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@@ -218,8 +218,8 @@ darf den Bogen nicht zu hoch spannen, weil er dir in d. Noth geholfen p. Du hast
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<letterText letter="8"><page index="1"/><align pos="center">Theurester Freund!</align>
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<line tab="1" />Sie werden mir ein kleines Stillschweigen zu gut halten, das auf eine Abreise ohne Abschied seltsam genug aussieht. Die gegenwärtige Lage meiner Seele wird mich entschuldigen. Sie kriecht zusammen, wie ein Insekt, das von einem plötzlichen kalten Winde berührt worden. Vielleicht sammelt sie neue Kräfte, oder vielleicht ist dieser Zustand gar Melancholey. Sey es was es wolle, ich befinde mich eben nicht unglücklich dabey, es ist kein Schmerz den ich fühle, sondern bloß Ernst und obschon dieser den Jüngling nicht so sehr ziemet als den Mann, so denk ich, ist er auch für jenen unter gewissen Umständen vortheilhaft. Geben Sie mir doch Nachricht von Ihrem Befinden, ändern Sie Ihr sonst so gütiges Zutrauen gegen mich nicht. Meine Umstände können meine Oberfläche zwar ändern, aber der Grund meines Herzens bleibt. – Ich beschäftige mich gegenwärtig vorzüglich mit Winkelmanns Geschichte der Kunst, und finde bei ihm Genugthuung. O daß dieser Mann noch lebte! Schaffen Sie sich sein Werk an, wenn Sie einmal auf Verschönerung Ihrer Bibliothek denken. Wenn seine Sphäre nur nicht von der Art wäre, daß er sich durch einen großen Nebel von Gelehrsamkeit in derselben herumdrehen muß, der den gesetzten und edlen Flug seines großen Geistes merklich niederschlägt. In der Jurisprudenz hab ich nur noch eine kleine Sayte in meiner Seele aufgezogen, und die gibt einen verhenkert leisen Thon. Der waltende Himmel mag wissen, in was für eine Form er mich zuletzt noch gießt und was für Münze er auf mich prägt. Der Mensch ist mit freyen Händen und Füssen dennoch nur ein tändelndes Kind, wenn er von dem großen Werkmeister, der die Weltuhr in seiner Hand hat, nicht auf ein Plätzchen hingestellt wird, wo er ein paar Räder neben sich in Bewegung setzen kann – Ist Ihre Abhandlung schon vorgelesen? Und wie haben sich <aq>Ott</aq> und <aq>Haffner</aq> das letztemahl gehalten; ich zähle auf Ihr Urtheil davon.
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<line tab="1" />Ihre weisen Rathschläge über einen gewissen Artikel meines Herzens, fang ich an mit Ernst in Ausübung zu setzen: allein eine Wunde heilt allemahl langsamer, als sie geschlagen wird. Und wenn ich die Leidenschaft überwände, wird doch der stille Wunsch ewig nicht aus meinem Herzen gereutet werden, mein Glück, wenn ich irgend eines auf dieser kleinen Kugel erwarten kann, mit einer Persohn zu teilen, die es mir allein wird reitzend und wünschenswerth machen können. Ich habe heut einen dummen Kopf, aber ein gutes und geruhiges Herz: aus der Fülle dieses Herzens will ich Ihnen sagen, daß ich bin
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<line type="break" /><align pos="right">Ihr
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<line type="break" />unaufhörlich ergebenster Freund
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<line type="break" /><align pos="center">Ihr</align>
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<line type="break" /><align pos="right">unaufhörlich ergebenster Freund
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<line type="break" />J. M. R. Lenz.</align>
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<line type="break" /><align pos="center"><note>am Rand:</note></align>
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