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<opus>
<document>
<letterText letter="1">
<page index="1" /> Hoch Edelgeborner Hochgelahrter Herr <aq>Secretair</aq> <line type="break"
tab="7" /> Verehrungswürdigster Gönner! <line tab="7" />
<line type="empty" /> Ew.
HochEdelgebh: haben mich durch die neue Probe von Dero schätzbaren Gewogenheit ausserorndtlich
beschämt. Meine Feder ist zu schwach, Denenselben die regen Empfindungen meines Herzens
darüber zu schildern. Ich weiß Ew. HochEdelgebh: meine Dankbegierde auf keine andere Art an
den Tag zu legen, als daß ich meine gestrigen Wünsche für Dero Wohlseyn wiederhole, und die
gütige Vorsicht um die Erhörung derselben anflehe. Der Herr überschütte Dieselben und Dero
wertes Haus im künftigen Jahr mit tausend Seegen und Heil. Er erhalte Ew. Hoch Edelgebh: bis
zu den spätesten Zeiten im ersprießlichsten Wohlergehen. Er bewahre Ew. HochEdelgebh: für alle
widrige Zufälle in den künftigen Jahren, und <page index="2" />lasse mich noch lange das Glück
genießen, Dieselben in dem blühendsten Wohlstande zu sehen, und mich mit dem erkenntlichsten
Herzen nennen zu dürfen <line type="empty" /> Hoch Edelgeborner Hochgelahrter Herr <aq>
Secretair</aq> <line type="break" tab="7" /> Verehrungswürdigster Gönner <line type="break"
tab="7" /> Ew. Hoch Edelgebh: <line tab="7" />
<line type="empty" /> gehorsamsten Diener <line
type="break" tab="7" /> Jacob Michael Reinhold Lenz <line tab="7" />
<line type="empty" />
Von Hause, d. 2 Jenner, 1765. </letterText>
<letterText letter="2">
<page index="1" /> Bester Bruder! <line tab="2" /> Wie kann ich einen Augenblick anstehn, Dir
bey der freudigsten Begebenheit Deines Lebens ein Bruderherz auszuschütten, das von Seufzern
und Tränen wallet! Ich preise die Vorsicht mit Dir, die Dir die liebenswürdigste Gattin
zuführt und unsere Familie in einem Jahre mit sovielem Glück überhäuft, daß wir für gar zu
großer Freude wie betäubt sind und nichts als jauchzen und stammeln können. So sind denn nun
Deine Wünsche erfüllt: so schmeckest Du nun zum erstenmal alles Süße, alles Entzückende einer
Liebe, die keine Angst, kein Kummer, keine Träne verbittert. So belohnt denn die ächte, die
reine, die wahre Zärtlichkeit endlich einmal ein Herz, das nur für sie geschaffen war und das
schon von Jugend auf sich heimlich nach einem Gegenstande hat sehnen müssen, dem es sich ganz
überlassen könnte. 0 gütige Vorsicht! so erhöre denn alle unsere Wünsche, alle unsere Tränen,
für dies Paar, das du selbst durch wunderbare Wege geknüpft hast. Lebe, liebster Bruder! lebe
lange, lebe glücklich in den Armen Deiner Cristinchen: seyd ein Muster der schönsten Ehe, ein
Trost Eurer für Freude weinenden Eltern, eine Freude Eurer Geschwister: jeder Eurer Tage müsse
mit neuem Entzücken für Euch geschmückt seyn, jedes Eurer Jahre müsse so heiter hinfließen,
wie ein Bach, der durch Rosen fließt. Nie müsse ein Gram Eure Seele umwölken, nie müsse ein
Elend euch niederschlagen, da es euch nicht mehr allein, sondern verbunden, von der Hand
Gottes verbunden, trifft, da eure Zärtlichkeit und eure Küsse euch trösten und selbst im
Unglück beglücken werden. Eure Liebe sey so feurig, so rein, aber auch so unauslöschlich, wie
das Feuer der Vesta: sey so dauerhaft, als ein Felsen, auf den das Meer vergeblich loßstürmt:
eure Liebe lebe mit euch, sie leide mit euch: ihr werdet zwar sterben, aber eure Liebe wird so
wie eure abgeschiedenen Seelen ewig währen, sie wird um euer Grab wachsen, und so wie eure
Seelen dereinst wieder mit euren Körpern vereinigt werden; alsdann kann kein Tod sie mehr
aufhalten, alsdann dauert sie bis in undenkbare Aeonen. <line type="empty" /> Ich seh euch
schon im Geist, ihr liebenswerthen Beyde, <line tab="5" /> Ihr wandelt Hand in Hand durch
Tarwasts frohe Flur. <line tab="5" /> Aus euren Mienen lacht nur Freude, <line tab="5" /> Und
reine Lust und Lieb und Unschuld nur. <line tab="5" /> Euch wird der Lenz sich jetzo schöner
schmüken, <line tab="5" /> Ihr findt ihn auf der Flur, findt ihn in euren Bliken. <line
tab="5" /> Euch wird der Bach jetzt mit mehr Anmuth rauschen, <line tab="5" /> Mit froherm
Ohr werdt ihr aufs Lied der Wälder lauschen, <line tab="5" /> <page index="2" /> Und mit
entzükterm Blick, werdt ihr von goldnen Höhn, <line tab="5" /> Die Morgensonn zur Erde lächeln
sehn. <line tab="5" /> Und weht der stürmsche Herbst und tobt der kalte Winter <line tab="5" />
So wird nur euer Herz und eure Lieb entzündter; <line tab="5" /> Im ländlich stillen Sitz
werdt ihr, auch ganz allein, <line tab="5" /> Auch unter Schnee und Sturm, euch durch euch
selbst erfreun: <line tab="5" /> Und wird denn in der Stadt der Tag zu trübe seyn, <line
tab="5" /> Dringt ihm die Nacht zu früh herein, <line tab="5" /> Wird er des Abends Länge
scheun: <line tab="5" /> Dann werdet ihr bei sanftem Lampenschein <line tab="5" /> Euch selbst
Gesellschaft, Lust und Scherz und Frühling seyn. <line tab="5" /> Wird euch ins künftige ein
neues Glüke lachen, <line tab="5" /> So werdet ihr vereint, es euch noch süßer machen: <line
tab="5" /> Und naht ein Unglückssturm euch zärtlichen Erschroknen, <line tab="5" /> So wird
des einen Trän des andern Tränen troknen. <line tab="5" /> Und einst wenn Jahre euch, wie Tage
hingeflossen, <line tab="5" /> Und ein unschuldig Kind hält eure Knie umschlossen <line
tab="5" /> Und stammelt seinen Segen euch: <line tab="5" /> Dann ist nicht Ehr und Gold,
dann ist nicht Thron und Reich <line tab="5" /> Dann ist kein Glük dem euren gleich. <line
tab="5" /> Dann soll sich eur Geschlecht dem unsrigen begegnen <line tab="5" /> Und unsre
grauen Eltern seegnen: <line tab="5" /> Dann wollen wir uns freun, wie sich ein Engel freut, <line
tab="5" /> Voll Wehmut und voll Zärtlichkeit, <line tab="5" /> Voll Wonne und voll
Dankbarkeit. <line tab="5" /> Und werden einst … Gedank voll Bitterkeit! <line tab="5" />
Und werden einst sich eure Augen schließen, <line tab="5" /> (Doch dann erst, Gott! wenn sie
das Alter halb schon schließt) <line tab="5" /> Dann drükt mit traurigen und doch noch traurig
süßen, <line tab="5" /> Und euch im Tod noch angenehmen Küssen <line tab="5" /> Euch eure
Augen zu. O Bild voll Schmerz! Dann fließt! <line tab="5" /> Ihr Tränen meiner Wang, fließt
um sie! Dann begießt <line tab="5" /> Ihr mir geliebtes Grab, aus seiner Erde schießt <line
tab="5" /> Dann eine Ros herfür, die traurig reizend blühet, <line tab="5" /> In der mein
Aug das Bild von ihrer Ehe siehet. <line tab="5" /> Dann sag ich doch mein Lied, zu
traurig Lied! halt ein! <line tab="5" /> Sonst muß ich dieses Blatt mit Tränen überstreun. <line
tab="5" />
<line type="empty" />
<note>vertikal am linken Rand</note> Ich umarme Dich und
küsse Dich 1000mahl als Dein <line type="break" /> allergetreuester Bruder <line type="break" />
Jacob Michael Reinhold Lenz.<line type="break" /> Dorpat den 11ten October 1767. </letterText>
<letterText letter="3">
<page index="1" />
<align pos="center">Verehrungswürdigste Eltern! </align>
<line type="empty" />
<line
type="empty" />
<line type="empty" /> Nach einer langsamen und ziemlich beschwerlichen Reise
sind wir endlich am verwichenen Mittwochen Nachmittags um zwey Uhr glüklich und gesund zu
Tarvast angekommen. Der Weg ist fast <aq>inpassabel</aq>, und die ersten Tage hatten wir
ungemein starke Stürme und Regen. Wir wurden von der Wittwe recht artig aufgenommen und
speiseten den ersten Abend mit dem Lieutenant Krüdner von Arrohoff und seiner Gemahlin, die
sich Ihnen empfehlen ließen und mit dem Rittmeister Pietsch und der Fräulein Krüdner. Wir
werden auch noch immer zum vor und nachmittäglichen Kaffee und zur Mahlzeit herein gebethen,
weil der älteste Bruder mit seiner Wirtschaft noch nicht völlig im Stande ist und wir erst mit
dem Anfange der künftigen Woche unsre eigne <aq>Menage</aq> <page index="2" />anfangen wollen.
Die Wittwe ist eine <aq>simple</aq> Frau mit der der Umgang ziemlich langweilig wird: aber die
Kinder sind rechte Unholde, und ich habe sie noch in meinem Leben so ungezogen nicht gesehen.
Die jüngere Tochter strich ohne uns zu grüßen mir wie ein Wirbelwind vorbey und nahm ihren Weg
gerade nach dem Tisch zu, auf den sie mit einem Satz sich heraufschwung und die Älteste machte
es eben so, nur mit dem Unterschied daß sie bei jedem Schritt eine Art von Kniks machte, wie
ihn ihr die Natur gelehrt hatte. Bey Tisch schreyt alles so untereinander, daß wir stumm seyn
müssen, weil wir unser Wort nicht hören können. Der Bruder läßt sich recht sehr entschuldigen,
daß er nicht mitgeschrieben: er ist von Morgen bis Abend zu mit Arbeiten und Bräutigammen und
Lehrlingen überhäufft, überdem auch mit seiner Wirthschaft beschäftigt, mit der es noch nicht
in<page index="3" /> den Gang kommen will, weil die alte Jungfer noch immer Rasttage hält und
überhaupt ein bisgen unlustig ist, weil sie, wie sie sagt und sich einbildt, unter lauter
Feinden hier leben muß. Er befindet sich aber sonst nach der Reise, so wie auch ich und die
Jungfer, Gottlob recht gesund und läßt Sie, das junge Paar und alle Geschwister aufs
ehrerbietigste und zärtlichste grüßen. Ich bitte gleichfalls den Neuverbundnen und allen
Geschwistern meinen zärtlichsten Gruß zu vermelden und küsse Ihnen die Hand als <line
type="empty" /> Meiner verehrungswürdigsten Eltern <line type="empty" />
<line type="empty" />
gehorsamster Sohn <line type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz Tarwast den 9ten November
1767. <note>am linken Rand, vertikal</note> Der Frau Obristin und ihrem würdigsten Hause, wie
auch dem Herrn Pastor Oldekopp bitte unser beyder gehorsamste Empfehlung zu machen und
letzterem zu seinem Namenstage zu gratuliren. Ich werde meine Kur erst mit der künftigen Woche
anfangen und mache mir deswegen in der jetzigen bisweilen eine <aq>Motion</aq>, mit Reiten und
Spazierengehen. Auf den Sonntag wird der Bruder teutsch predigen. <page index="4" />
<note>
Adresse</note> Dorpat. <line type="empty" />
<line type="empty" />
<line type="empty" />
<aq>A
Monsieur Monsieur <ul>Lenz</ul> Prevot ecclisiastique et Ministre du St. Evangile a leglise
de St. Jean </aq>
</letterText>
<letterText letter="4">
<page index="1" />
<align pos="center">Verehrungswürdigster Herr Papa!</align>
<line
type="empty" />
<line
type="empty" />
<line type="empty" /> Ich weiß nicht, ob der Bruder bey seinen
Amtsgeschäften, Catechisiren etc. Zeit haben wird, an Sie zu schreiben: ich nehme mir also die
Freyheit, Ihnen abermals von dem was uns angeht, gehorsamst Nachricht zu geben. Der Bruder ist
wie gesagt, sehr beschäftigt, befindet sich aber bey seinen Arbeiten noch immer Gottlob! recht
gesund und vergnügt. Auch mir bekommt meine Kur recht gut und außer der kleinen
Unbequemlichkeit, die mir der <aq>Diät</aq>, das Warmhalten, das Laxieren u. dgl. <page
index="2" />machen, bin ich hier so vergnügt, wie man es in der Einsamkeit sein kann. Ich
lese, oder schreibe, oder studire, oder tapeziere oder purgiere, nachdem es die Noth erfodert.
Uebrigens hoffen und wünschen wir beyde von ganzem Herzen, daß dieser Brief sowohl Sie, als
meine hochzuehrende Frau Mamma recht gesund, vergnügt und zufrieden antreffen möge. <line
tab="1" /> Doch! eine Bitte, gütigster Herr Papa! zu der mich die Noth und Dero väterliche
Gewogenheit berechtigen. Ich habe bey der neulichen Herreise empfunden, wie wenig ein bloßer
Roquelor bey Reisen in kühler und windiger Witterung vorschlage. Ich kann mir also leicht
vorstellen, wie es anziehen muß, wenn man im Winter im bloßen Mantelrock reiset. Ich weiß
wirklich nicht, wie ich einmal nach Derpt zurückkommen oder falls des Bruders Hochzeit im
Janauar seyn sollte, zu der er mit seiner Equipage mich mitnehmen will, wie ich die Reise
dorthin werde thun können. Ueberdem ist mir ein Pelz allezeit nöthig: ich nehme mir also die
Freyheit, Sie ganz gehorsamst zu bitten, ob sie mir nicht könnten für 3 Rubel das Futter dazu,
nämlich einen Sak <insertion>schwarzen</insertion> Schmaßchen aus den Russischen Buden
ausnehmen lassen. Das Oberzeug darf nur Etemin seyn: und da Sie in dieser Zeit sich <page
index="3" />ohnedem ausgegeben haben, <insertion>so</insertion> daß ich mich billig gescheut
haben würde, mir von Denenseiben was gehorsamst auszubitten, wenn mich nicht die Noth zwänge:
so könnte es ja solange in Peukers Bude auf Conto gesetzt werden, bis es Ihnen weniger
beschwerlich fiele, das Geld dafür zu bezahlen. Ich überlasse dies übrigens ganz Ihrer eigenen
gütigen Disposition und werde mich auch alsdenn zufrieden geben, wenn die Umstände es für
diesmal nicht erlauben sollten. <line tab="1" /> Uebrigens küsse ich Ihnen und meiner besten
Mamma ganz gehorsamst die Hand und bin nach 1000 Grüßen an allen meine Geschwister und nach
gehorsamen Empfehl an die Frau Obristin Albedille nebst Ihrem ganzen würdigsten Hause, an den
Herrn Pastor Oldekopp und alle übrige Gönner und Freunde <align pos="right">Meines
verehrungswürdigsten Herrn Papas</align>
<line type="empty" />
<line type="empty" />
<align
pos="right">gehorsamster Sohn <line type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz. </align>
Tarwasts Pastorath den 24ten November 1767 <page
index="4" /> P. S. Der Bruder läßt sich nochmals gehorsamst entschuldigen, daß er diesmal
nicht mit geschrieben. Er hat gestern den ganzen Tag mit Brautsleuten und Lehrlingen zu thun
gehabt, gestern abend um 12 Uhr in aller möglichen Eile noch nach Reval geschrieben, welchen
Brief er gehorsamst zu bestellen bittet und ist heut früh schon bey dem scharfen Frost den wir
seit einiger Zeit gehabt haben und bey dem Schnee und Sturm der verwichenen Nacht,
catechisiren mit Schlitten gefahren. Er läßt unterdessen Ihnen und seiner würdigsten Frau Mama
seinen kindlichen Handkuß und allen seinen Geschwistern besonders dem jungen Paar, wie auch
allen guten Freunden seinen zärtlichsten Gruß versichern. <line tab="1" />
<note>Friedrich
David Lenz Hand</note>
<hand ref="3">P. S. Theurester Papa. Diesen Augenblick komme von der
Catechesation. Von 8 Uhr heute Morgen bis 4 Uhr Nachmittag habe ich in der Kälte zugebracht,
und bin vom Frost und Ungestüm so durchgenommen, daß ich kaum die Fingern rühren kann. Ich bin
sonst Gottlob gesund, und werde mich innigst freuen, wenn Sie und meine geliebteste Frau Mama
es auch sind. Sie haben doch meiner gehorsamsten Bitte gemäß schon nach Reval an meine
Schwieger-Eltern geschrieben, und für mich eine Vorbitte in puncto der Hochzeit im Januario
eingelegt? 100000 Grüße und Küße an <insertion>Sie beyde verehrungswürdigten</insertion> alle
Geschwister Freunde und Gönner von Ihrem gehorsamsten Sohn. F. D. Lenz. Mit steifen Fingern </hand>
</letterText>
<letterText letter="5">
<page index="1" />
<align pos="center">Mein liebstes junges Paar!</align>
<line type="empty" />
<line
type="empty" />
<line type="empty" /> Wie sind Sie angekommen? Wieviel Glieder und Sinne
haben Sie noch übrig? (denn Ihren Leuten wird wohl Verstand und alle Sinne erfroren seyn). Wie
haben Sies zu Wasser und zu Lande gehabt? Sind Sie auch geirret? Und wie haben Sie alles zu
Hause gefunden? Wie lassen sich die Schwedischen Reichsräthe an? Und wie gefällt Ihnen, meine
liebe junge Frau, das einsame Tarwast? <line tab="1" /> Zum andern befinden wir uns alle so,
wie Sie uns gelassen haben. Papa ist Papa, und Mamma ist Mamma, und Moritz und seine Frau und
alle übrige sind gesund und vergnügt, und ich, ich sey Jakob. <line tab="1" /> Zum dritten,
vierten und zehnten habe ich auch die Ehre zum Geburstag zu gratuliren und zu wünschen <aq>
mmmmmmm</aq> und wieder der Herr <aq>mmmmm</aq> und wieder der Heiland <aq>mmmmm</aq> und
wieder sitzo. <note>am linken Rand, vertikal</note> Mamma bittet den Sak zurück in welchem
Dein Junge Salz mitgenommen hat. Sie grüßet Sohn und Tochter aufs zärtlichste und bittet sehr
um angeführten Sak. <page index="2" /> Oder besser: ich wünsche auch, daß Sie möchten zu einer
glüklichen Stunde geboren seyn ….. und nicht nur dieses sondern viele folgende zu erleben und
mit Gesundheit zu verzehren. <line tab="1" /> Oder dito feiner: Wünsche auch, daß der
barmherziger Gott verleihen wolle einen kräftigen Geist des <aq>Danielis</aq> und wenn es
sollte dermaleinst zum Jahre des Nestors kommen, dieselben; Sie gehen nimmer aus meinem
Gemüthe weg. Anbey wünsche auch daß in künftiger Zeit benebenst guter Gesundheit dermaleinst
mancher kleiner Herr Söhnlein um die Eltern wimmeln mag, benebst den Oelpflänzlein um dero
Tisch, sie grünen und blühen. Abkürze hier meine Gratulation, dieweile der drange Raum mich
verweigert, hierüber weiter herauszulassen. <line tab="1" /> Ernsthaft zu reden so ist es
Schade, daß wir an diesem Tage nicht hier zusammen vergnügt sein konnten. Doch ich bin jetzt
im Geist auf Tarwast und schwatze Ihnen was vor, dann werde ich ganz ernsthaft und wünsche
Ihnen beyden so viele und so angenehme Geburtstage, als Sie sich selbst wünschen, und soviel
Vergnügen, als Ihnen die ersten Umarmungen in Reval gaben, an dem heutigen Tage. Es sey euch
dieser Tag an tausend Zärtlichkeiten<line tab="5" /> An tausend sanften Freuden reich.<line
tab="5" />
<page index="3" /> Mit Küssen grüßet ihn: spielt ihm auf sanften Sayten<line
tab="5" /> Ein zärtlich Lied und unter Zärtlichkeiten<line tab="5" /> Verfließ er euch!<line
tab="5" /> Dies ist der Tag, müß jetzt Ihr Fritzchen sagen,<line tab="5" /> Der Dich mir
gab, mein Leben, meine Lust.<line tab="5" /> Für mich hat unter ihrer Brust<line tab="5" />
Die beste Mutter Dich getragen.<line tab="5" /> Für mich hat Deinen ersten Tagen<line tab="5" />
Gott jene teure Pflegerin geschenkt<line tab="5" /> Die zärtlicher, als hundert Mütter denkt<line
tab="5" /> Und deren Abschied noch Dich kränkt.<line tab="5" /> Für mich wuchs Deine holde
Jugend<line tab="5" /> Wie Frühlingsrosen auf: und Zärtlichkeit und Tugend<line tab="5" />
Keimt damals schon für mich in Deiner Brust empor.<line tab="5" />
<line tab="1" />Dann müß
auch sie mit sanften Küssen sagen:<line tab="5" /> Geliebter, ja, ich bin nur da für Dich.<line
tab="5" /> Für Dich fing dies Herz an zu schlagen<line tab="5" /> Und ewig schlägt es nur
für Dich.<line tab="5" />
<line tab="1" />So sey euch dieser Tag an unschuldsvollen Freuden,<line
tab="5" /> So sey er euch an Liebe reich.<line tab="5" /> Wie mancher Hagstolz muß euch eure
Lust beneiden,<line tab="5" /> Wie manches Ehepaar wünscht heimlich eure Freuden!<line tab="5" />
Werd ich einst auch ein Mann, will ich euch nicht beneiden:<line tab="5" /> Allein zum Muster
nehm ich euch.<line tab="5" />
<page index="4" /> Neuigkeiten! <aq>Madem. Smoljan</aq> und die
Majorin Graß sind weggereist. Die Oldekoppin ist recht böse auf Dich, lieber Bruder, und auf
Deine junge Frau, daß ihr nicht bey ihr gewesen seyd. <line tab="1" /> Papa und Mama, die
sich Gottlob! noch erträglich befinden, Moritz und seine Frau, die vielleicht selbst auch
schreiben werden, Lieschen, Christian und die kleinen Geschwister, alle Freunde besonders die
Frau Obristin und die Fräuleins grüßen und küssen 1000mal Fräu- und Männlein. Auch wird die
alte Jungfer begrüßt. Leben Sie gesund und vergnügt mein liebstes Paar! und behalten Sie immer
lieb <line type="empty" />
<note>Albedylls Hand</note>
<hand ref="7">Ihres Herrn Bruders seine
grüsse von mich sind zu kalt, hier folgen die zärtlichsten die aufrichtigsten die feurigsten
von mich und meiner Tochter, von meiner eigenen Hand. <ul>
<aq>Albedyll</aq>
</ul></hand>
<line type="empty" /> zärtlichsten Bruder <line
type="break" /> Jacob Michael Reinhold Lenz<line type="break" /> Am Geburtstage 1768. <line
type="break" /> P.S. Wenn Du, liebster Bruder! einige <aq>Exemplare</aq> von <insertion>
den</insertion> hochzeitlichen Gedichten hast, so schicke sie mir doch, ich habe kein
einziges. Onkel Kellner vergaß auch uns welche mitzugeben. Die <aq>Capit. Sege</aq> und die
Lieutnantin Brandt von Fetenhof und die Majorin Toll von Wissus haben junge Söhne. Die alte
Oldenkoppin ist ziemlich krank. Heut hat H. Rektor für Reichenberg gepredigt. <aq>Adieu!</aq>
Dieses am Sonntage. </letterText>
<letterText letter="6">
<page index="1" /> Königsberg 1769. Octbr 14. <align pos="center">Gütigster Herr Papa.</align>
<line
type="empty" /> Um den Brief nicht überflüssig groß und dick zu machen, muß ich mich
begnügen, nur gegenwärtigen kleinen Zettel in denselben an Sie einzuschließen. Christian wird
vermutlich in seinem Schreiben weitläuftiger <del>zu</del> seyn und ich habe also nur noch
einige kleine Supplemente zu meinem vorigen Briefe zu geben. So sehr ich Ihnen für die gütige
Besorgung eines Theils meines jährlichen <aq>Fixi</aq> verbunden bin, so sehr sehe ich mich
genöthigt, Sie nochmals gehorsamst um die so viel möglich baldige Beförderung dessen, was Ihre
Gütigkeit zu unserer Kleidung bestimmt hat, zu bitten. <aq>Pranumeration</aq> ist nothwendig,
wenn ein Student gut wirthschaften will und also ist ihm im Anfange des Jahrs immer Geld
unentbehrlich. Noch einige Ausgaben habe Ihnen schon vorhin specificiren wollen, für die ich
gleichfalls von Ihrer Gewogenheit einigen Ersatz hoffe, wenn es Ihre Umstände zulassen. Der
Band einiger <aq>Exemplare</aq> meiner Landplagen, insonderheit der letzte, der nach Petersb.
bestimmt und den ich schon dem Herrn v. Schulmann an Sie mitgegeben: kostet mir wenigstens bis
2 Dukaten. Hernach haben alle Landsleute zum Begräbnis des seel. Herrn Langhammers was
beitragen müssen: weil seine Mutter eine Wittwe ist, die sich selbst nicht ernähren kann, und
derjenige, der ihn studiren lassen, nicht einmal so viel, als zu den Ausgaben, an Doctor etc.
in seiner Krankheit erfordert worden, überschickt<page index="2" /> hat. Dieser Beytrag war
bis über 4 Thlr. Wenn Sie von dem Obristen Bok was gehört haben, so seyn Sie so gütig, es
mir bey Gelegenheit zu melden. Neulich haben wir einen gewissen Bar. Cloth, Ihren gewesenen
Eingepfarrten, 2 Bar. v. Baranow und den jungen H. D. Stegemann, der vielleicht schon jetzt in
Dorpat angekommen seyn, allhier gesprochen. Der Catalogus lectionum ist zwar jetzt heraus,
allein ich fürchte er würde den Brief zu sehr anschwellen, wenn ich ihn hier beylegte. Ich
werde dieses halbe Jahr, außer den philosophischen und andern Collegiis von theologicis das
Theticum bey D. Lilienthal und ein Exegeticum über die Ep. Pauli an die Römer bey D. Reccard
hören. Die andern theologischen Collegia bedeuten in diesem halben Jahr nicht viel. Ueberhaupt
wenn man nebst einigen wenigen Professoren die Magister von Königsberg nähme, würde die
Akademie wenig oder gar nichts werth seyn. Nächstens werde ich weitläuftiger sein. Vergeben
Sie unser öfteres unverschämtes Geilen nach Geld: die Noth lehrt hier beten und betteln. Gegen
den Winter kommen viel neue Ausgaben. Holz: ein neuer Schlafrock, Tisch Grüßen Sie doch
alle Verwandte und Freunde, besond. aber meine theureste Frau Mama 100000mal von Ihrem <line
type="empty" /> gehorsamsten Sohn<line type="break" /> J.M. R. Lenz. <note>auf der ersten
Seite am rechten oberen Rand</note> P. S: Wenn Sie an den Tarwastschen Bruder schreiben, so
sagen Sie ihm doch, daß ich recht sehr begierig bin, einmal einen Brief von ihm zu sehen. </letterText>
<letterText letter="7">
<page index="1" /> I. <aq>Ni Deus fere miraculum fecisset, hae pecuniae non confluxissent.</aq>
1) Ursachen, Wenigkeit der <aq>Communicanten</aq>: armselige Beschaffenheit, die größten
Ausgeblieben, kein Rathsherr, keiner von den Aeltesten-Leuthen; <aq>excepto</aq> P.ker und
Teller das wenige Gesammelte zu Bezalung der Handwerker im Auditorium, die schon lange zu
Halse gegangen. 2) Art u. Weise, wie sie zusammen geflossen. <aq>Fick</aq> 20 Rbl.
Treuer 20 Rbl. Stryck 10 Rbl. Raths-Stipend. 20 Rbl. 3) <aq>Distributio.</aq> a) <aq>Jacob
Fick</aq> 10 Rbl. Raths<aq>Stip.</aq> 10 Rbl. S. 20 Rbl. b) <aq>Christian Fick</aq>
10. <aq>Treuer</aq> 20. <aq>Stryck</aq> 10. Raths-<aq>Stip.</aq> 10 S. 50 Rbl <line
tab="1" />II. Hiermit aber sind auch nun die vorigen Quellen verschlossen. Jacob hat Boks u.
der <aq>Baronne Wolf Stipendia</aq> weg <aq>Fick</aq> sagte 50 Rbl. habe er destinirt, 30
Rbl. hätte er vorher gegeben, nun die letzten 20. <aq>Treuer</aq> ein vor alle mal das
Raths-<aq>Stipendium</aq> für dich geschlossen, tritt nun So .. <aq>jun.</aq> an. <aq>Stryck</aq>
auch aufs letzte Jahr. Auf mich gar keine Rechnung zu machen. Denn da meine Erntezeit nichts
getragen u. ich also fast in allgemeinen Schulden sitzen bleibe, so ist auf die übrigen Teile
des Jahres wenig zu rechnen: u. es wird e. Wunder-Gnade Gottes seyn, wenn noch so viel
zusammen soll, als bis Michaelis nöthig ist. <page index="2" />
<line tab="1" /> III. <aq>
Porismata</aq> hieraus, daß sie 1) durchaus nicht länger als bis gegen Michaelis sich ihren <aq>Terminum
Academicum</aq> setzen, denn es wird ohnehin schwehr genug seyn, sie noch so hinge zu
unterstützen 2) sich nicht in Schulden einfressen, sonst sich so vest fressen, da ich sie
unmöglich würde lösen können u. da wären sie ganz verloren, denn ich könnte nicht, wenn sie
auch ins <aq>Carcer</aq> kämen 3) daß sie mittlerweile sehr fleissig seyn pp. <line tab="1" />
IV. Nachricht, so ich gehöret, daß Prof. Cant ihn nach Rehbinder in Danzig <aq>recommendiret</aq>
. <line tab="1" /> 1) Vorläufige Bestrafung, daß er nicht mit mir solche Sachen <aq>
communicire</aq>, böses Gewissen: Ich würde ihm Väterl. und aus reifer Ueberlegung und
Erfahrung rathen: Aber damit wäre ihm vielleicht nicht gedient, sondern Rath d. Jungen, die
auch noch flüchtig denken u. sich durch den anfängl. Falschen Schein, Dunst u. Glast blenden
lassen. Er mache es wie Rehabeam p. Vielleicht unsere Väter und mütterliche Zärtlichkeit
würde es nicht zulassen, ob es gleich dein Bestes wäre: Aber a) <aq>Si Supponis</aq> so viel
väter- u. mütterl. Zärtlichkeit; <aq>male</aq>, daß du nicht eben so viel kindl. Zärtlichkeit
hast, u. deine Eltern dadurch erfreuen wilst, daß du in deinem Vaterlande Gott und deinen
Nächsten, ihnen zur Ehre und Freude nützl. seyn wilst Zeigt wenig <aq>patriotismus</aq> an.
Ist doch auch wol e. Tugend <aq>Exempl.</aq> <page index="3" />Griechen, Römer. Was haben
wir, was alle Freunde, was alle deine hiesigen Compatrioten, bey denen du das beste Vorurth.
erweckt hast, von allen ihren Erwartungen. b) Aber wenn es dein wahrer Vorteil wäre; abnegarem
Alle mein eignes und der Meinigen Vergnügen p. So affenliebisch bin ich nicht pp. Allein <aq>
Suppono</aq>, daß d. <aq>H. Resident</aq>, als <aq>Resident</aq> (denn das bringt diese s. <aq>
Charge</aq> schon mit sich) in Danzig bliebe. Was wilst du dann bey ihm machen? Erst
Hofmeister, das hier auch, dann <aq>Secretair</aq>. Ein schlechter wol nicht, damit er
dich abdanken könne. Nein e. gut., folgl. e. ewiger <aq>Secretair</aq>, so wie dein
Mutterbruder <aq>Neoknapp</aq>, e. ewiger freier Unterthan s. Hauses, der nie s. eignes
anfangen, nie heiraten, nie selbst e. Wirtschaft fuhren kann, immer die Füsse unter e. fremden
Tisch stecken muß. Taugst du nichts u. must ihn verlassen, so jägt er dich ohne <aq>
Recommendation</aq> weg. Taugst du was, u. hat er dich lieb, so wird er aus Eigennutz dich
in s. Hause ewig festhalten wollen, u. ich weiß nicht, zu welchen <aq>emplois</aq> er dir in
Danzig helfen könnte, da es doch dort wol von geschickten Landes Leuten krimmelt u. wimmelt,
die nothwendig vor fremden den Vorzug haben. Vielleicht rechnest du darauf, daß er dich dort
in e. gute Pfarre helfen solle. In was für eine Etwa in e. Stadtpfarre in Danzig selbst? Nein
dazu nehmen die Herren Danziger wahrhaftig <aq>praejudicio</aq> keinen blossen und noch dazu
fremden Candidaten, wenn er auch Apoll selbst wäre, auch nicht jeden geschickten wahren
Prediger einmal, sondern verschrieben sich immer große <aq>Professores</aq> und <aq>Doctores
Theologiae</aq> von fremden Academien, wie so z.E. <aq>D.</aq> Kraft a.d. großen Pfarrkirche;
und D. Bertling aus Helmstädt dahin kamen. Nun wo dann hin? Aufs Land, aufs Dorf. 1) kannst du
das hier auch u. viel besser haben: denn wir haben hier 10mal bessere Land-Pastorate, als die
dortigen Dorf-Pfarren sind, wo die armen Prediger fast das Hungerbrod fressen. 2) ist nichts
Verachteteres, als e. dasiger Dorf-Pfaffe. <aq>In urbibus pastores magis honorantur,<page
index="4" /> quam hic. At in pagis quoque centies magis spernuntur, quam hic.</aq> Es
ist überhaupt die Frage, ob d. <aq>H. Resident</aq> dich dort zu e. geistl. od. weltl. Amt
befördern könne, oder wolle: (1) ob er könne! Denn warum solten sie sich <aq>Subjecta</aq> von
e. fremden Herrn vorschlagen lassen, da es ihnen weder an eignen <aq>consiliariis</aq> noch <aq>
Subjectis</aq> zu Aemtern fehlet b) ob er wolle! Denn gefällst du ihm, so wird er kein Thor
seyn, sich auf die Art von dir zu trennen u. sich selbst deiner guten Dienste zu berauben.
Gesetzt du wollest da nicht länger bey ihm bleiben; wo dann hin! da du dort fremd u. unbekannt
bist: hier aber (da dein Vat. überall und du auch schon zieml. weit und breit bekannt ist) dir
das ganze Land offen steht. <aq>Ergo plane dissuadeo ut amicus, at si non vis,</aq> befehle
ichs dir als Vater, daß du dies Project fahren lassest u. mit deinem Bruder hereinkommst. <line
tab="1" /> V. Anderwärtiger Vorschlag, den ich ihm gebe. D. H. Obrister Bok bey mir, hat e.
Schwester in Lettland, <aq>nomen nescio</aq> hat noch klein. Kind., fordert nur den ersten
Unterricht in Bstabiren, Lesen, Schreiben, Rechnen u. sonderl. im französischen, <aq>offerirt</aq>
selbst nicht das <aq>Salarium</aq>: du solst es fixiren. Ich meine im ersten Jahre, da dte
Kind. klein 150 rthl. Alb. (weil dort im lettischen Alberts-Tahler) so nach Rubeln doch zum
allerwenigsten 180 Rbl. ausmachen, und dabey 20 Rthl. zu freyem <aq>Thee</aq> und Zucker. Im
anderm Jahre wenn du bleiben wilst und kanst, aber 200 rthl. Alb. welches zum allerwenigsten
240 Rbl. ausmachet, u. abermal 20 rthl. Thée und Zucker. Ich wil auch suchen das Reisegeld für
dich mit zu verdingen, weil ich sorge, ich möchte es kaum aufbringen können. Wilst du dies, so
wil ich an Bok schreiben. Denn er wartet sehnl. auf Antwort u. bittet sehr darum. Wer weiß, wo
dieser Gönner auch wegen s. grossen Bekanntschaft mit den Größten des Hofes u. Einfluß bey d.
Majestät selbst dir hier noch beförderl. seyn könnte? Antworte bald. Das <aq>Salarium</aq>
däucht mir <aq>convenable</aq>. Man<page index="5" /> darf den Bogen nicht zu hoch spannen,
weil er dir in d. Noth geholfen p. Du hast Freiheit, kanst bleiben u. auch gehen, wenn dir die <aq>
condition</aq> nicht länger ansteht. <line tab="1" /> VI. Der Mamma Zustand: Marter von Viel.
1000 Plagen, schlechtes OsterFest. Meine Gesundheit auch schlecht. Kopfschmerzen vom Dunst. <line
tab="1" /> VII. Meine neue Verfolgung, wegen 1) d. Ober-Consistorial-Schrift 2) des
Kirchenbuches. <line tab="1" /> VIII. Erbärml. Zustand d. <aq>Sczibalski</aq> auf Rüggen. Sie
werden wol nicht mehr sehen. <aq>Extract</aq> aus den beyden letzten <aq>Sczibalskischen</aq>
Briefen. Unsere vielen Tränen. <line tab="1" /> IX. Lieschen 3 Tage schon krank.
Ueberhaupt dort viel Patienten, desgleichen in Lemsal von den <aq>Recruten</aq>. <line tab="1" />
X. Gestorben: 1) General Di..t.. ..: Schreckl. Krankheits-Umstände seel. Tod. Grots
Leichen-Predigt 2) Landrath <aq>Igelstrohm</aq> 3) <aq>Axel</aq> Bruiningk 4) d. <aq>Candid.</aq>
Hoffmann, d. euch auf dem Claviere informirte, in Lemsal 5) d. junge Reichenberg. <aq>Ejus
ultima</aq> Vorm Jahrd. junge Helm. <line tab="1" /> XI. Neuer General-<aq>Superint.</aq>
Sein guter Character. Nicht ein solcher Pedant. Neuer Grund einzukommen. <line tab="1" />
XII. <aq>Copulandi</aq> Inspect. Petersen mit e. Jungfer Rosenthal. <line tab="1" /> XIII.
Frage, obs wahr, daß die Preußen in Curland eingerückt sind? Ob sie <aq>communiciret</aq>
haben u. wann? <line tab="1" /> XIV. Schluß-Ermahnung. 3 Stangen fein. schwarzen Lak. Zu 40
Trauer-Briefen Pappier mit schwarzen Ränd. 2 Buch Pappusch Pappier von No. 1. </letterText>
<letterText letter="8"> Theurester Freund! <line tab="1" />Sie werden mir ein kleines
Stillschweigen zu gut halten, das auf eine Abreise ohne Abschied seltsam genug aussieht. Die
gegenwärtige Lage meiner Seele wird mich entschuldigen. Sie kriecht zusammen, wie ein Insekt,
das von einem plötzlichen kalten Winde berührt worden. Vielleicht sammelt sie neue Kräfte,
oder vielleicht ist dieser Zustand gar Melancholey. Sey es was es wolle, ich befinde mich eben
nicht unglücklich dabey, es ist kein Schmerz den ich fühle, sondern bloß Ernst und obschon
dieser den Jüngling nicht so sehr ziemet als den Mann, so denk ich, ist er auch für jenen
unter gewissen Umständen vortheilhaft. Geben Sie mir doch Nachricht von Ihrem Befinden, ändern
Sie Ihr sonst so gütiges Zutrauen gegen mich nicht. Meine Umstände können meine Oberfläche
zwar ändern, aber der Grund meines Herzens bleibt. Ich beschäftige mich gegenwärtig
vorzüglich mit Winkelmanns Geschichte der Kunst, und finde bei ihm Genugtuung. O daß dieser
Mann noch lebte! Schaffen Sie sich sein Werk an, wenn Sie einmal auf Verschönerung Ihrer
Bibliothek denken. Wenn seine Sphäre nur nicht von der Art wäre, daß er sich durch einen
großen Nebel von Gelehrsamkeit in derselben herumdrehen muß, der den gesetzten und edlen Flug
seines Geistes merklich niederschlägt. In der Jurisprudenz habe ich nur noch eine kleine Saite
in meiner Seele aufgezogen, und die gibt einen verhenkert leisen Thon. Der waltende Himmel mag
wissen, in was für eine Form er mich zuletzt noch gießt und was für Münze er auf mich prägt.
Der Mensch ist mit freien Händen und Füssen dennoch nur ein tändelndes Kind, wenn er von dem
großen Werkmeister, der die Weltuhr in seiner Hand hat, nicht auf ein Plätzchen eingestellt
wird, wo er ein paar Räder neben sich in Bewegung setzen kann. Ist Ihre Abhandlung schon
vorgelesen? Und wie haben sich <aq>Ott</aq> und <aq>Haffner</aq> das letztemahl gehalten; ich
zähle auf Ihr Urtheil davon. <line tab="1" />Ihre weisen Rathschläge über einen gewissen
Artikel meines Herzens, fang ich an mit Ernst in Ausübung zu setzen: allein eine Wunde heilt
allemahl langsamer, als sie geschlagen wird. Und wenn ich die Leidenschaft überwände, wird
doch der stille Wunsch ewig nicht aus meinem Herzen gereutet werden, mein Glück, wenn ich
irgend eines auf dieser kleinen Kugel erwarten kann, mit einer Persohn zu teilen, die es mir
allein wird reitzend und wünschenswerth machen können. Ich habe heut einen dummen Kopf, aber
ein gutes und geruhiges Herz: aus der Fülle dieses Herzens will ich Ihnen sagen, daß ich bin
Ihr <line type="break" /> unaufhörlich ergebenster Freund <line type="break" /> J. M. R. Lenz. <line
type="empty" />
<note>Am Rand</note> Von Herrn von Kleist ein ganz ergebenstes Compliment.
Wollen Sie so gütig seyn, mich Ihrer Tischgesellschaft zu empfehlen, vorzüglich Herrn <aq>
Leibhold</aq> und <aq>Hepp</aq>. <line type="empty" />
<note>Nachschrift</note> Ich sehe daß
mein guter Ott mich nicht versteht und durchaus glaubt, wenn ich nicht lustig bin, müsse ich
unglücklich seyn. Benehmen Sie ihm doch dieses schlechte Zutraun zu mir, welches mich in der
That schamroth machen muß. Der Himmel ist noch nie so strenge gegen mich gewesen, mir größeren
Kummer aufzulegen, als wozu er mir Schultern gegeben, und wenn ich jetzt die feige Memme
machte, der Ungedult und Thorheit über die Backen liefen, so verdient ich in Essig eingemacht
zu werden, damit ich nicht in <aq>putredinem</aq> überginge. Ich fürchte, weil ich an ihn
jetzt nicht mehr mit lachendem Munde schreiben kann, sein gar zu gutes und empfindliches Herz
wird glauben, ich sey niedergeschlagen und ich bin es doch niemals weniger gewesen als itzt. <line
tab="1" />Neulich als ich einige Stunden einsam unter einem Baum gelesen, sah ich
unvermuthet eine erschreckliche Schlange ganzgeruhig zwei Zoll weit neben mir liegen. Ich flog
schneller als ein Blitz davon, und dachte es muß doch noch nicht Zeit für dich sein Diese
Anekdote schreibe ich meinen Freunden nur darum, damit sie sich in Acht nehmen, unter einem
Baum auszuruhen denn sonst denk ich interessirt sie niemanden als mich. <line tab="1" />Ich
schick Ihnen zur Ausfüllung einer vegetirenden Stunde nach dem Essen, eine kleine Romanze, die
ich in einer eben so leeren Stunde gemacht habe. <line type="empty" />
<align pos="center">Piramus
und Thisbe.</align>
<line tab="4" />Der junge Piramus in Babel <line tab="4" />Hat in der Wand <line
tab="4" />Sich nach und nach mit einer heissen Gabel <line tab="4" />Ein Loch gebrannt. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Hart an der Wand, da schlief sein Liebchen, <line tab="4" />Die
Thisbe hieß, <line tab="4" />Und ihr Papa auf ihrem Stübchen <line tab="4" />Verderben ließ. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Die Liebe geht so, wie Gespenster, <line tab="4" />Durch Holz
und Stein. <line tab="4" />Sie machten sich ein kleines Fenster <line tab="4" />Für ihre Pein. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Da hieß es: liebst du mich? da schallte: <line tab="4" />Wie
lieb ich dich! <line tab="4" />Sie küßten Stundenlang die Spalte <line tab="4" />Und meynten
sich. <line type="empty" />
<line tab="4" />Geraumer ward sie jede Stunde, <line tab="4" />Und
manchen Kuß <line tab="4" />Erreichte schon von Thisbens Munde <line tab="4" />err Piramus. <line
type="empty" />
<line tab="4" />In einer Nacht, da Mond und Sterne <line tab="4" />Vom Himmel
sahn, <line tab="4" />Da hätten sie die Wand so gerne <line tab="4" />Beyseits gethan. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Ach Thisbe! weint er, sie zurücke: <line tab="4" />Ach
Piramus! <line tab="4" />Besteht denn unser ganzes Glücke <line tab="4" />In einem Kuß? <line
type="empty" />
<line tab="4" />Sie sprach: ich will mit einer Gabe, <line tab="4" />Als wär
ich fromm, <line tab="4" />Hinaus bei Nacht zu Nini Grabe, <line tab="4" />Alsdann so komm! <line
type="empty" />
<line tab="4" />Dies wird Papa mir nicht verwehren, <line tab="4" />Dann
spude dich. <line tab="4" />Du wirst mich eifrig bethen hören, <line tab="4" />Und tröste
mich. <line type="empty" />
<line tab="4" />Ein Mann ein Wort! Auf einem Beine <line tab="4" />Sprang
er für Lust: <line tab="4" />Auf Morgen Nacht da küß ich deine <line tab="4" />Geliebte Brust. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Sie, Opferkuchen bei sich habend, <line tab="4" />Trippt
durch den Hayn, <line tab="4" />Schneeweiß gekleidt, den andern Abend <line tab="4" />Im
Mondenschein. <line type="empty" />
<line tab="4" />Da fährt ein Löwe aus den Hecken, <line
tab="4" />Ganz ungewohnt, <line tab="4" />Er brüllt so laut: sie wird vor Schrecken <line
tab="4" />Bleich wie der Mond. <line type="empty" />
<line tab="4" />Ha, zitternd warf sie
mit dem Schleyer <line tab="4" />Den Korb ins Graß <line tab="4" />Und lief, indem das
Ungeheuer <line tab="4" />Die Kuchen aß. <line type="empty" />
<line tab="4" />Kaum war es
fort, so mißt ein Knabe <line tab="4" />Mit leichtem Schritt <line tab="4" />Denselben Weg zu
Nini Grabe <line tab="4" />Der rückwärts tritt, <line type="empty" />
<line tab="4" />Als
hätt ein Donner ihn erschossen: <line tab="4" />Den Löwen weit <line tab="4" />Und weiß im
Grase hingegossen <line tab="4" />Der Thisbe Kleid. <line type="empty" />
<line tab="4" />Plump
fällt er hin im Mondenlichte: <line tab="4" />So fällt vom Sturm <line tab="4" />Mit
unbeholfenem Gewichte <line tab="4" />Ein alter Thurm. <line type="empty" />
<line tab="4" />O
Thisbe, so bewegen leise <line tab="4" />Die Lippen sich, <line tab="4" />O Thisbe, zu des
Löwen Speise <line tab="4" />Da schick ich mich. <line type="empty" />
<line tab="4" />Zu hören
meine treuen Schwüre <line tab="4" />Warst du gewohnt; <line tab="4" />Sey Zeuge, wie ich sie
vollführe, <line tab="4" />Du falscher Mond! <line type="empty" />
<line tab="4" />Die kalte
Hand fuhr nach dem Degen <line tab="4" />Und dann durchs Herz. <line tab="4" />Der Mond fing
an sich zu bewegen <line tab="4" />Für Leid und Schmerz. <line type="empty" />
<line tab="4" />Ihn
suchte Zephir zu erfrischen <line tab="4" />Umsonst bemüht. <line tab="4" />Die Vögel sangen
aus den Büschen <line tab="4" />Sein Todtenlied. <line type="empty" />
<line tab="4" />Schnell
lauschte Thisbe durch die Blätter <line tab="4" />Und sah das Graß, <line tab="4" />Wie unter
einem Donnerwetter, <line tab="4" />Von Purpur naß. <line type="empty" />
<line tab="4" />O
Gott, wie pochte da so heftig <line tab="4" />Ihr kleines Herz! <line tab="4" />Das braune
Haupthaar ward geschäftig, <line tab="4" />Stieg himmelwärts. <line type="empty" />
<line
tab="4" />Sie floh hier zieht, ihr blassen Musen, <line tab="4" />Den Vorhang zu! <line
tab="4" />Dahinter ruht sie, Stahl im Busen: <line tab="4" />O herbe Ruh! <line type="empty" />
<line
tab="4" />Der Mond vergaß sie zu bescheinen, <line tab="4" />Von Schrecken blind. <line
tab="4" />Der Himmel selbst fieng an zu weinen <line tab="4" />Als wie ein Kind. <line
type="empty" />
<line tab="4" />Man sagt vom Löwen, sein Gewissen <line tab="4" />Hab ihn
erschröckt, <line tab="4" />Er habe sich zu ihren Füßen <line tab="4" />Lang hingestreckt. <line
type="empty" />
<line tab="4" />O nehmt, was euch ein Beyspiel lehret, <line tab="4" />Ihr
Alten, wahr! <line tab="4" />Nehmt euch in Acht, ihr Alten! störet <line tab="4" />Kein
liebend Paar. <line type="empty" />
<note>Auf einem beiliegenden Zettel</note>
<line tab="4" />Man
sagt daß keine Frau dem Mann die Herrschaft gönnt; <line tab="4" />So nicht Frau Magdelone. <line
tab="4" />Sie theilt mit ihm das Regiment: <line tab="4" />Behält den Zepter nur und lässet
ihm die Krone. </letterText>
<letterText letter="9"> Fort Louis, den 3ten Juni 1772. <line type="empty" /> S. T. Mein
theurester Freund. <line tab="1" />So nenn ich Sie, die Sprache des Herzens will ich mit
Ihnen reden, nicht des Ceremoniels. Kurz aber wird mein Brief werden, denn sie ist lakonisch,
lakonischer als Sallustius, lakonischer als der schnellste Gedanke eines Geistes ohne Körper.
Darum hasse ich die Briefe. Die Empfindungen einer so geläuterten Freundschaft als Sie mich
kennen gelehrt, gleichen dem geistigen Spiritus, der wenn er an die Luft kömmt, verraucht. Ich
liebe Sie mehr verbietet mir mein Herz zu sagen, der plauderhafte Witz ist nie sein
Dolmetscher gewesen. Ich bin wieder in Fort-Louis, nach einigen kleinen Diversionen, die meine
kleine Existenz hier, auf dem Lande herum, gemacht hat. Ob ich mein Herz auch spazieren
geführt <line tab="1" /> Ich habe die guten Mädchen von Ihnen gegrüßt: sie lassen Ihnen
ihre ganze Hochachtung und Ergebenheit versichern. Es war ein Mädchen, das sich vorzüglich
freute, daß ich so glücklich wäre, Ihre Freundschaft zu haben. Mündlich mehr. Ich komme in der
Fronleichnamswoche zuverlässig nach Straßburg. Schon wieder eine Visite und schon wieder
eine Ich bin mit einigen Offiziers bekannt und diese Bekanntschaft wird mir schon, in ihrer
Entstehung lästig. Ich liebe die Einsamkeit jetzt mehr, als jemals und wenn ich sie nicht in
Straßburg zu finden hoffte, so würde ich mein Schicksal hassen, das mich schon wieder zwingt,
in eine lärmende Stadt zurückzukehren. <line tab="1" /> Was werden Sie von mir denken, mein
theuerster Freund? Was für Muthmaßungen Aber bedenken Sie, daß dieses die Jahre der
Leidenschaften und Thorheiten sind. Ich schiffe unter tausend Klippen auf dem Negropont, wo
man mir mit Horaz zurufen sollte <line type="empty" />
<line tab="4" /><aq>Interfusa nitentes <line
tab="4" />Vites aequora Cycladas.</aq>
<line type="empty" />
<line tab="1" />Wenn ich auf
einer dieser Inseln scheitre wäre es ein so großes Wunder? Und sollte mein Salzmann so
strenge ·sein, mich auf denselben, als einen zweiten Robinson Crusoe, ohne Hilfe zu lassen?
Ich will es Ihnen gestehen (denn was sollte ich Ihnen nicht gestehen?), ich fürchte mich vor
Ihrem Anblick. Sie werden mir bis auf den Grund meines Herzens sehen und ich werde wie ein
armer Sünder vor Ihnen stehen und seufzen, anstatt mich zu rechtfertigen. Was ist der Mensch?
Ich erinnere mich noch wohl, daß ich zu gewissen Zeiten stolz einen gewissen G. tadelte und
mich mit meiner sittsamen Weisheit innerlich brüstete, wie ein welscher Hahn, als Sie mir
etwas von seinen Thorheiten erzählten. Der Himmel und mein Gewissen strafen mich jetzt dafür.
Nun hab ich Ihnen schon zu viel gesagt, als daß ich Ihnen nicht noch mehr sagen sollte. Doch
nein, ich will es bis auf unsere Zusammenkunft versparen. Ich befürchte, die Buchstaben
möchten erröthen und das Papier anfangen zu reden. Verbergen Sie doch ja diesen Brief vor der
ganzen Welt, vor sich selber und vor mir. Ich wünschte, daß ich Ihnen von Allem Nachricht
geben könnte, ohne daß ich nöthig hätte zu reden. Ich bin boshaft auf mich selber, ich bin
melancholisch über mein Schicksal ich wünschte von ganzem Herzen zu sterben. <line tab="1" />Den
Sonntag waren wir in Ses. den Montag frühe ging ich wieder hin und machte in Gesellschaft des
guten Landpriesters und seiner Tochter eine Reise nach Lichtenau. Wir kamen den Abend um 10
Uhr nach S. zurück: dieser und den folgenden Tag blieb ich dort. Nun haben Sie genug. Es ist
mir als ob ich auf einer bezauberten Insel gewesen wäre, ich war dort ein anderer Mensch, als
ich hier bin, alles was ich geredt und gethan, hab ich im Traum gethan. <line tab="1" />Heute
reiset Mad. Brion mit ihren beyden Töchtern nach Sarbrücken, zu ihrem Bruder auf 14 Tage, und
wird vielleicht <b>ein Mädchen</b> da lassen, das ich wünschte nie gesehen zu haben. Sie hat
mir aber bei allen Mächten der L geschworen, nicht da zu bleiben. Ich bin unglüklich, bester
bester Freund! und doch bin ich auch der glücklichste unter allen Menschen. An demselben Tage
vielleicht, da sie von Saarbrük zurük kommt, muß ich mit H. v. Kleist nach Straßburg reisen.
Also einen Monath getrennt, vielleicht mehr, vielleicht auf immer Und doch haben wir uns
geschworen uns nie zu trennen. Verbrennen Sie diesen Brief es reut mich, daß ich dies einem
treulosen Papier anvertrauen muß. Entziehen Sie mir Ihre Freundschaft nicht: es wäre grausam
mir sie jetzt zu entziehen, da ich mir selbst am wenigsten genug bin, da ich mich selbst nicht
leiden kann, da ich mich umbringen möchte, wenn das nichts Böses wäre. Ich bin nicht schuld an
allen diesen Begebenheiten: ich bin kein Verführer, aber auch kein Verführter, ich habe mich
leidend verhalten, der Himmel ist schuld daran, der mag sie auch zum Ende bringen. Ich
schließe mich in Ihre Arme als Ihr <line type="break" /> melancholischer <line type="break" />
Lenz. <line type="empty" />
<note>am Rand</note> Haben Sie die Gütigkeit, der ganzen
Tischgesellschaft meine Ergebenheit zu versichern. … Ums Himmels, um meines Mädchens und um
meinetwillen, lassen Sie doch alles dies ein Geheimnis bleiben. Von mir erfahrt es niemand als
mein zweites Ich. </letterText>
<letterText letter="10"> Fort Louis d. 10ten Junius 1772 <line type="empty" /> Guter Sokrates! <line
tab="1" />Schmerzhaft genug war der erste Verband den Sie auf meine Wunde legten. Mich
auszulachen ich muß mitlachen, und doch fängt meine Wunde dabey nur heftiger an zu bluten.
Nur fürchte ich soll ich Ihnen auch diese Furcht gestehen? Ja da Sie mein Herz einmal offen
gesehen haben, so soll kein Winkel Ihnen verborgen bleiben. Ich fürchte, es ist zu spät an
eine Heilung zu denken. Es ist mir wie Pygmalion gegangen. Ich hatte mir zu einer gewissen
Absicht in meiner Phantasie ein Mädchen geschaffen ich sah mich um und die gütige Natur
hatte mir mein Ideal lebendig an die Seite gestellt. Es ging uns beyden wie Cäsarn: <aq>veni,
vidi, vici</aq>. Durch unmerkliche Grade wuchs unsere Vertraulichkeit und jetzt ist sie
beschworen und unauflöslich. Aber sie sind fort, wir sind getrennt: und eben da ich diesen
Verlust am heftigsten fühle, kommen Briefe aus Strasburg und Vergeben Sie mir meinen tollen
Brief! Mein Verstand hat sich noch nicht wieder eingefunden. Wollte der Himmel ich hätte nicht
nöthig, ihn mit Vetter Orlando im Monde suchen zu lassen. Ich bin um mich zu zerstreuen, die
Feyertage über bei einem reichen und sehr gutmüthigen Amtsschulz in Lichtenau zu Gast gewesen.
Ich habe mich an meinem Kummer durch eine ausschweiffende Lustigkeit gerächt: aber er kehrt
jetzt nur desto heftiger zurück, wie die Dunkelheit der Nacht hinter einem Blitz Ich werde
nach Strasburg kommen und mich in Ihre Kur begeben. Eins muß ich mir von Ihnen ausbitten:
schonen Sie mich nicht, aber lassen Sie meine Freundin unangetastet. Der Tag nach meinem
letzten Briefe an Sie, gieng ich zu ihr: wir haben den Abend allein in der Laube zugebracht;
die bescheidne und englisch gütige Schwester unterbrach uns nur selten und das allezeit mit
einer so liebenswürdigen Schalkheit - Unser Gespräch waren Sie ja Sie, und die
freundschaftlichen Mädchen haben fast geweint für Verlangen Sie kennen zu lernen. Und Sie
wollten mit gewaffneter Hand auf sie losgehen, wie Herkules auf seine Ungeheuer Nein Sie
müssen sie kennen lernen und ihre Blicke allein werden Sie entwaffnen. Ich habe meiner
Friedrike gesagt, ich könnte für Sie nichts geheim halten. Sie zitterte, Sie würden zu wenig
Freundschaft für eine Unbekannte haben. Machen Sie diese Furcht nicht wahr, mein guter
Sokrates! Uebrigens tun Sie was Ihnen die Weißheit räth. Ich will mich geduldig unterwerfen.
Es ist gut, daß Sie meinen freundschaftlichen Ott nicht mit meiner Torheit umständlich bekannt
machen. Ich verbürge mich gern vor mir selbst nur nicht vor Ihnen. Leben Sie wohl, Ihr <line
type="break" />unaufhörlich ergebenster Freund <line type="break" />JMRLenz. <line
type="empty" /> Gestern ist der Herr Landpriester bei mir zu Gast gewesen. Er ist ein
Fieldingscher Charakter. Jeder andere würde in seiner Gesellschaft Langweile gefunden haben;
ich habe aber mich recht sehr darin amusirt; denn ein Auge, womit ich ihn ansah, war poetisch
das andere verliebt. Er läßt sein Leben für mich und ich für seine Tochter. </letterText>
</document>
</opus>