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@@ -1276,21 +1276,22 @@ Und doch muß ich meinen Entschluß vor Ihnen verbergen. –
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<line tab="1"/>Hast Du Masuren gelesen, Lavater! die elendeste Satyre die je auf Goethen, Dich, Klopstock und andere ist geschmiedet worden? Hast Du die Zeitungen gelesen in denen Herder auf die niederträchtigste Art gemißhandelt wird? Fühlst Du ganz welch eine Wirkung der über Frömmigkeit hohnlachende Verfasser des Notbankers aufs Publikum haben muß. Ernst ist kein Waffen dagegen, je ernsthafter man sich gebehrdet, desto lauter lachen sie. Es muß wieder gelacht werden, und lauter als sie – oder Ihr müßt beschämt vom Schauplatz wo euch niemand hören mag. Euch niemand hören – und wen denn? – Wehe über mein Vaterland, wenn die Wolken nicht gedruckt werden. Laß Dich durch nichts irre machen Frommer! was drin vorkommt; kühne Striche sind nothwendig oder das ganze Bild wird ein Schild am Wirthshause. Und sind wir nicht frey? Und soll Gewissenhaftigkeit uns binden, gerecht zu seyn? Gewissenhaftigkeit uns zu Sklaven machen? Daß doch das nicht der Fall bey den meisten Christen wäre.
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<line tab="1"/>Hast Du Masuren gelesen, Lavater! die elendeste Satyre die je auf Goethen, Dich, Klopstock und andere ist geschmiedet worden? Hast Du die Zeitungen gelesen in denen Herder auf die niederträchtigste Art gemißhandelt wird? Fühlst Du ganz welch eine Wirkung der über Frömmigkeit hohnlachende Verfasser des Nothankers aufs Publikum haben muß. Ernst ist kein Waffen dagegen, je ernsthafter man sich gebehrdet, desto lauter lachen sie. Es muß wieder gelacht werden, und lauter als sie – oder ihr müßt beschämt vom Schauplatz wo euch niemand hören mag. Euch niemand hören – und wen denn? – Wehe über mein Vaterland, wenn die Wolken nicht gedruckt werden. Laß Dich durch nichts irre machen Frommer! was drin vorkommt; kühne Striche sind nothwendig oder das ganze Bild wird ein Schild am Wirthshause. Und sind wir nicht frey? Und soll Gewissenhaftigkeit uns binden, gerecht zu seyn? Gewissenhaftigkeit uns zu Sklaven machen? Daß doch das nicht der Fall bey den meisten Christen wäre.
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<line tab="1"/>Es bleibt also und wird ewig meine grosse Bitte an Dich bleiben, die Wolken drucken zu lassen. Alle Folgen nehme ich auf mich. Und aufs geschwindeste und ohne Entgeld, mag sich Steiner Vortheile davon machen, wie er
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<page index="2"/>am besten kann. Wenn es nur balde in Deutschland herumkommt. Noch diese Messe und nothwendig diese Messe, schick mir ein Giftpulver lieber als daß Du mir diese Bitte abschlägst. Werd’ ich gewürdigt für dies Stück zu leiden, wer ist glücklicher als ich?
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<line tab="1"/>Und gerad itzt muß es ins Publikum, oder alle Gemählde verlieren ihre Anzüglichkeit Stärke und Wahrheit. Du darfst Dich nicht damit bemengen. Verbiete dem Buchhändler zu sagen, daß Dus ihm gegeben hast, nenn’ ihm meinen Namen, weiß ihm diesen Brief. Bitte Passavant daß er die Korrektur übernimmt, er muß aber eydlich versichern es niemand zu weisen, auch Kaysern nicht, ders nicht zurechtlegen kann. Wenns gedrukt ist, dann theilts alle den guten Seelen aus –
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<line tab="1"/>Und gerad itzt muß es ins Publikum, oder alle Gemählde verlieren ihre Anzüglichkeit Stärke und Wahrheit. Du darfst Dich nicht damit bemengen. Verbiete dem Buchhändler zu sagen, daß Dus ihm gegeben hast, nenn’ ihm meinen Namen, weiß’ ihm diesen Brief. Bitte Passavant daß er die Korrektur übernimmt, er muß aber eydlich versichern es niemand zu weisen, auch Kaysern nicht, ders nicht zurechtlegen kann. Wenns gedrukt ist, dann theilts alle den guten Seelen aus –
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<sidenote pos="left" page="2" annotation="am linken Rand der zweiten Seite, vertikal">
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<line tab="1"/>Auch Goethen sag nichts davon, diesmal laß uns was alleine thun. Desto mehr Freude hat er dran wenn er überrascht wird. Ich hab ihm geschrieben ich arbeitete – aber nicht was?</sidenote>
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<sidenote pos="bottom" page="2" annotation="am unteren Rand"> <align pos="center"><gr>παντα δε δυναμενα δια την πισιν.</gr></align></sidenote>
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<sidenote pos="bottom" page="2" annotation="am unteren Rand der zweiten Seite"> <align pos="center"><gr>παντα δε δυναμενα δια την πισιν.</gr></align></sidenote>
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<line tab="1"/>Es ist Gegengift Lavater! das mir lang auf dem Herzen gelegen und wo ich nur auf Gelegenheit gepaßt es anzubringen Diese Gelegenheit
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<page index="3"/>ist meine Persönliche Schriftsteller-Rache – aber (es bleibt bey uns): <ul>diese Gelegenheit hab ich selbst gemacht.</ul> Geradzu läßt das Publikum seiner Sinnesart, seinem Geschmack nicht gern wiedersprechen, man muß einen Vorwand, eine Leidenschaft brauchen, sonst nimmt es nimmer Antheil. Und meine Kunst, meine Religion, mein Herz und meine Freunde alles fodert mich jetzt dazu auf – jetzt ausgelassen, auf ewig ausgelassen. Wer ersetzt mir den Schaden? Wer ersetzt ihn euch.
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<line tab="1"/>So genug, Du der Du Landvögte in ihrem Frevel antastetest, für Dich. Es muß einmahl ein Ende haben oder wir arbeiten alle vergeblich und die Thoren ruffen laut, es ist kein Gott. Ich kenne die Lässigkeit des Publikums und daß wer am lautesten ruft immer recht bey ihm behält. Und sollten wir uns scheuen zu ruffen? Wir uns irre machen lassen – Lavater, wenn sie nicht gedruckt werden, so hab ich kein Theil an Dir. In eine Wüsteney will ich gehn zweiffelhaft über wen ich seufzen soll.
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<page index="3"/>ist meine Persönliche Schriftsteller-Rache – aber (es bleibt bey uns): <ul>diese Gelegenheit hab ich mir selbst gemacht.</ul> Geradzu läßt das Publikum seiner Sinnesart, seinem Geschmak nicht gern wiedersprechen, man muß einen Vorwand, eine Leidenschaft brauchen, sonst nimmt es nimmer Antheil. Und meine Kunst, meine Religion, mein Herz und meine Freunde alles fodert mich jetzt dazu auf – jetzt ausgelassen, auf ewig ausgelassen. Wer ersetzt mir den Schaden? Wer ersetzt ihn euch.
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<line tab="1"/>So genug, Du der Du Landvögte in ihrem Frevel antastetest, für Dich. Es muß einmahl ein Ende haben oder wir arbeiten alle vergeblich und die Thoren ruffen laut, es ist kein Gott. Ich kenne die Lässigkeit des Publikums und das wer am lautesten ruft immer recht bey ihm behält. Und sollten wir uns scheuen zu ruffen? Wir uns irre machen lassen – Lavater, wenn sie nicht gedruckt werden, so hab ich kein Theil an Dir. In eine Wüsteney will ich gehn zweiffelhaft über wen ich seufzen soll.
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<line tab="1"/>Gute Nacht! Wie süß werde ich träumen! wie leicht morgen an meinen Frohndienst gehn
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<line type="break"/><align pos="center">Donnerstags. 1775</align>
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<line type="break"/><align pos="right">J M. R. Lenz.</align>
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<align pos="center"><note>Außenseite des zum Umschlag gefalteten Bogens:</note></align>
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<line type="break"/><address>Herrn
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<line type="break"/>Herrn Johann Caspar
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<line type="break"/><ul>Lavater,</ul> Pfarrer
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