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<opus>
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<letterText letter="1222">
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<page index="1" /> Hoch Edelgeborner Hochgelahrter Herr <aq>Secretair</aq> <line type="break"
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tab="7" /> Verehrungswürdigster Gönner! <line tab="7" />
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<line type="empty" /> Ew.
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HochEdelgebh: haben mich durch die neue Probe von Dero schätzbaren Gewogenheit ausserorndtlich
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beschämt. Meine Feder ist zu schwach, Denenselben die regen Empfindungen meines Herzens
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darüber zu schildern. Ich weiß Ew. HochEdelgebh: meine Dankbegierde auf keine andere Art an
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den Tag zu legen, als daß ich meine gestrigen Wünsche für Dero Wohlseyn wiederhole, und die
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gütige Vorsicht um die Erhörung derselben anflehe. Der Herr überschütte Dieselben und Dero
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wertes Haus im künftigen Jahr mit tausend Seegen und Heil. Er erhalte Ew. Hoch Edelgebh: bis
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zu den spätesten Zeiten im ersprießlichsten Wohlergehen. Er bewahre Ew. HochEdelgebh: für alle
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widrige Zufälle in den künftigen Jahren, und <page index="2" />lasse mich noch lange das Glück
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genießen, Dieselben in dem blühendsten Wohlstande zu sehen, und mich mit dem erkenntlichsten
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Herzen nennen zu dürfen <line type="empty" /> Hoch Edelgeborner Hochgelahrter Herr <aq>
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Secretair</aq> <line type="break" tab="7" /> Verehrungswürdigster Gönner <line type="break"
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tab="7" /> Ew. Hoch Edelgebh: <line tab="7" />
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<line type="empty" /> gehorsamsten Diener <line
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type="break" tab="7" /> Jacob Michael Reinhold Lenz <line tab="7" />
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<line type="empty" />
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Von Hause, d. 2 Jenner, 1765. </letterText>
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<letterText letter="2">
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<page index="1" /> Bester Bruder! <line tab="2" /> Wie kann ich einen Augenblick anstehn, Dir
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bey der freudigsten Begebenheit Deines Lebens ein Bruderherz auszuschütten, das von Seufzern
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und Tränen wallet! Ich preise die Vorsicht mit Dir, die Dir die liebenswürdigste Gattin
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zuführt und unsere Familie in einem Jahre mit sovielem Glück überhäuft, daß wir für gar zu
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großer Freude wie betäubt sind und nichts als jauchzen und stammeln können. So sind denn nun
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Deine Wünsche erfüllt: so schmeckest Du nun zum erstenmal alles Süße, alles Entzückende einer
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Liebe, die keine Angst, kein Kummer, keine Träne verbittert. So belohnt denn die ächte, die
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reine, die wahre Zärtlichkeit endlich einmal ein Herz, das nur für sie geschaffen war und das
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schon von Jugend auf sich heimlich nach einem Gegenstande hat sehnen müssen, dem es sich ganz
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überlassen könnte. 0 gütige Vorsicht! so erhöre denn alle unsere Wünsche, alle unsere Tränen,
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für dies Paar, das du selbst durch wunderbare Wege geknüpft hast. Lebe, liebster Bruder! lebe
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lange, lebe glücklich in den Armen Deiner Cristinchen: seyd ein Muster der schönsten Ehe, ein
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Trost Eurer für Freude weinenden Eltern, eine Freude Eurer Geschwister: jeder Eurer Tage müsse
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mit neuem Entzücken für Euch geschmückt seyn, jedes Eurer Jahre müsse so heiter hinfließen,
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wie ein Bach, der durch Rosen fließt. Nie müsse ein Gram Eure Seele umwölken, nie müsse ein
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Elend euch niederschlagen, da es euch nicht mehr allein, sondern verbunden, von der Hand
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Gottes verbunden, trifft, da eure Zärtlichkeit und eure Küsse euch trösten und selbst im
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Unglück beglücken werden. Eure Liebe sey so feurig, so rein, aber auch so unauslöschlich, wie
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das Feuer der Vesta: sey so dauerhaft, als ein Felsen, auf den das Meer vergeblich loßstürmt:
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eure Liebe lebe mit euch, sie leide mit euch: ihr werdet zwar sterben, aber eure Liebe wird so
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wie eure abgeschiedenen Seelen ewig währen, sie wird um euer Grab wachsen, und so wie eure
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Seelen dereinst wieder mit euren Körpern vereinigt werden; alsdann kann kein Tod sie mehr
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aufhalten, alsdann dauert sie bis in undenkbare Aeonen. <line type="empty" /> Ich seh euch
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schon im Geist, ihr liebenswerthen Beyde, <line tab="5" /> Ihr wandelt Hand in Hand durch
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Tarwasts frohe Flur. <line tab="5" /> Aus euren Mienen lacht nur Freude, <line tab="5" /> Und
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reine Lust und Lieb und Unschuld nur. <line tab="5" /> Euch wird der Lenz sich jetzo schöner
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schmüken, <line tab="5" /> Ihr findt ihn auf der Flur, findt ihn in euren Bliken. <line
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tab="5" /> Euch wird der Bach jetzt mit mehr Anmuth rauschen, <line tab="5" /> Mit froherm
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Ohr werdt ihr aufs Lied der Wälder lauschen, <line tab="5" /> <page index="2" /> Und mit
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entzükterm Blick, werdt ihr von goldnen Höhn, <line tab="5" /> Die Morgensonn zur Erde lächeln
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sehn. <line tab="5" /> Und weht der stürmsche Herbst und tobt der kalte Winter <line tab="5" />
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So wird nur euer Herz und eure Lieb entzündter; <line tab="5" /> Im ländlich stillen Sitz
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werdt ihr, auch ganz allein, <line tab="5" /> Auch unter Schnee und Sturm, euch durch euch
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selbst erfreun: <line tab="5" /> Und wird denn in der Stadt der Tag zu trübe seyn, <line
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tab="5" /> Dringt ihm die Nacht zu früh herein, <line tab="5" /> Wird er des Abends Länge
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scheun: <line tab="5" /> Dann werdet ihr bei sanftem Lampenschein <line tab="5" /> Euch selbst
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Gesellschaft, Lust und Scherz und Frühling seyn. <line tab="5" /> Wird euch ins künftige ein
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neues Glüke lachen, <line tab="5" /> So werdet ihr vereint, es euch noch süßer machen: <line
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tab="5" /> Und naht ein Unglückssturm euch zärtlichen Erschroknen, <line tab="5" /> So wird
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des einen Trän des andern Tränen troknen. <line tab="5" /> Und einst wenn Jahre euch, wie Tage
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hingeflossen, <line tab="5" /> Und ein unschuldig Kind hält eure Knie umschlossen <line
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tab="5" /> Und stammelt seinen Segen euch: <line tab="5" /> Dann ist nicht Ehr und Gold,
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dann ist nicht Thron und Reich <line tab="5" /> Dann ist kein Glük dem euren gleich. <line
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tab="5" /> Dann soll sich eur Geschlecht dem unsrigen begegnen <line tab="5" /> Und unsre
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grauen Eltern seegnen: <line tab="5" /> Dann wollen wir uns freun, wie sich ein Engel freut, <line
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tab="5" /> Voll Wehmut und voll Zärtlichkeit, <line tab="5" /> Voll Wonne und voll
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Dankbarkeit. – <line tab="5" /> Und werden einst … Gedank voll Bitterkeit! <line tab="5" />
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Und werden einst sich eure Augen schließen, <line tab="5" /> (Doch dann erst, Gott! wenn sie
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das Alter halb schon schließt) <line tab="5" /> Dann drükt mit traurigen und doch noch traurig
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süßen, <line tab="5" /> Und euch im Tod noch angenehmen Küssen <line tab="5" /> Euch eure
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Augen zu. – O Bild voll Schmerz! Dann fließt! <line tab="5" /> Ihr Tränen meiner Wang, fließt
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um sie! Dann begießt <line tab="5" /> Ihr mir geliebtes Grab, aus seiner Erde schießt <line
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tab="5" /> Dann eine Ros herfür, die traurig reizend blühet, <line tab="5" /> In der mein
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Aug das Bild von ihrer Ehe siehet. <line tab="5" /> Dann sag ich – – – doch mein Lied, zu
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traurig Lied! halt ein! <line tab="5" /> Sonst muß ich dieses Blatt mit Tränen überstreun. <line
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tab="5" />
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<line type="empty" />
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<note>vertikal am linken Rand</note> Ich umarme Dich und
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küsse Dich 1000mahl als Dein <line type="break" /> allergetreuester Bruder <line type="break" />
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Jacob Michael Reinhold Lenz.<line type="break" /> Dorpat den 11ten October 1767. </letterText>
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<letterText letter="3">
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<page index="1" />
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<align pos="center">Verehrungswürdigste Eltern! </align>
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<line type="empty" />
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<line
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type="empty" />
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<line type="empty" /> Nach einer langsamen und ziemlich beschwerlichen Reise
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sind wir endlich am verwichenen Mittwochen Nachmittags um zwey Uhr glüklich und gesund zu
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Tarvast angekommen. Der Weg ist fast <aq>inpassabel</aq>, und die ersten Tage hatten wir
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ungemein starke Stürme und Regen. Wir wurden von der Wittwe recht artig aufgenommen und
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speiseten den ersten Abend mit dem Lieutenant Krüdner von Arrohoff und seiner Gemahlin, die
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sich Ihnen empfehlen ließen und mit dem Rittmeister Pietsch und der Fräulein Krüdner. Wir
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werden auch noch immer zum vor und nachmittäglichen Kaffee und zur Mahlzeit herein gebethen,
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weil der älteste Bruder mit seiner Wirtschaft noch nicht völlig im Stande ist und wir erst mit
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dem Anfange der künftigen Woche unsre eigne <aq>Menage</aq> <page index="2" />anfangen wollen.
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Die Wittwe ist eine <aq>simple</aq> Frau mit der der Umgang ziemlich langweilig wird: aber die
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Kinder sind rechte Unholde, und ich habe sie noch in meinem Leben so ungezogen nicht gesehen.
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Die jüngere Tochter strich ohne uns zu grüßen mir wie ein Wirbelwind vorbey und nahm ihren Weg
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gerade nach dem Tisch zu, auf den sie mit einem Satz sich heraufschwung und die Älteste machte
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es eben so, nur mit dem Unterschied daß sie bei jedem Schritt eine Art von Kniks machte, wie
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ihn ihr die Natur gelehrt hatte. Bey Tisch schreyt alles so untereinander, daß wir stumm seyn
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müssen, weil wir unser Wort nicht hören können. Der Bruder läßt sich recht sehr entschuldigen,
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daß er nicht mitgeschrieben: er ist von Morgen bis Abend zu mit Arbeiten und Bräutigammen und
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Lehrlingen überhäufft, überdem auch mit seiner Wirthschaft beschäftigt, mit der es noch nicht
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in<page index="3" /> den Gang kommen will, weil die alte Jungfer noch immer Rasttage hält und
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überhaupt ein bisgen unlustig ist, weil sie, wie sie sagt und sich einbildt, unter lauter
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Feinden hier leben muß. Er befindet sich aber sonst nach der Reise, so wie auch ich und die
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Jungfer, Gottlob recht gesund und läßt Sie, das junge Paar und alle Geschwister aufs
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ehrerbietigste und zärtlichste grüßen. Ich bitte gleichfalls den Neuverbundnen und allen
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Geschwistern meinen zärtlichsten Gruß zu vermelden und küsse Ihnen die Hand als <line
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type="empty" /> Meiner verehrungswürdigsten Eltern <line type="empty" />
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<line type="empty" />
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gehorsamster Sohn <line type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz Tarwast den 9ten November
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1767. <note>am linken Rand, vertikal</note> Der Frau Obristin und ihrem würdigsten Hause, wie
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auch dem Herrn Pastor Oldekopp bitte unser beyder gehorsamste Empfehlung zu machen und
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letzterem zu seinem Namenstage zu gratuliren. Ich werde meine Kur erst mit der künftigen Woche
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anfangen und mache mir deswegen in der jetzigen bisweilen eine <aq>Motion</aq>, mit Reiten und
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Spazierengehen. Auf den Sonntag wird der Bruder teutsch predigen. <page index="4" />
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<note>
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Adresse</note> Dorpat. <line type="empty" />
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<line type="empty" />
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<line type="empty" />
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<aq>A
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Monsieur Monsieur <ul>Lenz</ul> Prevot ecclisiastique et Ministre du St. Evangile a l’eglise
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de St. Jean </aq>
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</letterText>
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<letterText letter="4">
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<page index="1" />
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<align pos="center">Verehrungswürdigster Herr Papa!</align>
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<line
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type="empty" />
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<line
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type="empty" />
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<line type="empty" /> Ich weiß nicht, ob der Bruder bey seinen
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Amtsgeschäften, Catechisiren etc. Zeit haben wird, an Sie zu schreiben: ich nehme mir also die
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Freyheit, Ihnen abermals von dem was uns angeht, gehorsamst Nachricht zu geben. Der Bruder ist
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||
wie gesagt, sehr beschäftigt, befindet sich aber bey seinen Arbeiten noch immer Gottlob! recht
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gesund und vergnügt. Auch mir bekommt meine Kur recht gut und außer der kleinen
|
||
Unbequemlichkeit, die mir der <aq>Diät</aq>, das Warmhalten, das Laxieren u. dgl. <page
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||
index="2" />machen, bin ich hier so vergnügt, wie man es in der Einsamkeit sein kann. Ich
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||
lese, oder schreibe, oder studire, oder tapeziere oder purgiere, nachdem es die Noth erfodert.
|
||
Uebrigens hoffen und wünschen wir beyde von ganzem Herzen, daß dieser Brief sowohl Sie, als
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meine hochzuehrende Frau Mamma recht gesund, vergnügt und zufrieden antreffen möge. <line
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tab="1" /> Doch! eine Bitte, gütigster Herr Papa! zu der mich die Noth und Dero väterliche
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Gewogenheit berechtigen. Ich habe bey der neulichen Herreise empfunden, wie wenig ein bloßer
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||
Roquelor bey Reisen in kühler und windiger Witterung vorschlage. Ich kann mir also leicht
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vorstellen, wie es anziehen muß, wenn man im Winter im bloßen Mantelrock reiset. Ich weiß
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wirklich nicht, wie ich einmal nach Derpt zurückkommen oder falls des Bruders Hochzeit im
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||
Janauar seyn sollte, zu der er mit seiner Equipage mich mitnehmen will, wie ich die Reise
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dorthin werde thun können. Ueberdem ist mir ein Pelz allezeit nöthig: ich nehme mir also die
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||
Freyheit, Sie ganz gehorsamst zu bitten, ob sie mir nicht könnten für 3 Rubel das Futter dazu,
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nämlich einen Sak <insertion>schwarzen</insertion> Schmaßchen aus den Russischen Buden
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ausnehmen lassen. Das Oberzeug darf nur Etemin seyn: und da Sie in dieser Zeit sich <page
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index="3" />ohnedem ausgegeben haben, <insertion>so</insertion> daß ich mich billig gescheut
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haben würde, mir von Denenseiben was gehorsamst auszubitten, wenn mich nicht die Noth zwänge:
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||
so könnte es ja solange in Peukers Bude auf Conto gesetzt werden, bis es Ihnen weniger
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||
beschwerlich fiele, das Geld dafür zu bezahlen. Ich überlasse dies übrigens ganz Ihrer eigenen
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gütigen Disposition und werde mich auch alsdenn zufrieden geben, wenn die Umstände es für
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diesmal nicht erlauben sollten. <line tab="1" /> Uebrigens küsse ich Ihnen und meiner besten
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Mamma ganz gehorsamst die Hand und bin nach 1000 Grüßen an allen meine Geschwister und nach
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gehorsamen Empfehl an die Frau Obristin Albedille nebst Ihrem ganzen würdigsten Hause, an den
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||
Herrn Pastor Oldekopp und alle übrige Gönner und Freunde <align pos="right">Meines
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verehrungswürdigsten Herrn Papas</align>
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<line type="empty" />
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||
<line type="empty" />
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||
<align
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pos="right">gehorsamster Sohn <line type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz. </align>
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||
Tarwasts Pastorath den 24ten November 1767 <page
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||
index="4" /> P. S. Der Bruder läßt sich nochmals gehorsamst entschuldigen, daß er diesmal
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||
nicht mit geschrieben. Er hat gestern den ganzen Tag mit Brautsleuten und Lehrlingen zu thun
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gehabt, gestern abend um 12 Uhr in aller möglichen Eile noch nach Reval geschrieben, welchen
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Brief er gehorsamst zu bestellen bittet und ist heut früh schon bey dem scharfen Frost den wir
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||
seit einiger Zeit gehabt haben und bey dem Schnee und Sturm der verwichenen Nacht,
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catechisiren mit Schlitten gefahren. Er läßt unterdessen Ihnen und seiner würdigsten Frau Mama
|
||
seinen kindlichen Handkuß und allen seinen Geschwistern besonders dem jungen Paar, wie auch
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||
allen guten Freunden seinen zärtlichsten Gruß versichern. <line tab="1" />
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||
<note>Friedrich
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David Lenz’ Hand</note>
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<hand ref="3">P. S. Theurester Papa. Diesen Augenblick komme von der
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Catechesation. Von 8 Uhr heute Morgen bis 4 Uhr Nachmittag habe ich in der Kälte zugebracht,
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||
und bin vom Frost und Ungestüm so durchgenommen, daß ich kaum die Fingern rühren kann. Ich bin
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||
sonst Gottlob gesund, und werde mich innigst freuen, wenn Sie und meine geliebteste Frau Mama
|
||
es auch sind. Sie haben doch meiner gehorsamsten Bitte gemäß schon nach Reval an meine
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||
Schwieger-Eltern geschrieben, und für mich eine Vorbitte in puncto der Hochzeit im Januario
|
||
eingelegt? 100000 Grüße und Küße an <insertion>Sie beyde verehrungswürdigten</insertion> alle
|
||
Geschwister Freunde und Gönner von Ihrem gehorsamsten Sohn. F. D. Lenz. Mit steifen Fingern </hand>
|
||
</letterText>
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||
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||
<letterText letter="5">
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||
<page index="1" />
|
||
<align pos="center">Mein liebstes junges Paar!</align>
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||
<line type="empty" />
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||
<line
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type="empty" />
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<line type="empty" /> Wie sind Sie angekommen? Wieviel Glieder und Sinne
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||
haben Sie noch übrig? (denn Ihren Leuten wird wohl Verstand und alle Sinne erfroren seyn). Wie
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haben Sies zu Wasser und zu Lande gehabt? Sind Sie auch geirret? Und wie haben Sie alles zu
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||
Hause gefunden? Wie lassen sich die Schwedischen Reichsräthe an? Und wie gefällt Ihnen, meine
|
||
liebe junge Frau, das einsame Tarwast? <line tab="1" /> Zum andern befinden wir uns alle so,
|
||
wie Sie uns gelassen haben. Papa ist Papa, und Mamma ist Mamma, und Moritz und seine Frau und
|
||
alle übrige sind gesund und vergnügt, und ich, ich sey Jakob. <line tab="1" /> Zum dritten,
|
||
vierten und zehnten habe ich auch die Ehre zum Geburstag zu gratuliren und zu wünschen <aq>
|
||
mmmmmmm</aq> und wieder der Herr <aq>mmmmm</aq> und wieder der Heiland <aq>mmmmm</aq> und
|
||
wieder sitzo. <note>am linken Rand, vertikal</note> Mamma bittet den Sak zurück in welchem
|
||
Dein Junge Salz mitgenommen hat. Sie grüßet Sohn und Tochter aufs zärtlichste und bittet sehr
|
||
um angeführten Sak. <page index="2" /> Oder besser: ich wünsche auch, daß Sie möchten zu einer
|
||
glüklichen Stunde geboren seyn ….. und nicht nur dieses sondern viele folgende zu erleben und
|
||
mit Gesundheit zu verzehren. <line tab="1" /> Oder dito feiner: Wünsche auch, daß der
|
||
barmherziger Gott verleihen wolle einen kräftigen Geist des <aq>Danielis</aq> und wenn es
|
||
sollte dermaleinst zum Jahre des Nestors kommen, dieselben; Sie gehen nimmer aus meinem
|
||
Gemüthe weg. Anbey wünsche auch daß in künftiger Zeit benebenst guter Gesundheit dermaleinst
|
||
mancher kleiner Herr Söhnlein um die Eltern wimmeln mag, benebst den Oelpflänzlein um dero
|
||
Tisch, sie grünen und blühen. Abkürze hier meine Gratulation, dieweile der drange Raum mich
|
||
verweigert, hierüber weiter herauszulassen. <line tab="1" /> Ernsthaft zu reden so ist es
|
||
Schade, daß wir an diesem Tage nicht hier zusammen vergnügt sein konnten. Doch ich bin jetzt
|
||
im Geist auf Tarwast und schwatze Ihnen was vor, dann werde ich ganz ernsthaft und wünsche
|
||
Ihnen beyden so viele und so angenehme Geburtstage, als Sie sich selbst wünschen, und soviel
|
||
Vergnügen, als Ihnen die ersten Umarmungen in Reval gaben, an dem heutigen Tage. Es sey euch
|
||
dieser Tag an tausend Zärtlichkeiten<line tab="5" /> An tausend sanften Freuden reich.<line
|
||
tab="5" />
|
||
<page index="3" /> Mit Küssen grüßet ihn: spielt ihm auf sanften Sayten<line
|
||
tab="5" /> Ein zärtlich Lied und unter Zärtlichkeiten<line tab="5" /> Verfließ er euch!<line
|
||
tab="5" /> Dies ist der Tag, müß jetzt Ihr Fritzchen sagen,<line tab="5" /> Der Dich mir
|
||
gab, mein Leben, meine Lust.<line tab="5" /> Für mich hat unter ihrer Brust<line tab="5" />
|
||
Die beste Mutter Dich getragen.<line tab="5" /> Für mich hat Deinen ersten Tagen<line tab="5" />
|
||
Gott jene teure Pflegerin geschenkt<line tab="5" /> Die zärtlicher, als hundert Mütter denkt<line
|
||
tab="5" /> Und deren Abschied noch Dich kränkt.<line tab="5" /> Für mich wuchs Deine holde
|
||
Jugend<line tab="5" /> Wie Frühlingsrosen auf: und Zärtlichkeit und Tugend<line tab="5" />
|
||
Keimt’ damals schon für mich in Deiner Brust empor.<line tab="5" />
|
||
<line type="empty" /> Dann
|
||
müß auch sie mit sanften Küssen sagen:<line tab="5" /> Geliebter, ja, ich bin nur da für Dich.<line
|
||
tab="5" /> Für Dich fing dies Herz an zu schlagen<line tab="5" /> Und ewig schlägt es nur
|
||
für Dich.<line tab="5" />
|
||
<line type="empty" /> So sey euch dieser Tag an unschuldsvollen
|
||
Freuden,<line
|
||
tab="5" /> So sey er euch an Liebe reich.<line tab="5" /> Wie mancher Hagstolz muß euch eure
|
||
Lust beneiden,<line tab="5" /> Wie manches Ehepaar wünscht heimlich eure Freuden!<line tab="5" />
|
||
Werd ich einst auch ein Mann, will ich euch nicht beneiden:<line tab="5" /> Allein zum Muster
|
||
nehm ich euch.<line tab="5" />
|
||
<page index="4" /> Neuigkeiten! <aq>Madem. Smoljan</aq> und die
|
||
Majorin Graß sind weggereist. Die Oldekoppin ist recht böse auf Dich, lieber Bruder, und auf
|
||
Deine junge Frau, daß ihr nicht bey ihr gewesen seyd. – <line tab="1" /> Papa und Mama, die
|
||
sich Gottlob! noch erträglich befinden, Moritz und seine Frau, die vielleicht selbst auch
|
||
schreiben werden, Lieschen, Christian und die kleinen Geschwister, alle Freunde besonders die
|
||
Frau Obristin und die Fräuleins grüßen und küssen 1000mal Fräu- und Männlein. Auch wird die
|
||
alte Jungfer begrüßt. Leben Sie gesund und vergnügt mein liebstes Paar! und behalten Sie immer
|
||
lieb <line type="empty" />
|
||
<note>Albedylls Hand</note>
|
||
<hand ref="7">Ihres Herrn Bruders seine
|
||
grüsse von mich sind zu kalt, hier folgen die zärtlichsten die aufrichtigsten die feurigsten
|
||
von mich und meiner Tochter, von meiner eigenen Hand. <ul>
|
||
<aq>Albedyll</aq>
|
||
</ul></hand>
|
||
<line type="empty" /> zärtlichsten Bruder <line
|
||
type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz<line type="break" /> Am Geburtstage 1768. <line
|
||
type="break" /> P.S. Wenn Du, liebster Bruder! einige <aq>Exemplare</aq> von <insertion>
|
||
den</insertion> hochzeitlichen Gedichten hast, so schicke sie mir doch, ich habe kein
|
||
einziges. Onkel Kellner vergaß auch uns welche mitzugeben. Die <aq>Capit. Sege</aq> und die
|
||
Lieutnantin Brandt von Fetenhof und die Majorin Toll von Wissus haben junge Söhne. Die alte
|
||
Oldenkoppin ist ziemlich krank. Heut hat H. Rektor für Reichenberg gepredigt. <aq>Adieu!</aq>
|
||
Dieses am Sonntage. </letterText>
|
||
|
||
<letterText letter="6">
|
||
<page index="1" /> Königsberg 1769. Octbr 14. <align pos="center">Gütigster Herr Papa.</align>
|
||
<line
|
||
type="empty" /> Um den Brief nicht überflüssig groß und dick zu machen, muß ich mich
|
||
begnügen, nur gegenwärtigen kleinen Zettel in denselben an Sie einzuschließen. Christian wird
|
||
vermutlich in seinem Schreiben weitläuftiger <del>zu</del> seyn und ich habe also nur noch
|
||
einige kleine Supplemente zu meinem vorigen Briefe zu geben. So sehr ich Ihnen für die gütige
|
||
Besorgung eines Theils meines jährlichen <aq>Fixi</aq> verbunden bin, so sehr sehe ich mich
|
||
genöthigt, Sie nochmals gehorsamst um die so viel möglich baldige Beförderung dessen, was Ihre
|
||
Gütigkeit zu unserer Kleidung bestimmt hat, zu bitten. <aq>Pranumeration</aq> ist nothwendig,
|
||
wenn ein Student gut wirthschaften will und also ist ihm im Anfange des Jahrs immer Geld
|
||
unentbehrlich. Noch einige Ausgaben habe Ihnen schon vorhin specificiren wollen, für die ich
|
||
gleichfalls von Ihrer Gewogenheit einigen Ersatz hoffe, wenn es Ihre Umstände zulassen. Der
|
||
Band einiger <aq>Exemplare</aq> meiner Landplagen, insonderheit der letzte, der nach Petersb.
|
||
bestimmt und den ich schon dem Herrn v. Schulmann an Sie mitgegeben: kostet mir wenigstens bis
|
||
2 Dukaten. Hernach haben alle Landsleute zum Begräbnis des seel. Herrn Langhammers was
|
||
beitragen müssen: weil seine Mutter eine Wittwe ist, die sich selbst nicht ernähren kann, und
|
||
derjenige, der ihn studiren lassen, nicht einmal so viel, als zu den Ausgaben, an Doctor etc.
|
||
in seiner Krankheit erfordert worden, überschickt<page index="2" /> hat. Dieser Beytrag war
|
||
bis über 4 Thlr. – Wenn Sie von dem Obristen Bok was gehört haben, so seyn Sie so gütig, es
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mir bey Gelegenheit zu melden. – Neulich haben wir einen gewissen Bar. Cloth, Ihren gewesenen
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Eingepfarrten, 2 Bar. v. Baranow und den jungen H. D. Stegemann, der vielleicht schon jetzt in
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Dorpat angekommen seyn, allhier gesprochen. – Der Catalogus lectionum ist zwar jetzt heraus,
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allein ich fürchte er würde den Brief zu sehr anschwellen, wenn ich ihn hier beylegte. Ich
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werde dieses halbe Jahr, außer den philosophischen und andern Collegiis von theologicis das
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Theticum bey D. Lilienthal und ein Exegeticum über die Ep. Pauli an die Römer bey D. Reccard
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hören. Die andern theologischen Collegia bedeuten in diesem halben Jahr nicht viel. Ueberhaupt
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wenn man nebst einigen wenigen Professoren die Magister von Königsberg nähme, würde die
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Akademie wenig oder gar nichts werth seyn. Nächstens werde ich weitläuftiger sein. Vergeben
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Sie unser öfteres unverschämtes Geilen nach Geld: die Noth lehrt hier beten und betteln. Gegen
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den Winter kommen viel neue Ausgaben. Holz: ein neuer Schlafrock, Tisch – – – Grüßen Sie doch
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alle Verwandte und Freunde, besond. aber meine theureste Frau Mama 100000mal von Ihrem <line
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type="empty" /> gehorsamsten Sohn<line type="break" /> J.M. R. Lenz. <note>auf der ersten
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Seite am rechten oberen Rand</note> P. S: Wenn Sie an den Tarwastschen Bruder schreiben, so
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sagen Sie ihm doch, daß ich recht sehr begierig bin, einmal einen Brief von ihm zu sehen. </letterText>
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<letterText letter="7">
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<page index="1" /> I. <aq>Ni Deus fere miraculum fecisset, hae pecuniae non confluxissent.</aq>
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1) Ursachen, Wenigkeit der <aq>Communicanten</aq>: armselige Beschaffenheit, die größten
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Ausgeblieben, kein Rathsherr, keiner von den Aeltesten-Leuthen; <aq>excepto</aq> P.ker und
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Teller – das wenige Gesammelte zu Bezalung der Handwerker im Auditorium, die schon lange zu
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Halse gegangen. – – 2) Art u. Weise, wie sie zusammen geflossen. <aq>Fick</aq> 20 Rbl. –
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Treuer 20 Rbl. – Stryck 10 Rbl. – Raths-Stipend. – 20 Rbl. – – 3) <aq>Distributio.</aq> a) <aq>Jacob
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Fick</aq> – 10 Rbl.– Raths–<aq>Stip.</aq>– 10 Rbl. – S. 20 Rbl. b) <aq>Christian Fick</aq> –
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10. <aq>Treuer</aq> – 20. <aq>Stryck</aq> – 10. Raths-<aq>Stip.</aq> 10 – S. 50 Rbl <line
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tab="1" />II. Hiermit aber sind auch nun die vorigen Quellen verschlossen. Jacob hat Boks u.
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der <aq>Baronne Wolf Stipendia</aq> weg – <aq>Fick</aq> sagte 50 Rbl. habe er destinirt, 30
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Rbl. hätte er vorher gegeben, nun die letzten 20. – <aq>Treuer</aq> ein vor alle mal – das
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Raths-<aq>Stipendium</aq> für dich geschlossen, tritt nun So .. <aq>jun.</aq> an. – <aq>Stryck</aq>
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auch aufs letzte Jahr. – Auf mich gar keine Rechnung zu machen. Denn da meine Erntezeit nichts
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getragen u. ich also fast in allgemeinen Schulden sitzen bleibe, so ist auf die übrigen Teile
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des Jahres wenig zu rechnen: u. es wird e. Wunder-Gnade Gottes seyn, wenn noch so viel
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zusammen soll, als bis Michaelis nöthig ist. <page index="2" />
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<line tab="1" /> III. <aq>
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Porismata</aq> hieraus, daß sie 1) durchaus nicht länger als bis gegen Michaelis sich ihren <aq>Terminum
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Academicum</aq> setzen, denn es wird ohnehin schwehr genug seyn, sie noch so hinge zu
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unterstützen 2) sich nicht in Schulden einfressen, sonst sich so vest fressen, da ich sie
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unmöglich würde lösen können u. da wären sie ganz verloren, denn ich könnte nicht, wenn sie
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auch ins <aq>Carcer</aq> kämen 3) daß sie mittlerweile sehr fleissig seyn pp. <line tab="1" />
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IV. Nachricht, so ich gehöret, daß Prof. Cant ihn nach Rehbinder in Danzig <aq>recommendiret</aq>
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. <line tab="1" /> 1) Vorläufige Bestrafung, daß er nicht mit mir solche Sachen <aq>
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communicire</aq>, böses Gewissen: Ich würde ihm Väterl. und aus reifer Ueberlegung und
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Erfahrung rathen: Aber damit wäre ihm vielleicht nicht gedient, sondern Rath d. Jungen, die
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auch noch flüchtig denken u. sich durch den anfängl. Falschen Schein, Dunst u. Glast blenden
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lassen.– Er mache es wie Rehabeam p.– Vielleicht unsere Väter – und mütterliche Zärtlichkeit
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würde es nicht zulassen, ob es gleich dein Bestes wäre: Aber a) <aq>Si Supponis</aq> so viel
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väter- u. mütterl. Zärtlichkeit; <aq>male</aq>, daß du nicht eben so viel kindl. Zärtlichkeit
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hast, u. deine Eltern dadurch erfreuen wilst, daß du in deinem Vaterlande Gott und deinen
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Nächsten, ihnen zur Ehre und Freude nützl. seyn wilst – Zeigt wenig <aq>patriotismus</aq> an.
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– Ist doch auch wol e. Tugend – <aq>Exempl.</aq> <page index="3" />Griechen, Römer. Was haben
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wir, was alle Freunde, was alle deine hiesigen Compatrioten, bey denen du das beste Vorurth.
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erweckt hast, von allen ihren Erwartungen. b) Aber wenn es dein wahrer Vorteil wäre; abnegarem
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Alle mein eignes und der Meinigen Vergnügen p. So affenliebisch bin ich nicht pp. Allein <aq>
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Suppono</aq>, daß d. <aq>H. Resident</aq>, als <aq>Resident</aq> (denn das bringt diese s. <aq>
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Charge</aq> schon mit sich) in Danzig bliebe. Was wilst du dann bey ihm machen? – Erst
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Hofmeister, – das hier auch, – dann <aq>Secretair</aq>. Ein schlechter wol nicht, damit er
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dich abdanken könne. – Nein e. gut., folgl. e. ewiger <aq>Secretair</aq>, so wie dein
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Mutterbruder <aq>Neoknapp</aq>, e. ewiger freier Unterthan s. Hauses, der nie s. eignes
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anfangen, nie heiraten, nie selbst e. Wirtschaft fuhren kann, immer die Füsse unter e. fremden
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Tisch stecken muß. Taugst du nichts u. must ihn verlassen, so jägt er dich ohne <aq>
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Recommendation</aq> weg. – Taugst du was, u. hat er dich lieb, so wird er aus Eigennutz dich
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in s. Hause ewig festhalten wollen, u. ich weiß nicht, zu welchen <aq>emplois</aq> er dir in
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Danzig helfen könnte, da es doch dort wol von geschickten Landes Leuten krimmelt u. wimmelt,
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die nothwendig vor fremden den Vorzug haben. – Vielleicht rechnest du darauf, daß er dich dort
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in e. gute Pfarre helfen solle. In was für eine Etwa in e. Stadtpfarre in Danzig selbst? Nein
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dazu nehmen die Herren Danziger wahrhaftig <aq>praejudicio</aq> keinen blossen und noch dazu
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fremden Candidaten, wenn er auch Apoll selbst wäre, auch nicht jeden geschickten wahren
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Prediger einmal, sondern verschrieben sich immer große <aq>Professores</aq> und <aq>Doctores
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Theologiae</aq> von fremden Academien, wie so z.E. <aq>D.</aq> Kraft a.d. großen Pfarrkirche;
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und D. Bertling aus Helmstädt dahin kamen. Nun wo dann hin? Aufs Land, aufs Dorf. 1) kannst du
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das hier auch u. viel besser haben: denn wir haben hier 10mal bessere Land-Pastorate, als die
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dortigen Dorf-Pfarren sind, wo die armen Prediger fast das Hungerbrod fressen. 2) ist nichts
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Verachteteres, als e. dasiger Dorf-Pfaffe. <aq>In urbibus pastores magis honorantur,<page
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index="4" /> quam hic. At in pagis quoque centies magis spernuntur, quam hic.</aq> – Es
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ist überhaupt die Frage, ob d. <aq>H. Resident</aq> dich dort zu e. geistl. od. weltl. Amt
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befördern könne, oder wolle: (1) ob er könne! Denn warum solten sie sich <aq>Subjecta</aq> von
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e. fremden Herrn vorschlagen lassen, da es ihnen weder an eignen <aq>consiliariis</aq> noch <aq>
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Subjectis</aq> zu Aemtern fehlet b) ob er wolle! Denn gefällst du ihm, so wird er kein Thor
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seyn, sich auf die Art von dir zu trennen u. sich selbst deiner guten Dienste zu berauben.
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Gesetzt du wollest da nicht länger bey ihm bleiben; wo dann hin! da du dort fremd u. unbekannt
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bist: hier aber (da dein Vat. überall und du auch schon zieml. weit und breit bekannt ist) dir
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das ganze Land offen steht. <aq>Ergo plane dissuadeo ut amicus, at si non vis,</aq> befehle
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ichs dir als Vater, daß du dies Project fahren lassest u. mit deinem Bruder hereinkommst. <line
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tab="1" /> V. Anderwärtiger Vorschlag, den ich ihm gebe. D. H. Obrister Bok bey mir, hat e.
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Schwester in Lettland, <aq>nomen nescio</aq> hat noch klein. Kind., fordert nur den ersten
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Unterricht in Bstabiren, Lesen, Schreiben, Rechnen u. sonderl. im französischen, <aq>offerirt</aq>
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selbst nicht das <aq>Salarium</aq>: du solst es fixiren. Ich meine im ersten Jahre, da dte
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Kind. klein 150 rthl. Alb. (weil dort im lettischen Alberts-Tahler) so nach Rubeln doch zum
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allerwenigsten 180 Rbl. ausmachen, und dabey 20 Rthl. zu freyem <aq>Thee</aq> und Zucker. – Im
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anderm Jahre wenn du bleiben wilst und kanst, aber 200 rthl. Alb. welches zum allerwenigsten
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240 Rbl. ausmachet, u. abermal 20 rthl. Thée und Zucker. Ich wil auch suchen das Reisegeld für
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||
dich mit zu verdingen, weil ich sorge, ich möchte es kaum aufbringen können. Wilst du dies, so
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wil ich an Bok schreiben. Denn er wartet sehnl. auf Antwort u. bittet sehr darum. Wer weiß, wo
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||
dieser Gönner auch wegen s. grossen Bekanntschaft mit den Größten des Hofes u. Einfluß bey d.
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||
Majestät selbst dir hier noch beförderl. seyn könnte? Antworte bald. – Das <aq>Salarium</aq>
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däucht mir <aq>convenable</aq>. Man<page index="5" /> darf den Bogen nicht zu hoch spannen,
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||
weil er dir in d. Noth geholfen p. Du hast Freiheit, kanst bleiben u. auch gehen, wenn dir die <aq>
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||
condition</aq> nicht länger ansteht. <line tab="1" /> VI. Der Mamma Zustand: Marter von Viel.
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1000 Plagen, schlechtes OsterFest. – Meine Gesundheit auch schlecht. Kopfschmerzen vom Dunst. <line
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tab="1" /> VII. Meine neue Verfolgung, wegen 1) d. Ober-Consistorial-Schrift 2) des
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||
Kirchenbuches. <line tab="1" /> VIII. Erbärml. Zustand d. <aq>Sczibalski</aq> auf Rüggen. Sie
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||
werden wol nicht mehr sehen. <aq>Extract</aq> aus den beyden letzten <aq>Sczibalskischen</aq>
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||
Briefen. – Unsere vielen Tränen. <line tab="1" /> IX. Lieschen 3 Tage schon krank. –
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||
Ueberhaupt dort viel Patienten, desgleichen in Lemsal von den <aq>Recruten</aq>. <line tab="1" />
|
||
X. Gestorben: 1) General Di..t.. ..: Schreckl. Krankheits-Umstände seel. Tod. Grots
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||
Leichen-Predigt 2) Landrath <aq>Igelstrohm</aq> 3) <aq>Axel</aq> Bruiningk 4) d. <aq>Candid.</aq>
|
||
Hoffmann, d. euch auf dem Claviere informirte, in Lemsal 5) d. junge Reichenberg. – <aq>Ejus
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ultima</aq> – Vorm Jahrd. junge Helm. <line tab="1" /> XI. Neuer General-<aq>Superint.</aq>
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||
Sein guter Character. Nicht ein solcher Pedant. – Neuer Grund einzukommen. <line tab="1" />
|
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XII. <aq>Copulandi</aq> Inspect. Petersen mit e. Jungfer Rosenthal. <line tab="1" /> XIII.
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||
Frage, obs wahr, daß die Preußen in Curland eingerückt sind? – Ob sie <aq>communiciret</aq>
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||
haben u. wann? <line tab="1" /> XIV. Schluß-Ermahnung. 3 Stangen fein. schwarzen Lak. Zu 40
|
||
Trauer-Briefen Pappier mit schwarzen Ränd. 2 Buch Pappusch Pappier von No. 1. </letterText>
|
||
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<letterText letter="8"> Theurester Freund! <line tab="1" />Sie werden mir ein kleines
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Stillschweigen zu gut halten, das auf eine Abreise ohne Abschied seltsam genug aussieht. Die
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||
gegenwärtige Lage meiner Seele wird mich entschuldigen. Sie kriecht zusammen, wie ein Insekt,
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das von einem plötzlichen kalten Winde berührt worden. Vielleicht sammelt sie neue Kräfte,
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||
oder vielleicht ist dieser Zustand gar Melancholey. Sey es was es wolle, ich befinde mich eben
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||
nicht unglücklich dabey, es ist kein Schmerz den ich fühle, sondern bloß Ernst und obschon
|
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dieser den Jüngling nicht so sehr ziemet als den Mann, so denk ich, ist er auch für jenen
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unter gewissen Umständen vortheilhaft. Geben Sie mir doch Nachricht von Ihrem Befinden, ändern
|
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Sie Ihr sonst so gütiges Zutrauen gegen mich nicht. Meine Umstände können meine Oberfläche
|
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zwar ändern, aber der Grund meines Herzens bleibt. – Ich beschäftige mich gegenwärtig
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vorzüglich mit Winkelmanns Geschichte der Kunst, und finde bei ihm Genugtuung. O daß dieser
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Mann noch lebte! Schaffen Sie sich sein Werk an, wenn Sie einmal auf Verschönerung Ihrer
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Bibliothek denken. Wenn seine Sphäre nur nicht von der Art wäre, daß er sich durch einen
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großen Nebel von Gelehrsamkeit in derselben herumdrehen muß, der den gesetzten und edlen Flug
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seines Geistes merklich niederschlägt. In der Jurisprudenz habe ich nur noch eine kleine Saite
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in meiner Seele aufgezogen, und die gibt einen verhenkert leisen Thon. Der waltende Himmel mag
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wissen, in was für eine Form er mich zuletzt noch gießt und was für Münze er auf mich prägt.
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Der Mensch ist mit freien Händen und Füssen dennoch nur ein tändelndes Kind, wenn er von dem
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großen Werkmeister, der die Weltuhr in seiner Hand hat, nicht auf ein Plätzchen eingestellt
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wird, wo er ein paar Räder neben sich in Bewegung setzen kann. – Ist Ihre Abhandlung schon
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vorgelesen? Und wie haben sich <aq>Ott</aq> und <aq>Haffner</aq> das letztemahl gehalten; ich
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zähle auf Ihr Urtheil davon. <line tab="1" />Ihre weisen Rathschläge über einen gewissen
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Artikel meines Herzens, fang ich an mit Ernst in Ausübung zu setzen: allein eine Wunde heilt
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allemahl langsamer, als sie geschlagen wird. Und wenn ich die Leidenschaft überwände, wird
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doch der stille Wunsch ewig nicht aus meinem Herzen gereutet werden, mein Glück, wenn ich
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irgend eines auf dieser kleinen Kugel erwarten kann, mit einer Persohn zu teilen, die es mir
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allein wird reitzend und wünschenswerth machen können. Ich habe heut einen dummen Kopf, aber
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||
ein gutes und geruhiges Herz: aus der Fülle dieses Herzens will ich Ihnen sagen, daß ich bin
|
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Ihr <line type="break" /> unaufhörlich ergebenster Freund <line type="break" /> J. M. R. Lenz. <line
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type="empty" />
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<note>Am Rand</note> Von Herrn von Kleist ein ganz ergebenstes Compliment.
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Wollen Sie so gütig seyn, mich Ihrer Tischgesellschaft zu empfehlen, vorzüglich Herrn <aq>
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Leibhold</aq> und <aq>Hepp</aq>. <line type="empty" />
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<note>Nachschrift</note> Ich sehe daß
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mein guter Ott mich nicht versteht und durchaus glaubt, wenn ich nicht lustig bin, müsse ich
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unglücklich seyn. Benehmen Sie ihm doch dieses schlechte Zutraun zu mir, welches mich in der
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That schamroth machen muß. Der Himmel ist noch nie so strenge gegen mich gewesen, mir größeren
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Kummer aufzulegen, als wozu er mir Schultern gegeben, und wenn ich jetzt die feige Memme
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machte, der Ungedult und Thorheit über die Backen liefen, so verdient ich in Essig eingemacht
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zu werden, damit ich nicht in <aq>putredinem</aq> überginge. Ich fürchte, weil ich an ihn
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jetzt nicht mehr mit lachendem Munde schreiben kann, sein gar zu gutes und empfindliches Herz
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wird glauben, ich sey niedergeschlagen und ich bin es doch niemals weniger gewesen als itzt. <line
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tab="1" />Neulich als ich einige Stunden einsam unter einem Baum gelesen, sah ich
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unvermuthet eine erschreckliche Schlange ganzgeruhig zwei Zoll weit neben mir liegen. Ich flog
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schneller als ein Blitz davon, und dachte es muß doch noch nicht Zeit für dich sein – Diese
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Anekdote schreibe ich meinen Freunden nur darum, damit sie sich in Acht nehmen, unter einem
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Baum auszuruhen – denn sonst denk ich interessirt sie niemanden als mich. <line tab="1" />Ich
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schick Ihnen zur Ausfüllung einer vegetirenden Stunde nach dem Essen, eine kleine Romanze, die
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ich in einer eben so leeren Stunde gemacht habe. <line type="empty" />
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<align pos="center">Piramus
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und Thisbe.</align>
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<line tab="4" />Der junge Piramus in Babel <line tab="4" />Hat in der Wand <line
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tab="4" />Sich nach und nach mit einer heissen Gabel <line tab="4" />Ein Loch gebrannt. <line
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type="empty" />
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<line tab="4" />Hart an der Wand, da schlief sein Liebchen, <line tab="4" />Die
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Thisbe hieß, <line tab="4" />Und ihr Papa auf ihrem Stübchen <line tab="4" />Verderben ließ. <line
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type="empty" />
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<line tab="4" />Die Liebe geht so, wie Gespenster, <line tab="4" />Durch Holz
|
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und Stein. <line tab="4" />Sie machten sich ein kleines Fenster <line tab="4" />Für ihre Pein. <line
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type="empty" />
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<line tab="4" />Da hieß es: liebst du mich? da schallte: <line tab="4" />Wie
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lieb ich dich! <line tab="4" />Sie küßten Stundenlang die Spalte <line tab="4" />Und meynten
|
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sich. <line type="empty" />
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<line tab="4" />Geraumer ward sie jede Stunde, <line tab="4" />Und
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||
manchen Kuß <line tab="4" />Erreichte schon von Thisbens Munde <line tab="4" />err Piramus. <line
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type="empty" />
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<line tab="4" />In einer Nacht, da Mond und Sterne <line tab="4" />Vom Himmel
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sahn, <line tab="4" />Da hätten sie die Wand so gerne <line tab="4" />Beyseits gethan. <line
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type="empty" />
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<line tab="4" />Ach Thisbe! weint er, sie zurücke: <line tab="4" />Ach
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Piramus! <line tab="4" />Besteht denn unser ganzes Glücke <line tab="4" />In einem Kuß? <line
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type="empty" />
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<line tab="4" />Sie sprach: ich will mit einer Gabe, <line tab="4" />Als wär
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||
ich fromm, <line tab="4" />Hinaus bei Nacht zu Nini Grabe, <line tab="4" />Alsdann so komm! <line
|
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type="empty" />
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||
<line tab="4" />Dies wird Papa mir nicht verwehren, <line tab="4" />Dann
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spude dich. <line tab="4" />Du wirst mich eifrig bethen hören, <line tab="4" />Und tröste
|
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mich. <line type="empty" />
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||
<line tab="4" />Ein Mann ein Wort! Auf einem Beine <line tab="4" />Sprang
|
||
er für Lust: <line tab="4" />Auf Morgen Nacht da küß ich deine <line tab="4" />Geliebte Brust. <line
|
||
type="empty" />
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<line tab="4" />Sie, Opferkuchen bei sich habend, <line tab="4" />Trippt
|
||
durch den Hayn, <line tab="4" />Schneeweiß gekleidt, den andern Abend <line tab="4" />Im
|
||
Mondenschein. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Da fährt ein Löwe aus den Hecken, <line
|
||
tab="4" />Ganz ungewohnt, <line tab="4" />Er brüllt so laut: sie wird vor Schrecken <line
|
||
tab="4" />Bleich wie der Mond. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Ha, zitternd warf sie
|
||
mit dem Schleyer <line tab="4" />Den Korb ins Graß <line tab="4" />Und lief, indem das
|
||
Ungeheuer <line tab="4" />Die Kuchen aß. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Kaum war es
|
||
fort, so mißt ein Knabe <line tab="4" />Mit leichtem Schritt <line tab="4" />Denselben Weg zu
|
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Nini Grabe – <line tab="4" />Der rückwärts tritt, <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Als
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hätt ein Donner ihn erschossen: <line tab="4" />Den Löwen weit – <line tab="4" />Und weiß im
|
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Grase hingegossen <line tab="4" />Der Thisbe Kleid. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Plump
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fällt er hin im Mondenlichte: <line tab="4" />So fällt vom Sturm <line tab="4" />Mit
|
||
unbeholfenem Gewichte <line tab="4" />Ein alter Thurm. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />O
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||
Thisbe, so bewegen leise <line tab="4" />Die Lippen sich, <line tab="4" />O Thisbe, zu des
|
||
Löwen Speise <line tab="4" />Da schick ich mich. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Zu hören
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||
meine treuen Schwüre <line tab="4" />Warst du gewohnt; <line tab="4" />Sey Zeuge, wie ich sie
|
||
vollführe, <line tab="4" />Du falscher Mond! <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Die kalte
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Hand fuhr nach dem Degen <line tab="4" />Und dann durchs Herz. <line tab="4" />Der Mond fing
|
||
an sich zu bewegen <line tab="4" />Für Leid und Schmerz. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Ihn
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||
suchte Zephir zu erfrischen <line tab="4" />Umsonst bemüht. <line tab="4" />Die Vögel sangen
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aus den Büschen <line tab="4" />Sein Todtenlied. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />Schnell
|
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lauschte Thisbe durch die Blätter <line tab="4" />Und sah das Graß, <line tab="4" />Wie unter
|
||
einem Donnerwetter, <line tab="4" />Von Purpur naß. <line type="empty" />
|
||
<line tab="4" />O
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Gott, wie pochte da so heftig <line tab="4" />Ihr kleines Herz! <line tab="4" />Das braune
|
||
Haupthaar ward geschäftig, <line tab="4" />Stieg himmelwärts. <line type="empty" />
|
||
<line
|
||
tab="4" />Sie floh – hier zieht, ihr blassen Musen, <line tab="4" />Den Vorhang zu! <line
|
||
tab="4" />Dahinter ruht sie, Stahl im Busen: <line tab="4" />O herbe Ruh! <line type="empty" />
|
||
<line
|
||
tab="4" />Der Mond vergaß sie zu bescheinen, <line tab="4" />Von Schrecken blind. <line
|
||
tab="4" />Der Himmel selbst fieng an zu weinen <line tab="4" />Als wie ein Kind. <line
|
||
type="empty" />
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||
<line tab="4" />Man sagt vom Löwen, sein Gewissen <line tab="4" />Hab ihn
|
||
erschröckt, <line tab="4" />Er habe sich zu ihren Füßen <line tab="4" />Lang hingestreckt. <line
|
||
type="empty" />
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||
<line tab="4" />O nehmt, was euch ein Beyspiel lehret, <line tab="4" />Ihr
|
||
Alten, wahr! <line tab="4" />Nehmt euch in Acht, ihr Alten! störet <line tab="4" />Kein
|
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liebend Paar. <line type="empty" />
|
||
<note>Auf einem beiliegenden Zettel</note>
|
||
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||
<line tab="4" />Man
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||
sagt daß keine Frau dem Mann die Herrschaft gönnt; <line tab="4" />So nicht Frau Magdelone. <line
|
||
tab="4" />Sie theilt mit ihm das Regiment: <line tab="4" />Behält den Zepter nur und lässet
|
||
ihm die Krone. </letterText>
|
||
|
||
<letterText letter="9"> Fort Louis, den 3ten Juni 1772. <line type="empty" /> S. T. Mein
|
||
theurester Freund. <line tab="1" />So nenn’ ich Sie, die Sprache des Herzens will ich mit
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||
Ihnen reden, nicht des Ceremoniels. Kurz aber wird mein Brief werden, denn sie ist lakonisch,
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lakonischer als Sallustius, lakonischer als der schnellste Gedanke eines Geistes ohne Körper.
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||
Darum hasse ich die Briefe. Die Empfindungen einer so geläuterten Freundschaft als Sie mich
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||
kennen gelehrt, gleichen dem geistigen Spiritus, der wenn er an die Luft kömmt, verraucht. Ich
|
||
liebe Sie – mehr verbietet mir mein Herz zu sagen, der plauderhafte Witz ist nie sein
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Dolmetscher gewesen. Ich bin wieder in Fort-Louis, nach einigen kleinen Diversionen, die meine
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||
kleine Existenz hier, auf dem Lande herum, gemacht hat. Ob ich mein Herz auch spazieren
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||
geführt – – – <line tab="1" /> Ich habe die guten Mädchen von Ihnen gegrüßt: sie lassen Ihnen
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ihre ganze Hochachtung und Ergebenheit versichern. Es war ein Mädchen, das sich vorzüglich
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freute, daß ich so glücklich wäre, Ihre Freundschaft zu haben. Mündlich mehr. Ich komme in der
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Fronleichnamswoche zuverlässig nach Straßburg. – Schon wieder eine Visite – und schon wieder
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eine – Ich bin mit einigen Offiziers bekannt und diese Bekanntschaft wird mir schon, in ihrer
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Entstehung lästig. Ich liebe die Einsamkeit jetzt mehr, als jemals – und wenn ich sie nicht in
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Straßburg zu finden hoffte, so würde ich mein Schicksal hassen, das mich schon wieder zwingt,
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in eine lärmende Stadt zurückzukehren. <line tab="1" /> Was werden Sie von mir denken, mein
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theuerster Freund? Was für Muthmaßungen – Aber bedenken Sie, daß dieses die Jahre der
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Leidenschaften und Thorheiten sind. Ich schiffe unter tausend Klippen – auf dem Negropont, wo
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man mir mit Horaz zurufen sollte <line type="empty" />
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<line tab="4" /><aq>Interfusa nitentes <line
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tab="4" />Vites aequora Cycladas.</aq>
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<line type="empty" />
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<line tab="1" />Wenn ich auf
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einer dieser Inseln scheitre – wäre es ein so großes Wunder? Und sollte mein Salzmann so
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strenge ·sein, mich auf denselben, als einen zweiten Robinson Crusoe, ohne Hilfe zu lassen?
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Ich will es Ihnen gestehen (denn was sollte ich Ihnen nicht gestehen?), ich fürchte mich vor
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Ihrem Anblick. Sie werden mir bis auf den Grund meines Herzens sehen – und ich werde wie ein
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armer Sünder vor Ihnen stehen und seufzen, anstatt mich zu rechtfertigen. Was ist der Mensch?
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Ich erinnere mich noch wohl, daß ich zu gewissen Zeiten stolz einen gewissen G. tadelte und
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mich mit meiner sittsamen Weisheit innerlich brüstete, wie ein welscher Hahn, als Sie mir
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etwas von seinen Thorheiten erzählten. Der Himmel und mein Gewissen strafen mich jetzt dafür.
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Nun hab’ ich Ihnen schon zu viel gesagt, als daß ich Ihnen nicht noch mehr sagen sollte. Doch
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nein, ich will es bis auf unsere Zusammenkunft versparen. Ich befürchte, die Buchstaben
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möchten erröthen und das Papier anfangen zu reden. Verbergen Sie doch ja diesen Brief vor der
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ganzen Welt, vor sich selber und vor mir. Ich wünschte, daß ich Ihnen von Allem Nachricht
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geben könnte, ohne daß ich nöthig hätte zu reden. Ich bin boshaft auf mich selber, ich bin
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melancholisch über mein Schicksal – ich wünschte von ganzem Herzen zu sterben. <line tab="1" />Den
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Sonntag waren wir in Ses. den Montag frühe ging ich wieder hin und machte in Gesellschaft des
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guten Landpriesters und seiner Tochter eine Reise nach Lichtenau. Wir kamen den Abend um 10
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Uhr nach S. zurück: dieser und den folgenden Tag blieb ich dort. Nun haben Sie genug. Es ist
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mir als ob ich auf einer bezauberten Insel gewesen wäre, ich war dort ein anderer Mensch, als
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ich hier bin, alles was ich geredt und gethan, hab ich im Traum gethan. <line tab="1" />Heute
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reiset Mad. Brion mit ihren beyden Töchtern nach Sarbrücken, zu ihrem Bruder auf 14 Tage, und
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wird vielleicht <b>ein Mädchen</b> da lassen, das ich wünschte nie gesehen zu haben. Sie hat
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mir aber bei allen Mächten der L– geschworen, nicht da zu bleiben. Ich bin unglüklich, bester
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bester Freund! und doch bin ich auch der glücklichste unter allen Menschen. An demselben Tage
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vielleicht, da sie von Saarbrük zurük kommt, muß ich mit H. v. Kleist nach Straßburg reisen.
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Also einen Monath getrennt, vielleicht mehr, vielleicht auf immer – Und doch haben wir uns
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geschworen uns nie zu trennen. Verbrennen Sie diesen Brief – es reut mich, daß ich dies einem
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treulosen Papier anvertrauen muß. Entziehen Sie mir Ihre Freundschaft nicht: es wäre grausam
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mir sie jetzt zu entziehen, da ich mir selbst am wenigsten genug bin, da ich mich selbst nicht
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leiden kann, da ich mich umbringen möchte, wenn das nichts Böses wäre. Ich bin nicht schuld an
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allen diesen Begebenheiten: ich bin kein Verführer, aber auch kein Verführter, ich habe mich
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leidend verhalten, der Himmel ist schuld daran, der mag sie auch zum Ende bringen. Ich
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schließe mich in Ihre Arme als Ihr <line type="break" /> melancholischer <line type="break" />
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Lenz. <line type="empty" />
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<note>am Rand</note> Haben Sie die Gütigkeit, der ganzen
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Tischgesellschaft meine Ergebenheit zu versichern. … Ums Himmels, um meines Mädchens und um
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meinetwillen, lassen Sie doch alles dies ein Geheimnis bleiben. Von mir erfahrt es niemand als
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mein zweites Ich. </letterText>
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<letterText letter="10"> Fort Louis d. 10ten Junius 1772 <line type="empty" /> Guter Sokrates! <line
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tab="1" />Schmerzhaft genug war der erste Verband den Sie auf meine Wunde legten. Mich
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auszulachen – ich muß mitlachen, und doch fängt meine Wunde dabey nur heftiger an zu bluten.
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Nur fürchte ich – soll ich Ihnen auch diese Furcht gestehen? Ja da Sie mein Herz einmal offen
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gesehen haben, so soll kein Winkel Ihnen verborgen bleiben. Ich fürchte, es ist zu spät an
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eine Heilung zu denken. Es ist mir wie Pygmalion gegangen. Ich hatte mir zu einer gewissen
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Absicht in meiner Phantasie ein Mädchen geschaffen – ich sah mich um und die gütige Natur
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hatte mir mein Ideal lebendig an die Seite gestellt. Es ging uns beyden wie Cäsarn: <aq>veni,
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vidi, vici</aq>. Durch unmerkliche Grade wuchs unsere Vertraulichkeit – und jetzt ist sie
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beschworen und unauflöslich. Aber sie sind fort, wir sind getrennt: und eben da ich diesen
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Verlust am heftigsten fühle, kommen Briefe aus Strasburg und – Vergeben Sie mir meinen tollen
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Brief! Mein Verstand hat sich noch nicht wieder eingefunden. Wollte der Himmel ich hätte nicht
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nöthig, ihn mit Vetter Orlando im Monde suchen zu lassen. Ich bin um mich zu zerstreuen, die
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Feyertage über bei einem reichen und sehr gutmüthigen Amtsschulz in Lichtenau zu Gast gewesen.
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Ich habe mich an meinem Kummer durch eine ausschweiffende Lustigkeit gerächt: aber er kehrt
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jetzt nur desto heftiger zurück, wie die Dunkelheit der Nacht hinter einem Blitz – Ich werde
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nach Strasburg kommen und mich in Ihre Kur begeben. Eins muß ich mir von Ihnen ausbitten:
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schonen Sie mich nicht, aber – lassen Sie meine Freundin unangetastet. Der Tag nach meinem
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letzten Briefe an Sie, gieng ich zu ihr: wir haben den Abend allein in der Laube zugebracht;
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die bescheidne und englisch gütige Schwester unterbrach uns nur selten und das allezeit mit
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einer so liebenswürdigen Schalkheit - Unser Gespräch waren Sie – ja Sie, und die
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freundschaftlichen Mädchen haben fast geweint für Verlangen Sie kennen zu lernen. Und Sie
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wollten mit gewaffneter Hand auf sie losgehen, wie Herkules auf seine Ungeheuer – Nein Sie
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müssen sie kennen lernen und ihre Blicke allein werden Sie entwaffnen. Ich habe meiner
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Friedrike gesagt, ich könnte für Sie nichts geheim halten. Sie zitterte, Sie würden zu wenig
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Freundschaft für eine Unbekannte haben. Machen Sie diese Furcht nicht wahr, mein guter
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Sokrates! Uebrigens tun Sie was Ihnen die Weißheit räth. Ich will mich geduldig unterwerfen.
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Es ist gut, daß Sie meinen freundschaftlichen Ott nicht mit meiner Torheit umständlich bekannt
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machen. Ich verbürge mich gern vor mir selbst nur nicht vor Ihnen. Leben Sie wohl, Ihr <line
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type="break" />unaufhörlich ergebenster Freund <line type="break" />JMRLenz. <line
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type="empty" /> Gestern ist der Herr Landpriester bei mir zu Gast gewesen. Er ist ein
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Fieldingscher Charakter. Jeder andere würde in seiner Gesellschaft Langweile gefunden haben;
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ich habe aber mich recht sehr darin amusirt; denn ein Auge, womit ich ihn ansah, war poetisch
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das andere verliebt. – Er läßt sein Leben für mich und ich für seine Tochter. </letterText>
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</opus>
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