdienen mit bestem Vermögen strebe als vielmehr
meiner eigenen Liebe zu Dir Satisfaction zu geben bemüht bin Dein alter Röderer. <ul>Strasb. d. 23 May 1776.</ul><!-- Ist der Zeilenumbruch der Transkription zu übernehmen? --> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Den Pack den ich Dir senden werde wird erst über 8 Tage von hier abgehen können, es mag alsdann das Paket aus der
Schweitz da seyn oder nicht. <line type="empty"/>
Meine Hochachtung an H <aq>Dr.</aq> Göthe und wann Du mich nennen magst an Herrn Hofr: Wieland. <line type="empty"/>
<hand ref="1">
<line tab="5"/>Quisqui ubique habitat
<line tab="5"/>Maxime nusquam habitat</hand> <line type="empty"/>
<hand ref="1"><pe><sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal Notate mit Bleistift von Lenz Hand"><!-- Wichtig hier keine Verse -->
schändliche kalte Tugend die uns<line type="break"/>
zwingt Aufopferungen gegen einen Freund<line type="break"/>
zu machen den wir hernach dafür nicht<line type="break"/>
lieben könnten.</sidenote></pe> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Schicksal des<line type="break"/>
Guten<line type="break"/>
Einer der alles hingiebt zuletzt das Leben und nichts thut weil er<line type="break"/>
nicht das Herz hat<line type="break"/>
eines <nr> </nr> X stumm der<line type="break"/>
Weg zum <ul>Vater.</ul></hand> <line type="empty"/><!-- Wie viele Freizeilen können hier ausgezeichnet werden? -->
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<page index="4"/> <!-- Die Seitenzahl 4 erscheint hier zum zweiten Mal --><!-- Wichtig: Seitenzahlen fortlaufend nummerieren -->
<hand ref="1">
<line tab="5"/>hat sie mich davon vorher warnen lassen <insertion pos="top">durch ihn</insertion>
<line tab="5"/>und ich suchte das nicht zu hindern
<line tab="5"/>nur wenn alles gethan ist den letzten Genuß
<line tab="5"/>um ihr sagen daß ich sie erwarte <line type="empty"/></hand>
<note>Röderers Hand</note><hand ref="11"> <!-- Ist es hier sinnvoll den Wechsel der Hand über <hand> auszuzeichnen? -->
<note>Adresse</note><line type="break"/>
An Herrn <aq>Lentz</aq><line type="break"/>
bey Herrn <aq>Doctor Goethe</aq><line type="break"/>
zu Weimar.</hand> <line type="empty"/>
<hand ref="1">
Gusne<line type="break"/>
Joka<line type="break"/>
J <line type="empty"/>
Sobald <ul>meinen Platz ein anderer</ul><line type="break"/><!-- Handelt es sich hier um Verse? -->
Ausfüllen kann, warum ihn nicht verlassen?<line type="break"/>
Sobald also dies gethan ist geh ich. Es ist Gott der mich ruft.<line type="break"/>
Im Frieden ist auch im Mil. nichts zu thun für mich.
1 Schnuptuch<line type="break"/>
2 Hemden<line type="break"/>
3 p. Strümpfe<line type="break"/>
3 Binden <line type="empty"/>
<note>zwei Profilskizzen</note></hand></letterText>
<letterText letter="185"><!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="186"><line tab="1"/>Hier ist Lindaus Schwanengesang, den er sehr gern an Washington oder D. Franklin möchte gelangen
lassen. Wie ist mir selber unbegreiflich. Vielleicht wissen Sie Auswege. Den Colonisten kann ein solch
Produckt nicht anders als lieb seyn. Und Sie mein Freund, sind Freund der Freyheit nur daß es nicht
in unrechte Hände falle. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Bode geht eben durch nach Frank<del>reich</del>furt und weiter. Herder und Stolberg sind noch nicht da, letzter wird
den Sommer noch bey seinen Schwestern zubringen. <line type="empty"/>
<note>Entwurf zu Catharina von Siena auf der Rückseite</note><!-- Handelt es sich hier um Verse? -->
<line tab="5"/>Bey einer alten Tante auf dem Lande
<line tab="5"/>Wo ich gehorsam mit Geduld und Tränen
<line tab="5"/>Und meinem Väterlichen Erb bezalen mußte
<line tab="5"/>Das sie verwaltete, wo keine Lust
<line tab="5"/>Auch nicht in Bäum und Blumen für mich blühte
<line tab="5"/>Weil überall mich Furcht begleitete.
<line tab="5"/>Und meine Seele die sich unaussprechlich
<line tab="5"/>Nach Menschen sehnte, nur von Heiligen
<line tab="5"/>Umgeben war die meine Schritte zählten
<line tab="5"/>Und Worte und Gebehrden folterten.
<line tab="5"/>Da kam er hin da sah da liebt er mich
<line tab="5"/>Da hatt ich auf der Stell nur ihn nur ihn
<line tab="5"/>Ach wie viel Freuden hat er mir gemacht
<line tab="5"/>Und wie viel Leid, wie fühlt ich mich so anders
<line tab="5"/>So groß so herrlich da, so wohl so göttlich,
<line tab="5"/>Daß unter meinen Füssen oft die Erde
<line tab="5"/>Zu sinken schien, wo ich an seinem Arm hing
<line tab="5"/>Und ich wie unter Stromen schwebte. Alles
<line tab="5"/>Vor und um meinetwillen da, der Wald, die Wiese
<line tab="5"/>Auf die ich mich ehmals kaum zu treten traute
<line tab="5"/>War nur für mich geschaffen und die Blumen
<line tab="5"/><insertion pos="top">Bey</insertion> <!-- Handelt es sich hier um eine weitere Einfügung? --><insertion pos="top"><del><nr> </nr></del></insertion> denen ich wie vor dem Herrn vom Hause
<line tab="5"/>Sonst ehrfurchtsvoll vorbey schlich schienen nun
<line tab="5"/>Nur drauf zu harren <insertion pos="top">daß mein <del><nr> </nr></del></insertion> <del><nr> </nr></del> <insertion pos="bottom">daß mein Fuß sie knickten</insertion>
<line tab="5"/><del><nr> </nr></del> <del>wie <del><nr> </nr></del> theilt ich ihr Schicksal</del> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
Dafür theil ich ihr Schicksal itzt.</sidenote></letterText>
<letterText letter="187"><align pos="center"><ul>Leipzig, den 26. May 1776.</ul></align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der Mann, durch welchen Sie diesen Brief eigenhändig, oder durch Uebersendung erhalten, bürgt mir
für Ihre gute Aufnahme. Göthe ist mir sehr lieb, und dazu mein Freund; daß Ers von Ihnen, u. Sies von
ihm sind, weis ich auch: allso mache ich auch auf Ihre Freundschaft Anspruch, und diese hoffe ich,
werden Sie mir nicht versagen. Unser lieber Göthe mag Ihnen sagen, ws an meinem Herzen sit; auf diesen
berufe ich mich, denn er hat mich doch ein wenig kennen lernen. Ich wünschte persönlich mit Ihnen
Freundschaft errichten zu können; dann glaub ich sollten Sie mein Freund noch leichter werden. Bürger
ists auch geworden, und das muß ein eben so vortreflicher Mann von Herzen, wie von Genie seyn. <page index="2"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Zugleich bin ich so frey, Sie um etwas zu bitten, aber Sie dürfen nicht glauben, daß ich dieser Bitte wegen,
Ihre Freundschaft wünsche. Ob Ihnen einige kleine u. grosse Produkte meiner Arbeit zu Gesicht gekommen,
thut nichts zur Sache; aber ich gebe gegenwärtig eine Art von periodischer Schrift heraus, die weder in
Absicht der Theile noch der Zeit, gewisse Bestimmung hat; soviel kann ich Ihnen sagen, daß ich sie wenigstns
so gut zu machen suchen werde, als möglich. Bürger schickt mir etwas zu, und unsern theuren Göthen hab ich
auch drum gebeten. Nun hätte ich freylich auch gern etwas von Ihnen, es sey was es wolle Wollten Sie mir wol
was schicken? Aber lieb wäre mirs, wenn ich noch etwas zum dem 1. Theil haben könnte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich halte Sie für gut, drum wünsche ich Ihre Freundschaft; und ob ich sie in diesem Falle verdiene, darum
fragen Sie Göthen. Empfehlen Sie mich doch allen Ihren Freunden, und werden Sie vorzüglich der Meinige. <line type="empty"/>
Magister Becker,<line type="break"/>
wohnhaft im Schloßgarten bey <aq>Madame Blanchard.</aq> <line type="empty"/>
Vergeßen Sie mir Ihre <aq>Adresse</aq> nicht.</letterText>
<letterText letter="188"><line tab="1"/>Wie es zugeht lieber Lavater! daß ich das bewußte Bild noch nicht erhalte, da Du es doch Rödern für
mich zugeschickt haben willst, begreiffe ich nicht, macht mir aber viele Herzensquaal. Das einzige
worinn ich auf der Welt (ausser eurer Freundschaft) einen Werth setze, das einzige das mich in einer
selbstgewählten Einsamkeit von der ganzen Weit vergessen, erhalten sollte, zum Besten manches guten Menschen
erhalten soll ich denn durchaus auf äusserste gebracht seyn. Ich verlange nichts, fodere nichts als
einen Schatten einen Schatten der mich allein an diese Welt binden kann die mich in allen meinen
Verhältnissen peinigt. Ich will nicht müssig gehen in meiner Einöde, aber ich muß etwas haben das meine
Kräfte aufrecht erhält, das mich dem grossen Ziel entgegenspornt um des willen ich nur noch lebe. Ich weiß
sehr wohl daß dies <ul>Schatten,</ul> daß es ein Traum, daß es Betrug ist, aber laß wenn es nur seine Wirkung
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">thut.</sidenote> Und wenn die vorher bestimmten Schläge durch die unsichtbaren Mächte die mich
brauchen <insertion pos="top">wollen</insertion>, geschehen sind: was ist darnach an dem Instrument gelegen! <ul>Das vermuthlich zum
Unglück bestimmt war.</ul><line type="break"/>
Wende um <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Ich habe Deinen 2ten Teil Physiognomik nur flüchtig mit dem Herzog durchlauffen können, ihn bey manchen Stellen
aufmerksam gemacht, ihm vorgelesen und mich gefreut. Sobald ich Ruhe finde geh ich es mit geweyhter Seele durch,
jetzt bin ich auch selbst dazu unfähig. Du bist der Einzige dem ich diese Art meiner Existenz klagen kann, und
nicht einmal darinn finde ich Trost. Eine gänzliche Taubheit meiner Nerven, die nur wenn ich arbeite, mich alle
Stacheln des Schmerzens fühlen lassen. Sage mir ein Wort insbesondere, das wird wohlthun: aber um alles in der
Welt schone mich nicht. Das macht bey mir alles nur schlimmer. Ich bin auf den Punkt verschwiegener unangenehmer
Nachrichten scharfsichtiger als Du glaubst. Wahrheit ist immer der einzige Trost <insertion pos="top">für mich</insertion> gewesen. <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Wie ich itzt so klein so schwach gegen ehemals mich fühle. Gieb mir mehr <insertion pos="top">wirkliche</insertion> Schmerzen damit mich die
imaginairen nicht unterkriegen. O Schmerzen Schmerzen Mann Gottes, nicht Trost ist mein Bedürfniß. Diese Taubheit
allein kann ich nicht ertragen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Du bist in Carlsruhe gewesen, wie mir Herr von Edelsheim, Minister am dortigen Hofe, der die Trauerpost von der
russischen Großfürstin Tode hieher brachte, erzählt hat. Wie hat dirs dort gefallen? Und solltest Du nicht den Weg
über Strasb. genommen haben? Und solltest Du niemand dort gesehen und gesprochen haben? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Bode ist eben von hier abgereist der Uebersetzer von Tristram Schandy. Goethens Erwin ist mit der Musik von der
Herzogin Mutter Ietzt hier aufgeführt worden. Frage doch Kaysern ob er mich ganz vergessen hat? Hier warten soviele
auf das Familiengemählde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie wir mit WieI. stehen, soll das Publikum nächstens öffentlich erfahren. Wie wärs, wenn er frömmer wäre als wir
alle? Ein wunderbarer Mann, dessen Erkenntniß mir hier sehr wohlthut. Im Musäum (doch sags ihm nicht) laß ich bald
etwas über ihn einrücken. Ich bin ihm sehr gut und seiner Frau u. Kindern. <line type="empty"/>
L. <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <dul>JC. Lavater</dul><line type="break"/>
Pfarrer am Waysenhause<line type="break"/>
zu <ul>Zürich</ul></letterText>
<letterText letter="189"><line tab="1"/>Hier mein treflicher Freund und Gönner die gedruckte Kopey eines Gedichts das der von Seiten seines
Herzens wahrhaftig liebenswürdige Lindau kurz vor seinem Abmarsch nach Amerika (der nun
würklich erfolgt ist) gemacht hat. Er äusserte in seinem letzten Briefe den Wunsch oder
vielmehr er beschwur uns, wenn wir mittelbar oder unmittelbar eimgen Zusammenhang mit Amerika
hätten, es dahin an den <aq>D. Franklin</aq> oder General <aq>Washington</aq> kommen zu lassen und ihnen zugleich
einige Personalien von dem Verfasser zu melden. Wir wissen uns (Wieland, Goethe und ich) bey dieser
Foderung an niemand zu wenden, als an Sie mein Theurester und da Sie die Sache der Freiheit
auch unter allen Verhältnissen lieben, so glaube ich wenn Sie es füglich thun können, werden Sie
auch diesen letzten Willen des treflichsten aller Don Quichotte vollziehen helfen, da in der
That wie ich glaube den Kolonieen eine Erscheinung dieser Art nicht anders als willkommen und
aufmunternd seyn kann. Und man überhaupt nicht weiß was ein ausgeworfener Saamenstaub für gute
Folgen haben kann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe auf Ihren nur gar zu gegriindeten Rath an Hellwieg durch unsern Freund Boje geschrieben
(dem ich mich gütigst sehr zu empfehlen und ihm für die Mittheilung der Komödien und seines
Freunds Matthei und der Herren von Holzschuh zu danken bitte) und mir die Bekanntmachung der Wolken
sowohl als ihrer Vertheidigung sehr ernsthaft verbeten, hoffe auch daß dieser gute Mann <insertion pos="top">Hellwieg</insertion>
Wort zu halten nicht für eine Sache halten wird, der ein Mensch auf der Welt sich überheben könne,
besonders, sobald er handelt und in Verhältnissen steht. Zudem habe in der Vertheidigung Druckfehler
gefunden die dem ganzen Dinge ein schiefes und häßliches Ansehen geben, <ul>gefühllos</ul> anstatt <ul>gefühlig,</ul>
gewiß ich müßte selbst gefühllos sein, wenn ich die Bekanntmachung einer so nachteiligen Vertheidigung
W. ertragen könnte. Statt N ist I und andere dergleichen Späsgen die mir den ganzen Zweck der Schrift
verderben, die überhaupt bey unsrer gegenwärtigen Lage wenig Wirkung thun wird. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich arbeite jetzt an einem Werk über die Soldatenehen das ich wohl französisch schreiben und die
Reise werde nach Paris machen lassen. Ein Gegenstand den ich schon bey drey Jahren in meinem Kopf
herumgewelzt. Bitte sehr unsern Freund Boje mir das Versprochene zukommen zu lassen. Er wird vielleicht
von Schlossern etwas von mir in sein Musäum erhalten, das hier am Hofe viel Sensation gemacht hat. Wieland
Goethe und ich leben in einer seeligen Gemeinschaft, erstere beyde Morgens in ihren Gärten, ich auf der
Wiese wo die Soldaten exerziren, nachmittags treffen wir uns oben beym Herzog, der mit einer auserlesenen
Gesellschaft guter Leute an seinem Hofe die alle (so wie auch wir) eine besondere Art Kleidung tragen und
er die <ul>Weltgeister</ul> nennt seine meisten und angenehmsten Abende zubringt. Goethe ist unser Hauptmann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich werde wohl bald den gar zu reitzenden Hof verlassen und in eine Einsiedeley hier herum gehen meine
Arbeit zu Stande zu bringen, zu der ich hier nur Kräfte sammle. Sodann bin ich für die ganze Welt und für
alle meine Freunde todt. Ich bitte sehr das keinen Unterscheid in unserm künftigen Zusammenhange machen zu lassen.
Sagen Sie mir doch, mein Gönner, ob man in Hannover französische Sachen darf drucken lassen. Reich will nicht
dran wegen der Schwürigkeit des Umsatzes. Auch wollte Sie gehorsamst fragen, ob die versprochenen Exemplare der
Soldaten wirklich an mich nach Strasb. abgegangen, ich könnte sie hier gar zu gut brauchen besonders da hier soviel
ich weiß weder Buchladen noch Buchhandel ist und ich sie nicht einmal für Geld bekommen kann, meinen Freunden
aber Exemplare abzubetteln mich schäme. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Auch Sie werden die traurige Nachricht von der russischen Großfürstinn wohl gehört haben, die ein gewisser
Herr v. Edelsheim Regierungsrath am Carlsruher Hofe, ein artiger Mann und der sich einen Freund von
Klopstock sagte, hieher gebracht hat. Der Herzog, besonders aber die Herzogin sind in der lebhaftesten
Betrübniß darüber. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Fremden gehen jetzt hier sehr häuffig. Ich habe auch unter denen viele wunderbare Gelegenheiten gefunden,
Personen die ich zu sehen aufgegeben hatte wiederzusehen. So den geheimen Rath Vietinghof aus Liefland zum
Exempel, der ins Bad und von da nach Frankreich England und Italien geht und durch den ich vielleicht meine
Schrift in Paris überreichen lassen werde, wenn ich sie nur noch aufs höchste gegen den Oktober fertig gedruckt
haben kann denn er bleibt nur die eine Hälfte des Winters dort, die andere Hälfte passirt er in Italien. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herder und Stollberg sind noch nicht hier, der letzte kommt erst auf den Herbst, warum der erste aber zögert
begreiffe ich nicht. Ich wünsche ihn aus allen Kräften hieher, hoffe auch daß die letzten Steinehen des
Anstosses bald weggeräumt sein werden. Der Herzog ehrt ihn ungemein. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="vertikal am linken Rand">
<line tab="1"/>Im Merkur werden Sie künftig auch mich zuweilen sehen. Was ist doch die Frau v. Stein für ein Engel, deren
Schatten Sie uns in Strasbg. wiesen</sidenote></letterText>
<letterText letter="190"><line tab="1"/>Ihre Empfindlichkeit über meinen letzten Brief ist mir ein schätzbares Zeichen Ihrer Freundschaft, ich
mußte aber Ihrem Freunde Hellwig dem er bestimmt war ernstlich weisen wie nahe mir die Sache lag. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie werden mir einen Gefallen thun, wenn Sie mir die noch hoffentlich nicht verkauften Exemplare der
Vertheidigung zuschicken, die Exemplare der Wolken aber in Zimmermanns Gegenwart verbrennen. Dafür verspreche ich
Ihnen <ul>einige Beyträge in Ihr Musäum</ul> unentgeldlich und habe auch Schlossern geschrieben Ihnen ein <ul>Drama
von mir „Der Engelländer“</ul> das hier sehr goutirt worden, für 4 Louisdor zu überlaßen. Weniger fordern
kann ich nicht, da ich in Hamburg für die Vorstellung allein 100 Thaler erhalten und es mir sodann doch
freystehen würde es einem Verleger zu verhandeln. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich verlange nichts weiter für den Strephon als den Pack (nebst einer Zulage der erbethenen Nachrichten,
um die ich nochmals sehr bitte) den Sie nur an Goethe adressiren, da ich bald von hier aufs Land gehe.
Vergeßen Sie alles Vergangne und bleiben mein Freund <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Sagen Sie Hellwigen doch, daß er ein sehr braver Mann ist. Nur soll er bedenken daß auch <ul>er</ul> einen Mann
wie Wieland zu menagiren habe, über den man nicht anders als deräsoniren kann, so lang man ihn nicht
gesehen.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich doch Zimmermann bestens und geben ihm unbeschwert doch gegenwärtiges Gedicht von Lindau,
das ich aber sonst sehr geheim zu halten bitte. Wenn Z. ihm schreibt, so bitte ich doch unendlich, es ihm
zu schicken, ich will es gern sobald ers verlangt mit der fahrenden Post mit einem halben Duzend ersetzen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Auch bitt ich Zimmermann sehr, im Fall die mir vom Buchhändler noch zukommenden Exemplare der Soldaten noch nicht nach
Strasburg abgegangen eins davon einzupacken und unserm lieben Fritz Stollberg zuzuschicken mit der
Nachricht daß ich hier und sehr wohl sey, aber sehnlich auf seine Ankunft warte.</letterText>
<letterText letter="191"><align pos="center">Auszug einer Stelle aus einem Briefe des Herrn<line type="break"/>
Klinger aus Giessen, eines gebohrnen Frankfurters<line type="break"/>
an Lenzen.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier haben Sie meine Geschichte. Soviel ich von meinem Vater weiß, war er ein wunderbarer feuriger
Mann, der nicht an seinem Platz war. Dabey von edlem Sinn. Gott weiß wie seine Seele die Richtung
bekam. Ich verlor ihn in meinem achten Jahr da er an einem Fall starb, das so zu gieng. Er <aq>etc.</aq> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nach seinem Tode wird meine Mutter krank auf 18 Wochen für Kummer. Wir Kinder all, und fremde Leute
nahmen das bisgen weg das noch übrig war. Meine Mutter von der Liebe zu uns gestärkt ermunterte sich.
Arbeitet mit ihren Händen, ernährt drey unmündige Kinder, ohne zu vermeiden, nicht in Schulden zu kommen.
Als ich heranwuchs bat und flehte ich mich in die Lateinische Schule zu halten. Das geschah, sie konnte
mir nichts abschlagen. Noch erinnere mich daß sie mein erstes Schulgeld nicht bezahlen konnte und es
borgen mußte. Das gieng so fort. Sie erhielt mich bis ins 19 Jahr in allem, denn was ich mit Informiren
und vom Chor bekam war sehr gering. Zwey Jahr erhielt ich mich und gab ihr was ich konnte. Nun wollte<page index="2"/>
ich auf Akademieen gehn, hatte keine 100 fl. Ich ward mit Goethe bekannt: Das war die erste frohe Stunde
meiner Jugend. Er bot mir seine Hülfe an. Ich sagte nicht alles und ging so, weil ich lieber sterben wollte
als unverdient was annehmen. Die 100 fl. waren bald all. Der grosse Goethe drang in mich, machte mir Vorwürfe
und nun leb ich schon ein ganzes Jahr von seiner Güte o Lenz, bin ich Ihnen nicht verächtlich? Ich wäre
tausendmal´lieber gestorben, kann ich Ihnen sagen was michs kostete. Aber Goethe, oh wenn ich seiner werth würde,
wenn ichs ihm erstatten könnte, um froh zu sterben. Ich bin nicht Herr über mich bis das geschehen ist. Und die
Angst er möchte sich manchmal einfallen lassen, meine Liebe zu ihm rühre aus Intresse her. Liebster, bin ich
nicht unglücklich? Und meine von Schulden u. Elend gedrückte Mutter, meine leidende Schwestern wovon die eine
ein herrliches Geschöpf ist, die alle auf mich warten <aq>etc.</aq> <line type="empty"/>
<align pos="center"><line/><line/></align><!-- Querstrich -->
Lassen Sie Goethen nicht merken gnädige Frau! daß ich Ihnen das verrathen habe.<line type="break"/>
L.<line type="break"/>
Ich danke Gott, daß Arundel lebt.</letterText>
<letterText letter="192"><line tab="1"/>Liebster Lenz! Hier noch eine <aq>Silhouette</aq> die besser ausgefallen ist im kleinen, weiter weiß ich keine
Nachricht, das Päckgen hab ich an <aq>Mslle</aq> König abgegeben aber noch ohne weitere Nachricht. <aq>Mslle</aq>
Kg. grüßt Dich. Ich danke Dir für den Brief auf dem rothen Papier, jeder Brief von Dir ist mir unendlich
lieb, und wann er auf Kaiserspapier geschrieben wird kann ers nicht mehr seyn aber ich küsse Dich doch daß
mir damit Freude machen willst. Ich widerrufe die Nachricht von <aq>Mr Turgot</aq> in sofern: Er hat zwar seine
Dimission ist aber nicht in Ungnade, sondern hat nur des Lärms wegen seine Entlassung bekommen, übrigens
aber wird der Oekonomieplan fortgeführt werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Vor ein paar war ich überm Rhein drüben und hörte <note>Mondsymbol: Montag</note> abends daß Hr Hofrath zu Emmeding zurück
sey, ging <note>Kreis mit nach rechts zeigendem Pfeil: Dienstag</note> Morgens sogleich nach dahin machte 7 Stund Wegs,
machte Hrn. Hofrath um 7 Uhr abends meine schwache Aufwartung und ging nach ein viertelstündiger Visite
wieder fort wo ich herkam über Rust zurück, erfuhr bey Hr. v: Stöcklin, daß sich die Schöllin (wovon das verlangte
Päckgen hier mit eingelegt ist) gar bey ihm gerühmt hätten als ob <aq>Herzog</aq> von Weimar selbhändig an ihre Niece
geschrieben hätte etc. ich widerrief und sagte wies wahr ist daß Du wegen den Romanzen sie ersuchtest und
sagtest es würde dem Herzog Vergnügen machen, dieß zur Lehre Bruder die eiteln lieben Leute könnten
mißbrauchen <aq>etc.</aq> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Kaufmann ist von Emmedingen zurück <del>und</del> zum 1ten mal und gieng zum 2ten mal wieder hin. Er hat auch das Pack
nicht gekriegt. Es war noch ein anderer Schweitzer theolog und Freund von Lav: und Pf: hier den ich sehr nah
als einen braven Mann kennen lernte und liebe. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wer ist Deine Feindin hier red, so kann ich mich hüten ich kenne niemand. Mein Glaube an Dich wird nicht fallen,
wann ers sollte so werd ich Dich Bruder um Stärkung bitten. <line type="empty"/>
Lebe wohl. Dein alter Röderer. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mache mit meinem Demosthenes was Du willst, nur wollt ich ihn bey Niemand eingebettelt haben, wanns nicht gern angenommen
wird von Männern dies besser als ich verstehn so zerreiß es. <line type="empty"/>
Zimmermann ist mit Häveli nach Zürich gangen. Kaufmann und Ehrmann werden Dich bald sehen. Lebe wohl. <line type="empty"/>
Strasb. den 4t Junius. 1776.</letterText>
<letterText letter="193"><line tab="1"/>Lieber Kaiser es freut mich um Deinetwillen daß Du mir meinen letzten Brief nicht übel genommen.
Sey versichert daß ich Dich liebe und den Geist den ich aus den herabfallenden Blüthen Deiner
Kompositionen ahnde zu ehren weiß. Sage Lavatern ich lasse über Wiel. jetzt noch nichts drucken.
Die Herzoginn Mutter hat mir neulich eine Stelle aus seiner Physiognomik mit sehr vieler Empfindung
vorgelesen und dabey den Wunsch geäussert ihn einmal persöhnlich kennen zu lernen. Grüsse den theuren
Pfenninger und alle Gotteskinder in Zürch, auch Deinen Freund Klinger <line type="empty"/>
L. <line type="empty"/>
Weymar d. 7 Jun.</letterText>
<letterText letter="194"><align pos="center">W. d. 9. Junius 1776.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lieber Herder! ich habe von dem Präsidenten Lincker gehört, daß die Vokation Dir schon zugeschickt
worden und man Dich aufs späteste auf Johannis hier erwartete. Wird also hoff ich es mir noch
gewährt werden Dich und Dein Weib und Deinen Sohn in Weymar zu sehen und bedarf es keiner Reise. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe Deiner Fabeln etliche Wielanden gegeben, etliche dem Herzog gewiesen, der mir sie aus der Hand
riß und sie für sich insgeheim abschreiben ließ, zugleich mich bat das bei Dir zu entschuldigen und
Dir zu versichern, daß sonst niemand sie zu sehen bekommen würde Deine älteste Urkunde habe auch
erhalten vermutlich von Dir und noch zu wenig darin gelesen <del>ohne</del> um darüber was erträgliches wiederhallen
zu können das übrige reden wir mündlich <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand des Absatzes, vertikal">
Tausend Dank!</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Möge Glückseeligkeit von oben herab Dich umathmen und Dich bald herüber zu uns wehen. Was soll ich Deiner
Frau sagen, dem Engel der sich wohl nicht vermuthet wie sehr seine freundliche lichthelle Vorstellung von
mir hintergangen werden wird. Sey es. Vor einigen Monathen war ich freylich in glücklicherer Stimmung aber
mein Herz bleibt dennoch dasselbe Taub zwar itzt für die ganze Natur, ein hinschwindender Schatten, nicht
einmal der Reminiscensen fähig. Komm bald <line type="empty"/>
Lenz <line type="empty"/>
<note>auf der Rückseite</note>
<line tab="1"/>Dürft ich doch fragen ob Zimmermann oder Merck die Exemplare von den Soldaten bekommen hat. Ich selbst habe keins,
auch niemand schicken können und hier sind sie im Buchladen nicht. Nach Strasb. dürfen sie nicht gehen. <line type="empty"/>
<note>Adresse</note>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <dul>Herder</dul><line type="break"/>
Consistorialrath<line type="break"/>
in<line type="break"/>
<ul>Bückeburg.</ul></letterText>
<letterText letter="195"><align pos="center">Den 17. Jun. 1776.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich schreibe, daß Sie mein Stillschweigen nicht andem Ursachen beymeßen, lieber L. Die Krankheit
und izt der Tod meines Chefs des alten Feldmarschalls, der mich hieher gezogen, und viel guten
Willen u. Freundschaft für mich hatte, hat mich sehr zerrüttet und verwirrt mich noch. Ich habe sehr
viel zu arbeiten, u. kann nichts für mich thun, bis das Departement wieder einen Vorgesetzten hat.
Gewinnen kann ich wenig dabey; verlieren viel <note>Textverlust durch ausgeschnittenes Papier</note> ten
Sie doch Lindaus unbesonnenes Blatt nicht drucken lassen! Es kann ihm so leicht schaden, wenns
bekannt wird. H. hat mir noch nicht geantwortet, aber seyn Sie ruhig. Sobald ich Antwort habe,
schick ich sie Ihnen wenigstens gleich zu, wenn ich auch nicht dabei sollte schreiben können.
Leben Sie wohl <line type="empty"/>
Boie. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ein Freund von mir Sprickmann aus Münster, wird durch Weymar reisen und Sie sehn. Nehmen Sie ihn
auf als meinen Freund. Ihr Brief an Stolberg hat mich sehr gefreut. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">
<line tab="1"/>Z. hat alle 12 Ex. der Soldaten gleich an Herder geschickt, u. keines mehr. Haben Sie sie von H. nicht
bekommen? Sagen Sie mir, kömmt der vortrefliche Mann nach W. oder nicht?</sidenote> <line type="empty"/>
<note>Rückseite</note>
<note>Adresse</note>
Herrn <ul>Lenz</ul><line type="break"/>
Gelehrten <line type="empty"/>
Bey Herrn D. Göthe.<line type="break"/>
Weym<note>Textverlust</note> <line type="empty"/>
<note>Lenz Hand, Entwurf zu Brief an Lauth vom 17. Juni 1776</note><hand ref="1">
<line tab="1"/>1) nicht ein Wort teutsch reden in Lyvrey gehen aufwärts bey Zürch kriegst 20 bis 25 # eine Livrey Obristen
Kleidungsstücke an Wäsche Schuhe u. Strümpfen nicht sich wenigstens auf 3 Jahr engagiren läßt er sich ihrer
uberwendig macht so wird ihm das Reisegeld vom Gehalt abgezogen Reisegeld von Strasb. nach Lübeck von da geht
er zu Wasser nach Pernau. <line type="empty"/>
Ein gewisser Cap. Rennekampf erkundigt sich nach den <aq>Doctor</aq> Sax und Prof. Schütz die seine Freunde gewesen <line type="empty"/>
<note>horizontal gespiegelt</note>
Von Palloper. Er hat vor 26 Jahren als Hauptm. mit seinem Corps in Strasb. gestanden <line type="empty"/>
<note>vertikal gespiegelt</note>
2 Binden<line type="break"/>
1 P. seidene Strümpfe<line type="break"/>
1 Hemd<line type="break"/>
1 <nr></nr></hand></letterText>
<letterText letter="196"><line tab="1"/>Wenn Sie beste Jungfer Laudt mir in Strasb. oder der Gegend herum doch einen französischen
Bedienten zuzurekommandiren wüßten, würden Sie mich außerordentlich verbinden. Er darf kein
Wort Teutsch können und wird bloß dazu angenommen mit den Kindern meines Bruders in Liefl.
französisch zu schwatzen. Er bekommt seine Liverey, alle kleinen Kleidungsstücke, ganz freye Station
und die freye Reise von Strasb. nach Lübek zu Lande und sodann zu Wasser nach Pernau. Er darf
selbst fadem wieviel er 'bis Lübeck verlangt, muß aber freilich mir Sicherheit stellen daß er das Geld
nicht sonst verthut. Zudem giebt ihm mein Bruder 20 bis 25 Rubel jährlich Gehalt, welches in Liefland,
wo man fast gar kein Geld braucht, viel sagen will <page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Dagegen engagirt er sich 3 Jahr bey ihm zu bleiben, weil mein Bruder die Kosten nicht gern umsonst
tragen will. Widrigenfalls ihm das Reisegeld am Gehalt abgezogen wird. Er hat dafür auf der Gotteswelt
nichts zu thun als die Kinderchen ein bisgen zu frisieren mit ihnen zu schwatzen und bey Tisch aufzuwarten.
Vielleicht wissen Sie oder Herr Salzm. oder einer von den andem Herrn bey Tisch einen solchen Menschen, besonders
unter den abgedankten Soldaten oder sonst. Am besten ist wenn er kein Wort Teutsch kann. Seyn Sie so gütig
wenn sich ein solcher findt und melden mir ob er sich dazu versteht und was er noch sonst zu fodern haben
könnte. Vielleicht werden der Herr Notär am ersten in dem Stück mir einen gütigen Bericht ertheilen können,
wofür meine Verbindlichkeit gegen ihn desto größer seyn wird.</letterText>
<letterText letter="197"><note>spätere Notizen</note>
Im Kriege können die Weiber auf und mitgehn, die Kinder den Eltern lassen<line type="break"/>
Soldatenweiber nähren sich mit ihrer Arbeit<line type="break"/>
Offiziers von ihren Männern trennen<line type="break"/>
Alle Anstalten wegen der Deserteurs fallen weg, Kinder zu hause <line type="empty"/>
<aq>Tout ou rien.</aq> <line type="empty"/>
Soldatenweiber machen die Marquatete <line type="empty"/>
Ich sah Weiber als Amazonen im Nothfall mitfechten und das stärkste corps de reserve machen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier schick ich Ihnen mein schätzbarer Freund ein Exemplar von meinen Soldaten zur schuldigen
Danksagung für alle mir in Mannheim erzeigte Liebe. Es sollte mich freuen, wenn es von Ihrer
Schauspielerbaumschule als Uebungsstück deklamirt werden könnte. <line type="empty"/>
<note>spätere Notizen</note>
Daß alle Bürger itzt drauf rechen könenn daß die herzen ihrer Weiber an den Soldaten hängen die ledig sind. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe Eckhafen hier auf einem Conzert bey Hofe gesprochen und viel von Mannheim mit ihm ger<note>Textverlust</note>
Er ist wohl zu alt und zu wohl in Gotha, als daß e<note>Textverlust</note> ausserordentlich vortheilhafte
Bedingungen zu Ihne<note>Textverlust</note> translocirt werden könnte. Er erbietet sich aber g<note>Textverlust</note>
wenn Sie ihm junge Mannheimer zuschicken wollen, sie auf alle mögliche Weise zuzustutzen und er ist
in der That der Mann dazu. Wie sehr wünschte ich unserm Freunde Müller eine Unterredung mit ihm. Es
freute mich wie ein Geschenk, daß er über unsere gewöhnlichen Schauspieler und ihre Gebärdungen mit
mir auf ein Haar zusammentraf. Sagen Sie doch das wenn es seyn kann einmal dem Graf Portia. Hier ist
ein Liebhabertheater für Adel und Bürger, wo alle elende Schauspielerregeln verbannt sind. Ueberhaupt
interessirt sich der Herzog und beide Herzoginnen ungemein für deutsche Litteratur, mehr als ich sagen darf. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Daß es mir wohl geht brauch ich Ihnen nicht zu sagen, sonst blieb ich nicht so lange. Grüssen Sie doch
alle guten Freunde und behalten mich lieb.<line type="break"/>
Lenz <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="Am linken Rande, vertikal">
<line tab="1"/>Wieland ist ein herzguter Mann mit dem ich gleich zusammen geschmolzen bin. Auch sind sonst viel
trefliche Menschen hier und die Liebhaberei allgemein weil der Hof das Exempel giebt. Grüssen Sie unsern
lieben Müller doch.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
2ter Theil wo die bürgerlichen Einrichtungen<line type="break"/>
<line tab="1"/>Alles kommt auf einen Numerische Eintheilung in Klassen an die durch die Feudalverfassung zu Grund gegangen,
daß alle Classen sich die Hände bieten u. so allw Kräfte in Bewegung gesetzt werden
Stuart schlägt vor. <line type="empty"/>
<align pos="center"><aq>Ddd.</aq></align></letterText>
<letterText letter="198"><hand ref="46">
Mittwoch. Weimar. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lieber Bruder! hier bin ich seit zwey Tagen unter den großen Himmels Göttern und kann Dir fast
nichts reden, so reich, so voll, so leer bin ich an Worten an Gefühl. Ich pakte auf einmal zusammen
und machte mich fort, und bin iezt hier gehalten. Was soll ich Dir sagen, von Goethe, von Wieland?
Am Montag kam ich hier an lag an Goethes Hals u. er umfaßte mich innig mit aller Liebe
„Närrischer Junge! und kriegte Küße von ihm. „Toller Junge! und immer mehr Liebe. Denn er wußte kein
Wort von meinem Kommen, so kannst Du denken wie ich ihn überraschte. O was von Goethe ist zu sagen!
ich wollte eher Sonn und Meer verschlingen! Gestern brachte ich den ganzen Tag mit Wielanden zu.
Er ist der gröste Mensch den ich nach Goethe gesehen habe, den Du nie imaginieren kannst als von
Angesicht zu Angesicht. Größe, Liebe, Güte, Bescheidenheit Steinige den Kerl der ihn verkennt wenn
er ihn gesehen, an seiner Brust geliegen hat, sein Geist um faßte u. ihn begriff. Hier sind die
Götter! Hier ist der Siz des Großen! <del>Goethe ist Geheimer Legations Rath mit 2000 <nr> </nr></del> Auch hab ich
einen großen Menschen am Presidenten von Kalb gefunden Lenz wohnt unter mir u. ist in ewiger
Dämmerung. Der Herzog ist vortreflich u. werd ihn bald sehen. Glaub von allem nichts was über das
Leben hier geredet wird, es ist kein wahres Wort dran. Es geht alles den großen, simplen Gang u. Goethe
ist so groß in seinem politschen Leben daß wirs nicht begreifen u. Wieland! glaub nicht daß ich
überspannt bin ich häng an dem Menschen so stark daß ichs nie möglich hielt an einem Menschen
so zu hängen, er will mich nicht mehr fortlaßen. Weiß viel von Dir u. liebt Dich Laß Dich von nichts
drücken u. quälen sie werden mich hier ruhig machen. Wo ich hin seh ist Heilbalsam für meinen
Geist u. Herz Adieu! KI.</hand> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<hand ref="1">
<line tab="1"/>Entschuldige mich doch guter Kaiser bey unserm theuren Lavater, von dem ich durch Ehrmann viel erfreuliches
gehört, daß ich in einer Seelenlage bin, in der ich ihm lange nichts werde schreiben können, wo michs aber
immer stärken und aufmuntern wird, von andern gute Nachrichten von seinem Befinden zu hören. Ich danke ihm
tausendmal für alle Proben seiner Güte gegen mich, die sichtbaren und unsichtbaren, bitte nochmals <ul>sobald
es möglich seyn wird</ul> um das ihm bewußte Päckgen dessen Adresse er nur an Goethen macht (weil ich aufs Land gehe)
und mir zur Stärkung ein Paar Worte von sich und seinem Befinden beylegt. Gleicherweise empfiehl mich
Pfenningern. Und behalt auch Du mich lieb <line type="empty"/>
<align pos="right">L.</align></hand></letterText>
<letterText letter="199"><!-- Hanschrift von Seidel mit Bleistift --><align pos="center">Sachen die hier bleiben</align> <!-- Wie werden Items einer Liste formatiert? --> <line type="empty"/>
Regenschirm (Philipp in die Post)<line type="break"/>
Instruktion des Königs v. Preussen<line type="break"/>
Ray de St. Genie<line type="break"/>
<note>geschweifte Klammer für die obigen beiden Einträge</note> schickst du an Mühlgau.<line type="break"/>
Theuerdank (Bertuchen)<line type="break"/>
<ul>Die Zigeuner</ul> (dem Herzog)<line type="break"/>
<ul>Herders Fabeln</ul> (Goethen zur Auswahl im Merkur)<line type="break"/>
<ul>Wielands</ul> Schriften an Wieland<line type="break"/>
<ul>Der Hut u. die Strumpfbänder</ul> (an Goethen)<line type="break"/>
<ul>Yärros Ufer</ul> (Goethen, dem Herzog vorzulesen)<line type="break"/>
<aq>Ramonds Drame</aq> und den <aq>Soulier mordoré</aq> (den Herzoginn Mutter hat, der regierenden Herzoginn zu
bringen) <line type="empty"/>
<align pos="center">Sachen die ich mir ausbitte</align><line type="break"/>
Alle Bücher auf dem Stuhl<line type="break"/>
<tabs><note>zweispaltige Tabelle, zunächst die rechte Spalte</note><!-- Tabelle -->
Polyb<line type="break"/>
Stuart<line type="break"/>
<aq>Comte de Saxe<line type="break"/>
Dictionnaire<line type="break"/>
Girards Grammaire<line type="break"/>
Hamilton<line type="break"/>
Crebillon<line type="break"/>
Guibert</aq> (wozu ich wenns sein kann, den 1sten Theil u. die Kupfer)<line type="break"/>
Instruktion der französischen Truppen<line type="break"/>
<aq>Chevalier dEon.</aq> Vor allen Dingen u. <del>mit dem drin liegendem Pappier</del><line type="break"/>
Kriegsbaukunst<line type="break"/>
<ul>Homer.</ul><line type="break"/>
<note>linke Spalte</note>
<aq>vies des peintres</aq><line type="break"/>
Büschings Geographie der Theil v. Frankreich<line type="break"/>
Einige Karten <line type="break"/>
Abt St. Pierre<line type="break"/>
<note>geschweifte Klammer für die obigen beiden Einträge</note> die mir Bertuch verschafft</tabs> <line type="empty"/>
<hand ref="25">
<aq>Julius Caesar</aq></hand><!-- Besteht hier eine Kursivierung im Druck? -->
<ul>Das Pack mit meinen 2 Brieftaschen</ul> (unaufgemacht)<line type="break"/>
<ul>Das Päckgen Catharina</ul> v. Siena vor allen Dingen und unaufgemacht. <line type="empty"/>
Siegellack. Chokolate. Feuerwerke. Soldatenpuppen für die Baurenkinder. <line type="empty"/>
Wäsche (was die Wäscherin hat, 1 Hemd, 1 Schnupftuch, 1 P. seidne Strümpfe, einige Binden<line type="break"/>
<line tab="1"/>was da ist, ein Hemd, 3 Binden, 1 Schnupftuch, 1 P. seidne Strümpfe, 1 Nachtmütze, 1 P. zwirn
Strümpfe, 1 P. schwarzseidne <line type="empty"/>
<hand ref="25"><pe>
noch nicht da.</pe></hand> <line type="empty"/>
Meinen Strasburger Frak mit Weste. Mein Nachtwämsgen u. Ueberrock<line type="break"/>
<line tab="1"/>Meinen Corsenhut Stiefel u. 2 Paar Schuh. Auch die neue Schuh die mir <page index="2"/> der Schuster bringen
wird der bey Krausen wohnt. <line type="empty"/>
<hand ref="25"><pe>
nicht fertig.</pe></hand> <line type="empty"/>
Pappier, auch Postpappier<line type="break"/>
<hand ref="25"><pe>
Siegellack</pe></hand><line type="break"/>
<line/>
<hand ref="25">
Seife</hand> <line type="empty"/>
Einen Haarkamm hätte noch nöthig und ein Scheermesser, weil ich mich sonst vor mir selber fürchten muß.<line type="break"/>
<hand ref="25"><pe>
2 Schnupftücher v. mir<line type="break"/>
1 Hemd m. Manschetten v. mir<line type="break"/>
1 ohne M. v. Hern. G. L. R.<line type="break"/>
2 p. Unterstrümpf v. mir<line type="break"/>
Scheermeßer v. mir<line type="break"/>
(weiße seidne Strümpf)<line type="break"/>
3 Bindgen<line type="break"/>
(1 Hemd und 1 Schnupftuch)<line type="break"/>
2 Schnupftücher von mir<line type="break"/>
Scheermeßer Puder Pomade<line type="break"/>
Frisirkam von mir<line type="break"/>
Federmeßer und Rasierpulver von mir.</pe></hand> <line type="empty"/>
<page index="3"/>
<align pos="center">Was ich da lasse und nicht zu eröffnen bitte <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Im Coffer.</align> <line type="empty"/>
Briefe<line type="break"/>
Zwey Päcke Pappier<line type="break"/>
1 <aq>livre damis</aq><line type="break"/>
1 Samtrock West Hosen<line type="break"/>
1 Tuchrock West Hosen<line type="break"/>
1 Haarbeutel<line type="break"/>
1 P. weiß Englische Handschuh<line type="break"/>
1 Antolagenhemde<line type="break"/>
Schnallen<line type="break"/>
Sporen<line type="break"/>
Ein Pack Pappier im Boden des Coffers der nicht e<note>Textverlust</note> wird Widderhörner <line type="empty"/>
<line/>
1 Degen<line type="break"/>
1 Klinge vom Herzog<line type="break"/>
1 <insertion pos="top">silberne</insertion> Uhr mit Berlok<line type="break"/>
1 Paar Ueberschuh (bey Kalb stehende) <line type="empty"/>
<page index="4"/>
<note>links</note>
<pe>
grüß Klinger vielmalen</pe> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn ein Vorhängeschloß vor meinen Coffre hättest wegen der Papiere wäre mirs sehr lieb. Dies
schließt nicht ich habe den Schlüssel verloren <line type="empty"/>
<note>Adresse mittig</note>
Herrn<line type="break"/>
Geh. Leg. Rath<line type="break"/>
Goethe <line type="empty"/>
<note>mit Bleistift, heute stark verwischt, zitiert nach FSt II, S. 5</note>
<pe>Vor allen Dingen bitte Wieland die […] sobald er sie missen</pe> <line type="empty"/>
<sidenote pos="right" page="4" annotation="rechts, vertikal">
Bitte mir alles aufs bäldeste zu schicken</sidenote> <line type="empty"/>
Um die Wäsche bitte aufs eheste</letterText>
<letterText letter="200">ich geh aufs Land, weil ich bey Euch nichts thun kann.</letterText>
<letterText letter="201"><line tab="1"/>Noch ein Wörtl, guter Liebster! Nach dem Empfang Deines Briefs, den ich heut über Tisch bekam. An
Aktuarius hab ich den eingeschloßnen abgeben, der Dich grüßt, Dir dankt und bittet <del>dem</del> Hrn <aq>Dr
Goethe</aq> in seinem Namen zum Platz oder Ehrenstelle zu gratulieren, das mich dann auch im Herzen
freut; werde bald mein Bester sein Kollege oder des etwas. Ihr seid doch Zwilling. Aktuar fragt
auch ob der Hr Leg Rath zu Weimar in <ul>der</ul> Qualität fixen Aufenthalt habe? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Man wollte hier von <insertion pos="top">dortigen</insertion> Mißhelligkeiten etc. das und jenes wißen, Gottlob, daß es entweder
nie wahr war oder wenigstens nicht mehr wahr ist, auch sollte durchaus Herder nicht hinkommen,
auch Gott lob daß es doch geschieht, ich will für ihre glückliche Niederkunft Sonntag bitten. Um
den Mann mögt ich eine kleine Weile einmal herum zappeln. Kannstu mir der Urkunde 4t. Teil hermachen?
Her mit! <aq>portos</aq> hin, <aq>portos</aq> her, ich erhäng mich nicht drum, nur unter Rausch Adresse # <sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken
Rand, vertikal"> # zu Kehl</sidenote><!-- Hier waren nur die Wörter zu Kehl gemeint -->ich mag den andern Hrn. nicht gern Obligation haben, da ich sie nie
sprechen kann.<!-- Auf welchen Textausschnitt bezieht sich die editorische Anmerkung? -->; Her mit der Urkunde 4t. Teil, lieber Lenz! her mit! ich bitt Dich, ich flehe u. Du
kennst das infame Zögern unserer Buchhändler. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Für Lindau will ich auch beten aber nicht für die Britten, ich kann nicht glauben, daß sie recht haben
und einem andern das nehmen wollen worüber mirs so wohl ist daß ichs auch habe! nun ich bin nicht
Politiker aber Gott erhalte und segne Lindau und geb Sieg den Gerechten! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mit der Iris will ich alles machen, brauchst zu Weimar das <aq>Billett</aq> # <sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal: # vom Treitel">;
nicht zu besorgen, aber ich konnt und wollt noch nicht zu ihm gehn, weil ich ihm sonst noch schuldig bin,
mit nächstem aber.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Weder mein Vorname noch Nachnam soll vor die Rede, wanns sein muß Johan Gottfried, ich sehe aber nicht,
ich bitt Dich mit Wahrheit nicht heuchlerisch seyn wollender Bescheidenheit, ich kanns nicht ausstehen, laß
mirs bleiben, aber daß Du das Ding ins Museum introduziret ist mir sehr angenehm, u. dafür dank ich Dir
herz-<page index="2"/>lich aus wichtigen Gründen laß meinen Namen weg, die ich Dir mit Feder und Papier nicht sagen
kann <aq>etc. etc.</aq> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Deine Briefe versiegle ich sobald ich verreisen werde, trau mir indessen oder glaube meiner Occupation daß
ich keine Zeile davon lesen werde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><aq>Spener</aq> ist verreist, <aq>Sano</aq> wirds nächsten <note>Symbol für Sonntag</note>. Hr v Kleist grüßt Dich wieder. Alle grüßen
Dich wieder, auch die deutsche Gesellschaft. Lobstein hab ich noch nicht gesehn, der arme Schelm muß von der
Minna viel leiden! <line type="empty"/>
<line tab="1"/><aq>Actuar:</aq> sagt er hab 2 Exemplar zu Frankfurt gelassen daß Du und Goethe (ich kann so geschwinder schreiben den
Namen flugs weg, ist er doch mehr werth als Titulatur) sie nach Weim: bekommen sollten. Der <aq>Act:</aq> versteht nicht
was das heißt: „Grüßen <insertion pos="top">Sie</insertion> Jgfr. Lauth <ul>auf Wiedersehen“</ul> er meynt Du kommst wieder. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was soll ich Dir nun noch her waschen, weiß nichts von Neuigkeiten, denke! Kaufmann ist hier, der ist ein
treflicher Mensch ist jetzt zu Emmedingen, schreibt mir daß Pfenninger dort ist, wann ich ich muß die Woche
noch nauf trotten. Sonnabend hier, Sonntag dort und Montag wieder hierher, das soll eine Erscheinung seyn von
mir? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dem Kaufmann hab ich ein paar Portraits zur Physiognomik, die er doppelt hatte aus seinem <aq>portefeuille</aq> gemaußt,
hab auch Goethe bekommen weist den den ich wieder geben mußte für die zu Säsenheim, solltest sehn wie ich drüber
stolziere und froh bin, er hengt in goldnem Rahm unter Luther. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die O …. ch lieber Bruder! ist wieder zurück, geht mit der Kg <note>Symbol für Donnerstag</note> nach Quagenheim und nach
Schweighausen ins Oberland, wo ihrs Vaters Güter sind, kommt dann den ganzen <page index="3"/>Sommer nicht mehr zurück.
Sag mir doch ob Du sie nach meinem Ietztern ungeschnitzelten Profil erkannt und gleich gefunden hast, wo nicht, so
bekomm ich wanns meine Finanzen gestatten einen Stuhl wie sie zu Zürich haben (den ich hier schon für jemand anders
nach einem kleinen Muster machen ließ) und dann solls nicht fehlen, sie muß noch einmal sitzen. Jgfr Kg thuts uns. <line type="empty"/>
<line tab="1"/> kommende Michaelis reiß ich nach Göttingen, wenigstens reiß ich, das ist ausgemacht, seh Dich vielleicht dann
Liebster hastu (siehstu ich bitte Dich aufn Knieen) heitere Miene, bist alsdann Lenz und ein etablierter Mann und
Adieu! Glaubstu daß ich Dich liebe? <line type="empty"/>
Dein Röderer.<line type="break"/>
Nun noch ein paar Blicke in den <aq>Courier du bas Rhin</aq>, find ich was so kriegsts. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><aq>Paris 9 17 Juin. On travaille en France a 15 Vaisseaux de Lign. &amp; 11 fregates. precaution pour Ia tournure que pourra
prendre Ia guerre de IAmerique. On va rifondre les ordonnances anciennes de Ia marine pour etablir une nouvelle discipline.</aq><line type="break"/>
Hast dann nichts so zu lesen? ists nöthig daß ich so ausschreibe?
<aq>Courrier du b. Rh.</aq> kommt mein ich zu Mainz heraus.<line type="break"/>
<line tab="1"/><aq>De Landres du 14 Juin. Du coté des Royalistes. 2 Vaisseaux de Ligne. 8 de 50 canons, 3 de 44 Fregates 7 de 32 can. 11
de 28. 4 de 24 can. 5 de 20. corvettes 3 de 18 can. 3 de 16. 4 de 12. 3 de 10. 2 de 8. Chaloupes armes 27. un brulot
et une bombarde. total des batiments 82, Matelots100578. soldals de marine 2112.<line type="break"/>
Etat des troupes nationales &amp; Etrang.<line type="break"/>
Nat: 30700.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Etrang: 12 000 de Hesse. 668 du Pr. hered. de Hesse. 4 300 Brunswich. 600 du Pr. Waldeck. tot. 17 s68. tot. general =
48 268. Ajoute encore 9 Compagnies dArtillerie a 75 homm. &amp; 2000 homm. de marine. de sorte 5152000 homm. Masse enorme
qui ne peut manquer decraser <page index="4"/>ou lAmerique ou lAngleterre; (ah quil me faul copier!) mais dont le Contrecoup
retombera toujours sur cette derniere.</aq> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der Portug: Hof scheint von Engell. zum Zwist mit Span: aufgehutscht zu werden damit dieses nicht so leicht die Colonien
begünstige bald bald muß es sich entscheiden u. Engelland kann doch Port. nicht unterstützen, und Spanien ist reich etc.
u. hätte gern was ihm lieb ist Minorka Gibraltar etc. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sonst fand ich nichts, Leb wohl Bruder, schick mir wanns seyn kann die Urkunde, Du bist liebender als ich, aber Du
kannst mich kaum lieben wie ich Dich; liebe mich nicht mein David mein Bruder Du heiliges Kind Gottes liebe mich nicht
aber sey ruhig, fasse Dich, sey stark, laß Dich die Rechte Deines und meines Gottes leiten, halten, stärken, sei stark
so, wann Du schwach bist <line type="empty"/>
Dein Röderer.</letterText>
<letterText letter="202">Hannover. Den 2ten Jul. 76. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In der Zerstreuung, worin ich lezt schrieb, hatt ich vergeßen, Ihnen, m.l. L. das Verlangte zu schicken,
das längst fertig war, aber unter Papieren auf meinem Tische vergraben lag. Hier ist es, und zugleich
den Brief von Helwing, den ich mit den vorigen mir zurück, oder zu vernichten bitte. Daß Sie sich
merken lassen, von wem Sie die Designation haben, versteht sich von selbst. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen
für das übersandte Stück von Herrn Röderer gedankt habe, sonst thu ichs noch. Von Schloßern hab ich
Briefe, aber kein Wort von Ihren Engländern. Ich schreibe dieß wieder unter Arbeiten und in Erwartung der
Englischen Post, die aber da ist sie. Nun geschlossen! Leben Sie wohl, und behalten mich lieb <line type="empty"/>
<align pos="center">Boie.</align></letterText>
<letterText letter="203"><line tab="1"/>ich muß euch zu eurem Trost sagen, bester Einsiedel! daß Melanide eine Erzehlung vom <aq>Armand</aq> ist,
die auf sie vermutlich soviel Eindruck gemacht haben muß, daß sie sich den Karakter ganz zu eigen
gemacht und folglich auch den ganzen Roman selbst hat spielen wollen. Adieu. <line type="empty"/>
L. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<sidenote page="2" annotation="vertikal mit dunklerer Tinte">
Die Gleichen 2 mal abmalen eines für W.<line type="break"/>
<ul>Sonntag.</ul><line type="break"/>
Wielandias Jacobi schicken<line type="break"/>
Montag zum Amtsschreiber</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Welche Geduld das ganze Ding abzuschreiben und wie lebhaft muß es auf ihre Imagination gewirkt
haben! ich glaubte anfangs sie hätte nur die Form nachahmen wollen</letterText>
<letterText letter="204"><!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="205"><!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="206"><!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="207">Lieber Lenz, <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier wieder hoff ein beßres Stück So gut es bei der <ul>äußerst</ul> flüchtigen unbestimmten Zeichnung
möglich war. Es ist der erste Abdruck. Fehlt noch die letzte Revision. So ists immer eine der größesten
Physiognomieen, die ich gesehen. Beßern Abdruck bald. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Noch ein Wort. Lieber Lenz wieg Deine Schritte, und thu nie nichts ohn einen Freund. Laß den Freund
Deine Vernunft seyn. Sey zufrieden mit Deinem Herzen und Deinem Genius. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Adieu. Ich bin vieles und keines, und alle Tage nur wenige Momente meiner selber. Kaufmann und
Pfenninger sind izt bey Schloßern. <line type="empty"/>
<align pos="center">Dein Lavater. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Hegi, den 10 Julius 1776.</align></letterText>
<letterText letter="208">Hier ist der Guibert die andern Bücher sind nicht zu haben. <line type="empty"/>
Da ist ein Louisdor. <line type="empty"/>
Deine Zeichnungen sind brav fahre nur fort wie Du kannst. <line type="empty"/>
Leb wohl und arbeite Dich aus wie Du kannst und magst. <line type="empty"/>
G.</letterText>
<letterText letter="209"><line tab="1"/>Herr von Einsiedel wird <aq>Ihnen</aq> Morgen durch einem <aq>expressen</aq> antworten. Ich habe den Brief ohne
jemands weiter wißen selbsten eingehändiget. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das Vertrauen deßen Sie mich zu würdigen belieben, zu verdienen, würde nichts vor mich zu kostbar
seyn. und welcher Mensch, besäße er gleich das härteste Herz, sollte nicht die größte Hochachtung
und Liebe haben, nach dem <aq>Ihnen</aq> gesehen und gesprochen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Beehren Sie mich ferner mit <aq>Ihrem</aq> Vertrauen, Ich kenne jezo kein größer Vergnügen als Ihnen zu
dienen <line type="break"/>
<align pos="right"><aq>Schenck</aq></align></letterText>
<letterText letter="210"><align pos="right">Verbrenne das Billet.</align><line type="break"/>
Wolltest Du doch das dem Herrn weisen, Liebgen, wenn Du meynest daß es ihm Spas machen kann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sag mir doch, ob es ein Utopisches Projeckt wäre eine Handlung zwischen Frankreich und Weymar
anzuspinnen. Wenn in W. eine Messe angelegt würde für französische Kaufleute, <ul>Manufaktürieurs</ul>
laß seyn daß im Anfang die Balanz auf ihrer Seite wäre, es liessen sich mit der Zeit wol einige
hier nieder und die Gäste sollten auch willkommen seyn. Ihr könntet ja um das zu erhalten,
wenn sie erst im Train drin sind auf einmal die Einfuhr fremder Waren mit <insertion pos="top">höheren</insertion> Zöllen belegen.
Ihr seyd hier im Herzen von Deutschland und stoßt an viel Länder die noch ärmer an Industrie sind als Ihr.
Frankreich willig <sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">zu machen, wäre dann wieder eine Sache für sich. Es ist
freilich keine Nation in der Welt schwerer und leichter zu behandeln. Auch hättet ihr Naturprodukte entgegen
zu setzen, Bergwerk, Lein, Wolle u.s.w. Dies sind nur noch Träume Bruder.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Ob der Herzog deswegen Verträge mit den übrigen Sächsischen Höfen besonders mit Chursachsen thun dürfe, geht mich
nichts an. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das wird wenigstens keinem Vertrage zu wieder seyn daß er Manufakturisten ins Land zieht. Und von wem hat Deutschland
die je erhalten als aus Fr. Auch können keine andere in ihren Preisen so mässig seyn, weil sie mit dem <aq>compendio virium</aq>
nicht arbeiten.</letterText>
<letterText letter="211"><line tab="1"/>Ich muß Ew. Durchlaucht in tiefster Unterthänigkeit berichten, daß ich am Mittewoch Morgen ein
Pack mit Wäsche und den Tag darauf Abends den Herrn Doktor Buchholz mit verschiedenen
Arzeneymitteln richtig erhalten; da aber in unserm Dorf weder mit Gold bereiftes Pappier noch ein
Formular zu einem Danksagungsschreiben, noch auch ein Dicktionär witziger und galanter Einfälle
zu haben ist, so werden Sie gnädigste Herzogin! einem Kranken verzeyhen, daß er diesesmal nicht
dankbar seyn kann. Der Ueberbringer Ihres huldreichen Geschenks hat, wie ich aus der Ankunft
des Arztes geschlossen, vermutlich die Nachricht zurückgebracht, daß er mich zu Bette und weinend
angetroffen, welches letztere er für eine Wirkung meiner Krankheit gehalten haben muß; da mir
eine Mißdeutung von der Art noch öftere Besuche des Arztes zuziehen könnte, so habe ihr nur durch
diese Zeilen zuvorkommen wollen. <line type="empty"/>
<page index="2"/>
IN SOZIALREFORMEN ENTHALTEN???
<page index="3"/></letterText>
<letterText letter="212"><!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="213">Hier Bruder eins und das andere. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es wäre mir doch <ul>lieb,</ul> wenn die Meynungen eines Layen im Merkur kürzlich recensirt würden, ohne
Ansehen der Person. Sag Wieland nicht von wem sie sind. <line type="empty"/>
Sag mir doch ob Herder nicht bald kommt. Mein Herz ahndet ihm entgegen. <line type="empty"/>
Ich möcht ihn und sein Weib gern sehen geniessen kann ich itzt nichts mehr. <line type="empty"/>
<sidenote page="1" annotation="horizontal gespiegelt"> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><del>Sie</del> Charakter von Sienas Freundin tief verb. um sie nicht zu verderben weil sie ihr nicht ihre
Neigung zu gestehen, weil sie wohl sieht daß jene als Delikatesse für sie gl. abtreten würde und ihr
wie natürlich Liebe für ihn zutraut. Sie begegnet also Truf. mit der äußerersten Inegalität. Die falsche
Delikatesse kreuzt sich wun-</sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand"> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>derbar mit Cath. an der es ihr immer ärgert daß sie Tr. nach ihrer Meynung nicht freundl. Genug und
zwar aus pruderie denkt sie, begegnet. Endl. kommt sie zum Ausbruch und zu <ul>Vorwürfen.</ul></sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>(Grosser Krieg gegen die falsche moralische Delikatesse die die Herzen soweit entfernt und ihren Grund
in Stolz haben. x x <line type="empty"/>
<sidenote pos="right" page="1" annotation="am rechten Rand"> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>x x was es der Freundin kostet endlich <ul>zu gestehen daß sie ihn liebt.</ul> wohin es im Stück doch
getrieben wird.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/> <line type="empty"/>
<note>Zeichnung eines liegenden Soldaten</note> <line type="empty"/>
des puvroient reviediques leues droste premisioss evac main forte@ </letterText>
<letterText letter="214"><line tab="1"/>ich hab Euch versprochen es Euch sauer zu machen, Klinger, ja Maler Müller und Wagner selbst, den
recht sehr schätze. Nehmt Euch also in Acht vor mir, parirt ja wohl und wenn Ihr Blöße findet, so stoßt
hinein auf mich wie ihr wollt und wie ihr könnt. Göthe hat ein Pasquill von mir, worin Euch allen die
Köpfe gewaschen werden bis ihr gescheuter seyd</letterText>
<letterText letter="215"><line tab="1"/>Unter ausdrücklicher Bedingung daß Freund Lenz, bey ähnlichen Fällen wie der letzte war, seinen
Weg allemahl durch Weimar und zwar übern Markt nimmt, will ich die verlangten Geheimnisse
verrathen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das <aq>Bataillon</aq> so der Herzog von Weimar im letzten Krieg zur <aq>Reichsarmée</aq> stellte hat aus
666 Mann Feuergewehr bestanden, welche in 3 <aq>Compag:</aq> eingetheilet waren. Reiterey giebt Weimar
nicht wirklich, sondern es verträgt sich hierüber mit Gotha welches für sich und für
Weimar 2 <aq>Compag.</aq> Dragoner stellt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In Weimar stehen 4 <aq>Compagn</aq>:, und stehen davon 68 Mann tägl. auf der Wacht. Außer Eisenach ist
in unsern sämtl. Landen keine Festung. Auf den Land stehen in Weimar Eisenach und Jena 3. <aq>Bataill.</aq>
Landmiliz, jedes <aq>Bataill.</aq> zu 300. Mann. <line type="empty"/>
Das Kriegs <aq>Collegium</aq> bestehet aus den <dul>Präsid: v.Kaufberg</dul> und den <dul>Kriegsrath</dul> von <dul>Volgstädt</dul> <page index="2"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Zur Unterhaltung des sämtl. Weimarer Militärs werden jährl. von den Landständen
64 000 rhl. verwillget. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der Obriste hat Monatl. Gehalt 110 rhl. d. Oberstl. <aq>Lieutn.</aq> 64 rh. d. <aq>Capit.</aq> 43 rhl. d.
Lieutnt. 19 rhl. der Fähndr. 18 rhl. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sollten Sie die neuen Verordnungen des Ministers St. Germain so die Französ: Truppen betreffen
erhalten, so erbitte ich mir solche so wohl als die Designation von dem Gehalt der Hanöverischen Truppen. <line type="empty"/>
Geben Sie bald Gelegenheit Ihnen mündl. zu sagen daß ich bin <line type="empty"/>
<align pos="center">Dero</align><line type="break"/>
<align pos="right">aufrichtiger Freund<line type="break"/>
Wilkau</align></letterText>
<letterText letter="216"><line tab="1"/>Ich beantworte Deinen Brief mit <ul>wenig</ul> Worten, <ul>viele</ul> würden Dir kaum den Dienst thun. Von
Mährlein und Spott weiß nur Dein Unglaube u Mißglaube. Vom Mitleid schweig ich. Ich habe den Fuß
über des Engels Schwelle gesetzt, ists Verstimmung gewesen in der ich zeichnete, so will ich sie
büßen ob ich gleich ohne Schuld bin. Keinen Spas hatten wir je mit Dir, wie kannst Dus wähnen da
Du mir selbst das Mitleiden nicht abläugnest. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Tritt mit Füßen meine Moralen ich thu mir Gott weiß nichts zu Gut darauf, ich hab mir nie in Sinn
kommen lassen Dich zu bekehren, und so oft ich so was sagte sah ichs als leere Worte für Dich an.
Wanns Dir leyd thun kann von Deinem Herzen mir jemals <insertion pos="top">was</insertion> gezeigt zu haben was soll <insertion pos="top">ich</insertion> hier
sagen Lenz! Ueberhaupt mögt ich Deinen ganzen Brief lieber nicht beantworten. Aber ich darf Dich
doch fragen: hab ich je in Dich gedrungen um ein Geheimniß? Glaubst Du daß ich herum weise? o
Du! scheinst tausendmal mich zu miskennen, und tausendmal wieder zu kennen, zu kennen daß ich Dich
vertrage und darum glaubst Du ungestraft mein Herz zerreißen zu dürfen, zerreise nur. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Silhouette ist mit Deines Engels Wissen an Dich kommen und so gut <del>als</del> Deinetwegen gemacht worden
als Lavaters halben. Lese dies beygefügte <aq>Billett</aq> v. <aq>Mslle</aq> K. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nachricht von <ul>Deiner W:</ul> Sie ist noch immer zu Schweighusen bey ihrem Vater auf seinen Gütern. Der
von Och hat sie besucht auf ein paar Tage, ist itzt wieder zurück, eine Stunde weit von da ist vor
14 Tagen in einem Dorf ein Brand gewesen <note>Textverlust</note> 60 Häuser und 52 volle Scheunen wegbrannte.
Einige Personen Weiber und <note>Textverlust</note> werden gemißt, eine Strecke vom Ort weg kam eine Bauersfrau
auf der <note>Textverlust</note>ße nieder. Die <ul>W.</ul> ließ ein paar Viertel Frucht ma<del>h</del>len und das Brod unter die
Verunglückten austheilen. Wie sie an <insertion pos="top">Mslle K.</insertion> schreibt, so kommt sie den Leuten dort <note>Textverlust</note>mer
dicker vor, sie freut sich da zu seyn und erinnert sich in diesen Gegenden <note>Textverlust</note> ihre
ersten Jahre. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Deinen Herder hab ich der Mamsell Kg überbracht samt dem Brief sie läßt Dich sehr grüßen. Sie sagte
mir daß <isnertion pos="top">Du</isnertion> die folgenden Theile vom deutschen Merkur <del>nach</del> für die <note>Textverlust</note>rau v. O. geschickt
habest und ich schließe die ersten hast Du für sie bestimmt <note>Textverlust</note> ich werd sie also hingeben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><note>Textverlust</note> Besatzung ist hier 11000 Mann stark. 350 ziehen täglich auf die Wache von der
Infanterie 26 von der Reuterey und 24 Dragoner. In der Citadell 36. Jedes Regiment giebt 80 Mann
alle Tage. <insertion pos="top">alle</insertion> 6 Tage kommts an einen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der Hr. v. Birch wird noch einige Ordonanzen erwarten und wann sie complet sind werd ich sie
bekommen und mitnehmen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Deinen 2ten Brief hab ich auch bekommen. brauch Dir also nicht zu antworten weg. Deinem Projekt mit
Wieland. Ich danke Deiner schwärmenden Freundschaft. Aber sie scheint doch kaum so schwärmend zu seyn
daß Du mich für was mehr als ein Kind hältest. Wann ich Dir schreibe und nicht immer oder vielmehr
nie mich genire und gerade zu wies mir vom Herz oder vom Eselskopf oder gar von der Hand kommt und
Dir hernach mein Brief unverständlich oder nicht pünktlich genug oder weiß Gott wie vorkommt, was geht
michs an. Ein andermal mehr. Halt mich vor was Du willst ich bleibe <line type="empty"/>
<align pos="right">Dein Freund<line type="break"/>
R.</align> <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
An <line type="break"/>
Herrn <ul>Lenz</ul> abzugeben bey<line type="break"/>
Herrn Legationsrath <aq>Göthe</aq><line type="break"/>
zu Weimar <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<note>aufgeklebter Ausriss der Vorderseite</note> <line type="empty"/>
der<line type="break"/>
Kinder<line type="break"/>
Stra</letterText>
<letterText letter="217"><line tab="1"/>Schon lange mein verehrungswürdiger Freund hätt ich Ihnen einige Zeilen zugeschickt wenn ich den
Erinnerungen meines Herzens hätte folgen wollen; da meine Zeit aber mir nur zugemessen ist und ich
in der Freundschaft die stillen und unbekantbleibenden Gefühle den wortreichen oder auch nur
denen die sich produziren möchten vorziehe, so habe ich einen Mann wie Sie lieber der sich immer
gleichbleibenden Ueberzeugung von unserer Hochachtung weil sie auf Werth gegründet ist und uns Werth
giebt, lassen, als Ihnen durch unnütze Worte den Argwohn geben wollen, als könnt ich einen Augenblick
Ihre gute Meynung von uns in Zweiffel ziehen.<line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Darf ich Sie bitten sich gegenwärtiges Gedichts bey unserm Freunde Boje anzunehmen das hoffentlich die
Aergernisse die ich dem Publikum in Ansehung Wielands gegeben wieder gut machen und denen Beherzigungen
selbst die mich gezwungen über die Schnur zu hauen und die ich in der <ul>Vertheidigung</ul> dargelegt, mehr Gewicht
geben wird. Sie als ein erfahrner Steuermann auf den Wogen desselben sowohl bey Sturm als <ul>Windstille,</ul>
müssen mich aufs halbe Wort verstehen. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Doch bitte ich vor allen Dingen Freund B. wenn ers ins Museum rückt, den Correktor anzuhalten daß ja kein
Druckfehler unterschleiche. So bin ich neulich <ul>erschrocken</ul> über gewisse Sachen <insertion pos="top">(besonders Verse)</insertion> die in der
Schweitz von mir herausgekommen sind, die ich kaum <insertion pos="top">selbst</insertion> verstund, geschweige wiedererkannte</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich finde einen unaussprechlichen Reitz an der Einsamkeit, sie allein befriedigt alle meine Bedürfnisse doch
find ich itzt Ihre Philosophischen Beobachtungen darüber mehr als <page index="3"/> jemals bestättigt. Ich wünschte von
Herzen es erschiene einmal von <ul>einer Feder wie</ul> die Ihrige eine <ul>Psychologische Diäthetick</ul> für besondere Individiua
und besondere Fälle in die sie gerathen können. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Unter diese mein Gönner! Gehört auch unser kranker liebenswürdiger Lindau von dem ich Ihnen doch sagen muß, daß
ich ihn nicht ganz zu übersehen mich getraue, bis er ausgewirkt hat. Wer kennt alle die Keime in menschlichen
Seelen und kurz haben Sie die Gütigkeit, gegenwärtiges Brieflein, das ich ihm zur Ermunterung von verschiedenen
seiner Freunde habe zusammenschreiben lassen, worunter Personen <ul>von Gewicht sind</ul> Herrn Stabss. Boje der mir das
freundschaftliche Anerbieten gethan es zu besorgen, auf das angelegentlichste zu empfehlen. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align><line type="break"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich hoffe zu Herrn Bojens Geschmack er werde der zwey Noten halben die das ganze Stück bey <ul>einer gewissen Gattung
Leser an</ul> denen ihm bey seinem Musäum doch am meisten gelegen seyn muß, am meisten <ul>heben </ul>werden, keinen Anstand
nehmen es einzurücken. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die letzte scheint mir wegen einer gewissen Gattung neuer Schriftsteller die mit Wielands Manier wahre
Abgeschmacktheiten sagen (so wie denn heut zu Tage jeder Mann von Werth seine Affen hat die sich dabey unvergleichlich
befinden, derweil er die schwere Noth kriegen möchte und das Publikum wie ein Betrunkener nicht weiß hinter wen es
taumeln soll) <ul>mehr als zu nöthig,</ul> doch kann es Herr B. darüber nach seinem Gutbefinden halten. Mich deucht er
thut sich durch allzuviele Circumspecktion Schaden, sobald es Sachen gilt, worauf es was ankommt. Gerade da ist
die größte Vorsicht oft die höchste Unvorsichtigkeit.</letterText>
<letterText letter="218"><line tab="1"/>Meine Abreise aus Strasburg war so unvermuthet und meine Schicksale und Beschäftigungen
kreutzten sich seitdem so wunderbar daß ich von den wie Blitzen an mir vorüberfliegenden
Augenblicken bisher noch keinen habe haschen können, Ihnen zu sagen wie unwandelbar meine
Hochachtung für Sie sey und wie alle Entfernung den Zusammenhang mit Männern von Ihrer Art
nur etwas weiter ausdehnen, nie aber zerreissen könne. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Um was Geschäft ist zuerst auf die Seite zu räumen, muß ich Sie bitten doch gelegentlich
Herrn Neukirch zu sagen, er möchte die Rhapsodie, so er Ihnen vorgelesen, doch Herrn Schlosser
zurückschicken, sie war für einen andern bestimmt. Ich hoffe aber mit diesem lieben <page index="2"/>
Mann, wenn er Lust zu mir hat, in andere Unterhandlungen zu treten, die für uns beyde
wichtiger seyn werden. <line type="empty"/>
<sidenote pos="bottom right" page="1" annotation="am unteren rechten Rand von Seite 1 Empfangsvermerk von Pfeffels Hand"><hand ref="21"><line type="break"/>
Mr Lenz den 31 <aq>Juillet</aq> 1776.</hand></sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Itzt zu Ihnen und Ihrem Institut. Darf ich mir doch einige Nachrichten davon ausbitten. Sind
auch französische junge Edelleute darinn? <ul>worinn werden sie unterrichtet?</ul> Was andere zu vielen
Lärmen machen, werther Freund! machen Sie zu wenig. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal"><line type="break"/>
Ob auch neue Seeschulen errichtet worden.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wollten Sie mir auch sagen, und Herr Prof. Lerse wird mir vielleicht darinn mehr Licht geben
können, was eigentlich aus der <ul><inc ref="2">ecole militaire</inc> in Paris</ul> <page index="3"/> geworden ist, wo jetzt
<ul><inc ref="2">ecoles militaires</inc></ul> angelegt worden, was aus dem <ul><inc ref="2">hotel des Invalides</inc> geworden ist,</ul> wo die Invaliden jetzt
verpflegt werden, was aus der <ul>Landmilitz geworden ist</ul> und wozu sie anjetzt gebraucht wird, ich brauche
alle diese Nachrichten nothwendig und aufs eheste. Verzeyhen Sie meine Unbescheidenheit, ich weiß
sonst nicht an wen ich mich wenden soll. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herr Basedow hat mir die Ehre angethan mir einen Ruf als Schriftsteller ans Philanthropin zuzuschicken;
ich mußte wirklich lachen über diese ganz neue Art zu komplimentiren. Indessen hoffe ich dennoch von
dieser Anstalt in unseren Gegenden viel Gutes, wenn der Mann <page index="4"/> nur im Stande wäre sich die Grille
der allgemeinen Religion aus dem Kopfe zu lassen, welches die meisten Eltern von ihm abschröckt und worüber
er sich hoffentlich auf eines andern besinnen wird. Es ist für ihn, so wie für unzähliche Protestanten
ein Unglück, daß jemals ein Luther gelebt hat. Nachdem er Berge ausgehoben, wollen sie mit eben dem Geräusch
Strohhälmchen wegschaffen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie werden mich durch eine umständliche Nachricht von Ihrer Anstalt unendlich verbinden. Herrn P. Lerse
bitte viel schönes zu sagen. Ich schmecke itzt die ganze Wollust der Einsamkeit auf den Kontrast des Hofes.<line type="break"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Meine Adresse ist in Weymar an Herrn geheimen Legationsrath Goethe, oder lieber an Hofrath Wieland, weil erster
itzt gleichfalls auf dem Lande ist.</sidenote></letterText>
<letterText letter="219"><line tab="1"/>Ihr Brief hat mir viel Freude gemacht, lieber Freund! ich bin auf dem Lande und in mir selbst sehr
glücklich, nach dem ich am Hofe fast verwittert war. Ihre Nachrichten sind mir sehr lieb und sehr leid,
ich hoffe es soll bald besser thonen Wenn Sie doch die Schwärmer erst auf Ihrer Seite hätten und
nicht die Tugendschwärmer die nur Lärm machen wollen, die andern, die Thoren, die Unglücklichen mit
ihrer kauderwelschen pietistischen Sprache, die aber thun.<line type="break"/>
Ich bin von Herzen<line type="break"/>
<align pos="right">Ihr Freund<line type="break"/>
Lenz</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Kein Wort vom <ul>lieben Heiland</ul> in Basedows Nachrichten kein Wort wie es denen schmeckt, denen nun das ihr
höchstes Gut ist und deren doch die größte Anzahl ist. Entweder ich schwiege ganz von Religion oder ich
richtete sie mehr für den Schwärmer als für den Freygeist ein.</sidenote></letterText>
<letterText letter="220"><line tab="1"/>Den Tempel hab ich ihr lang in meinem Herzen gebaut und Sie mein würdiger Gönner haben ihn auf
ewig fest darinn gegründet. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre Nachricht war mir sehr willkommen; aber eben darum macht sie mich in meinem Fragen immer
kühner und unverschämter. <line type="empty"/>
<page index="2"/> <line type="empty"/>
<note>Kalkulationen</note>
Les petich dearchardes dars les viles pay les grandes perdeat lyarges @ <line type="empty"/>
Das Zeughaus besuchen und mich nach allem erkundigen. <line type="empty"/>
Ganz kurz <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> in Merkur.
Unter Louis XIII. 15000 <nr> </nr><line type="break"/>
Et 30000 cheraus also den 3ten Theile</letterText>
<letterText letter="221"><align pos="right">An Lenzen.</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Um der Götter willen Lieber laß uns doch nicht so verwirt mit einander haushalten. Wos nicht mit
Zauber zugeht so must Du Briefe wissen die ich Dir nach Strasb. und Weimar wegen der flüchtigen
Aufsäzze schrieb, Deinen Konsens hatte ich, daß sie im Drucken wären wußtest in einigen Zettel
nach Weimar Ein Exl. ist an Wieland für Dich abgegangen. Und jezt, bin ich schuld kan ichs
ändern und ruckrufen wie Du wilst daß sie nicht gedrukt wären? Ich gehe einfach, ich that wie wir
ausmachten, ich referirte Dir getreulich drüber quäle mich nicht! quäle Dich nicht! Es ist so
viel vorbey laß das mit drein gehen. Künftig geht vieles anders<line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
Eilf Exl. sind noch für Dich an Röderern abgegangen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sollte Dirs nicht dort wohl werden können wo hin ich Flügel der Morgenröthe haben mögte! in der
Götterhaushaltung! Ich ahnde vielleicht mehr von Deinem Zustand Lieber als Du glaubst. Ich habe
mich auch aus vielem herausgerissen und size jezt hier, und ich darbe zwar immer und immer und doch
kanns einem gut dabey seyn. <line type="empty"/>
Pfenninger war in Emmendingen. Lavater treibt immer grosen verworrenen Gang. <line type="empty"/>
Ach es ist vielen Noth. <line type="empty"/>
<line tab="2"/>Adieu. <line type="empty"/>
Schreib mir doch plan und deutlich Ade. <line type="empty"/>
<align pos="center">Z. 24 Julius 76.</align></letterText>
<letterText letter="222"><line tab="1"/>Liebster! Hier nur ein paar Worte mit dem Brief der vermuthlich Deines lieben Papas. Die O. ist
wieder vom Lande zurück, hat die Claudine gelesen und an Deinen Goethe geschrieben, also darüber
nichts mehr. Aufm Lande wann <aq>Mslle Kg</aq> was lesen wollte, so wollte die O. immer sprachen und so
kamen sie in der Lecture des Mekrurs u Herders nicht weit. Außer de<del>m</del><insertion pos="top">n</insertion> angezeigten Capitels
die sie durchlaßen. Nu weiter! Beym zurück kommen gieng auch die von Mömpelgart hier durch nach
P. und nahm auf ein Stück wegs die v. O. mit die vermuthlich gestern zurück kam. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Amerikaner treiben ihr Sach gut, sollen verwichen 4 <note>Donnerstag</note> Deputirte derselben am
Spanischen Hof gewesen seyn die <del>ihr</del> ein Kriegsschif wieder zurückführte. Schreibst Du mir wieder,
so sey doch so gut u antwort mir auf die Frage von Claudine ob Musik dazu da sey u. was die
Composition von Schönfeld über die beyden Alten mache und wo diese gedruckt werden oder worden sind. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da ist auch eine Abschrift von den Versen die ich Esel lezt vergaß Dir zu schicken. (Apropos weistu
daß Pfenninger droben beym Hofrath ist? Nicht einen <aq>Sous</aq> hab ich itzt Geld im Sack sonst gieng ich
den Augenblick einen Gaul zu leihen um hinzutrotten.) <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Ach du um die die Blumen sich
<line tab="5"/>Verliebt aus ihren Knopsen drängen
<line tab="5"/>Und mit der frohen Luft um dich
<line tab="5"/>Entzückt auch ihren Weyhrauch mengen,
<line tab="5"/>Um die jezt Flur und Garten lacht
<line tab="5"/>Weil sie dein Auge blühen macht. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Ach könnt ich jezt ein Vogel seyn
<line tab="5"/>Und im verschwiegnen Buch es wagen
<line tab="5"/>Dir meines Herzens hohe Pein
<line tab="5"/>Die ohne Beyspiel ist zu klagen.
<line tab="5"/>Empfändest du die Möglichkeit
<line tab="5"/>Von dieser Qualen Trunkenheit <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Vielleicht daß jener Busen sich
<line tab="5"/>Zu einem milden Seufzer hübe,
<line tab="5"/>Der mich bezahlte daß ich dich
<line tab="5"/>Noch sterbend über alles liebe. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Zimmermann ist nicht hier sondern zu Zürich bey Lavater. Eisenberg wird Dir dieß geben wann er noch hier
ist wo nicht so gehts (statt morgen mit Ihm) heute noch mit der Post ab. Leb tausendmal u nimm die Freude
und die Ruhe und den Himmel den der ewige beste Freudengeber in jedes Herz schenken will das Ihm sich öffnet,
o mein Lenz könnt ich nur etwas von der Ruh geben die ich habe! Dich grüßt die deutsche G. es geht alels gut,
treflich. Wagner ist auch hier <aq>Adieu</aq> Dein Röderer. <line type="empty"/>
<aq>Strasb. Kalend. Julii 1776.</aq></letterText>
<letterText letter="223"><pe>
Vom Lande</pe> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich muß bitten lieber Freund! zu verhüten daß die Soldaten nicht etwa im Meßkatalogus unter
meinem Namen angezeigt werden, da ich sonst nimmermehr mit Ihnen was zu theilen haben kann da
sie ganz und gar <ul>wieder meinen Willen</ul> gedruckt worden sind und es die <ul>aller nachtheiligsten Folgen
von der Welt</ul> für mich haben kann. Eben dadurch auch für den Verleger; der den Verfasser so
wenig geschont hat. <pe>D. 26ten Julius 76</pe><line type="break"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie werden sich ohne Namen schon forthelfen. Mir gäben Sie einen wahren Beweiß der Freundschaft
wenn Sie es noch un<insertion pos="top">an</insertion>gezeigt liessen, könnt es aber nicht anders seyn, dazu setzten,
von Steenkerk. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal, in Bleistift"><line type="break"/>
<line tab="1"/><pe>Auch von dem andern Antrag bitte um Ihrer Freundschaft willen niemanden zu sagen. Die Sachen folgen
so kurz aufeinander.</pe></sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note> <line type="empty"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Weidmanns</ul><line type="break"/>
Erben und <ul>Reich,</ul> berühmten<line type="break"/>
Buchhandlung<line type="break"/>
in<line type="break"/>
Leipzig. <line type="empty"/>
<sidenote pos="top" page="2" annotation="am oberen Rand Empfangsnotiz Reichs"><line type="break"/>
<hand ref="33">1776. D. 2. Aug. Lenz.</hand></sidenote> <line type="empty"/>
Vom Lande</letterText>
<letterText letter="224"><hand ref="25">
<line tab="1"/>Der Herr Geh. Leg. Rath läßt sie vielmals grüßen und wünscht daß Ihnen ihre Rhabarbera wohl
bekommen möge. auch schickt er Ihnen hier 2 versiegelte Bouteillen Wein, und Sie mögten nur fleißig
zeichnen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die verlangte Bücher sind nicht in der Bibliothek. Kann man sie aber sonst auftreiben, so erhalten
Sie sie nächstesmal. <line type="empty"/>
Die Wäsche besorg ich, und auch die Laube auf kommenden Mittwoch. <line type="empty"/>
Von Briefen ist nichts hier. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe nach Zitronen geschickt und denke sie wird mir bringen. Hier sind drei. Es freut mich sie
sind recht schön. Der eingeschlagene Brief und das Paquet gehen nächsten Posttag
nach Strasburg ab. Ich bin ihr herzlicher Diener Philip<line type="break"/>
<del><line type="empty"/><line type="empty"/></del> <line type="empty"/>
<sidenote pos="right" page="1" annotation="auf der Rückseite am rechten Rand, vertikal"><line type="break"/>
mit 2 Bouteillen Wein und 3 Zitronen in Papier</sidenote></hand> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="Notizen von Lenz u. a. zu „Die Fee Urganda“, linke Spalte"> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><hand ref="1">Amalia sucht im Nebel die beyden Prinzen die aus diese zu erhaschen + die aus <insertion pos="top">die fr. zu <nr> </nr> </insertion> gradwegs waren
gestürzt In dem Augenblick zertheilt sich der Nebel und sie stehen vor ihr<line type="break"/>
+ die sie für ein Bauernmädchen hielten, weil sie eben zu Kn. gekommen was der nun erfährt keuchend und
schwitzend seine letzten Statuen zum Fenster hinaus warf.</hand></sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ach meine Kinder sagt sie. Du führst sie zu Knebel den sie alle bedauern, dem die Weiber alle abschwörten in
dem Augenblick <del><nr> </nr></del> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die wohlthätige Frau sie hat ihm eine ausgesucht, deren Gestalt die fürstliche Urganda es auf sich genommen um
Knebel zu schwärmen sie gibt sie ihm und zwar eben deswegen wird sie nichts weniger als Statue ihn <nr> </nr> sie auf greif
ists Pandolfo <nr> </nr>nde. Die wächst dich<nr> </nr>Weib. Ge<nr> </nr> an ihn will auch ein lang den<nr> </nr> und d<nr> </nr> de. Die <line type="empty"/>
<sidenote pos="right" page="1" annotation="Lenz Hand, rechte Spalte, horizontal gespiegelt"><line type="break"/>
<hand ref="1">Sobald ich nach Weymar komme mein Ding für die Herzogin ausmachen sehr vortheilhaft für Pandp. und für sie</hand></sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote pos="right" page="1" annotation="rechte Spalte, nicht horizontal gespiegelt"><line type="break"/>
Das von der Deutschen Gesellschaft im Merkur.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Bitten Sie doch lieber Philipp daß H. Doktor in seinem Manuscript anstatt Henriette von Waldek schreibt H. von
Warbek, Baron v. Warbek, und schreiben Sie es auch so ab. Es hat seine grossen Ursachen. <line type="empty"/>
<del>Diese <nr> </nr> sollte der</del><line type="break"/>
<line tab="1"/>Milton war nun auch einmal gefallen, Newton lag auf dem Bauch als ob er noch in einer Berechnung der Geschwindigkeit
der Centralkraft begriffen wäre und Locke schien sehr nachdenklich im Koth zu sitzen wie er wol zu dieser Begegnung
könne gekommen seyn</letterText>
<letterText letter="225">Lentz,<line type="break"/>
<line tab="5"/>Ein Gruß von mir aus heißer Seele.
<line tab="5"/>Küß Kaufmann von mir. Gieb ihm den Brief wenn er kömmt.
<line tab="5"/>Ich leide woran keine Seele denkt.
<line tab="5"/>Kannst Du bethen, bethe für mich. <line type="empty"/>
<align pos="center"><aq>adieu</aq> L.</align> <line type="empty"/>
<align pos="right">D. 31 Jul. 76.</align> <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Mitteilung Lavaters für Christoph Kaufmann</note><line type="break"/>
L. Kaufmann,<line type="break"/>
d. Brief blieb zurück. <aq>adieu.</aq> bezahle d. Port u. bleibe Lavatern.</letterText>
<letterText letter="226">Halle den 3ten Aug. 1776.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich hoffte selbst das Vergnügen zu haben, Sie , theuerster Freund, persönlich zu sprechen,
verschiedene Umstände haben es aber nöthig gemacht, gerade nach Berlin und von da wieder hieher
zu gehen; ich schike Ihnen also hier die Briefe, so mir Röderer mit gegeben; sollten Sie mich für
würdig halten Ihre Briefe zu bekommen, wiewohl die fehlgeschlagenen Hoffnung einer Antwort auf
meinem ersten, mich es fast nicht zu hoffen läßt, so bitte ich solche nur nach Halle zu adreßiren.
Ich wünsche Ihnen alles mögliche WohlErgehn und Vergnügen und bin <line type="empty"/>
Ihr gehorsamter Diener<line type="break"/>
<aq>Eisenberg<line type="break"/>
Candidat en Droits.</aq></letterText>
<letterText letter="227"><hand ref="20">Empf. den 13ten Aug. 1776.</hand> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lieber Freund Boje! Die Soldaten sind nicht von mir, ich bleibe dabey, mögen die Herren die so
geschwind mit dem Druckenlassen fertig waren, auch den Namen auf sich nehmen. Der Verf. des
Hofmeisters darf Sie nicht irre machen, es ist nichts leichter geschrieben als eine Komödie von der
Art, aber nichts schwerer verantwortet. Auch dächt ich hätten wir itzt Produkte in der vorgeblichen
Manier die Menge als daß dieses itzt ganz nothwendig sollte und müßte auf den Verf. des
Hofmeisters schliessen machen. Kurz ich habe selbst bey dem der es zuerst Hn. Leibarzt zugeschickt,
meinen Namen nur für einen andern hergegeben der verborgen bleiben <ul>mußte.</ul> Und den die <page index="2"/>
Bekanntmachung dieser Rhapsodie über kurz oder lang zu Grunde richten wird, da all seine Verhältnisse
drüber zum Teuffel gehen. Es thut mir weh genug und ich habe mir alle Mühe gegeben vorzubiegen.
Vielleicht hilft dies noch. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am Rand der ersten Seite, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Verzeyhen Sie meine Länge über einen so uninteressanten Punkt für Sie. Es liegt mir zu sehr am
Herzen als daß ich nicht bitten und geilen sollte um Stillschweigen.<!-- Auf welcher Seite der Seite? --></sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Verzeyhen Sie mein langes Stillschweigen, ich habe viel sehr viel zu thun und mich deswegen von aller
menschlichen Gesellschaft abgesondert. Schloßer wird Ihnen vielleicht den Engländer schicken; aber
unter angehängter Bedingung nicht meinen Namen zu nennen, denn auch ich will und darf nicht überall
genannt werden. Wenn das <page index="3"/> Ding ohne Namen nichts nutz ist, so werfen Sies ins Sekret. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am Rand der zweiten Seite, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Der Verf. der Soldaten <ul>heißt Steenkerk,</ul> <insertion pos="top">soll und muß so heißen</insertion> ich darf auch <ul>meinen</ul> Namen nicht länger
hergeben da ich in zuviel Verdrüßlichkeiten dadurch gerathen würde und man von mir auf ihn rathen könnte.
nur eine Scene ist von mir.<!-- Auf welcher Seite der Seite? --></sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote pos="bottom" page="2" annotation="am unteren Rand der zweiten Seite"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Thun Sie mir die Liebe und hindern die Publizität der Soldaten soviel an Ihnen ist, bitten auch Zimmermann
drum. Nur nicht viel davon geredt, ich bitte, noch weniger geschrieben</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es ist eine grosse Sache Lieber! andere Leute nie als lndividua sondern in und mit ihren Verbindungen zu
behandeln. So wird einem oft ein Dolch ins Herz gedrückt und man weiß nicht über wen man sich beklagen soll.
Ich rede hier nicht von <ul>mir;</ul> aber der Verf. der Soldaten der Soldaten wenn er weniger jung, weniger Hoffnungen
gebend, mir weniger anhänglich gewesen wäre, welches Sie auch aus dem Styl sehen können, würde ich kein Wort
sagen. Hätt er doch nie meine Bekanntschaft gesucht und das unglückliche Talent noch ein wenig ruhen lassen.<line type="break"/>
<align pos="right">L.</align><line type="break"/>
nur daß dieser Brief nicht auch gedruckt wird. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">Ich danke für die Liste: sie kam mir zwar ein wenig zu spät. Wissen Sie mir nicht
zu sagen, wohin man Briefe an Hn. v. Lindau adressirt und wenn wieder ein Schiff abgeht auch ob stark
geworben wird.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Stabsekretär<line type="break"/>
<ul>Boje</ul><line type="break"/>
in <ul>Hannover</ul><line type="break"/>
abzugeben im Churhut bey der Post.</letterText>
<letterText letter="228"><line tab="1"/>Auf Deinen letzten Brief lieber Bruder weiß ich Dir weiter nichts zu antworten. Nur daß ich ihn mit
keinem Pack von <aq>Göthe</aq> wie Du sagtest erhalten habe. Vor oder nach dem Empfang dieses Briefs, den
Du durch den nach Dessau reisenden Kaufmann erhältst, wirst Du auch 8 Exemplare von Deinen
flüchtigen Aufsätzen erhalten. Die <aq>Mademoiselle de Muralt</aq> eine liebenswürdige Dame von Zürich
brachte mir sie mit und ersuchte mich um ein Exemplar. 2 davon behalte ich zurück und frag Dich
wo ich mit hin soll, mir und Wagnern der mein lieber Freund ist hat Kayser eines geschickt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Auch fragt <aq>M Leypold,</aq> der Deinen Brief erhalten hat, u Dich grüßt: ob Du Geißlers Geschichte
von Teutschland in 2 Quartbänden mitgenommen oder hier wo <del>in</del> andern geliehen hast? <line type="empty"/>
Salzmann schreibt Dir, Deine übrigen Freunde grüßen Dich, die Sozietät und H. v. Kleist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Vor 14 Tagen hab ich Pfenninger bey mir gehabt und bin mit ihm samt Blessig und Wagner nach
Emmendingen wo wir <aq>Lavater</aq> antrafen und 2 Tage sehr vergnügt bey einander blieben. Hr Hofrat und
seine Frau grüßen Dich herzlich, Du hättest wieder dabey seyn sollen als sie uns alte Romanzen
sang und besonders die aus dem Faust. Pf. konnts kaum tragen in Strasburg Dich nicht zu sehen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wann Du mir was zu schicken hast, so schicks bald wenigstens doch ein Briefchen, dann ich geh nach
6 Wochen aufs aller spätste von hier nach Göttingen, und bald drauf ohne lang da zu weilen werd
ich durch Leipzig nach Dessau gehn wanns meine Finanzen zu lassen. Die Adresse ist (Du hattest es
Iezt vergessen) bey Rausch zu Kehl. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lieb mich noch immer und sey glücklich.<line type="break"/>
Dein Röderer.</align><line type="break"/>
Strasb. den 8 Augst. 1776. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>P. S. Die gnädige Frau ist zu Schweighusen im Obern Elsaß auf ihres Papas Landgütern, befindt sich
wohl weiters weiß ich nichts. <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
An <line type="break"/>
Herrn <ul>Lenz</ul> beim<line type="break"/>
Herrn Legations Rath Goethe<line type="break"/>
zu Weymar<line type="break"/></letterText>
<letterText letter="229"><line tab="1"/>Lieber Schaz, was Du gern hättest kan ich Dir izt nicht schicken. Dafür schick ich Dir den <aq>Etat de france</aq>
in 4. Oktavbänden, woraus Du viel <aq>detail</aq> lernen kannst. Hab Sorge zu den Büchern! Das <aq>Siecle de
Louis XIV.</aq> verlang von der Herzogin-Mutter; sie wird Dirs gerne geben; oder von <ul>Kalb.</ul> <aq><dul>Cura ut valeas.</dul></aq>
Hab uns lieb, und mach daß Du bald wieder hier existirst. Du kannst hier so gut einsam leben als in
Berka, wenn Du nur ein für allemal ein wenig arrangirt bist Wozu alles was Dich lieb hat, herzl.
gern behülflich seyn wird. Adieu.<line type="break"/>
<align pos="right">Wieland.</align> <line type="empty"/>
<ul>27. August</ul></letterText>
<letterText letter="230">Heute ist dem Hrn. G. Leg-Rath sein 27ter Geburtstag.<line type="break"/>
Der alte Herr v. Kalb ist hier.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Anbei <insertion pos="top">Papier und</insertion> ein Paket <del>mit</del> von H. HofRat Wieland und einen Billett von ihm nebst einem
angekommenen Brief.<line type="break"/>
Ich rekommandire mich. <line type="empty"/>
<hand ref="1"><pe><line type="break"/>
Dem alten @ ein Explar <ul>meiner Sold.</ul> schicken sauber gebunden<line type="break"/>
Auch <del>m</del> 2 <ul>Fam. gemählde</ul> </pe></hand><line type="empty"/>
@ eines S. G. zu überwachen @ <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
Begreiflich machen daß er wohl noch mächtiger wäre@ als zu @ main forte</letterText>
<letterText letter="231"><!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="232"><!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="233"><line tab="1"/>Ich bin zu glücklich Lieber als daß ich Deine Ordres Dir von mir nichts wissen zu lassen nicht brechen
sollte; wollte Gott ich hätte Deine Art zu sehen und zu fühlen und Du zu Zeiten etwas von der
meinigen, wir würden uns glaub ich beyde besser dabey befinden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich schreibe Dir dies vor Schlafengehen, weil ich in der That bey Tage keinen Augenblick so
recht dazu finden kann. Dir alle die Feerey zu beschreiben in der ich itzt existire, müßte ich
mehr Poet seyn als ich bin. Doch was soll ich Dir schreiben daß Du falls Schwedenborg kein
Betrüger ist alles nicht schon vollkommen mußt geahndet gesehen und gehört haben. Wenigstens
haben wirs an all den Gebräuchen und Zauberformeln nicht fehlen lassen mit denen man abwesende
Geister in seinen Zirkel zu bannen pflegt; wenn Du nicht gehört hast, ists Deine Schuld. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mit dem Englischen gehts vortreflich. Die Frau von Stein findt meine Methode besser als die Deinige.
Ich lasse sie nichts aufschreiben als die kleinen Bindewörter die oft wiederkommen; die andern soll
sie <aq>a force de lire</aq> unvermerkt gewohnen, wie man seine Muttersprache lernt. Auch bin ich unerbittlich
ihr kein Wort wiederzusagen was den Tag schon vorgekommen und was mich freut ist, daß sie es
entweder ganz gewiß <page index="2"/> wiederfindt oder wenigstens auf keine falsche Bedeutung räth, sondern
in dem Fall lieber sagt, daß sies nicht wisse, bis es ihr das drittemal doch wieder einfällt. Nur
find ich daß sich ein Frauenzimmer fürs Englische ganz verderben kann, wenn sie mit Ossianen anfängt.
Es geht ihr sodenn mit der Sprache wie mir und Lindau mit dem Menschlichen Leben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lieber Bruder Du hast entweder selbst meine Brieftasche oder Philipp hat sie gefunden; schicke mir
sie doch. Wenigstens Dein Gedicht, das ich hineingelegt hatte alles, denn ich weiß selbst nicht mehr
was drin ist. Schick doch auch sonst was mit für Frau v. Stein, etwa d. Jungs Autobiographie von der
ich ihr erzehlt habe. Ich komm in der That hieher wie ein Bettelmönch, bringe nichts mit als meine hohe
Person mit einer großen Empfänglichkeit; habe aber doch sobald ich allein bin grosse Unbehäglichkeiten
über den Spruch daß Geben seeliger sey als Nehmen.<line type="break"/>
<page index="3"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Dein Bote gieng obschon er alle Kräfte anwandte die ihm Weib und Kinder übrig gelassen mit der
Geschwindigkeit eines Mauleseltreibers; ich wäre eben so geschwind und ungefähr in eben der Gemüthsfassung
mit blossen Knieen auf Erbsen nach K gerutscht; Und doch war eben der Merkurius den andern Morgen als ich
ihn wollte ruffen lassen, Dir Frau v. Stein Brief und Zeichnungen zuzuschicken, (obschon ichs ihm Abends
vorher hatte notifiziren lassen) über alle Berge. Wofür Du ihn sermoniren kannst, damit ers ein andernmal
in ähnlichen Fällen nicht wieder so macht. <line type="empty"/>
<aq><line tab="5"/>i beg thee to see frequently the spouse of
<line tab="5"/>the lady. I have a pressentiment thou willst
<line tab="5"/>thank me of having given thee a counsel
<line tab="5"/>needful. A<note>a</note>t least <note>Textverlust</note>
<line tab="5"/>it <del><nr> </nr></del> is only given <note>Textverlust</note>
<pe>
<line tab="5"/>thou kno<note>Textverlust</note>
<line tab="5"/>imagine all <note>Textverlust</note>
<line tab="5"/>suffers constantly <note>Textverlust</note>
<line tab="5"/>She must hea<note>Textverlust</note>
<line tab="5"/>much deli<note>Textverlust</note>
<line tab="5"/>tranquillity of mind <note>Textverlust</note> <line type="empty"/>
<page index="4"/><note>Zeichnungen</note></pe></aq></letterText>
<letterText letter="234"><align pos="right">Weymar d. 20sten Sept. 1776.</align><line type="break"/>
<align pos="center">Meine theuersten Vaterbrüder!</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Seit vier Jahren, da ich Sie zum letztenmal sah, wälze ich mich nun schon in der Welt auf und nieder,
bis mich die Vorsehung endlich nach Weymar geführt hat, welches ich wohl sobald nicht verlassen
werde. Die Erinnerung von Ihnen hat mich überall hinbegleitet und ich werde nie aufhören zu fühlen
daß ich für alle die Freundschaft und Güte die Sie mir in Cöslin und Colberg erwiesen, Ihr beständiger
Schuldner bin. Der Himmel verwandle meine Wünsche für Sie und die Ihrigen in Seegen und Glück,
bis er mir Gelegenheit giebt, mehr als Wünsche zum Beweise meiner unveränderlichen Zärtlichkeit besonders
für die letzteren sehen zu lassen. Unter diesen erinnere ich mich besonders meines kleinen Vettern in
Colberg, des allerjüngsten, der mir soviel Freude durch seinen Anblick gegeben hat.<line type="break"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich bin schon seit dem Aprill in Weym. Bitte mir doch die Nachrichten <ul>sobald es möglich,</ul> gütigst zukommen
zu lassen. Von meinem Großvater erwähnen Sie nicht, wenn ich bitten darf.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Darf ich Sie zum Beweise daß Sie mich nicht ganz vergessen haben, bitten, mir doch alles was Sie von den
Lebensumständen und Schicksalen Ihres seeligen Großvaters und Eltervaters wissen unter der Adresse des <ul>Hr.
geheimen</ul> <ul>Legationsrath Goethe</ul> in <ul>Weymar</ul> mitzutheilen. Ich erinnere mich von meinem Vater soviel gehört zu
haben, daß der erstere im dreyssigjährigen Kriege gedienet und der andere wo mir recht ist Staabsoffizier
gewesen. Diese Nachrichten, wenn sie mir aufs eheste gegeben würden, könnten mir <page index="3"/> besonders jetzt
ungemein vortheilhaft werden. Ich bin so frey besonders meinem jüngsten Hn. Onkel mit diesem Auftrage beschwerlich
zu fallen, dessen Güte für mich schon bey so manchen Gelegenheiten mich ihm vorzüglich verbindlich macht.
Sollten allenfalls die Vaterbrüder in Cöslin mehr Spezielles von <ul>Ihrem Grosvater</ul> wissen so bitte doch, sich
desfalls an sie zu wenden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Ursache warum ich gerade diese Nachrichten mir ausbitte, würde Ihnen auseinanderzusetzen die Grenzen eines
Briefes überschreiten. Seyn Sie übrigens versichert daß es mir auch an diesem Hofe wohlgeht und daß ich wohin mich
auch mein Schicksal verschlägt mich jederzeit mit der wärmsten Hochachtung Ergebenheit und Liebe nennen und zu beweisen
suchen werde als Ihren<line type="break"/>
<align pos="right">ganz ergebensten Neffen<line type="break"/>
Lenz.</align><line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Heinrich<line type="break"/>
Jakob Lenz<line type="break"/>
berühmten Handelsmann<line type="break"/>
zu<line type="break"/>
Colberg in Pommern</letterText>
<letterText letter="235"><line tab="1"/>Mir ist sehr lieb bester Lenz dass Sie mein Schuldner sind ich finde meine Rechnung dabei. Bleiben Sie
es immer so lange Sie wollen, so bekomm ich doch noch bisweilen ein Vertröstungsbriefgen. Ich
denke wann das nicht wäre Sie würden mich gar vergessen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was machen Sie und was macht Göthe? Ihr affengesichter! warum erfahr ich nichts was Ihr thut was
Ihr schreibt was Ihr herausgebt? Die Soldaten hab ich gelesen und für Ihr Kind erkannt der gute
Hauptmann B. ist auch drinn, alles sehr gut. Claudine hab ich auch gedruckt gelesen. Aber die
neue Arria und der Sechste Act von Stella, sagen Sie mir doch ob die auch von Göthe sind, so will
ichs zu seinen sachen binden lassen. Ihr Auftrag wieviel Bürger und Handwerker in Strasburg sind ist
ein bisgen Schwer zu beantworten. Es sind 5300 Bürger ohne die Wittiben deren etwa 5 bis 600 seyn
können, aber die anzal der Handwerker ist sehr weitläufig ausfindig zu machen dann es sind auch
viele Weiber und viele ohnverburgerte lnnwohner die professionen Treiben jedoch die letzteren ohne
Knecht oder gesellen. Ich glaube ihr Leute arbeitet an politischen <aq>projecten</aq> um den Türken aus Europa
zu vertreiben oder gar den Mogol vom Thron zu stossen. Wir Strasburger Iassens gern beim alten wie Sie
wissen. Da ist man ruhiger dabei. Doch ist meine leztere ohngedruckte Abhandlung über allgemeine oder
gesellschaftliche glückseligkeit unvergleichlich gerathen und wenn Ihr mir gut wort gebt so schick
ichs euch Sie ist in der Gesellschaft gelesen und sehr approbirt worden. <aq>Ramond</aq> hat angefangen den
Werther zu übersezen ich glaube er wirds besser machen als alle andere. Ich küsse Sie liebster Lenz.<line type="break"/>
Küssen Sie Goethe für mich <note>Textverlust</note><line type="break"/>
<align pos="right">Salzmann Act.</align><line type="break"/>
Der junge Bernhard von <note>Textverlust</note> hat <aq>banqueroute</aq> gemacht und davon geloffen sagen S ie das Göthe.<line type="break"/>
<align pos="right">D. 21. 7br.</align> <line type="empty"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Lenz bei H. Legations Rath Göthe<line type="break"/>
In Weimar.</letterText>
<letterText letter="236"><line tab="1"/>Hier Herr Lenz schicke Ihnen etwas Wäsche von Schenck wo ich iezo bin, Ich bin in einem grimmigen
Zorn über die Wäschern die mich so herum zieht.<line type="break"/>
1 Hemd.<line type="break"/>
2 Halsbinden<line type="break"/>
1 P. Strümpf<line type="break"/>
<del>2 Halsbindgen.</del> 1 Sacktuch<line type="break"/>
1 P. Schuh.<line type="break"/>
1 P. Schuhschnallen<line type="break"/>
<line tab="1"/>Ihre Paar Sporen. und da schicken Sie doch mit dem nächsten dann Hr. G. L. R. seine Sporen wieder
zurück. <line type="empty"/>
<note>in Bleistift, spiegelverkehrt</note><line type="break"/><pe>
D 22 Septbr.</pe> <line type="empty"/>
<page index="2"/> <line type="empty"/>
@ unleserliche Notizen, Lenz Hand und andere?<line type="break"/>
6<line type="break"/>
5. 6. 3.<line type="break"/>
2 15 <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
2 Div<line type="break"/>
u. Caffe</letterText>
<letterText letter="237">Von dreien Antwort.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Den an Philipen habe durch die Boten Frau überbringen laßen. welche auch Antwort von demselben
bringen wird.<line type="break"/>
inliegend 1 gr. übrig gebliebenes Brief Porto.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich fahre fort zu dienen mit dem unendlichsten Vergnügen und verharre Zeitlebens mit der grösten
Hochachtung <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihr<line type="break"/>
gehors. Diener<line type="break"/>
Schenk</align></letterText>
<letterText letter="238"><align pos="center">Bester Vater!</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es war die Mutter vom nunmehrigen geheimen Legationsrath Goethe, die ich in · Frankfurt auf der
Durchreise das erstenmal kennen gelernet, von der ich Mamaen das schrieb. Seine Schwester, eine
gleichfalls sehr würdige Dame ist lange verheurathet mit einem Manne der ihrer werth ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich Ihrer spotten das ist ein Gedanke, der mich tödten würde, wenn ich nicht hoffen dürfte,
daß er nur aus Ihrer Feder, nicht aus Ihrem Herzen gekommen ist. Ich sehe mein Vater! daß es ein
Schicksal ist, das ich nicht ändern kann, wegen Entfernungen der Zeit und des Orts von Ihnen und
allen den Meinigen mißverstanden zu werden. Wie heilig mir Ihre Briefe sind, mag Gott Ihnen durch
einen andern Weg als durch meine Feder künftig bekannt machen, oder auch nur ahnden lassen. Fahren
Sie fort mir diese <ul>höchsten</ul> Beweise Ihrer Güte noch zuzuschicken wenn Sie mich dessen werth glauben. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Wie <dul>Goethe</dul> und die Seinigen sich zu allen Zeiten gegen mich bewiesen und wieviel ich ihnen schuldig
bin, kann ich nie genug erkennen und rühmen.</sidenote><line type="break"/>
<page index="2"/><line type="empty"/>
<line tab="1"/>Goethe ehrt Sie wie ich. Die Welt ist groß mein Vater, die Wirkungskreise verschieden. Alle Menschen
können nicht einerley Meynungen oder vielleicht nur einerley <ul>Art sie auszudrücken</ul> haben. So unvollkommen
das was man in jedem Fach der menschlichen Erkenntniß <ul>modern</ul> nennt, seyn mag, so ist es, wie Sie selbst
mir nicht ganz absprechen werden, jungen Leuten doch nothwendig, sich hinein zu schicken, wenn sie
der Weit brauchbar werden wollen. Glücklich sind sie wenn sie Väter haben wie ich, deren Beyspiel auch
bey veränderten Umständen und Zeiten immer und ewig ihnen Muster bleiben muß. Das sage ich weder aus
Heucheley noch aus Schmeicheley, denn <ul>was für Vortheile könnte mir beydes bringen,</ul> sondern aus Erkenntniß
der Wahrheit, aus <page index="3"/> inniger Verehrung und Anbetung des Geists der in Ihnen webt und würket. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der zweiten Seite, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Bitten Sie doch Bruder Carl um die <ul>einzige Freundschaft</ul> mir in einer guten Stunde aus Ihrem und meiner
Mutter Munde historische Nachrichten von meinen Großeltern # sowohl von <ul>Ihrer</ul> als von mütterlicher Seite
aufzuschreiben und zuzu<del>setzen</del>senden, er wird <ul>unserm Herzog</ul> damit <ul>Freude</ul> machen. Die Gnade dieses Fürsten
für mich ist Gottes Werk.</sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote pos="top" page="2" annotation="am oberen Rand der zweiten Seite, spiegelverkehrt"><line type="break"/>
<line tab="1"/>NB. # Wollten Sie mich <ul>würdigen,</ul> etwas von Ihrer eigenen Lebensgeschichte dazuzuthun, würd ichs mit
dem <dul>höchsten</dul> Dank erkennen.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Briefe meiner Geschwister stärkten mich gleichfalls. Sagen Sie Fritzen ich werde Sorge für seinen
Auftrag haben, fürchte aber, er werde ein wenig unthulich seyn, falls nicht etwa ein Landsmann nach
Lief- oder Curland hineingeht, der einen Burschen mitnimmt. Mein Bruder Christian ist immer der einzige
Mensch der mich noch am besten verstehen kann; sein Glück, seine Zufriedenheit sind die meinigen.
Schwester Lottgen und Liesgen bitte ihre Munterkeit nicht zu verlieren, das Leben wird heutzutage immer
bitterer und immer süßer. Ein Augenblick ersetzt Jahre voll Kummer auch ein Augenblick wie der
wenn ich Nachrichten von Ihnen erhalte. Schwester Norgen möchte ich sehen, Bruder Carl wird die Hofnungen
seines Vaters nicht so grausam hintergehen als ich. Dürft ich bitten alle ihre Schattenbilder zu nehmen,
und sie mir verkleinert mit einem Instrument das man Storchenschnabel nennt, im Briefe zuzuschicken. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand der dritten Seite, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>ich küsse Schwester Norchen und bitte sie das Glück ganz zu fühlen und zu schätzen, der letzte Trost
ihrer Eltern zu seyn.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich muß noch hinzusetzen, daß ich jetzt durch die Bekanntschaft Wielands eines der grössesten Menschen
unsers Jahrhunderts, dessen Werth aber freilich nur erst die Nachwelt ganz schätzen wird und ich darf
sagen durch sein Herz und seine Freundschaft eine der glücklichsten Aquisitionen meines Lebens gemacht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Darf ich nochmals um Ihre Lebensgeschichte flehen. Nur auf einem Blättgen, wenns Ihre Zeit nicht erlauben
will. Ich küsse Mama und Ihnen die Hand und alle Geschwister tausendmal. Ihr gehorsamster Sohn <line type="empty"/>
<align pos="right">JMR Lenz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand der vierten Seite, vertikal"><line type="break"/>
im Merkur werden Sie mich bisweilen auch finden.</sidenote></letterText>
<letterText letter="239">Lieber Lenz, <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da bin ich hier u. freue mich Dich zu sehen. Sonntag über 8 Tage werde ich vermuthlich, was Du zu
wißen verlangst, zuerst predigen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Den Engländer gab mir Boje: „er könne es wegen des Endes nicht einrücken“. Vorigen Sommer hatte
sich in Bückeburg die Kehle jemand abgeschnitten, daß nur noch einige Fasern hingen: sie wurde
zugenäht: er riß sie sich 2 mal auf: es wurde eine Maschine gemacht, daß er den Kopf nicht regen
konnte, u. in 4. Tagen war der Mensch besser. Er lebt noch u. befindet sich wohl u. freut sich,
daß ihm das Kehlabschneiden nicht geglückt sei: so hätts <ul>Tot</ul> auch werden sollen. Aber er ist
tot wie sein Name anzeigt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Den Engel von dem Du schreibst u. <insertion pos="top">um</insertion> den Du lebst, habe ich nur eine Viertheilstunde, zerstreut
u. verwirrt, gesehen Diana im Chor der Nymphen u. Dryaden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lebe wohl. Weib u. Kinder grüßen Dich. Mir ist wie allen Neuangekommenen, selbst im Elysium seyn muß.
Ich habe Kaufmann hier gefunden, der morgen reist u. Dich sehr grüßet. <line type="empty"/>
H.<line type="break"/>
Dienstag.</letterText>
<letterText letter="240"><pe>
<line tab="1"/>Es ist eines der merkwürdigsten Jahrhunderte in welchem wir leben. Generalsuperintendent Herder
in der tiefsinnigsten aller Theologischen Schriften seiner Zeit citirt einen Komödianten. Was wird die
Nachwelt von seiner Aeltesten Urkunde oder von meiner Komödie denken? So lieb es mir übrigens seyn muß,
daß die homogenen Teile zu ihrem Ursprunge sublimert werden und dadurch die Streitschrift ihren wahren
Stempel wiederbekommen hat. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der Engländer ward in ganz andrer Stimmung und aus ganz anderer Rücksicht geschrieben. Und ist das
lustigste Nachspiel das ich zu diesen <ul>willkührlichen</ul> Ausschweiffungen der Phantasey hätte erfinden können
Herrn Bojens marktschreyerisches Benehmen, der <ul>Deine</ul> <page index="2"/> Ankunft <ul>abwartet</ul> um sich über das zu
entschuldigen, worum ich ihn in zwey Briefen mit vielem Ungestüm und vieler Höflichkeit gebethen. Ich wußte
daß es ihm Schlosser schicken würde und bat ihn demzufolge sehr dringend, es <ul>nicht einzurücken,</ul>
versprach ihm auch sogar etwas anders in die Stelle und das alles nicht wegen des <ul>Schlusses</ul> sondern
wegen der <ul>Prinzessin von Carignan,</ul> welche Unschicklichkeit noch lebende fürstliche Personen aufs Theater
zu bringen, Herr Boje einzusehen nicht im Stande war. <line type="break"/>
<page index="3"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Unsere Herzogin hat mir befohlen, ihr ein Briefgen an Dich mitzugeben. Ich bitte dabey von der Fürstinn
zu abstrahiren und mit Deiner durchschauenden Phantasie aus diesem Zuge Dir das Gesicht <ul>der Frau</ul> abzubilden
die das, als <ul>Fürstinn,</ul> verlangen konnte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich wünschte überhaupt Du suchtest die nähere Bekanntschaft dieser Dame, und ich habe das Herz ohne Augur
oder Druide zu seyn beyden Teilen sehr viel Genugthuung davon zu versprechen. Soviel Großes habe ich nicht
leicht in einem Karackter vereinigt gefunden, der ganz und gar auf sich selber ruht. Doch ich sollte mich
billig nie unterstehen etwas auf der Welt zu loben. Le. <line type="empty"/>
<page index="4"/> <line type="empty"/>
<nr> </nr> <nr> </nr>
<nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr></pe></letterText>
<letterText letter="241">An keinem Orte keine Antwort. <line type="empty"/>
Herr Cästner mündliche Antwort, viele <aq>Compli.</aq> nebst Versicherung der besten Besorgung. <line type="empty"/>
Herr Herder hat um 12 noch nicht geschrieben will bis weitere Gelegenheit versparen <line type="empty"/>
Herrn Göthe habe eigenhändig Ihren Brief gegeben, auch ohne Antwort. <line type="empty"/>
Philip habe auf 3 mal nicht angetrofen und Bothenfrau, will oder kann nicht länger warten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>innliegend etwas, u. da es ein Hofbedienter gebracht. <insertion pos="top">vermuthe</insertion> daß solches von Herrn Göthe sei u
etwan bei Durchl. Herzog geschrieben ist. <line type="empty"/>
Der Schneider ist nicht fertig. Philip hat es vielleicht vergessen
Dürfte ich Ihnen ersuchen, alle Ihre Commiss. ohne <aq>Compliments</aq><line type="break"/>
<line tab="1"/>an mich zu schicken. Jeder Tag da ich die Bothenfrau vermuthe ist vor mich ein Freuden Tag. Seyn Sie
deß versichert. Leben Sie wohl. <line type="empty"/>
<page index="2"/> <line type="empty"/>
Der Brief ist nach Göttingen <aq>francirt</aq> kostet aber nur 3 g. also 1 g. zurück. <line type="empty"/>
Viele Compl. von Herrn von Kalb <line type="empty"/>
<align pos="right"><aq>Schenck</aq></align></letterText>
<letterText letter="242"><line tab="1"/>Liebster Bruder! So eben komm ich zu Göttingen an. Um Dir nicht länger das kleinere Briefgen vor zu
enthalten das zu lang schon bey mir zögerte, schreib ich nur wenig. Laß mich bald doch wißen ob Du
mich noch liebst, ich glaubs zwar aber hilf meinem Unglauben. Dein Röderer <line type="empty"/>
<align pos="center">bey Fr. <aq>Profeßor</aq> Hambergerin an der Allee zu Göttingen.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
An Herrn<line type="break"/>
Herrn <aq>Lenz</aq> abzugeben bey<line type="break"/>
Herrn GeheimLegationsrath <aq>Goethe</aq><line type="break"/>
zu <note>Textverlust</note></letterText>
<letterText letter="243"><align pos="right">Kochberg, den 23sten Oktober 1776.</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Wollten Sie so freundschaftlich seyn, lieber Aktuarius, Röderern, falls er noch in Straßburg ist, zu
sagen, er möchte mir das Paket von Herrn von Kleist, nur mit der Post zuschicken, weil ich sehr
ungeduldig darauf bin; die Briefe könnt er mir selbst mitbringen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin in Kochberg bei der liebenswürdigsten und geistreichsten Dame, die ich kenne, mit der
ich seit vier, fünf Wochen den englischen Shakspeare lese. Künftige Woche gehts leider schon
wieder nach Weimar. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der Herzog hat neulich hier einen sonderbaren Zufall gehabt: er fiel von einem Floß im Schloßgraben
ins Wasser, ich sprang nach und hatte das Glück ihn, ohne Schaden, heraus zu ziehen. Herder ist mit
ihm hier gewesen und find't allgemeinen Beifall. Wer sollte ihm auch den streitig machen können?
Er und <aq>Wieland</aq> sind, wie der Letzte es von Jedem seyn muß, Freunde und werden es noch immer mehr werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><aq>Göthe</aq> hab ich nun lang nicht gesehen; er ist so von Geschäften absorbiert in W., daß er den Herzog
nicht einmal hat herbegleiten können. <line type="empty"/>
Leben Sie wohl und grüßen alle guten Freunde, auch Jungfer Lauth. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align><line type="break"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="Am Rande"><!-- Welche Seite vom Rand? Wie Text behandeln, dann vielleicht in spitzen Klammern/andere Zeichen verwenden, um die Anmerkung vom Druck abzuheben. Lösung: Editorische Anmerkung machen, dass es sich um eine editorische Anmerkung im Druck handelt --><line type="break"/>
<line tab="1"/>Wäre es nicht möglich, daß ich, durch Ihre Vermittlung einige der neuesten Allemanden in Straßburg
abgeschrieben herbekommen könnte. Was Sie dafür auslegen, will ich wieder erstatten. Die von Edelmann
würde Ihnen hier ein ewiges Denkmal setzen.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><pe>Kennen Sie <aq>Kaufmann?</aq> Er ist, wie mir die Herzogin Mutter gesagt, durch Weimar gegangen und hat sehr
gefallen. Auch ist er im Merkur.</pe> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Grüßen Sie die <aq>deutsche Gesellschaft</aq> und melden Sie mir recht viel Neues aus Straßburg und Paris. Ist
eine gewisse Exzellenz von <aq>Vietinghof</aq> durch Straßburg gegangen? Er ist ein Vetter von General bei
Baviere. Vielleicht sehen Sie mich einmal in herzoglich sächsischer Uniform wieder. Doch das unter uns. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Melden Sie mir doch ob Herr <aq>Fries,</aq> mit dem ich nach Italien wollte, noch in Straßburg ist und grüßen ihn,
wenn Sie ihn sehen. Sollte Röderer etwa gar das benannte Paket von Herrn von Kleist noch nicht erhalten
haben, so seyen Sie doch so gütig und begrüßen ihn selbst darum. Er weiß schon wovon die Rede ist. Und
versichern ihm von mir viele Empfehlungen. <line type="empty"/></letterText>
<letterText letter="244"><line tab="1"/>Da meine Muse ein für allemal an Geburts- und Namenstägen hartnäckig stumm ist, so habe Ew.
Durchlaucht Geburtsfest wenigstens durch Darstellung des Felsen, vor dem Sie bey Ihrem Aufenthalt
in Kochberg selbst bewunderungsvoll gestanden, zu feyern versucht. Sollte diese Sysiphusarbeit
auch nur so weit gelungen seyn, daß sie Ew. Durchl. die Vorstellung des Felsen in der Natur,
erleichterte, so wäre sie mir unendlich theuer, wenn ich auch nicht rechne, daß sie mich einige
glückliche Tage im Anschauen der unerreichbaren Originalitäten der Natur hat zubringen lassen. Wenn
ich diesen Namen von einem wahren Tempel brauchen darf, in dessen Schatten man ohne heiligen Schauer
nicht stehen kann.</letterText>
<letterText letter="245"><line tab="1"/>Lieber Engel, da hast Du die Offenbarung Seb. <aq>Merciers</aq> Deinem Vater ach! lieber <aq>Lenz!</aq> Mein
Gedächtnis! Meine ewigen Zerstreuungen! Ich hab ihm nicht geschrieben Es kam mir ganz aus
dem Sinne Schreib Du ihm etliche Zeilen und schick sie mir, mit seiner Addresse: ich will ein
Brieflein von meiner Hand dazulegen, und so wirds am besten seyn. <line type="empty"/>
<aq>Herder</aq> ist ein Mann Gottes! <line type="empty"/>
<line tab="1"/><aq>Kaufmann</aq> ist ein edler, großer, guter Mensch. Er hat das Ding im Merkur das wir ihm zuschrieben,
nicht gemacht, hat auch keinen Antheil dran. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meine Frau, ich selbst und alle unsre Kinder bevollmächtigen Dich, Lieber, unsrer liebsten
Frau <aq>von Stein</aq> das Schönste was Du sagen kannst, in unserm Nahmen zu sagen. Wir lieben sie allesammt
von Grund der Seele auch wenn sie uns keine Biskuits geschickt hätte. Doch ist natürlich, daß
die Biskuits nichts dran verderben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dein Brief an <aq>Bode</aq> soll bestellt werden. Komm doch bald wieder, und bleibe bei uns! Denn es will
Abend werden Laß uns des Lebens genießen so lang es uns gegönnt ist. Ade.<line type="break"/>
<align pos="right">W.</align>
<line tab="1"/>Ich weiß nicht wieviel Merkure Dir fehlen komm und hole sie selbst und den Brief Deiner
französischen Dame, die soviel Lerms um Nichts macht.</letterText>
<letterText letter="246"><line tab="1"/>Verzeih mir lieber Herder, daß ich Deiner Frau eine Unschicklichkeit zumuthete. Bey uns <aq>magistris
artium</aq> sind Kopf und Hand nicht immer beysammen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es war mir wahre Belohnung daß der alte Vater Gevatter Bruder und Schwester Joseph Maria Herzens
Wieland meinen Pietisten nicht unter die Bank geworfen. Denn er freute mich als ich ihn schrieb. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Darf ich zum voraus anfragen lieber Episkopus, ob Du einem <aq>maitre de langues</aq> ein Paar Englische Bücher
leyhen kannst, etwa auch eine Grammatik <aq>etc.</aq> Die Herzoginnen wollen den Winter Englisch lernen <line type="empty"/>
Empfiel mich Deiner Frau und Kleinen nebst Schwägerlein. <line type="empty"/>
<align pos="right">L.</align><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Generalsuperintendenten <dul>Herder</dul><line type="break"/>
in dessen Behausung.</letterText>
<letterText letter="247">Zwey Stücke Herr bitt ich von Dir <line type="empty"/>
In dem Merkur ein Ehrendenkmal für <ul>Luthern.</ul> <line type="empty"/>
Beantwortung folgender Preißfrage<line type="break"/>
<line tab="1"/>„Wie weit der Zweiffel gehen dürfe bey Untersuchung der Wahrheit und was eigentlich Moralische
Gewißheit seiý. Das heißt die Grenzen des Verstandes und des Herzens zu ziehen und zu bestimmen,
welche von beyden in <ul>Collisionen</ul> am meisten gehört werden müssen, das heißt ob eine Evidenz imn
Verstande durch <ul>das Gefühl allein</ul> hervorgebracht werden könne müsse? <line type="break"/>
Der Preiß wird das ganze Publikum seyn.<line type="break"/>
<align pos="right">Lenz</align> <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Adresse, vertikal</note><line type="break"/>
An Herdern!</letterText>
<letterText letter="248"><line tab="1"/>Mein allerbester alter Freund. Tausendmal dank ich dir für deinen Brief, oder will dir vielmehr
danken, dann wie neu geschenket bist Du meiner alten Liebe und da magst du besser ahnden was
mein Dank sey als Dirs meine Feder sagt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meine Studien gehn hier besser als je in St. und ich finde hier mehr als ich vermuthete. Es
sind Professoren hier die ich herzlich lieben muß, auch außer Ihnen ist der Kopf nicht allein
der sich hier weyden kann <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von altem schweige, liebstes großes Herz! um was ich dich bitte ist Glaube an meine starke
unvermögende Liebe. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn ich weiter nicht gehen kann, so komm ich doch nach Weimar, sollt ich auch zu Fuß gehen und mit
Brod und Wasser mich nähren. Ich muß Luthers Bruder predigen hören, und die Männer sehen die mein
Herz ehret, und dich umarmen zum lezten mal und dann will ich gern nach St. zurück und an den Pflug. <line type="empty"/>
Lang kann ich ohn das zu W. nicht weilen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Soll ich dir sagen daß ich den Pack von Pirk nicht bekommen konnte, ob ich gleich viermal zu ihm
gieng, ohn ihn anzutreffen, und allemal zur Zeit wo man mich kommen hieß. Ich will aber nach Straßb.
schreiben daß du sie bekommen sollst, nur sag mir: was eigentlich? Deine Briefe hab ich alle zu Hauß
in einen meiner <aq>Sécrétair</aq> Schränke gelegt und die Thüre davor versiegelt. Ich werd sie dir aber alle
schicken wenn ich wieder zu Hauß bin. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das Gräfliche Hauß von Stollberg unterhält hier eine Anzahl Pursche die Freitisch haben und der König
auch. Könntest du wohl durch deine Vermittelung bey Erstern oder etwa bey Hr. Leibarzt Zimmermann <insertion pos="top">mir</insertion>
zu einem Platz verhelfen? ich würde dadurch in Stand gesezt meinen mir sehr nützlichen Aufenthalt hier
zu verlängern. <line type="empty"/>
Deinen Petrarch hab ich hier du sollst ihn haben so bald du willst. Ich verbleibe ewig dein Treuer zärtlicher<line type="break"/>
<align pos="right">Röderer</align>
<line tab="1"/>P. S. Kaufmann ist alles Lobs werth und mein inniggeliebter! Willstu Maler Müllers Schattenriß, ich hab
herrliche Tage mit Ihm zu M. gehabt . O der Antiquiensaal!! <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal"><line type="break"/>
Zu Frankfurt hab ich die Ehre gehabt die Frau Rath Goethe <del>aufzuwarten!</del> <insertion pos="bottom">zu bewundern.</insertion> Wagner ist verheyrathet.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <aq>Lenz</aq> abzugeben bey<line type="break"/>
Herrn <aq>Geheimen Legations-Rath Goethe</aq> zu <ul>Weimar</ul></letterText>
<letterText letter="249"><pe><aq><line tab="1"/>you will perhaps wonder dearest lady <del>of</del> <insertion pos="top">at</insertion> my depart from W without taking my leave from you and
repeating my thanks with all the warmth an human heart can bestow of, you would have permitted
me to enjoy some months near your presence a manner of living almost unknown before to me enjoy
that reason printed into mine heart with everlasting characters. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>I dare not make any excuses for it, for to say it i fear <del>to </del> <insertion pos="top">i would</insertion> find no words to that end
<ul>or if i could find some prefer them with a manner</ul> <insertion pos="top">not becoming your delicacy</insertion>. you will not believe
it and yet it is true therefore i undertake to write to you and in English flattering myself your
application to that language with the help of all the witchcraft of your <insertion pos="top">charming</insertion> fancy will impart
to my weak expressions all that can render them worthy to be read of you. If there be in words some pleasure
as to vent the delights and the cares of the heart, i am certainly much to complain of, not having even
the very consolation, if goods me are withdrawn to give words at my feelings, being overwhelmd from
a sort of dullness attended by a whole oblivion of all the happiness i have been blessd of. Nothing
will remain of it as how much is fit to make the present the more painful by the comparison of the past. <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>französische Exzerpte Sozialreform</note> @</aq></pe></letterText>
<letterText letter="250"><aq><line tab="1"/>I beg a thousand times your pardon, dear Madam! for having leavd Weym without taking leave from
your grace and repeating you the thanks which i can never pay sufficients to all the obliging civilities
shown to me at my stay at Kochberg and engravd into my heart with everlasting characters. Tis most
true i could but once in my life be bless d in such an enchanting manner, <page index="2"/> which if the charm
of it had lasted some days longer, would have make forget me all my relations and put me in the most
doubtless persuasion, that i was in another world. I feald all my faculties hightend by your presence
and thought myself a superior being, as i was sure to prove so, near the influences of your genius in
all that i did undertake of. Therefore do not wonder at the roughness and infirmity of the very expressions
of my letter, having even forgot <page index="3"/> all my English, by being no more inspired from as gracious
a Scolar, of whom the very presence and her application to that tongue did improve me of all that i could
teach her and to speak truly, have been much more profitable to me than all my instructions could have
proued to her. I intreat you to remember the passage in Master Goethes Goetz from Berlichingen that there
is something of divinity in the conversation of a Carrictura. I hope you will not need an explanation of
this name nothing than your heart the bettest could make it, having so often <page index="4"/> put into shame Master
Theobalds and Warburtons learning in the explanation of great Shakespeare. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>I pray you to commend my respects to your most honorable husband and the whole family and flattering myself
with some lines answer as you have given me the permission to do so, i am with the most sincere veneration<line type="break"/>
<align pos="center">Madam<line type="break"/>
Your</align><line type="break"/>
<align pos="right">most humble and<line type="break"/>
obedient servant<line type="break"/>
Lenz. <line type="empty"/>
Berka the third of Obr. 1775.</align></aq></letterText>
<letterText letter="251"><note>Gedruckter Text</note><line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich befinde mich abermal in der mir unangenehmen Nothwendigkeit, gegen alle und jede, welche die
Gütigkeit hatten, mich mit Zuschriften zu beehhren, mich schlechterdings insolvendo zu erklären. So
viel ich mich auch befließ, die eingehenden Briefe sogleich zu beantworten Hundertmal wars nicht
möglich. Unterdeß haben sich nur im Laufe dieses Jahres die unbeantwortet gebliebenen Briefe
dergestalt gehäuft, daß ich gewiß 3. volle Tage brauchte, sie alle nur wieder zu lesen wie
schlechterdings unmöglich in meiner Lage wo ich kaum eine Stunde mir allein versichern kann, nur
diese 3. Tage zu finden, wie vielweniger, Wochen zur Antwort. Also, bitt ich alle meine Freunde und
Freundinnen, Gönner und Gönnerinnen in der Nähe und Ferne mich gütigst zu entschuldigen und zu
entschlagen. Ich darf und will keiner Seele verbieten an mich zu schreiben; aber alle bitten, ohne
Drang des Herzens und des Bedürfnißes nicht zu schreiben, und, (aüsserste Nothfälle ausgenommen,) keine
Antwort zu erwarten und dann auch noch bitten, die Briefe bis <b>Schafhausen</b> oder <b>Basel</b> zu frankiren.
Man kann leicht denken, Einer kann nicht so leicht tragen, was 300. bis 400. tragen können. Man kann
sich vorstellen, wie sich das Postgeld in einem Jahre häufen, und wies mir schwer fallen muß, für so
manchen oft äusserst unbedeutenden Brief 30 bis 40 kr. zu bezahlen; oft Pakete mit 1, 2, 3. fl.
einzulösen. Man verzeihe; aber ich bin genöthigt, und es ist meine Pflicht hierüber Maaßregeln zu nehmen,
und alle Briefe, die nicht bis Schafhausen oder Basel frankirt sind, uneröffnet zurückzuschicken. Ich
weiß, einzele werden drunter leiden. Ich wills denen zu vergüten trachten. Aber, wer mich liebt, und sich
in meine Lage denkt, der wird die Sache äusserst billig finden.<line type="break"/>
Zürich, den 7ten Novembr. 1776.<line type="empty"/>
[Lavaters Hand]<!-- Gibt es zuvor einen Teil, der von fremder Hand geschrieben wurde? -->
<line tab="1"/>Mein lieber Lenz, mit einem Schwall unzähliger Briefe flog ich vor ein paar Tagen auf Baden u: las auch
alle Deine wied. durch. Ach! wie wenig hab ich Dir geantwortet u. Zeit zu antworten … Könntest Du nicht
zu uns kommen? wenig könntest Du mich, wenig könnt ich Dich genießen. Doch mehr wie so. Vielleicht hättst
Du Quartier bei Statth. Kaufm. in Winterthur. Vielleicht hättst Du Ruhe u: Genuß. viel kann ich Dir nicht
versprechen. Ich versprech überall nichts mehr. Geld hab ich keins. Ich bin arm in einem schönen reichen
Hause wo Du etwa auch Tage u: Nächte ruhen u: mir helfen kannst. Du kämst über Emmendingen. Wir alle
haben Augenblicke zu wägen doch Freundesanblick trägt uns. Komm u. siehe. So antwort ich auf alle
<sidenote pos="right" page="1" annotation="am rechten Rand, vertikal"> Deine Briefe. Adieu. Den 13. Nov. 76 am Krankenbette meines Weibchens. L.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
<ul>an Lenzn.</ul></letterText>
<letterText letter="252"><!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="253"><line tab="1"/>Wenn Ihr nichts Beßers habt, und einmal Euer üppiges Fleisch kreuzigen wollt, liebes Brüderlein, so
kömmt heute auf den Mittag und eßt eine Suppe mit mir. Vielleicht kömmt Göthe auch.</letterText>
<letterText letter="254">Hier haben Sie ein neues Stück von mir. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich verlange fünf neue Louisdor. Bitte um geschwinden aber <b>korreckten</b> Druck und gut Pappier. Es
wäre mir sehr dran gelegen wenn Sie mir die Zeit bestimmen könnten wenn ich das erste Explar
erwarten darf. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sollte Ihnen zu diesen Bedingungen das Stück zu theuer seyn so bitte mir das Manuscript ohne es weiter
sehen zu lassen baldigst zurück. <line type="empty"/>
Ich bin mit vieler Achtung Dero<line type="break"/>
<align pos="right">ergebenster<line type="break"/>
Lenz. <line type="empty"/>
Weymar d.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<note>Empfangsnotiz Reichs</note><line type="break"/>
<hand ref="33">1776 23 9bre Weymar Lenz.</hand></letterText>
<letterText letter="255"><line tab="1"/>Verzeyhen Sie meine wertheste Mademoiselle! daß ich so lange angestanden Ihnen schriftlich zu
sagen mit welchem Vergnügen ich mich auch hier bey Hofe noch der angenehmen Stunden erinnere,
die ich in Ihrem Hause zugebracht. Die beständigen Zerstreuungen in denen ich bisher gelebt
und die Ungewißheit, ob ich <page index="2"/> hier bleiben oder mich auf den Weg nach Strasb.
zurückmachen würde, haben mich bisher abgehalten es zu thun. Da aber gegenwärtig sich meine
Aussichten verändert haben und die Gnade des Fürsten und des ganzen Hofes, für die <page index="3"/>
ich der Fürsehung Gottes Dank schuldig bin, mir allzuschmeichelhafte Fesseln anleget, so habe
wenigstens schriftlich Ihnen für alle mir in Ihrem Hause erzeigte Freundschaft und Höflichkeit
danken und Ihnen zugleich versichern wollen daß der kleine Rest den Ihnen noch für <page index="4"/> das
letzte halbe oder ganze Jahr zu entrichten habe, sobald ich mit meiner Einrichtung ein wenig in
Ordnung bin, ein sehr gut bey mir angelegtes Capital seyn soll. Haben Sie die Gefälligkeit für mich,
mich Dero schätzbarsten Herrn Bruder und Demois. Schwester, sowie der ganzen Tischgesellschaft
auf das verbindlichste zu empfehlen und seyn versichert, daß ich jede Gelegenheit aufs begierigste
ergreifen werde Ihnen mit der Tat zu beweisen mit wie vieler Hochachtung und Ergebenheit ich sey<line type="break"/>
Dero ganz verbundenster Diener Lenz. <line type="empty"/>
Weymar d. 23ten Novbr. 1776.</letterText>
<letterText letter="256"><note>Adresse</note><line type="break"/>
<align pos="right">Herrn <ul>Reich</ul></align><line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe mich vergriffen werthester Herr als ich unter andern Geschäften und Zerstreuungen unter
meinen Pappieren etwas für Sie suchte. Es war nicht der Engländer, eine unvollendete Skizze, sondern
gegenwärtiges Manuscript das ich für Sie bestimmt hatte. Sollte es Ihnen zu dem Preise nicht gefallen,
so lege hier noch ein anderes bey: sollten aber beyde Ihnen kein Aequivalent scheinen, so bitte es mir
zu melden und der Zurücksendung Ihrer Remesse versichert zu seyn. Vor der Hand bitte also noch mit dem
Druck inne zu halten<line type="break"/>
<align pos="center">Ihr</align><line type="break"/>
<align pos="right">ergebenster Lenz.</align><line type="empty"/>
Berka d. 23sten Obr. 1776.</letterText>
<letterText letter="257"><line tab="1"/>Hier schick ich ihnen etwas Aepfel Herr Lenz aus unserm Garten. sie sind eben nicht gar gut,
probieren sie sie. Auch ein Brief kommt anbei. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Am Donnerstag wurden Erw. u. Elmire und die Geschwister aufgeführt, es wäre mir unendlich leid
wenn Sies nicht sollten gewußt haben und ich also Schuld dran wäre weil ichs Ihnen <del>nicht</del> am
Mitwoch nicht sagen ließ. Ich habe, Fabricens Rolle ausgenommen die sehr elend war, nochnichts
so Liebes gesehen. Das Maidel ich hätte sie nun auffreßen können. Sie war eben ganz Marianne
und der Hr. Geh. Leg. Rath ganz Wilhelm. Ich kanns ihnen nicht sagen was es auch vor einen
Eindruck auf <del><nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr></del> <er></er><!-- Ist die unleserlich machende Streichung hier ein Sonderfall? --> <insertion pos="top">alle Leute</insertion> machte. Leben Sie recht wohl.
Hr. Lenz. Das andere besorge ich richtig.</letterText>
<letterText letter="258"><line tab="1"/>Ich habe Ihren Brief und Nachricht einer Dame vom Hofe gegeben die ihn einer treflichen Dame von
ihrer Bekanntschaft die eben mit ihrem Sohne zwischen Dessau und Salis unschlüssig war, zugeschickt
hat. Verzeyhen Sie, daß ich in diesem Stück Ihre freundschaftliche Ordre überschritten, es war mein
Herz das mir dazu rieth und dieses sündigt nie. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin der Jahreszeit ungeachtet noch immer auf dem Lande weil man mich in W. nicht brauchen kann.
Neulich glaubte sich ein Franzose der sich <ul>einen Zögling des grossen</ul> <ul>Voltaire</ul> sagte, seiner Sache schon
gewiß, als er mit einem großen Empfehlungsschreiben vom Prinzen <del><nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr></del> <er></er><!-- Bezieht sich die unleserlich gemachte Streichung auf die Streichung zuvor? --> aus Berlin,
einem Verwandten unsers Hauses, worin derselbe den Geh. Legationsrath Goethe den deutschen Shakesp. und den
teutschen Voltäre nannte und gegenwärtigen Fremden wegen <page index="2"/> seiner guten Sitten und Talente und Verse
empfahl, sich meinem Freunde Goethe vorstellen ließ; weil unsere Einrichtungen aber nicht für Fremde sind,
mußte der Zögling des grossen Voltaire mit Schimpf und Schande abziehn. Ich bitte diese Geschichte bekannt
zu machen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meine wärmste Empfehlung Ihrem Freunde Lerse dessen wir uns mit Goethe oft erinnert haben. Wie soll ich Ihnen
meinen Dank ausdrücken für die gefällige Beantwortung meiner fürwitzigen Fragen? Ich weiß nicht welchen Antheil
ich an Frankreich <page index="3"/> nehme, dem ich doch keine Verbindlichkeiten habe und ganz gewiß auch keine haben
werde. Es gehört aber wie besagt auch dieses unter die Rätzel meines Herzens die ich mir selbst weder auflösen
kann noch mag. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich wollte Ihnen ein Exemplar <ul>der beyden Alten und andrer kleiner Aufsätze</ul> beylegen, wenn es sich der Mühe verlohnte.
Ich erwähne dessen nur, weil die Vorlesungen in unsrer Teutschen Gesellschaft die ich Ihnen im Manuscript zugeschickt,
darin abgedruckt worden. Sie ist gegenwärtig mit einer Oekonomischen Gesellschaft im Hause des Hn. V. Türkheim verbunden,
nicht vereinigt worden. Eine ähnliche Gesellschaft unter Ihrer Aufsicht würde Colmar und Ihnen Ehre und die Hochachtung
der Teutschen erwerben, bey denen der Nationalgeist rege wird. Ihr aufrichtigster Freund u. Verehrer <line type="empty"/>
Lenz <line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Hofrath <dul>Pfeffel</dul><line type="break"/>
zu <ul>Colmar.</ul> <line type="empty"/>
<sidenote pos="right" page="4" annotation="Empfangsnotiz Pfeffels am rechten Rand, vertikal"><line type="break"/>
<hand ref="21"><aq>De Mr. Lenz.<line type="break"/>
San date acc: le 4 Xbr. 1776.</aq></hand></sidenote></letterText>
<letterText letter="259"><align pos="right">Schriebs den 26 Nov. 76. Göttingen.</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Lieber Liebster mein Einziger! ich hab hier Deinen 2t Brief vor mir und Du sollst meine Antwort auf
den ersten schon lang haben die ich durch Hr. Legations Rath an Dich adressirt habe. Hier unten
Abschrift davon. Mich drückt nichts als was Dich drückt und daß ich nicht helfen kann. Gott spreche
Seegen über Dich! Der Instruktionen wegen will ich mit morgender Post nach Strasburg schreiben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ob ich Lessens Bekanntschaft gesucht habe? nicht gesucht und hab sie mehr als jede andre hier, ich
suche hier keine kann aber durch Dr. Leß und wann Du Dich näher erklärst durch seine Frau die meine
Landsmännin ist viel erfahren, aber ich sage nur was Du fragst. Durch sie komm ich in die besten
Gesellschaften. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich weiß Bojes Adresse nicht, weiß ihm auch nichts weder von Dir noch mir zu schicken. Gib mir nähere
Nachricht ob ich Deinen lieben Bruder vielleicht hier sehn werde. Ein trefflicher junger Mann Prof. Koppe
der in Mitau stund u. dort eine Landsmännin von Dir eine sehr liebenswürdige Person geheyrathet hat,
liest hier über die Apostelgeschicht und Briefe. Er kennt Dich von Leipzig her da Du mit den Baronen
warst, weis aber durch mich nichts weiter von Dir. Soll ich ihn grüßen? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Bürgers Meisterübersetzung kenn ich aus dem Musäum und werde sie so bald sie zu haben ist kaufen, hier
Iab ich mich ander Odyssee u. lebe in der Urkunde die ich mitnahm und hier erst recht lese, hätten wir
sie <ul>ganz vor</ul> der Ausgabe der Meynungen gelesen! Mit Deiner Abendmahlschrift werd ich sobald möglich viel
sagen das ich auf der Leber habe nur wünscht ich mir mehr Feuer, Aktivität, Energie. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Walch ist mir hier der größte Mann bey dem ich <ul>viel viel</ul> lerne, der liebenswürdigste Menschenfreund voll
Bonhomie mit ewigem Sonnenschein im Herzen, unaussprechlich thätig, <del>heiter wo</del> seine Bemerkungen haben
durchdringenden Scharfsinn. <line type="empty"/>
<ul>Nun die Abschrifft.</ul><line type="break"/>
<note>Abschrift des Briefes von Röderer vom Anfang November 1776; noch korrigieren @</note><line type="break"/>
<line tab="1"/>Tausendmal dank ich dir für deinen Brief, oder will dir vielmehr danken, dann wie neu geschenket bist Du
meiner alten Liebe und da magst du besser ahnden was mein Dank sey als Dirs meine Feder sagt. Meine Studien
gehn hier besser als je in St. und ich finde hier mehr als ich vermuthete. Es sind Professoren hier die ich
herzlich lieben muß auch außer Ihnen ist der Kopf nicht allein der sich hier weyden kann <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von altem schweige, liebstes großes Herz! um was ich dich bitte ist Glaube an meine starke unvermögende Liebe.
Wenn ich weiter nicht gehen kann, so komm ich doch nach Weimar, sollt ich auch zu Fuß gehen und mit Brod und
Wasser mich nähren. Ich muß Luthers Bruder predigen hören, und die Männer sehen die mein Herz ehret, und dich
umarmen zum lezten mal und dann will ich gern nach St. zurück und an den Pflug. Lang kann ich ohn das zu W.
nicht weilen. Soll ich dir sagen daß ich den Pack von Pirk nicht bekommen konnte, ob ich gleich viermal zu ihm
gieng, ohn ihn anzutreffen, und allemal zur Zeit wo man mich kommen hieß. Ich will aber nach Straßb. schreiben
daß du sie bekommen sollst, nur sag mir: was eigentlich? Deine Briefe hab ich alle zu Hauß in einen meiner
Sécrétair Schränke gelegt und die Thüre davor versiegelt. Ich werd sie dir aber alle schicken wenn ich wieder zu
Hauß bin. Das Gräfliche Hauß von Stollberg unterhält hier eine Anzahl Pursche die Freitisch haben und der König auch.
Könntest du wohl durch deine Vermittelung bey Erstern oder etwa bey Hr. Leibarzt Zimmermann mir zu einem Platz
verhelfen? ich würde dadurch in Stand gesezt meinen mir sehr nützlichen Aufenthalt hier zu verlängern. Deinen Petrarch
hab ich hier du sollst ihn haben so bald du willst. Ich verbleibe ewig dein Treuer zärtlicher Röderer P. S. Kaufmann
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal"> ist alles Lobs werth und mein inniggeliebter! Willstu Maler Müllers Schattenriß, ich hab
herrliche Tage mit Ihm zu M. gehabt . O der Antiquiensaal!! Zu Frankfurt hab ich die Ehre gehabt die Frau Rath
Goethegesehen. Wagner ist verheyrathet. <note>Ende der Abschrift</note> daselbst u. Advocat, <ul>von Schloßer sehr geliebt, war mit
zu Emmendingen.</ul></sidenote></letterText>
<letterText letter="260"><line tab="1"/>Es freut mich bester Herder! daß ich eine Gelegenheit finde Abschied von Dir zu nehmen. Freilich
traurig genug, kaum gesehen und gesprochen, ausgestoßen aus dem Himmel als ein Landläuffer,
Rebell, Pasquillant. Und doch waren zwo Stellen in diesem Pasquill die Goethe sehr gefallen
haben würden, darum schickt ichs Dir. Wie lange werdt Ihr noch an Form und Namen hängen <page index="2"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich gehe sobald man mich fort <ul>winkt,</ul> in den Tod aber nicht, sobald man mich herausdrücken will.
Hätt ich nur Goethens Winke eher <ul>verstanden.</ul> Sag ihm das. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie soll ich Dir danken für Deine Vorsprache beym Herzog. Er wird <page index="3"/> mein Herr immer bleiben,
wo ich auch sey, ohne Ordres und Ukasen. Wollte Gott ein Schatten von mir bliebe in seinem Gedächtniß,
wie Er und sein ganzes leutseeliges Wesen nimmer aus dem meinigen verschwinden wird. Ich weiß diese
Versicherung <page index="4"/> ist ihm lieber als ein Danksagungsschreiben. Wolltest Du ihn mündlich bitten,
mir huldreichst zu verzeihen, daß ich seine Bücher solange gehabt und gebraucht und daß ich die Dreistigkeit
habe ihn untertänigst nur urp. einen Aufschub von einem Tage zu bitten ich will gleich eine Supplique
beylegen um in dem einem aus dem Archiv die grossen Züge seines eigenen Karackters in denen seines grossen
Ahnherrn Bernhard zu Ende studiren zu können. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Schick doch diesen Brief sogleich ihm hin, ich flehe, der vorige hat <sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal"> <ul>Effeckt
gethan,</ul> wofür ich tausendmal danke. Er wird mir diese letzte Gnade nicht abschlagen, wenn ihm Goethe für
die Reinheit meiner Absichten Bürge ist. Und der wird es seyn, so sehr ich ihn beleidigt habe. Ich dachte
nicht daß es so plötzlich aus seyn sollte und hatte mir meine süssesten Arbeiten aufgespahrt. Diese
Gelegenheit ist hernach aufimmer für mich verloren.<ul>Nur ein einziger Tag </ul></sidenote><!-- Geht die sidenote zum Ende des Absatzes? --> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Umarme und seegne Deine Gattin; Seyd unbegrenzt glücklich vergeßt mich. Lebt wohl! <line type="empty"/>
<sidenote pos="top left" page="4" annotation="am oberen linken Rand, spiegelverkehrt"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Von dem versiegelten Zettel an Goethen sag niemand. Nochmals Lebt wohl! Könnt ich an eurem
Halse liegen.</sidenote> <line type="empty"/>
<sidenote pos="top right" page="4" annotation="oben rechts, spiegelverkehrt"><line type="break"/>
Der redliche Kalb! wie treflich u. edel!</sidenote> <line type="empty"/>
<note>evtl. dazugehöriger Briefumschlag, in dem das erwähnte Pasquill enthalten gewesen sein könnte,
mit Adresse, GSA 44/69, Bl. 25</note><line type="break"/>
<line tab="1"/>Meinem ehrwürdigsten Freunde <dul>Herder</dul> dieses einzigexistirende Manuskript zu seiner
willkührlichen Disposition. <line type="empty"/>
Von einem armen Reisenden der sonst nichts zu geben hat.</letterText>
<letterText letter="261"><!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="262"><note>am linken oberen Rand eine Kalkulation, spiegelverkehrt</note> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich danke Ihnen mein verehrungswürdiger Freund und Gönner für die unangenehme Bemühung die
Sie meinethalben übernommen und versichere daß mir eine Ordre wie die auch wenn ich sie
verdienet durch die Hand die sie mir überbrachte, versüßt worden wäre. Da ich aber nach
meiner Ueberzeugung erst gehört werden müßte, ehe man mich verdammte und meine Ehre die mir
lieber als tausend Leben <page index="2"/> ist, mich durch Annehmung dessen was Sie mir von
unbekannter Hand hinzugelegt eines mir unbewußten Verbrechens schuldig zu bekennen, nimmermehr
erlauben wird, so verzeyhen Sie daß ich diese beygefügte Gnade nicht annehmen sondern um
Gerechtigkeit bitten darf. Es ist nicht seit heute, daß <page index="3"/> <line type="empty"/>
<note>Textverlust durch Ausriss der rechten Hälfte</note><line type="break"/>
Eh<note>Textverlust</note><line type="break"/>
S<note>Textverlust</note><line type="break"/>
Au<note>Textverlust</note><line type="break"/>
Abgeh<note>Textverlust</note><line type="break"/>
Um G<note>Textverlust</note><line type="break"/>
Und Ge<note>Textverlust</note><line type="break"/>
Mit dies<note>Textverlust</note> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Hier ein kleines Pasquill das ich Goethen zuzustellen bitte, mit der Bitte, es von Anfang bis zu Ende
zu lesen.</sidenote></letterText>
<letterText letter="263"><line tab="1"/>Ich habe Dir nichts zu sagen, als daß Kaufmann vorigen Posttag an mich geschrieben, wie er sehr
wünschte, Dich nach der Schweiz mitnehmen zu können. Nach Dessau aber sollt Du beileib nicht
kommen, sondern irgendwo in der Nachbarschaft hier, (etwa in Erfurt), seine Ankunft <del>erfahren</del>
erwarten. Er ist auf dem Wege oder kommt bald. Hüt Dich aber, daß Du nicht nach Dessau gehst.
Da (in Erfurt) sehe ich Dich vielleicht mit Kaufm. wieder. Sudle und laure aber nicht, sondern
geh. Jetzt ist an Bernhard zu denken. <line type="empty"/>
<align pos="right">H.</align> <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Zeichnung Bäume und Weggabelung</note></letterText>
<letterText letter="264"><line tab="1"/>Lieber Herr Lenz ich habe weiter nichts zu erinnern als den Degen. Besinnen Sie sich doch es wär
doch dumm wenns damit gehen sollte wie mit denen Coloschen. Und dann hat letzhin der Hr. Geh.
Leg Rath nach der Laube gefragt ich weis nicht warum, wollts Ihnen aber doch sagen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Am vergangenen Donnerstag sind die Mitschuldigen gespielt worden. Die Rollen waren so
ausgetheilt: <ul>Alzest.</ul> Hr. G.L.R. <ul>Söller.</ul> Bertuch <ul>Wirth</ul> Musäus. <ul>Sophie.</ul> Neuhaus. <ul>Keller.</ul> Kozebue. Es soll
wieder auserordentlich schön gewesen seyn.<line type="break"/>
<align pos="right">geh. Diener<line type="break"/>
Seidel.</align><line type="break"/>
D. 30ten Nov. 1776.</letterText>
<letterText letter="265"><line tab="1"/>Lavater! mein Herz zerspringt mir wenn ich mir einbilde, daß meine Weigerung zu Dir zu kommen,
von Dir mißverstanden werden könnte. Wenn auch die heiligste Zerstreuung nicht immer Zerstreuung
wäre, so bald man auf ein Ziel zugeht; so kannst Du Dir vorstellen wo mich mein Herz wohl zuerst
hinführen würde, wenn es allein zu wählen hätte. Keine Alpen und kein Eis sollten mich schröcken
an Deinen Busen zu fallen Gottesmann und ein Grönland zwischen uns würde aufhören kalt zu seyn,
sobald ichs zu Fuß in der Hofnung durchliefe am Ende der Wallfahrth Dich zu finden. Ich wünschte
Du schriebst keine Physiognomick, Du wärest ein unbekannter vergeßner vereinzelter Mann und ich
dürfte mit einer ganzen Welt durch Wüsten zu Dir eilen und ausrufen Hier! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>So aber legt meine Einzelheit kein Gewicht in Deine Schaale und unser stilles Vergnügen, so
geschmückt es brautgleich mir entgegentritt ist noch zu rein für ein Auge das Dich wie Du
bist jetzt nicht ertragen, jetzt entheiligen würde. Für ein Auge das Gegenstände sich ganz
zugeeignet haben, die von Dir und Deinem Wirkungskreise so verschieden als der Himmel von der
Erde sind. Lebe wohl und zürne nicht und liebe mich dennoch und laß Deinen Seegen mich
verfolgen. Aus dem nächsten Ort wo ich <ul>stehe</ul> schreib ich Dir und harre auf Deine Antwort Lavater!
wie ein Liebhaber! nicht wie der herumirrende<line type="break"/>
<align pos="right">Lenz</align></letterText>
<letterText letter="266"><line tab="1"/><note>Textverlust</note>rzlichen Dank sag ich dir Liebster für deinen Dukat, er gefällt <note>Textverlust</note> und dann ist er
von Dir! Liebes Denkmal mir Mönchlein, und in <note>Textverlust</note> mich daß du mich mißverstundst, mich in
Mangel glaubtest und mir <note>Textverlust</note>, vielleicht nicht von des reichen Mannes Tisch zu werfen
wolltest, <note>Textverlust</note>ster Freund, mein Bester den ich je hatte und haben werde, mich <note>Textverlust</note>
er nie noch das mindeste so daß es gedrückt heisse. Hast mich auch <note>Textverlust</note>s Freytisches mißverstanden,
ich käme in gar keine Relation <note>Textverlust</note>rscher dann ich könnte mirs Essen immer auf meine Stube
bringen <note>Textverlust</note> keiner an, hätte auch derwegen niemand <insertion pos="top">hier</insertion> die geringste <note>Textverlust</note> d da ich
nur bis Ostern bleibe so laß es wann du bisher <note>Textverlust</note> schritt gethan hast, ists aber , so nehm ichs
mit Dank an, und <note>Textverlust</note> r aus Strasburg kann continuiren und hieher kommen, <note>Textverlust</note> gehe. Ich
kann die Pursche hier nicht gar wohl dulden und <note>Textverlust</note> weder an mir noch ich an ihnen was finden konnten,
waren <note>Textverlust</note> gs, <aq>á charge.</aq> Sie schreyen immer <gr>ανтos εpa</gr> und <note>Textverlust</note> hab keiner Seel von dir
weder geschrieben noch gesagt, als einen Gruß an die Gesellschaft, und wann du willst eine Abschrift deiner
Epistel. Die hab ich auch Boje geschickt mit ein paar Zeilen von mir, vielleicht antwortet Er. # <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dem kernhaften Müller werd ich erst noch schreiben, ich warte auf Antwort von Ihm. Aber sein Doktor wird
sobald nicht gedruckt er arbeitet noch dran. Schade daß zwei <insertion pos="top">Strasb.</insertion> Theologen fast immer um uns waren,
die schwer verdauen. Einen gräßlich schönen Hexenauftritt hat er mir draus gelesen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Schreib mir doch liebster Freund Nachricht von deinem Schicksal und setze mich außer Sorgen wenigstens aus der
Unruh meiner Ungewißheit ich will ja weiters nichts wissen. Lebe wohl ich liebe dich. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier hastu einen andern D. ich bat dich ja zu vergessen, bitte dich aber nie zu vergessen daß meinem Herzen nie
wohler ist als wenn ich an dich denke als Freund, nur sey glücklich und sorgenfrei. Dein stäter Alter Röderer <line type="empty"/>
Deiner meisterhaften Epistel bin ich zu gering ein Compliment zu zu machen, gefallen aber hat sie mir ungemein. <line type="empty"/>
<align pos="right">Röderer</align><line type="break"/>
Göttingen d 9. Decemb 1776. <line type="empty"/>
<line tab="1"/># Vom 13 huius hab ich Antwort, Er dankt dir und schon ist deine Epistel zu Leipzig , wo er sie wie meine Demosth.
Rede eingerückt im December zu sehen hofft. Ich mußte vor 8 Tagen diesen Brief wieder zurücknehmen, weil er nur mit
fahrender Post geht und erst heute d . 15 dieselbe von hie abging. Lebe wohl mein Allerbester. P.S. Hr . Boje bietet
mir seine Gefälligkeiten an, und sobald ich ihm wieder schreibe werd ich um den Freitisch für mich oder meinen Bruder
ansuchen. Gieb mir nur auch bald Nachricht von dir mein allertheuerster liebster Freund. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note> <line type="empty"/>
An Herrn<line type="break"/>
<note>Textverlust</note>rn <ul><aq>Lenz</aq></ul> abzugeben bey<line type="break"/>
Herrn <aq>Hofrath Wieland</aq><line type="break"/>
<ul>zu Weimar</ul><line type="break"/>
<aq>mit 1 Ducaten</aq></letterText>
<letterText letter="267"><line tab="1"/>Lieber Hafner! wenn Du oder Herr Otto unter Euren Pappieren etwas habt, dessen Bekanntmachung
ihr wünschtet (vorausgesetzt daß es eurem eigenen höchsten Ideal von dem entspricht, was über die
Sache gesagt werden könne <line type="empty"/>
<line tab="1"/>so dürft Ihrs nur mit einem Briefe gerade an Wieland begleiten (Herrn Hofrath Wieland zu Weymar) er
macht sich eine Freude daraus alles zu <ul>befördern</ul> was im Elsaß Aufmerksamkeit verdient. Euer Zutrauen
zu ihm kann unbegrenzt seyn, trauet dieses einem zu, der ihn gesehen, und nicht aus litterarischpolitischen
Absichten sein Freund worden ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eine Kleinigkeit um die ich Euch aber bitten will insofern ich Euch nach unserer alten Freundschaft
und als geborne Teutsche ansehe. Diese wäre, aus Gefälligkeit gegen Wieland den Namen unsers Vaterlandes
künftig hin nicht mit einem weichen D. sondern mit einem harten T zu schreiben. Ich habe seine Gründe
drüber gehört und mich aus eigner Willkühr entschlossen <page index="2"/> dem alten Schulmeister Gottsched zum
Trotz und einem Mann wie Wieland zu Liebe mein Vaterland nicht mehr zu beschimpfen wenn ich es von Deut
einem Niedersächsischen Wort das „eine Nichtswürdigkeit“ bedeutet herleite, da unser Stifter Teut hieß
und die älteste Schreibart diese kleine aber liebenswürdige Grille Wielands rechtfertigt. <line type="empty"/>
Wenn jemand Recht hat, Brüder! wer wollte einen Augenblick anstehen ihm Recht zu geben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Solltet Ihr sonst jemand wissen, der nicht aus Eigennutz, sondern aus inniger Liebe zur lautersten Ehre,
aus Begierde den Edelsten unsers Vaterlandes auf eine edle Art bekannt zu werden, etwas das dem Elsaß Ehre
machte, in den Merkur wollte rücken lassen, der es auf die geschwindeste und einzig mögliche Art an
<page index="3"/> unsern Höfen und in unsern besten Gesellschaften bekannt macht, so werdt Ihr mir einen Gefallen
thun, mir Nachrichten von ihm zu geben, damit ich meine Einladung an ihn selber wenden könne. Adressirt
die Briefe nur: an Herrn Hofrath Schlosser, in Emmedingen, abzugeben an Herrn Lenz. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der zweiten Seite, vertikal; die folgenden zwei Absätze"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Sehr gut wäre es wenn Ihr zu allem was Ihr einschicktet, hinzusetztet: <ul>aus dem Elsaß,</ul> es mögte mit Eurem
Namen oder mit andern Buchstaben unterzeichnet sein. Ramond wird vermuthlich schon vom Herrn Aktuarius
erfahren haben, daß Ihre Durchl. die Herzoginn Mutter sein Drama, nachdem sie mich darum gefragt,
behalten haben.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Ganze <ul>grosse</ul> Dramen würde Wiel. schwerlich in den Merkur rücken können, wohl aber kleine. Ueberhaupt bitte
ich, Euch kurz zu fassen.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Du zu Herrn von Türkheim gehst so mach ihm von mir viele der schönsten Empfehlungen, nicht bloß wie sie
seine persönlichen Liebenswürdigkeiten, sondern hauptsächlich seine patriotische Wärme für seine Vaterstadt
verdienen. Melde mir welch einen Gang der Bürgerfreund und die Teutsche und Französische Gesellschaft in seinem
Hause nehmen. Herrn Blessig empfiehl mich gleichfalls und schreib mir von seinen Neuigkeiten. Ein Gleiches bitte
den Herren Ramond u. Matthieu zu thun wovon ich dem erstem Glück wünschen lasse, falls er schon abgestiegen
ist von seinem <ul>hölzernen</ul> Pferde. Vermuthlich wirst Du bald hinauf steigen und dann einen glücklichen Ritt. <line type="empty"/>
E. den 13ten. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<align pos="right">L.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand der dritten Seite, vertikal"><line type="break"/>
<line tab="1"/>Es steht bei Euch, Eure Namen zu Euren Ausarbeitungen herzugeben, oder vorher zu versuchen welch ein Glück sie
bei Kennern machen. Der Himmel walte über Euch und regiere Euch.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Hafner</ul><line type="break"/>
Candidaten der Theologie<line type="break"/>
zu Strasburg<line type="break"/>
gegenüber der neuen Kirche</letterText>
<letterText letter="268">Strasburg d. 20. Dezbr. 1776.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Ihr Brief kam zuspäth lieber guter Lenz um weder Röderer noch Hrn. v. Kleist anzutreffen, der erste ist
längst zu Göttingen und der lezte in Paris nachdem sein Regiment von hier nach Bitsch verlegt
worden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier haben Sie zum Neujahrs Geschenk die neuesten Allemanden, welche Hr. Stork hat auftreiben
können. von Edelmann habe ich durch Hafner der sich Ihnen empfiehlt nur die auf dem besondern
Blatt bekommen. Ich wolte Ich könnte selbst bei Ihnen seyn und dies geschenk Ihrer Durchl. zum
Zeichen meiner Hochachtung übergeben. Es ist mir aber doch lieb daß ich etwas zur Vermehrung Ihrer
künftigen Carnevals-Lustbarkeit beitragen kann. Zu dem glücklichen Dienst den Sie dem guten Herzog
geleistet haben gratulire ich Ihnen und bin gewis dass Sie von dem Hof nicht, wenigstens nicht mit
leerer Hand wegkommen werden. Sie geben mir selbst einen Wink der mir ziemlich einleuchtet.
Unter welcher Gestalt ich Sie aber wieder zu sehen kriege so wird Ihre gegenwart meinem Herzen
Balsam seyn. Jgfr. Lauth die Sich Ihnen empfehlen bitten Sie, falls Ihre Rückkunft noch lange
verschoben werden sollte, ihnen doch was schrifftliches zu schicken über das was Sie ihnen schuldig
sind, es ist sagen sie für leben und todt. Hrn. Kaufmann kenne ich nur aus Reputation. Hr. von Vietinghof
ist schon lange hier durch und hat seinen Sohn mitgenommen Hr. Flies ist, weilen sein Vater todt krank
worden schon lange nach Haus gereist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Gesellschaft bestehet noch auf gutem Fuss jetzo sind die Versammlungen bis in den Jenner eingestellt
und werden alsdann bei Mag. Blessig welcher indessen Pädagog worden ist im Kloster fortgesetzt werden.
Unsere Schweden Ütfal werden zu Ende des Jenners nach Paris gehen und Michaelis wird nächstens von da
zurückkommen er ist von den dortigen gelehrten insonderheit <aq>Dalembert Diderot</aq> und <aq>Villoison</aq> sehr wohl
aufgenommen worden. Der gute <aq>Rousseau</aq> ist vor ein paar Tagen wie man sagt an seinem unglücklichen Fall
gestorben. <line type="empty"/>
Der Kaiser Joseph wird gegen den 20. jenner hier erwartet. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was macht mein Freund Goethe, sagen Sie ihm doch auch ein Paar Wörtgen von mir. Er soll mich lieben
oder hassen nur nicht vergessen. Empfehlen Sie mich bey gelegenheit Hrn. Herder und Hrn. von Knebel
wann er noch da ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Kayser hat einige kleine <aq>pieces</aq> von Ihnen lieber Lenz drucken lassen die mir sehr gefallen nur die nachricht
von der Societät hätte können draus bleiben weil sie noch nicht Consistenz genug hat um allgemein bekannt
zu werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hr. <aq>Ramond</aq> der hier Licentiat wird und Hr. <aq>Matthieu</aq> Empfehlen sich Ihnen. Die hiesige Philanthropische
Gesellschaft hat einen neuen plan gemacht zur bessern einrichtung, noch bin ich nicht dabei, ich habe
noch nicht einsehen können, daß im ganzen Vieles dabei heraus kommen sollte. Aber wir wollen sehen.
Adieu lieber Lenz! seyen Sie mir gut wie ich es Goethe und Ihnen bin <line type="empty"/>
Salzmann Act.</letterText>
<letterText letter="269">an Herdern<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lieber Herder! was kann, was darf ich Dir sagen. Es wäre betrübt für mich, wenn Du mein
Stillschweigen nicht verstündest. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe Dich gesehen und gesprochen, habe an Deinem Halse gehangen und Dir Lebewohl gesagt.
Was bedarfs des Schauspiels <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Kaufmann ist noch nicht da, zweifle auch ob ich ihn sehen werde. Schick mir wo möglich noch einige
Zeilen Stärkung derweil ich in Emmend. bin. Adieu! Grüß Weib und Kind! Adieu Herder! ich mache
keine Entschuldigung. <line type="empty"/>
<align pos="right">In der Christnacht<line type="break"/>
bey Schlossern.</align></letterText>
<letterText letter="270"><line tab="1"/>Ihr Stillschweigen lieber Freund! zu einer Zeit da ich eben im Begrif stehe abzureisen, setzt mich in
keine geringe Verlegenheit. Herr Hofrath Schlosser ist eben mit der Herrschaft in Rastadt, ich bitte
also Brief und Geld mit einem Umschlag an den Herrn Posthalter Sander in Emmedingen auf das <ul>schleunigste</ul>
zu adressiren, Sie können ihm dabey schreiben daß Sies darum thäten, weil Sie wüsten daß H. Schlosser
nicht zu Hause; und ich werde <ul>schon Sorge tragen, </ul>daß niemand erfahren soll, wieviel es gewesen. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Haben Sie aber Anstand mit dem Manuskript, so schicken Sie mirs eben so schleunig wieder, es sind soviel
Hände darnach schon ausgestreckt und verzeyh Ihnen Gott Ihr Zögern. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">Oder Sie könnten auch Brief und Geld an <ul>Herrn Hofrath Pfeffel in Colma</ul>r adreßiren, wo es gewiß niemand erführe
und mir durch ein ander Briefgen Nachricht davon geben. Sie dürften ihm nur schreiben, Sie wären meines jetzigen
Aufenthalts nicht gewiß, da ich wirklich neulich noch in Colmar so wie in Strasburg und Fort Louis gewesen bin</sidenote></letterText>
<letterText letter="271"><line tab="1"/>Es scheint Lieber! Du weißt nicht oder willst nicht wissen, wer die Ursache des ganzen Litterarischen
Lärmens gegen Dich war. Ich ließ <ul>Götter Helden und Wieland</ul> drucken und ohne mich hätten sie das
Tageslicht nimmer gesehen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich hätte Dirs in Weymar gesagt, ich fürchtete aber es würde zu viel auf einmal geben. Einmal
aber muß es vom Herzen ab und so leb wohl! <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier eine kleine Romanze von Pfeffeln aus Colmar, die du wohlthun würdest deinem Merkur
einzuverleiben. <line type="empty"/>
<align pos="right"><aq>verte.</aq></align> <line type="empty"/>
<page index="2"/> <line type="empty"/>
<align pos="center">>Emma und Eginhard<line type="break"/><!-- Bekommt die Überschrift der Romanze eine eigene Formatierung über <line tab="1">? -->
an Barthy</align> <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Geh Betti schließ die Laube zu
<line tab="5"/>Und gieb die Harfe mir
<line tab="5"/>Von einem Fräulein schön wie Du
<line tab="5"/>Sing ich ein Liedgen Dir <line type="empty"/>
<align pos="center">X</align> <line type="empty"/><!-- Bekommen die Grenzmarkierungen der Versabschnitte der Romanze eine eigene Formatierung über <line tab="1">? -->
<line tab="5"/>Der große Carl ein Teutscher Held
<line tab="5"/>Des Fräuleins Vater war
<line tab="5"/>Die Sachsen schlug er aus dem Feld
<line tab="5"/>Und manche Mauren Schaar <line type="empty"/>
<align pos="center">X</align> <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Doch Emma war so furchtbar nicht
<line tab="5"/>Mild heiter Minnereich
<line tab="5"/>Ein Rosenbeet war ihr Gesicht
<line tab="5"/>Ihr Aug dem Himmel gleich <line type="empty"/>
<align pos="center">X</align><line type="break"/>
<line tab="5"/>Die schlaue Mutter hielt sie hart
<line tab="5"/>Kein Ritter kam ihr nah
<line tab="5"/>Bis auf den Junker Eginhard
<line tab="5"/>Den Schreiber des Papa.</letterText>
<letterText letter="272"><line tab="1"/>Hab endlich wieder einmal eine Zeile von Dir gesehen und mich herzlich drüber gefreut. Und danke
Dir für Deine Verse! sie haben mir wohl gethan, wie es nun so ein eigen Ding ist um das Liebhaben
der Werke gewisser Menschen. Siehst Du so wolt ich was geben einige von Deinen alten Comödien
deren Existenz und Namen ich weiss gelesen zu haben und wünsche mich Dir näher auch um das noch
zu erhalten. Keine Schmeicheley lieber Bruder, ich bin davon entfernnt und ich sage Dir all Dein
schriftstellerisch Treiben seit Menoza (die Freunde machen den Ph. ausgenommen) hat mir biss auf
Dein leztes im Musem missfallen, und ich sehe nur immer den Menoza u. Hofmeister in Dir und liebe
keinen Einsiedler pp und werde keinen lieben. Wohl! wohl! ich komme weit im Text den kein Brief
faßt genug davon. Componiren will ich Deine Sachen wenn ich mich angeweht <page index="2"/> fühle. Jezt
nicht, vielleicht lang nicht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich weis nicht was Du über Kleinjopp von mir forderst. Ich war ein einzig mal bey dem Menschen aber im
Taumel und andem Gefühlen und würde auch nie ein Wort über solch einen Menschen wagen. Du bist bey
Schlossern der bey ihm war und der Mann darzu ist Dir viel über ihn zu sagen. Es gibt so viel ich weiss
keinen Menschen hier der was zu leisten im Stand wäre wenn Schlosser nichts kann. Ich will aber noch mit
Lavatern drüber reden der heut nicht hier ist. <line type="empty"/>
Adieu jezt. 20 Febr. Nachts. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das ist traurig dass nichts von Gluck da sey. Kaufmann hat mir doch so was gesagt vom Singen der Mad. Schlosser
dass ich vermuthete sie hätte was das ich noch nicht hab. Wann Du leichtsinnig über meine Wünsche weggehst oder
mir vorent<page index="3"/>hälst, thust Du übel an mir! <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Den 23.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Lavater sagt es gäb keinen Menschen der über Kleinjopp schreiben könnte. Partout keinen. Du solst kommen, 8 Tag ihn
sehen und hören und alles was er sagte niederschreiben. So würd ers machen. Das einzige Mittel! und das glaub ich mit
Lavatern. Auch solst Du wissen dass der Bauer keine Zeile schreiben kann. Ich wünschte Dir und andern dass Ihr endlich
einmal aufhörtet zu idealisiren und in keines Menschen Seele glaubtet in so Fällen wie bei Kleinjopp der nichts
weniger ist als <ul>philosophischer </ul>Bauer und Socrates. </letterText>
<letterText letter="273"><!-- französischer Brief --></letterText>
<letterText letter="274">
<align pos="right"><hand ref="20">Empfangen den 22sten Apr. 77.</hand> <line type="empty"/>
Emmedingen.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es wundert mich ausserordentlich lieber Freund! daß ich noch nichts von Pfeffeln erhalte, der mir
erst gestern schrieb. Sollten Sie das Geld etwa noch bey sich haben so schicken Sies jetzt nur gerad
unter Schlossers Adresse her, der wieder da ist. Ich wollt es nach Colmar weil ich dahin zu gehen
gedachte und von da weiter So aber halten Sie mich allein zurück <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Zerstückelung des Landpredigers war mir nicht die angenehmste Neuigkeit. Auch heißt er nicht Wangen-
sondern Mannheim, welcher Name hoffentlich nicht dort herum sich finden dürfte. <line type="empty"/>
Herrn Zimmermann und Bürger meine Empfehlung. In Erwartung baldigster Nachricht bleibe <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihr ergebenster L.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">Bitten Sie doch Ihren Freund Dohm die Politischen Pasquille aus einer Schrift zu lassen die in so mancherley
Hände kommen soll. Sie thun ihr mehr Schaden, als mans oft in seinem Kabinettgen glaubte </sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Wie wärs wenn Sie ihn Mannhardt tauften, im Fall etwa der erste Name nicht durchginge? <line type="empty"/>
D. 9ten Aprill. <line type="empty"/>
Wangenheim ist ganz fatal. <line type="empty"/>
Für Vossen habe an Kaisern <insertion pos="left">in Zürich</insertion> einige Säehelgen geschickt, der sie ihm mit der Musik geben wird <line type="empty"/>
Leben Sie wohl! <line type="empty"/>
<page index="3"/> <line type="empty"/>
<line tab="6"/><align pos="center">Pygmalion</align> <line type="empty"/>
<line tab="5"/>An diesen Lippen, diesen Augen <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Die Welt vergessend, hinzuhangen <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Und aus den rosenrothen Wangen <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Des Lebens Ueberfluß zu saugen <line type="empty"/>
<line tab="5"/>An dieses Busens reiner Fülle <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Die Schmerzen meiner Brust zu wiegen <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Und auf des Schooses Fried und Stille <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Mit tränenmüdem Haupt zu liegen <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="5"/>Das war mein Wunsch das ist mein Grämen <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Und soll mir doch kein Schicksal nehmen. <line type="empty"/>
<page index="4"/> <line type="empty"/>
<note>Adresse</note> <line type="empty"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Staabssekretär<line type="break"/>
<ul>Boje</ul><line type="break"/>
zu Hannover <line type="empty"/>
baldmöglichst.</letterText>
<letterText letter="275">lnnsonders HochgeEhrtester Herr,<line type="break"/>
Schätzbahrster Freund! <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<note>Respektsabstand</note> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Unter den verschiedenen Briefen, die Ich, an Ihnen zu schreiben mir die Freyheit genohmen, wird
doch endlich einer so glücklich seyn, in Ihre schätzbare Hände zufallen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Frey, ist es zwar von mir, sie auf solche Arth immer zu beunruhigen, alleine, das bewußtseyn,
Ihrer vor diesem so überwiegenden Freundschaft gegen mir, nebst dem verlangen zu wißen, ob ich mich
solcher noch izt würdig glauben darf, sind die jedesmahlige treibfeder meines Schreibens, und laßen
mich nicht Hofnungslos, doch einmahl gewiß etwas von Ihnen zu vernehmen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ein Gedichte von Ihnen, im teutschen <aq>Musaeum</aq> hat mir den Weg, zu Erfahrung Ihres jezigen Aufenthalts
gebahnet, ich glaube Ihn gefunden zu haben, und höre nun auf, Sie bey Frau Dahlin in Strasburg zu suchen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ob Sie sich meiner noch besinnen werden, ist bey mir nie ein Zweyfel geweßen, aber ob <page index="2"/> Ihr
Freundschaftliches Herze, noch jezuweilen einen Schlag vor mich thue; diß ist durch länge der Zeit,
zu einem geworden. jedoch nicht gar der Lehren reiche Brief der lezte den ich vor 3 Jahren von Ihnen
empfinge, der gantz in meine seele floß, und mich zu tägl. neuer verEhrung gegen Sie aufmahnt, erhält
noch einen glimmenden Funcken, der Zuversicht unter der Asche. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Gott, wie seelig würden mir die Stunden geweßen seyn, wo ich so oft, eingeschloßen, in den Gräntzen Ihres
Hertzens, bey Ihnen saß, und Ihre Liebe genoß; wann nicht niedrige Emfindungen mich geleitet, und den Weg
des Verderbens geführt hätten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie Lebten Sie dann, seit deme das lezte mahl die Ehre hatte sie zu sehen? Vermuthl. gut, gesund und vergnügt,
Ich wünsche das wenigstens von grund meiner Seele. für' s vergangene und für' s zukünftige. Ich, meinerseits,
bin, Gott seys gedankt seit meiner Abreiße von Strasburg glücklicher geweßen, als verdiente, habe die
Bergwercke meinem Bruder in Lotharing. <aq>endossirt,</aq> und mich gäntzl. der Handlung gewiedmet. <page index="3"/> Stehe auch
von da an allhier in Basel, in einer berühmtesten Band <aq>fabriquen</aq>, als bedienter unter den schönsten Bedingnießen
in <aq>Condition</aq>. und bleibe vom Höchsten erwartend, wie mich seine Güte, den rest meiner Jahre, mit vernunft
vollends ausleben laßen wird . <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Solte, wie Ich hofe, Ihre Freundschaft noch einen Funcken Herz zu mir haben. so machen sie mir das vergnügen.
mich deßen schriftlich zu versichern; kann ich hingegen mich deren aufs neue würdig zu machen Ihnen viel angenehmes,
in hiesigen gegenden erweißen, so befehlen sie über denjenigen der mit besonderer Hochachtung, Aufriebt<note>Textverlust</note>
Gesinnungen, und mit vollem warmen Hertzen, die Ehre hatt, sich ewig zu nennen <line type="empty"/>
<align pos="right">Dero Gehorsamster und bereitwilligster Freund und Diener<line type="break"/>
Emanuel Friederich Mayer<line type="break"/>
bey<line type="break"/>
<aq>Gedeon Bourcard.</aq> <line type="empty"/>
<line type="empty"/></align>
Basel, 9. April <ul>1777.</ul> <line type="empty"/>
<page index="4"/> <line type="empty"/>
<note>Adresse</note> <line type="empty"/>
Monsieur<line type="break"/>
Monsieur Lenz<line type="break"/>
Pascus chez Monsieur Schloßer.<line type="break"/>
Conseiller de S. a S. Monseigh. le<line type="break"/>
Margrave de Bade Durlac.<line type="break"/>
<ul>Emmedingen</ul></letterText>
<letterText letter="276"><line tab="1"/><del>Lieber Neukirch wenn Sie den Alessandro mit sich in Freyburg haben, so schicken Sie mir ihn doch
gleich zu. Das übrige werden wir mündlich sprechen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wer hat Ihnen denn gesagt daß Frate Pulito ein Kapuziner ist. Es kann eben sowohl ein griechischer
als katholischer Mönch, eben sowohl ein Exjesuit als sonst was seyn, wie Sie aus meiner nächsten
Veränderung sehen werden. Wie lange wird</del></letterText>
<letterText letter="277"><align pos="center">An Lenzen zum Abschied.</align> <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Edler! Du gehst dahin <!-- Handelt sich hier um Verse? -->
<line tab="5"/>Und mein tränendes Aug sieht Dir nach.
<line tab="5"/>Genoßen und genoßen gehst Du nur halbgenoßen
<line tab="5"/>Diesem unersättlichen, allaufzehrenden Herzen.
<line tab="5"/>Hier ist nichts für mich in dem weiten All.
<line tab="5"/>Viele sind mir nichts, können nichts mir seyn
<line tab="5"/>Und der einzge, der vielleicht mir seyn könte
<line tab="5"/>Was mich füllte mit überströmender Wonne
<line tab="5"/>Will nicht.
<line tab="5"/>Du läßt mich allein.
<line tab="5"/>Edler! Wärs vielleicht beßer,
<line tab="5"/>Hätt ich nie den Himmel in Dir mir dämmern sehn?
<line tab="5"/>Ach! ich ahnde, ahnde in Dunkel,
<line tab="5"/>Was Du mir seyn köntest, was ich vielleicht Dir.
<line tab="5"/>Stolzer Gedanke!
<line tab="5"/>Und doch nicht zu stolz für dies Herz,
<line tab="5"/>Das mit ewiger Wärme
<line tab="5"/>Umfaßen möcht allseine Lieben,
<line tab="5"/>Verzehren sie, sich, im unlöschbaren Brand,
<line tab="5"/>Das sich heben möchte hinan
<line tab="5"/>Dorthin, wo der Cherub nicht weiter kann.<page index="2"/>
<line tab="5"/>Unbändig, brennend für Wünschen
<line tab="5"/>Und nicht gesättigt.
<line tab="5"/>Ach! wie mir wohl wär,
<line tab="5"/>Wenn ich, schwebend zwischen Himmel und Erde,
<line tab="5"/>Zu groß fürs Thier, zu klein für die Gottheit,
<line tab="5"/>Leidend vom unseigen Gefühl
<line tab="5"/>Mittelding zu seyn;
<line tab="5"/>Vom Druck,
<line tab="5"/>Sich klein zu fühlen,
<line tab="5"/>Gröser seyn zu wollenWenn
<line tab="5"/>der Tod da käme,
<line tab="5"/>Heute mit einem entzwei den Faden
<line tab="5"/>Endete. auf ewig. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Leb wohl, Heilger, denn du bist mirs,
<line tab="5"/>Leb wohl. Geh Deine Straße.
<line tab="5"/>Zertritt, zertrümre!
<line tab="5"/>Aber schone des Schwachen,
<line tab="5"/>Des lieben Schwachen
<line tab="5"/>Der Gröse mehr als ahndet,
<line tab="5"/>Der den Willen hat zu allen,
<line tab="5"/>Der faßen möchte mit Adlers Klaun
<line tab="5"/>Und die Kraft nicht hat, <page index="3"/>
<line tab="5"/>Der umfaßen möcht das Weltall,
<line tab="5"/>Und zu klein sich fühlt.
<line tab="5"/>Geh Deine Straßen!
<line tab="5"/>Brauß auf mit der schnellen Aar,
<line tab="5"/>Wühl in den Trümmern von Habsburg,
<line tab="5"/>Sauge Größ aus dem Andenken der Großen,
<line tab="5"/>Die dort sich betteten;
<line tab="5"/>Jauchz am Zürichersee,
<line tab="5"/>Drück gegen der Alpen Last <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Komm in meinen Arm zurück
<line tab="5"/>Gröser und herrlicher,
<line tab="5"/>Bring Leben und allmächtiges Wehen,
<line tab="5"/>Geist und Kraft in meinen morschen Bau.
<line tab="5"/>Fülle, fülle ganz mein Herz,
<line tab="5"/><del>Daß es auflodre</del>
<line tab="5"/>Leitre zu Feuer es,
<line tab="5"/>Daß es auflodre
<line tab="5"/>In ewigen Flammen. <line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Lieber, Sie haben mich hintergangen, gingen mit dem Vorsatz, nicht wieder zu kommen. Hatt ich
doch die Ahndung. Ich lief im Zinuuer auf und ab, als Sie fortwaren, alles schwand um mich her,
ich lachte, braußte und wißen Sie ein Wort, das mehr sagt, geben Sie mirs und ich will ihnen
danken. Solcher Stunden hab ich nicht viele; ich triebs einige Zeit, dann macht ich mir Luft.
Sie ehen was draus entstand. Es ist ganz der erste Wurf; ich habs Ihnen abgeschrieben, wies in
meiner Schreibtafel steht, ich ändre kein Wort, es ist Herzensfülle. Zeigen Sies niemanden;
warum -ist offenbar. Leben Sie 1000mal 1000mal wohl. <line type="empty"/>
<align pos="right">Küttner.</align></letterText>
<letterText letter="278"><align pos="right">Zürich. d. 11ten May 1777</align> <line type="empty"/><!-- Viel Abstand; vielleicht Obergrenze bei drei Zeilen? -->
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier sind Pfeffels Lieder wieder, meine würdigste Freundinn! freylich muß ich mich schämen, daß ich
so spät damit bin, Ihre Geduld und vielleicht Ihre Sanftmut selbst auf eine so unverschämte Probe gesetzt,
doch wenn Sie alles wüßten was ich zur Entschuldigung sagen könnte und doch nicht sage, würden Sie mir
das verstohlne Vergnügen etwas aus Ihrer Brieftasche bey mir zu tragen, vielleicht noch länger gegönnt haben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ganz gewiß werden Sie sich den ersten Akt der verabredeten Comödie hiebey vermuthen so gewissenhaft ich aber
daran gearbeitet so hab ich doch so wenige Augenblicke ganz zu mir selber kommen können, daß Ihr liebes Gedächtniß
vor der Hand noch ein Weilgen Ruhe haben wird. Es kommt aber gewiß so wie alles <page index="2"/> was ich verspreche und
ich hoffe etwas davon Herrn Sarasi (den ich schon unterwegens vermuthe) in Schinznach vorlesen zu können. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Um eines aber habe ich Sie noch zu bitten, ich habe unter den Gedichten das artigste vermißt, eine Epistel an Sie,
in der unser hellsehende Blinde ein so getreues Porträt von Ihnen machte. Wollen Sie mich in die glücklichste Laune
setzen unser angefangenes Stück, woran Ihnen doch vielleicht etwas gelegen seyn wird, bald und zu Ihrer Genugthuung
zu endigen, so lassen Sie mir dieses nebst ein Paar Zeilen von Ihnen, aber wohl zu merken im Schweitzer Teutsch, zu
kommen, Sie können sichs nimmer vorstellen, wieviel Begeisterndes diese Sprache in Ihrem Munde für mich hat. <line type="break"/>
<page index="3"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Sie dürften Ihren Brief nur an Herrn Sarasi adressiren, daß er mir ihn nach Zürich, oder wo ich von da hingehen werde
wenn ich von Schinznach zurückkomme, schickte, er wird mir eppen eine außerordentliche Freude machen und die Rolle die
ich für Sie ausarbeite nur desto besser ausfallen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich allen Freunden Ihres Hauses die ich nicht in Schinznach zusprechen die Ehre haben sollte. Ihren
kleinen Inokulierten druck ich manch herzliches Küßgen auf ihre Narben und höre Sie oft im Geist ihnen kleine Geschichtgen
erzehlen. So habe ich auch dem letzten Ball unsichtbar zugesehen, Sie haben recht viel getanzt.<line type="break"/>
<align pos="center"><line tab="5"/>Da lenkten im reitzenden Wirbel
<line tab="5"/>Die Grazien selbst Ihren Flug
<line tab="5"/>und machten dem schnappenden Tänzer
<line tab="5"/>Entzückender Schmerzen genug.</align>
Empfehlen Sie mich den Neuvermählten und Ihrem Hn. Schwager gleichfalls und bereiten sich nur auf eine recht beschwerliche<line type="break"/>
Gedächtnißarbeit.<line type="break"/>
<align pos="right">Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="279"><hand ref="1">
H. Pfr. Lavater <line type="empty"/>
Warum nicht bey uns?</hand> <line type="empty"/>
<hand ref="10">
<line tab="5"/>Ich suche Poeten für morgenden Spaß.
<line tab="5"/>Drum wandelt mein Auge von Nase zu Nas
<line tab="5"/>Ich bin bey der liebsten der lieben u. denk
<line tab="5"/>Der liefert mir morgen ein Verslingeschenk. <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
H: Wegmeister Tobler in Zürich.<line type="break"/>
H Pfarrer Weber in Bubigheim<line type="break"/>
Zu Diener Stadthalter von Bubigheim.</hand> <!-- Bis wohin geht Lavaters Hand? Ab Seite zwei fremde Hand--></letterText>
<letterText letter="280">
<pe><line tab="1"/>Lenz von deinem Auge kein Blick, du streckst nicht nach mir den Arm, reichst mir keine Hand! Doch
du bist wohl lebe wohl, sieh auch nach mir.</pe> <line type="empty"/>
<page index="2"/> <line type="empty"/>
<aq>Mr Kittner Doit fl. 9. tz 3.</aq><!-- Auch mit Bleistift --></letterText>
<letterText letter="281"><line tab="1"/>Darf ich Sie um Ihrent- um meinetwillen bitten, das über die launigten Dichter noch nicht in Ihr
Musäum zu rücken. Unser Publikum hat noch keinen Sinn dazu und es könnte entsetzlich
mißverstanden werden. Heben Sies auf bis Zeit und Gelegenheit Beobachtungen günstiger sind,
die durchaus auf keinen einzelnen Fall dürfen gezogen werden und wo diesmal die Anwendung
auf Wieland, auf dessen <ul>wenigste</ul> Sachen sie passen, unvermeidlich wäre. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal"></sidenote>Wenn dies ins Museum kommt, darf ich Ihnen nie wieder etwas zuschicken. <line type="empty"/>
<page index="2"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich schwärme in der Schweitz, habe in Schinznach vier goldene Tage gelebt, in Zürich Basel
und Schafhausen viel Liebe genossen. Sagen Sie Zimmermann, daß seiner als Grundleger der
helvetischen Gesellschaft mit vieler Erbauung ist gedacht worden und daß er an Hn. Doktor Stuker,
einem würdigen Menschen unter den Würdigen, einen warmen Freund hat. Daß der Landpr. bald auf einander
folgt freut mich, überhaupt würden Sie wohlthun, Ihre Sachen nicht mehr so zu zertrennen, worüber man
mir hie und da und von sicherer Hand viel Beschwerden geäußert hat. Natürlich ists daß drey Vierthel
von dem Eindruck des <page index="3"/> Ganzen verloren gehen. Wär es möglich noch die zwo Hälften zu verbinden,
würden Sie sehr wohlthun denn wenn ich die Strahlen eines Brennspiegels auseinanderwerfe, kann kein
Flämmlein erfolgen. Leben Sie indeßen wohl und empfehlen mich Zimmermann und allen Edlen Ihrer Gegend. <line type="empty"/>
D. 26sten May 1777. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz</align> <line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Stabssekretär<line type="break"/>
<ul>Boje</ul><line type="break"/>
abzugeben im Churhut bey der Post.<line type="break"/>
in <ul>Hannover.</ul></letterText>
<letterText letter="282"><line tab="1"/>Hier theureste Freundinn die ersten zwey Scenen des ersten Akts. Ich sollte mich zu Tode schämen daß
ich auf Ihren küssenswerthen Brief so eilfertig antworten muß und noch nicht mehr von unserm Stück
mitsenden kann. Aber in der unglaublichen Zerstreuung in der ich bin, wundert es mich, daß ich noch
das habe fertigen können. Glauben Sie aber nicht, daß das Stück so ernsthaft und traurig endigen wird,
als es anfangt, denn sonst hätte ich alle Ursach zu glauben, daß es Ihnen Langeweile machen würde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wenn Sie den Schluß recht lustig haben wollen so schreiben Sie mir wieder ein Brieflein kurz oder lang
wies Ihnen gelegen ist, doch so, daß ich ihn in die wilden Alpengebirge bekommen kann in die ich mich jetzt
zu vertieffen gedenke. Adressiren Sie ihn nur an Lavatern. Morgen früh reise ich ab. Als Ihr erster Brief an
mich kam war ich in Schafhausen. Herr Schlosser. hat mir gar keine nähern Umstände von der Kindtauffe geschrieben
und ich weiß nicht einmal daß ich Pate bin. So gehts mit den Männern, wenn Sie ihn sehen so schelten Sie ihn
brav aus dafür. <line type="empty"/>
<page index="2"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bitte doch recht sehr mirs zu schreiben wenn Ihnen eine oder die andere Stelle in diesen ersten Scenen,
weil die Fortsetzung fehlt, noch unverständlich ist. Ihr Mann kommt hier noch nicht vor, er macht den Wadrigan
und es steht bey Ihnen wen Sie zum Belmont wählen wollen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Schreiben Sie mir doch recht viel Neues von Ihnen von Ihren Angehörigen und Freunden von Ihrem Klavier und von
Ihrer Gedult beym auswendig lernen. Der Himmel wirds Ihnen alles wiedervergelten, der ohnedem auf Ihrer Seite ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich also Ihr Vetter? Nun dabey solls bleiben liebe Cousine, bis ich Basler Titsch von Ihnen gelernt habe und Sie
in der Sprache besser tituliren kann. Zürich d. 2ten Junius. 77. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<page index="3"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der Schauplatz stellet die Allee eines kleinen Gartens vor, der überall mit Gebirgen eingeschlossen ist, auf denen man
in einiger Entfernung Schlösser und Landhäuser entdeckt, die an dem Fusse derselben das Ufer eines in ihrer Mitte
schlängelnden Flusses verschönern helfen.
<align pos="center"><line tab="6"/>Sophie <insertion pos="top">Detmond</insertion> tritt auf, ländlich gekleidet</align>
<line tab="5"/>Hier wär es denn wo mir dein Blick das erstemal
<line tab="5"/>Dein Mund o Wadrigan! die goldne Freiheit stahl
<line tab="5"/>Hier schien ein jedes Wort dir Zung und Herz zu brechen
<line tab="5"/>Und ich verstund dich doch. O möchtst du noch so sprechen.
<line tab="5"/>An jenem Birnbaum wars, dort in dem hohen Gras
<line tab="5"/>Wo ich in deiner Angst mein ganzes Glücke las
<line tab="5"/>Wo ist die Laube nun? wo sind die Zeugen-Bänke
<line tab="5"/>Du liessest das vergehn. O Wadrigan, ich denke
<line tab="5"/>Der Garten mag ein Bild von deinem Herzen seyn.
<line tab="5"/>Du kauftest ihn von mir als Detmont starb. Allein;
<line tab="5"/>Von dem verhaßten Lärm der Städte losgerissen,
<line tab="5"/>Ließ ich mit Wollust hier der Tochter Tränen fliessen
<line tab="5"/>Da kamst du Zauberer und trocknetest sie mir
<line tab="5"/>Und ich ein Kind ein Weib, ich ließ den Garten dir
<line tab="5"/>Zugleich mein ganzes Herz mit allen seinen Trieben
<line tab="5"/>Und wähnt es wäre Pflicht statt seiner dich zu lieben
<line tab="5"/>Und dieses Heiligthum, Gott! hätt ich das bedacht!
<line tab="5"/>Als du auf Reisen giengst, blieb in des Gärtners Macht <page index="4"/>
<line tab="5"/>Scheints doch so wie dein Herz mehr Kälte überkommen
<line tab="5"/>Als hätt die ganze Welt mit Theil daran genommen
<line tab="5"/>Wie alles fremd hier ward! Ist das der Reisen Frucht
<line tab="5"/>Ach! so bin ich ein Kind daß ichs nicht auch versucht
<line tab="5"/>Heut führst du Belmont her, du selbst hast ihn geladen
<line tab="5"/>Heut! und bist du gewiß, er könne dir nichts schaden?
<line tab="5"/>Er hält es nicht geheim daß sein zerrißnes Herz
<line tab="5"/>Bey mir nun Lindrung sucht für alter Wunden Schmerz
<line tab="5"/>Bey mir den Abgott sucht den er drey Jahr besessen,
<line tab="5"/>Der ihm entrissen ward, bey mir den zu vergessen
<line tab="5"/>Bey mir und Wadrigan Gott ihr mißhandelt mich.
<align pos="center"><line tab="6"/>Zweyte Scene.
<line tab="6"/>Belmont kommt.</align>
<line tab="6"/><ul>Belmont.</ul> So ungelegen kam kein Mensch vielleicht als ich. <!-- Wie werden Sprecherrollen formatiert, an die sich Verse anschließen? Erstmal standardmäßig-->
<line tab="5"/>Den Tag, der Sie gebar, im Stillen zu begehen
<line tab="5"/>Die feyrende Natur darüber froh zu sehen
<line tab="5"/>Begaben Sie sich her und ich
<line tab="6"/><ul>Sophie</ul>
<line tab="5"/>Sie stöhren nichts
<page index="5"/>
<line tab="6"/><ul>Belmont.</ul>
<line tab="5"/>O! wenn mir das Herz genug Ihr Mund versprichts.
<line tab="5"/>Der zauberischste Mund der jemals hintergangen:
<line tab="5"/>O fühlten Sie, was solch ein Wörtlein aufzufangen
<line tab="5"/>Was das zuweilen ist: Ich stöhre nichts? Wohlan
<line tab="5"/>Das übersetz ich mir daß ich noch hoffen kann
<line tab="5"/><ul>Sophie.</ul> Mein Herr! Sie dauren mich. Würd ich Sie minder schätzen<!-- Wie werden Sprecherrollen formatiert, an die sich Verse anschließen? -->
<line tab="5"/>Würd michs nicht ängstigen daß Sie falsch übersetzen
<line tab="6"/><ul>Belmont.</ul> (mit Heftigkeit)
<line tab="5"/>Falsch?
<line tab="5"/><ul>Sophie</ul> Sie verstehen mich nicht
<line tab="6"/><ul>Belmon.</ul> (die Hand auf das Herz)
<line tab="5"/>Falsch?
<line tab="6"/><ul>Sophie</ul>
<line tab="5"/>Unrecht Herr Belmont
<line tab="6"/><ul>Belmont.</ul>
<line tab="5"/>Du Engel höre mich (knieend)
<line tab="6"/><ul>Sophie.</ul>
<line tab="5"/>Das bin ich nicht gewohnt.
<line tab="5"/>Ich bitte stehn Sie auf es könnte jemand kommen
<line tab="5"/>Ich muß hinein (sie will gehen, Belmont faßt sie flehend an der Hand)
<line tab="5"/><ul>Belmont</ul> Sie gehn? (Sophie ergibt sich zu bleiben)
<line tab="5"/>Sie haben wahrgenommen <page index="6"/>
<line tab="5"/>In meinem düstern Blick vermuthlich was mein Herz
<line tab="5"/>So schlecht verhehlen kann, nur halb geheilten Schmerz
<line tab="5"/>Sie haben recht gesehn und weil Sie mein Gewissen
<line tab="5"/>So reitzend aufgeweckt
<line tab="5"/><ul>Sophie</ul> Mein Herr
<line tab="5"/><ul>Belmont.</ul> Sie müssens wissen
<line tab="5"/>Das letzte, ärgste, was, vor Gott sey es gesagt
<line tab="5"/>Von meinen Lippen sich noch nie herabgewagt
<line tab="5"/>Was ich bewundernswert sind die Sophistereyen
<line tab="5"/>Des Herzens doch, mir selbst nie wagte zu erneuen
<line tab="5"/>Was ich mir selbst verbarg, gleich Fieberträumen ich
<line tab="5"/>Nur Ruckweis wiedersah unkenntlich fürchterlich
<line tab="5"/>Vor deinem Blick allein, mein Schutzgeist darf ich trauen
<line tab="5"/>Das Schreckenbild davon noch einmal anzuschauen
<line tab="5"/>Ein sanftes Wort von dir erhält mich
<line tab="6"/><ul>Sophie</ul> (bey Seite)
<line tab="5"/>Wie michs quält
<line tab="5"/>Sein Selbstbetrug! und doch, wenn er sein Leid erzählt
<line tab="5"/>Erleichtert sichs vielleicht. Ich wünscht ich dürft es wagen
<line tab="5"/>Ihm meine Freundschaft, rein von Liebe, anzutragen
<line tab="5"/>Wenn du nur Wadrigan! mir nicht zu sicher wärst
<line tab="5"/><ul>Belmont.</ul>
<line tab="5"/>Es scheint Vollkommenste! du seyst gerührt, du hörst <page index="7"/>
<line tab="5"/>Theilnehmend Martern selbst die du nicht angerichtet
<line tab="5"/>O du, weit über das, was ich mir je erdichtet
<line tab="5"/>O du selbst über die, die ich so treu geliebt
<line tab="5"/>Sprich, ob zu meinem Leid es noch ein Beyspiel giebt
<line tab="5"/>Ein Freund, die Seele mir der glücklichsten Momente,
<line tab="5"/>Der Firniß der sie hob für den ich sterben könnte
<line tab="5"/>In manchem Augenblick noch itzt der Freund stiehlt mir
<line tab="5"/>Mein höchstes Gut nach ihm, ein Herz, Sophie gleich dir
<line tab="6"/><ul>Sophie.</ul>
<line tab="5"/>Aufrichtig Belmont! wer hieß Sie mir das erzehlen?
<line tab="6"/><ul>Belmont.</ul> (ohne zu antworten)
<line tab="5"/><insertion pos="left">Ein Herz und </insertion> <del>Ach du war</del> ein Gesicht, um seelig uns zu quälen.
<line tab="5"/>Unglaublich schröcklich ists wie ähnlich Sie sich sind
<line tab="5"/>Ich sah Sie jenen Tag mit Ihrer Schwester Kind,
<line tab="5"/>Sie hielten es im Schooß und lächelten drauf nieder
<line tab="5"/>Es schoß mir durch das Mark, ich sah mein Fannchen wieder
<line tab="5"/>So sang, so schmeichelte sie unsern Franz in Ruh
<line tab="5"/>Als ich noch Vater war. Gott!
<line tab="6"/><ul>Sophie.</ul>
<line tab="5"/>Und wie gieng es zu
<line tab="5"/>Daß Sie es nicht mehr sind?
<line tab="6"/><ul>Belmont</ul>
<line tab="5"/>In Canadas Gefilden
<line tab="5"/>Sah ich mein Weib zuerst, ein Seraph unter Wilden <page index="8"/>
<line tab="5"/>Der Gouverneur des Orts, mein einzger Umgang, war
<line tab="5"/>Der tugendhafte Freund
<line tab="6"/><ul>Sophie</ul> (mit Erstaunen)
<line tab="5"/>Der Gouverneur?
<line tab="6"/><ul>Belmont</ul>
<line tab="5"/>Barbar
<line tab="5"/>Im trunknen Augenblick der Lust selbst must du fühlen,
<line tab="5"/>Daß du ein Teuffel bist
<line tab="6"/><ul>Sophie</ul>
<line tab="5"/>In Canada?
<line tab="6"/><ul>Belmont</ul>
<line tab="5"/>O spielen
<line tab="5"/>Sie nicht die Spötterin, ich bin gequält genug
<line tab="6"/><ul>Sophie</ul> (ihm mit Feuer um den Hals fallend)
<line tab="5"/>Mein Bruder
<line tab="6"/><ul>Belmont</ul>
<line tab="5"/>Göttliche, Sie ziehn zurück? was schlug
<line tab="5"/>An meinem Busen denn
<line tab="6"/><ul>Sophie</ul>
<line tab="5"/>Ich bitte Sie, verlassen
<line tab="5"/>Sie mich Ich kann mich noch, kann alles das nicht fassen
<line tab="6"/><ul>Belmont</ul> (ihre Hand an die Lippen drückend)
<line tab="5"/>Wie tröstend
<line tab="6"/><ul>Sophie</ul>
<line tab="5"/>Gehen Sie, dort kommt Herr Hackly <page index="9"/>
<line tab="6"/>Dritte Scene
<align pos="center">Hackli zu den Vorigen.<line type="break"/>
Hackli, Belmonten, der in der feurigsten Entzükung Sophiens Hand küßt, von hinten zu auf die
Schultern schlagend.)</align><line type="break"/>
<line tab="5"/>So?
<line tab="5"/>Das geht ja Extrapost. Glück zu! Bravissimo
<line tab="5"/>Wie steht das Leben sonst? ists Reislein wohl bekommen
<line tab="5"/>Sie sind doch in der Zeit was Rechts herumgeschwommen;
<line tab="5"/>Nun unser Bardolft auch. Vergangne Freytag Nacht
<line tab="5"/>Hat er uns den Bachat zum letzten Stich gebracht
<line tab="5"/>Der ihre Schwester da, er kam mit seinem Vetter
<line tab="5"/>Den Weg und nahm sie mit von ihrer Tante. Wetter!
<line tab="5"/>Das war ein Anblick Herr! Der Willkomm. Ja wer heißt
<line tab="5"/>Euch Fratzen denn, daß ihr, wenn so was trifft, verreist.
<line tab="5"/>Ihr wißt das Kind, das ich einst mitnahm von der Tante
<line tab="5"/>Ihr Knab, was meynt der Herr ob sie der Bub erkannte?
<line tab="5"/>Ich schwör es ihm zu Gott, wie sie zur Stub eintrat
<line tab="5"/>Ha Mutter Mutter riefs (er präsentiert Belmont die Tobacksdose) Warhaftig in der That! </letterText>
<letterText letter="283"><line tab="1"/>Mein Liebster Herr Lentz! Sollte allenfalls Herr Kaiser den nunmehr von Ihnen beschloßenen Tour
nicht mitmachen <del>wollen</del>, oder Sie beyde Freunde noch einen dritten Gefehrten mitnehmen wollen, so
bietet sich Herr <aq>Orell</aq> an, von dem ich Ihnen schon ein Wort geredt, u: der vermuthlich diesen Abend
auf die gleiche Stunde, wo Sie, zu mir kommt. Wollten Sie hingegen den Tour lieber mit Hn Kaiser allein
machen, so bitt ich um ein Paar Worte.<line type="break"/>
<align pos="center">T. á V.</align><line type="break"/>
<align pos="right">Füßli.</align></letterText>
<letterText letter="284"><line tab="1"/>In höchster Eil Bester! Kann ich Ihnen Abends um 12 Uhr vor einer Abreise die Morgen um 4 schon
vor sich gehen soll in die wilden Cantons nur einige Scenen von unserm Stück schicken, aus denen Sie das
Ganze unmöglich noch beurtheilen können. Die Rollen die hier sind macht Herr Iselin Ihre Frau und wer die
<del>erste</del> <insertion pos="top">zweyte</insertion> Liebhaberrolle kriegt die erste bekommen Sie und zwar erst im zweyten Akt, das Theater
verwandelt sich dann in ein Zimmer <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie Ihr Brief mir wohlgethan mag Ihnen Herr Füeßli sagen. Ich wünschte Sie schickten mir oft eine so launichte
Basler chronick Besonders jetzt auf die Alpen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nach Bern komm ich sobald nicht. Wenn ich vom Gotthard wieder komme, welches in 14 Tagen aufs längste ist, sollen
Sie mehr von unserem Spiel zu sehen bekommen. Unterdessen herzlich umarmt von <line type="empty"/>
<align pos="center">Ihrem</align><line type="break"/>
<align pos="right">Diener L.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Geben Sie die Rolle Ihrer Frau und sorgen Sie doch, daß sie allenmorgen etwas davon einnimmt, etwa wie Latwerge
in Thée.</letterText>
<letterText letter="285"><line tab="1"/>Lieber Lavater, lieber Lenz, lieber Pfenninger unsre Hoffnung und Freude war umsonst. Mein armes
Weib ist gestern gestorben! Ich kann euch die Geschichte ihres Leidens nicht erzäln! Es thut mir zu weh! Auf ein andermahl <line type="break"/>
<align pos="right">Schlosser</align>
<page index="2"/>
An<line type="break"/>
Herrn Pfarrer Lavater<line type="break"/>
in Zürch
</letterText>
<letterText letter="286"><align pos="right">Ursener Thal an der Matte d. 14ten Jun. Sonntags.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wolltest Du Beßter! Gegenwärtiges doch <aq>cito citissime</aq> an Jakobi lauffen lassen, Du kannst denken
was mir dran gelegen seyn muß da ich ihm vom Gotthard schreibe und dem Männlein doch gewiß
keine Herzensergießung unter so bewandten Umständen zu machen haben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dir aber mündlich alles was wir gesehen und genossen und gelitten. Petern fanden wir in Meyringen,
als wir aber vom Grindelwald dahin zurückkamen, hörten wir er sey schon wieder fort. Morgen gehts
durch Urnerloch nach Hause. Daß wir müde und matt über den beschneyten Grimsel u. Furka kommen sind
kannst Du Dir vorstellen. Also entschuldige. <line type="empty"/>
Herzlichen Kuß an Dich und all unsre Lieben. <line type="empty"/>
<align pos="center">vom</align><line type="break"/>
<align pos="right">Sünder L.</align><line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="1" annotation="Am linken Rand">Wir sehen beyde aus wie die Gänse von hinten wenn sie gerupft sind und die letzten Härgens abgeschreyt.
Kaiser sind beyde Augen verschwollen und ich kann auch nit viel sehen. So hat uns Schnee u Sonne zugerichtet.</sidenote></letterText>
<letterText letter="287"><align pos="right">im Augenblick der Abreise</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eine unvermuthete Nachricht die ich in Zürich vor mir gefunden, fodert meine schleunigste Abreise;
verhindert mich, sogar Ihnen Schätzbarster Würdigster der Freunde mündlich für die uns
mitgegebenen Zurechtweisungen und Hülfsmittel deren ganzen Werth wir erst an Stelle und Ort
gelernet, Dank zu sagen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre geschriebene Geschichte habe ich meinem Reisemantel mitgenommen, um noch ein wenig daraus
nachzuholen, ich schicke Sie Ihnen mit <ul>ehester fahrender Post</ul> nebst meinem Herzen wieder. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz</align></letterText>
<letterText letter="288"><align pos="right">d. 24sten Juni</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin hier angekommen bester! Du kannst Dir vorstellen mit welchem Herzen, als ich überall mir
entgegen schallen hörte, sie ist todt. Schlosser hat sich beruhigt, wie denn aller Verlust am Ende
getragen werden muß allein ich glaube nicht daß er ihn ausheilt. Mir füllt diese Lücke nichts
ein edles Wesen von der Art auf der Welt weniger kann sie einen schon verleiden machen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier hast Du einige meiner häuslichen Freuden, Balsamtropfen die <ul>Kaufmann</ul> in meine Wunde goß. Er ist
mir und meinen Eltern ein Engel gewesen, ich kann Euch nicht alles sagen, worinn. Sein Brief wird
Dich lachen machen, schick mir ihn bald wieder und den von meinem Vater, der aufs Haar damit übereinstimmt.
Verlier sie ja nicht, Du verlörst mir Unendlichkeiten.<line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Vielleicht sehen wir uns wieder, ein Freyherr v. Hohenthal hat mir eine zweyte Reise durch die Schweitz
angetragen, ich bin noch unschlüssig ob ich Schlossern verlassen <ul>darf.</ul> Indessen hab die Gutheit, den
Thormann v. Christophle in Meyringen (von dem Dir Kaiser den Brief an mich wird gewiesen haben) von Peters
Schicksal berichten zu lassen, etwa eine Abschrift vom Testament, damit die Gemeinde seinesfalls beruhigt
werde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Tausend Grüsse dem liebenden Pfenninger und allen Edlen zu Zürich. Kaisern innigen Dank für seine Aufmerksamkeit.
Die Post geht zu schnell als daß ich antworten könnte. <line type="empty"/>
<align pos="center">Dein</align><line type="break"/>
<align pos="right">Lenz.</align><line type="break"/>
<page index="3"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>P. Füeßli wird meine Frechheit entschuldigen, ich schick ihm sein köstliches Darlehn Sonntag mit der
fahrenden <line type="empty"/>
Schlosser grüßt, wird nächstens schreiben, itzt ists ihm unmöglich <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Kaufmann schreibt Schi. daß er glücklich bey dem Vater seines Russen angekommen und von da nach
Petersburg gehen werde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Womit dank ich Dir Lieber und all den Deinen, für alle genossene Freundlichkeit Sollte Deine Gattin wieder
da seyn, so sag ihr mehr als ich sagen kann für die Duldung die sie mit meiner unbehelfsamen Existenz gehabt.
Ich muß leider noch schweigen</letterText>
<letterText letter="289"><line tab="1"/>Ihr letztes Schreiben fand ich bey meiner Zurückkunft vom Gotthard kaum bey Lavatern, der verreist
war, als ich den folgenden Morgen in der Frühe schon es befolgte. Immer glaubt ich, man hätte mich
schröcken wollen, so wenig können wir uns überreden, daß das wahr sey was uns zu Boden schlagen
soll. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Jetzt bin ich da und nichts weniger als gestimmt, an unserm Lustspiel (denn der Ausgang sollte sehr drolligt
werden) fortzuarbeiten. Bitten Sie also Mr. Sarasin und die andern Herren u. Damen, sich deßwegen nicht zu
zerstreuen; denn was ich einmal anfange führ ich gern aus nur jetzt noch einige Wochen Aufschub, eh ich
wieder an so Etwas denken darf. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Seyn Sie ruhig, der Himmel wird Ihre dunklen Ahndungen übertreffen. Unsere Freundin war für die Welt zu
reiff sie konnte hier keine Freude mehr haben, das einzige was uns alle tröstet, sie genießt jetzt des
einzigen Glücks dessen sie noch fähig war. Ihr Geist war hier wie in einem fremden unbekannten Wohnort,
in den er sich nicht zu fassen wußte. Alles drückte auf sie, diese heilige reine Seele mußte sich Luft
machen und in zwo ihrer Abdrücken blieb Trost für den Mann zurück. Indessen ist sein Schicksal schröcklich
und er bedarf seines ganzen<page index="2"/> Muths es zu ertragen. Sie werden sein Stillschweigen entschuldigen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ueberbringer dieses Briefes ist der Baron Hohenthal, der ein alter Bekannter von Schlossern und nach der
entsetzlichen Kunde auf einige Tage zu ihm gekommen ist. Er will die Schweitz sehen; ich hab ihm versprochen,
einen Brief an Sie mitzugeben. Vielleicht komme ich gar selbst nach Basel und mach einen kleinen Weg mit
ihm hinab nach Lausanne. Doch das sind noch Luftschlösser die ein Hauch einwirft. Und Schlossern darf ich
sobald nicht verlassen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich Ihrer Gemalinn und der von unserm allerseits verehrten und geliebten Pfeffel wenn sie noch
bey Ihnen ist aufs beste. Von meiner Bergreise sag ich Ihnen mündlich was. Jetzt würde alles das sehr matt
heraus kommen. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz</align></letterText>
<letterText letter="290"><align pos="center">Basel d. 4ten Julius.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich kann nicht besser als von hier aus meine Entschuldigung machen, würdigster Freund! daß ich mich
so spät von Ihrem unschätzbaren Manuskript trennen konnte, ich wußte es keinen bessern Händen
anzuvertrauen, als denen Ihres Freundes Sarasin, aus einer Art von Dankbarkeit weil ich ihm Ihre
Bekanntschaft schuldig bin. Er wird es wenn er sich von demselben Geist des Patriotismus der mich
als einen Fremden daraus angesteckt hat (daß sobald ich in Ruhe bin, Tschudi mit seiner kronikalischen
Umständlichkeit aus den Gesichtspunkten in die Sie einen stellen mein Spielzeug werden soll,) auf einer
Cur die er trinkt ganz durchwärmt und gestärkt haben wird, Ihnen auch mit seinem Ihnen viel wichtigem
Danke begleitet zusenden. Wenn ich nach Zürich komme, wär ich sehr begierig, etwas von der Fortsetzung,
besonders von den Schweitzerkriegen gegen Burgund Mayland u. in den neuern Zeiten von ihrem Verhalten bey
den Kriegen Ludwigs des 14ten <page index="2"/> in Ihrer Manier zu lesen, die den <aq>historiographes des princes et
des cours</aq> Zerknirschungen machen sollte. Die einheimischen Kriege der Cantone werden Sie schwerlich einem
Fremden weisen; obschon ich von einheimischen Gärungen in Republiken die schlimme Meinung nicht habe, womit
die meisten Philosophen den Geist der Ruhe der das Bewußtsein der Kräfte einschläfert empfehlen. Wenn sie
nur zu ihrer Schlichtung keine fremden Mächte einmischen die die <gr>έιρηυοποιοι</gr> so gerne machen, so
empfindungsvoll für die ach! so traurigen, ach so wilden ungeregelten so ganz unmonarchischen Ausbrüche
der „Anarchie“ ihrer Nachbarn sind; so dünken mich Händel in Republiken und die darauf geschlossenen
Verträge dem politischen Horizont so zuträglich als die Gewitter dem Physischen doch ich bin nicht im Stande
darüber eine befriedigende Meynung anzunehmen; bevor ich von einsichtsvolleren Republikanern darüber
belehrt worden bin.<line type="break"/>
<page index="3"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Meine itzige Schweizerreise geht (in Gesellschaft eines Sächsischen Freyherrn v. Hohenthal) über
Neuburg u. Yverdon nach Lausanne und Genf, von da ins Walliserland und zu den Eisgebirgen ؘ– sollten Sie
etwa eine Marschroute für uns haben (wir denken auch nach Graubündten und von da nach Zürich zurückzukommen)
so würden Sie sie nur gütigst Herrn Pfenninger abzugeben belieben, der sie mir schon nach Lausanne zukommen
lassen wird. Bern, das Entlibuch, die freyen Aemter, wollen wir auf unsre Rückreise von Zürich über Bern u. Basel
versparen. Mit den wärmsten Empfehlungen in Ihre Güte u. Freundschaft beharre in und ausser der Schweitz dero <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<align pos="right">ergebenster<line type="break"/>
Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Füesli</ul><line type="break"/>
Professor der Geschichte<line type="break"/>
zu Zürich.</letterText>
<letterText letter="291"><align pos="right">Neuenburg d. 10ten Julius 177<del>6</del><note>7</note>.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Noch einmal muß ich Ihnen mein theurester Freund und Gönner! mit einem Briefe und einigen
Zumuthungen beschwerlich fallen, zu denen mir nur Ihre mir bisher erzeigten Gütigkeiten Muth genug
einflössen. Ich habe bey Hn. Hofrath Schlosser einen seiner alten Bekannten, einen Baron v. Hohenthal,
Sohn des Chursächsischen Ministers angetroffen, der sich längst vorgenommen eine Reise durch die
ganze Schweitz zu machen und sich zu dem Ende schon mit den hinlänglichen Adressen versehen; dieser
bewegte mich ihn auf derselbigen zu begleiten und die Hofnung einige der interessantesten Aussichten
die ich in meinem Leben gehabt wieder zu sehen, hauptsächlich aber meine würdigen Bekanntschaften in
Zürich wieder zu erneuren und gründlicher zu benutzen, machten mich bald einwilligen. Wir machten den
Anfang mit der französischen Schweitz und schon im Wagen zwischen Solothurn und Neuburg, noch mehr aber
hier, wo der Rath einiger Bekannten des Barons dazugekommen ist, haben <page index="2"/> wir unsern Entschluß
nicht sowohl geändert als erweitert, das heißt uns vorgenommen, wenn wir über Genf Lausanne Vivis durch
das Walliser Thal nach dem Furka gekommen, von dort über den Gotthard und von da in das glückliche
geliebte Italien zu gehen, dort so geschwind als möglich und als es uns die Jahreszeit die wir zur Rükkehr
abpassen müssen, erlauben wird, alles zu sehen was sehenswerth ist und was wir erreichen können, das heißt
zum allerwenigsten Mayland, Florenz, Rom wo möglich auch Neapel und wenn uns Zeit übrig bleibt
Venedig u. Genua doch die letztern Oerter stehen noch auf der <aq>terra incognita</aq> unserer Reisekarte, die drey
erstem aber sehen wir <ul>gewiß</ul> und Neapel, wenn die Hitze uns nicht abhalten sollte, mit vieler Wahrscheinlichkeit.
Der Baron hat schon Verfügungen in Ansehung seiner Geldremessen getroffen, das einzige was uns fehlte und womit
er sich nicht versehen hat, sind anderweitige Empfehlungen an gute Häuser in diesen <page index="3"/> Hauptorten, weil
wir schon auf dem kurzen Anfang dieser Reise erfahren gelernt, mit welchen unschätzbaren Vorzügen diese eine
Reise auszeichnen, die nicht wie die meisten der Herrn Engländer und Franzosen ein bloßes Postlauffen und Begaffen,
sondern eine Spekulation für unsere ganze Weltkenntniß und künftiges Leben seyn soll. Hier also mein würdiger
Freund ist es, wo wir Ihrer Hülfe bedürfen. Sie haben Italien gesehen und kennen darum mehr als die <aq>Cicerone:</aq> nach
Mayland haben wir von hier Kaufmannsadressen, aber die Wege zu Bekanntschaften von Leuten die Ihnen ähnlich sind
in Mayland Rom Neapel, sind uns noch nicht geöfnet, zu Leuten auf deren Kenntnisse wir bauen, deren Herz uns ihre
Gefühle für das was wir aus der Entfernung oft nur unter Nebeln erkannten, mitzutheilen, Liebhaber der Menschheit
genug ist. Wir möchten gern auf unsere Reise stolz, wieder zurück in Ihre Arme fliegen und Ihnen mittheilen, was
Sie jetzt durch unsere Augen, zwar wie durch schlechte Ferngläser, zum andernmal sehen sollen. Wollen Sie meine
Bitte erhören, so schicken Sie <page index="4"/> uns einige Briefe nach Rom, Neapel <aq>etc.</aq> ins Urserental an Herrn <ul>Amman Meyer, </ul>der
mich nun kennt, mit einigen Zeilen, sie uns aufzubewahren bis wir selbst abholen. Hoffentlich hat er meinen Namen
nicht vergessen, wenigstens wird sich seine Tochter die ich abgezeichnet meiner erinnern. Sollten einige andere
Ihrer u. meiner würdigen <insertion pos="top">Zürcher-</insertion>Freunde in Italien Bekanntschaften haben, und wollten ihre Gütigkeilen gegen
mich bis dahin ausdehnen, so würd ich bey meiner Wiederkunft, wo ich meinen Reisegefährthen Ihnen bekannt zu machen
hoffe, (er ist einer der gesetztesten jungen Edelleute die ich in meinem Leben gesehen, fast ein wenig zu ernst)
Ihnen den empfindlichsten Dank dafür wissen. Wollten Sie so gütig seyn und noch eine kleine Instruktion, derjenigen
ähnlich die Sie uns in die Berge mitgaben, von allen Merkwürdigkeiten und der Ordnung in welcher wir sie sehen sollen
nebst anderweiten Aufträgen an verdienstvollen Leuten dieser Orte beylegen, und uns arme kaum flügge Reisende auf
diese Art auf Ihren Flügeln über alle diese Wunder und Geheimnisse unterrichtend forttragen, wie Sie es schon in den
Eißgebirgen gethan, so würde das Edle dieser That destomehr Genugthuung für Ihr Herz haben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich Ihrer liebenswürdigen Schweitzersängerinn aufs schönste, im gleichen Dero Hn. Vater u. sämtlichen
Angehörigen und erfreuen mit einer Antwort Ihren ganz ergebenen Wanderer<line type="break"/>
<align pos="right">Lenz</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="4" annotation="Am linken Rand, vertikal">Unbeschwert bitte doch Einlage Hn. Sarasin in Basel zukommen zu lassen und wenn er antworten sollte (worauf aber doch
über 2 Posttage nicht zu warten bitte) seinen Brief gütigst dem Ihrigen an Landamman Meyer beyzuschliessen.</sidenote></letterText>
<letterText letter="292"><line tab="1"/>Theurester Freund und Freundinn, nur Augenblicke die mir noch dazu zugemessen sind, darf ich
anwenden lhnen zu sagen, daß wir nach Italien reisen, von da wir gegen den September erst über den
Gotthard nach Zürich zurückzukommen denken. Was uns zu dem Entschluß bewogen wäre für diesen Brief
und Zeit zu weitläuftig ich darf nichts weiter bitten, als daß Sie diese Reise noch in Ihrer Gegend
wegen des Barons als ein Geheimniß halten, auch wegen meiner und verschiedener meiner Freunde, die
sich denn immer allerley Gedanken machen, wenn sie weit von den Sachen sind. Haben Sie einige Bekanntschaften
in Italien, die uns nicht wegen Geldes denn damit ist der Baron versehen sondern sonst wie ich
versichert bin, ausserordentlich zu Statten kommen werden, um das Land kennen zu lernen und wollten Sie uns
mit Ihrer Gütigkeit bis über die Alpen hinaus verfolgen so seyn Sie nur so freundschaftlich das was Sie an
einen und andern Ihrer Freunde in Mayland, Rom, Florenz u. s. f. auch wol Neapel zu bestellen haben, Herrn Füeßli
in Zürich zuzuschicken, aber <page index="2"/> mit <ul>ehester Post</ul> dem wir unsere Adresse am Fuß des Gotthards gegeben haben.
Den feurigsten Dank in Herzen die schon längst Ihre sind, bringen wir Ihnen wieder, vielleicht, wollte Gott! in
Zürich! Ach wenn zu Basel sich Ihre Reise nach Baden bis dahin aufschieben, oder wenigstens Ihr Aufenthalt bis dahin
verlängern könnten. Der Himmel füge es so bey dem wir uns auch Ihrer Fürbitte empfehlen, daß uns die Witterung in so
verschiedenen Klimas als die Schweitz u. Italien sind, günstig seyn wolle. O die Freude des Wiedersehens wenn diese
nicht wären, niemand würde schwerer zum Reisen zu bringen seyn, mit verzagterem Herzen dran gehen als ich aber, ich
sehe Sie wieder und in Zürich, mein Herz sagt mirs. Da wollen wir Ihnen recht erzählen, auch von Ihren alten Freunden
und Bekannten in Italien. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihr Vorschlag einer Frauenzimmerschule hat mir zeither immer aufgelegen, je mehr ich ihm nachdenke, je schöner finde ich
ihn, doch auch <page index="3"/> seine Ausführung desto schwerer. Vielleicht eröfne ich der Gesellschaft auch einmal schriftlich
meine Gedanken darüber, wenn ich wiederkomme; mit der Bitte mich zu einem unwürdigen Mitglied anzunehmen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihrer Frau Gemalinn küssen Sie in meinem Namen tausend tausendmal die Hände, so Ihren herzigen Kleinen Empfehlen Sie mich
doch auch Herrn Rathschreiber Iselin aufs schönste, auch Mecheln und andern Freunden. Unsere Komödie soll dessen ungeachtet
gespielt werden. Mein Baron versichert Ihnen allen gleichfalls seine wärmste Hochachtung und Ergebenheit. Ihr Haus ist der
Hauptgegenstand unserer meisten Unterhaltungen im Wagen gewesen. Nochmals tausend Grüsse Ihrer lieben Frau und der Himmel
führe Sie nach Zürich in die Umarmungen <line type="empty"/>
<align pos="center">Ihres</align> <line type="empty"/>
<align pos="right">mit Herz und Seele Ihnen zugewandten Lenz</align> <line type="empty"/>
Neuburg den 10. Julius. 1777. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie können sich vorstellen wie viel Ursach wir haben unsere Reise zu beschleunigen. Wenn sonst noch ein Freund von Ihnen uns
Bestellungen an gute Leute mitgeben wollte, würd er uns sehr verbinden. aber bald! <line type="break"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn Gerichtsherr<line type="break"/>
<ul>Sarasi</ul><line type="break"/>
zu <ul>Basel.</ul> <line type="empty"/>
durch Einschlag mit Bitte gütigstbaldiger Beförderung</letterText>
<letterText letter="293"><align pos="right">Basel am 19./22 Julius 1777</align> <line type="empty"/>
Lieber Lenz. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nun Gott weißts das ist wieder einmahl ein Stückgen aus Ihrem eignen Hirn-Kasten um diese
ltaliänische Reise. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Extra Post muß das Ding gehen nacher Meyland, Florenz, Rom, Neapel, viileicht nach Sicilien und
Malta (denn das ist jezt Mode) und was hat Ihnen denn das Lieder und Mädgen reiche auf den Fluthen
schwimmende Venedig zu Laide gethan daß Sie dahin nicht wollen? Und im September wieder in Zürich.
Bravo! Da fährt mein Lenz immer zu einem Thor hinein u: zum andern gleich wied. hinaus, dann da ist
keine Zeit zum Aufenthalt zu verliren u. doch mags füglich November werden biß wir uns sehen
u. zwar in Basel, nicht in Zürich. Der See-Wein zerfräße mir den Magen wann ich dort auf Sie warten
müßte.<line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Nein im Ernst. Vier Monath müssen Sie zu dieser Reise haben und da werden Sie noch keine Minute übel
anwenden dörffen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Bekandtschafften wollen Sie? Ja lieber Freund ich wills Ihnen natürlich sagen. Alte Bekandtschafften
sind in Italien kein Heller Werth. Vor Zehn Jahren wollte ich Sie an viele angesehene Leute, Prinzen
und Cardinäle empfohlen haben, aber nun mehr danke ich Gott daß Sie mich vergessen haben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier sind 2 Briefe die Sie etwas nüzen können. Einer nach Meyland an einen Kaufman. KaufLeuthe sind zwar
in diesem müßigen Lande nicht sehr geachtet: Aber dieser ist nicht <page index="3"/> von gemeinem Schlage und
wird <del>Sie</del> <insertion pos="top">Ihnen</insertion> zu unterschiedlichen Bekandtschafften verhelffen können die Ihnen villeicht angenehm sind. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein Freundt Steiner wird sich ein Vergnügen daraus machen das Seinige zu Ihren Diensten beizutragen.
<aq>Primo</aq> weil er mein Freundt ist <aq>et Secundo:</aq> Aus Ursachen die Sie sehen werden wan Sie Ihn persöhnlich
kennen lernen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihr Herr Baron soll seinen Nahmen ändern, denn dehn kan ja keine welsche Seele aussprechen. Er enthält
drey ltaliänische Diesonanzen. Ich erschrak als ich ihn schrieb. <aq>Baron dAlta Valle</aq> würde besser klingen
und schicklicher vor Ihn klingen als der pomposere <aq>Baron d alto Vallone</aq>. <line type="empty"/>
Mein Blatt mit Anmerkung können Sie benuzen oder zerreißen, wie Sie wollen.<line type="break"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich gebs wie ichs habe in guter Intention. Ein Schelm ders besser gibt als ers hatt. Leben Sie wohl und
empfangen Sie einen freundtschafftlichen Gruß von meinem Weibgen. <line type="empty"/>
An Ihren Herrn Baron unsere Empfehlung. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wissen Sie auch daß der Kayser dran Schuld ist daß dieser Brief 3 Täge späther kommt. Er war bey mir und
erwieß mir die Gnade eine halbe Stunde mit mir zu sprechen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nun werde ich wohl auch ein vornehmer Herr werden! Nein davor bewahre mich der Himmel in Gnaden. Ihr Freundt
will ich seyn u. der Freundt von noch so einer kleinen Zahl guter Leutgen das wird besser behagen. Seyen Sie
immer auch der meinige. <line type="empty"/>
<align pos="right"><aq>Jacob Sarasin.</aq></align><line type="break"/>
<page index="5"/><line type="break"/>
<align pos="center"><aq>Pro Memoria</aq> <line type="empty"/>
Zu einer Reiße nach Italien von Sarasin an Lenz</align><line type="break"/>
<note>linke Spalte</note><!-- Tabelle? --><line type="break"/>
<aq>Haupt Züge</aq><line type="break"/>
<line tab="1"/>Beym Italiäner gewinnen Sie viel wann Sie geschwind u. feurig sind. Dauerhafftes erwarten Sie nichts, aber in
der Hize bekommt man alles von ihm. <line type="empty"/>
Gegen Niedere u. Bedienten immer scharfsehend u. ernsthafft: Ist höchst nötig. <line type="empty"/>
Bey keiner Gelegenheit muß man verzagt seyn sonst ist man der Narr im Spiehl. <line type="empty"/>
Von Grossen erhält man alles wann man sie bey der Ehre nimmt. <line type="empty"/>
Durch Pfaffen ist Zutritt zu allem u. bey Pfaffen leicht Zutritt, man muß aber gern u. viel sprechen. <line type="empty"/>
<ul><aq>Modestie ist schlechter Kram in diesem Land.</aq></ul> geht wieder die Natur des Bodens. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Aussert Mayland u. Parma nichts französisches: Ist überall verhasst. <line type="empty"/>
<note>rechte Spalte</note><line type="break"/>
<align pos="center"><aq>Weiber.</aq></align> <line type="empty"/>
Hüten Sie sich vor genauer Bekandtschafft mit fürnehmen Weibern. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Gegen die meisten sind Lohndirnen Engel. Wann Sie ja zur Neugirde oder aus <aq>fatalitaet</aq> eine ähnliche Bekantschafft
machen so nehmen Sie sich gleich vor, kein wahres Wort zu sprechen und scheiden Sie nie als auf Wiedersehen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich denke Ihre Schwester in Apollo Corilla soll nicht mehr gefährlich seyn. Sie hat ehedessen einen meiner besten
Freundte ins frühe Grab gestürzt. <note>Zeichnung eines Kreuzes auf einem Hügel</note> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><del>Tes</del> Teutsches Phlegma mit flüssigem Glas zusammen zu schmelzen ist doch ein lustiges <aq>Experiment.</aq> Gehört eben behutsamkeit
zu allen Chymischen <aq>Operationen.</aq> <line type="empty"/>
Versuchen Sies von der 60. jährigen<line type="break"/>
<page index="6"/><line type="break"/>
<note>linke Spalte</note><line type="break"/>
<line tab="1"/>Abtissin biß zum 6-Jährigen Flügel Rock hinunter: Wann Sie eine andere helle Idee als <ul>Liebe</ul> heraus ziehen so bin ich ein
Bernhäuter. <line type="empty"/>
Darauß können Sie schliessen daß <aq>Petrarca</aq> eben keine so schwere Arbeit hatte. <line type="empty"/>
<align pos="center"><aq></aq>Milano.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da ist alles halb Welsch halb französisch. Ein unseeliges Mittelding das nur amusiert so lang man nichts bestimmteres
kennt. Wenden Sie <insertion pos="top">sich</insertion> da hauptsächlich auf Empfehlung. vors übrige Italien. <line type="empty"/>
Bey <aq>Brunati</aq> empfangen Sie von mir fernere Briefe und bestellen die meinigen durch Ihn. <line type="empty"/>
<align pos="center"><aq>in Bergamo</aq></align><line type="break"/>
Ist im August eine Messe die Sie sehen sollten. Da ist ein abentheurliches Zeug von <line type="empty"/>
<line tab="1"/><note>rechte Spalte</note> lächerlichem Adel. Eine solche Messe kan man sich nicht einbilden ohne Sie gesehen zu haben. Steiner ist
ein Biedermann!<line type="break"/>
<align pos="center"><aq>in Genua</aq></align><line type="break"/>
sehen Sie Paläste<line type="break"/>
<align pos="center"><aq></aq>in Bologna</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Gelehrsamkeit auf Stelzen und unseeliger finsterer Zwang zwischen welchem man sich doch mit Lust durcharbeiten kan.
<align pos="center"><aq>in Livorno</aq></align><line type="break"/>
<line tab="1"/>ein <aq>Compendium</aq> der Handtlungs Geschichte von ganz Europa. In meinen Augen äusserst merkwürdig. NB. Müssen dort offt bey
Kauff Leüthen speisen.<line type="break"/>
<align pos="center"><aq>von Fiorenza</aq></align><line type="break"/>
sage ich nichts. Ist seit meiner Zeit umgegossen. <line type="empty"/>
<align pos="center"><aq>vor Lucca u: Sienna</aq></align><line type="break"/>
müssen Sie einige Tage nehmen. Wenn Sie Glück haben, können Sie dort <del>glückliche</del> herliche Stunden durchleben.<line type="break"/>
<page index="7"/><line type="break"/>
<align pos="center"><aq>in Rom.</aq></align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Besehen Sie Altes u: Neues wie Sie wollen, nur das beste vergessen Sie dort nicht, das einzige das noch von dieser zur
Terzianerin gewordenen Welt Seherseherin in ihrer alten Grösse zeugt.<line type="break"/>
<align pos="center"><aq>Das römische Frauenzimmer.</aq></align><line type="break"/>
<line tab="1"/>haben gut Spiehl dazu: Sie lieben die Teutschen sehr. Da können Sie noch sehen daß es möglich war, daß eine römische Dame
einen König ausschlug. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wann mein alter Antiquario Dr. franeo Alfoni noch lebt so grüßen Sie ihn in meinem Nahmen. Er ist ein großerkennerund kan
Sie viel nüzen. <line type="empty"/>
Unter der vorigen Regierung spiehlte er eine grosse Rolle und war Proto Notarius der Com. wieder die Jesuiten. <line type="empty"/>
Den Abato Pietro Chiari sehen Sie zur <aq>Curiositaet.</aq> <line type="empty"/>
NB. Tivoli u: Frescati nicht vergessen, auch Villa Albani. Ist mein Lieblings Ort: Müssen mir davon erzehlen.<line type="break"/>
<note>linke Spalte</note>
<align pos="center"><aq>nach Napoli</aq></align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Kommen Sie schwehrlich. Wanns geschieht so verderben Sie weder Zeit noch Strümpfe mit Klettern auf den Vesuv. Lohnt sich
nicht. <line type="empty"/>
In Portici einen Consum in Antiquitäten zu machen ist besser, braucht aber einige Tage vors recht zu machen. <line type="empty"/>
<align pos="center"><aq>von Loretto</aq></align><line type="break"/>
nichts<line type="break"/>
<align pos="center"><aq>Rimini Ancona Fanno Ferara</aq></align>
Interessante Schaupläze zu Intermezzen wann man Zeit hat. Wo sich Liebes u. Ritter Farcen gut sehen und spiehlen lassen.<line type="break"/>
<align pos="center"><aq>Venedig.</aq></align><line type="break"/>
Sonderbar.<line type="break"/>
<align pos="center"><aq>Haus undGesundheits Regeln.</aq></align><line type="break"/>
Wenig Wein und wo er am besten ist, keinen ohne Wasser. <ul><aq>Nulla reg. sine except:</aq></ul><line type="break"/>
<page index="8"/><line type="break"/>
<note>linke Spalte</note><line type="break"/>
Wer Ihnen Mylord sagt vor dem wehren Sie sich wie vor einem Schelm der Sie plündern will. <line type="empty"/>
In Officiers Kleidung kommt man auf der Straß am besten fort. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Halten Sie sich an Franzosen nie, an Engländer wenig. Ein Fremder ist bey der Nation immer mehr geachtet wann er
selbstständig ist. <line type="empty"/>
Fast immer ist Post fahren oder besser noch die <aq>Cambiatura</aq> das wohlfeilste. <line type="empty"/>
Halten Sie sich anfangs keine Stunde unnüz auf. Je weiter Sie forttraben, je besser werden Sie die Zeit nüzen können. <line type="empty"/>
Hals u: Magen verwahrt. <line type="empty"/>
Den Magen bey der Hize nie überladen, u: das Eiß geflohen.<line type="break"/>
<page index="9"/><line type="break"/>
Verzeihen Sie daß ich Sie überall als Poet ankünde. Es schadt nichts ich weiß wohl was ich thue. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wann Sie wieder kommen so wollen wir zu meiner Stärkung mein Promemoria zusammen durchgehen. Möchte unsere Ideen zusammen
vergleichen. <line type="empty"/>
Schreiben Sie mir und solltens nur Zeilen seyn. <line type="empty"/>
Villeicht finden Sie in Meyland noch einen Brief von mir.</letterText>
<letterText letter="294"><align pos="right">Bern d. 7 August 1777<line type="break"/>
<gr>εν πιστει</gr>.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lavater! ich bin hier in einem theuren Wirthshause und ohne Geld und erwarte von Dir daß Du mir
gleich nach Ansicht dieses eine Louisdor und einen Dukaten zuschickest Schiebst Dus einen Posttag
auf, so gerath ich in Schulden und andern Händeln die noch schlimmer sind. Wie ich hie
hergekommen, frag nicht, alles das läßt sich im Briefe nicht füglich sagen. Ich hoffe Schlosser hat
Dir für mich schon Geld von Weygandt zugeschickt; ists geschehn, so wieg ich Deinem Arm desto weniger,
der mich in dem Fall in dem ich itzt bin, ganz allein stützen kann <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich werde nicht in Zürich bleiben können. Ausgenommen daß vor der Hand meine Wirthschaftsumstände dort
richten werde und mir deshalb ein acht Tage Aufenthalt in Deinem Hause ausbitten muß. Kanns aber nicht seyn
so sags nur ohne Rückhalt, <ul>denn Du bist ohnehin geplagt genug.</ul> Deine jetzige Hülfe aber muß ich haben, weil
auf die Schleunigkeit derselben eine unendliche Menge Nebenumstände beruhet, die für mich eben sowohl von den
besten als von den entsetzlichsten Folgen seyn könnten <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="Am linken Rand, vertikal">Ich habe mich hinter Sitten von Hohenthal getrennt, von dem ich kein Geld habe nehmen wollen.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meine Adresse ist in der Krone zu Bern. Ich verlasse mich drauf, aufs späteste künftigen Donnerstag als den 14ten
eine Antwort von Dir zu haben, wie mir Pestalotz der Jüngere, der diesen Brief mitnimmt, versichert hat. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Gegenwärtigen Zettel laß doch Bester Kaisern aber nicht dem Römischen <ul>aufs geschwindeste</ul> zukommen. Vielleicht
will er meine Adresse, die ich ihm zu geben vergessen, alsdenn bitte sie ihm zu sagen. <aq>a rivederti.</aq></letterText>
<letterText letter="295"><align pos="right">Bern d. 9ten August 1777.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da bin ich nun durch wunderbare Schicksale und Abentheuer, mit denen ich Sie und Ihre Frau
Gemalinn mündlich zu unterhalten gedenke von meinem Reisegefärthen getrennt und habe vor der
Hand statt Italiens noch nach Bern linksum gemacht, obschon ich bereits am Fusse des St. Plomb war;
Hier leb ich immer noch als Ihr dreyfacher Schuldner auch in Ansehung der schätzbaren Bekannten die
mir Ihr Brief an Herrn Wilhelmi verschafft, in einer Stadt wo mir die Merkwürdigkeiten allein zwey
Tage genommen haben. Mein glücklicher Stern waltet immer fort über meiner Reise und zu dem hoffe ich,
daß ich Sie und Ihre verehrungswürdige Hälfte noch in diesem Monath vielleicht gar auf einem der
reitzendsten Berge in Zürichs Nachbarschaft, wohin ich künftige Woche abzureisen gedenke wiedertreffen werde.<line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich hoffe Herr Pfarrer Lavater wird Ihnen den erneuerten Wechsel, zu dem mich Ihr gütiges Anerbieten in
Schintznach dreist genug gemacht hat, zugesendet haben. Verzeihen Sie, Werther! einem Reisenden und noch
dazu einem reisenden Poeten in dem Morgen seiner Autorschaft daß er mit der Genauigkeit die er wünschte und
Sie fordern können nicht Termin halten konnte, auch bitte ich, meiner nicht zu schonen, sondern mir bei Bezahlung
Ihres allzugütigen Darlehens, Handlungsprocente vorzuschreiben. Auch will ichs Ihnen lieber vorausgestehen, daß
ich fürchte, die Bezahlung werde sich gar noch einen Monath nach dem zuletzt angesetzten Termin, aber gewiß
nicht länger verziehen können (auf welchen Fall den ich noch nicht bestimmt vorhersehe, ich aber den Wechsel
wenn Sie es verlangen umschreiben will) weil die Herren Buchhändler mit denen ich in Traktaten stehe weit von
mir entfernt sind und die Remessen zuweilen nicht so prompt gehen als mans verlangt. Ich muß mich Ihrer Güte
und Nachsicht in Ansehung alles dessen gänzlich überlassen, hoffe aber durch den Erfolg Ihnen zu beweisen, daß
ein Dichter vielleicht mehr als jeder andere das Zutrauen seiner Freunde nicht zu mißbrauchen, sich verbunden fühlt.<line type="break"/>
<page index="3"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Herr Wilhelmi hat mir die angenehme Neuigkeit gesagt daß Sie den Kaiser in Ihrem Kamin gehabt, ein solcher
Schinken fällt einem nicht alle Tage auf den Herd und ich gratuliere Ihnen und Ihrer Frau Gemahlinn zu einer Ehre,
die der <aq>grand Voltaire</aq> mit großen Zurüstungen die er in Ferney gemacht, als ich in Genf war, und einem Compliment
das eines starken Geistes würdig war, sich nicht hat erwerben können. Vermutlich wird er sich darüber, wie an unserm
Herrgott, der ihm auch viel Streiche wieder seine Erwartungen gespielt haben mag, durch eine Plaisanterie zu
rächen suchen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Möge der Himmel alle mögliche Koketterien um Sie verschwenden, Sie und Ihre Likoris noch in diesem herrlichen
Monath zu einer Spatzierfahrt nach Zürich zu verführen. Oben auf dem Gipfel des Rigi werd ich Ihnen einige Anmerkungen
die ich über Ihr der wolhtätigen Gesellschaft vorgetragnes allerphilanthropinischtes Projekt zu Pappier gebracht,
vorlesen und wie mit doppelten Kräften so mit doppelter Achtung und Ergebenheit seyn Ihr<line type="break"/>
<align pos="right">zugewandtester<line type="break"/>
Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="296"><line tab="1"/>Hier, gnädige Frau, eine kleine Scharteke, in der ich mich an allen Ecken und Enden selbst abgemalt
habe, zufrieden, wenn in unserm so Schmerz- als Scherzbaren Jahrhundert wo ein jedes unter und
ausser der Last seiner Pflichten hinschleicht, als ob eine Welt auf ihm allein läge, ich meinen
Freunden wenigstens ein wenig das Zwerchfell zu erleichtern im Stande bin.<line type="break"/>
<align pos="center">Ew. Gnaden gehorsamster Diener Lenz.</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Meine zweite Reise in die Schweitz war an neuen Gegenständen und sonderbaren Schicksalen noch
mannichfaltiger als die erste. Vielleicht unterhalt ich Ew. Gnaden ein andermal damit. Sagen Sie
Goethen, ich hab ihn zu grüssen von der Reise und den Leuten die ihn drin haben wieder sehn.</letterText>
<letterText letter="297"><line tab="1"/>Denken Sie sich lieben Freunde! einen Menschen der über Stock und Stein, über Berg und Thal durch
dick und dünn nach Zürich kommt und überall hören muß <line type="empty"/>
Wären Sie ein Paar Tage eher gekommen, hätten Sie Herrn Sarasin und seine Frau hier angetroffen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ey doch! sag ich denn mit einem giftigen Lachen über mich selbst und mein Schicksal das mich auch
keine Silbe von alledem wissen noch ahnden ließ, hätt ich sie wirklich angetroffen wenn ich eher
gekommen wäre? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie sind recht vergnügt gewesen, sie sind bey mir gewesen sagte Herr Geßner, sie sind bey mir gewesen
sagt Lavater und erzehlt mir vieles zwischen den Kaiser und Ihnen sie sind hier recht lustig gewesen,
sagt Herr Escher aus dem Vollenhofe und ich <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ja und ich der sogern Ihren <aq>Cicerone</aq> zum Rigiberg hinauf gemacht, Ihnen von dort herab die Reiche der
Welt und ihre Herrlichkeit verachten gelehrt hätte gegen das was Sie da gesehen haben würden <line type="empty"/>
Kurz ich kann für Grimm kein Wort mehr schreiben Leben Sie wohl! <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align> <line type="empty"/>
Kehren Sie indessen doch um<line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Tausend Dank für Ihre beyden Briefe die mir als eine wahre Herzstärkung jetzt erst von Schlosser
zugekommen sind. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wie Freundinn fühlen Sie die Wunde
<line tab="5"/>Die nicht dem Gatten blos, auch mir das Schicksal schlug
<line tab="5"/>Mir der nur Zeuge war von mancher frohen Stunde
<line tab="5"/>Von jedem Wort aus ihrem Munde
<line tab="5"/>Das das Gepräg der innern Grösse trug
<line tab="5"/>Ganz von der armen Welt vergessen
<line tab="5"/>Wie offt hat sie beglückt durch sich
<line tab="5"/>Auf seinem Schooß mit Siegerstolz gesessen
<line tab="5"/>Ach und ihr Blick erwärmt auch mich.
<line tab="5"/>Auch ich auch ich im seeligsten Momente
<line tab="5"/>Schlug eine zärtliche Tangente
<line tab="5"/>Zur grossen Harmonie in ihrem Herzen an
<line tab="5"/>Mit ihrem Bruder, ihrem Mann <page index="3"/>
<line tab="5"/>Wie hob mich das Gefühl auf Engelschwingen
<line tab="5"/>Zu edlern Neigungen empor
<line tab="5"/>Wie warnt es mich bey allzufeinen Schlingen
<line tab="5"/>Daß ich nie meinen Werth verlohr
<line tab="5"/>Mein Schutzgeist ist dahin, die Gottheit die mich führte
<line tab="5"/>Am Rande jeglicher Gefahr
<line tab="5"/>Und wenn mein Herz erstorben war
<line tab="5"/>Die Gottheit die es wieder rührte
<line tab="5"/>Ihr zart Gefühl das jeden Mißlaut spührte
<line tab="5"/>Litt auch kein Wort, auch keinen Blick
<line tab="5"/>Der nicht der Wahrheit Stempel führte
<line tab="5"/>Ach diese Streng allein erhält das reinste Glück
<line tab="5"/>Und ohne sie sind freundschaftliche Triebe
<line tab="5"/>Ist selbst der höchste Rausch der Liebe
<line tab="5"/>Nur Mummerey die uns entehrt
<line tab="5"/>Nicht ihres schönen Namens werth. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Wie wenn ich itzt mein künftig Glück beschriebe?
<line tab="5"/>Wie wenn mir das an Ihnen bliebe
<line tab="5"/>Fürtrefliche! was ich an ihr verlor
<line tab="5"/>Wenn mir die Seelige in der Verklärten Chor
<line tab="5"/>Sie selber dazu auserkohr?
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="5"/>O womit dankt ich ihr und Ihnen
<line tab="5"/>Womit, womit könnt ich dies Glück verdienen?
<line tab="5"/>Der Freundschaft unverdächtig Glück
<line tab="5"/>Die nur dem Werth den sie am andern kannte
<line tab="5"/>Und seiner Dauer nur den liebevollen Blick
<line tab="5"/>Und mit ihm Himmelsfreuden sandte <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich muß abbrechen weil die Post eilt. Mein Lustspiel wird eine Weile ruhen müssen, bis ich wieder
lustiger bin, denn ach wir armen Phantasten können uns so wenig selber Gesetze vorschreiben als sie
von andern annehmen. Erhalten Sie nur, ich flehe, die Gesellschaft in guter Laune, bis mir auch da
etwas zukommt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herr v. Hohenthal wird, hoffentlich nicht versäumt haben, Ihnen seine Aufwartung zu machen. Er kränkelt
zu viel, als daß er wagen dürfte in der Hitze nach Welschland zu gehen. Tausend Empfehlungen von Ihren
hiesigen Freunden insonderheit Lavater. <line type="empty"/>
Die ich Ihrer theuresten Familie gleichfalls von mir zu versichern bitte.</letterText>
<letterText letter="298"><line tab="1"/>Ich sollte freylich Ihre Briefe noch unbeantwortet lassen und (wie es meine löbliche Gewohnheit sonst
ist) so lange unbeantwortet lassen, bis ich mich Ihnen und Ihrer Frau Gemalinn wieder mit Ehren
weisen könnte, so aber möchten Sie denken, ich wäre schon auf meiner dritten Schweitzerreise und da
ich doch würklich noch in Zürich bin, kann ich mit meinem Gewissen nicht fertig werden, Ihnen den
Dahk den Ihnen unter einer Menge Zerstreuungen mein Herz für Ihre Briefe und die Bekanntschaft mit
unsrer zweyten Aktrisse hatte, nicht weiß auf schwarz (oder schwarz auf weiß vielmehr) hinzusetzen.
Ich habe zwar zwey schöne Stunden bey unserm Füeßli an ihrer Seite gesessen, da aber die Gesellschaft
zu groß war, bey weitem nicht in die Beziehung mit ihr kommen können, in der billiger Weise der Lügner
mit den Personen stehen sollte, die freundschaftlich genug sind seinen Lügen den Werth der Wahrheit zu
geben. Auf den Winter hoffe ich diese Bekanntschaft besser anzubauen und wie glücklich würde ich mich
schätzen, Ihnen, freylich nur mit dem Vorbehalt daß Sie selbst und Ihre Freunde dabei das beste thun!
ein Paar düstere Abendstunden wegscherzen zu können. <page index="3"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie beschämt ich bin Ihnen eine Mühe die für mich so vortheilhaft gewesen wäre, umsonst gemacht zu haben,
mag Gott der DonQuixotischen Laune verzeyhen in der Hohenthal und ich unsere Reise nach Italien entwarfen.
Indessen bitte mir diesen Brief nebst dem Codizill wenn ich dessen würdig, als ein Denkmal Ihrer Gesinnungen
für mich aufzubewahren bis ich nach Basel komme. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herr Usteri hat mir das Compliment ausgerichtet und mich nicht wenig glücklich damit gemacht. Sagen Sie Ihrer
Frau Gemalinn daß Mad. Im Thurm aus Schafhausen, ein Herz das ihrer Freundschaft würdig ist, mit nicht weniger
Stolz mir einen Brief von Frau Gerichtsherr Sarasi gewiesen, in welchem ich um meiner Poetischen Eitelkeit die
uns doch zur Begeisterung oft so noth thut wie das Wasser einem Mühlrade, den höchsten Schwung zu geben, mit Triumpf
meinen Namen fand. <page index="3"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eine liebe Patientin die mir noch jetzt so oft von den allzukurzen Augenblicken erzehlt wo sie die Bekanntschaft Ihrer
Lykoris gemacht, hat ihre neue Freundinn aus Schafhausen so sehr an ihr Krankenlager gefesselt daß sie in Zürich keinen
Augenblick finden konnte nach Basel zu schreiben und sich dieses schmeichelhafte Vergnügen auf Schafhausen vorbehielt <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Uebrigens ist die hohe See der politischen Angelegenheiten jetzt in Zürich ein wenig unruhig, der Tod des
Statthalter Eschers und die Unzufriedenheit der Bürger mit der langen Verzögerung der Berathschlagungen des
Magistrats mit ihnen über das Geschäft zu Solothurn, haben auf dem Rathhause in den Tempeln und in der Stadt manche
Bewegungen verursacht, die mir als einem auflauernden Zuschauer und vielleicht einstigen epischen Dichter über
Schweitz und Schweitzer<ul>angelegenheiten,</ul> ausserordentlich interessant waren. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Leben Sie glücklich und empfehlen mich Ihrer theuersten Frau Gemalinn als Ihren in höchster Eil
ergebensten<line type="break"/>
Zürich. d. 16ten Septbr. 1777.<line type="break"/>
Tausend Empfehlungen von Lavatern<line type="break"/>
<align pos="right">Lenz</align></letterText>
<letterText letter="299"><line tab="1"/>Ist es nicht eine Unglück theuerste Frau, daß ich Ihnen in einer Todesangst von Eile schreiben muß, da
ich den bösen Füeßli nicht eher als eine kleine Weile vor Abgang der Post antreffen konnte. Die
gegenwärtigen Bürgerlichen Unruhen in denen er eine Hauptrolle spielt, da er mit in der besonderen
Commission gesessen, haben ihn, wie er sagt, ganz untüchtig gemacht an Sie zu schreiben, ich soll
das gut machen, aber wie, da ich für eigene Sünden genug zu büssen habe. Künftige Woche setzt er
sich hin, für Sie zu arbeiten und ich stecke künftige Woche vielleicht in Appenzell. Wer wird mein
Advokat seyn, daß ich solange anstehe, Ihnen meine Schuld abzutragen. Niemand als Ihr Herz das wenn
es auch nicht sieht woran es liegt, doch glaubt daß es an zwingenden Hindernissen und weder an meiner
Bereitwilligkeit noch an meinem Ernste gelegen. Ich bin ein Fremder, wie Schlosser sagt, unstet und
flüchtig und habe soviele die mit mir unzufrieden sind. Wenn Sie doch diesem guten unglücklichen
durch einen Gruß das Herz ein wenig erleichtern könnten. Er kommt aufs Frühjahr in die Schweitz <page index="2"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Frau Lavatern hat eine schlimme Woche gehabt, sehr gerührt von Ihrer Theilnehmung grüßt Sie
Millionenmahl. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe wahrlich keinen Augenblick länger, darf ich doch alles das bleibt bis auf den nächsten Brief den
ich Ihnen in einer glücklichem Lage meines Kopfes und Herzens schreiben werde. Hier ist Hn. von Hallers Silhouette
statt der Meinigen, die wie alle meine Schulden noch folgen soll. <line type="empty"/>
Tausend Empfehlungen Ihren Kleinen und Herrn und Me. Hagenbach. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der Magen? Ey seit wenn. Im nächsten Briefe folgt ein Rezept dafür und eine Vorschrift die Linien Ihrer
Hand zu studiren. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz</align><line type="break"/>
Zürich. D. 28sten Sptbr. 1777.</letterText>
<letterText letter="300"><align pos="center">Hochedelgebohrner Herr<line type="break"/>
Insonders hochzuehrender Herr Rathsschreiber</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nur zu lange habe ichs anstehen lassen Ihnen mein verehrungswürdiger Freund und Gönner für alle Ihre
mir in und ausser Basel erzeigten Gütigkeiten schriftlich meinen verbindlichsten Dank
abzustatten, da ich mir diese Genugthuung bey meiner Unschlüssigkeit in Zürich zu bleiben,
immer Persöhnlich vorbehielt. Die Personen an die Sie so gütig waren mir und Hn v. Hohenthal
Adressen mitzugeben, der bey seiner Rückreise seine Aufwartung zu machen nicht ermangelt haben
wird, verdienen in der That alle Aufmerksamkeit und Achtung der Reisenden, besonders Herr
Tscharner in Rolle, von dem wir viele Gegenempfehlungen zu versichern haben. Herr Schmidt in Nion
ist vollkommen so, wie Sie ihn beschrieben, doch hat sein lichtbraunes Auge bey all seiner Schüchternheit
einen weiten Blick.<line type="break"/>
<page index="2"/>
<line tab="1"/>Mein gegenwärtiger Aufenthalt in Zürich wird mir täglich interessanter und ich werde mich genöthigt sehen
ihn zu verlängern, wenn ich alle die Vortheile daraus ziehen will, die er mir in mehr als einer Rücksicht
anbietet. Die Nachbarschaft der kleinen Cantons macht ihn mir, solange die Witterung noch günstig, doppelt
so wichtig und die Persöhnlichen Bekanntschaften die sich hier wegen mehrerer Zerstreuungen langsamer machen,
sind desto anziehender, je länger man sie kultivirt. Die Streittigkeiten unter den Gelehrten sind ein blosser Nebel
den unbehutsame Reisende durch herausdämpfung ihrer Eigenliebe um sie herumgezogen und der verschwinden würde so
bald jeder sein ganzes Verdienst kennte. Das meiste aber wie gesagt, in diesem Zauber- und Schwindeltrank ist von
Fremden hineingemischt, denen ich bey Gelegenheit eine kleine Lektion zu geben hoffe, damit sie uns andern die weniger
Extrapost reisen, das Spiel nicht verderben<line type="break"/>
<page index="3"/>
<line tab="1"/>Herr Brydone soll, wie mir Herr Geßner sagte, in Lausanne an Briefen über die Schweitz schreiben, ohnerachtet er in
Zürich nur einige Tage gewesen. Vielleicht wissen Sie mehr davon. Der Reichthum seines Witzes und Phantasie kann uns
freilich für vieles wahre entschädigen, das indessen doch auch seinen anderweitigen Werth behält. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von den hiesigen Unruhen werden Sie anderweitige Nachrichten haben, die ein Fremder nie mit der Gründlichkeit geben kann.
Soviel dünkt mich, daß ein Kopf doppelt so wichtig seyn muß, der <ul>Plane</ul> in Republicken ausführen will und dieser Kopf
dünkt mich ist an der Spitze der Züricherregierung, auf dessen persöhnliche Bekanntschaft die ich in dieser Woche noch
machen soll, ich mich zum voraus wo nicht Physiognomisch, doch Physiognomik ahndend freue. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Daß Herr Lavater in einem Allmanach von Prof. Lichtenberg aus London angegriffen worden, wird Ihnen vielleicht baldigst
bekannt werden. Desto besser fürs Publikum das mit seiner Gegenantwort hoffe ich zufrieden seyn wird. Er hat neulich
ein trefliches Christusgemälde von <ul>West</ul> aus England zum Präsent erhalten, über die <page index="4"/> Worte: Wenn ihr nicht werdet
wie die Kinder etc. Ich habe mich daran nicht satt sehen können, in den nächsten Band der Physiog. kommt ein Stich davon <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das wären unsre hiesigen Neuigkeiten, erlauben Sie mir daß ich mit einer Bitte beschliesse. Hr. Geßner hat mir gesagt,
es existirten noch eine ganze Sammlung von Briefen des seel. Kleist, die durch einen Kaufmann in Ihre Hände gekommen in
Ihrer Verwahrung. Nicht um die Beziehungen die diese Briefe auf die Schweitz haben können, sondern nur um des Persöhnlichen
willen, das von dem Charakter und Meinungen dieses mir aus hundert Ursachen doppelt wichtigen Dichters darinne
durchscheinen muß, wünschte ich sie zu sehen und zu studiren. Ich wollte diese Neugier gern bis Basel zähmen, wenn nicht
andere dringende Ursachen mir die Ansicht <ul>dieser Briefe in Zürich</ul> wünschbar machten. Ich verspräche Ihnen wenn Sie es
verlangten die heiligste Verschwiegenheit und Geheimniß mit diesen Briefen an Eydes statt. Er hat sich hier eine Zeitlang
aufgehalten, wie er gesehen hat, wünschte ich zu sehen und das gleichfalls aus Ursachen die ich Ihnen nur erst in der
Zukunft besser erklären kann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herr Gerichtsherr Sarasi wird die Gütigkeit haben diese Briefe wenn Sie sie mir auf einige Wochen anvertrauen wollten,
in Bürgschaft zu nehmen. Nach gehorsamsten Empfehlungen an die Frau Gemalinn und verehrungswürdiger Familie verharre <line type="empty"/>
<align pos="right">Dero ergebenster Diener Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="301"><line tab="1"/>Ich sässe jetzt schon zwischen den Bergen von Marschlins oder in einem Tobel von Appenzell, wenn
mich nicht die bürgerlichen Unruhen in Zürich zurückhielten. In der That wird der politische Himmel
hier alle Tage merkwürdiger für einen Beobachter der Menschheit und ich musste mit Recht fürchten,
dergleichen Gelegenheiten für einen dramatischen Spührhund in meinem Leben nicht wieder zu
finden, wenn ich diese um des Hn. von Salis willen, den ich hauptsächlich unserm Freunde Pfeffel
zu gefallen besuchen wollte, fahren liesse. Meine Reise in die Trümmer des Philanthropins bleibt
also vor der Hand noch aufgehoben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Daß Sie von mir Schweitzerneuigkeiten verlangen und Schweitzerneuigkeiten die vielleicht von grösserm
Einfluß aufs Allgemeine seyn werden, als hundert es zu glauben scheinen, hat meine Eigenliebe an dem
empfindlichsten Fleckgen gekützelt. Nur Bester! glauben Sie nicht, daß ohngeachtet ich Freunde unter
den Whigs und Tories habe (so nennt man hier die beyden Partheyen) mir nicht noch unendlich vieles
verborgen bleibe, weil man leyder! welches ich sonst nur in den Monarchien zu finden glaubte, auch
hier nicht gegen einander mit offenen Karten spielt und dadurch unter uns, die Sachen nicht wenig
<ul>verschlimmert</ul> werden <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="1" annotation="Am linken Rand, vertikal">Darf ich Sie um Verzeihung bitten, daß ich Sie mit einem Päckchen für Hn. Schlosser beschwere. Vielleicht
gibt es Gelegenheit, ein Paar Zeilen von Ihrer Hand hinzuzufügen und in seiner gegenwärtigen Lage muß ich
auf alle mögliche Gelegenheiten passen, ihn glücklich zu machen.</sidenote> <line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Es wird Ihnen nicht fremd seyn, daß die Zünfte, nicht mit dem französischen Geschäft selbst, sondern nur mit
der Art, mit der man darüber mit ihnen zu Rath gegangen, gleich Anfangs ihre Unzufriedenheit bezeuget und da
man auf ihr Ansuchen den Punkt in dem geschwornen Brief näher zu bestimmen, wenn und wie dergleichen Sachen
vor dem Rath auf die Zunft gebracht werden sollten, mit Stillschweigen geantwortet erst in geringer Anzahl
die sich aber bald bis auf 250 vermehrte ein Memorial aufgesetzt in welchem sie halb als getreue Kinder halb
als gebieterische Gesetzgeber die Bestimmung dieses Gesetzes verlangten. Diese 250 aber hatten wie die
Thebaner die sich den 30 Tyrannen wiedersetzten, ihre geheimen Anhänger in der ganzen Stadt, so daß in kurzer
Zeit ihre Anzahl auf 1000 und am Ende für die gemeine Masse der Bürgerschaft geschätzt wurde, unter denen
nur noch sehr wenig Rechtgläubige übrig blieben. Hierauf erfolgte nothwendiger Weise die Aufmerksamkeit des
Magistrats, man fieng mit der Geistlichkeit an, die aber von den Kanzeln wie es gemeiniglich geht nur das
Feuer heftiger anbließ, so daß man sie zwang, ihre Predigten herauszuliefern <page index="3"/> man fuhr fort sie in
einem Bescheid zum Frieden zu ermahnen, den Weg des Memorials zu verrammeln und ihnen anzudeuten, sie möchten
ihr Ansuchen durch Representanten dem Wortführenden Bürgermeister mündlich vortragen, dies geschah; dabey wurden
die besondern Versammlungen der Mißvergnügten immer mehr, in denen ihr Muth und ihre Festigkeit in dem Grad
zunahmen, daß der Magistrat einen Rathstag hielt, der bis Nachmittage währte und worinn eine Commission aus dem
geheimen Rath, sechs grossen und sechs kleinen Räthen bestellt ward diese Händel zu schlichten. Diese Commission
in der eben soviel Bürgerfreunde, als <aq>Esprit de corps</aq> waren, theilt sich wieder und ward noch ein Ausschuß davon
niedergesetzt, der dann endlich eine öffentliche gedruckte Erklärung an die Bürgerschaft beschloß, die vom
grossen Rath der abermals bis 3 Uhr Nachmittags versammelt war, genehmigt wurde, in der den Bürgern die Ursache
des Verzugs der Deliberation mit ihnen angedeutet, ihnen auf die Zukunft alle mögliche Versicherungen ihres
unbeschadeten Einflusses auf dergleichen Deliberationen gegeben und sie mit den höflichsten Worten zufrieden
gesprochen wurden. Wie es aber bey alle dergleichen Sachen geht, daß je weiter man kommt, je weiter man hinaus
will und immer glaubt noch <page index="4"/> nichts erhalten zu haben, wenn man alles erhalten hat weswegen ich einem
klugen Obern gerathen haben wollten, immer öffentlich weniger zu bewilligen als er wirklich zu bewilligen
gesonnen ist so geht es auch hier. Die Bürgerschaft ist ganz und gar mit dieser Erklärung nicht zufrieden und
haben sich 14 Tage Bedenkzeit ausgebethen, vermutlich mehr um Anstalten zu Gegenvorstellungen zu machen als um
sich zu bedenken, wozu man ihr 14 Jahre geben könnte mittlerweile werden die einzelnen Stimmen der Opposition
immer lauter, die Animositäten in Gesellschaften gegen Personen des Raths immer unverdaulicher und man spricht
gar von ähnlichen Erscheinungen bey dem Landvolk den ganzen See entlang, welches denen die den Gang solcher Sachen
einwenig kennen, bedenklicher vorkommt als dem grösten Theil von denen selbst die am meisten auf ihrer Hut seyn
sollten. In 14 Tagen wird sich viel entwickeln wovor mir als einem Fremden banget, da zur Beendigung dieser Sache
in den erhitzten Parthieen auf beyden Seiten, die beyde, <ul>grosse</ul> Köpfe an der Spitze haben, noch keine Aussicht
auch in der neblichtsten Entfernung sich weiset. <page index="5"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Bürgerschaft scheint es, möchte bey nichts weniger aufhören wollen als bey einer Revolution, der Rath hingegen
möchte gern Ausnahmen zur Regel machen und einen Schritt den er nur durch geheimnißreiche dunkle Ausdrücke von
Nothwendigkeit der Umstände und wichtigen Staatsursachen entschuldigt, oder vielmehr der Entschuldigung ein für
allemal überheben will, zur Bestimmung und Erleuterung des im Gesetz strittigen Punkts einsetzen. Sie sehen wie
Ewigkeitenweit beyde Theile auseinander gehen, verhüte mir der Himmel der über das Schicksal des Schweitzerlandes
von jeher gewacht hat, die Mittlerschaft eines dritten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich würde Ihnen die gedruckte Deklaration des Raths an die Bürger zusenden, wenn es mir möglich gewesen wäre, eine
davon einem Bürger abzuschwatzen. Wäre sie vortheilhafter, so hätte ich sie ohne Fehl erhalten, so aber da sie nach
ihrem Ausdruck nur <aq>lirum larum</aq> enthält, ward mirs aus einem besandem <aq>point dhoneur</aq> rund abgeschlagen. Auch muß ich
Sie um meiner Zürcherbeziehungen willen bitten, diesen Brief nicht bekannt zu machen, damit er nicht etwa gar in
einem Journal mich und all meine Freunde rasend macht, wie es wohl neulich ein Brief aus Basel, der sich weiß der
Himmel wie ins deutsche Musäum verirrt hat, beynahe gethan hat, dessen Verf. auch was gescheuters hätte thun können
als den armen <page index="6"/> Lavater fast mit allen Zürchern zusammenzuhetzen und in einer Zeit, wo das nur noch zu der
allgemeinen Gährung fehlte. Ich sehe mich gezwungen diesen Anonymus öffentlich auf die Finger zu klopfen, da ich
sonst wahrlich kein Mittel weiß Lavater und mich, die beyde mit am Teutschen Museum gearbeitet, ausser Verdacht zu
setzen. Wenn Sie ihn kennen, so melden Sie mirs und warnen ihn doch ja, gescheut zu seyn und sich nicht merken
zu lassen daß er Verf. zu einem Briefe sey der seiner Klugheit so wenig Ehre bringt, um nichts mehr zu sagen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Jetzt Theurester komm ich auf Ihre Frauenzimmerschule der Himmel lasse Sie ganze glückliche Geschlechter aus
dieser Pflanzung erleben und die schönsten Mädgen aus diesen müssen dereinst ihr Grab mit Rosen bestreuen nur
Freund! bedenken Sie daß ein Project die allerwichtigste oder die allernichtswürdigste Sache auf Erden ist, wenn
es ausgeführt wird oder steken bleibt. Das war nun bey einem <aq>Sarasi</aq> freylich eine sehr überflüssige Erinnerung
und muß mir verziehen werden, so wie meine ganze Existenz. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich Ihnen aber darüber eine Abhandlung schreiben Freund! wo denken Sie hin, ich, ein Mensch der weder <page index="7"/> Vater
noch Mutter Bruder noch Schwester geistlicher weise mehr hat, kein Weib noch Weibesart hat u. s. f. auch niemals
eins hoffen darf: Ich eine Abhandlung über die Frauenzimmerschule, gehts mir doch damit, wie den Gelehrten in Klims
Unterwelt, die grosse Abhandlungen über den berühmten Kometen schrieben, den sie endlich in der Person des Hn. Klim
selber vor sich sahn. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mit alledem, weil auch aus dem Munde der Unmündigen die Wahrheit bisweilen an Tag kommt, will ich Ihnen nicht verhehlen,
daß selbst bey der Untersuchung der hiesigen Frauenzimmerschule und bey allen Frauenzimmerschulen in der Welt, mir für
einen höchstwichtigen Punkt der Frauenzimmer nicht gesorgt zu seyn scheinet und dieser ist ihr Physisches. Wie viel
in dem Glück der Ehe, in der ihnen selbst so nöthigen Gemüthsheiterkeit, und hauptsächlich in der Kinderzucht darauf
ankommt, brauch ich Ihnen nicht zu sagen. Mich dünkt eine Frau bedarf in aller Absicht eines stärkern, zu mehr Leiden
abgehärteten Körpers als ein Mann und nun nehmen Sie unsere meisten wohlerzogenen gelehrten, kranken Damen in Paris
in Baumwolle eingewickelt und die kraftvolle Nachkommenschaft die von ihnen zu etwarten steht. Freund ich habe. es
erfahren was es heißt von seinen Eltern mit körperlichen Kräften ausgesteuert seyn, oder sich <page index="8"/> in dem Stück
über sie zu beklagen haben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die meisten Leibesbewegungen die sich unsere Damen und Mädchen erlauben sind, das Gehen. Da dieses aber eigentlich
nur eine Bewegung der Füsse ist, so ist sie im Grunde kein <ul>Tragen, tragen</ul> müssen Ihre Mädchen alle Tage eine Stunde,
Winter und Sommer und die Schönheit ihrer Haut ihrer Taille ihrer Glieder wird sich bis auf die Enkel des 1000sten
Gliedes fortpflanzen. Ich habe keine schlankeren stärkeren gesunderen und schönern Geschöpfe gesehen als die Milchmädchen
um Strasburg und das weil diese Stellung ihren ganzen Körper so vollkommen harmonisch stimmte daß jede von ihnen ein
Modell hätte zu Akademieen geben können. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Denken Sie was hilfts einer Frau wenn sie der Ausbund aller Eigenschaften <ul>eines Engels</ul> ist und ihr fehlt das was sie
alleine zum <ul>Menschen</ul> macht. Und beurtheilen Sie nur ja nicht die weibliche Gattung unsers Jahrhunderts nach einer
gewissen Ausnahme, die, ihr Magen mag beschaffen seyn wie er wolle, auch in dem Stück Ideal ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Uebrigens wünschte ich auch ebensowohl daß von der frühsten Jugend an die Kochkunst ein wenig eifriger mit ihnen
getrieben würde. Nicht daß sie einmal selbst kochen lernen, sondern daß sie alles wissen was zu einer guten Suppe
gehört. Die gehörige Temperatur der Gewürze, die Abänderung der Gerichte nach den Jahrszeiten, die Planmacherey zum
wohlfeilsten <page index="9"/> Einkauf der dazu gehörigen Provisionen sind doch wirklich die Fundamente einer guten Haushaltung,
allzuoft der Gesundheit der Eltern und Kinder, und des ganzen Ehelichen Glückes. O wenn doch die mehrsten
französischen Damen dafür weniger Griechisch und Briefstyl wüßten, weniger neue Bücher gelesen, weniger Preise für
die tiefsinnigen Akademisten in Paris ausgetheilt hätten! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sollte ich zu irgend einer Kunst oder Wissenschaft bey Ihren Frauenzimmern rathen, so wär es das Zeichnen. Bey
Blumen fiengen sie an und hörten bey Rissen aus der Baukunst auf; wohin ich auch die Gärten rechne. Da ist die
eigentliche Sphäre des Geschmacks der Damen, aus der sie auf den unsrigen so allmächtig einwirken können, eingewirkt
haben und einwirken werden. In der innern Einrichtung eines Hauses liegt die Seele alles unsers Glücks, der Keim
aller unsrer Gefühle, Jugendeindrücke deren Gepräge uns bis ins späteste Alter bleibt. Ein unregelmässiges Haus
macht unregelmässige Köpfe und Mangel des Geschmacks im Meublieren der Zimmer wirkt Zerstörungen in den Seelen
der Kinder die oft durch Erfahrungen eines ganzen Lebens nicht wieder können zurecht geschraubt werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Musik ist so unentbehrlich nicht, obschon ich wünschte daß diejenigen die Neigung dazu hätten, früh dazu an-
<page index="10"/>gehalten würden. Alle aber müssen leidlich singen lernen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Warum wollte man dem Frauenzimmer nicht auch <dul>lehren</dul> sich auf eine <dul>eigene,</dul> ihnen anständige Art zu putzen. Ich
hoffe darüber an einem anderrn Orte was zu sagen, besonders was die Schweitz betrifft. Die Nachäffung der fremden
Moden würden alsdann wegfallen und alle giftige Folgen derselben auf die Sitten den Leichtsinn und die Weichlichkeit.
Dieser Putz aber müßte überdacht seyn, auf Klima, Landesprodukte und besonders auf den Geschmack der jungen
Schweitzerherren berechnet, denn ein Frauenzimmer das sich um Gottes willen putzt, ist ebenso ein unnatürliches
Ding als eine die Arabisch spricht wie Madam Reiske. Mag es doch den lieben Kindern selbst aufgegeben werden
über ihre Moden zu raffiniren, zu poetisiren wie sie wollen und alsdann passiren die Erfindungen die Censur ihrer
Lehrerin. Die Bekleidung der Griechischen Statuen könnte bey einer gewissen Art von Kleidern, z. E. Nachtröcken,
sehr gut zum Muster angenommen werden, das übrige überläßt man ihrem Genie. Darum wünscht ich auch sehr daß ein
Frauenzimmerfreund eine auserlesene Sammlung guter Statuen in ihre Schule verehrte es sind <page index="11"/> hundert
Ursachen mehr warum ich dieses wünschte. Die Imagination Ihrer Schönen verliert sich, vergißt sich auf den schönen
Formen und wohl Ihrem Vaterlande, wenn sie sich daran vergißt. Eine harmonische Gestalt kann aber so wenig eine
schlechte Seele herbergen, als ein wohlgestimmtes Instrument das Geschnarr einer verstimmten Zither hervorbringen mag. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Tanz und um Gottes willen lassen Sie keinen Prediger sich in Ihre Anstalt mischen, es giebt wenig Lavaters
auch der Tanz muß früh mit ihnen getrieben werden. Wär es auch nicht weiter als um die Begriffe von Tackt und
Ordnung in ihre Seele zu bringen in denen sich die Welt dreht. Was hilfts aber wenn du die ganze Welt gewönnest
und littest Schaden an deiner Seele, hättest kein Zeitmaas und kein Verhältniß darinn steht ja in der Bibel
selber. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Rechnen lassen Sie sie doch ja nicht anders lernen als nach <ul>Aufgaben aus der Haushaltung.</ul> Sonst heißt das wirklich
wieder sie Hebräisch lehren. Ich weiß Frauenzimmer, denen bloß wegen der abgeschmackten abstrakten Methode des Herrn
Peschek, das Rechnen auf ihr Lebtage verleidet ist. Und wer kann es ihnen verdenken, sind sie doch dazu nicht geboren.
Wenn man sagt, das schärft <page index="12"/> den Geist, so möcht ich die Ohren zuhalten und lauffen soweit der Himmel blau
ist. Daß man doch immer vergißt, daß ein Frauenzimmer das Pretension auf Verstand macht, das unliebenswürdigste und
furchtbarste aller existierenden Dinge ist. Und wozu anders soll sie sich mit unwesentlichen Zahlen plagen, die sie
um all ihre Reitze und den Mann um <del>ihr</del> <insertion pos="top">sein</insertion> ganzes Glück bringen. Selbst Addition Subtraktion und die fünf Species
darf sie nicht anders treiben als nach Aufgaben wie sie im gemeinen Leben vorkommen. Dazu find ich die kleinen Details
unvergleichlich die Usteri in seiner Schule hat, von Stücken die in die Haushaltung gehören. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Naturhistorie, Kenntniß von <ul>Pflanzen</ul> und <ul>Thieren</ul> auch Mineralien ist ihnen wohl <ul>unentbehrlich</ul>, sowie die anatomische
Kenntniß des Menschen, ohne der sie elende Kinder erziehen werden. Bedenken Sie wieviel in den ersten Jahren der Bildung
von ihnen allein abhängt. Wieviel selbst in der Zeit von ihnen abhängt da das ganze Schicksal und das Leben des Kindes
selbst als ein <aq>Depositum</aq> in ihrer Verwahrung liegt und wo über ihre Aufführung gegen dasselbe auch durch Gedanken und
Regungen der Seele die oft nur zu sehr auf ihren <aq>Foetus</aq> wirken, kein menschlicher Verstand entscheiden darf. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Alle übrige Wissenschaften können Sie entbehren. Kleine Unwissenheiten in der Historie in der Geographie reitzen oft
mehr als die Schönflecken. Wenn sie nur das Allererste davon wissen. Man muß ihren Männern auch was übrig lassen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Aber so habe ich Sie ja fast zu Tode geplaudert aber Sie wollten es so haben. Ich darf nicht um Verzeihung bitten die
Schuld ist Ihre. Behalten Sie mich lieb und empfehlen mich Iseli. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="12" annotation="am linken Rand, vertikal">Brauchen Sie was zu brauchen ist wo nicht für Ihre Schule so zu anderem Gebrauch. Das Pappier ist einmal
besündigt.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="13"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich muß noch ein Blatt nehmen. Sehen Sie, welch eine Ruthe Sie sich auf den Rücken gebunden haben. Nehmen Sie
diesen Brief <aq>per dosin</aq> ein sonst ist er verloren. Schlosser wird Ihnen theurester Herr Gerichtsherr! nächstens
etwas für mich schicken, <del>von</del> an dessen schleunigen Empfang (obgleich es nur Pappiere sind) mir ausserordentlich viel
liegen wird. Wollten Sie die Gütigkeit haben, es durch die erste Gelegenheit zu mir her zu spediren, sollte er aber
Ihnen meinen <aq>Coffre</aq> schicken, mir Nachricht davon zu geben, damit ich Sie bitten kann mir das was ich brauche,
herauszunehmen; denn ich denke wirklich nicht den Winter hier zuzubringen, worüber ich mich in dem Briefe an Dero
Frau Gemalinn näher erklären werde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Noch eins. Ich höre von Herrn Rathsherrn Geßner, Herr Rathschreiber lselin habe noch eine Sammlung origineller
Briefe des seeligen von Kleist, Dichter des Frühlings liegen. Ich würde diesen vortreflichen Mann, dem ich noch
in Ansehung meiner Reise im <aq>pays de Vaud</aq> soviel Erkenntlichkeit schuldig bin, in einem Brief um die Mittheilung
derselben ersuchen, wenn ich es nicht für besser hielte, ihm lieber gar nicht zu schreiben und die Schuld meiner
Verbindlichkeiten gegen ihn bis zur höchsten Höhe aufsummen zu lassen, als <page index="14"/> in der Eile in der ich
gegenwärtig bin meine Correspondenz mit einem so würdigen Freunde mit einem Gesuch anzufangen wiewohl er
hoffentlich beyliegenden Brief, wenn Sie ihn ihm selbst einhändigen, besser aufnehmen wird. Vielleicht händigt
er Ihnen die Briefe ein, um die ich ihn ersuche; wollten Sie alsdenn so gütig seyn sie gleichfalls mir aufs
geschwindeste zu übermachen, ich bringe sie aufs heiligste wieder ungekränkt nach Basel zurück und einen Dank
der nicht endigt Ihnen und unsern lselin zum Ersatze. Die Absicht wozu ich diese Briefe brauche können Sie sich
beyde nicht vorstellen, könnt ich Ihnen beyden auch nicht begreiflich machen, da ich sie mir selber nicht in Worte
fassen kann genug mir <ul>liegt unbegreiflich viel daran.</ul> <line type="empty"/>
Meine beste Empfehlung wenn Sie ihm schreiben unserm Freunde Pfeffel und allen die sich in Basel meiner erinnern. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Heben Sie meinen Brief doch auf. Es könnte seyn daß ich mir ihn in Basel wieder einmal von Ihnen ausbitten müßte,
um verschiedene Erinnerungen hinzuzuthun. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hn. von Mechel gleichfalls meine besten Empfehlungen. Ich habe herzlich gelacht, über die Erzehlung eines Herrn aus
Solothurn, der sagte daß er beym Rheinfall einen doppelten Adler mit dem Kayser gemacht. Diesen Kupferstich hätt ich
sehen mögen u. drunter schreiben <line type="empty"/>
Das geht nur beym Rheinfall an</letterText>
<letterText letter="302"><line tab="1"/>Bester Freund! ich erwarte mit nächster Post auf Zürich unter Herr Lavaters Adresse das Blättgen
<ul>Ueber die launigten Dichter“</ul> zurück, um Ihnen etwas bessers dafür über denselben Anlaß in die Stelle
zu schicken. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie haben durch das letztre Musäum einige Dissonanzen angeschlagen die ich wohl durch einen
öffentlichen Schritt werde aufzulösen gezwungen seyn, weil ich sonst wenigstens solang ich in
der Schweitz bin, Ihnen nichts mehr schicken dürfte. Lassen Sie also dadurch Ihr Zutrauen zu
meinem Willen sowohl als Vermögen (welches in gewissen Fällen wenn man nicht abgewogen <aq>quid humeri valeant</aq>
noch schlimmer ist.) nicht irre machen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Viele Empfehlungen Hn. Zimmermann. Ich habe Tissot in Lausanne gesprochen der mir leyder viel vergebliche
Fragen seinethalben gethan hat. Einen Landsmann von Ihnen sprach ich hier, der Ihnen auch manches von hier
erzehlen kann, worüber ich mich jetzt nicht auslassen darf.<line type="break"/>
<align pos="center">Ihr Freund</align><line type="break"/>
<align pos="right">Lenz.</align><line type="break"/>
Zürich d. 29sten 7br.</letterText>
<letterText letter="303"><align pos="right">Den 10. 8br. 1777.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich befinde mich nicht wohl, lieber Freund! und will deßwegen Morgen eine kleine Reise zu Hn. von
Salis thun. Füeßli war sehr gerührt über das Lob das Sie ihm beylegen. Herrn Rathschreiber Iselin
bitte doch gelegentlich zu sagen, die Briefe die Herr v. Kleist empfangen haben könnte, würden mich
eben so sehr interessiren, da überhaupt sein Leben selbst unter seinen Verwandten mit denen ich in
Verbindung stehe viel zu wenig bekannt ist. Er wird mich dadurch ungemein verbinden. Was Küttner
anbetrift, so muß ihm die Bekanntmachung eines Briefs aus seinem Portefeuille eben so unangenehm seyn,
als mirs vorkommen würde, wenn man Particularbriefe von mir ohne mein Wissen drucken liesse. Er wird
am besten thun, wenn er ganz stille dazu schweigt, es ist des Lärmens ohnehin genug. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier folgen die verlangten Silhouetten mit den wärmsten Empfehlungen von dem mit Geschäften überladenen
Lavater und seiner erst matt aufkriechenden Frau. Ihrer Frau Gemalinn aber in dem Zustande zu schreiben
in dem ich bin, wage ich nicht. Dürft ich um Ihre beyden Silhouetten bitten, Lavater will sie mir nicht
geben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wohl Ihnen daß Sie mit Ihrer neuen Anstalt nicht so <page index="2"/> poetisch anfangen, wie der arme Salis den ich
itzt besuchen will und der letzt hier war. Pfeffeln einen Kuß für mich, Herr Peil hat mir mit seinen
Erzehlungen von Colmar viele Freude gemacht, besonders bey Geßnern wohin ich ihn führte u. wo er recht in
der Laune war. <line type="empty"/>
Ist Schlosser bei Pfeffeln gewesen und in welcher Laune? Seyn Sie so gütig mich darüber zu berichten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier in Ermangelung eines Liedgens an <ul>„Ihr Weib und Schinznach“</ul> das ich schuldig bleibe bis Cörper und Gemüth
bey mir in bessern Umständen sind (den Vornahmen der ersteren möchte ich mir doch ausbitten) ein Liedgen
auf Schlossers jüngstes Kind. <line type="empty"/>
Lassen Sie sichs wohl seyn, der Himmel hat noch viel für Sie aufgehoben. <line type="empty"/>
<align pos="right">JMR Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Kaufmann muß allem Vermuthen nach hieher unterwegs seyn, es sind schon Briefe für ihn da. Er hat viel Ungemachs
erlitten, Seesturm u. s. f. <line type="empty"/>
<page index="3"/><line type="break"/>
<align pos="center"><line tab="5"/>Willkommen kleine Bürgerin
<line tab="5"/>Im bunten Thal der Lügen!
<line tab="5"/>Du gehst dahin, du Lächlerin!
<line tab="5"/>Dich ewig zu betrügen.
<align pos="center">x</align><line type="break"/><!-- Besondere Formatierung? -->
<line tab="5"/>Was weinest Du? die Welt ist rund
<line tab="5"/>Und nichts darauf beständig.
<line tab="5"/>Das Weinen nur ist ungesund
<line tab="5"/>Und der Verlust nothwendig.
<align pos="center">x</align><line type="break"/>
<line tab="5"/>Einst wirst du, kleine Lächlerin!
<line tab="5"/>Mit süsserm Schmerze weinen
<line tab="5"/>Wenn alle deinen treuen Sinn
<line tab="5"/>Gott! zu verkennen scheinen.
<align pos="center">x</align><line type="break"/>
<line tab="5"/>Dann wirst du stehn auf deinem Werth
<line tab="5"/>Und blicken, wie die Sonne
<line tab="5"/>Von der ein jeder weg sich kehrt
<line tab="5"/>Zu blind für ihre Wonne.
<align pos="center">x</align><line type="break"/>
<line tab="5"/>Bis daß der Adler kommen wird
<line tab="5"/>Aus fürchterlichen Büschen,
<line tab="5"/>Der Welten ohne Trost durchirrt
<line tab="5"/>Wie wirst du ihn erfrischen!</align> <line type="empty"/>
<note>Schnörkel</note> <line type="empty"/>
Viel Empfehlungen Ihren kleinen Eydgenossen in Pumphosen. Auch deren Namen schreiben Sie mir doch einmahl auf. <line type="empty"/>
Ich bitte die Verse nicht weiter zu weisen.</letterText>
<letterText letter="304"><line tab="1"/>Hier lieber Sarasi sitz ich wieder an La-Vaters Tisch, darf mit seiner Feder an Sie schreiben, einen
Gruß an Sie schicken, obschon er Ihren Brief nicht gelesen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre Anmerkung über meine Silhouette hat mich traurig gemacht. Freylich muß ich suchen mich noch
besser kennen zu lernen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich komme aus Marschlins wo ich nichts als Ruinen und so dann aus dem Valtelin, wo ich den
Minister Salis fand. Von da über Bergen Gottes zurückeilte Bernina und Julier, in das Glarnerland, wo
wieder, so wie überall, so viel Gutes und Böses durcheinander liegt. Immer Schauplatz, um Engel
darauf handeln zu sehen und die handelnden Personen <insertion pos="top">grossentheils</insertion> Teuffel, auch oft in Lichtsgestalt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wollten Sie so gütig seyn und den Coffre den Herr Schlosser mir geschickt hat, so gleich aufmachen und ein
versiegeltes Buch an Herrn Lavater herausnehmen, das er ausserordentlich nöthig braucht. Sie sind so gütig
es aufs schleunigste hierher zu übermachen mit reitender oder fahrender Post wie es am schnellsten geht.
Ich habe keinen Augenblick weiter zu versäumen, die Post geht ab. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Verzeyhen Sie die Eilfertigkeit. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="Am linken Rand, vertikal">Verse künftig und viel Empfehlungen auch Pfeffeln u. Lersen</sidenote></letterText>
<letterText letter="305">Mein Lieber Lentz <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihr werthes kleines Briefgen hat mich aus vieler Unruh herausgerißen dan Ihre Berg Reiße und das
kalte Wetter und daß ich dazu gerathen hat mir rechtschaffen bange gemacht Da Sie nun aber in
Sicherheit ausert unserem gesegneten Land wider in der Christenheit sind so darf ich desto ehender
frisch von der Leber weg mit Ihnen reden. Sie sind mir ein feiner Man. Sie haben Aufträge, Sie
haben Absichten bey Ihrer Reise, und Sie sagen mir kein Worth davon. Etwas habe ich geargwohnt
deswegen geargwohnt weil Sie mir von Ihrem Besuch bey dem Hn Bawier zu <page index="2"/> Chur nichts gesagt.
geargwohnet weil mich die Verräthereyen vieler Halbfreunde besonders Grewens schreklicher Mißbrauch
meines offen Herzens, gegen jederman mißtrauisch gemacht. Ich war denoch mehr als Zehen mahl auf dem
Sprung mein Herz in Ihren Busen ganz auszuschütten dan ich leide unausstehliche Höllenpein, Höllenpein,
bey der mir von Gott (kan ich das ohne Lästerung denken) oder von Menschen auferlegten Nothwendigkeit
verschlossen seyn zu müssen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Genug wir haben einander noch vieles zu gestehen und zu verzeihen. fangen Sie an mir zu sagen was <page index="3"/>
Sie vor Absichten vor Aufträge bey Ihrer Reise gehabt haben mir zu erklären was die Vorwürfe bedeuten ich
habe meine Undernemung bis dahin ohne Gott ausführen wollen und dan will ich mich Ihnen ganz zeigen so wie
mich Gott kent und wie Sie mich am Tag des Hn. sehen werden. Biß wir so weit sind sende ich Ihnen keine Geschicht
des Philanthropins, es würde ihr immer die unnachahmliche unauslöschliche Phisionomie der Wahrheit fehlen, dan
wan ich Ihnen schon nichts gesagt habe das nicht wahr sey so hab ich Ihnen dennoch nicht alles was wahr ist gesagt.
Ich umarme Sie mit wahrer Freundschafft <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihr. Salis</align> <line type="empty"/>
Castion den 11 9bris 1777<line type="break"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
An Herrn<line type="break"/>
Herrn Lenz<line type="break"/>
bey Herrn Lavater<line type="break"/>
in<line type="break"/>
<ul>Zürich.</ul></letterText>
<letterText letter="306"><align pos="right">Schloß Hegi d. 17ten 9br. 1777.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie werden Ehrmanns Brief nun erhalten haben; wenn Sie mir den Coffre bald schicken kann ich das
für Lavatern bestimmte selbst herausnehmen. Der Brief aus Zürich sollte eigentlich nicht an Sie
fortgehen, weil ich die Einwohner von Glarus zu schlimm abgemahlt. Lavater der ihn nicht gelesen
und wegen der Commission die er mir gegeben pressirt war, riß ihn mir, weil die Post eben abgieng
unter den Händen weg, machte ihn schnell zu und verschwand damit aus dem Zimmer; welches mir hernach
aus vielen Ursachen sehr leyd that, hauptsächlich um seinetwillen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Das Geld hoff ich Ihnen in wenig Wochen zu schicken. Grüßen Sie Ihre Gemalinn und Kinder. Einlage bitte
an Lersen zu besorgen. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="307"><align pos="right">Schloß Hegi d. 26. 9br. 1777.</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Es würde meine innere Ruhe auf ewig stöhren, wenn ich, Verehrungswürdigster Herr Doktor! durch
meine gutgemeinten Gespräche über Religiose Gefühle und dann über Ihren Freund Lavatern Anlaß
zu einigem Verdacht gegeben haben könnte als ob auch nur ein einziges Wort das ich gesprochen,
durch etwas anders als die damalige Lage meiner Seele die durch meine eben vollendete Bergreise
gespannt war, könnte veranlaßt worden <page index="2"/> seyn; auch bin ich überzeugt, daß Sie dieselbe
in diesen Augenblicken so wenig verkannt haben, als Sie sie noch jetzt, wenn Sie sich alles das
was damals vorgegangen, in einem ruhigen Augenblick vergegenwärtigen wollten, verkennen werden
und können. Mein Aufenthalt in dem Hause des Herrn Pfarrers Lavaters sollte mich freylich in meinen
Reden und Handlungen ein wenig fürsichtiger gemacht haben, wenn man bei einem dringendem Herzen
nur fürsichtig bleiben könnte <page index="3"/> und ich durch fatale Schriftstellerverhältnisse hinaufgeschraubt,
alle politischen <aq>Reservationes mentales</aq> für Cruditäten in meinem Gewissen zu halten, nicht beruffen
gewesen wäre. So wenig aber Herr Pfarrer Lavater von meinem Besuch bey Ihnen wußte, da ich eben von
ihm auszuziehen willens war und schon die Nacht ausser seinem Hause geschlaffen; so wenig, wie ichs
mit dem theuresten Eyde bekräftigen kann, hat er an irgend einem Wort das ich bey Ihnen gesprochen
Antheil gehabt, vielmehr bin ich versichert, daß er meine ganze Art zu seyn, nach seinem Gesichtspunkt
diesesmal äusserst tadelhart ge<page index="4"/>funden haben würde. Da nun aber jeder für <ul>sich</ul> Rede stehen
muß und ich übrigens im Schooß Ihrer Familie für allen Mißdeutungen meiner Absicht sicher zu seyn glaubte;
so habe ich diesesmal lieber eine scheinbare Unbescheidenheit wagen, als über gewisse Punkte Ihrer Art zu
denken und zu fühlen unaufgeklärt und in meinem Urtheil von Ihnen falsch bleiben wollen. Nahmen Sie einen
Anstand an dieser Behandlungsart, so bitte ich Sie ganz und gar an mir zu ahnden, als aus dessen Charakter
und Genie sie <ul>ganz allein</ul> geflossen, übrigens aber versichert zu seyn, daß mich fremde Meynungen, wenn sie
nicht schon vorher in diesen gelegen, niemals verändern können Uebrigens brauch ichs Ihnen, würdigster
Herr Doktor! nicht zu versichern daß meine Absichten bey meiner Schweitzerreise, da das Richteramt mein Beruf
nicht ist niemanden zum Schaden gereichen können. Mit der ehrerbietigstell Empfehlung an Ihre Gemalinn und
Familie nenne mich<line type="break"/>
Dero gehorsamsten<line type="break"/>
Diener Lenz.</letterText>
<letterText letter="308"><align pos="center">Winterthur. Den 12.ten Dcbr. 1777.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eine kleine Streiferey an den Bodensee herab, durch St. Gallen nach Appenzell von der ich eben
wiederkehre hat die Nachricht von Empfang des durch Sie gütigst übermachten Coffres verzögert.
Mich freut Ihre Entbindung mit der Frauenzimmerschule, die ich um sie ihrer Vollkommenheit näher
zu sehen immer weiter von <insertion pos="top">dem Plan</insertion> der Zürichschen entfernt wünschte. Wir haben unter andern
mit Hn. von Salis radotirt (schon in Schinznach, und itzt wieder im Valtelin) über eine Moralische
Kochkunst, den Bedürfnissen des Körpers und der Jahrszeit angemessen, wozu denn freylich einige
Kenntniß des Menschlichen Körpers und der Natur in Tier- und Pflanzenreich vorausgesetzt würde, die
auch in hundert anderen Fällen, vorzüglich bey Erziehung der Kinder Dienste thun könnte. Allein ein
Lehrer von dieser Art, <aq>NB</aq>. der sich den jungen Zöglinginnen verständlich machen könnte, wird sich
auf der Baselschen Akademie wohl schwerlich finden. Und doch sind auch schon zur Selbsterhaltung die
Medicinischen Kenntnisse, wären sie gleich nicht weiter als aus <ul>dem Arzt,</ul> Tissot und <ul>Plattner* <!-- Verweiszeichen --></ul>
(ein Buch das ich nicht genug empfehlen kann) abgeschöpft, unentbehrlich. Diese werden gewiß in hundert
Fällen bessere Dienste tun, als der Jgfr. Goswyl Commentar über Gellerts Oden (die ich übrigens weder
tadle noch überflüssig finde) denn wie oft Moral nur von Diät abhängt, ist noch bey weitem nicht genug
eingesehen geschweige ausgeübt worden. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand">Plattners Handbuch der Physiologie, teutsch, in einem sehr angenehmen Styl, zu Leipzig herausgekommen</sidenote><line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Es ist ein Pasquill auf Lavatern und seine Freunde herausgekommen, in das ich nur flüchtige Blicke gethan
und zu meinem grossen Leidwesen finde daß man sehr säuberlich mit mir umgegangen. Die Herren mit ihrer
fingerlangen Vernunft wollen es dem lieben Gott durchaus nicht zugestehen, daß er über Bitten und <ul>Verstehen</ul>
thun könne. Doch läuft unter dem <dul>niedrigsten</dul> Zeuge, manche nöthige Wahrheit mit unter <line type="empty"/>
Empfehlen Sie mich der Frau Engelwirthin nebst den kleinen künftigen Bewohnern der Engelburg. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herren Rathschreiber Iselin machen Sie doch gelegentlich auch von mir viel Empfehlungen u. Glückwünsche zu der
endlich beglückten Heurath seiner Dem. Tochter, die ich noch oft in Gedanken das Schweitzerliedgen in Meyenfels
singen höre. Kaufmann und die Seinen empfehlen sich Ihnen allen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Einrichtung seiner künftigen ländlichen Haushaltung beschäftigt ihn sonst führen wir alle ein sehr ruhiges
u. still fröhliches Leben in Hofnung. Lavater wird Ihnen geschrieben haben; ich komme seit meiner letzten
Glarnerreise fast nie wieder nach Zürich <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="309"><line tab="1"/>Wollten Sie, Würdiger Freund! die Gütigkeit für mich haben, mir, solange ich noch in diesen
Gegenden zu bleiben gezwungen bin wiewohl ohne irgend ein Versprechen von mir dagegen zu
nehmen, als meinen herzlichsten Dank einige Hefte Ihrer Schweitzergeschichte die ich noch
nicht gelesen, einzupakken und unter folgender Adresse A Lenz, Schloß Hegi! durch den
Winterthurerboten zuzuschicken, in 23 Tagen sollen Sie sie hier wo ich keine andere als
willkührliche Zerstreuungen habe, unfehlbar wiedererhalten. Etwa das vom Schwabenkriege <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz</align> <line type="empty"/>
<note>Mit anderer Tinte hinzugefügt</note><line type="break"/>
wenn Sie etwa kein Plagiat </letterText>
<letterText letter="310"><align pos="right">777. 31. Xbr. in Basel</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Nun da der ganze stürmische Xbr. zu Ende ist u. ich ein ganzes Jahr Geschäffte ab mir geladen habe,
muß ich noch ein paar Worte mit meinem Freundt Lenz reden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich danke Ihnen vor die Fragmente die Sie mir noch immer zur Frauenzimmer Schule lieffern. Vor
<ul>mich</ul> will ich sie benuzen, aber vors allgemeine da bin ich Ihr gehorsamer Diener. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe jezt meine sämtliche Projeckte aus Händen gegeben. Sie liegen jezt hinter dehnen Weisen
der Erde die sie untersuchen u. berathen sollen ob es rathsam seye etwas gutes zu stifften od. ob
man <ul>besser</ul> noch ein halb Jahr Hundert die Menschen auf bisherigen Fuß solle leben lassen <line type="empty"/>
An dehnen neu außgekommenen Streit Schrifften. <aq>Pro et contra</aq> habe ich wed. Freude noch Wohlgefallen. <line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Man muß wenig Achtung vors ganze Menschen-Geschlecht haben um dergleichen Zeug aufzuhefften u. wann man
noch vollends mit dergleichen Knäbel-Schlägen die <ul>Gerechte Sache</ul> vertheidigen will so möchte man bersten.
Die gerechte Sache braucht nie keine Vertheidigung braucht nur ihren Weg gerade fort zu gehen.
Stillschweigen ist da Triumph. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es freut mich daß Sie vergnügt leben. Fahren Sie im neuen Jahren so fort u: fahren Sie fort mein Freundt zu seyn.
Grüssen Sie nun Kaufmann, schreiben Sie mir zuzeiten u. leben Sie wohl! <line type="empty"/>
<align pos="right">Jacob Sarasin.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Fast hätte ich in der Eile vergessen daß Sie mein Weibgen grüssen läßt. Sie war einige Tage krank, hat aber keine
bößen Folgen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Pfeffel war vorgestern bey mir. Der liebe Mann war äusserst niedergeschlagen. Es ist ihm der junge Stocken gestorben
den Er von Schinznach mitnahm.</letterText>
<letterText letter="311"><align pos="right">Waltersbach. D. 22sten Jenner 78.</align><line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Gott mit Dir Theurer! und dem guten Kinde, das Dir diesen Brief giebt. Ich darf Dir nichts weiter über
ihn sagen, da Du ihn selber siehst, nur hätt ich um Deines Grusses willen gewünscht, daß Deine Reise
nach Strasburg Dich seitab ins Steihntal geführt hätte. Sehr begierig wär ich, Dein Urtheil über verschiedene
der Silhouetten zu hören, die er Dir mitbringen wird, die aber wie alle Schattenrisse so unendlich verschieden
von den Originalen sind. Wenn Dich Dein Genius hierher versetzen wollte, würdest Du all das fehlende oder
verkritzelte durch Deinen Blick ergänzen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Warst Du es nicht Lieber! der mir erzehlte, daß Apostel Johannes, in den Zwischenstunden da er das Evangelium
schrieb, weiter nichts that, als mit seinem Sperber zu spielen. Und dabey gesagt ein Bogen der immer gleich
gespannt bleibt, verliert zuletzt seine Schnellkraft. Woher hattest Du die Anekdote, ich bitte Dich. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="1" annotation="Am linken Rand, vertikal">Tausend Grüsse Deinem edlen Weibe und Kleinen und viel Lebensgenuß und Abstracktion von tummen Zeuge das gar nicht die
Ehre verdient, Dir einen sauren Augenblick zu machen.</sidenote> <line type="empty"/>
Grüß auch die guten Allerleys von mir. Und schick mir ein paar Zeichen Deiner Liebe. <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="312"><note>von Schlosser geschrieben</note><!-- Kann diese Notiz über <hand> gelöst werden? Wieder eine editorische Anmerkung über eine editorische Anmerkung --><line type="break"/>
<hand ref="18"><align pos="center">P. T.</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Ihnen unbekandt war ich lange Ihr Freund, durch Ihren Herrn Sohn. Drey Jahre sinds, daß ich diesen
kenne, und, ob gleich wir nur selten beysammen seyn konnten; so waren wir doch Freunde. Ich ehrte
sein Herz und seine Talente und liebte ihn darum; aber ich übersahe ihm seine Fehler nie, am wenigsten
den, daß er sich so weit von Ihnen entfernte. Er fühlte sein Herz noch nicht rein und kindl. genung,
meinen Rath zu folgen. Vor einiger Zeit schlug ihn Gott mit einer harten Krankheit. Mit dieser kehrte
sein Erinnern an Ihre väterl. Treue und alle kindl. Gefühle zurück. Er war fest entschlossen, zurück
zu kehren zu Ihnen, sich in Ihre Arme zu werfen und durch die Tugenden und den Werth seines männlichen
Alters, Ihr Greisen-Alter glückl. zu machen. In diesem Vorsatz kam er zu mir. Ich bestärkte ihn darin
und seine Abreise war auf gestern festgesetzt. Gott ließ aber ihm und uns allen zum Glück, am vorigen
Dienstage seine Krankheit in ein hitziges Fieber ausbrechen, seegnete jedoch dabey unsere geringe Sorgfalt,
so, daß er auf dem besten Wege der Beßerung ist. Nun bittet mich sein Herz, voll der wärmsten kindlichsten
Liebe, Ihnen das zu schreiben. Er wünscht u. hofft, daß Sie an seinen Leiden herzliches Theil nehmen werden
und versichert Sie nicht allein seiner kindlichen Liebe und der wahren Reue über seine Entfernung von Ihnen
und seine Fehler, sondern auch von dem festen Entschluß, so bald Gott ihm die Kräfte giebt, wieder in Ihre
Arme zu kehren. Ich, der ich nur zu gut fühle, daß, wenn der Mensch auf Erden glückl. seyn soll, es nur
durch Liebe von, oder zu, seinen Kindern seyn kann, ich freue mich, Ihnen dieses zu schreiben, und bitte Sie
inständig, mir bald einen Brief an Ihren mir immer lieben Sohn zu schicken. Sie können ihn am besten in seinen
Leiden, die seine Seele selbst durchdringen, helfen und aufrichten und Gott wird Sie dafür mit dem Trost eines
wohldurchlebten Alters und der größten Freude an allen Ihren Kindern segnen. Trauen Sie meiner Versicherung
die wahre Hochachtung, mit welcher ich mich nenne <line type="empty"/>
<align pos="right">Ew. Hochehrwürden<line type="break"/>
ergebenster: Schloßer<line type="break"/>
Markgräflich badischer Hofrath und Oberamtmann der Markgraffschaft Hochberg.</align> <line type="empty"/>
Emmendingen in Breisgau bey Freyburg d. 9 Märtz 1778.</hand> <line type="empty"/>
<note>auf der letzten Seite Lenz Hand</note><!-- Welcher Lenz? Jakob Lenz --><line type="break"/>
<hand ref="82">Vater! ich habe gesündigt im Himmel und vor Dir und bin fort nicht werth, daß ich Dein Kind heiße. <line type="empty"/>
<align pos="right">Jacob. Lenz.</align></hand> <line type="empty"/>
<note>darunter Schlossers Hand</note><line type="break"/>
<line tab="1"/><hand ref="18">Sie sehen die Schwermuth Ihres Sohnes. Ich bitte Sie, trösten Sie ihn bald. Wie ich höre, ist ein andrer Sohn von
Ihnen in Leipzig, ich wollte, der käme und holte ihn ab. Wo nicht, so werde ich die Anstalt so machen, daß er sicher
nach Leipzig kommt, so bald er gesund ist. Hoffen Sie das beste und seyn Sie Vater. Er ist äußerst bekümmert und
braucht Aufrichtung. Gott wird alles seegnen. Schreiben Sie nur bald.</hand> <line type="empty"/>
Schloßer.</letterText>
<letterText letter="313"><line tab="1"/>Lieber Herr Sarasi es freut mich daß ich Ihnen wieder schreiben kann, ich habe eine grosse Bitte an
Sie die Sie mir nicht abschlagen werden, daß Sie so gütig sind und meinem bestem Freunde und
Cameraden dem Herrn Conrad Süß doch einen Meister verschaffen, wenn er ausser der Zeit nach
Basel kommt, weil jetzt die Handwerksburschen stark gehen und ich den Herrn Hofrath bitten will,
daß er seinem Vater zureden soll ihn noch länger als Johannis bey sich zu behalten, damit ich
die Schusterey bey ihm fortlernen kann die ich angefangen habe und er ohnedem bey seinem Herrn
Vater und mir viel versäumt. Es wird Ihnen das nicht schwer fallen, da er gewiß ein guter und
fleissiger Arbeiter und sonst wohlerzogenes Kind ist und Sie werden mich dadurch aus vieler Noth
retten, die ich Ihnen nicht sagen kann Auszugehen ist mir noch nicht gesund und was würd ich anfangen,
wenn er auch fortgienge da ich gewiß wieder in meine vorige Krankheit verfallen muß. Hier bin ich dem
Herrn Hofrath gegen über und ist mir so wohl bis es besser mit mir wird. Wenn es nur einige Wochen nach
Johanni seyn könnte, melden Sie mir doch ob sich dort keine Meister finden die auf <page index="2"/> die Zeit
einen Gesellen brauchten. Wenn Sie nur wollten probieren sich von ihm Schuhe machen zu lassen, ich bin
versichert, daß er sie gut machen wird, besonders wenn er einige Zeit in Basel gewesen und weiß wie
Sie sie gern tragen. Fleissig ist er gewiß, davon bin ich Zeuge und er arbeitet recht nett besonders
wenn er sich angreift. Viel tausend Grüsse an Ihre Frau Gemalinn und an den Herrn Hofmeister und an
die Kleinen. Ich bin bis ans Ende <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihr <line type="empty"/>
gehorsamster Freund und Diener Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Er soll jetzt das erste mal auf die Wanderschaft und ich bin jetzt bey seinen Eltern ein viertel Jahr lang
wie das Kind im Hause gewesen. Er ist mein Schlafkamerad und wir sitzen den ganzen Tag zusammen. Thun Sie
es doch bester Herr Sarasi, lieber Herr Sarasi es wird Sie nicht gereuen. Emmedingen, einige Tage vor
Johanni, 1778. Ich könnte mich gewiß nicht wieder so an einen anderen gewöhnen, denn er ist mir wie ein Bruder.</letterText>
<letterText letter="314"><line tab="1"/>Lieber Herr Sarasi, ich habe ein grosses Anliegen ich weiß, daß Sie meine Bitte erhören werden. Es
betrift meinen Bruder Conrad, der für mich auf der Wanderschaft in der Fremde ist: daß Sie ihm dazu
verhelfen, daß er für Sie arbeiten kann. Er war schon fort als ich Ihr werthes Schreiben erhielt und
seine Abreise war so plötzlich und unvermuthet, daß ich ihm kein Briefgen an Sie mitgeben konnte.
Seitdem hab ich immer auf Nachricht von ihm gewartet, bis er endlich schrieb, daß er in Basel keine
Arbeit bekommen sondern in Arlesheim, einem katholischen Ort anderthalb Stunden von Basel. Nun hab ich
kein Anliegen auf der Welt das mich mehr bekümmert, als wenn ich nur so glücklich seyn könnte zu hören,
daß er bey Ihrem Schuhmacher wäre und Ihnen arbeiten thäte, das würde mich in kurzer Zeit gesund machen.
Erzeigen Sie mir diese Freundschaft und Güte, die Freude und der Trost den ich davon haben werde wird
unaussprechlich seyn, denn das Wasser allein hilft mir nicht, wenn meine Freunde nicht mit wollen dazu
beytragen. Ich kann Ihnen das nicht so beschreiben <page index="2"/> warum ich so ernstlich darum bitte, er ist auf
Mannsschuhe besprochen und ich hoffe, wenn er nur erst Ihre Gedanken weiß, wie Sies gern tragen, Sie werden
gewiß mit seiner Arbeit zufrieden seyn, wenn auch das erste Paar nicht gleich gerathen sollte. Herr Süß hat
mir versprochen, so bald Sie ihn unterbringen, soll er seinem Meister in Arlesheim aufkündigen und ich bin
versichert er wird es aus Liebe für mich thun und aus Liebe zu sich selber, welches einerley ist, denn ich
werde keine ruhige Stunde haben, wenn er an <ul>dem Katholischen Ort bleibt</ul> und wenn er jetzt schon weiter wandern
sollte in <ul>der grossen Hitze</ul> das würde mir auch keine Ruhe lassen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es freut mich recht sehr, daß Sie wieder einen Hofmeister haben und Ihre Frau Gemalinn sich geseegnetes Leibes
befindet, Gott wolle ihr eine glückliche Entbindung schenken, daß Ihre Freude vollkommen werde und Sie auf dieser
Welt nichts mehr zu wünschen haben mögen. Dann werde ich auch gesund werden und wenn der Conrad für Sie arbeitet.<line type="break"/>
<page index="3"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Weiter weiß ich nichts zu schreiben, als ich gehe alle Morgen mit meinem <ul>lieben Herrn Süß</ul> spatzieren und bekomme
auch alle Tage den Herrn Hofrath zu sehen. Nun fehlt mir nichts als daß alles so bleibt und Gott meine Wünsche
erhört und Sie meine Bitte erfüllen, daß der arme Conrad wieder zu seinen Glaubensgenossen kommt. Und ich verharre
unaufhörlich und zu allen Zeiten <line type="empty"/>
<align pos="center">Ihr</align><line type="break"/>
<align pos="right">bereitwilligster Diener und gehorsamster Freund<line type="break"/>
J. M. R. Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich trage Ihren Brief immer bey mir und überlese ihn offt er hat mir eine grosse Freude gemacht und daß Sie sich auch
meines Conrads so annehmen.<line type="break"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
An Herrn<line type="break"/>
Herrn <ul>Jakob</ul> <dul>Sarasi.</dul><line type="break"/>
Gerichtsherrn in Basel.</letterText>
<letterText letter="315"><line tab="1"/>Ich kann in der Eile Ihnen theurester Herr und Gönner nichts schreiben als hunderttausendfältigen
Dank für die Freundschaft und Güte, die Sie für mich und meinen lieben Conrad haben, an dem ich
mir die Freyheit nehme einige Zeilen mit beyzulegen, und Ihnen zu melden, daß ich jetzt nach Wiswyl
herausreisen soll, wo ich brav werde Bewegung machen können mit der Jagd und Feldarbeit. Ich bin so
voller Freude über soviel glückliche Sachen, die alle nach meines Herzens Wunsch ausgeschlagen sind,
daß ich für Freuden nichts rechts zu sagen weiß als Sie zu bitten, daß Sie doch so gütig sind und Ihr
Versprechen erfüllen, dem ehrlichen Konrad Arbeit für <dul>Sie</dul> zu geben, weil es mir nicht genug ist wenn er
bey Ihrem Meister Schuhmacher ist und er nicht auch für Sie arbeitet. Verzeyhen Sie meine Dreistigkeit,
ich bitte doch um Nachrichten von Ihnen und Ihrer Familie auch nach Wiswyl, zwar ist der Herr Hofrath
jetzt auch nach Frankfurt verreist, der Conrad wird mir Ihr Briefgen schon durch seinen Vater zuschicken
ich werde wohl einige Zeit da bleiben. Hunderttausend Grüsse Ihrer Frau Gemahlinn und sämtlichen Angehörigen,
auch dem Herrn Professor Breitinger. <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihr<line type="break"/>
gehorsamster Freund und Diener<line type="break"/>
Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="316"><line tab="1"/>Eben jetzt theurester Gönner erhalte ich noch den Brief von Conrad zu dem Ihrigen und muß
hunderttausend Dank wiederholen, daß Sie so gütig sind und für uns beyde soviel Sorge getragen und
sich auch nach mir erkundigen wollen. Auch Herr Süß und seine Frau haben mir aufgetragen Ihnen
doch recht viele Danksagungen zu machen für die Güte die Sie für ihren Sohn gehabt und daß Herr Hofrath
nach Frankfurt verreist sey, sonst würden sie es auch durch ihn haben thun lassen. Gott wolle Ihnen
alles das auf andere Art wieder vergelten, was Sie mir für Freude gemacht haben, ich habe jetzt auf lange
Zeit genug an des Conrads Brief, den ich im Walde recht werde studieren können. Sagen Sie nur dem Conrad
er soll Wort halten und seine Eltern vor Augen haben, am meisten aber Sie seinen Wohlthäter und denn auch
Hn. Hofrath Schlosser und denn auch mich und meinen Zustand die Zeit her, daß es ihm nicht auch so ergehe,
wenn er nicht folgt. Seyen Sie hunderttausend mal gegrüßt alle zusammen nochmals von<line type="break"/>
<align pos="right">Ihrem <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
gehorsamsten<line type="break"/>
Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="317"><align pos="right">Wiswyl den 13ten August 1778.</align><line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es freut und beunruhigt mich theuerster Freund und Gönner! daß eine Commission mir abermals
Gelegenheit verschafft mich schrifftlich mit Ihnen zu unterhalten; sie freut mich, weil ich sonst noch
nicht im Stande bin, meine Briefe meinem Freund und Gönnern interessant zu machen, beunruhigt
mich aber doch durch die Furcht, Ihnen unbescheiden und beschwerlich zu fallen. Sie betrift 4
Bücher großes fein geschlagenes Gold das zur Verguldung eines Schildes in dem Hause da ich wohne
gebraucht wird; dieses Schild, das Sn. Durchlaucht der Herr Markgraf als sie durch Wiswyl reisten,
persöhnlich dem Besitzer dieses Hauses, meinem nunmehrigen rechtschaffenen Kostherrn dem
Hn. Förster Lydin bewilligt haben, als eine Gunst für dero Aufenthalt in diesem Hause, war
schon<page index="2"/> halb fertig verguldet, als auf einmal die zwey Hn. Goldschläger in Strasburg die
das Gold dazu geliefert; weil sie zu einer Kirche die auf Michäel fertig werden soll, verdungen worden,
keines mehr hieher liefern konnten, Herr Lydin also, der auf baldige Vollendung des Schildes eben so
sehr pressirt da er den Mahler dazu im Hause hat, sich nach Basel wenden muß, wozu ich ihm meine
Intercession bei Ihnen oder Dero Herrn Bruder angeboten; wollten Sie also die Gütigkeit haben 4 Bücher
großes feingeschlagenes Gold auf die fahrende Post nach Emmendingen unter dem Couvert des <ul>Posthalters
Sander</ul> dem es allenfalls mit ein Paar Worten zur <ul>baldigsten Beförderung nach Wiswyl</ul> empfohlen werden
kann, wohin er täglich Gelegenheit hat nur <page index="3"/> unter folgender Adresse, <ul>„an Hn. Lenz, abzugeben</ul>
<ul>bey dem Förster Lidynn, zu Wiswyl zuzuschicken</ul> und den genauesten Preiß hinzuzusetzen, das Geld soll
auf das prompteste mit dem verbindlichsten Dank an Sie wieder nach Basel übermacht werden. Ich
beschäftige mich hier unter Anleitung des Herren Lydinn mit dem Ackerbau und der Jagd, die mir tausend
Vergnügen anbietet und meinen Kopf von Tag zu Tag mehr aufheitert, da die körperliche Bewegung, die
Entfernung von Büchern und der Umgang mit einem Manne der in der Einrichtung seines Hauswesens und
Ausfüllung der ganzen Sphäre in die ihn die Vorsehung gesetzt hat, mir auf jedem Schritt eine neue Wahrheit
aufschließt; mir die Entfernung von meinem theuren Wohlthäter Schlosser, auf dessen baldige Wiederkunft ich
dennoch zähle, ungemein versüßen. Da Wiswyl nur drey Stunden von Emmedingen ist, so hoffe ich wenn er von
Frankfurt zurück gekommen ist, eine kleine Veranlassung mehr, zu seinem öftern Besuche hieher zu werden.<line type="break"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Wollten Sie so gütig seyn mein Gönner! durch eine geneigte Sorge für meinen dreisten Auftrag, mir Gelegenheit
zu geben, den braven und rechtschaffenen Mann bey dem ich wohne auch Ihnen zu verbinden, da auf diese Weise
das begehrte Päckgen Gold schon künftigen Montag in Emmedingen seyn könnte so würde ich diese Gewogenheit
mit zu dem grossen Conto setzen, auf welches ich zeitlebens nur die Interessen zahlen kann durch die Versicherung
der aufrichtigen und beständigen Ergebenheit mit der ich beharre <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihr <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
gehorsamer Fr. u. Diener.<line type="break"/>
JMR Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dero Frau Gemahlinn und werthesten Angehörigen bitte mich bestens zu empfehlen, ingleichen dem
neuen Führer der letzteren. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Den Preis bitt doch ja hinzuzusetzen, da es nicht meine Sache ist für die Güte der Ware brauche
ich nicht zu sorgen</letterText>
<letterText letter="318"><line tab="1"/>Nächstens bester Sarasi haben wir die Freude Ihnen das Geld fürs überschickte Geld selbst zu
überbringen. Machen Sie nur daß mittlerweile alles gesund und vergnügt bey Ihnen bleibt und
verzeihen Sie den langen Aufschub der diesmahl unvermeidlich mündlich mehr. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sagen Sie niemand von unserm Projeckt; das sich eher nicht ausführen lassen konnte. Tasuend
Empfehlungen an Ihr ganzes Haus. Auch von meinem Förster den Sie noch mehr lieben werden,
wenn Sie ihn sehen. <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihr<line type="break"/>
wärmster<line type="break"/>
J M R Lenz</align></letterText>
<letterText letter="319"><line tab="1"/>Nur die Erwartung der Ankunft unsers Herrn Hofraths, theurester Herr Gerichtsherr und die darauf
eingelauffene Nachricht von seiner Unpäßlichkeit, hat unsere Reise nach Basel verzögert und kann der
unverzeyhlichen Inakkuratesse mit der mein voriger Brief an Sie abgelauffen zu einiger
Entschuldigung dienen. Eben diese Ankunft die wir täglich erwarten wird unsere Reise aufs
längste in zehn Tagen bestimmen, darf ich unterdessen im Namen meines Försters, wie Sie
<page index="2"/> ihn zu nennen belieben, Sie um noch eine gütige Auslage, bestehend in einem viertel
Centner mittleren Berner-Pulvers, das man hier und in Strasburg nirgend so gut haben kann,
nebst dem genauesten Preyse zu ersuchen, welches mit eben der Gelegenheit hieher spedirt werden
kann. Das Geld für beyde Artikel werde die Ehre haben Ihnen mit verbindlichstem Dank (vielleicht
in Gesellschaft des Herrn Hofrath Schlossers und seiner Gemahlinn) mit meinem <page index="3"/> fürtreflichen
Förster selbst einzuhändigen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wie erwünscht die Zeitung von der glücklichen Niederkunfft Ihrer verehrungswürdigen Gattin und
wie reitzend Ihre Einladung in eine Baurenhütte am Mäyenfels einem Menschen unter meinen Umständen
gewesen will ich Ihrer gütigen Freundschaft für mich lieber zu vermuthen überlassen. Auch bitte ich
mir noch manchen guten Rath persöhnlich aufzuheben, der mein künftiges Leben, wenn der Himmel mich
dessen würdigt und seine Zufriedenheit dem Ihrigen ähnlich zu machen fähig wäre. Leben Sie glücklich
bis dahin und empfehlen mich Ihrer unverbesserlichen Hälfte. Dero <line type="empty"/>
<align pos="right">gehorsamster<line type="break"/>
J M R Lenz.</align> <line type="empty"/>
Weisweil d. 30sten Septbr. 1778.<line type="break"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>N. S. Darf ich Sie gehorsamst ersuchen, doch gelegentlich den Meister des guten Conrads, der mir geschrieben,
ingeheim erinnern zu lassen, er möchte wo möglich ihn noch nach Weyhnacht in Arbeit behalten.</letterText>
<letterText letter="320">Meine theureste und Verehrungswürdigste Frau Mutter! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mit frohem Herzen, und mit innigem Dank gegen Gott gebe ich Ihnen zum ersten mahl diesen süßen
Nahmen, den ich bis hierzu nie ohne Wehmut aussprechen konte. Doch Gott hat unser Gebeth erhöret,
und uns in Ihnen wieder eine Mutter geschenkt, die schon lange gegen unsere ganze Famielie mütterliche
Beweise Ihrer Liebe und Zärtlichkeit gegeben hat. Wie glücklich schätzen wir unsern theuren Vater, in
dem Herbst seines Lebens, eine so treue mit seinem Herzen, und häuslichen Umständen schon bekannte, und
durch so viele Proben schon bewährte Gefährtin gefunden zu haben, die die trüben Tage seines Alters aufheitern,
seine schwächliche Gesundheit pflegen, und die Lasten des Lebens so liebreich mit ihm gemeinschaftlich
tragen wird. Wie zärtlich werden Ihnen Kinder und Enkel danken, denen Sie einen so geliebten, einen so
vortreflichen, so theuren Vater da durch noch manches Jahr erhalten, daß Sie Ihre Hand in die seinige legen,
und er sein müdes silber weißes Haupt an Ihrer treuen Brust ausruhen kann. <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Ja, theures Paar! das schon auf manchen Dornen Wegen
<line tab="5"/>In dieser Pilger-Welt, mit Müh gewandelt hat
<line tab="5"/>Genieße nun im Herbst den ganzen Erndte-Segen
<line tab="5"/>Von jeder Prüfungs-Zeit, von jeder Trähnen-Saat.
<line tab="5"/>Zwar lacht nicht mehr der Herbst, so wie ein Frühlings-Morgen
<line tab="5"/>Der alles übersonnt, und Feld, und Fluhr verjüngt
<line tab="5"/>Nie schläft ein Silber-Haupt, so frey von allen Sorgen
<line tab="5"/>Wie noch der Jüngling schläft, dem alles Freude bringt;
<line tab="5"/>Dafür ist auch der Greis schon viele Schritt weiter,
<line tab="5"/>Schon manchen Berg den noch der Jüngling steigen muß.
<line tab="5"/>Auch ein November-Tag ist dankenswehrt, wenn heiter,
<line tab="5"/>Der Sonne Strahl ihn grüßt. Dank auch dem kurzen Gruß!
<line tab="5"/>So grüßet jetzt auch Euch nach manchen trüben Tagen
<line tab="5"/>Ein sonnigt froher Tag, der Freude bringend lacht.
<line tab="5"/>Und gleich der Nacht, entfliehn, vor ihm jetzt Schmerz und Klagen
<line tab="5"/>Und Freuden werden Euch glückwünschend dargebracht.
<line tab="5"/>Dort rief einst Gott! dein Knecht, o Sonne stehe stille,
<line tab="5"/>Und auf dein Allmachts-Wort mußt sie nicht untergehn.
<line tab="5"/>Sieh Kinder, Enkel, hier dir flehn: Ists Herr dein Wille,
<line tab="5"/>So laß dem theuren Paar, der Freuden Sonne stille stehn.
<line tab="5"/>Sanft fließ er Ihnen fort, der Herbst des theuren Lebens
<line tab="5"/>Das dir geheiligt war. Der Rest sey Sonnen-Schein,
<line tab="5"/>Und heiter jeder Tag, uns Muster des Bestrebens
<line tab="5"/>Auch einst in unserm Herbst so from und froh zu seyn. </letterText>
<letterText letter="321"><align pos="right">Riga d. 2ten 8br 1779 a. St.</align><line type="break"/>
Theurester Bester! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Verzeyhen Sie die Form dieses Briefs, wie die Zumuthung die er enthält und setzen beydes auf die
Rechnung des strengsten Vertrauens nicht in Ihre Freundschaft und Güte für mich, die, wie ich aus
Proben ersehen unbeschränkt ist sondern in Ihre Gerechtigkeit und Wahrheitsliebe. Ich bitte diese
Worte nicht nach dem Herkommen gedruckter Stutzernomenklatur sondern diesmal nach der Bedeutung der
Einsamkeit und ihres Entschlusses auf immer zu nehmen. Also fort für diesmal mit allen äußern
Verhältnissen, die die schnelle Sprache dessen was eine besondere Lage der Umstände jetzt auf mich
wirken muß, nur höchst unfruchtbar aufhalten würden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich komme eben von einem Besuch in Gesellschaft meines lieben grauen Vaters und eines jüngeren Bruders,
der Sie in Weymar gesehen, wo ich auf die sonderbarste Art von der Welt in die Enge gebracht bin. Die
zärtesten Sayten meines Herzens und möcht ich sagen, einer gewissen Art von Ehre deren System ich eben nicht
recht von mir geben kann, sind angeschlagen und kurz ich bin diesmal in großer Verlegenheit die
vielleicht durch diesen Brief noch vergrössert wird; aber genug, ich kann mir nicht helfen. Es ist lange
vor meiner Ankunft in Riga von einer Besetzung des nur halb erledigten Rektorats der Dohmschule (von dem Hr.
D. Schlegel sich den Theologischen Theil vorbehält) die Rede gewesen. Mir hatte man gleich bei meiner Ankunft
ins Land verschiedene Vorschläge nach Petersburg gemacht, von denen mein Herz, weiß ich aus was für Besorgnissen,
zurücksteuerte, doch ohne sie ganz aufzugeben. Ein Gönner meines Schwagers <page index="2"/> ein Edelmann der es auch ohne
Geburt seyn würde, den soll ich sagen sein Herz oder sein Geschmak der auf Ambassaden bis nach Spanien, wohl hat
ausgebildet werden können, auch mir sehr anziehend machen schon damals gemacht hatten, als er von seinen ersten
Reisen als blosser Cavalier durch Königsberg nach Hause zurückgieng; erscheint in unsers Freund Hartknochs Laden.
Außer dem Anzüglichen seiner Person, hielt ichs in Ansehung meines Schwagers, der von dem Hause viel Güte genossen,
für Pflicht, ihn und zugleich dem Haupt dieser Stadt, seinem Schwiegervater die Aufwartung zu machen. Ich beredte,
weil er von einem vorhabenden Besuch bey meinem Vater sprach, den Altgen mit dazu, ihm zuvorzukommen. Wir treffen ihn
nicht zu Hause, wohl aber den Hn. Bürgermeister, einen der thätigsten und ausgezeichnetsten Patrioten der Stadt und
stellen Sie sich meine Verwirrung vor, als ganz unvorbereitet, ganz überraschend für mich und vermuthlich für alle die
gegenwärtig waren, mit der Naivität von der Sie sich bey meinem Vater nur eine dunkle Vorstellung auch Sie! machen
können, er förmlich bey der Schule für mich anspricht, und wenn ihnen ein Subjekt dazu fehlte, mich unparteyisch welch
ein Ausdruck unparteyisch dazu empfielt. Herr Burgermeisters S. Miene die sich dabey sichtbar veränderte, machte mir den
Mann noch einmal so ehrwürdig, denn nun hatte ich wenigstens meiner eignen Verlegenheit etwas zuzugesellen. Noch mehr aber
seine langsame und geflissentlich <page index="3"/> überlegte Antwort: es sey deswegen an auswärtige Gelehrte geschrieben worden,
von denen zwey abgesagt, itzt steh man mit einem dritten in Traktaten habe aber auch zugleich an Sie geschrieben und
wolle in dem Stück ganz und gar auf Ihre Empfehlung fussen. Itzt hätte mir wohl werden sollen, und mir wards aber
nicht so ganz ich gehe zu einem Freunde wo ich von andern in das Fach hin einschlagenden Dingen sehr beunruhigt,
aber ohne daß sie mich selbst angiengen, zu sprechen hatte, komme zurück und will sehen, was unsers Hartknochs sehr
üble Brust heute macht und find ihn an einer Post nach Leipzig die er expedirt, und mir Pappier und Feder hinlegt,
wenn ich auch an jemand schreiben wollte. An wen anders als an Sie mich zu empfehlen? nicht doch Ihre
Empfehlung zu erbitten, zu verbitten auch nicht, kurz ich weiß selbst nicht was ich will, was ich soll aber
an wen anders kann, darf ich das schreiben als an Sie Freund Goethe hat mich wohl vergessen mag will wie ich
sehe sich in keins meiner Angelegenheiten mehr mischen, wird vielleicht durch jede Art meiner Zuschriften selber
soll ich sagen beleidigt? doch gewiß beunruhigt und soll ich empfolen sein wär ichs am liebsten von Ihnen.
Guter Gott, aber Sie kennen, wenn Sie mein Herz ja kennen, weder mein Geschick überhaupt noch zu einer solchen Stelle
in sonderheit. Soviel sag ich Ihnen frey und wills druken lassen, daß in <ul>meinem Vaterlande</ul> mir eine solche Stelle
die wünschenswertheste wäre. Und wem sollte sie es nicht seyn. Ich wollte solang wenigstens an mir pressen <page index="4"/>
bis das was ich gutes und vortheilhaftes draussen eingesogen, ausgedrükt wäre, mögte man hernach mit dem löchrichten
Herzen machen was man wollte. Bey alledem aber habe ich die Theologie nicht gründlich studirt, kann auch keine grosse
Theologen auf die grosse Bühne der Welt schicken. Dafür aber hab ich mich ein wenig in der Geschichte und Gesetzen meines
Vaterlands umgesehen, die ich immer fleissiger mit Zuziehung der erfahrensten Männer zu studieren gedenke, will dabey
gern in dem bißgen Griechisch und modernen Sprachen, was ich weiß, auch in der sogenannten schönen Kenntniß von
Kunstwerken und Kunstsachen, auch wenn der Adel, der fast den zahlreichsten Theil unsers Landes ausmacht und um
Unterricht verlegen ist, mit zu unsrer Bürgerschule gezogen werden soll, in besondern Stunden in dem historischen
Theil der alten und neuen Taktik Fortifikation u. s. f. soweit Unterricht geben, daß er hernach praktischem Unterricht
schneller nutzen kann, so auch in Staatsgeschichte und <ul>Staatswirtschaft</ul> welches mir ein Hauptbedürfniß meines
Vaterlands scheint auch lateinische Autoren lesen, und Redübungen mitbetreiben helfen, nach meinen Kräften <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wissen Sie ein redlicheres, stärkeres und ausdaurenderes Subjekt für diese Anstalt deren Einrichtung so wie die Stärke
und Umfang seiner Nerven, Kräfte und erworbenen Anlagen Sie kennen, so bezeuge ich hiemit vor Gott den ich nicht
leichtsinnig zum Zeugen nehmen mag daß ich der Anstalt Glük wünschen und mit dem Schmerz hier nicht haben nützen zu
können mich auch a<note>Textverlust</note>hnen lernen werde ohne einen Gedanken von <note>Textverlust</note>le den, Ihnen und Ihnen ähnlichen,
mit voller warmer Hochachtung gewiedmeten wegzugeben oder ärmer an <note>Textverlust</note>m Gefühl zu <sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">
werden, mit dem ich auch schweigend mich jederzeit und überall nennen werde</sidenote><line type="break"/>
<align pos="right">Ihren<line type="break"/>
gehorsamstergebensten<line type="break"/>
JMR Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein Vater ist für mich reich, so auch meine Geschwister. Daß also das nicht in Anschlag
kommen darf.</letterText>
<letterText letter="322"><align pos="right">Dorpat. D. 6ten Jenner 1780.</align> <line type="empty"/>
Mein theuerster Herr Papa! <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eben komme von Hn. Grafen Manteuffel wo wir mit dem Dorpatschen Bruder und seinem Weibgen
und Kindern zu Mittag gegessen. Die Post geht in einigen Sekunden und dieser Brief ist dringender als
je einer war, um Ihnen zu berichten, daß, da ich itzt schon den halben Weg gemacht und noch die
Versäumniß bey des Herrn Assessor Bergs Sohn nachzuholen seyn wird, ich mit einer guten Gelegenheit
gerade nach Petersburg zu gehen denke, um wenigstens die Lage der Sachen einmahl in der Nähe zu
übersehen. Darf ich Sie nun wohl theurester Herr <page index="2"/> Papa! um aller Güte und Liebe willen die
Sie noch für mich haben, bitten, daß Sie <insertion pos="top">sogleich sich aufs Schloß verfügen und</insertion> ein gutes Wort für
mich bey Sr Erl. dem Hn. General-Gouverneur einlegen, ihm meinen Entschluß melden, und wie unentbehrlich
und für mein ganzes Glück entscheidend wohl jetzt ein Paar Worte Empfehlung von seiner Hand mir in
Petersburg <insertion pos="top">an den Herrn Geh. Rath Betzkoi</insertion> seyn werden, wo meine natürliche Schüchternheit, die Unbekanntschaft
mit der Sprache, folglich auch mit den Sitten, mir tausend <page index="3"/> Hindernisse in den Weg legen, gesetzt auch
daß ich von keinem Mitkompetenten, welche zu befürchten hätte. Se Erl. wissen besser, als ich es nöthig habe
zu sagen, wieviel bey der Schätzung der Kenntnisse und Brauchbarkeit eines jungen Menschen auf den ersten
Debüt ankommt und auf die Gelegenheit die man ihm macht, sie zu zeigen. Nicht die vollkommene Erfüllung
dessen was man sich von ihm versprochen, sondern nur die Fähigkeit, sich diesem Ideal durch eigenen Fleiß
künftig bis zur Vollkommenheit nähern zu <page index="4"/> können, ist das was man zu seiner höchsten Empfehlung
sagen kann. Geschichte, und Philosophie die den Staatsmann; Mathematick und Bekanntschaft mit den
Erfahrungen der alten und neuen grossen Feldherrn, die sie in ihren Tagbüchern hinterlassen, die den
künftigen Kriegshelden, bilden hoffe ich im Stande zu seyn, mit den dazu gehörigen alten und neuen
Sprachen zu dociren: vielleicht können Sr. Erlaucht schon aus der übersetzten Schrift beurtheilen, mit
welchem Glück in Ansehen Vortrages und Methode. … Eben kommen Freunde mich zu bewillkommnen. Verzeyhen
Sie theurester Vater daß ich bey der Eilfertigkeit der Post mit abbrechen muß, eh ich Ihnen noch gesagt,
mit welchen tausend Seegenswünschen und Grüssen Ihre sämtlichen lieben Kinder in Neuhau- <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der der zweiten Seite, vertikal">Ich lege das vom Hn. Gen. Gouverneur verlangte Blatt bey, worüber mir mit umlaufender Post aus Ihrer
Gütigkeit nur mit zwo Zeilen Antwort bitte, wenigstens sobald es seyn kann, weil die Reise nun mehr als
zu sehr pressirt. Ich werde noch acht Tage hier bleiben um die Briefe aus Riga zu erwarten. Theurster
Papa! bedenken Sie gütigst, daß dieser Schritt für mein ganzes künftiges Leben entscheidet und alle übrige
Aussichten schwankend und unsicher sind, auch immer bey dieser bestehen können.</sidenote> <line type="empty"/>
x<line type="break"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand der der vierten Seite, vertikal">sen und Dorpat Ihnen beyderseits die Hände küssen. Ich hoffe das nächstemahl mehr und umständlicher zu schreiben,
der Bruder hat Moritzens geschrieben, daß sie auch herüber kommen. Was für Grüsse hätt ich Ihnen nicht noch von
den Herrn Pastor Frank und Pastor Saß zu überschicken die mich wie Bruder Schmidt mit Freundschaft überhäuft haben.
Auch Herr Graf Manteufel empfiehlt sich nebst seiner vortrefflichen Gemalinn.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="5"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Wollten Sie die Gütigkeit haben, gegenwärtige Punkte zu Sr Erl. mitzunehmen, um mit ihm darüber zu sprechen. Sollte
er aber sie selbst zu sehen verlangen, bitte sie doch von Bruder Carl gütigst abschreiben zu lassen, weil ich dies
hier nur in der Eil entworfen und es mir unmöglich ist, ins reine zu bringen, weil die Post abgeht.. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Noch eins mein theurester Vater! Die Hauptsache zu meiner Reise ist Geld ich habe mirs zum Gesetz gemacht, Ihnen
damit nicht beschwerlich zu fallen; eins aber können Sie thun und um diese väterliche Barmherzigkeit muß ich Sie
ansprechen; daß Sie so gütig sind und bey Hartknoch mit ein gut Wort für mich reden und für mich, wenn ers fordert
kaviren. Ich hab ihm geschrieben, was ich <page index="6"/> brauche und wie bald ich ihm die Summe wiedergeben kann, ich mag
nun in Petersburg bleiben oder zurückkommen, im ersten Fall wird es nicht schwer halten, ihn <ul>höchstens</ul> in 3, im
letzten Fall, höchstens in 4 Monathen völlig zu befriedigen da ich Monatlich auf 30 Thlr <aq>Alb.</aq> stehe. Sobald ich
Hartknochs Brief erhalte, schick ich ihm die Obligation; werde also demselben und ein Paar Zeilen von Ihrer Hand mit
der ungeduldigsten Erwartung entgegensehen, da ich ohne diese nicht aus dem Fleck kann und nicht immer die Gelegenheit
sich so findet, daß die mich zu sehen neugie- <page index="7"/> rigen Geschwister und Freunde mich von einem Ort zum andern
schiessen. Lassen Sie uns also bester Vater! die Sache sattsam und gründlich angreiffen und nicht länger auf Luft und
Schatten einer ungewissen Zukunft bauen, da das Gegenwärtige so nicht wiederkommt. Das Künftige was meinem Herzen näher
läge, wird schon von selbst kommen, wenn es kommen will und kommen kann, welches mein Herzens Bruder Pegau der so gern
sich mit Träumen abspeist, die er freylich nach seinem Gefallen einrichtet, so schwer begreiffen kann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="6" annotation="am linken Rand der der sechsten Seite, vertikal">Hartknoch giebt gewiß wenn Sie bürgen wo nicht alles wenigstens soviel er kann: 3/4: die Hälfte wenigstens.
Hier ist alles abgebrannt.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="8"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Hauptsächlich aber daß man eine Zeitlang gearbeitet und sich bey den Planen anderer Leute versucht haben muß, eh man
selbst Plane machen kann. Verzeyhen Sie meine Eile und Feder und erfreuen mich, wenn Ihnen mein Glück und Ihre Zufriedenheit
lieb ist, baldmöglichst mit einigen gütigen Zeilen Ihrer Hand über diese wichtigen Punkte meiner Reise und meiner Bestimmung.
Nach tausend Handküssen von uns sämtlichst an Ihnen und meine theureste Mutter <line type="empty"/>
<align pos="center">Ihr</align><line type="break"/>
<align pos="right">gehorsamster Sohn<line type="break"/>
J M R Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="8" annotation="am linken Rand der der achten Seite, vertikal">Tausend Grüsse von Oldekops und allen Freunden an Sie, Mama auch Bruder Carl. … Die gutkranke Schmidtin wird Ihnen mit der
Post geschrieben haben.</sidenote></letterText>
<letterText letter="323"><line tab="1"/>Kraft dieser meiner Obligation bescheinige ich Endesunterschriebener, daß ich von Herrn George
Behrens in Riga die Summe von 100 Rbl. sage Ein hundert Rubel Silbermünze zum nothwendigen
Gebrauch als ein Darlehn empfangen und solche <aq>a dato</aq> innerhalb sechs Monathen, nebst den
gehörigen Zinsen <aq>a 6 pro Cento</aq> dankbarlichst wiederzubezahlen mich anheischig mache
Dörpat, den 18ten Jenner 1780. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<align pos="right">Jakob Michael Reinhold Lenz<line type="break"/>
der mathematischen und schönen Wissenschaften Beflissener. <line type="empty"/>
<hand ref="62">Ich bin zufrieden mit den 100 Rubeln ohne Intereße<line type="break"/>
G Berens</hand></align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
gut für hundert Rubel <line type="empty"/>
<line tab="1"/><hand ref="4">Den 13. April 1781. habe ich diese 100 Rbl. schreibe hundert Rubel dem Herrn Berends bezahlt
und ihm das Geld durchdem jungen Minsiterial Ehrenstreit zugesandt.<line type="break"/>
C. D. Lenz Sen:</hand></letterText>
<letterText letter="324"><align pos="right">Jamburg d. 30sten Jenner 80</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Lieber Bruder! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ganz wieder Versprechen bekommst Du schon itzt einen Brief. Wie wir unsere Reise angefangen,
wirst Du von unserm Verwandten Lieutenant Breyer erfahren haben. So giengs auch weiter und wir
sind wenigstens 25 mahl umgeschlagen und würdens noch öfter seyn, wenn nicht mein Reisegefärth
wie ein Herkules gearbeitet den Schlitten zu halten. Er bietet mir auch sein Haus in Petersbg.
an, bis ich ein Quartier ausgemacht, denn zu den grossen Aubergen London Demuth p will er mir
durchaus nicht rathen. Ich werde sehr wohl zur <aq>Intrada</aq> mit ihm berathen seyn; nichts destoweniger
schmerzt michs, daß ich Frau Obristin nicht gesprochen und sie gebethen, mir die Adresse des
Herrn Rittmeister Uckrainer, oder ihm meine zu geben, auf den Fall daß ich Igelströhms nicht mehr
vor mir finde. Ich denke er würde mir in Ansehung des Cadettenkorps und anderer Sachen die ausser
der Sphäre meines Condottieri liegen, vielen guten Rath haben geben <page index="2"/> können. Doch die
Vorsicht wird alles selber lenken; erschöpft wie ich von der Reise bin, kann ich mein Vertrauen
nur auf sie setzen. Kannst Du mir aber, wenn Herr Rittmeister U bald nachkäme, die Satisfaktion
ihn in Petersburg <del>noch</del> zu sprechen noch verschaffen, so wirst Du mir eine Freundschaft erweisen.
Tausend Empfehlungen an alle theuren Freunde und Gönner, Frau Obristin Oldekops und Danksagungen
ohne Zahl an Dein kostbares Weibgen; bis auf die nächste Zuschrift die ich unter Adresse des Herrn
Brauers zu erhalten hoffe vielleicht mit Herrn Rittmeister Ukrainer, den ich sehr zu sehen mich
sehne wie bis ins Grab <line type="empty"/>
<align pos="right">Dein treuer Bruder<line type="break"/>
J M R Lenz</align> <line type="empty"/>
<page index="3"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn Herrn Oberpastor <ul>Lenz</ul><line type="break"/>
Assessor des Consistoriums und Inspekter der Schulen<line type="break"/>
zu <ul>Dörpat.</ul></letterText>
<letterText letter="325"><align pos="right">St Petersburg. D. 11 Febr 80</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Mein theurester Freund und Gönner <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Schon lange hätte Ihnen mit glühender Freundschaft für alle die Proben Ihrer unschätzbaren Güte für
mich gedankt, wenn die gewöhnlichen Zerstreuungen von Petersburg und die noch hinzukommenden
Sorgen meines Gesuchs mich nicht abgehalten. Gewiß, mein würdiger Gönner! es ist wahr was die
Naturkündiger behaupten, daß sich in der ganzen Natur nur die ähnlichen Wesen vereinigen, und
daß dieses Gesetz die Freundschaften ebensowohl schließt als die Verbindungen der Blutsfreundschaft.
Ihre ganze Familie besteht aus Leuten wie Sie sind, das heißt Leuten, die die völligste Ehrerbietung
unsers Herzens verdienen.<line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich bedaure daß ich Ihnen noch nichts näheres von meiner Bestimmung schreiben kann, theils weil die Zeit
zu kurz ist, theils weil ich noch weit vom Ziel bin. Indessen ist Hofnung da, es zu erreichen, wenn die
Vorsicht die alle Herzen lenken muß und wird zu meinen Wünschen und Bemühungen Ja spricht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Seyn Sie unterdessen so gütig und übersenden mir unter dem Couvert des Herrn Schwagers eine nunmehr
ausführliche Note von dem was Ihnen schuldig bin. Herr Brauer wird Ihnen gemeldet haben, daß die Schleiffen
hier nicht für dismal gebraucht <page index="3"/> werden konnten, so wenig als die Knöpfe, weil sie von anderer Couleur
als die Weste waren. Doch könnt es vielleicht seyn daß wenn Sie sie sonst nicht besser los werden, ich sie
Ihnen künftig zu einem Wrak abnehmen kann. Wie besagt, die letzte Note von den Schnupftüchern, Hut u. s. f.
nebst dem Zeuge zum Kleide und Futter habe noch zu erwarten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der zweiten Seite, vertikal">Darf ich so frey seyn ein kleines Briefgen beyzuschliessen, das ich auf keine andre Art nach Derpt zu
bringen weiß.</sidenote><line type="break"/>
Der Frau Gemalinn bitte zu sagen, daß man sie stündlich auf den Sommer hier erwartet <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von meinen Umständen wird Ihnen der Herr Schwager nächstens und vielleicht gute Neuigkeiten schreiben. Ich höre der
Herr Sohn sollen mit General Berg herüber kommen. Das wäre mir eine angenehme Neuigkeit die vielleicht selbst auf mich
Einfluß haben könnte, wenn bis dahin nicht schon alles richtig ist. Empfehlen Sie mich Ihrer fürtreflichen Gemahlinn
und samtlichen Angehörigen und behalten im freundschaftlichstgütigen Andenken <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihren<line type="break"/>
ganzergebensten Diener<line type="break"/>
J M R Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand der dritten Seite, vertikal">Herr Aelster Schow wird nun wohl retunirt sein. Es war unvorsichtig vom Derptschen Magistrat mit dem Gouvernement zu
hadern, da die Sache der Statthalterschaften noch seit Beginnung der Welt in Rußland auf keinem bessern Fuß gestanden.
Sehr unvorsichtig!</sidenote> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
<aq>A Monsieur<line type="break"/>
Monsieur Peuker<line type="break"/>
Translateur du College des Affaires Etrangers Maitre des Postes.<line type="break"/>
<ul>Dorpat</ul></aq></letterText>
<letterText letter="326"><align pos="right">St. Petersb. d. 27sten Merz</align><line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mein schätzbarster Freund! Ich weiß diesen Brief nicht besser an Ihre Demoiselle Schwester gelangen
zu lassen, als durch Ihre Hand und bediene mich der Gelegenheit, so vielleicht die ersten und besten
Nachrichten von Ihrem allerseitigen Wohlbefinden zu erhalten. Ich hatte vor meiner Abreise ein Abschieds-
und Danksagungsschreiben an Ihre Mad. Schwester und zugleich an Ihr ganzes verehrungswürdiges Haus
aufgesetzt, da ich aber eben aus einer schweren Leibes- und Gemüthskrankheit, von der Sie vielleicht gehört
haben, genesen war, so mußte ich aus den Folgen schließen, daß Sie dasselbe nicht erhalten. Das ist die
Ursache, warum ich eine mir so angenehme Schuld itzt nachhole. Ich habe viel ausgestanden in der Krankheit
und auf der Reise, mein Körper und meine Munterkeit haben dadurch gelitten, das einzige was mir geblieben
ist die Erinnerung und das Gefühl für alle Freundschaft und Güte, die mir bey meiner Entfernung vom
Vaterlande wiederfahren. Ich wünschte nicht, daß Sie in ähnliche Situationen geriethen; so sehr ich von
Herzen wünschte, Ihnen worin dienen zu können. Ich erinnere mich von Ihrem Herrn Vater gehört zu haben,
daß Sie eine der deutschen Universitäten besuchen wollten. Sagen Sie mir welche es seyn wird; vielleicht
hab ich dort einige Bekanntschaft. Sollte Sie aber einmal mehr als Neugier, sollten merkliche Aussichten
Sie in unsere Gegenden herüberführen, so seyn Sie versichert, daß ich alles anwenden werde, was in meinem
Vörmögen ist, Sie meiner unveränderlichen Hochachtung und Erkenntlichkeit für Ihre ganze würdige Familie
zu überführen. Wahr ist es daß der Schwürigkeiten befördert zu werden, hier mehr sind als anderwärts,
Schwürigkeiten die ich als Einheimischer bis zur Aufgebung aller Hofnung erfahre und die einem Fremden
doppelt auffallen müssen. Eine Menge Leute von Talenten, die von allen Orten her hier zusammenfliessen und
durch Connexionen und Cabale jedem Unerfahrnem den Weg verbauen, ein hartes Klima, eine höchst theure
Lebensart, fremde Sprache und Sitten und eine Art von Zusammenverschwörung gegen den, der die beyden letztern
nicht kennt tausend Ungemächlichkeiten, die mich die eine Reise zu Land und Wasser von einigen 700 Stunden
bald vergessen machten. Alsdann der Pöbel und das Gesinde in einer grossen Stadt, der zu tausend Ausschweifungen
vertritt, und der Arbeit ungewohnt, wegen Diebereien und oft den grausamsten Verbrechen, eine Art von Feind
ist gegen den man beständig zu Felde liegt kurz alles alles lieber Freund was sich besser denken als sagen
läßt, machen die Versorgung hier unaussprechlich schwerer als anderwärts, so wie vielleicht kein Ort ist wo
man so leicht und so glänzende Hofnungen gibt, die das Unheil nur grösser machen. Nein mein Freund! wahres
Verdienst, Tugend und Wissenschaft müssen besondere Wege finden sich geltend zu machen an einem Ort, wo jeder
durch die seltsamsten Schicksale hergeworfene und verschmitzt gewordene Fremde sich das Ansehen von Verdienst
und Tugend zu geben weiß kurzum, wo man Gott dankt, daß man Othem holt. Es ist wahr daß die höchste
Monarchin und verschiedene Grosse hier einen unbestechlichen Sinn für wahren Werth haben aber der Weg zu
ihnen wird einen bis von den geringsten Personen auf eine solche Art verrammelt, daß eine Lebenszeit daraufgeht,
eh Glück oder Zufall ihn eröfnen. Dies muß ich Ihnen schreiben, weil eine gewisse Meynung die auswärts noch
von vorigen Zeiten herrscht, als Verdienste seltner waren, einen Fremden leicht verführen kann, sich die Sachen
bey weitem anders vorzustellen, als sie sind; eine Meynung, die tausend Unheil anrichten kann. Ich bin noch nicht
befördert und weiß noch nicht ob Petersburg oder Schweden mir nur den nothdürftigsten Unterhalt geben wird, den
man oft mit den glänzendsten Namen bezeichnet <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich Ihren <aq>Mlls.</aq> Cousinen und sagen Ihnen, daß ich keinen von Ihren und meinen Freunden in Curland
gesprochen, da meine Reise zu Wasser gieng. Von denen Herrn v. Kleist habe gehört, daß sie sich in Curland verheurathet:
von Herrn v. Medern weiß ich nichts zu sagen. In Kurland wenn man Bekannte unter dem Adel hat, giebts noch eher
Aussichten als hier, wo die ganze Welt möcht ich sagen sich zusammendrängt. Doch werden Sie selbst leicht errathen,
warum ich meine Verbindungen dort mit Fleiß abgebrochen, da sie von keiner Dauer seyn konnten. Für einen Fremden,
besonders für einen Juristen könnten sie es eher seyn, auch für Theologen, die die Landessprache lernen. Haben Sie
mir keine Nachricht von Herrn Ott zu geben? Der Minister bey dem er <aq>engagirt</aq> war ist jetzt in Moskau. Empfehlen Sie
mich Dero sämtlichen Angehörigen und lieben unaufhörlich <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihren ergebensten Freund <line type="empty"/>
JMR. Lenz.</align> <line type="empty"/>
Dem Herrn Cousin, Herrn Amtmann Schöll meine verbindlichste Empfehlung</letterText>
<letterText letter="327"><align pos="center">Meine theureste Freundin</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da Ihnen mein Abschieds und Danksagungsschreiben, das ich nach der Genesung aus einer schweren
Krankheit an Sie schickte, vermuthlich aus dieser Ursache nicht zu Händen gekommen; so hoffe ich,
diese Schuld aus der Entfernung wo nicht abtragen zu können, doch wenigstens durch mein
Stillschweigen nicht zu vermehren. Sie und Ihre fürtrefliche Familie waren es, die in einem
fremden Lande, auf immer, wie es schien, getrennt von den Meinigen, an einem kleinen ungesunden
Ort, ohne Umgang, ohne Verbindungen den trübsten Stunden meines Lebens diejenige Aufmunterung gaben,
deren Eindrücke mich über das Grab hinaus begleiten wer. den. Sie waren es, die mein Herz zu jedem
zärtlichen Verhältniß wiederstimmten, das ich in meinem Vaterlande abgerissen. Der geschmackvolle und
lehrreiche Umgang mit Ihren würdigen Cousinen, Ihre gegenseitige Freundschaft, die glücklichen
Wendungen, die Ihr eigenthümlicher Geschmack, Ihr Witz und Ihre Empfindung jedem Zug in ihrem Karakter,
so wie dem Karakter abwesender Freunde von denen wir uns offt unterhielten, zugeben mußte; mich
anzuspornen wußte, ihnen nachzu eyfern, um Ihres unbestechlichen Beyfalls würdiger zu werden, waren
damals die Muse meiner glücklichsten Stunden und sind nachher noch offt der Gegenstand meiner einsamen
Unterhaltung gewesen. Sie hatten die Züge einer meiner geliebtesten Schwestern und wenn die Verschwisterung
der Seelen keine Schimäre ist; so erlauben Sie mir, Sie unter diesem Karakter noch abwesend zu verehren.
Ja theure sanfte Seele, wenn ich Sie mir unter diesem Klima denken könnte, hier wo der Mangel der lieblichen
Witterung und Früchte, fremde Sitten und eine fremde Sprache, Ihren Lebensgeistern vielleicht den glücklichen
Umlauf wehren und Sie hindern würden, Sie selbst zu seyn: so würd ich sie <insertion pos="top">ganz</insertion> in Ihnen <del>allein ganz</del>
wiederfinden. Wenigstens sagen Sie denen, die itzt ein näheres Recht auf Ihre <page index="2"/> Theilnehmung und
Freundschaft haben, daß der Eindruck Ihres Karakters, das Nachahmungswürdige desselben, mir offt die schwürigsten
Knoten des Lebens habe lösen können: ein Vorzug, den Sie mit noch einer Freundin aus jenen Gegenden, die itzt in
erhabenere versetzt ist theilen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Meine Reise darf ich Ihnen nicht beschreiben: sie war, wie die Reise durch die Welt, langsam und beschwerlich,
mit manchen angenehmen Ruhepunkten. Ich sah endlich die Thurmspitzen von Riga und die Ufer meines Vaterlandes
mit einer wunderbar vermischten Empfindung. Alles fremdete mich an bis ich die Meinigen wiedergesehen, von
denen ich dennoch einige bis jetzt noch nicht umarmt habe. So zerstreut sind sie und an so verschiedenen Enden
des Landes haben sie sich niedergelassen. Gegenwärtig bin ich in einer der größten Städte, abermal wie ein Fremdling
und es wird Zeit brauchen, ehe ich über Personen und Sachen gehörig urtheilen kann. Ach wie viel ruhiger und schöner
ist es in dem Gärtgen zu S als an den getümmelvollen Häfen. Geniessen Sie dieses Glücks ohne erst durch den Contrast
versuchen zu wollen, ob es auch wirklich wahr sey, daß man es der sogenannten großen Welt vorziehen könne.
Unglücklich genug <page index="3"/> ist der, der durch seine Situation dazu gezwungen ist. Er hat sich aufgezehrt, eh er zu
leben angefangen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich werde schwerlich die glücklichen Ufer des Rheins wiedersehen; sie die so viel Wesen, als die grossen Städte
Schein haben aber ich werde mich noch offt der Rheininseln erinnern, wo wir tanzten, des freundschaftlichen
Lichtenau, wo die Freude wohnte, deren Maske hier niemand mehr betrügen kann, der Plätze alle, wo wir uns offt
von x x besprachen, oder mit Ihren Cousinen ein gutes deutsches Lied sangen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lassen Sie mich hier abbrechen und nur noch fragen, was Ihr Herr Bruder macht was Ihre würdigen Schwestern machen.
Die schalkhafte Selma u. die altkluge Sophie konnte es ein schöneres Conzert für Ihre weiche sanfte Seele geben,
als der Rath, der Umgang die Laune solcher Schwestern. Wie? sie sollten sich verändert haben? Nimmermehr! so wenig als
F. B. sich verändern kann von den Veränderungen des Karackters zu verstehen, denn das andere, deucht mich, würde
nur dann nicht zu verzeyhen seyn, wenn es eine Veränderung zum Schlimmen wäre. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Empfehlen Sie mich Ihren theuresten Eltern und sagen ihnen, daß seit meiner letzten Krankheit meine Munterkeit so
ziemlich hin ist welches Sie auch meinem Brief wohl anmerken werden und ich jetzt in den <page index="4"/> Pfänderspielen
zu S. eine sehr traurige Figur machen würde. Ich habe eine Mutter verloren ich habe mehr verloren Gegenstände
genug, die mir das Grab anfangen könnten lieb zu machen wenn nicht noch Personen auf dieser Oberwelt wären, an deren
Glück ich anwesend oder abwesend von Herzen Theil nehmen könnte <insertion pos="top">es</insertion> mich vielleicht anstecken würde mit Lebensfreude. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Und so leben Sie denn wohl theureste Freundin und findet sich eine Gelegenheit mit einem reisenden Freunde oder sonst
mir eine Nachricht von Ihnen von Ihnen allen zukommen zu lassen von Ihren Strasburgschen Freunden nicht zu vergessen
so werden Sie mich sehr glücklich dadurch machen. <line type="empty"/>
Ich aber werde unter jeder Veränderung bleiben<line type="break"/>
<align pos="center">ein</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<align pos="right">mit ganzer Seele theilnehmender Bruder <line type="empty"/>
J M R Lenz.</align><line type="break"/>
St. Petersbg. den 27 Merz 1780. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand der vierten Seite, vertikal">Dem verehrungswürdigen Herrn Onkel und ihren sämmtlichen fürtreflichen Strasb. Cousinen bitte meine beste Empfehlung zu
versichern. Wenn Ihr Herr Bruder an mich schreiben will, so lassen Sie ihn nur die Adresse an meinen Bruder machen: den
Oberpastor Lenz in Dörpat p. Francfort, <aq>Memel et Riga,</aq> weil ich noch keine Bestimmung habe</sidenote></letterText>
<letterText letter="328"><align pos="right">StPetersburg d. 28sten Merz. 80.</align> <line type="empty"/>
Lieber Bruder! <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dein anhaltendes Stillschweigen macht mich nur immer dreister und weil der der einen Finger hat,
nach Petersbg. Methode die Hand nehmen muß, wenn er sich und andere nicht in Verlegenheit setzen
will, so schicke Dir noch einen Beytrag zu meiner nothwendigen auswärtigen Correspondenz, welcher
sie aber auch wohl auf immer beschliessen wird. Wohin dieser Brief geht, wirst Du leicht errathen
und was er mich gekostet, wird Dir Dein Herz sagen. Es hält schwer sich in abgerissene Verhältnisse
hineinzusetzen, wenn einen die gegenwärtigen bis an die Seele einengen. Ich habe unrecht, daß ich
diesen Brief nothwendig nenne, denn wegen der Personen die er angeht, ist er nur billig und schön,
auch wohl nicht unerwartet, da ich ein 4 Jahr kontinuirlich das Haus, an dem ich Dir die Adresse gebe,
wie ein Naturalisirter Strasburgischer Freund besucht und es von keinem Landsmann, der es gekannt, noch
ohne diese Höflichkeit geblieben. Auch hab ich ihm die <ul>Flüchtigen Aufsätze</ul> in gewisse Art dedicirt,
die in der Schweitz herauskamen. Die Adresse des Briefes ist: <ul>A Mons. Brion, Etudiant en Philosophie a Strasbourg,</ul>
zu erfragen und abzugeben in dem Hause des Herrn geh. Rath Schöll in der Schlossergasse. Das Porto wirst
Du noch dismal so gütig seyn, auf Deine Hörner zu nehmen und mir mit dem für den vorigen zu berechnen. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand, vertikal">geheimen Rath</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Gestern macht ich mit einem aus Kamtschatka hieher zurückgekommenen kommandierenden Major Böhm einen Besuch
bey dem bekannten Herrn Prof. Pallas, der mich sehr glücklich gemacht hat. Ich hoffe noch besser und näher mit
ihm bekannt zu werden, obschon seine Wohnung so entlegen ist. Das einzige was mich abhalten könnte, wäre die
Furcht, mit zu einer Bereisung der dortigen Gegenden (so vortheilhaft auch <page index="2"/> sonst die Bedingungen seyn mögen)
angetreten zu werden. Es giebt gewisse Anträge die sich mit guter Art nicht ablehnen lassen und das Beyspiel fast
sämtlicher hiesigen Professoren und Adjunkten der Akademie <insertion pos="top">Güldenstedt, Georgi, Pallas etc. </insertion> würde Aufmunterung
oder Versuchung genug seyn Gott lenke meine Wege nach seinem Rath! Pallas versichert, daß es ihm unter den Ostiaken
besser gefallen als in Petersburg. x Doch sag hievon niemand es ist <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal"><note>Verweiszeichen</note> eine Grille, die von hundert Personen auf eine so schiefe Art ausgelegt werden könnte daß mir angst
und bange werden würde. Es ist indessen gut, alle Ressourcen von Petersburg zu kennen.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Lieber Bruder! wenn Du doch einen der Liphardschen Häuser sprichst, laß gelegentlich was durchschwitzen, von dem
befremdlichen, mit Petersburg nicht allein, sondern mit allem was in der ganzen Welt Handlung heißen kann, so <aq>barbaro modo</aq>
unkundigen Betragen des Bar. Gustav Schulz gegen unsern liebenswürdigen Brauer. Er schreibt ihm einen Brief, als ob er
ihn an seinen Domestiken schriebe, den er in Petersburg zur Bestellung seiner Brandweinslieferungen besoldet. Nun kannst
Du Dir vorstellen was das in einem der ersten Handlungshäuser in Petersb. für Eindruck macht. Er hat ihm die erste
Brandweinslieferung, wie er mir aus seinem Buch gewiesen, mit 8 Rubeln eigenem Schaden besorgen helfen, seine Unruhe
Mühe Sorgen und Bestellungen ungerechnet, da er bey seinen anderweitigen ausgedehnten Geschäften noch so manche
Versäumnis obeneinhat. Er hat den Inspektor den jener her geschikt ganz wieder die Regeln des Kaufmanns, als
Freund <insertion pos="top">des Barons</insertion> selbst mit den Connexionen bekannt gemacht, von deren Verhehlung er seinen Profit hätte machen
können: nun glaubt dieser, die Sache allein eben so gut ausrichten zu können worin er sich aber sehr betrügen wird.
Er hat ihm Gelder ausgezahlt, die dieser, immer unbescheidsamer gemacht, bis zu der Prätension ausdehnte, für ihn
Geldremessen an entfernte Personen in Liefland zu machen, deren Aufenthalt er nicht einmal weiß, ja sich für sehr
gravirt hielt, daß es nicht <page index="3"/> so gleich und so prompt geschehen war. <insertion pos="top">als er an fremdes Geld kommandirt
hatte.</insertion> Er nennt die Fastagenbrake die hier nothwendig ist, besonders da seine Fässer nicht nach dem Kransmaaß waren,
die Reparatur seiner Pipen, die er doch selbst verlangt, das Bewachen seines Vermögens u s f. Schikanen und meynt
man hätte mit 1/3 von 88 Rblen* <!-- Verweiszeichen -->die er zu allem bewilligt, die Richter, unter denen Etatsräthe sind u s. f. die Pächter
und alles bestechen können, sie ihm zu ersparen. Er glaubt daß der Transport in einem Ort wie Petersbg. so wie dort
auf dem Lande umsonst geschehe, kurz daß hier jedermann sich zu seinen Diensten umsonst kommandiren läßt, wie seine
Unterthanen. Auch ist der Brief an Brauer völlig in dem Ton eines Souverains den dieser mit Stillschweigen und
Mitleiden <insertion pos="top"><del><nr> </nr></del></insertion> erwiedert und abwartet; wie er sich bey dem Rath vermuthlich eines unvernünftigen Untergebenen, der
die Sache die er durch Brauers Hilfe ausgerichtet, nun eben so leicht und vermutlich mit Vortheil für sich auszurichten
meint, in kurzem befinden wird. Ob er alsdenn statt der billigen Erkenntlichkeit für die Sicherheit seiner Entreprise
und für seinen Gewinnst den man ihm in Gold und Silber umgesetzt zuschickt, um den Insp. der sonst Monathlang hätte
lauffen können, in einem halben Tage abzufertigen, kurz für Ansehen Credit und Connexionen womit Brauer ihn unterstützt
hat, noch über Schikanen und aus Versehen in die Rechnung eingeführte Posten schreyen wird. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand, vertikal">* <!-- Verweiszeichen --> er weiß vermuthlich nicht wieviel 1 Rbl. in Ptersb. macht. Er will nicht wissen, daß niemand hier einen Schritt
umsonst thut und daß sein Schwiegervater d. H. Tulander Eymerweise bezahlt Da des Schwiegersohns Eymer grösser,
unbehandelsamer sind und beym Aufrollen jedes allein 8 Cop. beym Abrollen 7 gekostet, welches er auf soviel 1000
Eymer berechnen kann. Daß das Geld in der Festung in Kupfer ausgezahlt wird soviel tausende daß das Zählen
bewachen doch wer kann da für Verdruß endigen. Mag ers anders probiren! und sichs stehlen lassen</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin weder Kaufmann noch Liefrungsverständiger, soviel aber sehe aus dem Briefe den mir Brauer vom Baron gewiesen,
daß er Petersburg nicht kennt und wenn ers auch durch keinen Unglüksfall für den er sich gar nicht in Acht zu nehmen
nöthig zu haben glaubt zu seinem Schaden kennen lernt (da er meynt, Geld zehle, bewache und transportire sich selber)
er wenigstens in kurzem einsehen wird daß der Staat den Handlungsstand so sehr zu schätzen weiß als den
<insertion pos="top">stolzen und dummen</insertion> von entfernten Landsassen. Ich küsse Dein Weib und Kinder und bin nach 1000 Empfehlungen an alle
Gönner und Freunde Frau Obr. Oldekop Peuker <line type="empty"/>
<align pos="right">Dein treuer Br.<line type="break"/>
JMR Lenz.</align> <line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Sey doch auch so gut wenn Du Papa schriebst, ihn zu bitten, gelegentlich was einfliessen zu lassen, für all die
Freundschaft und Güte die mir Brauers <ul>(u. Pflugs)</ul> hier zukommen lassen. Sie verdienen es doch wahrhaftig. Wäre es
auch möglich daß Du an Hn. Major Igelstrohm, der Dich jedesmal grüssen läßt, für alles was er mir erzeigt hat, ein
Paar Worte auf der Post schriebst würd ich es als ein Zeichen Deines brüderlichen Herzens erkennen. Von Papa selbst
könnt ein Brief der so eingerichtet wäre daß ich ihn allen Gönnern und Freunden vorlesen könnte mir <insertion pos="left">auf einmal</insertion> sehr
beförderlich werden. Bitt ihn doch daß er sich in demselben aber des allzuängstlichthuns enthalte, weil es in aller
Absicht mehr schadet als nutzt und auf seinen Karakter ein <insertion pos="left">häßlich</insertion> falsches Licht wirft. Mit Klagen ist hier gerade
<ul>alles zu verschlimmern</ul> und niemals was auszurichten, welches ich wohl erfahren besonders wenn man weiß, oder zu wissen
glaubt, daß der Klagende keine Ursache dazu hat. <line type="empty"/>
Die Versäumniß dieser Stücke hat mir bisher schon <insertion pos="top">viel</insertion> geschadet. viel bey allen <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich werde ihm nächstens selbst drüber schreiben. Ueberhaupt macht es eine unfreundliche Miene, daß ich von meinem Vater
hier keinen Brief vorweisen kann weil in den seinigen von Versinken in Schulden, Gefängniß Verfaulen in der Polizey
u. s. f. die Rede ist Ausdrücke die hier häslich könnten angesehen werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal, linke Spalte">(auch an Past. Wolf könnt eine Erinnerung in Deinem Briefe nicht schaden, der mich so oft invitirt und so oft Deiner
gedacht hat, auch mich nach Dir fragt.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Schreib es Papa aber auf keine Art die ihn aufbringen oder auch nur verdrießlich machen könnte, wenn Du seine Ruhe und
mein Leben lieb hast. <line type="empty"/>
Ich mag mich darüber selbst nicht beschweren, weil ich <del>es</del> fürchte <insertion pos="top">es</insertion> mit zu viel Heftigkeit zu thun. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal, rechte Spalte">Besonders da er noch keine Ausgaben hier für mich gehabt hat; und mit Gottes Hülfe (wozu er aber doch wenigstens soviel
beytragen muß, daß er mich mit seinem Ansehen unterstützt und nicht thut, als ob ich ein <ul>geborener Knecht</ul> wäre) es doch
in kurzem zur Entscheidung kommen muß Auf die Art schadet er mir mehr, da jedermann aufmerksam werden würde, warum er mir
unfreundlicher als andern Geschwistern begegnet.</sidenote></letterText>
<letterText letter="329"><line tab="1"/>Hier ein Paar Briefe lieber Bruder! die ich Dir offen zur schleunigsten Bestellung überschicke, damit
Du Ihren Innhalt mit erfahrest. Ich habe keinen Augenblick übrig, da ich nun erst die Ausarbeitung an
Gen. Purpur machen will u. durch obige Anträge ohnehin noch gezerrt werde. Sollte ich hier bleiben
müssen und sonst keine Retirade wissen, so werde ich noch einen kleinen Vorschuß bis zum Herbst
etwa in Riga oder Derpt anzusprechen genöthigt seyn. Macht Igelström das mit dem Sachsischen Gesandten,
so wärs was anders. Es muß aber geheim bleiben. Narischkin verspricht mir einen Charakter und wenn ich
wiederkomme, einen Platz im Reichskollegio. Aber es sind Versprechungen Was soll ich wählen. Rathe mir
und schreib mir bald. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Empfiehl mich allen guten Freunden, der theuresten Frau Obristin, Past Oldekops vorzüglich. Sag der ersten
daß ich mit Hrn Pflug ihrer Frau Schwester die Aufwartung gemacht, aber Herrn Rittmeister Ukräiner noch nicht
angetroffen. Gott wenn ich nach Schweden reisen sollte noch weiter Lebewohl Lieber und rathe Deinem<line type="break"/>
<align pos="right">treuen und betrübten Bruder JMR Lenz.</align> <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="Am linken Rand, vertikal">Hunderttausend Grüsse und Küsse Deinem lieben <aq>Nekasaika</aq> und sämtlichen Angehörigen.</sidenote> <line type="empty"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Herrn<line type="break"/>
Herrn F. D. Lenz<line type="break"/>
Oberpastor und Assessor des Consistoriums<line type="break"/>
zu <ul>Dörpat.</ul></letterText>
<letterText letter="330"><align pos="center">S. T.<line type="break"/>
Schätzbarster Freund!</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Neue Situationen, öfnen neue Aussichten und knüpfen die alten Verbindungen freundlich wieder an.
Ich nahm Abschied von Ihnen, als ich der Trödelbude der Welt müde, mich der Natur in der stillsten
Schweitz in den Schooß warf. Sie hat mich in mein Vaterland zu führen gewußt, wo mir jede ehmalige
Verbindung neuen Werth erhält. Ich bin bisher von allen litterarischen Neuigkeiten durch meine Schuld
abgeschnitten gewesen. Sie werden mich verbinden, wenn ich deren einige und von Ihrer Hand erhalten
kann, die für mich den Stempel der Zuverlässigkeit mehr als eine andere führt, da ich zu entfernt bin,
als daß sich Leidenschaften zwischen uns einmengen könnten. Also werden Sie auch von mir welche erhalten,
an denen Ihnen gelegen seyn könnte. Doch bitt ich zum voraus, keinen andern Gebrauch davon zu machen, als
sich mit meinen <page index="2"/> Verhältnissen wird vertragen können, worüber mir die Zuverlässigkeit und
Unbestechlichkeit Ihres Karakters bekannt ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Was macht also zuförderst Vater Klopstock den ich durch ein Mißgeschick, wie soviele Edle auf meiner Reise
habe <insertion pos="top">ver</insertion>fehlen müssen. Und unser fürtrefliche Leibarzt Zimmermann von dessen Sohn ich noch aus Zürich gute
Nachrichten mitgenommen. Es wäre unaussprechlich Schade um eine der feinsten und schönsten Seelen unsers Jahrhunderts
gewesen, vielleicht durch blossen Kützel des feindseligen Witzes, der lang unter uns Ton gegeben, so ganz erdrückt
zu werden. Ach wenn wird Thalia wieder lachen können, die nur das faule Fleisch wegätzt und der edlern Seele neue
Lebenskräfte giebt. Sie die im Gefolge <page index="3"/> der Bachanten und Menaden das Angesicht verhüllen muß; wie jener
Grieche bey der Aufopferung seiner Tochter. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von Ihrem Museum weiß ich fast nichts mehr so wenig als vom Merkur, da wir hier periodische Blätter mit näherer
Beziehung auf Vaterland haben. Doch könnten sie sich vielleicht mit Ihnen zu ähnlichen Zwecken vereinigen, ohne
einander im Debüt zu schaden, da die deutsche Litteratur, wenn sie mehrere Angelegenheiten Rußlands aufnähme, hier
vielen Eindruck macht. Vielleicht gibt es in unseren entferntesten Gegenden, echtere Deutsche als bey Ihnen.
Verzeyhen Sie mir diese Impertinenz, die wie alle Machtansprüche auch ihren Theil Wahrheit hat, da vielleicht unter
keiner Regierung sich Expatriierte von allen Ständen und Fähigkeiten so genau an ein ander geschlossen und so freundliche
Behandlung erfahren. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich muß schliessen, weil mir kaum soviel Zeit übrig bleibt, Ihnen zu sagen, daß hier ein ehmaliger Eleve von Ihnen,
Herr Legationsrath Claudes mir bekannt worden und ich mit ihm näher bekannt zu werden wünschte um Ihnen mit mehr Eindruck
versichern zu können, daß ich nicht aufhören kann zu seyn Ihr<line type="break"/>
<align pos="right">verbundenster Fr. u. Diener<line type="break"/>
J M R Lenz.</align> <line type="empty"/>
Petersbg. D. 5ten April 1780. <line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Wie befindet sich Herr Bürger was machen Pfeffel und Schlosser, die zu weit von mir sind, um sie zu erreichen. Doch bitt
ich dem letzten, Herrn Hofrath Schlosser zu schreiben, daß er sich eine unrichtige Vorstellung aus meiner <ul>eben so unrichtigen</ul>
Nachricht von meiner gegenwärtigen Situation macht; über die ich ihm, sobald ich es bestimmter <dul>thun kann,</dul> schreiben werde.
Doch könnte das Kadettenkorps in Berlin und Herrn Rammlers Situation in demselben ihm ein richtigeres <aq>point de vue</aq> abstecken
helfen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Von Herrn Bause der Ihnen diesen Brief vielleicht selbst abgiebt, vielleicht zuschickt, habe Ihnen noch nichts sagen
können. Er geht nach Dessau, aus einem Zuge der Gemüther die mit gleichem Erfolg auf gleiche Zwecke arbeiten. Nur daß
sein Standpunkt verschieden und ihrem Journal viele Mannichfaltigkeit und Nutzen mehr geben wird, in das er Beyträge
von Petersbg. aus liefern will. <line type="empty"/>
Er wird Ihnen meine Adresse sagen, doch besser wärs, Sie schickten ihm Ihren Brief zu.</letterText>
<letterText letter="331"><align pos="center">S. T.<line type="break"/>
Hochgeschätzter Freund</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Gelegenheit, die sich mir anbietet, Ihnen zu schreiben, ist mir zwiefach willkommen, theils um
mich einer nur zu lang aufgeschobenen Pflicht zu entledigen; für die ich ausser der Ihnen zur
Gewohnheit gewordenen Güte und Theilnehmung gegen Fremde, keine Entschuldigung weiß; theils
um einen Freund aus Petersburg, der sich selbst am besten empfehlen wird, zum Zeugen und
Theilnehmer an meiner Erkenntlichkeit zu machen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herr Bause, Lehrer an der Petri-Schule <page index="2"/> möchte eine Reise nach Deutschland thun, um alle
den Kakochymischen Spleen, der sich bei gleichförmigen Arbeiten, die in die Welt keinen Einfluß haben,
anzusetzen pflegt abzulegen und mit erneuter Munterkeit und vermehrter Kraft seine Lautbahn wieder
anzutreten. Der Hypochonder, der gewöhnliche Feind der Schullehrer, besonders, wo ausländische Verhältnisse
sie drücken (ein Verdienst, daß die Philanthropine um unsere Schulen haben) wird, durch den Anblick des
Vaterlandes vielleicht, durch die Unterhaltung mit würdigen und verdienstvollen Gelehrten und durch
Verbindungen mit ihnen verschwinden. Alles Wissenswürdige und Schöne wird dazu beytragen, das ist es
was ihn hauptsächlich nach <ul>Weymar</ul> und auf meinen Rath an Sie <page index="3"/> führt. Sollten Sie noch einigen
Zusammenhang mit Dessau haben, so werden Sie ihn und vielleicht mehrere Personen verbinden wenn Sie
ihm ein Verhältniß mit den dasigen Lehrern befestigen helfen. Sie brauchen einen Mitarbeiter an ihr
Erziehungsjournal, der gesammelte und bewährte Erfahrungen aus derselben Laufbahn, wiewohl von einem
andern Klima her, zu der ihrigen gesellte. Ein Mann der in dieser Absicht zu ihnen reist giebt ihnen
Ehre, indem er von ihnen Ehre annehmen will und mich dünkt, es wäre einmal Zeit, daß sich die Philanthropine,
auch wegen ihres Kredits in Rußland an die Schule anzuschließen anfiengen. Herr Bause wird hier
allgemein geschätzt und einem Mann seines Schlages würde der Professor Titel bey ihnen, unter dem er an
unsrer Schule fort arbeitete, statt aller Honorarien <page index="4"/> seyn. Man trug mir einmal auf, Schriftsteller
beißym Philanthropin zu werden; ich kann mich nicht besser rächen als durch Empfehlung eines Tüchtigern. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dem Triumvirat in W. darf ich nicht bitten, mich zu empfehlen. Sie haben zu viel zu thun, um an mich zu
denken. Auch wärs ihnen zu verargen, wenn sie die Gunst des freundlichsten der Fürsten minder beschäftigte.
Ihnen darum keinen Vorwurf gemacht, wenn Sie auch mir einige Ihrer Neuigkeiten mittheilen. Der den Vorzug
hat von einer Nation zu seyn, die vielleicht in der Krise der unverdorbensten Originalität steht. Eine
Nation bey der Werther, der mißverstandne Werther in 24 Stunden vielleicht mehr <ul>Verwüstungen</ul> anrichtet,
als an den geschwätzigen Ufern des Rheins u. der Donau in soviel Jahren wo aber auch die stummen Scenen
Ihrer Elfride auf eine Art ausgeführt und <ul>sentirt</ul> werden, von der Sie vielleicht (so grosse Hochachtung ich
für manche lndividua Ihrer Gegend habe) sich bey dem Gros der dasigen Karaktere keine Vorstellung machen
können. Mit dieser Achtung nenne mich, nach verbindlichstem Empfehl an Ihre lebende Elfride<line type="break"/>
<align pos="right">Ihren<line type="break"/>
ergebensten Fr. und Diener<line type="break"/>
JMR Lenz></align> <line type="empty"/>
St Peterbg. d. 6ten April 1780 <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">Wenn Sie meinen Freund Hartknoch sehen, so grüssen Sie ihn von mir und sagen Sie ihm, daß wenn er erst Gesundheit
aus Ihren Gegenden geholt, sich ihm die weissen Bären die er sich vielleicht in unsern Gegenden hinsetzt, noch wol
einmal auf eine Art entzaubern könnten, die ihn überführte, daß wahre Schätzung des Verdienstes nur im Vaterlande
(das nicht immer <aq>native soil</aq> zu seyn braucht) möglich sey </sidenote></letterText>
<letterText letter="332"><align pos="center">S. T. Hochgeschätztester Freund!</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre Prophezeyung ist eingetroffen; die Seereise hat mich gesund gemacht. Bewegungsgründe genug
für Sie, Ihre Frau Schwester, der ich endlich Ihre Bestellungen ausgerichtet, zu besuchen, wenn <del>Sie,</del>
Ihre Patienten <insertion pos="top">Sie</insertion> selbst werden krank gemacht haben. Der Herr Ueberbringer dieses Briefes reist
nicht in so freundlicher Jahreszeit, obwohl fast in ähnlicher Absicht. Er möchte sein Vaterland wieder
sehen, die Seinigen umarmen, seine altert Verbindungen erneuren und neue schliessen, die seinen Zustand
hier angenehmer machen und seinen Kräften mehr Spiel geben könnten.<line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Es ist zu vermuthen, daß er zurück kommen wird. und das macht unsere Reise verschieden. Können Sie ihm
in Lübeck behülflich seyn, wenn er vielleicht krank dahin kommt, werden Sie sich ein neues Verdienst um
mich machen, dessen Interessen freylich vor der Hand nur noch meine Brüder in Riga abtragen können. Das
Kapital bezahlt Ihnen Ihr Herz und wenn ich das Zielmeiner Bestimmung weiß und Sie nach Liefland kommen
die ganze Werthachtung des Meinigen.<line type="break"/>
<page index="3"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Sie haben mir in Lübeck nicht gesagt, daß die bekannten Dichter Grafen v Stolberg sich dort in der Nähe
aufhielten. Können Sie diesem Freunde ihren Aufenthalt nicht sagen. Sie erzeigen vielleicht beyden einen
Gefallen, wenn Sie ihm behülflich sind, sie zu sehen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nach bester Empfehlung an Ihre Frau Gemalinn und schätzbare Familie, nebst deren Führer und allen Lübeckschen
Freunden nenne mich mit wahrer Ergebenheit <line type="empty"/>
<align pos="right">Meines hochgeschätztesten<line type="break"/>
Freundes<line type="break"/>
verbundenster Diener<line type="break"/>
JMR Lenz</align> <line type="empty"/>
St Petersbg. d. 8ten Aprill 1780.<line type="break"/>
Die Nonnenklöster in Lübeck nicht zu vergessen.<line type="break"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Wenn Sie als Arzt Predigten über die Blatterneinimpfung von einem der ersten Redner unsers Landes lesen und
allgemeinmachen helfen wollen, so wird Ihnen Herr Bause den Subskriptionsplan dazu geben können.</letterText>
<letterText letter="333"><align pos="right">St Petersbg d. 15 April 1780</align><line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Endlich Theurester Lavater! kann ich Ihnen aus Petersburg schreiben Ihnen der meinem Herzen so nah
liegt, an dem Tage wo ich die heiligen Pfänder der höchsten Liebe genoß, ohne Zerstreuung schreiben.
Ich weiß nicht, ob Sie meinen Brief als Coúvert aus Riga erhalten ich habe den Mann itzt selbst kennen
gelernt, dessen Brief er damals einschloß, es ist wie alle Schweitzer, auch in den verschiedensten
Klimas noch immer ein guter echter Schweitzer, der Ihre Lieder gelesen. Er wird bald zurückkommen, wo
sein Herz schon voranfliegt und ich hörte mit Vergnügen ihn seine Eleven ermahnen sich so aufzuführen,
daß sie dessen werth seyn, die Schweitz zu sehen. Prof. Güldenstedt führte mich zu ihm, der Ihr ungeheuchelter
Freund ist auch unsers Freundes Kaufmann sich offt noch mit vieler Wärme erinnert; mir die Plätzgen gewiesen,
wo er spazieren zu gehen gewohnt war und durch ihn für Ihr ganzes Vaterland als mehr als Buchstaben- und
Bücherfreund gestimmt scheint. Ich bin stolz auf diesen <ul>Landsmann</ul> in Petersburg. Seine Reisen bis an den
Caukasus haben ihn auf einer andern Abdachung der Erde (daß ich mich des <ul>gemeinen</ul> Ausdrucks bediene) Gott
erkennen lehren. Er wohnt beim alten verehrungswerthen Euler und dessen gelehrten Sohn im Hause, von welchen
Personen allen, wie auch besonders der Frau des letztern ich Ihnen die Silhouetten wünschte. Vielleicht schicke
ich sie durch Füesli; vielleicht haben Sie sie auch schon. <note>Verweiszeichen 1</note> Ein interessanter Mann ist mir
auch einer der hiesigen Grössern geworden, der Vizepräsident im hiesigen Reichsjustizkollegio. <note>Verweiszeichen 2</note>
Herr Kreidemann dem ich mehr als einen Abend von Ihnen <page index="2"/> habe vorerzählen müssen, der mir auch ein
Briefgen an Sie geben wollte, um keines Geschäfts willen, wie sich der ganz liebe Mann ausdrückte, sondern um
Ihnen seine <ul>Hochachtung zu bezeugen.</ul> Das Briefgen konnt er nun wohl seiner überhäuften Geschäfte wegen (da wirklich
die Last des ganzen Gerichts das ausser dem Senat für alle liefländische Sachen die letzte Instanz ist, fast auf
ihn allein ruht, weil in Rußland gemeinhin die Collegia mit verdienten Militärpersonen besetzt werden, die von Recht
keine Ideen haben.) nicht schreiben, aber die wärmste und herzlichste Empfehlung folgt von ihm mit. Er erkundigte sich
nach Ihrer Physiogn. umständlich, auch nach der französischen Uebersetzung von der hier alles voll ist. Bester Gönner
von der letzten wußt ich ihm nichts zu sagen und Ihnen wahr zu gestehen, begreif ich sie kaum: Vielleicht hat der wackere
Waffenträger Ehrmann Theil daran er kann stolz darauf seyn, denn in der That es ist das einzige Mittel, Ihre Ideen bei
einem gewissen Theil von Vornehmem in Gang zu bringen, der oft zu ihrer Ausführung und Benutzung der wichtigste ist. Ich
machte Kreidemann Hofnung zu Ihrem Werk von den Phys. Linien und dem Gebrauch derselben, das Geschick unbekannter Personen
zu ihrer künftigen Bestimmung zu erfahren. In Petersburg, fiel auch er bei, würde dieses hauptsächlich nöthig seyn und
ich denke, er selbst würde viel Gebrauch davon machen. Sein Gesicht ist sehr blaß vom Arbeiten sichtbar angegriffen also
nicht in der natürlichen Farbe die Stirn aber ungemein hervorstechend über den Augknochen, das Auge erstaunend
ausgearbeitet: der Mund fast ein wenig Sokratisch ungestalt, wenn er lacht, aber doch nicht ohne Reitz. Güldenstedt
hat ungemein viel <page index="3"/> Reinheit und Redlichkeit in seinem Gesicht der Spiegel seines Betragens (ich wäre begierig,
ob Sie sie der Beschreibung nach erkennten, ohne sie genannt zu lesen:) um zu sehen ob ich etwas Physiogn. Sinn bey
Ihnen gewonnen, womit ich mich wenigstens hier breit mache. Nun damit wir die Leiter heraufmachen von unsern Grossen
kenn ich noch zu wenig vielleicht läßt sich künftig mehr sagen. Aber die Landesherrschaft Freund und Vater! soviel
ich mich erinnere hat sie hat sie keinen Platz in der Physiognomik, kann auch nach den Carrikaturen von Kupferstich
die von ihnen kursiren, keinen haben. Künftig mehr von diesem Punkt: er ist mir heilig <line type="empty"/>
<sidenote pos="bottom" page="1" annotation="am unteren Rand der ersten Seite"><!-- Gehören die beiden Verweise zu der Randeinfügung? Genauere Beschreibung: Erster Verweis beginnt linksbündig, setzt sich dann rechtsbündig fort-->
<fn index="1"><anchor>F<note>Verweiszeichen 1</note></anchor></fn> eben höre von ihnen selbst, daß Sie sie schon haben <line type="empty"/>
<fn index="2"><anchor>FF<note>Verweiszeichen 2</note></anchor></fn> dem obersten Collegio nach dem Senat</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich erinnere mich ein und des andern Mündlichen und daß Sie damals <ul>fehlten.</ul> Wie konnts auch anders, denn was ist
aller Schatten, durch soviel Hindernisse zu Ihnen gelangend, gegen Wirklichkeit. <ul>Stärke</ul> z. B. mein Gönner! wo Sie
Hang <ul>zur Wollust</ul> fanden, der auch freylich wie beym Sokrates kann überwunden worden seyn. Ich habe sie nur einmal
nahegesehen (als sie die Deputierten der neuen Provinzen in Polen zur Audienz ließ ein interessanter Anblick) und
ich sah die <ul>Gesetz</ul>geberin und die Gesetzgeberin eines halben Theils der Erde. Und worauf ich am kühnsten bin die
unmittelbare das spricht aus ihrem Blicke. Sie ist alle Morgen vor 6 auf und arbeitet allein und die Zeit ihrer
Vergnügen ist (ein beyspielloses Muster ) ausgemessen. Auch reden alle ihre Entwürfe Plane und Ausführungen mit ihrem
Gesicht überein das wahrhaftig im strengsten Sinn des Worts Kayserlich ist Ich schwärme nicht. Ihr Blick hat nicht
das schröckende Feuer des alten Friedrichs aber doch genug um den zu Boden zu werfen, ders vergessen wollte daß sie
einen halben Welttheil durchdringt. Im Nacken <page index="4"/> in der Haltung des Kopfs, in der Brust alles voll Kraft und
<ul>fortwährender</ul> Anstrengung der Großherr ist der Pendant zu ihr. Soviel ähnliches von Mutter auf Sohn hab ich selten
gesehen nur ist Güte der Seelen am Munde, wenn er nicht angestrengt ist noch das Zeichen, das ihm die Sorgen der Haltung
eines ganzen Reichs fehlen. Man sieht ihm am Gesicht an, daß er unermüdet arbeitet auch soll er in allen Fächern der
Wissenschaften seine Meister suchen. Sein Geschmack ist so rein und ohne Fehl und Eigensinn, daß ich von der Seite uns
Glück wünschen wollte, wenn wir die Arrangements der Deutschen und Ausländer nur hier ganz so hätten, was Städte
Bücherumsatz p. betrift. Doch künftig hiervon ein mehrers und besseres; wie von unsern Grossen überhaupt, von denen ich
die wenigsten kenne. Der geheime Rath und Ritter Betzky ist ein würdiger Greis, dem Heiterkeit und stille frohe
Thätigkeit aus jeder Miene leuchtet. Er hat so ganz das Schweitzerhaffte mehr aber doch aus den Bernergegenden her.
So seine Tochter und sein Schwiegersohn, von denen ich Ihnen ein andermahl schreibe: wenn meine Situation und deren
Entscheidung mich näher mit ihnen bekannt gemacht, denn ich hoffe beym Cadetkorps anzukommen. Den Sächsischen Minister
besuche ich oft, dessen Gesicht viel richtigen Verstand u. ein offenes u. wohlwollendes Herz weist. Vielleicht auch
von dem eine Silhouette. Einige der Günstlinge des Großfürsten schickte u karakteriserte ich Ihnen gern vielleicht
kann ichs künftig besser. Ob Kaufm. Urtheile mit meinen übereinstimmten, wär ich begierig zu wissen. Besonders von den
Grossen Orlovs Gallizin Schwäger Or. Der Gouverneur von Liefland würde Ihren ganzen Beyfall erhalten. Eine so
gewölbte Stirn, soviel eherne Treue und ausharrende unzertrümmerliche Redlichkeit finden Sie nicht leicht in dem Gesicht
(auch in dem Karakter) eines andern Grossen. Seine Gemalinn und einige Grosse von Riga werden Sie auch freuen,
worunter die geh. Räthin Vitinghoff und die Vizegouverneurin Meyendorf Ihre Lieblinge werden würden. Auch meine
Familie hat Gesichter über die Ihr Urtheil zu wissen begierig wäre. <insertion pos="top">Mein Vater.</insertion> Mein ältester Bruder, den Kaufm.
nicht kennt und der doch von ihm gekannt zu werden verdient Doch ich behalte keinen Platz zur Erkundigung nach dem
Befinden Ihrer teuresten Gattin u. Familie und zu der hochachtungs- und dankvollsten Empfehlung. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="4" annotation="Am linken Rand, vertikal">Der Fürst Kurackin das wahre Emblem des immer heitern Geistes mehrere von denen ich künftig schreibe Die Post geht
ab und ich weiß nicht, ob Ihnen daran gelegen ist durch eine andere Gelegenheit als die eines Reisenden wie die itzige,
Nachricht zu erhalten von</sidenote><line type="break"/>
<align pos="center">Ihrem</align><line type="break"/>
<align pos="right">unverändert und Ihren Freunden ergebensten<line type="break"/>
Diener<line type="break"/>
J M R Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herrn D. Hirzel allen Herrn Pfenninger Herrn Schultheß und Gemalin Herrn Füeßli und Breiting, Herrn Schick Herrn Bodmer,
Herrn Landvogt Lavater.</letterText>
<letterText letter="334"><align pos="center">Lieber Bruder.</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Dein und aller Freunde Stillschweigen befremdet mich. Wirst Du auch böse werden, daß ich Dich
mißbrauche, die Kouverts um meine Briefe zu machen. Aber ich erspare so zwey Dinge, die Zeit und
die Postbeschwerde mit allzu dicken Briefen. Für den Graf Sakken arbeite ich schon und es ist mir
nützlich, mich in Routine zu setzen nur wohnt er weit und Akkord haben wir auch noch nicht
getroffen. Alles in der Nariskinschen Sache ist noch nicht vorbey, wenn man nur bey den entgegen
stossenden Winden weiter käme. Nächstens wird im Corps öffentliches Examen der letzten Klasse seyn.
Dazu werd ich nun wohl gern kommen. Das schlimmste ist, daß mirs als einhalber Vorwurf von R. gesagt
wurde, er habe gehört, ich werde von N. befördert werden. Der geringste Schritt den ich thue, macht
einen oder den andern aufsetzig und einem muß doch der Vorzug gegeben werden. Die Aussichten aber sind
bey beiden immer noch entfernt und müssen mit Geduld erreicht und ausgeharrt werden, wiewohl sie wirklich
beym Corps näher sind. Es muß ein drittes hier den Ausschlag geben welches mein guter Genius wissen mag. <line type="break"/>
Dein<line type="break"/>
<align pos="right">J M R Lenz.</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>Tausend Empfehlungen allen Freunden Gönnern und Geschwistern. An Hn. Past. Oldekop habe einen Antrag von der
Oekonomischen Gesellschaft, bey der Herr Prof. Güldenstedt präsidirt. Wenn er nicht etwa bis zur neuen Errichtung
der Statthalterschaften warten will<line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
<aq>Monsieur<line type="break"/>
Monsieur <ul>F. D. Lenz.</ul><line type="break"/>
Premier pasteur et Assesseur au Consistoire de &amp;<line type="break"/>
á <ul>Doerpat</ul></aq></letterText>
<letterText letter="335"><align pos="center">Hochwolgeborne Freyfrau<line type="break"/>
Gnädige Frau!</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>In wie vielen Rücksichten Ew. Exzellenz durch einen Schritt, der mir die zum Dank angesetzte Feder
kraftlos aus der Hand stürzt, durch Hochdero großmüthige Vermittlung bey meinem Gesuch in Petersburg,
die Herzen einer ganzen Familie von den beängstendsten Sorgen entlastet, wird Ihnen Ihr eigenes Herz
am besten zu ahnden geben. Es war diesmal nicht das Gesuch allein <page index="2"/> sondern noch viele andere
Mißverständnisse und Besorgnisse, die sich dadurch wie durch Dazwischenkunft der Sonnenstralen bey
trüben Wolken aufgeheitert. Dieser Schritt ist ganz der grossen Seele würdig die das verworrenste Anliegen
jedes Hülfsbedürftigen mit eben dem treffenden Blick durchschaut, mit eben der schnellen Großmuth ihm
zuvorzukommen eilt, mit der sie schon in wichtigem Fällen der Gottheit nachzuahmen gelernet. Genießen Ew. Excellenz
dieser Zufriedenheit die sich selbst allein belohnen kann und erlauben einem Beglückten, durch das Studium von
Handlungen der Art sein eigenes Herz zu verbessern und der Ehrerbietung freyen Lauf zu lassen, mit der er sich
unter Ew. Exzellenz Clienten rechnet als <line type="empty"/>
<align pos="right">Hochwohlgeborne Freyfrau<line type="break"/>
Gnädige Frau<line type="break"/>
Eurer Excellenz <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
unterthänigen und gehorsamsten Diener und Verehrer<line type="break"/>
J. M. R. Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, vertikal">Ich schreibe Dir auf der Copey des Briefes an Fr. v. Vietinghof und bin so besetzt, daß ich nichts hinzufügen kann,
als Dich aufs höchste zu bitten, Einlage an Papa mit geflügeltester Eile zu besorgen, Couvert etc. drum zu machen.
Der theure gute Altgen hat alles unrecht ausgelegt, wie ich befürchtete und seine Ge sundheit leidet drunter, wenn
er im Mißverstande länger bleibt. Dies kränkt mich doppelt, da seine und Eure Briefe mir baares Geld sind. Nächstens
mehr von Deinem treuesten</sidenote><line type="break"/>
<align pos="right">JMRLenz</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand, horizontal"><line tab="1"/>grüße Behage! und bitt ihn mir zu schreiben mir überhaupt wie all meine Freunde aber weder zuviel noch zu wenig
zuzutrauen. Wir waren hier besorgt seines langen Ausbleibens wegen.</sidenote> <line type="empty"/>
<align pos="right">St. Petersburg d. Ap.</align></letterText>
<letterText letter="336">
<align pos="center"><hand ref="10">v. Lenz aus Riga.</hand> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
Werthester Herr und Freund!</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich ergreiffe die in meinem letzten Briefe an Sie erwähnte Gelegenheit, Ihnen einige Silhouetten aus
meinem Vaterlande und aus Petersburg zuzuschicken muß aber, um die aufrichtige Sprache des
Freundes zu reden, der nicht schmeichelt, Sie um Ihrer eigenen Grundsätze willen bitten, mir zu erlauben,
daß ich bey dem Egyptischen Gedräng Ihrer Verleger, welches bey ehernen Nerven auch auf Urtheile und
Ideen Einfluß haben muß, zu diesen Bildern, ohne zu sagen für welches sie gehören, welches ich Ihrem
Kennerblick überlasse, einige karakteristische Züge hinzufügen kann, die den Perpendikul Ihrer einmal
<ul>geschwungenen Empfindung,</ul> der bey allen Nerven wie Liebhaber u. Kennernerven sind auf eine oder andere
Seite überschlägt, womöglich ein klein wenig zu hemmen und in waagrechten Stand zu setzen. <insertion pos="top">suchen sollen.</insertion>
Dies mein werther Freund! hat Ihrer <page index="2"/> Physiognomik schon manchen unangenehmen Stoß gegeben und Sie
erlauben Sie mir die Freyheit, <insertion pos="top">Sie</insertion> bey Urtheilen über entfernte Personen <ul>ungerecht</ul> gemacht. Wie? Sie geben
Ihre Wissenschaft selbst für das Resultat der aus Menschengesichtern mit ihrem Karakter zusammengehaltenen
Erfahrungen? Und nun wollen Sie es umkehren und aus einigen wenigen <aq>datis</aq> in <ul>Ihrem</ul> Vaterlande das ganze
Erdenrund, so sehr verschieden an Klima, Regierungsform Denkart ein Land auch von dem Ihrigen seyn kann
und seine Individuen dem <ul>Karakter</ul> nach beurtheilen. Erlauben Sie mir, Sie nochmals zu bitten, Ihren Verlegern
flehentlich die güldenste der Bullen entgegen zu rufgen Richtet nicht, damit ihr nicht wieder <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sie wissen welche tieffe Hochachtung ich als Mensch, Kunstkenner und ich möchte sagen als Christ selbst für die
Physiognomik habe, wiewohl ich sehr sehr wünschte, daß Sie mehr an dem was Sie auf dem Tittel versprechen als
an den Geheimnissen der zukünftigen Welt hielten, zu der ja die itzige immer nur der <ul>Vorhang</ul> bleibt. Wer wollte
denn nach dem <ul>Vorhang</ul> das Innere zu beurtheilen, darüber <dul>ab</dul>zusprechen <dul>kühn</dul> genug seyn? Diese Bitte thue ich nicht
ohne Ursache, da ich mich gezwungen sehen würde, im Fall Sie darin keine Aenderung träffen, etwas über Ihr Urtheil
im 18ten und 21 Fragment öffentlich zu sagen, da die Mißverständnisse die es angerichtet (daß ich den gelindestell
Ausdruck brauche) durch die Unvorsichtigkeit Ihrer Herrn Verleger öffentlich geworden sind. Lieber Lavater! nie,
nie, daß ich Ihnen <page index="3"/> die Wahrheit sage, hätt ich geglaubt, daß Ihre mir sonst bekannte Mässigung und Klugheit
(in dem besten Verstande des Worts) vielleicht von jungen vielleicht auch von ältern <ul>radottirenden</ul> Freunden sich so
aufs Eis würde führen lassen. Sie treten als Schriftsteller in einer neuen Wissenschaft auf und lassen sich auf
einmal von Leuten die es nicht gut mit Ihnen meynen, eine Maske vorlegen, die so wenig zu Ihrem Gesichte paßt Oder
glaubten Sie Rußland sey noch das Land das es vor fünfzig Jahren war und man könne über Gegenstände die dasselbe
angehn, mit mehr Nachlässigkeit Nachsicht gegen unzuverlässige Berichte schreiben? Wie würden Sies aufnehmen, wenn
ich ohne jemals dort gewesen zu seyn, eine Karakteristick der wichtigsten Schweitzer aus dem Munde einiger Landsleute
machte, die sich ein Viertel Jahr dort aufgehalten eine Karakteristick, die nicht zu ihrem Vortheil gereichte? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Freilich muß man Sie persöhnlich kennen, um davon so gelind zu urtheilen als ich thue. Ich wünschte Ihrem Werk
einige Brauchbarkeit für mein Vaterland mit <ul>zuhelfen</ul> zu können: ich gestehe aber, daß ich meine Schultern nach dem
<aq>Exordio</aq> des 18ten und 21 Fragments fast zu schwach dazu fühle. Ueber Gesichter zu urtheilen deren Karackter man nicht
kennt lieber Lavater! die Nächsten um uns zu Führern anzunehmen, aus ihren Gesichtern über die entfernten
abzusprechen? Wie? und fühlen Sie Sie es nicht an Ihrem Herzen, daß Sie so gegen die ersten parteyisch gegen die
andern ungerecht werden <ul>müssen.</ul> <line type="empty"/>
Doch daß ich Ihnen jetzt nicht als Gelehrter, sondern als Freund spreche: Sie thun sich den meisten Schaden.<line type="break"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Und so um wieder einzuhelfen, will ichs wagen, Ihnen zur Probe einige Karaktere aus meinem Vaterlande vorzulegen,
die Sie selbst aus den Bildern aufsuchen werden. Glauben Sie aber nicht, daß ich alles sage, oder das meiste sage,
ich zeichne nur einige Äußerungen die ich wahrgenommen das übrige mögen Ihnen die Grundsätze Ihrer Wissenschaft
an die Hand geben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ein junger Mann mit erstaunender Biegsamkeit der Seele, höchst reitzbaren Nerven fürs Vergnügen hellen durchdringenden
Verstand gerade soweit zu sehen, als seine Thätigkeit und Betreibsamkeit ihm Sphäre macht. Doch auch Vermögen
aufzuopfern und den höherenGenuß der Weißheit und des Himmels zu fühlen wo die Erde für sein Herz zu wenig beut.
Voll der schönsten und der Natur am ähnlichsten Ideale: die er in Wirklichkeit zu verwandeln Kraft hat. Voll Gelehrigkeit
gegen andere, ein guter Vater, ein noch besserer Ehmann kurz ein guter Mann nicht aus Schwäche! Nur zu schmeichelhaft
gegen Leute von deren Werth er auch nicht überzeugt ist aus Güte. Fähig Wahrheiten frey ins Gesicht zu sagen und mit
einem Nachdruck, daß die Personen die sie getroffen verstummt sind. Ohne doch sich an ihm rächen zu können, weil er sie
ihnen auf eine Art gesagt, daß sie sich im Unrecht fühlen mußten. Ein Freund und Vertheidiger der Physiognomik, ohne
Lavatern anders als aus einigen Predigten zu kennen. Sein thätiger und sich mittheilender Geist, mehr zum Einwirken als
Spekuliren aufgelegt, fürchtet ein wenig die anhaltende Einsamkeit und doch hat er lange Zeit in derselben zubringen
<page index="5"/> müssen, wo er sie sich durch Anlegung von Gärten und Lustplätzen in Wildnissen verschönert. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eine Dame von viel sehr abstechenden Schicksalen. Für die Schaubühne erzogen, ohne jemals auf derselben aufzutreten
(dieses bitte ja nicht drucken zu lassen). Durch einen seltsamen Wechsel des Glücks in eine der besten Familien des
Landes verheurathet. Den zärtlichsten den geliebtesten Gemahl verloren und sich mit ihren Kindern, die alle ihre
Denkart und Seele haben, ins Einsame gezogen, um der liebenswürdigsten Melancholie nachzuhängen. Voller Reitzbarkeit
für die Freude, voll des feinsten Geschmacks eines Gefühls, das jedes Härgen von Unordnung im Charakter drückt
darum der Welt entzogen, weil ihre Seele sich nie ganz mit gewissen Widersprüchen in Karaktern aussöhnen kann Fähig
der edelsten, der unabsichtlichsten Freundschaft, bloß aus Geschmack und Wahl und Ueberzeugung von Werth den
sie gern bereit ist über den ihrigen zu setzen Fromm im treflichsten Verstande des Worts! weil für sie hier
unten wenig mehr zu wünschen ist ich bin begierig ob Sie das Bild zu diesem Karakter finden <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ein junger Mann, das Bild dauerhafter Anstrengung und Geistesstärke die sich bis ins Unmögliche verliert wenn sie weiß
daß sie auf Grundsätzen ruhet. Zu beugen ist sie nicht diese Stärke, wohl aber biegend um ihre vorige Richtung anzunehmen.
Von diesem kann man im strengsten Verstande des Worts sagen, immer derselbe und das in einem Jünglingsalter. In dem
Gesicht sehen Sie alle Geheimnisse feinerer und doch frommer Erziehung <page index="6"/> denn freilich hat diese zu der
Unbestechlichkeit seines Geschmacks in so weit das meiste beigetragen, als seine nachmaligen Reisen nur Fortsetzung
derselben waren. Er hat die halbe Welt gesehen und mit der Ruhe mit der er itzt krank nichts als Salomons
Ausspruch vor sich sieht. Dabei für keinen Seelenreitz unempfindlich, am wenigsten für den der Ehre bey Edlen. Nicht
geräuschvoll und weit bekannt aber den besten und würdigsten bekannt zu sein wünscht er. Wird er wünschen, auch
wenn seine Sphäre sich noch so sehr erweiterte, noch so sehr verengte, weil er gern aus Geschmack gut wäre. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich wäre begierig, ob Sie den Durchsetzer und Durchtreiber fremder aus Geschmack angenommener Plane bis in die
Unmöglichkeit oder mehr den Erfinder und Anleger eigener kurz, ob Sie mehr den Feldherrn oder mehr den
Staatsmann in diesem Gesichte fänden. Begierig sag ich wäre ich, <ul>Ihr Urtheil</ul> zu hören, was ein Geist der mit so
merkwürdigen Idealen der Alten und Neuen Welt genährt ist (näher darf ich mich nicht bestimmen) auf der Bühne der
Welt für eine Rolle mit Nutzen und Fortgang übernehmen wird. <line type="empty"/>
Ein Freund der Physiognomik ob selber Physiognomist zweifle ich. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ein besonderer Mann voll Tiefsinn und Frömmigkeit. Alle feurige Gefühle schockiren ihn, ob er sie gleich mit dem
Kopf sehr wohl faßt. Liebt sonst das Melankolische, hat auch <page index="7"/> selbst einen Ansatz. Ist von Herzen fromm
und wohlthätig. Ein <ul>Märtyrer</ul> an Duldsamkeit wenn er mit verschobnen Karaktern zu thun hat. Welches er an einer
Frau bewies, die ihn itzt durch ihren Tod befreit hat und dem Trunk sehr ergeben war. Keine Ader Falschheit in dem
Manne. Einer der ersten spekulativen Köpfe in <ul>Europa.</ul> Obwohl zu schüchtern und zu sehr lebender und thätiger Philosoph
(denn er ist ein grosser Landwirth obschon er in der Stadt in einem geistlichen Amt steht und treibt seinen Garten
wie Lavater die Physiognomik) seine Spekulationen von denen er große Hefte liegen hat, bekannt zu machen. Drucken läßt
der schwerlich. Könnt er sie aber ins Cabinet thun, daß sie gleich zum Ziel eilten, das wäre seine Sache. Dabei
keinen Ehrgeiz nicht den mindesten, als den das zu seyn was die in Griechenland mit Mantel und Bart waren. <ul>Keine</ul>
Schönheit irgend <ul>eines</ul> Schriftstellers entgeht ihm Goethe möchte der einzige seyn, der hiervon eine Ausnahme machte.
Doch erkennt er ihn mit dem Verstande. Verzeihen Sie daß ich so ausführlich über diesen Mann bin ich kenn ihn von
Kindesbeinen an. Seine Seele hat viel Aehnliches mit Güldenstedt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Seine Frau ist auch hier, ein Gesicht, in dem gewiß ihre ganze Seele ist. Seine <ul>zweyte Frau</ul> nämlich. Da solln Sie
rathen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die drey Töchter der benannten Dame. Jede die Mutter auf eine andere Art. Ganz durch ihr Beyspiel und Gesinnungen gebildet.
Fürtrefliche Mädchen alle drey und auf die ich meines Vaterlandes wegen stolz bin. <dul>Blos</dul> durch Natur gelehrt singen sie um
einem das Herz zu zerschmelzen und grössere Kenner als ich bestättigen dis. Da ist kein falscher Ton. Die mittelste doch
sehr fein und fast <page index="8"/> unmerklich, zum Stolz auf ihre Geburt geneigt. Die jüngste möchte der Mutter am nächsten
kommen. Die älteste in gewissen Stücken sie noch übertreffen an Größe der Seele, so weit sie bei einem Frauenzimmer in
ihrem Verhältniß sich äussern kann. Wiewohl sie eine kleine Anlage zur Satyre hat. Sie lieset am meisten. Fast ein wenig
zu streng auf das was man die Ehre des Frauenzimmers nennt; doch darum nicht minder liebenswürdig. Die jüngste ist mir
dennoch die wertheste wegen einer Art von <ul>himmlischer</ul> Bescheidenheit. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ein Mann in der That ein Mann und edel im strengsten Verstande des Worts. Aktiv und nur hitzig in seinen Geschäften
sonst die Güte und Langmuth selbst. Hilft und gleich auf der Stelle O wie so mancher hülllose Fremde durch ihn gehalten
erhalten bis er zu Brod kam. Hat gereist nur um desto hülfreicher zu seyn. Ist durch Feuer <ul>um all sein Vermögen</ul>
gekommen und war doch einer der ersten, der sich wieder auf die Beine half. Ein allzu nachgebender Vater, welches seine
Schwache Seite ist, denn sonst wüßt ich keine. Ein heller Kopf dabei ohne ein Gelehrter zu seyn und gründlichen
Verstand, ohne viel zu lesen. Wird aber richtig urtheilen über alles was er liest. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Seine Frau eine wackere Hausfrau. Treu überhaupt redlich und standhaft in Gesinnungen. Einfach in Kleidung und Aufwand
obschon in der Residenz erzogen. Voll Güte und Menschenliebe wie er. Nichts von den gelehrten Frauen und spricht gern
von allen Menschen das beste. Eine seltene <ul>Tugend</ul> bey den Frauenzimmer in Liefland, besonders in den Städten. Eine brave
Frau. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Noch eine Frau. Feuer und Flamme im Hauswesen und Thätigkeit. Keinen Augenblick müssig noch ruhend. Lacht immer nur im
Fluge aber lacht nie als wenns ihr ums Herz ist, nie aus Gefälligkeit. Kann gar nicht gefallen: und gefällt. Es ist ihr
nicht <ul>möglich</ul> wenn sie wider einen Menschen was hat, es auf dem Herzen zu behalten. Sie sagts ihm <page index="9"/> und wenn es
der König wäre. Hinter dem Rücken aber nie. Dies macht das eigentliche Süsse ihres Umgangs. Sie leidt ausserordentlich
viel dabei denn wenn es Freunde sind quält sie sich solang damit bis es heraus ist und ich glaube sie würde sterben, wenn
sies zurück behielte. Sie ist streng gegen ihr Gesinde, aber ihre <ul>Mutter</ul> zugleich. Sie ist enthusiastisch für ihren Mann,
so unzufrieden sie bisweilen sie mit ihm scheint wenn sie dabei ist. Auch kennt sie kein Mensch wie er: denn sobald er
hitzig wird, ist sie ein Lamm. Ich habe nicht leicht ein so glückliches Paar gesehen. Ob Sie das Gesicht errathen! Sie
hatte eine Stiefmutter die beide in einander verliebt waren, wegen Aehnlichkeit des Karakters, zum Nachtheil der natürlichen
Schwestern. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre Kinder. Der ältste lauter Witz und Gelehrigkeit. Biegsam allzubiegsam und voll Feuer. Viel vom kleinen Lavater;
nicht völlig so enthusiastisch. Er wird sich nie unterdrücken lassen, wohin man ihn auch biegt, denn er ist lauter
Elastisität. Der zweyte sein Gegensatz. Leicht zu drücken, weil er niemand drückt. Nachdenkend wie ein alter Mann,
schwerfällig und standhaft in Empfindungen. Wenn er fühlt ist es nicht möglich einen Laut aus ihm zu bringen. Daher
lieben ihn die Eltern nicht. Ein herausgestohlnes Ach eine versiegende Träne, die Stimme mit der er singt, die Gebärde
verrathen seine Seele nur dem scharfen Beobachter. Sie halten ihn alle für träge und er ist nichts weniger. Er überfühlt
Eltern und Geschwister, wenn er sich gleich nie unterstehn wird sie zu übersehen. Ich war mit ihm in dem Galeerensklaven
(dem rührenden Drama des Falbaire) er verlor sich so in das Stück daß er nichts erzehlen konnte und darüber die bittersten
Beschimpfungen standhaft ertrug. Nur ein zurückgehaltener Seufzer bei den wärmsten Stellen die der Bruder unrichtig
erzehlte, verrieten ihn mir. Ich wünscht es wäre mein Sohn. Der dritte ist die Mischung der beyden ältesten doch ohne
das Gefühl des zweyten und die Biegsamkeit des ältesten. Die Töchter sind ehrlich und böse wie die Mutter. Lächeln höchst
selten und lachen gar nicht. Heiserkeit ist ihr Vergnügen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nun noch einmal bester Herr und Freund! auf Ihr achtzehntes Fragment. Wenn ich von Privatpersonen so ausführlich bin, was
soll ich da sagen. Um Gottes <page index="10"/> willen, waren Fürsten der Probierstein Ihrer Physiognomik, einer so bestrittenen,
so neuen Wissenschaft. Fürsten deren Gesichter Vorstellungen ihres ganzen Reichs und des Hofes mit sind. Fürsten die
unglücklich genug sind daß sie ihr Gesicht nicht weisen dürfen. Wo war Ihre Klugheit lieber Mann! wo war verzeihen
Sie mir den Ausdruck Ihre Gewissenhaftigkeit. Fürsten dieses Räthsel der Zeit über das nur das folgende Jahrhundert
entscheidet. Wohin wagten Sie sich bey Ihrer Entfernung bey Ihre Unwissenheit unsrer Verhältnisse. Ich kann Gott weiß
ich kann Sie nicht vertheidigen und kein kein Patriot. Entschuldigen <del>sehr genau.</del> <insertion pos="top">auch nicht</insertion> Ich weiß nicht womit!
Wer foderte Sie auf Welche Klippe zwischen Schmeichelei und Unklugheit, beide gleich unwillkommen, bei einer Fürstin
wie unsere. Die Majestäten, die Majestäten, bester Lavater! es steht was in der Bibel davon und jeder unvorsichtige
Ausdruck sollte er auch noch soviel Lob enthalten wollen, kann so leicht durch die kleinste Mißdeutung Lästerung werden.
Wenn Sie wenn ich einsehen werden wie das Glück sovieler Millionen an der Verbindung dieser Nerven ruht. Sie können alles
gut machen nur nicht <ul>bekehren.</ul> Ueberlassen Sie das <ul>Bekehren</ul> einem andern, der in den Wolken des Himmels kommt. Mischen
Sie sich nicht in Politick. Um <ul>Gottes</ul> willen wie kämen Sie und die Politik zusammen und das in der Physiognomik! Nur
das möcht ich wissen, ob einer Ihrer auswärtigen Freunde Theil daran hat ich könnte mit Wuth auf ihn herfallen und wenn
es der <dul>grösseste</dul> aller deutschen Gelehrten wäre. Nicht aus Enthusiasmus sondern weil es ein Mislaut ist und die Verstimmung
ewig bleibt wenn Sie nicht selbst abhelfen. Aber wie? Das weiß Gott, das weiß ich nicht. Und die Saite noch einmal
berühren, wäre 1000mal gefährlicher. Haben Sie denn etwas von unserer Fürstinn gelesen und ihren Karakter studirt? Haben
Sie Rußlands Geschichte studirt? Oder urtheilen Sie nur nach hören sagen. Doch Sie urtheilten sagen Sie, über das Bild.
Als Physiogn. Über den Künstler. Und was sollen die Köpfe im 21sten Fragment neben dem Holzschnitt solcher Fürstin. Was
soll die <dul>nebengestellte Königinn</dul> Ach Lavater Lavater! warum müssen Sie mirs nur schwer machen, Sie zu tragen. Ins Feuer
möcht ich den ganzen Teil werfen. Kein Wort drin Ihrer würdig. Wenigstens um Ihrer selbst um alles willen was Ihnen heilig
ist, lassen Sies aus der französischen Übersetzung weg. Ich würde dann müssen müssen mit allen Waffen die noch in
meiner Gewalt sind es ist Unsinn! <er><nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr> <nr> </nr></er></letterText>
<letterText letter="337"><align pos="right">Cronstadt. d. 20ten <insertion pos="top">May</insertion> 1780.</align> <line type="empty"/>
Lieber Bruder! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Du wirst mir verzeyhen daß ich diese Antwort des Obristen Ribas an Dich, so wie die an Papa solang
aufgehalten und noch mehr daß ich beyde erbrochen habe. Es ist unmöglich Dir die gegenwärtige
Lage meiner Umstände zu sagen, ich bitte Dich also Dein Urtheil darüber zurückzuhalten. Ich wollte
Dir den Brief gar nicht schicken, ich fürchtete aber Du würdest den Obristen einer Unhöflichkeit fähig
halten, welches sein Fehler nun wohl gewiß nicht ist. Die Ursache des Briefes mochte wohl mit in der
Offerte liegen, deren ich letzthin in einem Briefe an Dich gedacht, und um derentwillen ich jetzt hier
bin. Soviel kann und darf ich Dir nur sagen, alles ist am Rande der letzten Gährung. Drey Aussichten
unter denen ich nur eine wählen kann und bey welchen allen vorsichtig verfahren werden muß. Ich habe
Deinen Brief an eine bewußte Dame der Frau Obristin K. gegeben und sie kann eine sehr wirksame Mittelsperson
zu meinem Glück werden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Alles geht und muß gehen und eine dieser Offerten der andem durchhelfen, wenn es mir nur an dem Nothwendigsten
nicht fehlt, am Gelde. Denn in welcher verzweiffelten Situation mich dieser Mangel trift, da er mich zwingt,
eben da unthätig zu seyn, wo oft ein Schritt alles entschieden haben würde. Meine Freunde können mich länger
nicht unterstützen, sie haben das letzte getan mich zu beschämen. Wär es möglich daß Du nur 25 Rubel <ul>Vorschuß</ul>
noch mir und zwar aufs baldigste auftreiben könntest. Stelle Dir vor, welch eine Quaal mein ganzes verhunztes
Leben mir bereiten würde, wenn alles sich vereinigte mir aus der Schmach eines verunglückten Gesuchs herauszuhelfen
und ich bloß aus Ohnmacht oder Mißtrauen meiner Verwandten die wenigen Schritte die man mir übrig lassen mußte, nicht
thun konnte. Du hast gut rathen, wie Papa, von augenblicklichem Annehmen der ersten besten Information oder was anders,
beste theureste, Ihr bedenkt nicht daß ich damit alles andere verderbe. Informiere wie ein Schulmeister und hoffe dann
noch jemals wieder zu gefallen. Und ohne zu <page index="2"/> gefallen, ists doch unmöglich zu einem honetten Platz zu
kommen, wo du auch mit einiger Ehre arbeiten kannst. Also glaub doch nicht, daß der Vorschuß vergebens ist, denn
ich versichere Dich, daß das Gefallen von dem ich rede, nicht durch Müssiggang sondern durch Arbeit erhalten
wird mit dem einzigen Unterschied, daß man dafür keine Bezahlung verlangen darf. Schreit nur nicht, Lieben! was
denn da herauskommen soll wenn man nichts verdient etc. Es heißt hier mehr als jemals, wer seine Hand an den Pflug
setzt und zurückzieht entweder ich muß auf der Bahn fortfahren, oder ich hätte sie nie betreten sollen. Ich bitte
Dich, schick diesen Brief Papa, mag auch da herauskommen, was wolle. Er wird wenigstens soviel Zutrauen zu mir haben,
daß ich weder Verschwender noch Müssiggänger genug sey, auf dieser Laufbahn fortzugehen, wenn ich nicht wüßte, daß sie
zum Ziel führen würde. Die Stetigkeit mit der ich auf dem Antrag im Landkorps beharrt bin, hat mir weder geschadet, noch
wird sie mir in der Zukunft schaden, da wenigstens jetzt ganz Petersbg. überzeugt ist, daß das Fehlschlagen desselben
mir bei dem Zusammenstoß von Umständen nicht zur Unehre gereichet. Mündlich könnt ich Dir 1000 Sachen mehr drüber sagen,
wenigstens <ul>ich</ul> habe mich über den Obristen nicht zu beklagen, obschon er mich 100 Rbl. gekostet vorjetzt nicht mehr,
denn <aq>littera scripta</aq> es giebt Körbe selbst, die uns mehr helfen als Bewilligungen der einzige Fehler auf seiner
Seite (wenn es <ul>sein</ul> Fehler ist) wäre der, daß er mir sie nicht eher gegeben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">Noch einmal lieber Bruder, sage lgelstr. nichts von dem, was ich von Dir zu wissen begehre und glaube mir doch, daß ich
nicht ganz mit der Stange im Nebel herumfahre. Es hat Ursachen die ich Dir nicht sagen kann schriftlich. Antworte mir
aber ja aufs schleunigste, damit ich Papa schreiben kann und andern Personen, an die es schon lang nöthig war.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Gott warum machen doch 40 Meilen solchen Unterscheid Ich kann und. darf jetzt nichts sagen, als schick mir itzt so
schnell <page index="3"/> als möglich 25 Rb. und ich bin auf immer geholfen, und Du und Behrens in Riga bekommt euer Geld vor
dem Winter wieder. Kannst Du nicht, so kann Papa vielleicht; bitt ihn seinen Sohn aus dem Schiffbruch seiner Ehre und
seines Glücks zu retten. Noch einmal, dies ist die letzte Foderung, die ich an Papa und Dich thue. Und meine Gründe dazu
zu sagen ist unmöglich. Ich denke Du wirst den Sinn dieser Worte leicht einsehen, sobald Du nur ein wenig die
gegenwärtige Lage der öffentlichen und besondern Angelegenheiten eines jeden allhier überdenkst und wie die erstern
auf das Schicksal des allerletzten Bürgers mitwirken müssen. Gottlob daß alles itzo ruhig und glücklich ist auch das
ein Beweis der allenthalben hindringenden Weisheit unserer höchsten Gesetzgeberin und daß ein jeder gleichsam wieder
wie von ferne zu leben und zu wirken anfangen kann. Du wirst aus dem Datum sehen, wie lange des Obristen Briefe bey mir
gelegen. Schreib mir Deine Meynung darüber nicht und <ul>bitte Papa,</ul> daß er sie mir auch nicht schreibt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Man kann und darf niemals von Handlungen oder Sachen urtheilen, wenn man die kleinsten Ursachen derselben nicht weiß;
und das Muthmaßen kann oft unwiederbringlich weiter fehl führen, als die vorsetzlichste Mißdeutung. <page index="4"/> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Soviel muß ich Dir sagen daß weder beim hiesigen Landkorps alles vorbei ist, da es sich noch immer an dem stößt daß man
<ul>keine neue Stelle kreiren will,</ul> noch auch sonst es an Versorgungen fehlet. Das Seekorps in Cronstadt ist von nicht
wenigerer Wichtigkeit als das Landkadetten Korps und meine Beförderung an demselben oder in einem andern Fach hängt
lediglich von der Rückkunft der Monarehin ab. Du wirst aus beygelegtem Briefe an den <insertion pos="top">Herrn</insertion> Kammerherrn Igelstrohm
mehr ersehen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hier folgt auch ein Briefgen an Moritzsche und Schmidsche den ich aufs schleunigste zu befördern und zu unterstützen
bitte. <line type="empty"/>
Dein Weibgen und Deine Kinder aufs zärtlichste umarmend als <line type="empty"/>
<align pos="center">Dein</align> <line type="empty"/>
<align pos="right">getreuer Bruder<line type="break"/>
J M R Lenz</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mit nächster Post schreibe an Papa, vorher aber muß aufs schleunigste NB Nachricht <ul>von Dir haben, ob</ul> der
Herr G. Gouverneur <ul>Braun</ul> mit der Monarehin gereist oder ob er in Riga, und sie vielleicht auf der Rückreise
wieder wo sehen werde; imgleichen ob General Berg mit gewesen und ob Du ihm mein <ul><aq>Exposé</aq></ul> zugeschickt.
<note>Verweiszeichen</note> Lieber Bruder, Eure Ängstlichkeit und Mißtrauen in mich schadet mir unaussprechlich,
ich darf gewisse Sachen nicht schreiben, die Euch über meine Handlungen mehr Licht geben würden: da
ist <ul>Zutrauen nothwendig.</ul> Und auch das, <ul>daß du nicht grad jeden fragst.</ul> Der Rath einer gewissen Person,
die Du mir empfahlst hat mir geschadet. Antworte doch bald ich bitte Dich. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="4" annotation="Am linken Rand, mit vertikalem Strich abgetrennt"><note>Verweiszeichen</note> NB. Dies kann nicht schaden, lgelstrohm mag sein was er will. Es hätte mir schon viel genutzt</sidenote></letterText>
<letterText letter="338"><line tab="1"/>Neulich habe ich Herrn Nicolay (ein edler, denkender, solider Mann, von reifem Witz und
Beurtheilungskraft und wie ich schließen kann aus den zwey Stunden ohne <ul>kleine</ul> Leidenschaften)
gesprochen und alle Ursache von der Welt mit dieser <ul>neuen</ul> Bekanntschaft höchst zufrieden zu seyn.
Auch hat er mir einige Vorschläge gemacht etc.</letterText>
<letterText letter="339"><line tab="1"/>Theurester Vater! O warum muß die Post so verrätherisch eilen, mir einen so kurzen Ausbruch der
zärtlichsten Empfindungen verstatten. Sie werden aus der Beilage sehen, warum ich mit dieser Post
schreiben muß! Kein Wort weiter. Ich hab es an einem Ort gesagt, wo es der Welt bekannt werden
soll, daß solch ein Vater und solch ein Freund die höchste Gabe der Vorsicht seyn! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Theurester Vater! Sie werden mit der Vorletzten meine ungerechten Briefe erhalten haben. Sehen Sie
aus dieser Beilage, was meine Ausdrücke so dringend und heftig machte. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich ließ mich kurz vor der Abreise bey Sr. Exl. dem Herrn Graf Browne, Sohn melden. Er nahm meinen
Besuch an, ich sollte den andern Tag um sieben Uhr Morgens kommen. Unglücklicher weise arbeitete ich
eben an dem Lyrischen Gedicht, womit ich nicht fertig zeitig genug werden konnte, also ihn schon nach
Peterhoff verreist fand. Ich kann es ihm also noch nachschicken und er könnte es noch bekommen, wenn
Sie die Gütigkeit haben wollten, es Ihrer Erl. der theuren Gemalinn unsers hohen Gönners zu übergeben
oder durch sie den Weg erführen, es dem Herrn Grafen, entweder selbst zu übergeben, oder zuzuschicken.
Es wird gewiß gut aufgenommen werden, da der Kaiser den ich Gelegenheit gehabt zu sehen ein Freund
der deutschen Musen, besonders der Klopstokischen ist und es gern sieht wenn sie sich an ihn wenden. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Veranlassung des Gedichts war eine Begebenheit in Peterhoff die hier allgemeine Sensation gemacht.
Der Grosfürst spaziert mit dem Kaiser er führt ihn in seinen Lustgarten, den die Grosfürstin anlegen
lassen. Der Kaiser sieht Mäurer, fragt, was da gebaut werde. Der Grosfürst umarmt ihn, er solle den
Grundstein legen. Es sey ein <b>Tempel der Freundschaft,</b> den er errichten wolle. Alle Umstehenden weinten
so wie der Kaiser und der unnachahmliche Grosfürst von Rußland. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der Tittel ist aus der heydnischen Mythologie, am besten geschickt, die Geheimnisse der Höfe einzukleiden.
Semele bedeuten die Zuschauer und Rusland überhaupt. Sie bat sich von Jupitern dem Vater der Götter
die Gunst aus, ihn ohne Wolke zu sehen. Sie ward ihr gestattet, und sie ward von dem Feuer verzehrt, das
ihn umgab. Das übrige wird Ihnen Freund Hartknoch mit errathen helfen, da bei einem lyrischen
Gedicht eine gewisse Dunkelheit unvermeidlich ist, denn sobald man Erläuterungen dazu setzt, ist es nicht
lyrisch mehr. Unverständlich wird es den Personen, die es angeht nicht seyn da es in der Sprache
ihres Hofes und in Beziehung auf ihre Thaten geschrieben ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Noch eins. Wenn Freund Hartknoch, an den ich mit dieser Post unmöglich Zeit behalte zu schreiben es
druken wollte nur für Freunde so steht es bei ihm. Nur bäte ich, die Interpunktion richtig zu besorgen
und meinen Namen vorn wegzulassen. Der Kaiser Deutschlands verdient bey Catharinen zu glänzen. Doch
ist mir die Uebergabe lieber als der Druk. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Nun zum Schluß eine Bitte, die mir innigst am Herzen liegt. Schon lange bester Vater wünscht ich bei der
Entfernung von Ihnen, wenigstens einen Schatten von Ihnen zu haben. Es ist der Wunsch meines Herzens. Ihr
Porträt ist überhaupt nicht getroffen und es liegt uns Kindern, es liegt mehrern Menschen daran, etwas
<b>wahres</b> von Ihnen zu haben. Thun Sie mir diese Väterliche Güte und lassen mir von Bruder Carl Ihre, meiner
theuresten Mama, auch seinen eigenen Schatten, den Jakob, oder ein guter Freund zeichnen kann zukommen.
Auch Hartknoch bitt ich sehr um seinen Schatten . Tausend zärtlichste Grüße bitte ihm zu sagen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich küsse Ihnen und meiner theuresten Mama tausendmal die Hände und bin nach zärtlichstem Gruß an
Bruder Carl <line type="empty"/>
<align pos="right">Ihr theuresten Herrn Vaters gehorsamster Sohn<line type="break"/>
J M R Lenz.</align> <line type="empty"/>
auch von Lottgen ein Schatten! <line type="empty"/>
Peterbg. d. 5ten Jul 1780</letterText>
<letterText letter="340"><align pos="center">Theurester Lavater!</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Mehr durch die zu voreilende Liebe meiner Gönner und Freunde auswärts, die mir allzuviel Gutes auf
Hofnung beylegte und dadurch tausenden ungerecht wird, gegen welche meine Verschuldung nur <ul>Gott</ul>
kennt als durch irgend auf der Welt etwas, leide ich. Ach Sie wissen nicht, Sie können es nicht
wissen wie viel Edles im Stillen unbekannt und verborgen und gekränkt durch verborgene Fehle
der Jugend und Unbesonnenheit schmachtet. Da steh ich und meiner Freunde allzu vortheilhafte
Meynung von mir will mir fast alle Gelegenheit aus den Händen reissen, die ersten Pflichten der
Nächstenliebe zu beweisen. Sie wissen, Sie wissen es alle nicht, muß ich nochmals ruffen und an
meine Brust schlagen: Gott! Gott! lasse mir <insertion pos="top">diese</insertion> Gnade wiederfahren <er><nr> </nr></er>
Nicht durch diesen Schlag sondern durch was anders und
höhers gerechtfertigt hoffe ich, Gott wird auch da wo ich nicht zu seufzen vermag mich mit
unaussprechlichen Seufzern zu vertreten wissen und die Herzen meiner Freunde lenken aus allzu
gütigem Vorurteil für mich meinen Bitten nicht taub zu seyn. Ich werde Ihnen verständlicher werden
wenn Sie eine neue NB von mir selbst, der Hand nach <page index="2"/> verbesserte Ausgabe von fünfen meiner
Jugendarbeiten lesen werden: der <ul>Hofmeister.</ul> <ul>Menoza.</ul> Die <ul>Soldaten.</ul> <ul>Freunde</ul> machen den Philosophen
und der <ul>Engländer.</ul> Wie nah grenzen doch oft Geschmack und Religion an einander, wie nah und innig
sind sie mit einander verbunden, wie weisen die Fehler gegen den ersten so sicher auf Fehler gegen
die letztere. Jugendliche Unbesonnenheit, Sorglosigkeit, Sturm, Nichtachten der Verhältnisse, die
wir oft durch einen unvorsichtigen Ausdruk unherstellbar zerstören wie weisen sie sich in dem
selbst, was geschrieben war, daß es dauerhaft, daß es so ewig gefallen sollte, als unserm kleinen
Daseyn und Kräften jedem nach seinem Maas die Ewigkeit abgesteckt ist. Wie viel Edle, leiden
unter den gehässigen Mißdeutungen die solche Flecken in unserm Werk veranlassen und wie ist das
alles die Folge der herumziehenden unsteten Lebensart, der der ruhig erwägende Blick auf alles
Gute und Schöne um sich her, durch tausend unnöthige Unruhe getrübt und umnebelt ist. Nehmen Sie
diese Herzensergießung in Liebe auf und seyn mir zu meinem Vorsatz auch nach Ihrem Wirkungskreise
und Einsichten als Gottes- und Menschenfreund behülflich der ich nach tausend Empfehlungen an Ihre
Gattin und Kinder beharre<line type="break"/>
<align pos="right">Dero beständig ergebener Verehrer<line type="break"/>
Lenz</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="2" annotation="Am linken Rand, vertikal">Die von mir erhaltenen Silhouetten, worunter ich durch einen jetzt erst abreisenden Petersb. Freund
auch die meines Vaters meiner 2ten Mutter meines Schwagers und sehr lieben Schwester zähle,
lassen Sie doch Ihrem Kennerblick empfolen seyn. Was ich von den ersten geschrieben bitte doch ja
nicht als fremdes Zeugniß verbotenus abzudrucken, sondern zum Ihrigen zu machen</sidenote></letterText>
<letterText letter="341">Hoch Edelgeborner und Hochgelehrter<line type="break"/>
Insbesonders Hochzuverehrender Herr Justizbürgermeister. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich nehme mir die Freyheit Ew. Hoch Edelgeborenen schriftlich für die Mittheilung des beyfolgenden
Buches meinen verbindlichsten Dank abzustatten und zugleich gehorsamst zu bitten, aus Ihrer Güte
mir die Tittel von einigen Büchern Dero Bibliotheck gehorsamst auszubitten. Das <aq>Theatrum pretensionum</aq>
und die <aq>Livonica,</aq> wie auch, das Werk von Schlegeln und <page index="2"/> die Sachen von Janotzky. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Der schnelle Abgang der Post verhindert mich, Ew. Hoch Edelgeborenen die Ihnen schon von meinen frühesten
Jahren her gewidmete Hochachtung auszudrücken, womit ich allen Mißverständnissen Trotz biete, die
Nebenumstände in unserer sublunarischen Welt nur zu offt erregen und mit der, nach gehorsamstem Empfehl
an Dero Frau Gemalinn beharre <line type="empty"/>
<align pos="right">Hoch Edelgeborner Hochgelehrter Herr<line type="break"/>
lnsonders hochzuehrender Gönner<line type="break"/>
Dero <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
gehorsamst ergebenster Diener<line type="break"/>
J. M. R. Lenz.</align> <line type="empty"/>
Aya, d. 26sten 7br. 1780</letterText>
<letterText letter="342"><align pos="center">S. t.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/><del>Liebe Eina! mein Vater hätte keinen bessern Advokaten wählen können als Sie. Auch haben Sie Ihre
Zeit sehr wohl abgepaßt und diese Feinheit die ich in Ihrem Karakter so wenig gewohnt war doch
ich irre mich vielleicht, gewiß. Mein Herz das Ihren Bruder überall ahndet, o wenn man jemand
fürchtet, so sieht man ihn überall</del> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Liebe Eina! mein Vater hätte keinen bessern Advokaten wählen können. Auch haben Sie Ihre Zeit sehr
wohl abgepaßt und diese Feinheit die ich sonst in Ihrem Karackter so wenig gewohnt war, hätte mich
bald vollends auf die Gedanken gebracht zu einer Zeit Eina! da ich die Trennung von Ihnen so lebhaft
fühle, so wenig im Stande bin mich zu vertheidigen. Oder glaubten Sie vielleicht die Wunde auf die man
schlägt, blute weniger</letterText>
<letterText letter="343"><align pos="center">Empfindungen<line type="break"/>
eines jungen Russen <line type="empty"/>
der in der Fremde erzogen<line type="break"/>
seine allerhöchste Landesherrschaft wiedererblickte.</align> <line type="empty"/>
<line tab="5"/>So ward ich denn noch dazu aufgehoben
<line tab="5"/>Das Angesicht zu sehn, das unter Still und Nacht
<line tab="5"/>Und Sturm und Sonnenschein wie eine Gottheit oben
<line tab="5"/>So manches Tagewerk ausbildend schon vollbracht
<line tab="5"/>Und Völker, welche sie in hundert Sprachen loben
<line tab="5"/>Zu einer Nazion gemacht.
<line tab="5"/>Da stehn sie, um sie her, mit Flammen in den Blicken
<line tab="5"/>Die Glücklichen, den Seegen auszudrüken,
<line tab="5"/>Der ihr seit der Vereinigung,
<line tab="5"/>Von einer halben Welt gelung.
<line tab="5"/>Da steht der große Geist: der, Muster von Regenten
<line tab="5"/>Doch, keine Mutter sah wie <del>Hie</del> die; <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Den Friedriche belohnen könnten
<line tab="5"/>Doch glücklich machen nicht, wie <ul>sie.</ul>
<line tab="5"/>Sie, die das Ganze zu umfassen
<line tab="5"/>Selbst ihrem Scharfsinn wehrt, sobald er Wesen drückt, <page index="2"/>
<line tab="5"/>Die zu Maschinen sich einmal nicht brauchen lassen
<line tab="5"/>Und schienen sie noch so beglückt.
<line tab="5"/>Sie die so menschlich herrscht, daß jeglichem Talente
<line tab="5"/>Die Fessel von den Händen sinkt
<line tab="5"/><insertion pos="left">Sie</insertion> <del>Und</del> die selbst da, wo Titus zwingen könnte
<line tab="5"/>Nie anders als durch Freiheit zwingt.
<line tab="5"/>Da steht der schwache Kopf, für den, in dem sie denket
<line tab="5"/>Erstaunt, daß sies ergänzt, an seiner Statt vollendt,
<line tab="5"/>Worauf er hofnungslos die letzte Kraft verschwende
<line tab="5"/>Woran er sich zersann, <del>verstiegne Plane</del> daß sie den Schwindel lenket
<line tab="5"/>Und <del>offt wie</del> <insertion pos="top">selbst den</insertion> Phaeton sanft auf den Boden senket
<line tab="5"/>Damit er keine Welt verbrennt. <line type="empty"/>
<align pos="center">x x x</align> <line type="empty"/>
<line tab="5"/>So <del>Und</del> ist denn das die Frau, die über jedes Lob
<line tab="5"/>Das Schwachheit oder Furcht dicktirte
<line tab="5"/>Durch Thaten, die kein Lob berührte
<line tab="5"/>Und durch Bescheidenheit unsterblich sich erhob? <page index="3"/>
<line tab="5"/>Die selbst die Schmeichelei durch unbesungne Schritte
<line tab="5"/>Womit sie nach der Wahrheit rang,
<line tab="5"/>Offt durch das Gegenteil, offt durch die weisre Mitte
<line tab="5"/>Zu heilsamer Beschämung zwang.
<line tab="5"/>Die jede Politick studierte,
<line tab="5"/>Zu lernen nie verschmäht, auch wenn kein Lob es rieth;
<line tab="5"/>Selbst8 das erschuf, was sie kopierte,
<line tab="5"/>Der Fehler feinsten Anfang mied
<line tab="5"/>Und standhaft, wenn um sie die Staatskunst kabalirte
<line tab="5"/>Selbst da, wo offt ein Pitt nur Zweiffel kalkulirte
<line tab="5"/>Den feinen Schlangenpfad, der zur Vollendung führte
<line tab="5"/>Allzeit mit Sicherheit entschied.
<line tab="5"/>Die still und sanft ihr Reich auf einen Felsen baute
<line tab="5"/>Auf zweyer Welten Schlangen trat
<line tab="5"/>Und dann mit <ul>Petern</ul> um sich schaute
<line tab="5"/>Auf einen ewigfesten Staat. <page index="4"/>
<line tab="5"/><del>Ist das die Frau!</del> <insertion pos="top">Die Frau</insertion> die selbst in ihren Kriegen
<line tab="5"/>Noch Muster ist und Herzen nur besiegt
<line tab="5"/><insertion pos="left">Der die</insertion> <del>Sich die</del> Bezwungnen selbst <del>Dir froh</del> <insertion pos="top">mit Dank</insertion> zu Füssen liegen
<line tab="5"/>Weil <del>Du</del> <insertion pos="top">sie</insertion> ihr Unglück nur bekriegt.<line type="break"/>
<align pos="center">x x x</align><line type="break"/>
<line tab="5"/>Wie aber?- jener Blick voll Kraft und doch voll Güte
<line tab="5"/>Der Weise selbst zur Ehrfurcht zwingt,
<line tab="5"/>Mit wundervoller Jugendblüthe
<line tab="5"/>Die Mentors um sich her verjüngt:
<line tab="5"/>Ist das der junge Fürst, der schon so lang sie heget
<line tab="5"/>Gefühle jener Art, wie Peters Brust bewegt,
<line tab="5"/>Und sie verschließt weil er die Kräfte wäget,
<line tab="5"/>Mit denen er die Welt einst trägt.
<line tab="5"/>O theurer Fürst! der Kenner wird sie finden <page index="5"/>
<line tab="5"/>Des Weisen schärfster Blick sie gründen
<line tab="5"/>In Deinem feinsten Zug, wenn er Dein Bild vergleicht
<line tab="5"/>Den Ahnherrn sieht, erblaßt und schweigt.
<line tab="5"/><del>Geliebte Majestät! die durch verschwiegne</del>
<line tab="5"/><insertion pos="left">Geliebte Grösse! die durch sanft verschwiegne Tugend</insertion>
<line tab="5"/>Die durch zurückgehahne Kraft
<line tab="5"/>Schon jetzt sich eine Welt erschafft
<line tab="5"/>In der sie <ul>Vorbild</ul> ist: sieh unsre beßre Jugend,
<line tab="5"/>Bekannt mit jedem Reitz der Tugend,
<line tab="5"/>Die still und froh in Deinem Beyspiel liest,
<line tab="5"/><del>Die es</del> <insertion pos="top">Der es, indem es sie</insertion> zur Lust, <del>wie zu dem</del> <insertion pos="top">zum</insertion> Kampf begleitet,
<line tab="5"/><del>Sein</del> Das Saitenspiel <del>für sie,</del> so wie den Bogen leitet,
<line tab="5"/><del>Sie in der Freunden Kreis begleitet</del>
<line tab="5"/><insertion pos="left">In jeder Klasse Vorbild ist.</insertion>
<line tab="5"/>Kurz, der, Du Mensch-Apollo bist.
<line tab="5"/>Für diese ists, daß Du die Triebe zwingest
<line tab="5"/><insertion pos="left">Die dich so menschlich sanft</insertion> <del>Die Dich</del> zum Schutzgestirn erhöhn, <page index="6"/>
<line tab="5"/>Und dann im Geist hoch über Wolken dringest
<line tab="5"/><del>Bis Du auf einmal frei Dich über Wolken schwingest</del>
<line tab="5"/>Zahllose Herzen glühn zu sehn.
<line tab="5"/>Für diese ists, daß sich in Unschuldstänzen
<line tab="5"/><insertion pos="left">Der süsse Pfeil</insertion> <del>Die Liebe Deines Volks</del> in jeden Busen pflanzt
<line tab="5"/>Und Beyfall, womit nur die freisten Seelen <del>offt</del> kränzen
<line tab="5"/>Dein Herz, ganz Güte, sich ertanzt. *<!-- Verweiszeichen -->
<line tab="5"/>Für diese ists, daß eitle Lorbeerreiser
<line tab="5"/>Dies Herz verschmäht und Alexanders Ruhm,
<line tab="5"/>Für einen Blick, der redlicher und weiser
<line tab="5"/>Dir sagt: Du <del>bist</del> wirst der Herzen Käiser
<line tab="5"/>Auch meines ist Dein <del>Eige Heiligthum.</del> Eigenthum. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>* <!-- Verweiszeichen --> Daß das Tanzen, bei dem Zwange, in dem unsere Fürsten leben, die einzige Gelegenheit ist, sich
dem Volk vortheilhaft zu weisen und ihre Liebe zu gewinnen, kann man nur beurteilen, wenn man
lang an Höfen gelebt hat. <page index="7"/> <line type="empty"/>
<line tab="5"/>Ja Prinz! die Frau, die Dich der Welt geschenket
<line tab="5"/>Ward dadurch Mutter auch für mich.
<line tab="5"/>Daß sie der Welten Zügellenket
<line tab="5"/>Ist groß, doch grösser nicht, als das: Sie schenkt uns Dich.
<line tab="5"/>Sie gab die Fürstino uns, die <ul>Paulen</ul> glücklich machet* <!-- Verweiszeichen -->)
<line tab="5"/>Und durch ihn eine Welt, die, wenn er glücklich ist,
<line tab="5"/><insertion pos="left">Mariens</insertion> Schatten seegnend küßt
<line tab="5"/><del>Von seiner Licht das Echo ist,</del>
<line tab="5"/>Die den in <ul>ihr</ul> verehrt, durch den die Erde lachet
<line tab="5"/>Der keines Staubs darauf vergißt
<align pos="center"><note>Kringel</note></align> <line type="empty"/>
<align pos="right">Lenz.</align><line type="break"/>
<page index="8"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Hier lieber Bruder sind die Verse wieder und tausend Dank für die Erinnerungen, die ich zwar nicht
alle habe brauchen können, die aber bei so manchen Stellen dennoch die Feile mir geführt haben. Du
thätest mir einen Gefallen, wenn Du so wie es ist, sie an Papa schicktest und ihn auch um sein Urteil
fragtest. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich habe mir vorgenommen, es vor <ul>die Uebersetzung von Domaschnews Rede</ul> zu setzen, schreib mir Deine
Meynung darüber. Wenn Du es an Papa schickst, so laß es ja abschreiben. Gustelchen thut mir das wohl
in einer Freistunde zu Gefallen. Wo nicht so schick mirs vorher selbst wieder <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dies Exemplar behalt ich für mich. Lies sie doch auch der Frau Obristin ja vor und schreib mir ihr Urteil
darüber, so wie sie jetzt sind <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="8" annotation="Am linken Rand, vertikal">Wirst Du nicht die Geduld verlieren, heut nichts als Verse zu lesen. Sei versichert, daß meine Ader Dir wieder
sehr lange Ruhe lassen wird.</sidenote></letterText>
<letterText letter="344">HochEdelgeborner Herr<line type="break"/>
Insonders hochzuverehrender Herr Justiz-Bürgermeister! <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da ich den Brief des Herrn Cabinetssekretair Nicolai gewisser Angelegenheiten wegen, Hn.
Hartknoch zuschicken müssen: so nehme mir die Freiheit, Ew. HochEdelgeboren, das was Dieselben
angehet, Auszugsweise zuzuschicken. <line type="empty"/>
Auszug aus dem Briefe des Hn. Nicolai.<line type="break"/>
<line tab="1"/>„Ich danke Ihnen recht sehr für die Mittheilung des Briefes von H. Gadebusch. Etliche Nachrichten
aus seinem Briefe werde ich mir ausschreiben. Sie ziehen mich aus einer Verlegenheit, in welche mich
die Ungewißheit des Schicksales gewisser Bücher versetzte, die ich für <aq>incomplet</aq> hielt und deren
Fortsetzung ich begehren wollte, da ich nun sehe, daß sie niemalen geendiget oder fortgesetzt worden
sind. Um meine Bekannt-<page index="2"/> schaft mit ihm zu eröfnen, so sagen Sie ihm, daß ich gleich jetzt an
Verfertigung des <aq>Catalogi</aq> der Grosfürstlichen (ehemals Korfischen) Bibliothek arbeite, daß ich, sobald
er fertig seyn wird, ihm diejenigen Artikel mittheilen werde, die für ihn interessant sein können. Ich
denke, das wird insonderheit die Liefländische, Polnische, Schwedische und Russische Geschichte seyn.
Und wirklich haben wir in jedem Fache ziemlich viel und seltene Bücher. Insonderheit aber kann ihm
vielleicht angenehm seyn, wenn Sie ihm melden, daß wir auch einen artigen Vorrath von Manuscripten haben,
von <aq>Livonicis, Curlandicis, Polonicis, Russicis, Suecicis</aq> und daß ich mich von Herzen anerbiete, ihm
nicht allein ein vollständiges Verzeichniß von den darin enthaltenen Stücken zuzusenden, sondern auch
ihm auf <page index="3"/> Begehren diejenigen Stücke abschreiben zu lassen, die etwa seine Neugier erregen könnten.
Vermelden Sie ihm dabei meine Empfehlung und mein aufrichtiges Verlangen, mit ihm in nähere Bekanntschaft
zu treten.<line type="break"/>
<line tab="1"/>Meine Familien-Umstände, so wenig <aq>interessant</aq> sie auch für andere ausser mir seyn mögen, will ich Ihnen bey
erster Musse kürzlich zusammenfassen und übersenden.“ <line type="empty"/>
Sobald ich den Brief wiederbekomme, werde ihn Ew. HochEdelgeb. in der Handschrift weisen. <line type="empty"/>
Mich nach gehorsamer Empfehlung an Dero Frau Gemalinn nennend <line type="empty"/>
HochEdelgeborner Herr<line type="break"/>
Hochmehrender Herr Justiz-Bürgermeister<line type="break"/>
Ew. HochEdelgeb. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<align pos="right">aufrichtig ergebensten Diener<line type="break"/>
J M R Lenz.</align> <line type="empty"/>
Von Hause d. Novbr. 1780.</letterText>
<letterText letter="345"><line tab="1"/>Da bin ich nun auf dem Wege nach Ohlershoff ohne von einem einzigen Freunde Abschied
genommen zu haben. So schön geht ihr mit mir um. Doch ihr wünscht euch Glück, es ist ein Drama
von eurer Arbeit, eines von den <ul>starken</ul> Trauerspielen: und wenn das nur fertig wird und alles so
ziemlich honett bei der Zubereitung kann gedreht werden, was kümmerts die Schriftsteller, was die
Folgen wirklich sind. Die da ihrer Sache am sichersten sind, übernehmen die Forcerollen, die
Freygeister u. s. f. unbekümmert ob bei dem was man so spielt nicht ein bischen Wahrheit mit
unterläuft. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Laß meine Bücher und Sachen entweder zu Dir oder zum Conrektor tragen, bis die Fuhr nachkommt.
Hentschel wird sie Dir abfolgen lassen. <line type="empty"/>
Der Graf Manteuffel ließ Dich grüssen bei dem wir gestern gespeist haben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>So thut Erxleben, der gute redliche Junge, der recht sehr gut eingerichtet aber sehr <ul>allein</ul> ist.
Er lässt Dich nochmals erinnern und bitten, ihm die versprochene Festgesellschaft mitzubringen. Dein<line type="break"/>
<align pos="right">aufrichtig treuer Bruder J M R Lenz</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="1" annotation="Am linken Rand, vertikal">Grüß alle Freunde die sich meiner erinnern mögen und schick mir doch ja bald was von meinen Sachen,
da ich weder Wäsche noch Bücher habe und gar nichts von meinen Arbeiten, die Eile verlangen. Liphart
wird hoffentlich nicht <aq>irresanabel</aq> seyn. Ich habe an den Sohn geschrieben.</sidenote></letterText>
<letterText letter="346"><align pos="center">HochEdelgebohrner Herr!<line type="break"/>
Insonders Hochzuverehrender Herr Justiz-Bürgermeister!</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da ich auf einige Zeit meinen Aufenthalt beym Herrn Assessor von Engelhardt nehmen werde: so
nehme mir die Freyheit, Ew. Hoch Edelgebornen um eines der grösseren Werke aus Dero Bibliothek
zum Durchblättern gehorsamst zu ersuchen, für dessen unschadhafter Zurücklieferung Denensebhen
mein Bruder gut stehen wird. Sollten Dieselben Ihren Schlegel, oder das Theater der Ansprüche p.
füglich entbehren können, würden Sie die Schuld meiner sehr frühen Verbindlichkeiten gegen Sie
vermehren. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In einem Briefe an den Herrn Kabinettssekretär N kam ich auf die Derptsche Akademie, welche ich ihm
als dem Zögling des großen Schöpflins des Stifters so mancher deutschen <page index="2"/> Akademieen ans Herz
zu legen versuchte. In der That ist das Beyspiel des Russischen Adels beschämend für den unsrigen,
der seinen Namen unsterblich machen und zugleich die Preise seiner Güter und der Landesprodukten erhöhen
könnte. Man bedenke nur, was durch 500 Akademisten allein, die eine Menge feinerer Bedürfnisse aus dem
väterlichen Hause mitbringen, für Geld in Umlauf kommen würde, wenn wir auch die erspahrten Summen nicht
rechnen, die der Edelmann itzt mit seinen unverassekurirten Söhnen aus dem Lande schickt, oder lieber
ins Wasser wirft. Ich wagte es, Herrn N. zu behaupten, daß wir Jena Leipzig und einer Menge sonst unwichtiger
Städte in Deutschland ihren Flor gegeben. Ich wagte es, ihm die Parallele <page index="3"/> von Strasburg zu
Frankreich und Derpt zu Rußland zu ziehn, die in sofern ziemlich passend bleibt, da wir sonst keine,
Frankreich aber noch viele andere blühende Akademieen hat. Und doch kommen aus Gascogne und Languedoc
Franzosen dahin um Deutsch und Lateinisch zu lernen. Zugleich studiren dort Ungarn, Russen, Pohlen u. s. f.
Unsere einheimischen neuveränderten Rechte, Ukasen u. s. f. erfodern gewiß eben sowohl ihre eigene Doktoren,
als der Körper Justinians: gleiche Ansprüche macht die sehr versäumte Vaterländische Geschichte, die
Pastoraltheologie und Homiletik, wie sie für unsere Bauren paßt, samt den Landessprachen, die unsere
Prediger oft erst für die andere Welt vollkommen erlernen; imgleichen der einheimische Landbau, über den
bisher immer der Vorurtheilvolle sclavische Bauer und ausländische Bücher die uns nichts fördern, die letzte
Instanz bleiben. Was den Plan anbetrift, so ist <page index="4"/> bei einer Sache die die Natur vorbereitet, kein
weit aussehender Plan nöthig, als den sie selbst mitten unter der Ausführung an die Hand giebt, wie sie es
bey allen Dingen macht, die nicht in der Idée sterben sollen. Man vergißt, daß die grossen Flüsse aus kleinen
Quellen entstehen und wenn wir Müllers russische Geschichte lesen, kommt uns der ehemalige erste Fonds der
Derptschen Akademie unglaublich vor. Ein einziges Kransgut würde zur ersten Besoldung der nöthigsten Professoren
hinreichen und wenn wir die Mittelzahl von 500 Rbl., die jeder Student überhaupt in Derpt liesse annehmen
(die in der That sehr geringe ist) sich bald bezahlt haben, wenn dis Geld auf einmal in die Cirkulation käme;
kämen vornehme Russen dazu, die ohnehin von unsern Sitten mit Recht vortheilhafte Begriffe haben und an dem
Umgang des umliegenden Adels bald Geschmack gewinnen würden, so würde Derpt in kurzem eine der mächtigsten Städte
seyn. Und wieviel würde die Population unter allen Ständen gewinnen, durch die größere Menge der Domestiken,
Familienannäherungen, Bekanntschaften, Verbindungen mehrerer Städte mit dieser p. <line type="empty"/>
Doch ich ermüde Sie mit einem Auszuge, der von lauter schon oft gesagten Dingen spricht. Ew. HochEdelgebornen <line type="empty"/>
<align pos="right">gehorsamster Diener<line type="break"/>
JMR Lenz.</align><line type="break"/>
Ohlershoff d. 26sten Nov 1780. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="4" annotation="am linken Rand, vertikal">Meinen Respekt an Dero Frau Gemalinn. Mein Bruder aus Pernau wird Denenselben bereits geschrieben haben. Wenn Ew.
HochEdelgeb. eines oder das andere der Petersb. Manuscripte zu sehen wünschten, so bitte mir nur Nachricht davon
zu geben.</sidenote></letterText>
<letterText letter="347"><align pos="center">HochEdelgeborner Herr<line type="break"/>
Insonders hochzuverehrender Herr Justizbürgermeister.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Abwesenheit des Hn. v. Liphardt hindert mich selbst zu kommen, welches mir auf den ersten
freyen Augenblick vorbehalte; da meine Eléven itzt ganz allein meiner Aufsicht überlassen sind. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da ich eben an Hn. <aq>Nicolai</aq> schreibe, so nehme mir die Freiheit, wenn Ew. HochEdelgebornen an ihn
schreiben wollten, Ihnen mein <aq>Couvert</aq> dazu anzubieten. Ich hoffe alsdenn nächstens, Ihnen von der
Erfüllung seines Versprechens etwas überbringen zu können, da ihn Dero Liebhaberey für seltene
Manuscripte bekannt ist. <line type="empty"/>
Mit vollkommenster Ehrerbietung nenne mich, nach gehorsamer Empfehlung <line type="empty"/>
<align pos="right">Ew. HochEdelgebornen<line type="break"/>
Meines hochzuehrenden Herrn <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
ganz ergebenster Diener<line type="break"/>
J M R Lenz.</align> <line type="empty"/>
Von Hause den 28ten 10br. 1780. <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<note>Adresse</note><line type="break"/>
Sr. HochEdelgebornen<line type="break"/>
dem Herrn Herrn K. F. Gadebusch<line type="break"/>
Hochachtbaren Justiz-Bürgermeister der Kaiserlichen Stadt Derpt<line type="break"/>
in Dero Behausung.</letterText>
<letterText letter="348">Wohlgeborner Herr<line type="empty"/>
Insonders hochzuverehrender Herr Justiz-Bürgermeister! <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Da Se. Kaiserliche Hoheit balde nach Sarsko gehen, so hat mir Herr Kabinetssekretär Nicolai
aufgetragen, Ew. Wohlgeboren zu berichten, daß wenn <page index="2"/> Dieselben eines oder das andere der
liefländischen, kurländischen und Pohlnischen Manuscripte auszugsweise oder in Abschrift zu sehen
begehrten, Sie so gütig seyn und mir in Zeiten hievon Nachricht geben wollten, weil die Bibliotheck
den <page index="3"/> Sommer über verschlossen bleibt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>In Erwartung alsobaldiger Nachricht von Ew. Wohlgeborenen habe die Ehre nach gehorsamer Empfehlung
an Dero Frau Gemahlinn zu beharren <line type="empty"/>
<align pos="right">Wohlgeborener Herr<line type="break"/>
Insonders hochzuehrender Herr Justizbürgermeister<line type="break"/>
Dero <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
ergebenster Diener<line type="break"/>
J M. R Lenz.</align> <line type="empty"/>
St. Petersbg. D. 25. Merz 1781. <line type="empty"/>
<page index="4"/> <line type="empty"/>
Den Herrn General Bauer werden Dieselben nun bereits in Derpt gesehen haben.</letterText>
<letterText letter="349"><align pos="center">Liebster Bruder</align><line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Eben komme ich dazu, an Dich zu schreiben, mehr um Dich und meine Freunde über mein Schicksal
zu orientiren, als um ausführliche Nachrichten zu geben, die Du jetzt nicht von mir erwarten wirst. Ich habe
das Glück gehabt, durch die Gnade des Hofes und meines theuresten Großfürsten dem Hause des Hn. Vizepräsidenten
v. Böhmer vorgestellt zu werden, mit welchem sich jetzt der Ambassador v. Portugal verbindet, welcher eine der
Fräuleins heurathet. Auch bin ich einer englischen Dame von der Verwandtschaft des Hn. Kabinetssekr. vorgestellt
worden, die eine Gesellschaftsdame des englischen Ministers ist. So fangen sich meine Bekanntschaften an ein wenig
zu bilden, und auszubreiten, welches mir zu einer Zeit, da ich mir ein Publikum von verfeinertem Geschmack erwerben
möchte, keine geringe Aufmunterung für mich ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Beruhige also meine Freunde über den Zwischenstillstand, den mein Schicksal schien genommen zu haben weil man, um
sich Bekanntschaft zu erwerben bey der edlern Klasse von Menschen sich mehr leidend und ruhig, als unzeitig wirksam
verhalten muß. Herr Baron v. Maltiz hat mich bey der Garde anzubringen versprochen, wo eine Kadettenschule für meine
Kenntnisse eben so viel Hebung verspricht, als der Dienst selbst für meine Gymnastik und die Gesundheit meines Körpers.
Ich hoffe als endlich<line type="break"/>
<line tab="2"/><aq>mentem sanam in corpore sano</aq><line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>zu erhalten, welches Hn. Pastor Oldekopp zu sagen bitte. Dabey aber von Herzen wünschte u. s. f. daß mir einmal ein
einfaltiger Dienst geleistet würde. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">Die Bekanntschaft des Hr. Obristen v. Renkendorf in dem Hause S. Exzell. des General Bauer würde mich gereizt haben,
Papa die Bitte zu thun, die Du mir einmal anriethest wenn es nicht so schwer hielte, ihn um einen Brief zu bitten.
Die würdige alte Dame <aq>en question</aq> ist dieses Frühjahr schwer krank gewesen. Danke <ul>Bruder Schmidt</ul> <dul>bald</dul> für den Gouv. von
<ul>Novogorod.</ul></sidenote> <line type="empty"/>
Dank also mit mir der Vorsicht für die Gnade der besten Fürstin, <insertion pos="top">die</insertion> wenn sie gleich so unendlich über mich erhaben ist <line type="empty"/>
<line tab="5"/>sich in den Flüssen mahlt, die sie<!-- Verse? -->
<line tab="5"/>mit Glanz erfüllt
<align pos="right">Shsp.</align><line type="break"/>
<line tab="1"/>und hilf mir bethen, daß meine Führung derselben nicht ganz unwürdig sey. Uebrigens wünsche Deinem und Hr. Past. Oldekopps
Garten bei herannahenden Frühling noch mehr Reiz für Euren Geschmack als der Häuserbau geben konnte, wider den ich sonst
nichts habe, als daß er ein wenig steinern ist und diese Eigenschaften auch unserm Zutrauen mittheilt. Indessen „ein
jeder bei seinem Geschmack“ wird wol auch ein deutsches Sprichwort bleiben, und so bin ich aus Geschmack<line type="break"/>
<line tab="2"/>Dein<line type="break"/>
<align pos="right">treuer Bruder<line type="break"/>
JMR Lenz</align><line type="break"/>
10ten Apr 81. <line type="empty"/>
<sidenote pos="top" page="2" annotation="Am oberen Rand der zweiten Seite, spiegelverkehrt">es ist einer der vorzüglichsten Menschen, der Gouver. Siewers. Er wohnte beym General B.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="2" annotation="Am linken Rand der zweiten Seite, vertikal">ist es denn nicht möglich, daß ich durch den Derptschen Fuhrmann <aq>Remmert Samuel</aq>, der in 8 Tagen hieher kommt, meine
Sachen und Bücher, die bey Engelhardt, oder jetzt vermutlich bey Bürgerm. Vitl oder Hr. Haase in Walk stehn, erhalte.
Ich denke doch, daß ich sie brauche! </sidenote></letterText>
<letterText letter="350"><line tab="1"/>Daß ich Endesunterschriebener von Herrn Lawrens Brauwer jun. auf Ordre des Hn. Postmeister
Peucker die Summe von funfzig Rubeln baar empfangen, bescheinige hiemit. St. Petersbourg: den
28sten May 1781.<line type="break"/>
<align pos="right">Jakob Michael Reinhold Lenz.</align></letterText>
<letterText letter="351"><align pos="right">St Petersbg. d. 2ten Jun 1781.</align><line type="empty"/>
<align pos="center">Theurester Vater!</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es ist hier eine Gesellschaft gelehrter Freunde und Kenner, die es unternommen hat ein Werk
herauszugeben, das vielleicht das erste in Rußland und das erste in der Welt, für neuere Zeiten
wenigstens könnte genannt werden. Dieses ist eine Sammlung von Lebensbeschreibungen
merkwürdiger Männer für unser Vaterland, aber nicht von <ul>einer Feder</ul> auch nicht von denen
<insertion pos="top">berühmten Männern</insertion> die <ul>schon todt sind</ul> sondern von lauter <ul>Lebenden.</ul><line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Eben darum weil die Verfasser unbekannt und <ul>geschützt</ul> sind dürfen sie frey, unpartheiisch und
unbestechlich mit Eiffer für die <ul>Wahrheit</ul> und das <ul>Vaterland</ul> allein, von ihren Helden sprechen.
In diese Sammlung theurester Vater bin ich mit um einige Beiträge gebethen worden. Von wem könnte
ich sie wohl mit mehr Fug und <page index="3"/> ohne irgendeine Pflicht zu verletzen mit wärmerem Herzen
liefern, als von meinem Vater. Seyn Sie also so geneigt, solange wir noch das Glück haben Sie
diesseits des Grabes zu sehen mich (und in mir unsere ganze Familie) in ganz freyen offenen Stunden
mit einem soviel möglich umständlichen Detail Ihrer merkwürdigsten Fata zu erfreuen die Sie von
Ihrem Vaterlande an bis auf der Stuffe des jetzigen, das Sie mir gegeben haben, an Ihnen sowohl
als den nächsten Ihrigen erlebt haben. Ich erwarte <page index="4" />dieses als ein freywilliges Geschenk
Ihrer Vatergüte sobald es Ihnen möglich und werde eiffersüchtig auf jedes nicht sehr wichtige
Geschäft seyn, das Sie an der Niederwerfung dieser Züge Ihrer Seele hindert. Auf den Styl bitte
ganz und gar keine Sorge zu wenden weil Sie doch wohl vermuthen können, daß ich als Sohn jede
Art Ihres Ausdrucks verstehe und mirs einzig um die <ul>Sachen</ul> zu thun ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="3" annotation="am linken Rand der dritten Seite, vertikal">Ich bin dem Grafen schon bekannt; darf aber gleich am Anfange nicht Gage fodern. Bester Vater.
Hartknoch wird Ihnen einen Brief von Wieland weisen, der Sie überführen wird, daß ich bald nicht
mehr nöthig haben werde, Ihnen beschwerlich zu fallen. Lassen Sie Ihre Arme nur jetzt noch nicht
müde werden, mich zu unterstützen, da ich Unterstützung brauche. Ich könnte Ihnen mehr sagen, wenn
ich nicht wüßte, daß <aq>littera scripta manet.</aq> Der gute Geist gebe es Ihnen zu ahnden. Sagen Sie doch
dem Derptschen Bruder er soll nicht so <ul>eigensinnig</ul> <insertion pos="top">ungläubig</insertion> seyn und mir einige seiner Predigten
schicken, daß ich sie Weygand in Leipzig zusende. Ich thue diesem damit einen Gefallen.</sidenote> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Zugleich bitte Hartknoch gelegentlich etwas dieses Unternehmens aber <aq>sub sigillo amicitiae et taciturnitatis</aq>
wissen zu lassen. Ich hoffe er kriegt den Verlag, wenn er ihm gelegen ist wovon ich mir einen Wink
ausbitte. Die ersten Namen die im ersten Bande vorkommen doch ich werde ihm selbst darüber schreiben,
wenn ich ihn willig merke, auch das äussere dieses Werks so zu besorgen, daß es <ul>diesen Namen</ul> entspricht. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Für die fünfzig Rubel statte tausend Danksagungen ab. Ich war in großer Noth. Mehr vom Derptschen Bruder
zu erfahren.<line type="break"/>
<align pos="center">Dero</align><line type="break"/>
<align pos="right">gehorsamster Sohn J M R Lenz.</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/><sidenote pos="left" page="4" annotation="Am linken Rand der vierten Seite, vertikal">Man räht mir hier von allen Seiten nach Moskau zu reisen, theils um die Sprache, theils um Herrschaften kennen
zu lernen, besonders da Graf Panin jetzt dort ist, bey dem unser Vetter Lenz aus Cüstrin Leibarzt ist. Wie mach
ich es dorthin zu kommen, da ich von den 50 Rbln alles für Schulden weggeben müssen. Die Reise kostet 25 Rbl.
Dort finde ich schon Unterstützung am Grafen. Wie befinden sich die Augen und die Zähne meiner theuresten Frau
Mama! Auch ihr küsse gehorsamst die Hand.</sidenote></letterText>
<letterText letter="352"><align pos="center">Hochwohlgeborner Herr Staatsrath<line type="break"/>
Insbesonders hochzuverehrender Gönner und Wohlthäter!</align>
<line tab="1"/>Der von Ew. Hochwohlgebornen mir geschehene Vorschlag mich morgen beprüfen zu lassen, um eine
Information in einem vornehmen russischen Hause zu übernehmen, verdient meinen ehrerbietigsten
Dank, da Ew. Hochwohlgebornen mich mit Dero wirksamen Empfehlungen zu unterstützen versprechen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Darf ich es aber wagen, Ew. Hochwohlgebornen vorher noch eine gehorsamste Bitte zu thun. Dieselben
wissen, daß die eigentliche Absicht meiner Reise nach Moskau war, unter Dero Rath und Leitung die
Geschichte des Vaterlandes (wofür ich Rußland halte) studiren zu können. Ich halte sie für ein
unentbehrliches Stück von Erziehung, finde mich also noch nicht tüchtig nach meiner besten Ueberzeugung
mich in ein Russisches Haus zu begeben, ehe ich wenigstens einige sichere Fortschritte in derselben
gemacht, von denen ich hernach durch eigenes Studieren weiter kommen kann. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Sollte mein Aufenthalt in Dero Hause oder auch meine Führung in demselbigen Ew. Hochwohlgebornen oder
Dero verehrungswirdigen Gemahlinn einige Beschwerde verursachen oder zu andern Unannehmlichkeiten und
Mißvergnügen Gelegenheit geben: so bitte mirs als ein Zeichen Dero Gewogenheit und Menschenliebe aus,
mir dieses bekannt zu machen, da ich dann keinen Augenblick säumen will, Ihnen die Ursache Ihres Mißvergnügens
aus dem Gesichte zu bringen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wollen Ew. Hochwohlgebornen aber noch ferner der Schuldherr meiner Erkenntlichkeit bleiben, für die ich freylich
jetzt nur mit Worten Bürgschaft leisten kann, und mir wenigstens nur soviel Aufschub gönnen, daß ich nach
Dero unschätzbaren Tabellen und andern gedruckten und ungedruckten Schriften die Russische Geschichte bis auf
die neuern Zeiten mir einprägen kann, so werden Dieselben dadurch außer dem Dank meiner Eltern und aufrichtigen
Freunde vielleicht auch noch den Beyfall erhabener edelmüthiger Gönner sich zu eigen machen und mich lebenslang
bereit finden mich zu beweisen als Hochwohlgeborner Herr Staatsrath <line type="empty"/>
<align pos="center">Geneigter Gönner<line type="break"/>
Ew. Hochwohlgebornen<line type="break"/>
gehorsamster Diener</align><line type="break"/>
<align pos="right">JMR Lenz.</align><line type="break"/>
M d. 30 8br. 1781. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich thue diese Bitte auch an Ew. Hochwohlgebornen Frau Gemahlinn und schmeichle mir, daß Dero Herr Sohn mir seine
Fürsprache bei Ihnen beiderseits gleichfalls gönnen werde; da ich bisher schon von so vielen Proben Dero allseitiger
Güte beschämt worden bin. Sollte ich im Stande seyn, Ew. Hochwohlgebornen oder Dero Herrn Sohn in der Zwischenzeit
meines Aufenthaltes zu etwas brauchbar zu werden; so werden Ew. Hochwohlgebornen mich glücklich machen, wenn Sie mich
davon benachrichtigen.</letterText>
<letterText letter="353">
<hand ref="10"><align pos="center">Rußland. 82.</align><line type="break"/>
Lavater wird vielleicht Lenzen, den unglüklichen Satyrenschreiben der in den Schooß der heiligen
Schweizergebirge zu seinen Füßen Weisheit lernte,o der viel erlernen sollte schon vergeßen haben. Die
gute Gesellschaft in der m: Brief kommt, wird ihn vielleicht bewegen dem Publikum das noch wie vor
1700 Jahren aus eben dem Athem Krüzige! rufen kann, aus dem es Hosanna rief, ein für allemal troken
zu sagen, daß Lavater, Göethe, Herder, Wieland, u: wie die berühmten Männer in Deutschland sonst heißen
die dieses Publikum so unbesonnen erhöhten um seinen Küzel auf eben so unbesonnene Weise an ihm auslaßen
zu können, von dem was diese Personen in der That sind, so verschieden sind, als die thörichten Begriffe
die die heutzutage so genanten herrschende Sichten in der Christenheit von einander haben u: mit starrem
Eigensinn als ihre Felsen behalten, von dem was diese Sekten in der That sind, u: nach der Unvollkommenheit
auf Erden seyn können. Müßen wir nicht alle unter diesen Ausschweifungen des menschlichen Eigensinns u:
Stolzes schweigend unser Kreuz tragen, u: auf den harren der täglich vom Himmel herab seinen Zorn über
aller gottlose Wesen der Menschen die Wahrheit durch Ungerechtigkeit aufhalten vergeblich offenbart? <line type="break"/>
Ach wenn Sie doch hier wären! Nicht als Apostel, aber als Laurenz Sterne! Für Ihre Freyheit wollten wir
sorgen jetzt sage ich wir u: Freiheit bleibt doch die erste aller Gottesgaben. Noch auf eine Abhandlung
von Ihnen harre ich. Ob die Seel ihren Körper noch unser Mutterleibe zu bilden fortführt, u: wie weit sie darin
gehen kann. Die deutlichsten mir vor Augen liegenden Erfahrungen fordern mich auf, Ihnen diese Bitte <ul>recht ans
Herz</ul> zu legen. Sehen Sie daß man sich Rußland nicht ungestraft nähert.</hand></letterText>
<letterText letter="354"><align pos="center">Theurester und Verehrungswürdigster Vater!</align><line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ihre geneigte Zuschrift habe schon durch verschiedene Gelegenheiten beantwortet, aber noch nicht die
mindeste erfreuliche Nachricht von Ihrem uns allen so theuren Befinden weder durch meine lieben
Geschwister noch durch sonst einen Freund erhalten können. Wie glücklich wäre ich, wenn der Herr
Pastor Gerzimsky mein würdiger Seelsorger und Beichtvater, der mir diesen Einschlag in seinen Brief
erlaubt, ein. Bewegungsgrund mehr wäre, mich aus der quälenden Unruhe dieser Unwissenheit durch einige
gütige Zeilen zu reissen. Sie haben die Güte gehabt, mich an den Herrn Past. Brunnerund an dessen Verwandte
und Freunde, die Herren Mahler und Kaufmann zu adressieren, welche, da Me. Exter ihre Behausung verändert,
jetzt meine Nachbarn sind. Darf ich es aber wagen, theurester Vater! da Sie die Güte gehabt, mir vierteljährig
aus Ihrer Väterlichen Milde eine kleine Zulage von 25 Rubeln zu versprechen (welche 30 ich schon einmal
durch den H. Past. Bruner erhalten) Sie gehorsamst zu ersuchen, selbige diesesmal an meinen Beichtvater,
den Herrn Past. Gerzimsky zu adressiren. Die Ursachen, so mich dazu nöthigen, sind folgende. Erstlich hat
dieser würdiger Mann* <!-- Verweiszeichen --> sowohl als der Herr Past. Bnmner, sich viele Mühe gegeben, meinem lieben Bruder in
Derpt Subscribenten zu seinen geistlichen Reden zu verschaffen, unter welchen sich sogar verschiedene
einsichtsvolle Personen von dem hiesigen Russischen Adel befinden. Mit vieler Beschämung muß ich Ihnen
hier den Namen eines Major von Tschagin nennen, welcher so wie verschiedene hiesige vornehme Russen sich
mehrere Jahre in Deutschland aufgehalten und da er Sprache und Sitten genau kennt, mir vielen Eiffer bezeugt
hat, diese Reden zu lesen. Dieser würdige Gönner, der mich schon mehrere Jahre lang unverdienterweise mit
Rath und That unterstützt hat, steht durch seine Schwester in Verwandschaft mit ihrer Erlaucht der
Direktrice der Akademie der Wissenschaften. Der wenige Unterricht, den ich seinen Kindern gegeben, hat ihn
zu meinem Freunde und Beschützer gemacht und ich weiß das viele Gute das dieser Menschenfreund mir, besonders
als ich mit Sprache und Sitten allhier noch völlig unbekannt war, durch nichts als ein eyfriges Gebeth für
sein Wohlseyn zu erwiedern; besonders da sein Beyspiel mehrere ädle Russen veranlaßt hat, sich meiner nicht
bloß als eines Fremden, sondern mit Patriotischer Wärme anzunehmen.** <!-- Verweiszeichen --> Die zweite Ursache ist, daß Herr Rektor
Lau (ein ehemaliger Universitätsfreund des Bruder in Derpt) bei der deutschen Schule, die unter der
Aufsicht des Herrn Past. Gerzimsky steht, das fürtrefliche Elementarwerk des Herrn Basedow mit Kupfern besitzt,
und mir dasselbige erst kürzlich, da wir das Glük hatten daß Sr. Durchl. der Graf v. Anhalt, der Mäzen aller
Erziehungsanstalten in Rußland, hier durchgiengen, nicht allein sehen lassen sondern auch sich willig findet,
mir dasselbe um einen billigen Preiß ganz abzustehen. Könnte ich, theurester Vater! Ihr gütiges Geschenk wohl
besser anwenden, als <page index="2"/> durch den Ankauf eines Buchs, das mir gleichsam erst jetzt meine erste Moralische
Existenz bei einer Erziehungsanstalt giebt, da es nicht bloß für Eleven, sondern hauptsächlich für diejenigen
verfasset ist, die sich mit der Bildung derselben beschäftigen. Kann ich der <ul>rechtschaffenen Dame</ul> in deren Anstalt
ich mich betinde, und die mir erst kürzlich von neuem versprochen für meine Equipage Sorge zu tragen, dieser Dame,
deren Vorsorge für 90 Eleven und 19 Lehrer, ihr noch Zeit übrig läßt für mich so freundschaftlich zu sorgen als
etwa meine Schwester <ul>Möritzin</ul> thun würde, meine Achtung und Erkenntlichkeit besser bezeugen, als wenn ich ihr dieses
Buch anbiethe und die Erklärung desselben bei einigen unserer jüngsten und liebenswürdigsten Pensionärs deren Eltern
uns mit Gewogenheit überhäuffen, selbst übernehme. Ich bin so glüklich gegenwärtig einige um mich zu haben, deren
Eltern mit Personen, die die höchsten Würden in unserm Senat einnehmen in Verwandschaft stehen welchen ich mich sonst
auf keine Weise nützlich zu machen oder zu empfehlen weiß. Zugleich halte es für meine Pflicht, da ich nicht im
Vermögen bin, Me. Exter Geschenke zu machen, ihr für alles Gute das sie mir seit vier fünf Jahren in Moskau erwiesen,
wenigstens meine Bereitwilligkeit zu zeigen, auch mein Scherflein zu dem Allgemeinen Besten, für welches ihre Anstalt
eingerichtet ist, auf eine oder die andere Art beizutragen. Wollte Gott, es könnte ein Senfkörnlein seyn, unsern
jungen Adel bei seinen anderweitigen liebenswürdigen Eigenschaften, ein wenig <ul>Liebe zum Detail</ul> alles dessen was zum
Menschlichen Leben gehört einzuflössen und ihnen zu fühlen zu geben, daß der allergeringste Mensch, wenn wir seine
Fähigkeiten recht zu lenken wissen, wenn wir wissen, wie wir ihn beschäftigen dürfen und sollen, uns unaussprechlich
nützlich seyn kann. Ich habe das unnennbare Vergnügen, diese Gesinnungen schon hier an einem jungen v. Wiäsemsky und
andern vornehmen jungen Herrschaften von seinem Alter (worunter sich auch ein junger Fürst Gagarin befindet) zu entdecken:
es fehlt nur noch an der <ul>Kenntniß</ul> der Mittel, sie <ul>dermaleinst,</ul> zur Hoffnung unsers gemeinschaftlichen Vaterlands, in
Ausübung zu setzen. <line type="empty"/>
<sidenote pos="left" page="1" annotation="am linken Rand der ersten Seite, vertikal">*<!-- Verweiszeichen --> Der auf der Nachbarschaft des H. Brunners wohnt und mit ihm ein Herz u eine Seele ist <line type="empty"/></sidenote>
<line tab="1"/><sidenote pos="bottom" page="1" annotation="am unteren Rand der ersten Seite, horizontal">** <!-- Verweiszeichen --> Unter diesen muß ich besonders zwei junge Verwandte des Grafen von Soritsch zählen, welche, da sie schon einige
Jahre vor mir in dieser Anstalt gebildet worden mit dem Sohn der Me. Exter eine <ul>ädle</ul> Freundschaft errichtet und deren
Onkel in einer der wichtigsten Angelegenheiten des Staats eine wichtige Rolle gespielt. Imgleichen einen teutschen
Obristen, der von Petersburg hieher gekommen und seinen Reisegesellschafter bei uns eingeführt.</sidenote> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ist es wahr, theurester Vater! daß Sie die Güte für mich gehabt, durch Herrn Hartknoch von hier eine Russische Bibel
nach Riga zu verschreiben. Ich hatte eine herzliche Freude darüber, weil ich überzeugt war, daß Sie in derselben Ihr
Bild finden würden; so wie es so viele ädle Russen, die auch an meinem Schiksal einen Menschenfreundlichen Anteil zu
nehmen würdigen, darinne finden. Darf ich doch bitten Herrn Hartknoch gelegentlich gütigst <page index="3"/> zu fragen, ob er
nicht einen Herrn von Töllner, Preußischer Offizier, kennt, welcher mir von Ihnen und dem Bruder in Dörpt zu meinem
Troste sehr vieles erzehlt hat. Er rühmte mir ein gewisses Buch, dessen ich hier habhaft zu werden wünschte. Es heißt:
Lebensläuffe in auf und absteigender Linie, von einem deutschen Plutarch, der aller Aufmerksamkeit und Nacheiferung
würdig ist. Ein solcher Maler der Seelen und Sitten wäre hier am rechten Ort, wo sich <ul>täglich</ul> in der Nähe und Ferne
sovieler Stoff dazu anbietet. Ein Moralischer Chevalier <aq>de Luc</aq> würde den Reichtum der Karaktere allhier, mit dem Geschmak
und der Kürze behandeln müssen, mit welcher jener den Reichtum der Schöpfung in den Schweizergebirgen behandelt hat. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Wollte Gott, theurester Vater! ich könnte Ihren Seegen zu irgend einer Art von <ul>fixer</ul> Existenz in dieser Mütterlichen
Stadt herüberholen! Die Würde welche Sie bekleiden, wird durch Ihre Person erst interessant und erregt die sympathetischen
Empfindungen aller derer, so sich in ähnlichen Verhältnissen befinden. Sprechen Sie wenigstens schriftlich ein Wort des
Trostes über mich, werden Sie zum andemmal ein schöpferischer Vater meiner Ruhe und meines Glüks, zu dem ich in der Güte
so vieler um mich verdient<note>Textverlust</note> Edlen einige Anstalten zu entdecken hoffe. Ich habe das Glük gehabt, Sr. Excellenz
dem <ul>Herrn Curator Cheraskoff</ul> besonders empfolen zu seyn und beschäftige mich gegenwärtig mit einem Aufsatz über einige
Schönheiten seiner Gedichte, insofern sie auf die Erziehung der russischen Jugend Einflüsse haben. Herr Hofrath <ul>Schade,</ul>
der bey der Kaiserl. Commission zur Untersuchung hiesiger Schulanstalten war, ein Mann von lebenslänglicher Erfahrung
über diesen Gegenstand, hat mich dazu gütigst aufgemuntert. Vielleicht bin ich so glüklich, da die hiesige Käis.
Universität sich unsrer Anstalt mit besonderm Eiffer annimmt, wenigstens dem Namen nach mit einige Ansprüche auf ein
Art von Bürgerrecht bei derselben zu erhalten. Was meinen Muth und Zutrauen auf die allesbelebende Vorsicht
unaussprechlich stärkt, ist der huldreiche Blick den der oberste Befehlshaber unserer Stadt auch auf unsere Anstalt
zu werfen scheint. Soll ich Ihnen sagen, daß ich das Glük gehabt vor Sr. Durchl. dem Grafen Anhalt selbst vorgelassen
zu werden und daß dieser herablassende Menschenfreundliche Herr sich fast eine Viertelstunde mit mir zu unterhalten die
Gnade für uns hatte? Welch ein Gemählde in einer solchen Gallerie als sich mir hier von allen Seiten aufthut um mein
Auge und vielleicht bald auch meinen furchtsamen Pinsel zu üben! <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Herr Major Hüne und andere Freunde, denen mich der Bruder aus Derpt empföhlen, befinden sich gesund und munter. Darf
ich bitten, meiner theuresten Frau Mutter und sämtlichen geliebtesten Geschwistern und Freunden tausend warme Grüsse
zum Neuen-Jahr zu sagen, Zeit, Raum und Umstände erlauben mir diesesmahl nicht ein mehreres. Ihrer geneigten Fürbitte
bey dem höchsten Geber aller Weißheit und Gaben, den ich für die Erhaltung Ihrer uns allen so theuren Gesundheit, Ruhe
und Zufriedenheit unablässig anflehe, empfehle auch in diesem Jahr meines theuresten und verehrungswürdigsten Vaters
Moskau den 18ten November 1785. <line type="empty"/>
<align pos="right">gehorsamsten Sohn<line type="break"/>
Jacob Michael Reinhold Lenz.</align> <line type="empty"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<adress><line type="break"/>
Sr. Magnifizenz<line type="break"/>
Herrn Herrn Christian David Lenz.<line type="break"/>
Generalsuperintendenten des Herzogthums Liefland, und geistlichem Präsidenten im Käiserlichen<line type="break"/>
Ober-Consistorium.<line type="break"/>
zu Riga in Liefland.<line type="break"/>
unter gütigem Einschluß.</adress></letterText>
<letterText letter="355">Lieber Lenz, <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Dank für Deinen Brief, ohne Datum, samt den Beylagen von Silhuetten, die mich, schreklicher
Zeitarmuth wegen2 weniger interessieren. Deine Urtheile als Charakter betrachtet, sind mir wichtiger.
Denke nicht, daß ich Deiner vergessen. <aq>Quem amavi, nunquam non amabo.</aq> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Hättest Du mir doch auch mehr von Dir, Deiner Person u: Lage, Deinem Thun und Leiden, Deinem Lieben u:
Hoffen, Deinem Leben und Glauben Geschrieben. <line type="empty"/>
<line tab="1"/><ul>Göethe</ul> ist izt in Neapel oder Rom, und arbeitet an der neuen Ausgabe seiner Werke, die Er um die Hälfte
vermehren will. Wenn Er bald herkömmt, will ich Deinen Auftrag mündlich ausrichten. <line type="empty"/>
Etwas, was physiognomischen Linien ähnlich sieht, wird nun bald in Engeland von mir gedrukt. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin nun neben Pfeningern an der Peterskirche, welches ein traumähnliches Glük für mich ist. Mamma ist
gesund. Mein Sohn studiert Medizin in Göttingen. Meine zwo Töchterleins machen mir täglich Freüde. <line type="empty"/>
Meinen <ul>Nathanael</ul> für <ul>Nathanaele</ul> wünscht ich von einigen Christen in Deiner Gesellschaft gelesen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>a Dieu Lieber! Lieber wenig, als die antwort aufgeschoben. Küß' Deiner Stiefmutter in meinem Namen die Hand.
Wills Gott! Kann ich Dir auch einmahl schreiben „Land! Land! Land!“ <line type="empty"/>
<align pos="right">Freytags nachts 12. Uhr. <line type="empty"/>
Den 30. März, 1787. <line type="empty"/>
Lavater.</align></letterText>
<letterText letter="356"><align pos="center">An Sr. HochEhrwürden den Herrn<line type="break"/>
Consistorialrath Dingelstedt.</align> <line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<line type="empty"/>
<align pos="center"><line tab="5"/>In dieser Dunkelheit der Trennungen von Freunden
<line tab="5"/>In dieser Einsamkeit von ädlerem Genuß
<line tab="5"/>Umringt vielleicht, wie Du, von innem, äussern Feinden
<line tab="5"/>Wie Du um kurz zu seyn von Lebensüberdruß
<line tab="5"/>Ach treuer Dingelstedt! was kann, um Dich zu trösten
<line tab="5"/>Da wir am Grabe stehn, wo all Dein Glük itzt ruht
<line tab="5"/>Was kann ich sagen? Ist die Hofnung der Erlösten
<line tab="5"/>Nicht unser bestes Rittergut?
<line tab="5"/>Sie liebte Ach warum mit Bildern Dich bestürmen
<line tab="5"/>Die Dir des Freundes Hand, mit Recht itzt <ul>hart</ul> entzieht Sie
<line tab="5"/>ist nicht mehr Sie ist! sie wird Dich noch beschirmen
<line tab="5"/>Wenn rathlos sich Dein Geist um nach dem Hafen sieht.
<line tab="5"/>Und keinen finden kann, ich sage redlich, keinen
<line tab="5"/>Als immer nur den alten einen.
<line tab="5"/>Sie ist! Du zweiffelst Freund! nein Ädler! zweifle nicht!
<line tab="5"/>Es leben <ul>wenig</ul> Freund auf Erden
<line tab="5"/>Und immer mehr wirds der Beschwerden
<line tab="5"/>Der Mißverständnisse, des Mißtrauns und des Wahns
<line tab="5"/>Des Wiederspruchs verschiedner Plans.
<line tab="5"/>Allein sie ist! und feiner, ädler, fester
<line tab="5"/>Lebt sie nun ganz für Dich, Du Bester!</align>
<line tab="1"/>Ist ihnen nicht eine Umarbeitung von Bitaubes Geschichte Josephs bekannt, die in Deutschland
herausgekommen seyn soll? Verzeyhen Sie daß ich Ihnen von dummen Zeuge spreche, weil ich in der
That nichts ernsthaftes zu sagen weiß. Ich habe die Nachricht von dem Hintritt Ihrer Gemalinn
in der Zeitung gefunden, die ich sehr <ul>wenig lese</ul> und sehr selten ganz durchlese. Mein Herz schlug
mir, daß ich Ihnen solange nicht geschrieben. Aber ach! dürfte ich in solchen Veranlassungen nie
wieder die Feder an den in die Hand nehmen, der fähig war mir durch ein Wort der Kraft bey der
Nachricht von dem Tode einer Mutter die ich wie mich selbst liebte, soviel Aufrichtung zu geben.<line type="break"/>
<page index="2"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Ich erinnere mich wenig mehr von den liebenswürdigen Kleinen, denen ich jetzt ein Dingelstedt zu
werden wünschte. Könnte ich Ihnen ein mal alles das Gute vergelten, daß Sie mir in Riga erwiesen
und setzte mich nicht ein bisgen ungerechter und unmarkvoller Fanatismus oder Gott weiß welcher
Geist des Selbstbetruges in Lagen, die es mir fast unmöglich machen Freunden zu dienen, ja offt
mich selbst aus der äussersten Verlegenheit zu retten. Die Freundschaft ist meinem Bedünken nach
eine etwas standhafte <ul>Werthachtung</ul> des andern, die durch keine Umstände und Glüks- oder
Unglükslüftgen (so ein wenig Staub aufwehen) verändert wird. Hier wird weder die Presse befragt,
noch der Bücherkatologus nachgesehen, obgleich auch diese Dinge einige Teilnehmung verdienen,
aber die, wie mich deucht, beyweitem nicht von der <ul>entsetzlichen</ul> Wichtigkeit ist. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich kenne das ganze Hebezeug und Wirkungsmaschine dieser gelehrten Vereinigungen und achte sie
nach dem sie es verdienen aber das <ul>Persöhnliche</ul> meines Freundes ist mir ein wenig schätzbarer,
als der armseelige Hausrath von Drehzeug den er in die Gruft mit nimmt. Wir haben die besten
Uhren von den geschiktesten Meistern, wir haben Teppiche und Gott weiß was, aber darum ist nicht
jeder Teppichmacher ein Apostel u. s. f. nicht jeder Versemacher ein König und Prophet. Wie
traurig wird Ihnen Ihr Haus itzt vorkommen, da die Seele in der Hausuhr fehlt dann das bleiben
die lieben Gattinnen doch immer, wenn ich gleich dis Glük noch nicht selbst bis auf den Grad
erfahren. Die äussern Geschäfte, so unserm Geschlecht überlassen sind, drüken und quälen ohne einen
innern Trost, ohne einen geheimen Freund, dem alles recht ist und der uns den Schweiß von der
Stirne wischt. Und diesen Freund <ul>gönnt</ul> uns das Verderben der Welt und Gott! offt unsrer nächsten
Freunde <ul>nicht.</ul> Was ist zu thun? Ueber den Sternen wirds eine andere Philosophie geben.<line type="break"/>
<page index="3"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>Wir suchen, wir wählen, wir betrügen uns und andere, bis wir endlich finden. Es ist einer, der Erbarmen
mit unsem Schwächen fühlt. Er prüft doch auch nicht über Vermögen und lenkt Herzen wie Wasserbäche. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Giebt es in Liefland Witwenanstalten für den Adel und die Priesterschafft? Es hat in Rußland ehemals
geistliche Stiftungen gegeben, an welche Summen ausgezahlt und für diese Leibrenten entrichtet wurden.
Sollten sich nicht in Liefland Fonds zu einer Handlungsgesellschaft errichten lassen, die denen
Interessenten, besonders denen verheuratheten, oder die zu heurathen willens wären, jährliche Dividenden
austheilten. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich schmiere mehr um Sie zu zerstreuen, als Sie zu unterhalten. Das Elend ist allgemein, auch durch ganz
Rußland, besonders für die so Vorurtheile in dies Land mitgebracht, die in einem gewissen Alter nicht mehr
zu heben sind. Das Reich ist groß und so erschöpft nicht, es werden sich Mittel finden lassen, einem jedem
Fremden in demselbigen sein Vaterland wieder darzustellen.<line type="break"/>
Meine Schwester hatte mir offt von Permien geschrieben, allein ich begreiffe nicht, wie ich dahin kommen, noch
was ich da machen soll. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Die Härte der Grundsätze ist überall gleich und man trift freilich mit unter auch überall weichere und edler
gestimmte Gemüther. Doch auch diese wünschten gern die ganze Welt nach sich umzustimmen diese Bekehrungskrankheit
ist allgemein. Der Schöpfer liebt und will die Verschiedenheit bei aller Eintracht der Gesinnungen und wenn nun
der ganze Leib Auge wäre, was würde der Fuß sagen? Warum richten und verdammen sich doch die Menschen untereinander
ohne Ursache? <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich bin fast ganz von Kleidem und Wäsche gekommen, durch diese scharfsinnige <ul>Sucht nach Aehnlichkeiten,</ul> die uns
alle Individualität nimmt. Sollte denn Gott nicht helfen denen so tag und Nacht zu ihm schreyen über diese
felsenfeste und Unbewegliche Bekehrer zu <ul>der kleinen Schimäre</ul> mit der sie Morgens früh aus dem Bette aufstehen. <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Ich küsse Sie Ädler! mit dem innigsten Bedauren und bitte mir eine überlegte aber niemals schwärmerische Theilnehmung
in Liebe an meinem Schiksal aus, wenn Geschäfte Ihnen gleich nicht Zeit lassen zu schreiben an Dero <line type="empty"/>
<align pos="right">auch abwesend gleich aufrichtigen und<line type="break"/>
ungekünstelten Verehrer JMR. Lenz.</align><line type="break"/>
<page index="4"/><line type="break"/>
<line tab="1"/>N. S. Ich weiß, daß Sie auch <ul>ausser der Kirche</ul> und dem öffentlichen Gottesdienst Geistlicher sind und bitte daher,
sich meinen Brief an meinen Vater von demselben vorlesen zu lassen und in Ihre Berathschlagung zu nehmen. Wir haben in
dem hiesigen Senat ein Camptair zur Untersuchung des Petersburgischen Justizkollegii und es läßt sich hoffen, daß bey
der Commission zur Errichtung neuer Städte geistliche und Weltleute Platz nehmen können. Ich will nicht sagen, Gott
berathe, Gott helfe Ihnen, ich will ihn lieber bitten, mich in den Stand zu setzen, auch entfernteren Freunden nützlich
zu werden, die mich freilich wohl bisweilen verkennen mögen, weil ich wieder die <ul>Täge</ul> so in der Russischen Kirche
ursprünglich ausgesetzt waren, sich bey der Mahlzeit auch des Armen und Dürftigen zu erinnern, nicht mit dem
schwärmerischen Eiffer zu Felde zog. Uebrigens ist wohl, bey der Einführung neuer Kalender anjetzt alles so
ziemlich gleich und die <ul>Herzens</ul>härtigkeit das einzige allgemeine Uebel das durch Geduld überwunden werden muß.
Die Rangtabellen Peter des Großen fangen an auch so <ul>ziemlich</ul> menschlicher commentirt zu werden als bisher und
vielleicht stehen einmal Geistliche auf, die das <ul>Ehre von einander</ul> nehmen ein wenig besser auseinander
setzen. Gott schenke Ihnen und mir weniger schmarrende Lobeserheber und seltnere standhafte und aufrichtige
Freunde! d. 6te Jun. 87.<line type="break"/>
<note>andere Tinte</note><line type="break"/><!-- Tinte -->
Mosco.</letterText>
<letterText letter="357"><align pos="right">In grosser Zerstreuung<line type="break"/>
d Septbr. 1787.</align> <line type="empty"/>
<align pos="center">Wehrtester Freund!</align> <line type="empty"/>
<line tab="1"/>Es haben mich einige Mitglieder der hiesigen freyen Typografischen Gesellschaft bevollmächtigt, mit
Ihnen über Theilnahme an derselben Briefe zu wechseln. Wahr ist es, daß wir hier deutsche
Druckereyen haben, allein die Lektüre ist noch nicht so sehr ausgebreitet daß z. B. ein
neuer Buchladen zu errichten wäre. Wer weiß, was geschieht, wenn die Sache in die Wege zu
richten wäre, daß Kaufleute die nach Derpt zum Jahrmarkt reisen, dem Herrn Reimmann nachahmten
und ihre Zeit so nähmen, daß sie von Riga nach Moskau und von hier nach Derpt giengen. Vielleicht
wäre möglich zu machen daß der Jahrmarkt im Troitzkischen Kloster (denn in Moskau ist keiner) der
am 15ten August anfängt, entweder verlegt, oder mit einem neuen vermehrt wird, der etwa sich an
den im nahgelegenen Dorf Pawlow vom 26sten Oktober anschliessen könnte, wovon in der
neuherausgekommenen Beschreibung des Moskowschen Gouvernements, die hier zu 1 1/2 Rbl.
verkauft wird, nachgelesen werden kann. Man ist hier eben bemüht, eine Lesegesellschaft
einzurichten, der alsdenn ein Buchhändler der neue Sachen aus Deutschland mitbrächte, willkommen
seyn würde. Soweit darf ich in dieser Sache schreiben, da Herr von <aq>Kutusoff,</aq> dessen Silhouette ich
nebst der vom Fürsten <aq>Trubetzkai</aq> und seiner Gemahlinn dem R. Allerley beilege, gegenwärtig nicht in
Moskau ist, auch Herr <aq>Nowikoff</aq> sich auf dem Lande befindet. Nicht diese wirklich grosse und ädle
Russen allein, sondern mehrere, unter denen sich Se. Excell. der Curator der hiesigen Universität
selbst befindet, haben mich aufgemuntert, das Auserlesenste der neueren Russischen Litteratur unter
dem Tittel Russisches Allerley auch den Ausländern mitzutheilen. Als der Graf Anhalt hier durchging,
mußte demselben versprechen, einige Gesänge der Russiade oder Gedichts von Rußland in der Uebersetzung
mitzutheilen, welches Gedicht ich dereinst besonders abzudrucken und als denn dem Grafen der als Original
nicht so leicht weglieset, zuzueignen gedenke. Sollten sich in Liefland und vielleicht in Kurland oder
auch Preussen Subscribenten nicht Pränumeranten zu dem Allerley finden so würde mich es freuen , wenn
Sie für Verlagskosten schadlosgehalten würden; sonst wird auch Rüdiger, der erst ganz kürzlich
Blostschejewefs Beschreibung des Russischen Reichs von mir in der Uebersetzung drucken lassen den Verlag
gern übernehrpen. Nach bester Empfehlung an die Frau Gemalinn Dero<line type="break"/>
<align pos="right">aufrichtigergebenster<line type="break"/>
JMRLenz.</align></letterText>
</document>
</opus>