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Einpflegung von Brief 16 in "briefe.xml".
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ganzem Herzen
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ganzem Herzen
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Ihr
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Ihr
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Sie ewig liebender <aq>Alcibiades</aq>
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Sie ewig liebender <aq>Alcibiades</aq>
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J. M. R. L.
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J. M. R. L.</letterText>
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<letterText letter="16">Mein theuerster Freund! <line type="empty"/>
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<line tab="1"/>Auf einem Fuß, wie ein reisefertiger Kranich, steh’ ich jetzt und schmiere Ihnen mit dem anderen
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mein Adieu auf’s Papier. Ich glaube zum wenigsten, daß dies mein letzter Brief von Fort-Louis seyn
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wird. Ich gehe jetzt nach Sesenheim hinaus, um den letzten Tag recht vergnügt dort zuzubringen.
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Recht vergnügt – Nicht wahr, Sie lächeln über meine stolze platonische Sprache, mittlerweile mein
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Herz mit dem Ritter Amadis (oder was weiß ich, wie der Liebhaber der Banise hieß) von nichts als
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Flammen, Dolchen, Pfeilen und Wunden deklamirt. Was soll ich sagen? Ich schäme mich meiner
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Empfindungen nicht, wenn sie gleich nicht allezeit mit festem Schritt hinter der Vernunft hergehen. O!
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und Salzmann bedauert mich – sehen Sie die Schürze von Feigenblättern, die meine gefällige Vernunft
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mir allezeit vor die Blöße meines Herzens bindet. Ich habe in Sesenheim gepredigt, sollten Sie das
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glauben? Den Sonnabend nachmittags karessirt; nach Fort-Louis gegangen; das Thor zu gefunden;
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zurückgegangen; den Pfarrer am Nachtessen unruhig gefunden, daß er so viel zu thun habe; mich
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angeboten; bis vier Uhr in der Laube gesessen; mich von meinen Fatiguen erholt; eingeschlafen; den
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Morgen eine Bibel und eine Concordanz zur Hand genommen und um 9 Uhr vor einer zahlreichen
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Gemeine, vor vier artigen Mädchen, einem Baron und einem Pfarrer gepredigt. Seh’n Sie, daß der
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Liebesgott auch Candidaten der Theologie macht, daß er bald in Alexanders Harnisch wie eine Maus
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kriecht, bald in die Soutane eines Pfarrers von Wackefield, wie ein der Liebesgelahrtheit Beflissener.
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Mein Text war das Gleichniß vom Pharisäer und Zöllner und mein Thema die schädlichen Folgen des
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Hochmuths. Die ganze Predigt war ein Impromptu, das gut genug ausfiel. – Himmel die Uhr schlägt
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sechs und ich sollte schon vor einer Stunde in S. seyn. Diesmal sollen Sie mich dort entschuldigen.
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Ihren <aq>Heineccius</aq> nehme ich mit. Ohne Erlaubniß – ach, mein Freund, <aq>dura necessitas</aq> läßt mich nicht
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erst lange fragen, ich greife zu – aber ich gebe auch wieder. Allein was werden Sie sagen, wenn ich
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Ihnen Ihren <aq>Tom Jones</aq> noch nicht zurückschicke? Ich bin schuld daran, daß ihn mein faules Mädchen
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noch etwas länger behält, er soll sie für meinen Verlust entschädigen, denn wenn man gute
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Gesellschaft hat, sagte sie, so kann man nicht viel lesen. Ich habe so brav auf Ihre Güte gethan, daß
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ich ihr mein Wort drauf gegeben, Sie würden es verzeihen, wenn sie Ihnen denselben erst durch
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Mamsell Schell zuschickte; ja Sie würden sogar so gütig seyn und ihr noch die zween letzten Teile
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alsdann dazu leihen, wenn sie die ersten wieder gegeben. Das heißt gewagt, mein bester Sokrates,
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aber Jugend ist allezeit ein Waghals, und bricht doch nur selten den Hals; ich denke, Sie werden
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meine tollkühne Freundschaft noch nicht fallen lassen: wenn sie älter wird, soll sie weiser und
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vorsichtiger werden. Für Ihre Adressen in Landau danke ich Ihnen unendlich, wer weiß, wozu sie gut
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sind. Ich hoffe eher nach Straßburg zu kommen, als nach Mannheim. Ich kann nicht mehr, theuerster,
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bester, würdigster Freund! ich bin schon ein Jahr über meine bestimmte Stunde ausgeblieben. Leben
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Sie recht sehr glücklich; mein Großfürst heirathet eine darmstädtische Prinzessin; leben Sie allezeit
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gleich heiter und vergnügt; ich möchte gerne den Namen des Russischen <aq>Envoyé</aq> an diesem Hofe
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wissen; erinnern Sie sich meiner zuweilen; der Friede soll auch schon geschlossen seyn; grüßen Sie
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die Lauth’sche Gesellschaft und die Mademoiselles tausendmal; doch was berichte ich Ihnen
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Neuigkeiten, die bei Ihnen schon in der Hitze werden sauer geworden seyn – und bleiben Sie
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gewogen
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Ihrem verschwindenden <aq>Alcibiades</aq>
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J.M.R.L.
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