Hoch Edelgeborner Hochgelahrter Herr Secretair Verehrungswürdigster Gönner! Ew. HochEdelgebh: haben mich durch die neue Probe von Dero schätzbaren Gewogenheit ausserorndtlich beschämt. Meine Feder ist zu schwach, Denenselben die regen Empfindungen meines Herzens darüber zu schildern. Ich weiß Ew. HochEdelgebh: meine Dankbegierde auf keine andere Art an den Tag zu legen, als daß ich meine gestrigen Wünsche für Dero Wohlseyn wiederhole, und die gütige Vorsicht um die Erhörung derselben anflehe. Der Herr überschütte Dieselben und Dero wertes Haus im künftigen Jahr mit tausend Seegen und Heil. Er erhalte Ew. Hoch Edelgebh: bis zu den spätesten Zeiten im ersprießlichsten Wohlergehen. Er bewahre Ew. HochEdelgebh: für alle widrige Zufälle in den künftigen Jahren, und lasse mich noch lange das Glück genießen, Dieselben in dem blühendsten Wohlstande zu sehen, und mich mit dem erkenntlichsten Herzen nennen zu dürfen Hoch Edelgeborner Hochgelahrter Herr Secretair Verehrungswürdigster Gönner Ew. Hoch Edelgebh: gehorsamsten Diener JLandau, den 7. September. So wenig Zeit mir auch übrig ist, so muß ich Ihnen doch sagen, daß ich Sie in Landau noch eben so hoch schätze, ebenso liebe, als in Fort-Louis. Unser Marsch war angenehm genug: vor Tage zu Pferde, und vom Mittag, bis in die Nacht gerastet. Ich möchte so durch die Welt reisen. Weißenburg hat mir gefallen, die dortige Schweizergarnison glich den Priestern der Cybele, so erfreute sie die Ankunft eines deutschen Regiments. Landau kann in der That das Schlüsselloch von Frankreich heißen, da es nur zween Thore hat, eins nach vorne, das andere nach hinten. Unsern Ausgang segne Gott, unsern Eingang – – Ich wohne bei einem Herrn Schuch, der ein naher Verwandter vom Herrn Türkheim seyn will. Seine Frau und er spielen mir alle Abende Komödie, wobei mein Herz mehr lacht, als bei allen Farcen des Herrn Montval und Ribou. Er ist ein gutwilliger Schwätzer, gegen seine Frau, ein rechter Adventsesel und auch gegen die Füllen bei ihr. Sie trägt Hosen und Zepter, eine Teintüre von Andacht und koketter Prüderie – in der That, meinen kleinen Plautus hinterdrein gelesen und ich brauche kein Theater. Melden Sie mir doch, was das Ihrige in Straßburg macht und ob dort kein deutsches zu erwarten sei. Beim Herrn Senior, der fast die alleinige Materie des Gesprächs meiner Wirthsleute ist (ausgenommen den gestrigen vortrefflichen Abend, wo wir lauter Haupt- und Staatsaktionen ausmachten) bin ich noch nicht gewesen. Der Bürgermeister Schademann soll schon seit geraumer Zeit todt seyn. Vielleicht erlange ich die Bekanntschaft seines Sohnes, der sehr reich sein soll. Ein Rektor bei der hiesigen Schule, der im Kloster einen Sohn hat, der schon Magister ist (wo mir recht ist, hab ich ihn dort gesehen) soll eine gute Bibliothek haben: da muß ich suchen unterzukommen. Seyen Sie doch so gütig und schreiben mir in Ihrem nächsten Briefe den Namen des Churfürsten von der Pfalz; wie auch den Charakter und die Adresse des Herrn Lamey, ein Name, den ich in Straßburg oft gehört. Sie lachen – wozu das? Nun, nun, es hat nichts zu bedeuten, ein guter Freund hat mich um beide in einem Briefe ersucht. Einen Nachmittagsprediger habe ich hier gehört, der keine Pfeife Toback werth vorgebracht. Ich ging nach Hause und las Spalding, vom Werth der Gefühle im Christentum. Welch ein Kontrast! Dieses Buch müssen Sie auch lesen, mein Sokrates! es macht wenigstens Vergnügen zu finden, daß Andere mit uns nach demselben Punkt visiren. Ich freue mich, daß man in einem Tage von hier nach Straßburg kommen kann, wer weiß wenn ich Sie überrasche. Fahren Sie fort mit Ihrer Gewohnheit für mich. – Lenz. acob Michael Reinhold Lenz Von Hause, d. 2 Jenner, 1765. Bester Bruder! Wie kann ich einen Augenblick anstehn, Dir bey der freudigsten Begebenheit Deines Lebens ein Bruderherz auszuschütten, das von Seufzern und Tränen wallet! Ich preise die Vorsicht mit Dir, die Dir die liebenswürdigste Gattin zuführt und unsere Familie in einem Jahre mit sovielem Glück überhäuft, daß wir für gar zu großer Freude wie betäubt sind und nichts als jauchzen und stammeln können. So sind denn nun Deine Wünsche erfüllt: so schmeckest Du nun zum erstenmal alles Süße, alles Entzückende einer Liebe, die keine Angst, kein Kummer, keine Träne verbittert. So belohnt denn die ächte, die reine, die wahre Zärtlichkeit endlich einmal ein Herz, das nur für sie geschaffen war und das schon von Jugend auf sich heimlich nach einem Gegenstande hat sehnen müssen, dem es sich ganz überlassen könnte. 0 gütige Vorsicht! so erhöre denn alle unsere Wünsche, alle unsere Tränen, für dies Paar, das du selbst durch wunderbare Wege geknüpft hast. Lebe, liebster Bruder! lebe lange, lebe glücklich in den Armen Deiner Cristinchen: seyd ein Muster der schönsten Ehe, ein Trost Eurer für Freude weinenden Eltern, eine Freude Eurer Geschwister: jeder Eurer Tage müsse mit neuem Entzücken für Euch geschmückt seyn, jedes Eurer Jahre müsse so heiter hinfließen, wie ein Bach, der durch Rosen fließt. Nie müsse ein Gram Eure Seele umwölken, nie müsse ein Elend euch niederschlagen, da es euch nicht mehr allein, sondern verbunden, von der Hand Gottes verbunden, trifft, da eure Zärtlichkeit und eure Küsse euch trösten und selbst im Unglück beglücken werden. Eure Liebe sey so feurig, so rein, aber auch so unauslöschlich, wie das Feuer der Vesta: sey so dauerhaft, als ein Felsen, auf den das Meer vergeblich loßstürmt: eure Liebe lebe mit euch, sie leide mit euch: ihr werdet zwar sterben, aber eure Liebe wird so wie eure abgeschiedenen Seelen ewig währen, sie wird um euer Grab wachsen, und so wie eure Seelen dereinst wieder mit euren Körpern vereinigt werden; alsdann kann kein Tod sie mehr aufhalten, alsdann dauert sie bis in undenkbare Aeonen. Ich seh euch schon im Geist, ihr liebenswerthen Beyde, Ihr wandelt Hand in Hand durch Tarwasts frohe Flur. Aus euren Mienen lacht nur Freude, Und reine Lust und Lieb und Unschuld nur. Euch wird der Lenz sich jetzo schöner schmüken, Ihr findt ihn auf der Flur, findt ihn in euren Bliken. Euch wird der Bach jetzt mit mehr Anmuth rauschen, Mit froherm Ohr werdt ihr aufs Lied der Wälder lauschen, Und mit entzükterm Blick, werdt ihr von goldnen Höhn, Die Morgensonn zur Erde lächeln sehn. Und weht der stürmsche Herbst und tobt der kalte Winter So wird nur euer Herz und eure Lieb entzündter; Im ländlich stillen Sitz werdt ihr, auch ganz allein, Auch unter Schnee und Sturm, euch durch euch selbst erfreun: Und wird denn in der Stadt der Tag zu trübe seyn, Dringt ihm die Nacht zu früh herein, Wird er des Abends Länge scheun: Dann werdet ihr bei sanftem Lampenschein Euch selbst Gesellschaft, Lust und Scherz und Frühling seyn. Wird euch ins künftige ein neues Glüke lachen, So werdet ihr vereint, es euch noch süßer machen: Und naht ein Unglückssturm euch zärtlichen Erschroknen, So wird des einen Trän des andern Tränen troknen. Und einst wenn Jahre euch, wie Tage hingeflossen, Und ein unschuldig Kind hält eure Knie umschlossen Und stammelt seinen Segen euch: Dann ist nicht Ehr und Gold, dann ist nicht Thron und Reich Dann ist kein Glük dem euren gleich. Dann soll sich eur Geschlecht dem unsrigen begegnen Und unsre grauen Eltern seegnen: Dann wollen wir uns freun, wie sich ein Engel freut, Voll Wehmut und voll Zärtlichkeit, Voll Wonne und voll Dankbarkeit. – Und werden einst … Gedank voll Bitterkeit! Und werden einst sich eure Augen schließen, (Doch dann erst, Gott! wenn sie das Alter halb schon schließt) Dann drükt mit traurigen und doch noch traurig süßen, Und euch im Tod noch angenehmen Küssen Euch eure Augen zu. – O Bild voll Schmerz! Dann fließt! Ihr Tränen meiner Wang, fließt um sie! Dann begießt Ihr mir geliebtes Grab, aus seiner Erde schießt Dann eine Ros herfür, die traurig reizend blühet, In der mein Aug das Bild von ihrer Ehe siehet. Dann sag ich – – – doch mein Lied, zu traurig Lied! halt ein! Sonst muß ich dieses Blatt mit Tränen überstreun. vertikal am linken Rand Ich umarme Dich und küsse Dich 1000mahl als Dein allergetreuester Bruder Jacob Michael Reinhold Lenz. Dorpat den 11ten October 1767. Verehrungswürdigste Eltern! Nach einer langsamen und ziemlich beschwerlichen Reise sind wir endlich am verwichenen Mittwochen Nachmittags um zwey Uhr glüklich und gesund zu Tarvast angekommen. Der Weg ist fast inpassabel, und die ersten Tage hatten wir ungemein starke Stürme und Regen. Wir wurden von der Wittwe recht artig aufgenommen und speiseten den ersten Abend mit dem Lieutenant Krüdner von Arrohoff und seiner Gemahlin, die sich Ihnen empfehlen ließen und mit dem Rittmeister Pietsch und der Fräulein Krüdner. Wir werden auch noch immer zum vor und nachmittäglichen Kaffee und zur Mahlzeit herein gebethen, weil der älteste Bruder mit seiner Wirtschaft noch nicht völlig im Stande ist und wir erst mit dem Anfange der künftigen Woche unsre eigne Menage anfangen wollen. Die Wittwe ist eine simple Frau mit der der Umgang ziemlich langweilig wird: aber die Kinder sind rechte Unholde, und ich habe sie noch in meinem Leben so ungezogen nicht gesehen. Die jüngere Tochter strich ohne uns zu grüßen mir wie ein Wirbelwind vorbey und nahm ihren Weg gerade nach dem Tisch zu, auf den sie mit einem Satz sich heraufschwung und die Älteste machte es eben so, nur mit dem Unterschied daß sie bei jedem Schritt eine Art von Kniks machte, wie ihn ihr die Natur gelehrt hatte. Bey Tisch schreyt alles so untereinander, daß wir stumm seyn müssen, weil wir unser Wort nicht hören können. Der Bruder läßt sich recht sehr entschuldigen, daß er nicht mitgeschrieben: er ist von Morgen bis Abend zu mit Arbeiten und Bräutigammen und Lehrlingen überhäufft, überdem auch mit seiner Wirthschaft beschäftigt, mit der es noch nicht in den Gang kommen will, weil die alte Jungfer noch immer Rasttage hält und überhaupt ein bisgen unlustig ist, weil sie, wie sie sagt und sich einbildt, unter lauter Feinden hier leben muß. Er befindet sich aber sonst nach der Reise, so wie auch ich und die Jungfer, Gottlob recht gesund und läßt Sie, das junge Paar und alle Geschwister aufs ehrerbietigste und zärtlichste grüßen. Ich bitte gleichfalls den Neuverbundnen und allen Geschwistern meinen zärtlichsten Gruß zu vermelden und küsse Ihnen die Hand als Meiner verehrungswürdigsten Eltern gehorsamster Sohn Jacob Michael Reinhold Lenz Tarwast den 9ten November 1767. am linken Rand, vertikal Der Frau Obristin und ihrem würdigsten Hause, wie auch dem Herrn Pastor Oldekopp bitte unser beyder gehorsamste Empfehlung zu machen und letzterem zu seinem Namenstage zu gratuliren. Ich werde meine Kur erst mit der künftigen Woche anfangen und mache mir deswegen in der jetzigen bisweilen eine Motion, mit Reiten und Spazierengehen. Auf den Sonntag wird der Bruder teutsch predigen. Adresse Dorpat. A Monsieur Monsieur
    Lenz
Prevot ecclisiastique et Ministre du St. Evangile a l’eglise de St. Jean
Verehrungswürdigster Herr Papa! Ich weiß nicht, ob der Bruder bey seinen Amtsgeschäften, Catechisiren etc. Zeit haben wird, an Sie zu schreiben: ich nehme mir also die Freyheit, Ihnen abermals von dem was uns angeht, gehorsamst Nachricht zu geben. Der Bruder ist wie gesagt, sehr beschäftigt, befindet sich aber bey seinen Arbeiten noch immer Gottlob! recht gesund und vergnügt. Auch mir bekommt meine Kur recht gut und außer der kleinen Unbequemlichkeit, die mir der Diät, das Warmhalten, das Laxieren u. dgl. machen, bin ich hier so vergnügt, wie man es in der Einsamkeit sein kann. Ich lese, oder schreibe, oder studire, oder tapeziere oder purgiere, nachdem es die Noth erfodert. Uebrigens hoffen und wünschen wir beyde von ganzem Herzen, daß dieser Brief sowohl Sie, als meine hochzuehrende Frau Mamma recht gesund, vergnügt und zufrieden antreffen möge. Doch! eine Bitte, gütigster Herr Papa! zu der mich die Noth und Dero väterliche Gewogenheit berechtigen. Ich habe bey der neulichen Herreise empfunden, wie wenig ein bloßer Roquelor bey Reisen in kühler und windiger Witterung vorschlage. Ich kann mir also leicht vorstellen, wie es anziehen muß, wenn man im Winter im bloßen Mantelrock reiset. Ich weiß wirklich nicht, wie ich einmal nach Derpt zurückkommen oder falls des Bruders Hochzeit im Janauar seyn sollte, zu der er mit seiner Equipage mich mitnehmen will, wie ich die Reise dorthin werde thun können. Ueberdem ist mir ein Pelz allezeit nöthig: ich nehme mir also die Freyheit, Sie ganz gehorsamst zu bitten, ob sie mir nicht könnten für 3 Rubel das Futter dazu, nämlich einen Sak schwarzen Schmaßchen aus den Russischen Buden ausnehmen lassen. Das Oberzeug darf nur Etemin seyn: und da Sie in dieser Zeit sich ohnedem ausgegeben haben, so daß ich mich billig gescheut haben würde, mir von Denenseiben was gehorsamst auszubitten, wenn mich nicht die Noth zwänge: so könnte es ja solange in Peukers Bude auf Conto gesetzt werden, bis es Ihnen weniger beschwerlich fiele, das Geld dafür zu bezahlen. Ich überlasse dies übrigens ganz Ihrer eigenen gütigen Disposition und werde mich auch alsdenn zufrieden geben, wenn die Umstände es für diesmal nicht erlauben sollten. Uebrigens küsse ich Ihnen und meiner besten Mamma ganz gehorsamst die Hand und bin nach 1000 Grüßen an allen meine Geschwister und nach gehorsamen Empfehl an die Frau Obristin Albedille nebst Ihrem ganzen würdigsten Hause, an den Herrn Pastor Oldekopp und alle übrige Gönner und Freunde Meines verehrungswürdigsten Herrn Papas gehorsamster Sohn Jacob Michael Reinhold Lenz. Tarwasts Pastorath den 24ten November 1767 P. S. Der Bruder läßt sich nochmals gehorsamst entschuldigen, daß er diesmal nicht mit geschrieben. Er hat gestern den ganzen Tag mit Brautsleuten und Lehrlingen zu thun gehabt, gestern abend um 12 Uhr in aller möglichen Eile noch nach Reval geschrieben, welchen Brief er gehorsamst zu bestellen bittet und ist heut früh schon bey dem scharfen Frost den wir seit einiger Zeit gehabt haben und bey dem Schnee und Sturm der verwichenen Nacht, catechisiren mit Schlitten gefahren. Er läßt unterdessen Ihnen und seiner würdigsten Frau Mama seinen kindlichen Handkuß und allen seinen Geschwistern besonders dem jungen Paar, wie auch allen guten Freunden seinen zärtlichsten Gruß versichern. Friedrich David Lenz’ Hand P. S. Theurester Papa. Diesen Augenblick komme von der Catechesation. Von 8 Uhr heute Morgen bis 4 Uhr Nachmittag habe ich in der Kälte zugebracht, und bin vom Frost und Ungestüm so durchgenommen, daß ich kaum die Fingern rühren kann. Ich bin sonst Gottlob gesund, und werde mich innigst freuen, wenn Sie und meine geliebteste Frau Mama es auch sind. Sie haben doch meiner gehorsamsten Bitte gemäß schon nach Reval an meine Schwieger-Eltern geschrieben, und für mich eine Vorbitte in puncto der Hochzeit im Januario eingelegt? 100000 Grüße und Küße an Sie beyde verehrungswürdigten alle Geschwister Freunde und Gönner von Ihrem gehorsamsten Sohn. F. D. Lenz. Mit steifen Fingern Mein liebstes junges Paar! Wie sind Sie angekommen? Wieviel Glieder und Sinne haben Sie noch übrig? (denn Ihren Leuten wird wohl Verstand und alle Sinne erfroren seyn). Wie haben Sies zu Wasser und zu Lande gehabt? Sind Sie auch geirret? Und wie haben Sie alles zu Hause gefunden? Wie lassen sich die Schwedischen Reichsräthe an? Und wie gefällt Ihnen, meine liebe junge Frau, das einsame Tarwast? Zum andern befinden wir uns alle so, wie Sie uns gelassen haben. Papa ist Papa, und Mamma ist Mamma, und Moritz und seine Frau und alle übrige sind gesund und vergnügt, und ich, ich sey Jakob. Zum dritten, vierten und zehnten habe ich auch die Ehre zum Geburstag zu gratuliren und zu wünschen mmmmmmm und wieder der Herr mmmmm und wieder der Heiland mmmmm und wieder sitzo. am linken Rand, vertikal Mamma bittet den Sak zurück in welchem Dein Junge Salz mitgenommen hat. Sie grüßet Sohn und Tochter aufs zärtlichste und bittet sehr um angeführten Sak. Oder besser: ich wünsche auch, daß Sie möchten zu einer glüklichen Stunde geboren seyn ….. und nicht nur dieses sondern viele folgende zu erleben und mit Gesundheit zu verzehren. Oder dito feiner: Wünsche auch, daß der barmherziger Gott verleihen wolle einen kräftigen Geist des Danielis und wenn es sollte dermaleinst zum Jahre des Nestors kommen, dieselben; Sie gehen nimmer aus meinem Gemüthe weg. Anbey wünsche auch daß in künftiger Zeit benebenst guter Gesundheit dermaleinst mancher kleiner Herr Söhnlein um die Eltern wimmeln mag, benebst den Oelpflänzlein um dero Tisch, sie grünen und blühen. Abkürze hier meine Gratulation, dieweile der drange Raum mich verweigert, hierüber weiter herauszulassen. Ernsthaft zu reden so ist es Schade, daß wir an diesem Tage nicht hier zusammen vergnügt sein konnten. Doch ich bin jetzt im Geist auf Tarwast und schwatze Ihnen was vor, dann werde ich ganz ernsthaft und wünsche Ihnen beyden so viele und so angenehme Geburtstage, als Sie sich selbst wünschen, und soviel Vergnügen, als Ihnen die ersten Umarmungen in Reval gaben, an dem heutigen Tage. Es sey euch dieser Tag an tausend Zärtlichkeiten An tausend sanften Freuden reich. Mit Küssen grüßet ihn: spielt ihm auf sanften Sayten Ein zärtlich Lied und unter Zärtlichkeiten Verfließ er euch! Dies ist der Tag, müß jetzt Ihr Fritzchen sagen, Der Dich mir gab, mein Leben, meine Lust. Für mich hat unter ihrer Brust Die beste Mutter Dich getragen. Für mich hat Deinen ersten Tagen Gott jene teure Pflegerin geschenkt Die zärtlicher, als hundert Mütter denkt Und deren Abschied noch Dich kränkt. Für mich wuchs Deine holde Jugend Wie Frühlingsrosen auf: und Zärtlichkeit und Tugend Keimt’ damals schon für mich in Deiner Brust empor. Dann müß auch sie mit sanften Küssen sagen: Geliebter, ja, ich bin nur da für Dich. Für Dich fing dies Herz an zu schlagen Und ewig schlägt es nur für Dich. So sey euch dieser Tag an unschuldsvollen Freuden, So sey er euch an Liebe reich. Wie mancher Hagstolz muß euch eure Lust beneiden, Wie manches Ehepaar wünscht heimlich eure Freuden! Werd ich einst auch ein Mann, will ich euch nicht beneiden: Allein zum Muster nehm ich euch. Neuigkeiten! Madem. Smoljan und die Majorin Graß sind weggereist. Die Oldekoppin ist recht böse auf Dich, lieber Bruder, und auf Deine junge Frau, daß ihr nicht bey ihr gewesen seyd. – Papa und Mama, die sich Gottlob! noch erträglich befinden, Moritz und seine Frau, die vielleicht selbst auch schreiben werden, Lieschen, Christian und die kleinen Geschwister, alle Freunde besonders die Frau Obristin und die Fräuleins grüßen und küssen 1000mal Fräu- und Männlein. Auch wird die alte Jungfer begrüßt. Leben Sie gesund und vergnügt mein liebstes Paar! und behalten Sie immer lieb Albedylls Hand Ihres Herrn Bruders seine grüsse von mich sind zu kalt, hier folgen die zärtlichsten die aufrichtigsten die feurigsten von mich und meiner Tochter, von meiner eigenen Hand.
    Albedyll
zärtlichsten Bruder Jacob Michael Reinhold Lenz Am Geburtstage 1768. P.S. Wenn Du, liebster Bruder! einige Exemplare von den hochzeitlichen Gedichten hast, so schicke sie mir doch, ich habe kein einziges. Onkel Kellner vergaß auch uns welche mitzugeben. Die Capit. Sege und die Lieutnantin Brandt von Fetenhof und die Majorin Toll von Wissus haben junge Söhne. Die alte Oldenkoppin ist ziemlich krank. Heut hat H. Rektor für Reichenberg gepredigt. Adieu! Dieses am Sonntage.
Königsberg 1769. Octbr 14. Gütigster Herr Papa. Um den Brief nicht überflüssig groß und dick zu machen, muß ich mich begnügen, nur gegenwärtigen kleinen Zettel in denselben an Sie einzuschließen. Christian wird vermutlich in seinem Schreiben weitläuftiger zu seyn und ich habe also nur noch einige kleine Supplemente zu meinem vorigen Briefe zu geben. So sehr ich Ihnen für die gütige Besorgung eines Theils meines jährlichen Fixi verbunden bin, so sehr sehe ich mich genöthigt, Sie nochmals gehorsamst um die so viel möglich baldige Beförderung dessen, was Ihre Gütigkeit zu unserer Kleidung bestimmt hat, zu bitten. Pranumeration ist nothwendig, wenn ein Student gut wirthschaften will und also ist ihm im Anfange des Jahrs immer Geld unentbehrlich. Noch einige Ausgaben habe Ihnen schon vorhin specificiren wollen, für die ich gleichfalls von Ihrer Gewogenheit einigen Ersatz hoffe, wenn es Ihre Umstände zulassen. Der Band einiger Exemplare meiner Landplagen, insonderheit der letzte, der nach Petersb. bestimmt und den ich schon dem Herrn v. Schulmann an Sie mitgegeben: kostet mir wenigstens bis 2 Dukaten. Hernach haben alle Landsleute zum Begräbnis des seel. Herrn Langhammers was beitragen müssen: weil seine Mutter eine Wittwe ist, die sich selbst nicht ernähren kann, und derjenige, der ihn studiren lassen, nicht einmal so viel, als zu den Ausgaben, an Doctor etc. in seiner Krankheit erfordert worden, überschickt hat. Dieser Beytrag war bis über 4 Thlr. – Wenn Sie von dem Obristen Bok was gehört haben, so seyn Sie so gütig, es mir bey Gelegenheit zu melden. – Neulich haben wir einen gewissen Bar. Cloth, Ihren gewesenen Eingepfarrten, 2 Bar. v. Baranow und den jungen H. D. Stegemann, der vielleicht schon jetzt in Dorpat angekommen seyn, allhier gesprochen. – Der Catalogus lectionum ist zwar jetzt heraus, allein ich fürchte er würde den Brief zu sehr anschwellen, wenn ich ihn hier beylegte. Ich werde dieses halbe Jahr, außer den philosophischen und andern Collegiis von theologicis das Theticum bey D. Lilienthal und ein Exegeticum über die Ep. Pauli an die Römer bey D. Reccard hören. Die andern theologischen Collegia bedeuten in diesem halben Jahr nicht viel. Ueberhaupt wenn man nebst einigen wenigen Professoren die Magister von Königsberg nähme, würde die Akademie wenig oder gar nichts werth seyn. Nächstens werde ich weitläuftiger sein. Vergeben Sie unser öfteres unverschämtes Geilen nach Geld: die Noth lehrt hier beten und betteln. Gegen den Winter kommen viel neue Ausgaben. Holz: ein neuer Schlafrock, Tisch – – – Grüßen Sie doch alle Verwandte und Freunde, besond. aber meine theureste Frau Mama 100000mal von Ihrem gehorsamsten Sohn J.M. R. Lenz. auf der ersten Seite am rechten oberen Rand P. S: Wenn Sie an den Tarwastschen Bruder schreiben, so sagen Sie ihm doch, daß ich recht sehr begierig bin, einmal einen Brief von ihm zu sehen. I. Ni Deus fere miraculum fecisset, hae pecuniae non confluxissent. 1) Ursachen, Wenigkeit der Communicanten: armselige Beschaffenheit, die größten Ausgeblieben, kein Rathsherr, keiner von den Aeltesten-Leuthen; excepto P.ker und Teller – das wenige Gesammelte zu Bezalung der Handwerker im Auditorium, die schon lange zu Halse gegangen. – – 2) Art u. Weise, wie sie zusammen geflossen. Fick 20 Rbl. – Treuer 20 Rbl. – Stryck 10 Rbl. – Raths-Stipend. – 20 Rbl. – – 3) Distributio. a) Jacob Fick – 10 Rbl.– Raths–Stip.– 10 Rbl. – S. 20 Rbl. b) Christian Fick – 10. Treuer – 20. Stryck – 10. Raths-Stip. 10 – S. 50 Rbl II. Hiermit aber sind auch nun die vorigen Quellen verschlossen. Jacob hat Boks u. der Baronne Wolf Stipendia weg – Fick sagte 50 Rbl. habe er destinirt, 30 Rbl. hätte er vorher gegeben, nun die letzten 20. – Treuer ein vor alle mal – das Raths-Stipendium für dich geschlossen, tritt nun So .. jun. an. – Stryck auch aufs letzte Jahr. – Auf mich gar keine Rechnung zu machen. Denn da meine Erntezeit nichts getragen u. ich also fast in allgemeinen Schulden sitzen bleibe, so ist auf die übrigen Teile des Jahres wenig zu rechnen: u. es wird e. Wunder-Gnade Gottes seyn, wenn noch so viel zusammen soll, als bis Michaelis nöthig ist. III. Porismata hieraus, daß sie 1) durchaus nicht länger als bis gegen Michaelis sich ihren Terminum Academicum setzen, denn es wird ohnehin schwehr genug seyn, sie noch so hinge zu unterstützen 2) sich nicht in Schulden einfressen, sonst sich so vest fressen, da ich sie unmöglich würde lösen können u. da wären sie ganz verloren, denn ich könnte nicht, wenn sie auch ins Carcer kämen 3) daß sie mittlerweile sehr fleissig seyn pp. IV. Nachricht, so ich gehöret, daß Prof. Cant ihn nach Rehbinder in Danzig recommendiret . 1) Vorläufige Bestrafung, daß er nicht mit mir solche Sachen communicire, böses Gewissen: Ich würde ihm Väterl. und aus reifer Ueberlegung und Erfahrung rathen: Aber damit wäre ihm vielleicht nicht gedient, sondern Rath d. Jungen, die auch noch flüchtig denken u. sich durch den anfängl. Falschen Schein, Dunst u. Glast blenden lassen.– Er mache es wie Rehabeam p.– Vielleicht unsere Väter – und mütterliche Zärtlichkeit würde es nicht zulassen, ob es gleich dein Bestes wäre: Aber a) Si Supponis so viel väter- u. mütterl. Zärtlichkeit; male, daß du nicht eben so viel kindl. Zärtlichkeit hast, u. deine Eltern dadurch erfreuen wilst, daß du in deinem Vaterlande Gott und deinen Nächsten, ihnen zur Ehre und Freude nützl. seyn wilst – Zeigt wenig patriotismus an. – Ist doch auch wol e. Tugend – Exempl. Griechen, Römer. Was haben wir, was alle Freunde, was alle deine hiesigen Compatrioten, bey denen du das beste Vorurth. erweckt hast, von allen ihren Erwartungen. b) Aber wenn es dein wahrer Vorteil wäre; abnegarem Alle mein eignes und der Meinigen Vergnügen p. So affenliebisch bin ich nicht pp. Allein Suppono, daß d. H. Resident, als Resident (denn das bringt diese s. Charge schon mit sich) in Danzig bliebe. Was wilst du dann bey ihm machen? – Erst Hofmeister, – das hier auch, – dann Secretair. Ein schlechter wol nicht, damit er dich abdanken könne. – Nein e. gut., folgl. e. ewiger Secretair, so wie dein Mutterbruder Neoknapp, e. ewiger freier Unterthan s. Hauses, der nie s. eignes anfangen, nie heiraten, nie selbst e. Wirtschaft fuhren kann, immer die Füsse unter e. fremden Tisch stecken muß. Taugst du nichts u. must ihn verlassen, so jägt er dich ohne Recommendation weg. – Taugst du was, u. hat er dich lieb, so wird er aus Eigennutz dich in s. Hause ewig festhalten wollen, u. ich weiß nicht, zu welchen emplois er dir in Danzig helfen könnte, da es doch dort wol von geschickten Landes Leuten krimmelt u. wimmelt, die nothwendig vor fremden den Vorzug haben. – Vielleicht rechnest du darauf, daß er dich dort in e. gute Pfarre helfen solle. In was für eine Etwa in e. Stadtpfarre in Danzig selbst? Nein dazu nehmen die Herren Danziger wahrhaftig praejudicio keinen blossen und noch dazu fremden Candidaten, wenn er auch Apoll selbst wäre, auch nicht jeden geschickten wahren Prediger einmal, sondern verschrieben sich immer große Professores und Doctores Theologiae von fremden Academien, wie so z.E. D. Kraft a.d. großen Pfarrkirche; und D. Bertling aus Helmstädt dahin kamen. Nun wo dann hin? Aufs Land, aufs Dorf. 1) kannst du das hier auch u. viel besser haben: denn wir haben hier 10mal bessere Land-Pastorate, als die dortigen Dorf-Pfarren sind, wo die armen Prediger fast das Hungerbrod fressen. 2) ist nichts Verachteteres, als e. dasiger Dorf-Pfaffe. In urbibus pastores magis honorantur, quam hic. At in pagis quoque centies magis spernuntur, quam hic. – Es ist überhaupt die Frage, ob d. H. Resident dich dort zu e. geistl. od. weltl. Amt befördern könne, oder wolle: (1) ob er könne! Denn warum solten sie sich Subjecta von e. fremden Herrn vorschlagen lassen, da es ihnen weder an eignen consiliariis noch Subjectis zu Aemtern fehlet b) ob er wolle! Denn gefällst du ihm, so wird er kein Thor seyn, sich auf die Art von dir zu trennen u. sich selbst deiner guten Dienste zu berauben. Gesetzt du wollest da nicht länger bey ihm bleiben; wo dann hin! da du dort fremd u. unbekannt bist: hier aber (da dein Vat. überall und du auch schon zieml. weit und breit bekannt ist) dir das ganze Land offen steht. Ergo plane dissuadeo ut amicus, at si non vis, befehle ichs dir als Vater, daß du dies Project fahren lassest u. mit deinem Bruder hereinkommst. V. Anderwärtiger Vorschlag, den ich ihm gebe. D. H. Obrister Bok bey mir, hat e. Schwester in Lettland, nomen nescio hat noch klein. Kind., fordert nur den ersten Unterricht in Bstabiren, Lesen, Schreiben, Rechnen u. sonderl. im französischen, offerirt selbst nicht das Salarium: du solst es fixiren. Ich meine im ersten Jahre, da dte Kind. klein 150 rthl. Alb. (weil dort im lettischen Alberts-Tahler) so nach Rubeln doch zum allerwenigsten 180 Rbl. ausmachen, und dabey 20 Rthl. zu freyem Thee und Zucker. – Im anderm Jahre wenn du bleiben wilst und kanst, aber 200 rthl. Alb. welches zum allerwenigsten 240 Rbl. ausmachet, u. abermal 20 rthl. Thée und Zucker. Ich wil auch suchen das Reisegeld für dich mit zu verdingen, weil ich sorge, ich möchte es kaum aufbringen können. Wilst du dies, so wil ich an Bok schreiben. Denn er wartet sehnl. auf Antwort u. bittet sehr darum. Wer weiß, wo dieser Gönner auch wegen s. grossen Bekanntschaft mit den Größten des Hofes u. Einfluß bey d. Majestät selbst dir hier noch beförderl. seyn könnte? Antworte bald. – Das Salarium däucht mir convenable. Man darf den Bogen nicht zu hoch spannen, weil er dir in d. Noth geholfen p. Du hast Freiheit, kanst bleiben u. auch gehen, wenn dir die condition nicht länger ansteht. VI. Der Mamma Zustand: Marter von Viel. 1000 Plagen, schlechtes OsterFest. – Meine Gesundheit auch schlecht. Kopfschmerzen vom Dunst. VII. Meine neue Verfolgung, wegen 1) d. Ober-Consistorial-Schrift 2) des Kirchenbuches. VIII. Erbärml. Zustand d. Sczibalski auf Rüggen. Sie werden wol nicht mehr sehen. Extract aus den beyden letzten Sczibalskischen Briefen. – Unsere vielen Tränen. IX. Lieschen 3 Tage schon krank. – Ueberhaupt dort viel Patienten, desgleichen in Lemsal von den Recruten. X. Gestorben: 1) General Di..t.. ..: Schreckl. Krankheits-Umstände seel. Tod. Grots Leichen-Predigt 2) Landrath Igelstrohm 3) Axel Bruiningk 4) d. Candid. Hoffmann, d. euch auf dem Claviere informirte, in Lemsal 5) d. junge Reichenberg. – Ejus ultima – Vorm Jahrd. junge Helm. XI. Neuer General-Superint. Sein guter Character. Nicht ein solcher Pedant. – Neuer Grund einzukommen. XII. Copulandi Inspect. Petersen mit e. Jungfer Rosenthal. XIII. Frage, obs wahr, daß die Preußen in Curland eingerückt sind? – Ob sie communiciret haben u. wann? XIV. Schluß-Ermahnung. 3 Stangen fein. schwarzen Lak. Zu 40 Trauer-Briefen Pappier mit schwarzen Ränd. 2 Buch Pappusch Pappier von No. 1. Theurester Freund! Sie werden mir ein kleines Stillschweigen zu gut halten, das auf eine Abreise ohne Abschied seltsam genug aussieht. Die gegenwärtige Lage meiner Seele wird mich entschuldigen. Sie kriecht zusammen, wie ein Insekt, das von einem plötzlichen kalten Winde berührt worden. Vielleicht sammelt sie neue Kräfte, oder vielleicht ist dieser Zustand gar Melancholey. Sey es was es wolle, ich befinde mich eben nicht unglücklich dabey, es ist kein Schmerz den ich fühle, sondern bloß Ernst und obschon dieser den Jüngling nicht so sehr ziemet als den Mann, so denk ich, ist er auch für jenen unter gewissen Umständen vortheilhaft. Geben Sie mir doch Nachricht von Ihrem Befinden, ändern Sie Ihr sonst so gütiges Zutrauen gegen mich nicht. Meine Umstände können meine Oberfläche zwar ändern, aber der Grund meines Herzens bleibt. – Ich beschäftige mich gegenwärtig vorzüglich mit Winkelmanns Geschichte der Kunst, und finde bei ihm Genugtuung. O daß dieser Mann noch lebte! Schaffen Sie sich sein Werk an, wenn Sie einmal auf Verschönerung Ihrer Bibliothek denken. Wenn seine Sphäre nur nicht von der Art wäre, daß er sich durch einen großen Nebel von Gelehrsamkeit in derselben herumdrehen muß, der den gesetzten und edlen Flug seines Geistes merklich niederschlägt. In der Jurisprudenz habe ich nur noch eine kleine Saite in meiner Seele aufgezogen, und die gibt einen verhenkert leisen Thon. Der waltende Himmel mag wissen, in was für eine Form er mich zuletzt noch gießt und was für Münze er auf mich prägt. Der Mensch ist mit freien Händen und Füssen dennoch nur ein tändelndes Kind, wenn er von dem großen Werkmeister, der die Weltuhr in seiner Hand hat, nicht auf ein Plätzchen eingestellt wird, wo er ein paar Räder neben sich in Bewegung setzen kann. – Ist Ihre Abhandlung schon vorgelesen? Und wie haben sich Ott und Haffner das letztemahl gehalten; ich zähle auf Ihr Urtheil davon. Ihre weisen Rathschläge über einen gewissen Artikel meines Herzens, fang ich an mit Ernst in Ausübung zu setzen: allein eine Wunde heilt allemahl langsamer, als sie geschlagen wird. Und wenn ich die Leidenschaft überwände, wird doch der stille Wunsch ewig nicht aus meinem Herzen gereutet werden, mein Glück, wenn ich irgend eines auf dieser kleinen Kugel erwarten kann, mit einer Persohn zu teilen, die es mir allein wird reitzend und wünschenswerth machen können. Ich habe heut einen dummen Kopf, aber ein gutes und geruhiges Herz: aus der Fülle dieses Herzens will ich Ihnen sagen, daß ich bin Ihr unaufhörlich ergebenster Freund J. M. R. Lenz. Am Rand Von Herrn von Kleist ein ganz ergebenstes Compliment. Wollen Sie so gütig seyn, mich Ihrer Tischgesellschaft zu empfehlen, vorzüglich Herrn Leibhold und Hepp. Nachschrift Ich sehe daß mein guter Ott mich nicht versteht und durchaus glaubt, wenn ich nicht lustig bin, müsse ich unglücklich seyn. Benehmen Sie ihm doch dieses schlechte Zutraun zu mir, welches mich in der That schamroth machen muß. Der Himmel ist noch nie so strenge gegen mich gewesen, mir größeren Kummer aufzulegen, als wozu er mir Schultern gegeben, und wenn ich jetzt die feige Memme machte, der Ungedult und Thorheit über die Backen liefen, so verdient ich in Essig eingemacht zu werden, damit ich nicht in putredinem überginge. Ich fürchte, weil ich an ihn jetzt nicht mehr mit lachendem Munde schreiben kann, sein gar zu gutes und empfindliches Herz wird glauben, ich sey niedergeschlagen und ich bin es doch niemals weniger gewesen als itzt. Neulich als ich einige Stunden einsam unter einem Baum gelesen, sah ich unvermuthet eine erschreckliche Schlange ganzgeruhig zwei Zoll weit neben mir liegen. Ich flog schneller als ein Blitz davon, und dachte es muß doch noch nicht Zeit für dich sein – Diese Anekdote schreibe ich meinen Freunden nur darum, damit sie sich in Acht nehmen, unter einem Baum auszuruhen – denn sonst denk ich interessirt sie niemanden als mich. Ich schick Ihnen zur Ausfüllung einer vegetirenden Stunde nach dem Essen, eine kleine Romanze, die ich in einer eben so leeren Stunde gemacht habe. Piramus und Thisbe. Der junge Piramus in Babel Hat in der Wand Sich nach und nach mit einer heissen Gabel Ein Loch gebrannt. Hart an der Wand, da schlief sein Liebchen, Die Thisbe hieß, Und ihr Papa auf ihrem Stübchen Verderben ließ. Die Liebe geht so, wie Gespenster, Durch Holz und Stein. Sie machten sich ein kleines Fenster Für ihre Pein. Da hieß es: liebst du mich? da schallte: Wie lieb ich dich! Sie küßten Stundenlang die Spalte Und meynten sich. Geraumer ward sie jede Stunde, Und manchen Kuß Erreichte schon von Thisbens Munde err Piramus. In einer Nacht, da Mond und Sterne Vom Himmel sahn, Da hätten sie die Wand so gerne Beyseits gethan. Ach Thisbe! weint er, sie zurücke: Ach Piramus! Besteht denn unser ganzes Glücke In einem Kuß? Sie sprach: ich will mit einer Gabe, Als wär ich fromm, Hinaus bei Nacht zu Nini Grabe, Alsdann so komm! Dies wird Papa mir nicht verwehren, Dann spude dich. Du wirst mich eifrig bethen hören, Und tröste mich. Ein Mann ein Wort! Auf einem Beine Sprang er für Lust: Auf Morgen Nacht da küß ich deine Geliebte Brust. Sie, Opferkuchen bei sich habend, Trippt durch den Hayn, Schneeweiß gekleidt, den andern Abend Im Mondenschein. Da fährt ein Löwe aus den Hecken, Ganz ungewohnt, Er brüllt so laut: sie wird vor Schrecken Bleich wie der Mond. Ha, zitternd warf sie mit dem Schleyer Den Korb ins Graß Und lief, indem das Ungeheuer Die Kuchen aß. Kaum war es fort, so mißt ein Knabe Mit leichtem Schritt Denselben Weg zu Nini Grabe – Der rückwärts tritt, Als hätt ein Donner ihn erschossen: Den Löwen weit – Und weiß im Grase hingegossen Der Thisbe Kleid. Plump fällt er hin im Mondenlichte: So fällt vom Sturm Mit unbeholfenem Gewichte Ein alter Thurm. O Thisbe, so bewegen leise Die Lippen sich, O Thisbe, zu des Löwen Speise Da schick ich mich. Zu hören meine treuen Schwüre Warst du gewohnt; Sey Zeuge, wie ich sie vollführe, Du falscher Mond! Die kalte Hand fuhr nach dem Degen Und dann durchs Herz. Der Mond fing an sich zu bewegen Für Leid und Schmerz. Ihn suchte Zephir zu erfrischen Umsonst bemüht. Die Vögel sangen aus den Büschen Sein Todtenlied. Schnell lauschte Thisbe durch die Blätter Und sah das Graß, Wie unter einem Donnerwetter, Von Purpur naß. O Gott, wie pochte da so heftig Ihr kleines Herz! Das braune Haupthaar ward geschäftig, Stieg himmelwärts. Sie floh – hier zieht, ihr blassen Musen, Den Vorhang zu! Dahinter ruht sie, Stahl im Busen: O herbe Ruh! Der Mond vergaß sie zu bescheinen, Von Schrecken blind. Der Himmel selbst fieng an zu weinen Als wie ein Kind. Man sagt vom Löwen, sein Gewissen Hab ihn erschröckt, Er habe sich zu ihren Füßen Lang hingestreckt. O nehmt, was euch ein Beyspiel lehret, Ihr Alten, wahr! Nehmt euch in Acht, ihr Alten! störet Kein liebend Paar. Auf einem beiliegenden Zettel Man sagt daß keine Frau dem Mann die Herrschaft gönnt; So nicht Frau Magdelone. Sie theilt mit ihm das Regiment: Behält den Zepter nur und lässet ihm die Krone. Fort Louis, den 3ten Juni 1772. S. T. Mein theurester Freund. So nenn’ ich Sie, die Sprache des Herzens will ich mit Ihnen reden, nicht des Ceremoniels. Kurz aber wird mein Brief werden, denn sie ist lakonisch, lakonischer als Sallustius, lakonischer als der schnellste Gedanke eines Geistes ohne Körper. Darum hasse ich die Briefe. Die Empfindungen einer so geläuterten Freundschaft als Sie mich kennen gelehrt, gleichen dem geistigen Spiritus, der wenn er an die Luft kömmt, verraucht. Ich liebe Sie – mehr verbietet mir mein Herz zu sagen, der plauderhafte Witz ist nie sein Dolmetscher gewesen. Ich bin wieder in Fort-Louis, nach einigen kleinen Diversionen, die meine kleine Existenz hier, auf dem Lande herum, gemacht hat. Ob ich mein Herz auch spazieren geführt – – – Ich habe die guten Mädchen von Ihnen gegrüßt: sie lassen Ihnen ihre ganze Hochachtung und Ergebenheit versichern. Es war ein Mädchen, das sich vorzüglich freute, daß ich so glücklich wäre, Ihre Freundschaft zu haben. Mündlich mehr. Ich komme in der Fronleichnamswoche zuverlässig nach Straßburg. – Schon wieder eine Visite – und schon wieder eine – Ich bin mit einigen Offiziers bekannt und diese Bekanntschaft wird mir schon, in ihrer Entstehung lästig. Ich liebe die Einsamkeit jetzt mehr, als jemals – und wenn ich sie nicht in Straßburg zu finden hoffte, so würde ich mein Schicksal hassen, das mich schon wieder zwingt, in eine lärmende Stadt zurückzukehren. Was werden Sie von mir denken, mein theuerster Freund? Was für Muthmaßungen – Aber bedenken Sie, daß dieses die Jahre der Leidenschaften und Thorheiten sind. Ich schiffe unter tausend Klippen – auf dem Negropont, wo man mir mit Horaz zurufen sollte Interfusa nitentes Vites aequora Cycladas. Wenn ich auf einer dieser Inseln scheitre – wäre es ein so großes Wunder? Und sollte mein Salzmann so strenge ·sein, mich auf denselben, als einen zweiten Robinson Crusoe, ohne Hilfe zu lassen? Ich will es Ihnen gestehen (denn was sollte ich Ihnen nicht gestehen?), ich fürchte mich vor Ihrem Anblick. Sie werden mir bis auf den Grund meines Herzens sehen – und ich werde wie ein armer Sünder vor Ihnen stehen und seufzen, anstatt mich zu rechtfertigen. Was ist der Mensch? Ich erinnere mich noch wohl, daß ich zu gewissen Zeiten stolz einen gewissen G. tadelte und mich mit meiner sittsamen Weisheit innerlich brüstete, wie ein welscher Hahn, als Sie mir etwas von seinen Thorheiten erzählten. Der Himmel und mein Gewissen strafen mich jetzt dafür. Nun hab’ ich Ihnen schon zu viel gesagt, als daß ich Ihnen nicht noch mehr sagen sollte. Doch nein, ich will es bis auf unsere Zusammenkunft versparen. Ich befürchte, die Buchstaben möchten erröthen und das Papier anfangen zu reden. Verbergen Sie doch ja diesen Brief vor der ganzen Welt, vor sich selber und vor mir. Ich wünschte, daß ich Ihnen von Allem Nachricht geben könnte, ohne daß ich nöthig hätte zu reden. Ich bin boshaft auf mich selber, ich bin melancholisch über mein Schicksal – ich wünschte von ganzem Herzen zu sterben. Den Sonntag waren wir in Ses. den Montag frühe ging ich wieder hin und machte in Gesellschaft des guten Landpriesters und seiner Tochter eine Reise nach Lichtenau. Wir kamen den Abend um 10 Uhr nach S. zurück: dieser und den folgenden Tag blieb ich dort. Nun haben Sie genug. Es ist mir als ob ich auf einer bezauberten Insel gewesen wäre, ich war dort ein anderer Mensch, als ich hier bin, alles was ich geredt und gethan, hab ich im Traum gethan. Heute reiset Mad. Brion mit ihren beyden Töchtern nach Sarbrücken, zu ihrem Bruder auf 14 Tage, und wird vielleicht ein Mädchen da lassen, das ich wünschte nie gesehen zu haben. Sie hat mir aber bei allen Mächten der L– geschworen, nicht da zu bleiben. Ich bin unglüklich, bester bester Freund! und doch bin ich auch der glücklichste unter allen Menschen. An demselben Tage vielleicht, da sie von Saarbrük zurük kommt, muß ich mit H. v. Kleist nach Straßburg reisen. Also einen Monath getrennt, vielleicht mehr, vielleicht auf immer – Und doch haben wir uns geschworen uns nie zu trennen. Verbrennen Sie diesen Brief – es reut mich, daß ich dies einem treulosen Papier anvertrauen muß. Entziehen Sie mir Ihre Freundschaft nicht: es wäre grausam mir sie jetzt zu entziehen, da ich mir selbst am wenigsten genug bin, da ich mich selbst nicht leiden kann, da ich mich umbringen möchte, wenn das nichts Böses wäre. Ich bin nicht schuld an allen diesen Begebenheiten: ich bin kein Verführer, aber auch kein Verführter, ich habe mich leidend verhalten, der Himmel ist schuld daran, der mag sie auch zum Ende bringen. Ich schließe mich in Ihre Arme als Ihr melancholischer Lenz. am Rand Haben Sie die Gütigkeit, der ganzen Tischgesellschaft meine Ergebenheit zu versichern. … Ums Himmels, um meines Mädchens und um meinetwillen, lassen Sie doch alles dies ein Geheimnis bleiben. Von mir erfahrt es niemand als mein zweites Ich. Fort Louis d. 10ten Junius 1772 Guter Sokrates! Schmerzhaft genug war der erste Verband den Sie auf meine Wunde legten. Mich auszulachen – ich muß mitlachen, und doch fängt meine Wunde dabey nur heftiger an zu bluten. Nur fürchte ich – soll ich Ihnen auch diese Furcht gestehen? Ja da Sie mein Herz einmal offen gesehen haben, so soll kein Winkel Ihnen verborgen bleiben. Ich fürchte, es ist zu spät an eine Heilung zu denken. Es ist mir wie Pygmalion gegangen. Ich hatte mir zu einer gewissen Absicht in meiner Phantasie ein Mädchen geschaffen – ich sah mich um und die gütige Natur hatte mir mein Ideal lebendig an die Seite gestellt. Es ging uns beyden wie Cäsarn: veni, vidi, vici. Durch unmerkliche Grade wuchs unsere Vertraulichkeit – und jetzt ist sie beschworen und unauflöslich. Aber sie sind fort, wir sind getrennt: und eben da ich diesen Verlust am heftigsten fühle, kommen Briefe aus Strasburg und – Vergeben Sie mir meinen tollen Brief! Mein Verstand hat sich noch nicht wieder eingefunden. Wollte der Himmel ich hätte nicht nöthig, ihn mit Vetter Orlando im Monde suchen zu lassen. Ich bin um mich zu zerstreuen, die Feyertage über bei einem reichen und sehr gutmüthigen Amtsschulz in Lichtenau zu Gast gewesen. Ich habe mich an meinem Kummer durch eine ausschweiffende Lustigkeit gerächt: aber er kehrt jetzt nur desto heftiger zurück, wie die Dunkelheit der Nacht hinter einem Blitz – Ich werde nach Strasburg kommen und mich in Ihre Kur begeben. Eins muß ich mir von Ihnen ausbitten: schonen Sie mich nicht, aber – lassen Sie meine Freundin unangetastet. Der Tag nach meinem letzten Briefe an Sie, gieng ich zu ihr: wir haben den Abend allein in der Laube zugebracht; die bescheidne und englisch gütige Schwester unterbrach uns nur selten und das allezeit mit einer so liebenswürdigen Schalkheit - Unser Gespräch waren Sie – ja Sie, und die freundschaftlichen Mädchen haben fast geweint für Verlangen Sie kennen zu lernen. Und Sie wollten mit gewaffneter Hand auf sie losgehen, wie Herkules auf seine Ungeheuer – Nein Sie müssen sie kennen lernen und ihre Blicke allein werden Sie entwaffnen. Ich habe meiner Friedrike gesagt, ich könnte für Sie nichts geheim halten. Sie zitterte, Sie würden zu wenig Freundschaft für eine Unbekannte haben. Machen Sie diese Furcht nicht wahr, mein guter Sokrates! Uebrigens tun Sie was Ihnen die Weißheit räth. Ich will mich geduldig unterwerfen. Es ist gut, daß Sie meinen freundschaftlichen Ott nicht mit meiner Torheit umständlich bekannt machen. Ich verbürge mich gern vor mir selbst nur nicht vor Ihnen. Leben Sie wohl, Ihr unaufhörlich ergebenster Freund JMRLenz. Gestern ist der Herr Landpriester bei mir zu Gast gewesen. Er ist ein Fieldingscher Charakter. Jeder andere würde in seiner Gesellschaft Langweile gefunden haben; ich habe aber mich recht sehr darin amusirt; denn ein Auge, womit ich ihn ansah, war poetisch das andere verliebt. – Er läßt sein Leben für mich und ich für seine Tochter. Fort Louis, d. 15ten Junius n. St. Mein theurester Vater! Abermal muß ich eine Gelegenheit kahl aus meinen Händen lassen, mit der ich in Ihre Arme zu fliehen hoffte. Wenigstens soll mein Brief mitgehen, wenn ich mein Herz in denselben einschließen könnte, ich thät es mit Freuden. Ich schreibe jetzt unter den grausamsten Kopfschmerzen an Sie, die die hier jetzt unausstehliche Hitze und zugleich die Weindiät verursachen, und von denen ich sonst, wie von andern Krankheiten, Gott sey Dank! nichts weiß: obschon äußere Umstände, Sorgen, Kummer und Geschäfte mir sie oft genug hätten zuziehen können. Noch immer bete ich die Vorsehung an, und noch immer muß ich Sie aufmuntern, sie mit mir anzubeten und alle Ihre zärtlichen Sorgen auch in Ansehung meines Schicksals auf sie zu werfen. Bedenken Sie daß wir in einer Welt sind, wo wir durch tausend in einander gekettete Mühseligkeiten zum Ziel gelangen und niemals eine vollkommene Befriedigung auch unserer unschuldigsten und gerechtesten Wünsche erwarten können. Wenn ich so eitel sein darf, zu glauben, daß meine Abwesenheit eine kleine Wunde in Ihrer Seele macht: welch eine Wunde muß denn die Ihrige in der meinigen machen? Die Abwesenheit meiner theuresten Mutter und Geschwister, meiner zärtlichsten Freunde – die allezeit Arme und Herz für mich offen hielten, da ich sie jetzt als Fremdling allenthalben für mich verschlossen sehe. Umstände dazu, die ich Ihnen weder schildern will noch kann – – dennoch, dennoch halte ich meine Augen zum Vater im Himmel emporgerichtet, der mir an jedem Ort nachfolgt, und wenn ich entfernt von Himmel und Erde wäre und Leib und Seele mir verschmachtete. Im Herzen rein hinauf gen Himmel schau ich Und sage Gott, dir Gott allein vertrau ich Welch Glück, welch Glück kann größer seyn. Nur daß keiner meiner Briefe zu Ihnen gelangt, daß Sie durch dieses Stillschweigen nicht allein an meinen Schicksalen, sondern auch an meinem Charakter irre werden; das kränket mich. Ich habe seit Ihrem letzten Briefe schon zweymal an Sie geschrieben, und dennoch krieg ich einen Vorwurf über den andern wegen meines Stillschweigens. Und können Sie glauben, daß mein sonst doch weiches Herz sich auf einmal in einen Stein verwandelt – Gott, du weißts. Ich schätze kein zeitliches Glück so hoch als dasjenige, Sie noch einmal zu sehen. – Was soll ich Ihnen sonst noch von meinen äußern Umständen sagen. – Die Vorsehung Gottes hat mir einen liebenswürdigen Zirkel von Freunden geschenkt, mir Ihren Verlust zu ersetzen: sie sind aber das was die Wachslichter gegen das Tageslicht sind. Einen Namen muß ich Ihnen hersetzen, damit Sie seiner in Ihren Seufzern für mich erwähnen: er ist mir zu teuer.
    Salzman
– o wenn ich einen so erfahrenen liebenswürdigen Mentor nicht hier zur Seite gehabt, auf welcher Klippe würde ich jetzt nicht schon schiffbrüchig sitzen? – Wenn Ehre ein wahres Gut ist, so bin ich glücklich, denn die wiederfährt mir hier genug, ohne daß ich sie verdienet habe. Sie ist aber vielmehr ein Joch, als ein Gut, und sie allein würde mich nie abhalten, in den stillen Schoß meines Vaterlandes unbemerkt wieder zurückzukehren. So aber sind mir jetzt noch Hände und Füße dazu gebunden, ich möchte lieber sagen, abgehauen. Ich bringe meinen Sommer in Fort Louis, einer Festung sieben Stunden von Strasburg zu, auf den Winter werde ich wieder dahin zurückkehren. Jetzt bin ich also in einer fast gänzlichen Einsamkeit. Auf den künftigen Frühjahr hoffe ich mit Nachdruck und Succeß an meine Heimreise zu denken. Bis dahin, theuresten Eltern, geben Sie sich noch zufrieden. Ich wünsche Ihnen den großen Gott, auf den ich bisher noch nie zu meinem Schaden gerechnet, und, ich glaube es unverändert, auch niemals ins künftige rechnen werde. Wenn ich meine Lebens Geschichte aufsetzte, würde sie vielen unglaublich scheinen. Ich setze dies aufs Alter aus – vorher aber auf unsere mündliche Unterredung. Freuen Sie sich in dieser Zeit Ihrer wohlgeratenen anwesenden Kinder, theurester Vater, schließen Sie einen abwesenden Flüchtling in Ihr Herz und Gebet, aber schließen Sie ihn aus Ihrer Sorge, und übergeben ihn dem großen Gott, der am besten weiß, was für ein Gefäß er aus ihm machen will. – Ich falle Ihnen und meiner theuresten Mama mit den zärtlichsten Tränen in die Arme, als Ihr bis ins Grab gehorsamster und getreuester Sohn Jac. Mich. Reinh. Lenz.
Fort-Louis, den 28. Juni Gütigster Herr Aktuarius! Ich habe einen empfindlichen Verlust gehabt, Herr Kleist hat mir Ihren und meines guten Ott’s Briefe recht sorgsam aufheben wollen und hat sie so verwahrt, daß er sie selbst nicht mehr wieder finden kann. Ich bin noch zu sehr von der Reise ermüdet, als daß ich Ihnen jetzt viel Vernünftiges schreiben könnte. Denn ich habe noch fast keine Minute gehabt, in der ich zu mir selbst hätte sagen können: nun ruhe ich. Eigene und fremde, vernünftige und leidenschaftliche, philosophische und poetische Sorgen und Geschäfte zerteilen mich. Mein Schlaf selber ist so kurz und unruhig, daß ich fast sagen möchte, ich wache des Nachts mit schlafenden Augen, so wie ich des Tages mit wachendem Auge schlafe. In Sesenheim bin ich gewesen. Ist es Trägheit oder Gewissensangst, die mir die Hand zu Blei macht, wenn ich Ihnen die kleinen Scenen abschildern will, in denen ich und eine andere Person, die einzigen Akteurs sind. Soviel versichere ich Ihnen, daß Ihre weisen Lehren bei mir gefruchtet haben und daß meinen Leidenschaft dieses Mal sich so ziemlich vernünftig aufgeführt. Doch ist und bleibt es noch immer Leidenschaft – nur das nenne ich an ihr vernünftig, wenn sie mich zu Hause geruhig meinen gewöhnlichen centrischen und excentrischen Geschäften nachhängen läßt, und das thut sie, das thut sie. Die beiden guten Landnymphen lassen Sie mit einem tiefen Knicks grüßen. – – Mein Trauerspiel (ich muß den gebräuchlichen Namen nennen) nähert sich mit jedem Tage der Zeitigung. Ich habe von einem Schriftsteller aus Deutschland eine Nachricht erhalten, die ich nicht mit vielem Golde bezahlen wollte. Er schreibt mir, mein Verleger, von dem ich, durch ihn, ein unreifes Manuscript zurück verlangte, habe ihm gesagt, es wäre schon an mich abgeschickt. Noch sehe ich nichts. Lieber aber ist mir dies, als ob mir einer einen Wechsel von 1000 Thalern zurückschenkte. Lesen Sie dieß andere Blatt in einer leeren Stunde. Unsere letzte Unterredung und die darauf folgende schlaflose Nacht, hat diese Gedanken veranlaßt. Schreiben Sie Ihr Urtheil drüber Ihrem ergebensten Lenz. Fort Louis, d. 13ten Jul. 1772 Liebster Bruder! Deine Vorwürfe würden mir so empfindlich nicht seyn, wenn ich sie nicht verdient hätte: aber sie nicht verdient zu haben und doch kein Mittel wissen, die üble Meinung abzulehnen die alle meine vorige Bekannte meines Stillschweigens halber von meinem Herzen zu fassen anfangen das ist in der That niederschlagend. So mürbe ich aber auch von den Streichen des Schicksals bin, so soll doch kein einziger, das hoffe ich zu Gott, mir meinen Mut rauben. Ich habe öfter an Dich geschrieben als Du an mich – wen soll ich anklagen, daß meine Briefe nicht zu Euch kommen? Ich freue mich über Dein morgenröthendes Glück – das meinige liegt noch in der Dämmerung. Es mag ewig darinne liegen bleiben – Dir nähere Nachrichten von meinen Umständen und Begebenheiten zu geben, ist mir unmöglich. Sie geben das anmuthigste Gemählde von Licht und Schatten, wiewohl der letzte bisweilen ein wenig tief ist. Aber im Briefe kann ich Euch nichts davon mittheilen: und ich halte es für besser Euch lieber zu schreiben daß ich noch gesund bin und lebe, sonst nichts, als Euch mangelhafte und unvollkommene Nachrichten zu geben, aus denen Ihr Muthmaßungen und Schlüsse ziehen könntet, die Eurer und meiner Ruhe schaden würden. Ich habe mit Deinem Briefe einen sehr lamentablen von unserm guten Frohlandt aus Königsberg bekommen, worin er mir meldet, daß fast die ganze Landsmannschaft
    davon gelauffen.
In der That, ich werde bald anfangen zu erröthen, mich aus unserm Vaterlande zu bekennen, wenn unsere Landsleute sich Deutschland in einer solchen Gestalt zeigen. Baumann, Hesse, Zimmermann, Hugenberger, Kühn, Meyer – ich habe meinen Augen nicht trauen wollen. Und der arme Frohlandt ist in der That fast aufs äußerste gebracht – Hipprich und Marschewsky sind gleichfalls aus Berlin mit Schulden davon gelauffen, der letzte hat dieses schon in Leipzig und Jena getan. Das sind denn die würdigen Subjekte, mit denen in unserm Vaterlande Ehren- und Gewissens-Aemter besetzt werden. Ich wünschte meine Verwandten und Freunde heraus, in der That, ich wende keinen Blick mehr hin. Doch will ich Deinen Vorschlag mit der Condition überlegen und Dir in dem nächsten Briefe von meinem völligen Entschluß Nachricht geben, bloß um nur noch einmal, einmal das Glük zu haben meine Eltern und Euch alle wiederzusehen. Vor künftigen Frühjahr, also jetzt über 10 Monate kann ich mich auf keine Weise allem Anscheine nach von Kleists loß machen. Ins künftige wenn Du schreibst, so laß sie doch grüßen, liebster Bruder! es ist in der That zu spröde, daß Du thust, als habst Du sie nie gekannt. Ich dependire einmal in gewisser Absicht von ihnen. – Kurz in meinem nächsten Briefe werde ich Dir von meinem Entschluß positivere Nachricht geben. Reisegeld aber würde der Herr Etatsrath mir wohl schicken müssen, denn die
    Reise
macht legt meiner Zurükkunft die größte Schwierigkeit in den Weg. Du weißt die Oekonomie der jungen Herrchen und wie viel sie baar liegen haben. – Von Henisch kriege ich noch beständig Briefe, von Miller aber keine, auch von Pegau nicht, wenn Du an einen von ihnen schreibst, so grüße doch beide von mir 1000mahl und sage ihnen, daß ich gegen alle meine Freunde unter allen meinen Umständen der alte Lenz bleibe. Vielleicht thu ich mit dem ältesten Herrn v. Kleist auf den Herbst eine Reise auf einen Monath nach Nancy und mit dem jüngsten auf den Winter eine auf ein paar Monate nach Mannheim. Warum hast Du die Bedienung in Dorpat nicht angenommen. Eine gute Einschränkung versp erwirbt oft mehr als ein hohes Gehalt und wenn zu dem ersten die Gesellschaft der zärtlichsten Freunde kommt und bey dem andern jede Freude des Lebens darbt, so sollte billig der erste Zustand der vorzügliche seyn. – Jetzt kann ich unmöglich weiter schreiben – die Post Gelegenheit geht – o Himmel wie viel muß ich unterdrüken! Das sey aber versichert, mein theurer Bruder, daß ich Dich vorzüglich liebe und unter allen Umständen meines Lebens lieben werde. Die Gelegenheit mit der ich Dir diesen Brief schicke ist der Baron von Grothusen, welcher Morgen nach Curland zurükreiset und mit dem ich anfangs mitzugehen mir schmeichelte, diese Hofnung ist aber durch allerley Contretems zu Wasser geworden. Die vorigen Briefe habe ich Dir theils auf der Post, theils durch Pegau (wo mir recht ist) teils durch einen Landsmann der auch nach Hause reiste teils durch Herrn v. Sievers zugeschickt. Daß keiner angekommen, weiß ich auf keine Art zu begreiffen. Schreibe mir durch Frohlandt oder H. v; Sievers, fast möchte ich itzt die erste Gelegenheit für besser – oder nimm doch die andere – Mache wie Du es für gut findst. Meine Adresse ist an H abzugeben beym Herrn Actuarius Salzmann, nahe bey der Pfalz. Actuarius ist hier eine der ersten Magistratsbedingungen, nicht wie in Liefland – Ich muß schließen. Ich hoffe gewiß daß wenigstens dieser Brief Dich antreffen wird. Melde mir doch wie die Bedingungen Deiner Condition lauten. Bitte Papa um ein paar Zeilen von seiner Hand, dies ist die einzige Wohlthat die ich mir von ihm ausbitte. Küsse ihm und Mama 1000mal die Hand allen meinen theuren Geschwistern Freunden und Freundinnen 1000000mal den Mund von Deinem zärtlichsten Bruder Lenz. Kleists lesen alle meine Briefe. Wir sind aber Freunde und Du darfst alles frey schreiben, nur nichts von ihnen.
Fort Louis, August 1772 Sie bekommen heut’ einen sehr elenden Brief von mir, darum wollt’ ich anfangs lieber gar nicht schreiben. Aber non omnia possumus omnes dacht’ ich, mit Herrn Rebhuhn und geantwortet muß doch seyn. Ich komme eben aus der Gesellschaft dreier lieben Mädchen und einer schönen, schönen Frau und in allen solchen Gesellschaften wird das Fleisch willig und der Geist schwach. Wie dieser Brief in Ihre Hände kommt weiß ich noch nicht. Es soll ein Hauptmann nach Straßburg gehen, der dorthin allerlei mitnehmen wird, unter anderm Ihren Hobbes civem Malmesburgiensem, den ich mich nicht überwinden kann zu Ende zu bringen. Es geht mir wie einem Kinde, das über ein neues Spielzeug eines alten vergißt, das es doch so fest mit seiner kleinen Patsche umklammert hatte, als ob es ihm erst der Tod herausreißen sollte. Der Zustand meines Gemüthes ist wie er ist; den Haß kann man wohl auswurzeln, aber die Liebe nie, oder es müßte ein Unkraut seyn, das nur die äußere Gestalt der Liebe hätte. Wenn mir Einer Mittel vorschlagen wollte, Sie nicht mehr zu lieben, glauben Sie, daß diese Mittel bey mir kräftig sein würden? Vergeben Sie mir mein böses Maul, ich wünschte es allemal böser als mein Herz. Ich habe einen vortrefflichen Fund von alten Liedern gemacht, die ich Ihnen, sobald ich nach Straßburg komme, mittheilen werde. Wollen Sie meine letzte Uebersetzung aus dem Plautus lesen, so fodern Sie sie unserm guten Ott ab, denn ich glaube schwerlich, daß sie so bald in der Gesellschaft wird vorgelesen werden. Sie haben mir keine Nachricht gegeben, wie sie mit der Ietztern gegenwärtig zufrieden sind. Vernachlässigen Sie diese Pflanzschule Ihrer Vaterstadt nicht, theurer Freund, vielleicht könnten wohlthätige Bäume draus gezogen werden, auf welche Kindeskinder, die sich unter ihrem Schatten freuten, dankbar schnitten: Auch dich hat Er pflanzen helfen. Es sieht noch ziemlich wild und traurig in Ihrer Region aus – aber der erste Mensch ward in den Garten Eden gesetzt um ihn zu bauen. Wollten Sie wohl einst so gütig seyn, mir, zum aequivalent für Hobbes, noch eine glühende Kohle aufs Haupt zu sammeln und etwa Puffendorfs historiam juris zu schicken. Oder ein anderes juristisches Buch, denn Jurist muß ich doch werden, wenn mir anders die Theologie nicht verspricht mich zum Papst von Rom zu machen. Ich halte viel auf die Extreme und Niklaus Klimm’s aut Schulmeister aut Kaiser ist eine Satire auf Ihren Ihnen stets ergebenen Lenz. Herr von Kleist befindet sich wohl und empfiehlt sich Ihnen bestens. Mein theurer Sokrates! Ich umarme Sie mit hüpfendem Herzen und heiterer Stirne, um Ihnen eine Art von Lebewohl zu sagen, das in der That nicht viel zu bedeuten hat. Einige Stunden näher oder ferner machen, für den Liebhaber erschrecklich, für den Freund aber nichts. Der Erste ist zu sinnlich eine körperliche Trennung zu verschmerzen, der andere aber behält, was er hat, die geistige Gegenwart seines Freundes, und achtet die zwei Berge oder Flüsse mehr oder weniger nicht, die zwischen ihm und seinem Gegenstande stehen. Nur das thut mir wehe, daß ich nicht so oft werde nach Straßburg kommen können, indessen soll es dafür jedesmal auf desto längere Zeit geschehen. Ich denke, Sie werden mich nicht vergessen, meinerseits sind die Bande der Freundschaft so stark, daß sie noch hundert Stunden weiter gedehnt werden können, ohne zu reißen. Bis in mein Vaterland hinein – bis ins Capo de Finisterre, wenn Sie wollen. – In Ihrem letzten Briefe haben Sie mir Unrecht gethan. Wie, mein liebenswürdiger Führer, ich sollte wie ein ungezähmtes Roß allen Zaum und Zügel abstreifen, den man mir überwirft? Wofür halten Sie mich? Ach jetzt bekomm’ ich einen ganz andern Zuchtmeister. Entfernung, Einsamkeit, Noth und Kummer, werden mir Moralen geben, die weit bitterer an Geschmack seyn werden, als die Ihrigen, mein sanfter freundlicher Arzt. Wenn ich mit Ihnen zusammenkomme, werde ich Ihnen viel, sehr viel zu erzählen haben, das ich jetzt nicht mehr der Feder anvertrauen kann. Auftritte zu schildern, die weit rührender sind, als alles, was ich jemals im Stande wäre zu erdichten, Auftritte, die, wenn Sie Ihnen zugesehen haben würden, Sie selbst noch (meinen Sokrates) zu weinen würden gemacht haben. Noch ist meine Seele krank davon. Sie sind mein bester Freund auf dem Erdboden, Ihnen, aber auch nur Ihnen, will ich Alles erzählen, sobald ich Sie spreche. Zeigen Sie diese Stelle meines Briefes, nicht meinem guten Ott – wenn er nicht noch Jüngling wäre, wenn er die Stufe der Weisheit erstiegen hätte, würde ich über diesen Punkt nicht gegen ihn zurückhaltend sein. Heute komme ich von Lichtenau, aus einer sehr vergnügten Gesellschaft, in welcher ich vielleicht allein die Larve war. Ich will meinen Brief an Sie bis zum Ende bringen, ich erwarte heute abend noch einen Gnadenstoß. O lassen Sie mich, mein beschwertes Herz an Ihrem Busen entladen. Es ist mir Wollust zu denken, daß Sie nicht ungerührt bei meinem Leiden sind, obschon es Ihnen noch unbekannt ist. Denn Trennung ist nicht die einzige Ursache meines Schmerzens. – Wir wollen von andern Sachen reden. Ich werde noch, vor meiner Abreise, einmal aus Fort-Louis an Sie schreiben und alsdann aus Landau, sogleich nach meiner Ankunft. Mein Studiren steht jetzt stille. Der Sturm der Leidenschaft ist zu heftig. Ich wünsche mich schon fort von hier, alsdann, hoffe ich, wird er sich wieder kümmerlich legen. In Landau will ich, so viel es mein zur andern Natur gewordenes Lieblingsstudium erlaubt, das Jus eifrig fortsetzen. Auf den Winter denk’ ich mit Herrn von Kleist, der sich Ihnen gehorsamst empfehlen läßt, einige Monate in Mannheim, einige in Straßburg zuzubringen. Wo zuerst weiß ich nicht. Seyen Sie so gütig und sagen es der Jungfer Lauthen noch nicht, daß ich von Fort-Louis weggehe, ich will es ihr, wenn ich noch einen Posttag abgewartet, selber schreiben. Das weibliche Herz ist ein trotzig und verzagt Ding. Leben Sie wohl bis auf meinen nächsten Brief. Ich bin von ganzem Herzen Ihr Sie ewig liebender Alcibiades J. M. R. L. Mein theuerster Freund! Auf einem Fuß, wie ein reisefertiger Kranich, steh’ ich jetzt und schmiere Ihnen mit dem anderen mein Adieu auf’s Papier. Ich glaube zum wenigsten, daß dies mein letzter Brief von Fort-Louis seyn wird. Ich gehe jetzt nach Sesenheim hinaus, um den letzten Tag recht vergnügt dort zuzubringen. Recht vergnügt – Nicht wahr, Sie lächeln über meine stolze platonische Sprache, mittlerweile mein Herz mit dem Ritter Amadis (oder was weiß ich, wie der Liebhaber der Banise hieß) von nichts als Flammen, Dolchen, Pfeilen und Wunden deklamirt. Was soll ich sagen? Ich schäme mich meiner Empfindungen nicht, wenn sie gleich nicht allezeit mit festem Schritt hinter der Vernunft hergehen. O! und Salzmann bedauert mich – sehen Sie die Schürze von Feigenblättern, die meine gefällige Vernunft mir allezeit vor die Blöße meines Herzens bindet. Ich habe in Sesenheim gepredigt, sollten Sie das glauben? Den Sonnabend nachmittags karessirt; nach Fort-Louis gegangen; das Thor zu gefunden; zurückgegangen; den Pfarrer am Nachtessen unruhig gefunden, daß er so viel zu thun habe; mich angeboten; bis vier Uhr in der Laube gesessen; mich von meinen Fatiguen erholt; eingeschlafen; den Morgen eine Bibel und eine Concordanz zur Hand genommen und um 9 Uhr vor einer zahlreichen Gemeine, vor vier artigen Mädchen, einem Baron und einem Pfarrer gepredigt. Seh’n Sie, daß der Liebesgott auch Candidaten der Theologie macht, daß er bald in Alexanders Harnisch wie eine Maus kriecht, bald in die Soutane eines Pfarrers von Wackefield, wie ein der Liebesgelahrtheit Beflissener. Mein Text war das Gleichniß vom Pharisäer und Zöllner und mein Thema die schädlichen Folgen des Hochmuths. Die ganze Predigt war ein Impromptu, das gut genug ausfiel. – Himmel die Uhr schlägt sechs und ich sollte schon vor einer Stunde in S. seyn. Diesmal sollen Sie mich dort entschuldigen. Ihren Heineccius nehme ich mit. Ohne Erlaubniß – ach, mein Freund, dura necessitas läßt mich nicht erst lange fragen, ich greife zu – aber ich gebe auch wieder. Allein was werden Sie sagen, wenn ich Ihnen Ihren Tom Jones noch nicht zurückschicke? Ich bin schuld daran, daß ihn mein faules Mädchen noch etwas länger behält, er soll sie für meinen Verlust entschädigen, denn wenn man gute Gesellschaft hat, sagte sie, so kann man nicht viel lesen. Ich habe so brav auf Ihre Güte gethan, daß ich ihr mein Wort drauf gegeben, Sie würden es verzeihen, wenn sie Ihnen denselben erst durch Mamsell Schell zuschickte; ja Sie würden sogar so gütig seyn und ihr noch die zween letzten Teile alsdann dazu leihen, wenn sie die ersten wieder gegeben. Das heißt gewagt, mein bester Sokrates, aber Jugend ist allezeit ein Waghals, und bricht doch nur selten den Hals; ich denke, Sie werden meine tollkühne Freundschaft noch nicht fallen lassen: wenn sie älter wird, soll sie weiser und vorsichtiger werden. Für Ihre Adressen in Landau danke ich Ihnen unendlich, wer weiß, wozu sie gut sind. Ich hoffe eher nach Straßburg zu kommen, als nach Mannheim. Ich kann nicht mehr, theuerster, bester, würdigster Freund! ich bin schon ein Jahr über meine bestimmte Stunde ausgeblieben. Leben Sie recht sehr glücklich; mein Großfürst heirathet eine darmstädtische Prinzessin; leben Sie allezeit gleich heiter und vergnügt; ich möchte gerne den Namen des Russischen Envoyé an diesem Hofe wissen; erinnern Sie sich meiner zuweilen; der Friede soll auch schon geschlossen seyn; grüßen Sie die Lauth’sche Gesellschaft und die Mademoiselles tausendmal; doch was berichte ich Ihnen Neuigkeiten, die bei Ihnen schon in der Hitze werden sauer geworden seyn – und bleiben Sie gewogen Ihrem verschwindenden Alcibiades J.M.R.L. Weissenburg im Elsaß d. 2ten Septbr. 1772. Mein Vater! Ich schreibe Ihnen diesen Brief auf dem Marsch von Fort Louis nach Landau, wohin das Regiment Anhalt, bey dem sich der H. v. Kleist, (der jüngere) befindt, den letzten des vorigen Monaths aufgebrochen. Weil der letztere, dessen zärtliche Freundschaft für mich täglich zunimmt, mich immer um sich haben will, so thue ich mit ihm und zugleich mit dem Regiment, zu Pferde eine zwar sehr langsame aber auch nicht minder angenehme Reise. Ich bin Ihnen noch einige Striche von meinem Lebenslauf in Fort Louis schuldig, denn meinen letzten Brief schrieb ich Ihnen, als ich eben dahin abgieng. Ob ich gleich nicht weiß, ob jemals einer von meinen Briefen in Ihre Hände gekommen ist, oder kommen wird, so will ich doch meiner Seits nichts ermangeln lassen. Vielleicht trägt ein gutherziger Wind doch eine Nachricht von mir wie ein Blumenstäubchen fort, läßt sie noch bey Ihnen niederfallen, und zu einer kleinen Blume der Freude aufgehn. Ich spähe hier vergebens jeden Winkel nach Nachrichten von Ihnen aus, fast keinen Fremden, der aus Norden kömmt, laß ich entwischen, allein von Dorpat habe ich doch seit einem halben Jahr nicht das mindeste erfahren können. Es ist mir in Fort Louis recht sehr wohl gegangen: eine Wirkung Ihres väterlichen Gebeths und der Verheißung Gottes, frommen Eltern auch an ihren Kindern noch wohlzuthun. Denn was meine Person betrifft, so bin ich viel zu gering alles dessen was die Barmherzigkeit des Herrn an mir getan hat. Je länger ich mit d. Hrn. von Kleist umgehe, desto mehr spüre ich, daß seine Freundschaft zu mir wächst, anstatt wie es sonst bei jugendlichen Neigungen gewöhnlich ist, durch Gewohnheit und Sättigung zu erkalten. Ich habe mit seinen Nebenofficiers, die fast alle Deutsche sind, einen recht sehr artigen Umgang, ob schon ich mich soviel möglich allezeit in mich selbst zurückziehe. Nahe bey Fort Louis war ein Dörfchen, das ein Prediger mit drey liebenswürdigen Töchtern bewohnte, wohin sich die Unschuld aus dem Paradiese schien geflüchtet zu haben. Hier habe ich den Sommer über ein so süßes und zufriedenes Schäferleben geführt, daß mir alles Geräusch der großen Städte fast unerträglich geworden ist. Nicht ohne Thränen kann ich an diese glückliche Zeit zurück denken! O wie oft hab ich dort Ihrer und Ihres Zirkels erwähnt! O wie gern wollte ich in den schönen Kranz Ihrer Freunde eine Rose binden, die hier in dem stillen Tale nur für den Himmel, unerkannt blühet. Ich darf Ihnen diese Allegorie noch nicht näher erklären, vielleicht geschieht es ins künftige. – Mündlich dereinst hoffe ich, Ihnen das ganze Gemälde von meinem Lebenslauf aufzustellen, das in einem Briefe Ihnen viel zu seltsam und romanhaft vorkommen würde. Glauben Sie mir aber, daß die menschliche Einbildungskraft lange nicht so viel erdichten kann, als das menschliche Leben oft erfahren muß. Ich habe an diesem Orte kurz vor meiner Abreise eine Predigt, fast aus dem Stegreif gehalten. Sie fiel für den ersten Versuch und für ein Impromptu gut aus, allein ich entdeckte einen wesentlichen Fehler fürs Predigtamt an mir, die Stimme. Ich ward heiser und fast krank, und jedermann beschuldigte mich doch, zu leise geredet zu haben, da überdem die Kirche eine der kleinsten war. Was für eine Stelle mir also dereinst der Hausvater im Weinberge anweisen wird, weiß ich nicht, sorge auch nicht dafür. Noch arbeite ich immer nur für mich und lerne von den Vögeln frei und unbekümmert auf den Armen der Bäume den Schöpfer zu loben, gewiß versichert, das Körnchen das sie heute gesättigt, werde sich morgen schon wieder finden. Nach Straßburg schicke ich von Zeit zu Zeit kleine Abhandlungen an eine Gesellschaft der schönen Wißenschaften, die mich zu ihrem Ehrenmitgliede erwählt hat, und die davon mehr Aufhebens macht, als mir lieb ist. Ob sich auch in Landau für mich ein Feld eröffnen wird, in dem ich ein wenig graben kann, weiß ich nicht. Ich werde keinen Wink der Vorsehung aus der Acht lassen, aber auch nicht murren, wenn ich dort noch eine Weile unerkannt und ungedungen am Markt stehen bleibe. Meine Freundschaften und Verbindungen in Strasburg werden durch diese Reise, die mich Ihnen einige Stunden näher bringt, nicht zerrissen, sondern nur noch enger zusammengezogen, da auch bei Freunden und Gönnern immer das Sprichwort wahr bleibt Major ex longinquo reverentia. Doch seit einiger Zeit, (ich rede von Herzen mit Ihnen) bin ich ziemlich gelassen auch bei den empfindlichsten Trennungen und Verlusten. Ich habe ihrer schon so viel erfahren. Einige menschliche Thränen, und alsdenn fröhlich ˕wieder˕ das ganze Herz dem übergeben, der uns für den Verlust einer Welt entschädigen kann. Die große Moral, die ich aus meinen bisherigen Schicksalen mir abgezogen, soll immer mein Hauptstudium bleiben: Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erden. Jetzt will ich hier abbrechen und den Beschluß auf einige Tage weiter sparen, da ich Ihnen auch etwas von Landau melden kann. Landau den 2ten October. Viele Vorfälle, die mich ganz foderten, haben mir nicht soviel Zeit gelassen, meinen Brief an Sie zu endigen. Hier muß ich ihn eben stehendes Fußes zum Ende bringen, da sich eine gute Gelegenheit findet, ihn fortzuschaffen. Ich habe in Landau noch sehr wenig Bekanntschaft gemacht. Der Senior Herr Mühlberge, ein Schwager meines geliebten Freundes, des Herrn Licentiats Salzmann in Straßburg, scheint ein wackerer Mann zu sein. Ich bin bey ihm gewesen, habe ihn aber nicht angetroffen. Seyn Sie doch so gütig, und lassen einliegenden Brief nach Reval kommen, er ist von einem Feldwebel aus unserm Regiment, der mein Landsmann ist, und als solcher mich gar zu inständigst gebeten, doch einmal einen Brief von ihm an die Seinigen zu schaffen. Er ist itzt schon 30 Jahr von Hause, verschiedene Landsleute haben seinen Brief angenommen, keiner aber bestellt. O dacht ich, so werden deine saubern Landsleute es mit deinen Briefen auch gemacht haben – wenigstens will ich so leichtsinnig nicht sein. Sie werden mir vergeben, daß ich Ihnen dadurch Kosten mache. Der Mann heißt Hönn, ist eines Predigers Sohn, und hat unter die Soldaten gehen müssen, weil seine unmenschliche Stiefmutter, sogleich nach dem Tode seines Vaters, ihm da er kaum 1 Jahr auf der Akademie gewesen, weder Geld noch Brief noch Anweisung mehr geschickt. Er macht noch Ansprüche auf das Vermögen seines Vaters, wenn anders welches da ist, indem sie sich verheirathet haben soll und zwar an einen gewissen Past. Oldekop: ich kann nicht begreifen, ob dieser Past. Oldekop ein weitläuftiger Verwandte von unserm liebenswürdigen Freunde sein sollte. Übrigens führt dieser Mensch sich ganz ordentlich. Jetzt muß ich abbrechen, wenn Sie anders diesen Brief noch erhalten sollen. Es heißt, das Regiment soll auf den Winter nach Straßburg. Wenn ich nach Liefland komme, weiß Gott, indessen sorgen Sie nie für mich, überlassen Sie dieses ihm. In dessen Vorsorge ich auch Sie empfehle. Tausend Grüße an alle gute Freunde, tausend Küsse an alle meine Geschwister. Meine beste Mama! o könnte mein Gebeth Sie gesund machen. Ich küsse Ihr und Ihnen aufs zärtlichste die Hände als Dero gehorsamster Sohn J. M. R. Lenz. Landau, den 7. September. So wenig Zeit mir auch übrig ist, so muß ich Ihnen doch sagen, daß ich Sie in Landau noch eben so hoch schätze, ebenso liebe, als in Fort-Louis. Unser Marsch war angenehm genug: vor Tage zu Pferde, und vom Mittag, bis in die Nacht gerastet. Ich möchte so durch die Welt reisen. Weißenburg hat mir gefallen, die dortige Schweizergarnison glich den Priestern der Cybele, so erfreute sie die Ankunft eines deutschen Regiments. Landau kann in der That das Schlüsselloch von Frankreich heißen, da es nur zween Thore hat, eins nach vorne, das andere nach hinten. Unsern Ausgang segne Gott, unsern Eingang – – Ich wohne bei einem Herrn Schuch, der ein naher Verwandter vom Herrn Türkheim seyn will. Seine Frau und er spielen mir alle Abende Komödie, wobei mein Herz mehr lacht, als bei allen Farcen des Herrn Montval und Ribou. Er ist ein gutwilliger Schwätzer, gegen seine Frau, ein rechter Adventsesel und auch gegen die Füllen bei ihr. Sie trägt Hosen und Zepter, eine Teintüre von Andacht und koketter Prüderie – in der That, meinen kleinen Plautus hinterdrein gelesen und ich brauche kein Theater. Melden Sie mir doch, was das Ihrige in Straßburg macht und ob dort kein deutsches zu erwarten sei. Beim Herrn Senior, der fast die alleinige Materie des Gesprächs meiner Wirthsleute ist (ausgenommen den gestrigen vortrefflichen Abend, wo wir lauter Haupt- und Staatsaktionen ausmachten) bin ich noch nicht gewesen. Der Bürgermeister Schademann soll schon seit geraumer Zeit todt seyn. Vielleicht erlange ich die Bekanntschaft seines Sohnes, der sehr reich sein soll. Ein Rektor bei der hiesigen Schule, der im Kloster einen Sohn hat, der schon Magister ist (wo mir recht ist, hab ich ihn dort gesehen) soll eine gute Bibliothek haben: da muß ich suchen unterzukommen. Seyen Sie doch so gütig und schreiben mir in Ihrem nächsten Briefe den Namen des Churfürsten von der Pfalz; wie auch den Charakter und die Adresse des Herrn Lamey, ein Name, den ich in Straßburg oft gehört. Sie lachen – wozu das? Nun, nun, es hat nichts zu bedeuten, ein guter Freund hat mich um beide in einem Briefe ersucht. Einen Nachmittagsprediger habe ich hier gehört, der keine Pfeife Toback werth vorgebracht. Ich ging nach Hause und las Spalding, vom Werth der Gefühle im Christentum. Welch ein Kontrast! Dieses Buch müssen Sie auch lesen, mein Sokrates! es macht wenigstens Vergnügen zu finden, daß Andere mit uns nach demselben Punkt visiren. Ich freue mich, daß man in einem Tage von hier nach Straßburg kommen kann, wer weiß wenn ich Sie überrasche. Fahren Sie fort mit Ihrer Gewohnheit für mich. – Lenz. Landau, den 18ten. Guter Sokrates! „Ohne mich nicht ganz glücklich“ – Fürchten Sie sich der Sünde nicht, einen jungen Menschen stolz zu machen, dessen Herz noch allen Passionen offen steht und durch Zeit und Erfahrung nur noch sehr wenig verbollwerkt ist? Da ich so tief in Ihr System geguckt, da ich weiß, daß Ihre Religion die Glückseligkeit ist – so konnte mir kein größeres Compliment gemacht werden, als, daß ich im Stande sey, mit etwas dazu beyzutragen, wenn’s auch nur so viel ist, als ein Mäuschen zum Rhein. – Spaß bei Seite, die Glückseligkeit ist ein sonderbares Ding, ich glaube immer noch, daß wir schon hier in der Welt so glücklich seyen, als wir es nach der Einrichtung unseres Geistes und Körpers werden können. Die Tugend ist das einzige Mittel diese Glückseligkeit in ihrer höchsten Höhe zu erhalten und die Religion versichert uns, sie werde auch nach dem Tode währen und dient also dieser Tugend mehr zur Aufmunterung, als zur Richtschnur. Da kommt nun aber die verzweifelte Krankheit, von der Sie schreiben und wirft mir mein ganzes Kartenhaus über den Haufen. Allein sie muß doch auch wozu heilsam seyn, vielleicht, wie Sie sagen, ist sie das Fegfeuer unserer Tugend, wenigstens macht sie uns die Gesundheit desto angenehmer und trägt, durch den Contrast, also zu dem Ganzen unserer Glückseligkeit auch mit das Ihre bei. Wiewohl, ich habe gut philosophiren, da ich sie, dem Himmel sey Dank, schon seit so langer Zeit, bloß vom Hörensagen kenne. Ich bin jetzt auch von lauter Kranken eingeschlossen und denke dabei beständig an Sie. Wiewohl ich aus dem Schluß Ihres letzten Briefes zu meiner Beruhigung schließe, daß Sie jetzt wieder völlig hergestellt seyen. Sie werden von Herrn Ott hören, wie ich mich amusire. Wenig genug und doch sehr viel. Wenn man Käse und Brod hat, schmeckt uns die Mahlzeit eben so gut, als wenn das Regiment de Picardie traktirt, vorausgesetzt, daß wir in einem Fall, wie im andern, recht derben Hunger haben. Um also glücklich zu seyn, sehe ich wohl, werde ich künftig nur immer an meinem Magen arbeiten, nicht an der Mahlzeit, die ich ihm vorsetze. Die Umstände, in denen wir uns befinden, müssen sich schon nach uns richten, wenn wir selbst nur fähig sind, glücklich zu seyn. – Bin ich doch ganz Philosoph geworden, werden Sie nur über mein Geschwätz nicht von Neuem krank! Den Herrn Senior habe ich nur in seiner Kirche besucht und noch nicht recht das Herz, ihn näher kennen zu lernen. Den Rektor der hiesigen Schule hab ich in seinem Hause besucht und möchte wohl schwerlich wieder hingehen. Ich fragt’ ihn nach den hiesigen Gelehrten: er lachte. Das war vortrefflich geantwortet, nur hätte der gute Mann die betrübte Ahndung, die dieses Lachen bei mir erregte, nicht bestätigen sollen. Er beklagt sich über den Schulstaub und die häuslichen Sorgen – da, da, mein theuerster Freund, fühlte ich eine Beklemmung über die Brust, wie sie Daniel nicht stärker hat fühlen können, als er in den Löwengraben hinabsank. In seiner Jugend, sagt’ er, hätte er noch fait vom Studieren gemacht, jetzt – o mein Freund, ich kann Ihnen das Gemälde nicht auszeichnen, es empört meine zartesten Empfindungen. Den heiligen Laurentins auf dem Rost hätt’ ich nicht mit dem Mitleiden angesehen, als diesen– Märtyrer des Schulstandes, eines Standes, der an einem Ort wie Landau, mir in der That ein Fegfeuer scheint, aus dem man alle guten Seelen wegbeten sollte. Er hatte seine Bibliothek nicht aufgestellt, es waren bestäubte, verweste Bände, die er vermuthlich nur in seiner Jugend gebraucht – ausgenommen die allgemeine Welthistorie figurirte, in Franzband eingebunden, besonders. – Vielleicht daß ich da mich einmal bei ihm zu Gast bitte. Er scheint übrigens der beste Mann von der Welt – o Gott, eh’ so viel Gras über meine Seele wachsen soll, so wollt’ ich lieber, daß nie eine Pflugschaar drüber gefahren wäre. Jetzt bin ich ganz traurig, ganz niedergeschlagen, blos durch die Erinnerung an diesen Besuch. Nein, ich darf nicht wieder hingehen. Wie glücklich sind Sie, mein Sokrates, wenigstens glänzt eine angenehme Morgenröthe des Geschmacks in Straßburg um Sie herum, da ich hier in der ödesten Mitternacht tappend einen Fußsteig suchen muß. Keine Bücher! ha Natur, wenn du mir auch dein großes Buch vor der Nase zuschlägst (in der That regnet es hier seit einigen Tagen anhaltend), was werd’ ich anfangen? Dann noch über die Glückseligkeit philosophiren, wenn ich von ihr nichts als das Nachsehen habe? Doch vielleicht kriegt mich ein guter Engel beim Schopf und führt mich nach Straßburg. – – Meine Lektüre schränkt sich jetzt auf drey Bücher ein: Eine große Nürnbergerbibel mit der Auslegung, die ich überschlage, ein dicker Plautus, mit Anmerkungen, die mir die Galle etwas aus dem Magen führen und mein getreuster Homer. Ich habe schon wieder ein Stück aus dem Plautus übersetzt und werd’ es ehestens nach Straßburg schicken. Es ist nach meinem Urtheil das beste, das er gemacht hat (doch ich kenne noch nicht alle). Noch an eins möcht ich mich machen: es ist eine Art von Dank, den ich dem Alten sage, für das herzliche Vergnügen, das er mir macht. Ist es nicht reizend, nach so vielen Jahrhunderten, noch ein Wohlthäter des menschlichen Geschlechts zu sein? Heut’ möcht’ ich Ihnen einen Bogen voll schreiben, aber ich besinne mich, daß das, was mir ein Präservativ für eine Krankheit ist, Ihnen leicht ein Recidiv geben kann. Ich bin ganz der Ihrige Lenz. Arensburg in der Insel Oesel d. 24. Septbr: a. St. 1772 Mein zärtlich geliebter Bruder, Um die Freude auszudrücken, die Dein Brief mir verursachet, müßte ich mehr Muße und einen größern Raum haben. Der Anblick einer Hand, die ich zwey lange Jahre zu sehn entwöhnt bin, war das für mich, was Robinson auf einer wüsten Insel der erste Anblick einer Menschen-Gestalt nur immer seyn konnte. – Ich weiß jetzt daß Du lebst, daß Du wo nicht glücklich doch auch nicht ganz unglücklich bist, und dieß ist alles. – Aber die Schicksale, die Du verschweigst, mir verschweigst, in dessen Busen Deine Geheimnisse, wenn Du welche hast, so gut verwahrt wären, wie in der Deinigen, gewiß diese machen mich unruhig. Gott weiß, daß ich Dein Glück wünsche, und so sehr wünsche, als es vielleicht keiner außer mir thut. Könnte ich zu Deiner Zufriedenheit was beytragen, wie sehr würde meine eigne vergrößert werden. Sey offenhertzig gegen mich, wenn Du von meiner Zärtlichkeit überzeugt bist; Und der Himmel verzeyhe es Dir, wenn Du es nicht bist. Sollte vielleicht Deine Rückreise durch kleine Verwickelungen aufgehalten werden, so entdecke Dich mir, vielleicht kann ich Mittel erfinden, Dir zu helfen? Denn was würde ich nicht dran wenden, Dich noch einmahl zu sehen, einmahl alle meine bisherigen Schicksale in Deinen Busen auszuschütten, und aus Deinem Munde die Deinigen zu hören, die mich wo nicht mehr doch eben so sehr intereßiren wie meine eignen. – Unser guter alter Vater, ich weiß, daß er Dich sehr liebt, es würde ihn tief beugen, wenn Du Hülfe nöthig hättest, und er Dir nicht helfen könnte. Verschone ihn also, wenn Du in Verlegenheit bist, eben so wie unsere Geschwister, die selbst in Schulden, eben so wie er begraben sind. Wende Dich an mich, mich wird die Last nicht niederdrücken, die ich für meinen Bruder trage, den meine ganze Seele liebt. Ich bin auch jünger wie sie, und habe keine Frau und Kinder, die mir Vorwürfe machen können. – Was für ein Verdienst, Dich unserm Vaterlande, unsern frommen Eltern, unsem frohen Geschwistern und Freunden wiederzugeben, wie weit überwiegt es alle Ungemächlichkeiten! – Und dieß erwarte ich von Deiner Liebe, wenn es wahr ist, daß Du mich liebst. – Laß mich immer bey meiner Einbildung daß unter den vielen Ursachen, die Dich bewegen müssen, zurückzukommen, ich auch eine kleine seyn könnte. Ich zweifle nicht, daß Du ebenso ungeduldig bist, meine Geschichte zu hören, wie ich die Deinige. Ich mache Dir keinen Vorwurf. Aber – genung es ist traurig für mich, so wenig von Dir zu wißen. Du weißt, daß ich in meiner vorigen Condition einen Antrag zum Fiscalat in Dörpt bekam, den ich aus vielen kleinen Ursachen ausschlug, die die Vorsehung vielleicht mir zu meinem Glück in den Weg legte. Einige Wochen drauf kam ich in Vorschlag zum Stadts-Secretariat in Arensburg. Wunderbar hat unser große u. gute Vater mich bisher geführt. Alle Hindernisse mußten gehoben werden, und seit dem Anfange des vorigen Monats bin ich würklich ein 20jähriger Secretaire. Einige Ausarbeitungen, die ich loco eines examinis machen muste, geriethen gut, weil ich mühsam in der Condition das nachgeholt hatte, was ich auf der Akademie versäumt. Turzelmann, Ratsherr, u. ein Mutterbruder von unsrer Tarwastschen Schwiegerin ist das Werkzeug meiner Beförderung, bey dem ich wohne und speise, und der mich in allem, was mir noch am Schlendrijan fehlt, unterstützt und leitet. Meine Bedienung trägt 300 Rbl. auch wohl beyguten Jahren gegen 400 Rbl. ein, ernährt also, wenn eine gute Advokatur dazu kömmt, ihren Mann. Aber gegen 500 Rbl. die ich schuldig bin, und die ich ehrlich bezahlen will, und die schlechten, armseligen Zeiten werden mich lange noch nicht in den Stand setzen, meine eigene Hütte, zu verstehen mit einer zärtlichen Freundinn, die die Mühseeligkeilen dieses Lebens mit tragen hilft, zu bewohnen. Es sey drum. So groß mein Begriff von einer solchen Glückseeligkeit ist, so ist doch die Erfüllung unsrer Pflichten, und das nicht Bewustseyn einer bösen Handlung eine nicht viel kleinere. – Der Character dieser Nation, die Beschaffenheit der Stadt und des Landes, und die kleineren Umstände meiner Geschichte, verspare ich bis zu unserer – Gott gebe baldigen Umarmung. Ich wiederhole noch einmahl, was ich wegen der Hinderniße die Dich abhalten könnten, so bald als möglich in unsre Arme zurückzufliegen, gesagt habe. Eile mein Bruder. Du bist Dich Deinem Vaterlande schuldig – mir – u. o wie vielen anderen. Der Himmel wird Dir hier schon Brodt geben, und vielleicht, gleich sobald Du ankömmst. Ich erwarte bald Nachricht von Dir. Wenn sie aber so wäre, daß sie unsern Vater kränken könnte, so adreßire den Brief nicht an ihn, weil er ihn aufbrechen würde, sondern schicke ihn durch den jungen Sievers in Strasburg, wenn Du sicher bist, daß er ihn gut bestellt. Ich unterhalte mit einigen aus dem Hause eine Correspondence, und bekomme ihn also gewiß, wenn er nur von dort abgeht. Sein Vater ist Land-Rath u. auf Euseküll. Wenn Du ihn nicht kennst, so mache eine Gelegenheit zur Bekanntschaft. Ich habe viel Gutes von ihm gehört. – Die Condition, von der ich Dir schrieb, u. die ich gehabt habe, ist nun besetzt. – Meine Geschäfte, deren eine ungeheure Menge ist, laßen mir nicht Zeit, mehr zu schreiben. Ich wünsche, daß dieser Brief zu Dir komme. Doch aus Deinen Briefen sehe ich, daß meine Briefe immer angekommen sind. Aber die Deinigen – ein feindseliger Dämon läßt sie nicht zu mir. Dieß war der erste, wer weiß wie lange ich wieder werde schmachten müssen. Ein froher Tag wird es seyn, wann wieder ein Brief von Dich kömmt. Unser leichtsinniger Freund Begau hat alle Einlagen an Papa u. an mich, ich weiß nicht wo gelaßen. Er ist in Curland in Condition u. hat seinen Vater verloren. – Genung für dießmahl. Lebe wohl. Der Himmel erfülle die Wünsche, die die wärmste, feurigste Zärtlichkeit eines Bruders für Dich thut. Es ist um desto schmertzhafter, daß die besten Herzen nicht die glücklichsten sind, weil ihrer so wenige sind. Ich umarme Dich. Wie kalt ist diese Umarmung! O Gott! wenn wird sie würklich werden. Wie dunkel ist die Zukunft unsrer Schicksale! Eine Anlage die ich immer zur Melancholie gehabt, macht mich traurig, und beklemmt mich, wenn ich an eine so große Entfernung denke, u. an alle Möglichkeiten, alle die Fantomes die sich schaarenweise einer aufgebrachten Einbildung vordrängen. Wenn wird dieser frohe Tag kommen? – Oder wird er j emals kommen? – Wozu der Vorwitz? Die Wege der Vorsehung führen uns am besten. Und noch ein Lebewohl, ein Abschieds-Kuß, eine wollüstige kleine Thräne mit der Versicherung meiner innigsten Zärtlichkeit, u. daß die Deinige eine der größten Glückseeligkeiten meines Lebens ist. Johann Christian Lenz. Tausend Grüße an die Herrn v. Kleist. Ich wünsche sehr, u. mit dem aufrichtigsten Herzen, daß sie meine Freunde sind, u. sich meiner noch erinnern. – Sey glücklich! mein Bruder. – Von der Seite der Freunde bist Du es mehr als ich. Traurig genung, daß ich keinen eintzigen Busenfreund habe. Und was ist ein Leben ohne Freundschaft? Du hast es nie empfunden, ich liebe Dich auch zu sehr, um es zu wünschen. Laß mich bald in Dir meinen ersten und fast meinen eintzigen Freund wiederbekommen. Adresse A Monsieur Monsieur J. M. R. Lenz. Kandidat der Theologie, presentement a Fort Louis P. Cond. nicht identifizierte Hand Capitaine Lieutenant Salomon Bodmer in der Mühle zu Wölflingen im Canton Zürich. Herr Simon kommt zurück eh’ ich ihn haben will: ich kann Ihnen also das Versprochene nicht zuschicken. Es war mein Trauerspiel, welches ich jetzt eben für Sie abschreibe. Ich werde schon eine andre Gelegenheit finden es Ihnen zukommen zu lassen. Nicht einmal einen langen Brief erlaubt mir seine beschleunigte Abreise. Gut, daß ich dann und wann, bei Lesung des Leibnitz ein hingeworfenes Blatt für Sie beschrieben habe. Vergeben Sie mir, daß ich es nicht abschreibe und meine Gedanken in Ordnung bringe. Ihnen, als einem unverwöhnten Auge, darf ich sie auch im Schlafrock zeigen; wenn sie wahr sind, werden sie Ihnen auch alsdann besser gefallen, als falsche in einem Gallakleide. – Wie ich Ihnen gesagt habe, meine philosophischen Betrachtungen dürfen nicht über zwo, drei Minuten währen, sonst tut mir der Kopf weh. Aber wenn ich einen Gegenstand fünf-, zehnmal so flüchtig angesehen habe, und finde, daß er noch immer da bleibt und mir immer besser gefällt, so halt’ ich ihn für wahr und meine Empfindung führt mich darin richtiger als meine Schlüsse. Nro. 11. ist eine Apologie meines allerersten Briefes über die Erlösung. Nachdem ich aber Ihre Antwort wieder durchgelesen, finde ich, daß wir fast einerlei gedacht und dasselbe mit andern Worten ausgedrückt haben. Sie haben mich unrecht verstanden, wenn Sie glaubten, ich ließe Gott die übeln Folgen der Sünde auf den Mittler lenken, bloß um seine strafende Gerechtigkeit zu befriedigen. Leibnitz dieses; er sagt, es ist eine Convenienz, die ihn zwingt Gutes zu belohnen und Böses zu bestrafen. Ich denke aber, es geschieht bloß um unsertwillen, weil, auf das moralische Uebel kein physisches Uebel, als eine Strafe folgt; wir lieber Böses als Gutes tun würden, da das Böse leichter zu tun ist. Und warum Gott das Gute für unsere Natur schwerer gemacht hat, davon ist die Ursache klar, damit wir nicht müßig gehen; unsere Seele ist nicht zum Stillsitzen, sondern zum Gehen, Arbeiten, Handeln geschaffen. Doch seriosa in crastinum. – Ich werde hoffentlich noch mit Ihnen diesen Winter zusammenkommen; wiewohl das Regiment jetzt die letzte Ordre erhalten hat, hier zu bleiben. Wenn ich Sie Sehe – Jetzt fühle ich, daß die ideale Gegenwart eines Freundes die persönliche nicht ersetzen kann, so werde ich Ihnen viel zu sagen haben. Meine Seele hat sich hier zu einem Entschlusse ausgewickelt, dem alle Ihre Vorstellungen – dem die Vorstellungen der ganzen Welt vielleicht, keine andere Falte werden geben können. Wenn ich anders ihn einem Menschen auf der Welt mittheile, ehe er ausgeführt ist. – Mein guter Sokrates, entziehen Sie mir um dessentwillen Ihre Freundschaft nicht; bedenken Sie, daß die Welt ein Ganzes ist, in welches allerlei Individua passen; die der Schöpfer jedes mit verschiedenen Kräften und Neigungen ausgerüstet hat, die ihre Bestimmung in sich selbst erforschen und hernach dieselbe erfüllen müssen; sie seie welche sie wolle. Das Ganze giebt doch hernach die schönste Harmonie die zu denken ist und macht daß der Werkmeister mit gnädigen Augen darauf hinabsieht und gut findet was er geschaffen hat. Nicht wahr, ich rede mystisch, Ihnen fehlten die Prämissen, um meine Folgesätze zu verstehen. Sie werden sie verstehen, nur Geduld. – In der Erwartung will ich Ihnen nur mit der größten logischen Deutlichkeit sagen, daß ich von ganzem Herzen bin und bleibe Ihr drollichter Alcibiades. Sagen Sie doch dem Ott, daß er den Lenz nicht über dem Herbst vergesse. Würdiger Mann! Ich sehe in Ihrem Raritätenkasten – alles, was uns die Herrn Modephilosophen und Moralisten, mit einer marktschreierischen Wortkrämerei, in großen Folianten hererzählen, in zwei Worten zusammengeraßt und so glücklich zusammengefaßt, daß sich dazu weder zusetzen noch davon abnehmen läßt. Das ist vortrefflich – also das Ziel ist gesteckt, nun Ihre Hand her, mein Sokrates, wir wollen darauf zugehen, wie auf ein stilles und friedelächelndes Zoar und die hinterlassenen Vorurtheile immer in Feuer und Schwefel aufgehen lassen, ohne uns darnach umzusehen. Mögen furchtsame Weiber sich darnach umsehen und drüber zu Salzsäulen werden. Um noch eine Stelle Ihres ohnendletzten Briefes zu berühren, wo Sie mir zu bedenken aufgaben, ob Gott wohl uns das Gute könne schwerer machen, als das Böse, oder (um mit Ihren Worten mich auszudrücken) ob er wohl die vim inertiae in uns stärker könne gemacht haben, als die vim activam, so antworte ich, daß ich keine vim inertiae glaube. Bedenken Sie doch, mit welchem Fug, wir wohl für die Unthätigkeit eine Kraft annehmen können? Vereinigung einer Kraft ist sie, Vernachlässigung der vis activa, welche in Wirksamkeit und Thätigkeit zu setzen, allemal in unserm Belieben steht oder nicht. Es ist aber die Natur einer jeden Kraft, daß sie nur durch Übung erhalten und vermehrt, durch Vernachlässigung aber, so zu sagen eingeschläfert und verringert wird. Und daß die Übung dieser Kraft schwerer, als ihre Vernachlässigung sey, liegt in der Natur der Sache und konnte von Gott nicht verändert werden. Positio ist allemal schwerer als negatio, wirken schwerer als ruhen, thun schwerer als nicht thun. Was die Einwirkung Gottes in die Menschen betrifft, so kann ich mir nur vier Arten davon denken. Er unterstützt und erhält die in uns gelegten Kräfte und Fähigkeiten – diese ist natürlich, das heißt, unsere Vernunft kann sie auch ohne Offenbarung erkennen; und unmittelbar – hernach, er leitet die äußern Umstände und Begebenheiten in der Welt so, daß eine oder die andere Fähigkeit in uns entwickelt oder vergrößert werde, je nachdem es sein Rathschluß für gut befindet, diese ist gleichfalls natürlich aber mittelbar. Zum dritten wirkt er durch die in uns geoffenbarten Wahrheiten – diese ist also, ihrem ersten Ursprung nach, übernatürlich, aber zugleich mittelbar und den Gesetzen der Natur gemäß. Zum vierten wirkt er übernatürlich und unmittelbar, wie in den Propheten und Aposteln; diese Einwirkung ist über die Gesetze der Natur erhaben, läßt sich also nicht mehr erklären (wiewohl wir auch nicht das Recht haben, sie noch jetzt aus der gegenwärtigen Welt auszuschließen, im Fall die Gottheit gewisse außerordentliche Endzwecke dadurch befördern wollte, welchen Fall aber, meiner Meinung nach, unsere Vernunft nie determiniren kann, sondern vielmehr jedes Phänomen für verdächtig halten muß, welches nicht die dazu erforderlichen Kennzeichen bei sich hat). Jetzt möge meine philosophische Muse ruhen, sich still zu Ihren Füßen setzen und von Ihnen lernen. Spekulation ist Spekulation, bläset auf und bleibt leer, schmeichelt und macht doch nicht glücklich. Zusammen mögen sich die Fittige des Geistes halten, und im Thal ruhen, ehe sie, wenn sie der Sonne zu nahe kommen, in zerlassenem Wachs heruntertröpfeln und den armen Geist, welcher auf dem Lande so sicher und lustig hätte einher gehe'n können, aus der Luft in das Meer herab wirft. – – Hier ist mein Trauerspiel mit dem Wunsch: möchte dieser Raritätenkasten des Ihrigen werth seyn. Das beste ist, daß wir beim Tausch nicht verlieren, denn unter sympathisirenden Seelen ist communio bonorum. Es ist wahr, meine Seele hat bei aller anscheinenden Lustigkeit, jetzt mehr als jemals, eine tragische Stimmung. Die Lage meiner äußern Umstände trägt wohl das Meiste dazu bei, aber – sie soll sie, sie mag sie nun höher oder tiefer stimmen, doch nie verstimmen. Eine sanfte Melancholei verträgt sich sehr wohl mit unserer Glückseligkeit und ich hoffe – nein ich bin gewiß, daß sie sich noch einst in reine und dauerhafte Freude auflösen wird, wie ein dunkler Sommermorgen, in einen wolkenlosen Mittag. Auch fehlen mir jetzt öftere Sonnenblicke nicht, nur kann freilich ein Herz, dem die süßen Ergötzungen der Freundschaft und – der Liebe – sogar einer vernünftigen Gesellschaft genommen sind, bisweilen einen Seufzer nicht unterdrücken. An den Brüsten der Natur hange ich jetzt mit verdoppelter Inbrunst, sie mag ihre Stirne mit Sonnenstrahlen oder kalten Nebeln umbinden, ihr mütterliches Antlitz lächelt mir immer und oft wird’ ich versucht, mit dem alten Junius Brutus, mich auf den Boden niederzuwerfen und ihr mit einem stummen Kuß für ihre Freundlichkeit zu danken. In der That, ich finde in der Flur, um Landau, täglich neue Schönheiten und der kälteste Nordwind kann mich nicht von ihr zurückschrecken. Hätt’ ich doch eines göttlichen Malers Pinsel, ich wollte Ihnen gleich einige Seiten von diesem vortrefflichen Amphitheater der Natur hinmalen, so lebhaft hat’s sich in meiner Fantasei abgedrückt. Berge, die den Himmel tragen, Thäler voll Dörfnern zu ihren Füßen, die dort zu schlafen scheinen, wie Jakob am Fuß seiner Himmelsleiter. – Doch ich würde nur schwärmen, wenn ich fortführe und dafür muß ich meinen Geist in Acht nehmen. Ich hatte vor einigen Tagen einen Brief an Sie fertig, aber ich verbrannte ihn, denn ich hatte darin geschwärmt. Ich habe schon viel Papier hier verbrannt – ein guter Genius hat über dies Trauerspiel gewacht, sonst – und vielleicht hätten Sie nichts dabei verloren. So viel muß ich Ihnen sagen, daß ich es bei diesem ersten Versuch nicht werde bewenden lassen, denn ich fühle mich dazu – Ich muß abbrechen und Ihnen gute Nacht sagen. Möchten Sie doch aus Ihren Träumen lachend erwachen, wie ich heute Morgen aus den meinigen. Lenz.