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@@ -216,7 +216,7 @@ darf den Bogen nicht zu hoch spannen, weil er dir in d. Noth geholfen p. Du hast
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<letterText letter="8"><page index="1"/><align pos="center">Theurester Freund!</align>
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<line tab="1" />Sie werden mir ein kleines Stillschweigen zu gut halten, das auf eine Abreise ohne Abschied seltsam genug aussieht. Die gegenwärtige Lage meiner Seele wird mich entschuldigen. Sie kriecht zusammen, wie ein Insekt, das von einem plötzlichen kalten Winde berührt worden. Vielleicht sammelt sie neue Kräfte, oder vielleicht ist dieser Zustand gar Melancholey. Sey es was es wolle, ich befinde mich eben nicht unglücklich dabey, es ist kein Schmerz den ich fühle, sondern bloß Ernst und obschon dieser den Jüngling nicht so sehr ziemet als den Mann, so denk ich, ist er auch für jenen unter gewissen Umständen vortheilhaft. Geben Sie mir doch Nachricht von Ihrem Befinden, ändern Sie Ihr sonst so gütiges Zutrauen gegen mich nicht. Meine Umstände können meine Oberfläche zwar ändern, aber der Grund meines Herzens bleibt. – Ich beschäftige mich gegenwärtig vorzüglich mit Winkelmanns Geschichte der Kunst, und finde bei ihm Genugtuung. O daß dieser Mann noch lebte! Schaffen Sie sich sein Werk an, wenn Sie einmal auf Verschönerung Ihrer Bibliothek denken. Wenn seine Sphäre nur nicht von der Art wäre, daß er sich durch einen großen Nebel von Gelehrsamkeit in derselben herumdrehen muß, der den gesetzten und edlen Flug seines Geistes merklich niederschlägt. In der Jurisprudenz habe ich nur noch eine kleine Saite in meiner Seele aufgezogen, und die gibt einen verhenkert leisen Thon. Der waltende Himmel mag wissen, in was für eine Form er mich zuletzt noch gießt und was für Münze er auf mich prägt. Der Mensch ist mit freien Händen und Füssen dennoch nur ein tändelndes Kind, wenn er von dem großen Werkmeister, der die Weltuhr in seiner Hand hat, nicht auf ein Plätzchen eingestellt wird, wo er ein paar Räder neben sich in Bewegung setzen kann. – Ist Ihre Abhandlung schon vorgelesen? Und wie haben sich <aq>Ott</aq> und <aq>Haffner</aq> das letztemahl gehalten; ich zähle auf Ihr Urtheil davon.
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<line tab="1" />Sie werden mir ein kleines Stillschweigen zu gut halten, das auf eine Abreise ohne Abschied seltsam genug aussieht. Die gegenwärtige Lage meiner Seele wird mich entschuldigen. Sie kriecht zusammen, wie ein Insekt, das von einem plötzlichen kalten Winde berührt worden. Vielleicht sammelt sie neue Kräfte, oder vielleicht ist dieser Zustand gar Melancholey. Sey es was es wolle, ich befinde mich eben nicht unglücklich dabey, es ist kein Schmerz den ich fühle, sondern bloß Ernst und obschon dieser den Jüngling nicht so sehr ziemet als den Mann, so denk ich, ist er auch für jenen unter gewissen Umständen vortheilhaft. Geben Sie mir doch Nachricht von Ihrem Befinden, ändern Sie Ihr sonst so gütiges Zutrauen gegen mich nicht. Meine Umstände können meine Oberfläche zwar ändern, aber der Grund meines Herzens bleibt. – Ich beschäftige mich gegenwärtig vorzüglich mit Winkelmanns Geschichte der Kunst, und finde bei ihm Genugthuung. O daß dieser Mann noch lebte! Schaffen Sie sich sein Werk an, wenn Sie einmal auf Verschönerung Ihrer Bibliothek denken. Wenn seine Sphäre nur nicht von der Art wäre, daß er sich durch einen großen Nebel von Gelehrsamkeit in derselben herumdrehen muß, der den gesetzten und edlen Flug seines großen Geistes merklich niederschlägt. In der Jurisprudenz hab ich nur noch eine kleine Sayte in meiner Seele aufgezogen, und die gibt einen verhenkert leisen Thon. Der waltende Himmel mag wissen, in was für eine Form er mich zuletzt noch gießt und was für Münze er auf mich prägt. Der Mensch ist mit freyen Händen und Füssen dennoch nur ein tändelndes Kind, wenn er von dem großen Werkmeister, der die Weltuhr in seiner Hand hat, nicht auf ein Plätzchen hingestellt wird, wo er ein paar Räder neben sich in Bewegung setzen kann – Ist Ihre Abhandlung schon vorgelesen? Und wie haben sich <aq>Ott</aq> und <aq>Haffner</aq> das letztemahl gehalten; ich zähle auf Ihr Urtheil davon.
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<line tab="1" />Ihre weisen Rathschläge über einen gewissen Artikel meines Herzens, fang ich an mit Ernst in Ausübung zu setzen: allein eine Wunde heilt allemahl langsamer, als sie geschlagen wird. Und wenn ich die Leidenschaft überwände, wird doch der stille Wunsch ewig nicht aus meinem Herzen gereutet werden, mein Glück, wenn ich irgend eines auf dieser kleinen Kugel erwarten kann, mit einer Persohn zu teilen, die es mir allein wird reitzend und wünschenswerth machen können. Ich habe heut einen dummen Kopf, aber ein gutes und geruhiges Herz: aus der Fülle dieses Herzens will ich Ihnen sagen, daß ich bin
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<line type="break" /><align pos="right">Ihr
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<line type="break" />unaufhörlich ergebenster Freund
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@@ -225,36 +225,36 @@ darf den Bogen nicht zu hoch spannen, weil er dir in d. Noth geholfen p. Du hast
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<line type="break" /><align pos="center"><note>am Rand:</note></align>
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<line type="break" />Von Herrn von Kleist ein ganz ergebenstes Compliment. Wollen Sie so gütig seyn, mich Ihrer Tischgesellschaft zu empfehlen, vorzüglich Herrn <aq> Leibhold</aq> und <aq>Hepp</aq>.
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<line type="break" /><align pos="center"><note>Nachschrift:</note></align>
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<line type="break" />Ich sehe daß mein guter Ott mich nicht versteht und durchaus glaubt, wenn ich nicht lustig bin, müsse ich unglücklich seyn. Benehmen Sie ihm doch dieses schlechte Zutraun zu mir, welches mich in der That schamroth machen muß. Der Himmel ist noch nie so strenge gegen mich gewesen, mir größeren Kummer aufzulegen, als wozu er mir Schultern gegeben, und wenn ich jetzt die feige Memme machte, der Ungedult und Thorheit über die Backen liefen, so verdient ich in Essig eingemacht zu werden, damit ich nicht in <aq>putredinem</aq> überginge. Ich fürchte, weil ich an ihn jetzt nicht mehr mit lachendem Munde schreiben kann, sein gar zu gutes und empfindliches Herz wird glauben, ich sey niedergeschlagen und ich bin es doch niemals weniger gewesen als itzt.
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<line tab="1" />Neulich als ich einige Stunden einsam unter einem Baum gelesen, sah ich unvermuthet eine erschreckliche Schlange ganzgeruhig zwei Zoll weit neben mir liegen. Ich flog schneller als ein Blitz davon, und dachte es muß doch noch nicht Zeit für dich sein – Diese Anekdote schreibe ich meinen Freunden nur darum, damit sie sich in Acht nehmen, unter einem Baum auszuruhen – denn sonst denk ich interessirt sie niemanden als mich.
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<line type="break" />Ich sehe daß mein guter Ott mich nicht versteht und durchaus glaubt, wenn ich nicht lustig bin, müsse ich unglücklich seyn. Benehmen Sie ihm doch dieses schlechte Zutraun zu mir, welches mich in der That schamroth machen muß. Der Himmel ist noch nie so strenge gegen mich gewesen, mir grösseren Kummer aufzulegen, als wozu er mir Schultern gegeben, und wenn ich jetzt die feige Memme machte, der Ungedult und Thorheit über die Backen liefen, so verdient ich in Essig eingemacht zu werden, damit ich nicht in <aq>putredinem</aq> überginge. Ich fürchte, weil ich an ihn jetzt nicht mehr mit lachendem Munde schreiben kann, sein gar zu gutes und empfindliches Herz wird glauben, ich sey niedergeschlagen und ich bin es doch niemals weniger gewesen als itzt.
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<line tab="1" />Neulich als ich einige Stunden einsam unter einem Baum gelesen, sah ich unvermuthet eine erschreckliche Schlange ganzgeruhig zwei Zoll weit neben mir liegen. Ich flog schneller als ein Blitz davon, und dachte es muß doch noch nicht Zeit für dich seyn – Diese Anekdote schreibe ich meinen Freunden nur darum, damit sie sich in Acht nehmen, unter einem Baum auszuruhen – denn sonst denk ich interessirt sie niemanden als mich.
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<line tab="1" />Ich schick Ihnen zur Ausfüllung einer vegetirenden Stunde nach dem Essen, eine kleine Romanze, die ich in einer eben so leeren Stunde gemacht habe.
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<line type="break" /><align pos="center">Piramus und Thisbe.</align>
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<line tab="4" />Der junge Piramus in Babel
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<line tab="4" />Hat in der Wand
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<line tab="4" />Hatt in der Wand
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<line tab="4" />Sich nach und nach mit einer heissen Gabel
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<line tab="4" />Ein Loch gebrannt.
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<line tab="4" />Hart an der Wand, da schlief sein Liebchen,
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<line tab="4" />Die Thisbe hieß,
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<line tab="4" />Die Thisbe hieß
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<line tab="4" />Und ihr Papa auf ihrem Stübchen
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<line tab="4" />Verderben ließ.
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<line tab="4" />Die Liebe geht so, wie Gespenster,
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<line tab="4" />Die Liebe geht so wie Gespenster
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<line tab="4" />Durch Holz und Stein.
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<line tab="4" />Sie machten sich ein kleines Fenster
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<line tab="4" />Für ihre Pein.
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<line tab="4" />Da hieß es: liebst du mich? da schallte:
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<line tab="4" />Da hieß es, liebst du mich? da schallte
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<line tab="4" />Wie lieb ich dich!
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<line tab="4" />Sie küßten Stundenlang die Spalte
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<line tab="4" />Und meynten sich.
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<line tab="4" />Geraumer ward sie jede Stunde,
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<line tab="4" />Geraumer ward sie jede Stunde
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<line tab="4" />Und manchen Kuß
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<line tab="4" />Erreichte schon von Thisbens Munde
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<line tab="4" />err Piramus.
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<line tab="4" />Herr Piramus.
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<line tab="4" />In einer Nacht, da Mond und Sterne
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<line tab="4" />Vom Himmel sahn,
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<line tab="4" />Hinaus bei Nacht zu Nini Grabe,
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<line tab="4" />Alsdann so komm!
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<line tab="4" />Dies wird Papa mir nicht verwehren,
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<line tab="4" />Dies darf mir der Papa nicht wehren,
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<line tab="4" />Dann spude dich.
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<line tab="4" />Du wirst mich eifrig bethen hören,
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<line tab="4" />Und tröste mich.
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<line tab="4" />Denselben Weg zu Nini Grabe –
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<line tab="4" />Der rückwärts tritt,
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<line tab="4" />Als hätt ein Donner ihn erschossen:
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<line tab="4" />Als hätt ein Donner ihn erschossen.
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<line tab="4" />Den Löwen weit –
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<line tab="4" />Und weiß im Grase hingegossen
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<line tab="4" />Der Thisbe Kleid.
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<line tab="4" />Zu hören meine treuen Schwüre
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<line tab="4" />Warst du gewohnt;
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<line tab="4" />Sey Zeuge, wie ich sie vollführe,
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<line tab="4" />Sey Zeuge wie ich sie vollführe,
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<line tab="4" />Du falscher Mond!
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<line tab="4" />Die kalte Hand fuhr nach dem Degen
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<line tab="4" />Der Mond fing an sich zu bewegen
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<line tab="4" />Für Leid und Schmerz.
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<line tab="4" />Ihn suchte Zephir zu erfrischen
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<line tab="4" />Ihn suchte Zephir zu erfrischen,
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<line tab="4" />Umsonst bemüht.
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<line tab="4" />Die Vögel sangen aus den Büschen
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<line tab="4" />Sein Todtenlied.
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<line tab="4" />Man sagt vom Löwen, sein Gewissen
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<line tab="4" />Hab ihn erschröckt,
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<line tab="4" />Er habe sich zu ihren Füßen
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<line tab="4" />Er habe sich zu ihren Füssen
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<line tab="4" />Lang hingestreckt.
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<line tab="4" />O nehmt, was euch ein Beyspiel lehret,
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