diff --git a/data/xml/briefe.xml b/data/xml/briefe.xml index 3729b50..87f3bb0 100644 --- a/data/xml/briefe.xml +++ b/data/xml/briefe.xml @@ -6499,6 +6499,69 @@ bewähren daß die höhere Physiologie die die Nothwendigkeit der Stillung eines Triebes der wie alle menschlichen Triebe willkührlich ist, lächerlich macht allgemein zu machen wäre. + Brief von Lenzen an Grafen + Friedrich Leopold von Stollberg. + + Wundern Sie sich nicht bester Graf! statt einer geschriebenen eine gedruckte Antwort von mir zu + erhalten? Sie werden begierig seyn zu wissen, wie Wieland mich empfangen hat, Wieland der einzige + unter allen Menschen den ich vorsetzlich und öffentlich beleidigt habe. Sehen Sie da, ob sein + Benehmen gegen mich nicht des menschenfreundlichsten Philosophen würdig ist. Als ich ihn das erstemal + sahe, machte die zutrauenvolle vergnügte Bewegung, mit der er mich grüßte, mich schon wirre; es war, + als ob’s ihm jemand gesagt hätte, ich sey um seinetwillen gekommen, obschon wir uns nur auf der Strasse + antraffen. Wir speisten den ersten Abend am dritten Ort zusammen, es fiel kein Wort von dem Vergangenen + vor und unser Gespräch ward so herzlich und munter ja als es später gegen die Nacht kam so freundschaftlich + als ob wir Jahre lang in dem besten Vernehmen bey einander gewohnet. Diese Amnestie hat er bey allen + Gelegenheiten so unverbrüchlich beobachtet, daß er sogar bei Hofe, wo er am ersten Gelegenheit gehabt, + mich durch feine Vorwürfe aus der Fassung zu bringen und wo ich die Dreistigkeit soweit trieb, ihm über + einige Stellen seiner komischen Gedichte meine Bedenklichkeiteil zu sagen er mich mit der größten Sanftmut + und Ernst zurecht wieß und mir über verschiedene Dinge Aufschlüsse gab die ich nebst dem was ich + durch weiteres Nachdenken darüber herausgebracht Ihnen mittheilen will. + + In der That bester Freund ist ein wesentlicher Unterscheid unter einem
    schlüpfrigen
und einem
    komischen
+ Gedicht, wie z. E. Wielands Erzehlungen und Ritterromane sind. In den ersten werden die Unordnungen der + Gesellschaft ohne Zurückhaltung mit bacchantischer Frechheit gefeyert und ihnen daß ich so sagen mag Altäre + gesetzt wie Voltäre und Piron thaten, in diesen werden die Schwachheiten und Thorheiten der Menschen mit dem + Licht der Wahrheit beleuchtet und (wie könnte ein Philosoph sie würdiger straffen) dem Gelächter weiserer + Menschen Preiß gegeben. Mich deucht der Unterschied ist sehr kenntbar und nur Leidenschaft konnte mich bisher + blenden ihn nicht zu sehen. + + Man wirft ihm vor daß seine komischen Erzehlungen zu reitzend, gewisse Scenen darinn zu ausgemahlt sind. Ein + besonderer Vorwurf. Eben darinn bestand sein größtes Verdienst und der höchste Reitz seiner Gemählde ist
    der + ächteste Probierstein
    für die Tugend seiner Leser.
Tugend ohne Wiederstand ist keine, so wenig als einer sich + rühmen darf, reiten zu können, wenn er nie auf etwas anderm als einem Karrengaul Packpferde gekommen + ist. Eine solche furchtsame träge ohnmächtige Tugend ist bey der ersten Versuchung geliefert. Will also einer an + diesem Eckstein sich den Kopf zerschellen, anstatt sich an ihm aufzurichten, so thut er’s auf seine Gefahr. Dasselbe + würde ihm bey der ersten schönen Frau begegnet sein; darf er deßwegen den Schöpfer lästern der sie gemacht hat? + Setzen wir diese nun auch in hundert noch reitzendere Verhältnisse; der Reine dem alles rein ist und der seinen + Entschluß und seine Hofnungen unwandelbar im Busen fühlt, wird wenn wir sie zu Hunderten gruppirten, mit der Trunkenheit + eines Kunstliebhabers wie unter Griechischen Statuen bey Ihnen vorbeygehn, ohne einen Augenblick zu vergeßen, daß nur + eine ihn glücklich machen kann. Ueberhaupt schweigt der thierische Trieb je höher wir die Reitze auch der körperlichen + Schönheit spannen und verliert sich unvermerkt in die seelige Unruhe und Wonne der Brust des Busens des Herzens das + alsdenn von neuen menschenwürdigem entzückungsvollen entzückendern Gefühlen geht schwillt wohin ihn Wieland an + hundert Stellen seiner komischen Gedichte so geschickt hat hinaufzubegleiten wußte. Welche Wohlthat er dem menschlichen + Geschlechte dadurch erwiesen, wird ihm erst die Nachwelt danken: falls seine Gedichte etwa nicht unglücklicherweise + anders gelesen werden sollten als er sie gelesen haben will. + + + + Sollten Sie nun vollends diesen Mann in seinen Häuslichen Verhältnissen wie ich fast täglich zu sehen Gelegenheit haben, + wie er ganz Zärtlichkeit gegen seine Gattin und Kinder ist, deren feurige Augen die treflichste beste Wiederlegung + aller derer sind, die j emals in seinen Gedichten schlüpfrige Stellen gefunden oder daraus nachtheilige Schlüsse auf + seine Sitten gemacht, sollten Sie sehen, wie aufmerksam und nachgebend er gegen jeden Schatten von Verdienst, wie + bescheiden obwohl immer gerecht gegen sich selbst, wie entfernt von allen Anmaßungen und Foderungen an andere, wie + beynahe zu nachlässig für seinen Ruhm und die Erhaltung desselben, wo ihn nicht die äußerste Noth dazu zwingt (daher + auch alle die falschen Lichter kommen, unter denen er sich bisher immer entfernten Personen gewiesen) wie eyfrig und + emsig das Gute zu befördern wo und wie er kann: so würden Sie sich nicht wundern daß ich, der weder von Schriftstellern + noch vom Publikum etwas zu erwarten hat, einem ohne mich schon berühmten Manne den Hof mache, ich der mit eben der + Unbefangenheit Sorglosigkeit in meinem Haß und in meinen Unarten gegen ihn fortgefahren wäre wenn mein Herz mich nicht + erinnert hätte. Ich wünschte sehr noch so lange hier + + + bleiben zu können, daß ich auch Sie unter so viel treflichen und von sovielen Seiten sich auszeichnenden Personen, als + diese glückliche Gegend einschließt, sehen und umarmen könnte + + Lenz.
+ diff --git a/data/xml/meta.xml b/data/xml/meta.xml index 604827f..c74e2fe 100644 --- a/data/xml/meta.xml +++ b/data/xml/meta.xml @@ -2505,5 +2505,20 @@ + + + + + + + + + + + + + + + diff --git a/data/xml/traditions.xml b/data/xml/traditions.xml index 8080fb1..0d01444 100644 --- a/data/xml/traditions.xml +++ b/data/xml/traditions.xml @@ -1025,5 +1025,11 @@ + + + Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 14 + + +