diff --git a/data/xml/briefe.xml b/data/xml/briefe.xml index 2fd78fb..9f40dab 100644 --- a/data/xml/briefe.xml +++ b/data/xml/briefe.xml @@ -1178,6 +1178,49 @@ nicht identifizierte Hand Capitaine Lieutenant Salomon Bodmer in der Mühle zu Wölflingen im Canton Zürich. + + Herr Simon kommt zurück eh’ ich ihn haben will: ich kann Ihnen also das Versprochene nicht + zuschicken. Es war mein Trauerspiel, welches ich jetzt eben für Sie abschreibe. Ich werde schon eine + andre Gelegenheit finden es Ihnen zukommen zu lassen. Nicht einmal einen langen Brief erlaubt mir + seine beschleunigte Abreise. Gut, daß ich dann und wann, bei Lesung des Leibnitz ein hingeworfenes + Blatt für Sie beschrieben habe. Vergeben Sie mir, daß ich es nicht abschreibe und meine Gedanken in + Ordnung bringe. Ihnen, als einem unverwöhnten Auge, darf ich sie auch im Schlafrock zeigen; wenn + sie wahr sind, werden sie Ihnen auch alsdann besser gefallen, als falsche in einem Gallakleide. – Wie + ich Ihnen gesagt habe, meine philosophischen Betrachtungen dürfen nicht über zwo, drei Minuten + währen, sonst tut mir der Kopf weh. Aber wenn ich einen Gegenstand fünf-, zehnmal so flüchtig + angesehen habe, und finde, daß er noch immer da bleibt und mir immer besser gefällt, so halt’ ich + ihn für wahr und meine Empfindung führt mich darin richtiger als meine Schlüsse. Nro. 11. ist eine + Apologie meines allerersten Briefes über die Erlösung. Nachdem ich aber Ihre Antwort wieder + durchgelesen, finde ich, daß wir fast einerlei gedacht und dasselbe mit andern Worten ausgedrückt + haben. Sie haben mich unrecht verstanden, wenn Sie glaubten, ich ließe Gott die übeln Folgen der + Sünde auf den Mittler lenken, bloß um seine strafende Gerechtigkeit zu befriedigen. Leibnitz dieses; + er sagt, es ist eine Convenienz, die ihn zwingt Gutes zu belohnen und Böses zu bestrafen. Ich denke + aber, es geschieht bloß um unsertwillen, weil, auf das moralische Uebel kein physisches Uebel, als + eine Strafe folgt; wir lieber Böses als Gutes tun würden, da das Böse leichter zu tun ist. Und warum + Gott das Gute für unsere Natur schwerer gemacht hat, davon ist die Ursache klar, damit wir nicht + müßig gehen; unsere Seele ist nicht zum Stillsitzen, sondern zum Gehen, Arbeiten, Handeln + geschaffen. + + Doch seriosa in crastinum. – Ich werde hoffentlich noch mit Ihnen diesen Winter zusammenkommen; + wiewohl das Regiment jetzt die letzte Ordre erhalten hat, hier zu bleiben. Wenn ich Sie Sehe – Jetzt + fühle ich, daß die ideale Gegenwart eines Freundes die persönliche nicht ersetzen kann, so werde ich + Ihnen viel zu sagen haben. Meine Seele hat sich hier zu einem Entschlusse ausgewickelt, dem alle Ihre + Vorstellungen – dem die Vorstellungen der ganzen Welt vielleicht, keine andere Falte werden geben + können. Wenn ich anders ihn einem Menschen auf der Welt mittheile, ehe er ausgeführt ist. – Mein + guter Sokrates, entziehen Sie mir um dessentwillen Ihre Freundschaft nicht; bedenken Sie, daß die + Welt ein Ganzes ist, in welches allerlei Individua passen; die der Schöpfer jedes mit verschiedenen + Kräften und Neigungen ausgerüstet hat, die ihre Bestimmung in sich selbst erforschen und hernach + dieselbe erfüllen müssen; sie seie welche sie wolle. Das Ganze giebt doch hernach die schönste + Harmonie die zu denken ist und macht daß der Werkmeister mit gnädigen Augen darauf hinabsieht + und gut findet was er geschaffen hat. + + Nicht wahr, ich rede mystisch, Ihnen fehlten die Prämissen, um meine Folgesätze zu verstehen. Sie + werden sie verstehen, nur Geduld. – In der Erwartung will ich Ihnen nur mit der größten logischen + Deutlichkeit sagen, daß ich von ganzem Herzen bin und bleibe + + Ihr drollichter Alcibiades. + + Sagen Sie doch dem Ott, daß er den Lenz nicht über dem Herbst vergesse.