From 25be7ef1e7756218c452ba180f522e8429e63daa Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: GregorMichalski Date: Mon, 14 Oct 2024 09:35:32 +0200 Subject: [PATCH] Einpflegung von Brief 19 in "briefe.xml". --- data/xml/briefe.xml | 60 +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 60 insertions(+) diff --git a/data/xml/briefe.xml b/data/xml/briefe.xml index 24f7eab..88c45ae 100644 --- a/data/xml/briefe.xml +++ b/data/xml/briefe.xml @@ -1023,6 +1023,66 @@ Fahren Sie fort mit Ihrer Gewohnheit für mich. – Lenz. + Landau, den 18ten. + Guter Sokrates! + „Ohne mich nicht ganz glücklich“ – Fürchten Sie sich der Sünde nicht, einen jungen Menschen stolz zu + machen, dessen Herz noch allen Passionen offen steht und durch Zeit und Erfahrung nur noch sehr + wenig verbollwerkt ist? Da ich so tief in Ihr System geguckt, da ich weiß, daß Ihre Religion die + Glückseligkeit ist – so konnte mir kein größeres Compliment gemacht werden, als, daß ich im Stande + sey, mit etwas dazu beyzutragen, wenn’s auch nur so viel ist, als ein Mäuschen zum Rhein. – Spaß bei + Seite, die Glückseligkeit ist ein sonderbares Ding, ich glaube immer noch, daß wir schon hier in der + Welt so glücklich seyen, als wir es nach der Einrichtung unseres Geistes und Körpers werden können. + Die Tugend ist das einzige Mittel diese Glückseligkeit in ihrer höchsten Höhe zu erhalten und die + Religion versichert uns, sie werde auch nach dem Tode währen und dient also dieser Tugend mehr zur + Aufmunterung, als zur Richtschnur. Da kommt nun aber die verzweifelte Krankheit, von der Sie + schreiben und wirft mir mein ganzes Kartenhaus über den Haufen. Allein sie muß doch auch wozu + heilsam seyn, vielleicht, wie Sie sagen, ist sie das Fegfeuer unserer Tugend, wenigstens macht sie uns + die Gesundheit desto angenehmer und trägt, durch den Contrast, also zu dem Ganzen unserer + Glückseligkeit auch mit das Ihre bei. Wiewohl, ich habe gut philosophiren, da ich sie, dem Himmel sey + Dank, schon seit so langer Zeit, bloß vom Hörensagen kenne. Ich bin jetzt auch von lauter Kranken + eingeschlossen und denke dabei beständig an Sie. Wiewohl ich aus dem Schluß Ihres letzten Briefes + zu meiner Beruhigung schließe, daß Sie jetzt wieder völlig hergestellt seyen. Sie werden von Herrn Ott + hören, wie ich mich amusire. Wenig genug und doch sehr viel. Wenn man Käse und Brod hat, + schmeckt uns die Mahlzeit eben so gut, als wenn das Regiment de Picardie traktirt, vorausgesetzt, + daß wir in einem Fall, wie im andern, recht derben Hunger haben. Um also glücklich zu seyn, sehe ich + wohl, werde ich künftig nur immer an meinem Magen arbeiten, nicht an der Mahlzeit, die ich ihm + vorsetze. Die Umstände, in denen wir uns befinden, müssen sich schon nach uns richten, wenn wir + selbst nur fähig sind, glücklich zu seyn. – Bin ich doch ganz Philosoph geworden, werden Sie nur über + mein Geschwätz nicht von Neuem krank! Den Herrn Senior habe ich nur in seiner Kirche besucht und + noch nicht recht das Herz, ihn näher kennen zu lernen. Den Rektor der hiesigen Schule hab ich in + seinem Hause besucht und möchte wohl schwerlich wieder hingehen. Ich fragt’ ihn nach den hiesigen + Gelehrten: er lachte. Das war vortrefflich geantwortet, nur hätte der gute Mann die betrübte + Ahndung, die dieses Lachen bei mir erregte, nicht bestätigen sollen. Er beklagt sich über den + Schulstaub und die häuslichen Sorgen – da, da, mein theuerster Freund, fühlte ich eine Beklemmung + über die Brust, wie sie Daniel nicht stärker hat fühlen können, als er in den Löwengraben hinabsank. + In seiner Jugend, sagt’ er, hätte er noch fait vom Studieren gemacht, jetzt – o mein Freund, ich kann + Ihnen das Gemälde nicht auszeichnen, es empört meine zartesten Empfindungen. Den heiligen + Laurentins auf dem Rost hätt’ ich nicht mit dem Mitleiden angesehen, als diesen– Märtyrer des + Schulstandes, eines Standes, der an einem Ort wie Landau, mir in der That ein Fegfeuer scheint, aus + dem man alle guten Seelen wegbeten sollte. Er hatte seine Bibliothek nicht aufgestellt, es waren + bestäubte, verweste Bände, die er vermuthlich nur in seiner Jugend gebraucht – ausgenommen die + allgemeine Welthistorie figurirte, in Franzband eingebunden, besonders. – Vielleicht daß ich da mich + einmal bei ihm zu Gast bitte. Er scheint übrigens der beste Mann von der Welt – o Gott, eh’ so viel + Gras über meine Seele wachsen soll, so wollt’ ich lieber, daß nie eine Pflugschaar drüber gefahren + wäre. Jetzt bin ich ganz traurig, ganz niedergeschlagen, blos durch die Erinnerung an diesen Besuch. + Nein, ich darf nicht wieder hingehen. Wie glücklich sind Sie, mein Sokrates, wenigstens glänzt eine + angenehme Morgenröthe des Geschmacks in Straßburg um Sie herum, da ich hier in der ödesten + Mitternacht tappend einen Fußsteig suchen muß. Keine Bücher! ha Natur, wenn du mir auch dein + großes Buch vor der Nase zuschlägst (in der That regnet es hier seit einigen Tagen anhaltend), was + werd’ ich anfangen? Dann noch über die Glückseligkeit philosophiren, wenn ich von ihr nichts als das + Nachsehen habe? Doch vielleicht kriegt mich ein guter Engel beim Schopf und führt mich nach + Straßburg. – – Meine Lektüre schränkt sich jetzt auf drey Bücher ein: Eine große Nürnbergerbibel mit + der Auslegung, die ich überschlage, ein dicker Plautus, mit Anmerkungen, die mir die Galle etwas aus + dem Magen führen und mein getreuster Homer. Ich habe schon wieder ein Stück aus dem Plautus + übersetzt und werd’ es ehestens nach Straßburg schicken. Es ist nach meinem Urtheil das beste, das + er gemacht hat (doch ich kenne noch nicht alle). Noch an eins möcht ich mich machen: es ist eine Art + von Dank, den ich dem Alten sage, für das herzliche Vergnügen, das er mir macht. Ist es nicht reizend, + nach so vielen Jahrhunderten, noch ein Wohlthäter des menschlichen Geschlechts zu sein? + + Heut’ möcht’ ich Ihnen einen Bogen voll schreiben, aber ich besinne mich, daß das, was mir ein + Präservativ für eine Krankheit ist, Ihnen leicht ein Recidiv geben kann. Ich bin ganz der Ihrige + Lenz. +