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@@ -719,15 +719,15 @@ Und doch muß ich meinen Entschluß vor Ihnen verbergen.
<letterText letter="40"><page index="1" />
<align pos="center">Straßb. d. 7 Novbr. 1774.</align>
<line type="empty"/>
<line tab="1"/>Konnt ich mein edler Bruder! einen bessern Gebrauch von Deinem Briefe (den ich erst im August erhielt) machen, als daß ich ihn einem zweyten Du, durch die Bande der Freundschaft näher mit mir verbunden als durch die Bande des Bluts, meinem Bruder Goethe<fn index="5"><anchor>#</anchor></fn> in Frankfurt zuschickte und Dein Glück mit ihm theilte. Wie ich denn nichts geheimes für den haben kann. Dafür ward aber auch Deine Verbindung von zwey gleich warm theilnehmenden Seelen hier doppelt gefeyert. Was soll ich Dir viel drüber sagen? Glückwünsche zeigen von einer armen Seele, deren Leerheit der Witz und strafbare Gefälligkeit zu bepappen sucht, aber das wahre Gefühl bindet die Zunge, kehrt die Augen gen Himmel und läßt Tränen reden. Verstehst Du diese Sprache mein Brüderchen! Einziger aus meiner Familie der mich versteht. Der Himmel belohnt Dich dafür. Er gab Dir ein Weib und ich beneide Dich nicht. Ich segne ihn, daß er Dich vorzüglichen Glücks würdigt da Du es vorzüglich verdienst. Kein wildes Zielen nach einem ungewissen Zweck, edles starkes Bestreben einen kleinen glücklichen Zirkel um dich her zu machen und von ihm wiederbeglückt zu werden. Dein vorjähriger Brief mit diesem zusammengehalten welch ein Gemählde von Deinem Herzen stellt es mir auf! Dein letzter Wunsch, <ul>„eine eigene Hütte mit einer Freundin die die Mühseeligkeiten dieses Lebens“</ul> p. er ist erfüllt, Du bist
<page index="2"/>belohnt, edler Freund! kleiner großer Mann in Deiner Genügsamkeit. Du wirst nach Deinem Herzen gewählt haben, also glücklich täglich neue Vorzüge werdt Ihr aneinander entdecken, täglich neuer Beruf zu lieben und geliebt zu werden. Und so unsterblich, noch übers Grab hinaus o ich muß mich wegwenden von Eurem Glück, wem zu essen versagt ist steht mit Verzweiflung vor dem Gemähld eines Banquets.
<line tab="1"/>Konnt ich mein edler Bruder! einen bessern Gebrauch von Deinem Briefe (den ich erst im August erhielt) machen, als daß ich ihn einem zweyten Du, durch die Bande der Freundschaft näher mit mir verbunden als durch die Bande des Bluts, meinem Bruder Goethe<fn index="5"><anchor>#</anchor></fn> in Frankfurt zuschickte und Dein Glück mit ihm theilte. Wie ich denn nichts geheimes für den haben kann. Dafür ward aber auch Deine Verbindung von zwey gleich warm theilnehmenden Seelen hier doppelt gefeyert. Was soll ich Dir viel drüber sagen? Glückwünsche zeigen von einer armen Seele, deren Leerheit der Witz und strafbare Gefälligkeit zu bepappen sucht, aber das wahre Gefühl bindet die Zunge, kehrt die Augen gen Himmel und läßt Tränen reden. Verstehst Du diese Sprache mein Brüderchen! Einziger aus meiner Familie, der mich versteht. Der Himmel belohnt Dich dafür. Er gab Dir ein Weib und ich beneide Dich nicht. Ich seegne ihn, daß er Dich vorzüglichen Glücks würdigt da Du es vorzüglich verdienst. Kein wildes Zielen nach einem ungewissen Zweck, edles starkes Bestreben einen kleinen glücklichen Zirkel um Dich her zu machen und von ihm wiederbeglückt zu werden. Dein vorjähriger Brief mit diesem zusammengehalten welch ein Gemählde von Deinem Herzen stellt es mir auf! Dein letzter Wunsch, <ul>„eine eigene Hütte mit einer Freundin die die Mühseeligkeiten dieses Lebens“</ul> p. er ist erfüllt, Du bist
<page index="2"/>belohnt, edler Freund! kleiner grosser Mann in Deiner Genügsamkeit. Du wirst nach Deinem Herzen gewählt haben, also glücklich täglich neue Vorzüge werdt ihr aneinander entdecken, täglich neuer Beruf zu lieben und geliebt zu werden. Und so unsterblich, noch übers Grab hinaus o ich muß mich wegwenden von Eurem Glück, wem zu essen versagt ist steht mit Verzweiflung vor dem Gemähld eines Banquets.
<line type="break" />
<sidenote pos="left" page="1" annotation=" am linken Rand der ersten Seite, vertikal"> <fn index="5"><anchor>#</anchor></fn> Verfasser des Goetz v. Berlichingen, Clavigo, Leiden des jungen Werthers und einiger Kleinigkeiten.
<line type="break" /></sidenote>
<line tab="1"/>Du willst mein Schicksal wissen. Liebe Seele! was ist Dirs gedient damit. Daß ich Dich liebe weist du, darum hätt ich immer noch länger schweigen können.
<line tab="1"/>Ich bin jetzt frey, athme das erstemal dreist aus. Der älteste Kleist ist nach Kurland gereist, um wiederzukommen, woran ich doch schon itzt zu zweifeln anfange. Sein jüngster Bruder aus Frankfurt Oder kam grad an als der andre abgieng und ich mußte ein viertel Jahr bey ihm bleiben. Jetzt bewohn ich ein klein Zimmer allein, speise täglich an einem Tisch wo einige meiner Freunde mitessen (die einzigen die in Straßb. Liebhaber der ächten Wissenschaften zu sein sich nicht schämen) und unterhalte mich ein wenig mühseelig von Lektionen die ich meinen Landsleuten in der deutschen Sprache und in der Geschichte ihres Vaterlands
<page index="3"/>ich meine Pohlen Curland Rußland gebe, da hier sehr theuer zu leben ist.
<line tab="1"/>Mein Herz geht nicht müßig. Ich hab einige vorzügliche Freunde und Freundinnen und denk auch oft an Euch. Wiewohl mir Papa und der Tarwaster das zum Verbrechen machen wollen.
<line tab="1"/>Du willst mein Schicksal wissen. Liebe Seele! was ist Dirs gedient damit. Daß ich Dich liebe weist du, darum hätt ich immer noch länger schweigen können
<line tab="1"/>Ich bin itzt frey, athme das erstemal dreist aus. Der älteste Kleist ist nach Kurland gereist, um wiederzukommen, woran ich doch schon itzt zu zweiffeln anfange. Sein jüngster Bruder aus Frankfurt Oder kam grad an als der andre abgieng und ich mußte ein viertel Jahr bey ihm bleiben. Jetzt bewohn ich ein klein Zimmer allein, speise täglich an einem Tisch wo einige meiner Freunde mitessen (die einzigen die in Straßbg. Liebhaber der ächten Wissenschaften zu seyn sich nicht schämen) und unterhalte mich ein wenig mühseelig von Lektionen die ich meinen Landsleuten in der deutschen Sprache und in der Geschichte ihres Vaterlands
<page index="3"/>ich meyne Pohlen Curland Rußland gebe, da hier sehr theuer zu leben ist.
<line tab="1"/>Mein Herz geht nicht müssig. Ich hab einige vorzügliche Freunde und Freundinnen und denk auch oft an Euch. Wiewohl mir Papa und der Tarwaster das zum Verbrechen machen wollen.
<line tab="1"/>Grüße Papa! Sag ihm nur daß es mir ein wenig fremd vorkam, da ich nichts von ihm foderte nichts von ihm erwartete, als Erwiederung meiner warhaftig zärtlichen Gesinnungen für ihn und meine Blutsfreunde, mich dafür von ihm und Fritzen mit Ruten abpeitschen zu sehen.
<line tab="1"/>Ich will Dir hier ein klein Verzeichniß meiner Schriften anhenken, damit Du sie Dir anschaffest und mich und meinen Lebenslauf daraus beurtheilest. Auf Kosten der Sozietät wurden gedruckt: Lustspiele <del>des</del> <insertion pos="top">nach dem</insertion> Plautus. Auf Kosten der Weygandschen Buchhandlung: Der Hofmeister, oder Vortheile der Privaterziehung, eine Komödie. Darnach, der neue Menoza oder Geschichte des Cumbanischen Prinzen Tandi, eine Komödie. Darnach Anmerkungen über Theater, nebst angehängtem Shakespearischem Stück. Diese drey könntest Du Dir zusammen binden lassen. Ostern kommt mein letztes Stück heraus: der Poet, Weg zum Ehemann, das meinem Herzen am nächsten ist .
<line tab="1"/>Auch werden herauskommen Meynungen eines Layen zum