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@@ -524,11 +524,11 @@ Und doch muß ich meinen Entschluß vor Ihnen verbergen. –
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<letterText letter="24"><page index="1"/><align pos="center">Mein – –</align>
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<line tab="1"/>Doch ich will, von jetzt an, immer ohne Titel an Sie schreiben. Wenn Geister zu einander treten und sich miteinander besprechen, so können sie, mein’ ich den Scharrfuß wohl weglassen. Ich schreibe an Sie, um Ihnen eine Veränderung zu melden, die mit mir vorgegangen. Ich bin ein Christ geworden – glauben Sie mir wohl, daß ich es vorher nicht gewesen? Ich habe an allem gezweifelt und bin jetzt, ich schreib es mit von dankbarer Empfindung durchdrungenem Herzen, zu einer Ueberzeugung gekommen, wie sie mir nöthig war, zu einer philosophischen, nicht bloß moralischen. Der theologische Glaube ist das <aq>complementum</aq> unserer Vernunft, das dasjenige ersetzt, was dieser zur gottfälligen Richtung unsers Willens fehlt. Ich halte ihn also blos für eine Wirkung der Gnade, zu der wir nichts beitragen, als daß unser Herz in der rechten Verfassung sey, sie anzunehmen; diese Verfassung aber besteht in einer vollkommen ernstlichen Liebe zur Tugend, zum Wahren, Guten und Schönen. Dieser Glaube ist eine nothwendige Gabe Gottes, weil bei den meisten Menschen die Vernunft noch erst im Anfange ihrer Entwicklung ist, bei vielen aber niemals entwickelt wird. Je mehr sich aber unsere Vernunft entwickelt (das geht bis ins Unendliche), desto mehr nimmt dieser <aq>moralische</aq> Glaube, der in der That mehr in den Empfindungen als in der Erkenntnis gegründet ist, ab und verwandelt sich in das Schauen, in eine Ueberzeugung der Vernunft. Ueberhaupt bedürfen wir nicht mehr und nicht weniger moralisch zu glauben, als zur Seligkeit nothwendig ist, das übrige haben wir immer noch die Freiheit in <aq>suspenso</aq> zu lassen. Aber auch dieses müssen wir viel mehr suchen in Erkenntnis und Anschauen zu verwandeln, weil, nach Ordnung Gottes, unser Wille sich nach unserer Erkenntniß richtet.
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<line tab="1"/>Dieses sind die Prämissen, die ich Ihnen voranschicke, um Ihnen eine vollständige Idee von meiner Ueberzeugung von unsrer Religion zu geben. Ich habe bisher die Erlösung unsers Heilands für nichts, als ein in die Augen fallendes Beispiel der Folgen der Sünde gehalten, das uns an der Person des vollkommensten Menschen, zur heilsamen Warnung aufgestellt worden. Denn, hab’ ich gedacht, die Idee eines Verdienstes, und wär es auch des vollkommensten, widerspricht der allervollkommensten Barmherzigkeit Gottes, als welche nicht braucht erst durch ein Verdienst sich die Vergebung unserer Sünden gleichsam abfodern und abzwingen zu lassen. Aber ich habe gefunden, daß ich sehr irrte. Gott ist die Liebe – allein die übeln Folgen der Sünde aufzuheben (denn das heißt Sünde vergeben) ohne die Sünde durch eben diese übeln Folgen zu strafen, hieße die Natur dessen, was gut und böse ist, verändern und uns eben so viel Aufmunterung zum Bösen, als zum Guten, geben. Aber diese übeln Folgen der Sünden einer ganzen Welt, auf einen dritten Gegenstand lenken, das konnte Gott, das wird der Vernunft nicht schwer zu begreifen, das war das einzige Mittel, Sünde zu vergeben, ohne sie zu strafen. Und eben dies läßt seine Barmherzigkeit in dem nämlichen Glanze. Freilich könnt’ es scheinen, daß sie, gegen diesen dritten Gegenstand, welchen wir so lange unsern Heiland nennen wollen, nicht ausgeübt worden, allein eben dieses ist der Gegenstand unsers Glaubens, hier kann die Vernunft nicht weiter. Die Offenbarung sagt uns, dieser Heiland sei ein ganz reiner vollkommener Mensch, vielleicht das Ideal der menschlichen Natur gewesen, dem sich die Gottheit selbst, auf eine, uns unbegreifliche, Weise offenbart und mitgeteilet (das Wort vereinigt find’ ich nicht in der Bibel und ist schon ein Schritt zu weit von unsern Theologen), den die Gottheit selbst, zu diesem großen Geschäft unterstützt; den die Gottheit selbst, nach Vollendung desselben belohnt und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Dieser Heiland aber, hat uns, außer seiner Lehre und Beispiel, auch sein Verdienst gelassen, dessen er uns durch die Sakramente theilhaftig macht. Indem er sich besonders durch das Sakrament des Abendmahls auf eine, zwar unbegreifliche, aber doch der Vernunft nicht widersprechende, Art, mit uns geistig verbindet, so daß wir jetzt gleichsam alle an seiner vollkommnen menschlichen Natur Antheil nehmen. Die Pflichten des Christenthums aber, laufen alle dahin zusammen, diese Wahrheiten, die Christus uns verkündigt, zu glauben, gegen ihn voll Liebe und Dankbarkeit sein Leben immer besser zu studieren, damit wir ihn immermehr lieben und nachahmen, von ihm aber (welches die Hauptsache ist) zu Gott, als dem höchsten Gut, hinauf zu steigen, ihn immer besser erkennen zu lernen, ja, alle Erkenntnisse, die wir hier erwerben, zu ihm, als dem letzten Ziel zu lenken, um ihn als die Quelle alles Wahren, Guten und Schönen mit allen Kräften unserer Seele zu lieben und (das ist die natürliche Folge davon) seinen Willen auszuüben, d.h. ihn von ferne, im Schatten, nachzuahmen, wie er ganz Liebe und Wohlthätigkeit gegen das menschliche Geschlecht, so kein größeres Glück kennen, als andere glücklich zu machen.
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<line tab="1"/>Doch ich will, von jetzt an, immer ohne Titel an Sie schreiben. Wenn Geister zu einander treten und sich miteinander besprechen, so können sie, mein’ ich den Scharrfuß wohl weglassen. Ich schreibe an Sie, um Ihnen eine Veränderung zu melden, die mit mir vorgegangen. Ich bin ein Christ geworden – glauben Sie mir wohl, daß ich es vorher nicht gewesen? Ich habe an allem gezweifelt und bin jetzt, ich schreib’ es mit von dankbarer Empfindung durchdrungenem Herzen, zu einer Ueberzeugung gekommen, wie sie mir nöthig war, zu einer philosophischen, nicht blos moralischen. Der theologische Glaube ist das <aq>complementum</aq> unserer Vernunft, das dasjenige ersetzt, was dieser zur gottfälligen Richtung unsers Willens fehlt. Ich halte ihn also blos für eine Wirkung der Gnade, zu der wir nichts beitragen, als daß unser Herz in der rechten Verfassung sey, sie anzunehmen; diese Verfassung aber besteht in einer vollkommen ernstlichen Liebe zur Tugend, zum Wahren, Guten und Schönen. Dieser Glaube ist eine nothwendige Gabe Gottes, weil bei den meisten Menschen die Vernunft noch erst im Anfange ihrer Entwicklung ist, bei vielen aber niemals entwickelt wird. Je mehr sich aber unsere Vernunft entwickelt (das geht bis ins Unendliche), desto mehr nimmt dieser <it>moralische</it> Glaube, der in der That mehr in den Empfindungen als in der Erkenntniß gegründet ist, ab und verwandelt sich in das Schauen, in eine Ueberzeugung der Vernunft. Ueberhaupt bedürfen wir nicht mehr und nicht weniger moralisch zu glauben, als zur Seligkeit nothwendig ist, das Uebrige haben wir immer noch die Freiheit <aq>in suspenso</aq> zu lassen. Aber auch dieses müssen wir viel mehr suchen in Erkenntniß und Anschauen zu verwandeln, weil, nach Ordnung Gottes, unser Wille sich nach unserer Erkenntniß richtet.
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<line tab="1"/>Dieses sind die Prämissen, die ich Ihnen voranschicke, um Ihnen eine vollständige Idee von meiner Ueberzeugung von unsrer Religion zu geben. Ich habe bisher die Erlösung unsers Heilands für nichts, als ein in die Augen fallendes Beispiel der Folgen der Sünde gehalten, das uns an der Person des vollkommensten Menschen, zur heilsamen Warnung aufgestellt worden. Denn, hab’ ich gedacht, die Idee eines Verdienstes, und wär’ es auch des vollkommensten, widerspricht der allervollkommensten Barmherzigkeit Gottes, als welche nicht braucht erst durch ein Verdienst sich die Vergebung unserer Sünden gleichsam abfodern und abzwingen zu lassen. Aber ich habe gefunden, daß ich sehr irrte. Gott ist die Liebe – allein die übeln Folgen der Sünde aufzuheben (denn das heißt Sünde vergeben) ohne die Sünde durch eben diese übeln Folgen zu strafen, hieße die Natur dessen, was gut und böse ist, verändern und uns eben so viel Aufmunterung zum Bösen, als zum Guten, geben. Aber – diese übeln Folgen der Sünden einer ganzen Welt, auf einen dritten Gegenstand lenken, das konnte Gott, das wird der Vernunft nicht schwer zu begreifen, das war das einzige Mittel, Sünde zu vergeben, ohne sie zu strafen. Und eben dieß läßt seine Barmherzigkeit in dem nemlichen Glanze. Freilich könnt’ es scheinen, daß sie, gegen diesen dritten Gegenstand, welchen wir so lange unsern Heiland nennen wollen, nicht ausgeübt worden, allein eben dieses ist der Gegenstand unsers Glaubens, hier kann die Vernunft nicht weiter. Die Offenbarung sagt uns, dieser Heiland sei ein ganz reiner vollkommener Mensch, vielleicht das Ideal der menschlichen Natur gewesen, dem sich die Gottheit selbst, auf eine, uns unbegreifliche, Weise offenbart und mitgheteilet (das Wort vereinigt find’ ich nicht in der Bibel und ist schon ein Schritt zu weit von unsern Theologen), den die Gottheit selbst, zu diesem großen Geschäft unterstützt; den die Gottheit selbst, nach Vollendung desselben belohnt und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Dieser Heiland aber, hat uns, außer seiner Lehre und Beispiel, auch sein Verdienst gelassen, dessen er uns durch die Sakramente theilhaftig macht. Indem er sich besonders durch das Sakrament des Abendmals auf eine, zwar unbegreifliche, aber doch der Vernunft nicht widersprechende, Art, mit uns geistig verbindet, so daß wir jetzt gleichsam Alle an seiner vollkommnen menschlichen Natur Antheil nehmen. Die Pflichten des Christenthums aber, laufen alle dahin zusammen, diese Wahrheiten, die Christus uns verkündigt, zu glauben, gegen ihn voll Liebe und Dankbarkeit sein Leben immer besser zu studiren, damit wir ihn immermehr lieben und nachahmen, von ihm aber (welches die Hauptsache ist) zu Gott, als dem höchsten Gut, hinauf zu steigen, ihn immer besser erkennen zu lernen, ja, alle Erkenntnisse, die wir hier erwerben, zu ihm, als dem letzten Ziel zu lenken, um ihn als die Quelle alles Wahren, Guten und Schönen mit allen Kräften unserer Seele zu lieben und (das ist die natürliche Folge davon) seinen Willen auszuüben, d. h. ihn von ferne, im Schatten, nachzuahmen, wie er ganz Liebe und Wohlthätigkeit gegen das menschliche Geschlecht, so kein größeres Glück kennen, als andere glücklich zu machen.
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<line tab="1"/>Sehen Sie hier den Extrakt meiner Religion, das Fazit einer aufmerksamen Lesung der Evangelisten, deren göttliche oder menschliche Begeisterung ich unausgemacht lasse, und sie bloß als aufrichtige Erzähler ansehe. Denn dieses ist gut zu wissen, aber nicht verderblich nicht zu wissen.
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<line tab="1"/>Ich habe es für nöthig gehalten, Ihnen den Zustand meiner Seele zu schildern, damit wir uns ganz kennen lernen. Ich bin also jetzt ein guter evangelischer Christ, obgleich ich kein orthodoxer bin. Kann ich in meiner Überzeugung weiter kommen, so will ich dem Gott dafür danken, der es weiß, daß dieses das Lieblingsstudium meiner Seele ist und ewig bleiben wird.
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<line tab="1"/>Doch hoffe ich, niemals Prediger zu werden. Die Ursachen – da müßt’ ich Ihnen Bogen voll schreiben. Ich fühle mich nicht dazu. Dies ist aber kein dunkles, sinnliches – sondern das Gefühl meines ganzen Wesens, das mir so gut als Überzeugung gilt. – Aber ich fühle mich als Ihren Freund
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<line tab="1"/>Ich habe es für nöthig gehalten, Ihnen den Zustand meiner Seele zu schildern, damit wir uns ganz kennen lernen. Ich bin also jetzt ein guter evangelischer Christ, obgleich ich kein orthodoxer bin. Kann ich in meiner Ueberzeugung weiter kommen, so will ich dem Gott dafür danken, der es weiß, daß dieses das Lieblingsstudium meiner Seele ist und ewig bleiben wird.
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<line tab="1"/>Doch hoffe ich, niemals Prediger zu werden. Die Ursachen – da müßt’ ich Ihnen Bogen voll schreiben. Ich fühle mich nicht dazu. Dieß ist aber kein dunkles, sinnliches – sondern das Gefühl meines ganzen Wesens, das mir so gut als Ueberzeugung gilt. – Aber ich fühle mich als Ihren Freund
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<line type="break"/><align pos="right">Lenz.</align>
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