From 6447c1b74f41e6e030498cd4b5b755de2881c42e Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: GregorMichalski Date: Mon, 14 Oct 2024 16:23:06 +0200 Subject: [PATCH] Einpflegung von Brief 24 in "briefe.xml" und "traditions.xml" --- data/xml/briefe.xml | 71 +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ data/xml/traditions.xml | 6 ++++ 2 files changed, 77 insertions(+) diff --git a/data/xml/briefe.xml b/data/xml/briefe.xml index ba76620..69506bb 100644 --- a/data/xml/briefe.xml +++ b/data/xml/briefe.xml @@ -1330,6 +1330,77 @@ Ich bin bis ins Grab Ihr Lenz. + + Mein – – + + Doch ich will, von jetzt an, immer ohne Titel an Sie schreiben. Wenn Geister zu einander treten und + sich miteinander besprechen, so können sie, mein’ ich den Scharrfuß wohl weglassen. Ich schreibe an + Sie, um Ihnen eine Veränderung zu melden, die mit mir vorgegangen. Ich bin ein Christ geworden – + glauben Sie mir wohl, daß ich es vorher nicht gewesen? Ich habe an allem gezweifelt und bin jetzt, ich + schreib es mit von dankbarer Empfindung durchdrungenem Herzen, zu einer Ueberzeugung + gekommen, wie sie mir nöthig war, zu einer philosophischen, nicht bloß moralischen. Der + theologische Glaube ist das complementum unserer Vernunft, das dasjenige ersetzt, was dieser zur + gottfälligen Richtung unsers Willens fehlt. Ich halte ihn also blos für eine Wirkung der Gnade, zu der + wir nichts beitragen, als daß unser Herz in der rechten Verfassung sey, sie anzunehmen; diese + Verfassung aber besteht in einer vollkommen ernstlichen Liebe zur Tugend, zum Wahren, Guten und + Schönen. Dieser Glaube ist eine nothwendige Gabe Gottes, weil bei den meisten Menschen die + Vernunft noch erst im Anfange ihrer Entwicklung ist, bei vielen aber niemals entwickelt wird. Je mehr + sich aber unsere Vernunft entwickelt (das geht bis ins Unendliche), desto mehr nimmt dieser + moralische Glaube, der in der That mehr in den Empfindungen als in der Erkenntnis gegründet ist, ab + und verwandelt sich in das Schauen, in eine Ueberzeugung der Vernunft. Ueberhaupt bedürfen wir + nicht mehr und nicht weniger moralisch zu glauben, als zur Seligkeit nothwendig ist, das übrige haben + wir immer noch die Freiheit in suspenso zu lassen. Aber auch dieses müssen wir viel mehr suchen in + Erkenntnis und Anschauen zu verwandeln, weil, nach Ordnung Gottes, unser Wille sich nach unserer + Erkenntniß richtet. + + Dieses sind die Prämissen, die ich Ihnen voranschicke, um Ihnen eine vollständige Idee von meiner + Ueberzeugung von unsrer Religion zu geben. Ich habe bisher die Erlösung unsers Heilands für nichts, + als ein in die Augen fallendes Beispiel der Folgen der Sünde gehalten, das uns an der Person des + vollkommensten Menschen, zur heilsamen Warnung aufgestellt worden. Denn, hab’ ich gedacht, die + Idee eines Verdienstes, und wär es auch des vollkommensten, widerspricht der allervollkommensten + Barmherzigkeit Gottes, als welche nicht braucht erst durch ein Verdienst sich die Vergebung unserer + Sünden gleichsam abfodern und abzwingen zu lassen. Aber ich habe gefunden, daß ich sehr irrte. + Gott ist die Liebe – allein die übeln Folgen der Sünde aufzuheben (denn das heißt Sünde vergeben) + ohne die Sünde durch eben diese übeln Folgen zu strafen, hieße die Natur dessen, was gut und böse + ist, verändern und uns eben so viel Aufmunterung zum Bösen, als zum Guten, geben. Aber diese + übeln Folgen der Sünden einer ganzen Welt, auf einen dritten Gegenstand lenken, das konnte Gott, + das wird der Vernunft nicht schwer zu begreifen, das war das einzige Mittel, Sünde zu vergeben, ohne + sie zu strafen. Und eben dies läßt seine Barmherzigkeit in dem nämlichen Glanze. Freilich könnt’ es + scheinen, daß sie, gegen diesen dritten Gegenstand, welchen wir so lange unsern Heiland nennen + wollen, nicht ausgeübt worden, allein eben dieses ist der Gegenstand unsers Glaubens, hier kann die + Vernunft nicht weiter. Die Offenbarung sagt uns, dieser Heiland sei ein ganz reiner vollkommener + Mensch, vielleicht das Ideal der menschlichen Natur gewesen, dem sich die Gottheit selbst, auf eine, + uns unbegreifliche, Weise offenbart und mitgeteilet (das Wort vereinigt find’ ich nicht in der Bibel und + ist schon ein Schritt zu weit von unsern Theologen), den die Gottheit selbst, zu diesem großen + Geschäft unterstützt; den die Gottheit selbst, nach Vollendung desselben belohnt und ihm einen + Namen gegeben, der über alle Namen ist. Dieser Heiland aber, hat uns, außer seiner Lehre und + Beispiel, auch sein Verdienst gelassen, dessen er uns durch die Sakramente theilhaftig macht. Indem + er sich besonders durch das Sakrament des Abendmahls auf eine, zwar unbegreifliche, aber doch der + Vernunft nicht widersprechende, Art, mit uns geistig verbindet, so daß wir jetzt gleichsam alle an + seiner vollkommnen menschlichen Natur Antheil nehmen. Die Pflichten des Christenthums aber, + laufen alle dahin zusammen, diese Wahrheiten, die Christus uns verkündigt, zu glauben, gegen ihn + voll Liebe und Dankbarkeit sein Leben immer besser zu studieren, damit wir ihn immermehr lieben + und nachahmen, von ihm aber (welches die Hauptsache ist) zu Gott, als dem höchsten Gut, hinauf zu + steigen, ihn immer besser erkennen zu lernen, ja, alle Erkenntnisse, die wir hier erwerben, zu ihm, als + dem letzten Ziel zu lenken, um ihn als die Quelle alles Wahren, Guten und Schönen mit allen Kräften + unserer Seele zu lieben und (das ist die natürliche Folge davon) seinen Willen auszuüben, d.h. ihn von + ferne, im Schatten, nachzuahmen, wie er ganz Liebe und Wohlthätigkeit gegen das menschliche + Geschlecht, so kein größeres Glück kennen, als andere glücklich zu machen. + + Sehen Sie hier den Extrakt meiner Religion, das Fazit einer aufmerksamen Lesung der Evangelisten, + deren göttliche oder menschliche Begeisterung ich unausgemacht lasse, und sie bloß als aufrichtige + Erzähler ansehe. Denn dieses ist gut zu wissen, aber nicht verderblich nicht zu wissen. + + Ich habe es für nöthig gehalten, Ihnen den Zustand meiner Seele zu schildern, damit wir uns ganz + kennen lernen. Ich bin also jetzt ein guter evangelischer Christ, obgleich ich kein orthodoxer bin. Kann + ich in meiner Überzeugung weiter kommen, so will ich dem Gott dafür danken, der es weiß, daß + dieses das Lieblingsstudium meiner Seele ist und ewig bleiben wird. + + Doch hoffe ich, niemals Prediger zu werden. Die Ursachen – da müßt’ ich Ihnen Bogen voll schreiben. + Ich fühle mich nicht dazu. Dies ist aber kein dunkles, sinnliches – sondern das Gefühl meines ganzen + Wesens, das mir so gut als Überzeugung gilt. – Aber ich fühle mich als Ihren Freund + + Lenz. diff --git a/data/xml/traditions.xml b/data/xml/traditions.xml index 7f9dc95..a62b020 100644 --- a/data/xml/traditions.xml +++ b/data/xml/traditions.xml @@ -149,6 +149,12 @@ + + + August Stöber: Der Dichter Lenz und Friederike von Sesenheim. Basel 1842, S. 74–78 + + +